Lehrer - Schüler - Verhältnis von Wolfseye (H&M) ================================================================================ Kapitel 23: Bilder der Vergangenheit ------------------------------------ Michiru schien sich über ihre Antwort zu freuen und erhob sich von ihrem Stuhl. „Gut, dann werde mal eben Wasser aufsetzten. Du kannst dich gerne hinsetzten.“ Sie deute auf die Couch und Haruka nickte verstehend. Die Türkishaarige begab sich dann in die Küche. Die Sportlerin wollte das Angebot annehmen und drehte sich zu dem Sofa um, entdeckte dann aber wieder die Geige im Regal. Dieses Mal wollte sie sich das gute Stück doch etwas genauer ansehen und näherte sich ihr. Sie sah wirklich wunderschön und edel aus. Das Einzige, was Haruka gar nicht gefiel, war die Tatsache, dass sie sich in dem Schrank befand. Es sah nicht so aus, als hätte Michiru sie in letzter Zeit öfter in der Hand gehabt. Sie wirkte eher wie eine Erinnerung, oder ein Traum, der jetzt mit ihr hinter dieser Glasscheibe eingesperrt war. Nur zu gerne würde sie Michiru darum bitten, ihn wieder freizulassen. Den ganzen Traum wieder aufzunehmen. Sie war sich sicher, sie könnte ihn mühelos erreichen, obwohl sie sie ja noch nie spielen gehört hatte. Um ein kleines Konzert konnte sie sie wohl im Moment auch nicht bitten, Hotaru würde ja sofort wieder aufwachen. Naja, es würde schon noch dazu kommen. Sie hatten ja bereits abgemacht, dass sie sich gegenseitig etwas vorspielen wollten. Inzwischen hatte sie auch gar keine Angst mehr davor ihr etwas auf dem Klavier vorspielen zu müssen. Klar wusste sie nicht, ob es ihr gefallen würde, und sicher machte sie einige Fehler, aber sie glaubte auch nicht, dass Michiru sie deswegen verurteilen würde. Haruka wendete sich von der Geige ab, um sich jetzt doch zu setzten aber ihr Blick traf erneut auf etwas, was ihre Aufmerksamkeit erregte. Fotos. Auf ein paar Regalbrettern über dem Fernseher waren mehrere Bilderrahmen aufgestellt. Das was ganz vorne stand, sprang ihr sofort ins Auge. Es war ein Hochzeitsfoto. Ein Mann, in einem schicken schwarzen Smoking, mit kurzen hellblauen Haaren und genau den gleichen tief blauen Augen, wie Michiru sie hatte, lächelte voller Stolz in die Kamera. Neben ihm seine Braut, in einem wunderschönen weißen Hochzeitskleid. Sie hatte lange schwarze Haare, magentafarbene Augen und war Hotaru wie aus dem Gesicht geschnitten. Unverkennbar waren das Hotarus Eltern, und der Mann somit Michirus Bruder. Sie wirkten beide sehr liebevoll und mehr als glücklich auf dem Bild. Irgendwie schmerzte es Haruka, dass sie tot waren. Sie kannte sie gar nicht, aber Michiru hatte sie geliebt und ihr Verlust war auch irgendwie ihrer. Ihr Blick schweifte über die anderen Bilder und sie ging noch näher ran. Sie fand noch ein weiteres Hochzeitsfoto. Dieses Mal vermutete sie Michirus Eltern darauf zu finden. Also noch ein Paar welches nicht mehr lebte. Fast auf jedem Bild hier war mindestens eine Person mit drauf, die jetzt nicht mehr da war. Nur die Bilder auf denen Michiru alleine, zusammen mit Hotaru oder die wiederum alleine drauf war, entsprachen dem nicht. Naja, und dem einen auf dem sie Reika als junge Frau erkennen konnte. Aber sonst… Haruka bewunderte Michiru dafür, dass sie diese ganzen Bilder hier stehen hatte. In ihrer Wohnung würde sie vergeblich nach welchen suchen. Sie könnte es einfach nicht ertragen jeden Tag die Gesichter der Menschen zu sehen, die doch niemals wieder zu ihr zurückkehren würden. „Oh, du hast die Fotos entdeckt.“ wurde sie plötzlich von hinten angesprochen. Haruka drehte sich um und sah wie Michiru, mit einem Tablett, auf dem zwei Tassen und eine Kanne Tee drauf waren, durchs Zimmer ging. Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab und trat dann neben sie. „Ja, hab ich. Ich hoffe das ist in Ordnung.“ „Natürlich ist es das. Ich nehme mal an, du hast dir bereits selbst zusammengereimt wer, wer ist.“ „Ja. Hotaru sieht ihrer Mutter wirklich ähnlich. Und dein Bruder hat genau die gleichen Augen wie du, genau wie deine Großmutter. … Oh, und deine Mutter.“ deutete sie noch auf ein Bild auf dem die Frau zu erkennen war. „Schon fast beängstigend.“ murmelte sie noch vor sich hin. „Wieso das?“ fragte Michiru sofort, die das durchaus gehört hatte. „Ach, naja… Versteh mich nicht falsch, ich find deine Augen wundervoll. Ich könnte ewig in sie hineinsehen! Aber… sie machen mir auch ein bisschen Angst. Vor allem bei deiner Großmutter vorhin. Ich glaub, sie mag mich nicht.“ Michiru musste erst mal ihre Verlegenheit abschütteln, bevor sie weiter nachhaken konnte. „Was genau macht dir denn an meinen Augen Angst?“ Das hatte sie immer noch nicht so ganz verstanden. „Hhmm ich weiß nicht genau. Vielleicht das, dass ich mir dann immer so hilflos vorkomme, wenn ich in sie hineinsehe. Es ist, … als würde ich mich darin völlig verlieren.“ Okay, Michiru war sich sicher, dass sie gerade hochrot anlief. Haruka sah ihr gerade wirklich tief in die Augen und hatte sich auch ein wenig zu ihr hinunter gebeugt. Und dann noch dieses schiefe Lächeln… Eigentlich hatte sie jetzt einen wundervollen Kuss erwartet, doch die Blonde richtete ihren Blick leider wieder auf die Fotos. Michiru musste erst mal tief durchatmen bevor sie ihrem Blick folgen konnte. „Wie hießen die zwei eigentlich?“ fragte Haruka, mit einem Blick auf Hotarus leibliche Eltern. Ihr war die Anziehung eben nicht entgangen und sie hätte sie wirklich gerne geküsst, doch war sie sich nicht sicher, ob sie dann wieder hätte aufhören können. „Ähm, … mein Bruder hieß Soichi und seine Frau Keiko.“ „Und deine Eltern?“ Haruka sah sich das Bild ihrer Eltern noch mal genauer an. Die Haarfarbe war eindeutig Väterlicherseits vererbt worden, aber sonst sah Michiru der dunkelhaarigen Frau ziemlich ähnlich. „Seiichiro und Yuki.“ Mit der nächsten Frage zögerte Haruka. Sie war sich nicht sicher, ob sie sie wirklich stellen sollte, aber Michiru hatte ihr ja gesagt, sie könne sie gerne alles Fragen. Und wenn sie nicht antworten wollte, würde sie es schon nicht tun, was dann auch okay wär. „Du … du hast gesagt, du hättest sie verloren als du vierzehn warst. Darf … ich fragen wie? Du musst aber nicht antworten.“ „Doch, natürlich darfst du.“ antwortete Michiru. Sie senkte allerdings ihren Blick und Haruka sah, dass es ihr nicht leicht fiel, darüber zu reden. „Meine Mutter war sehr krank. Bei ihr wurde Brustkrebs diagnostiziert und das leider sehr spät. Sie war vorher nie wirklich krank und war sehr taff und hielt nicht so viel davon zum Arzt zu gehen. Irgendwann musste sie aber doch, da es ihr rapide schlechter ging. Sie wurde sofort behandelt, jedoch hatte der Krebs schon gestreut und die Ärzte gaben ihr nicht mehr viel Zeit. Das hat uns alle sehr getroffen, zumal bei meinem Großvater kurze Zeit vorher auch Krebs diagnostiziert wurde. Zu dieser Zeit waren mein Bruder und ich viel im Krankenhaus. Mein Vater kam leider nicht besonders gut mit der Situation zu Recht und hat angefangen seinen Kummer in Alkohol zu ertränken. Damals habe ich das aber nicht so mitbekommen. Nach einem halben Jahr, hat meine Mutter den Kampf gegen den Krebs verloren und starb.“ Sie machte eine kurze Pause, bevor sie weiter sprach. Haruka hörte einfach nur zu. „Es war eine schwierige Zeit aber meinem Großvater ging es allmählich besser und er erholte sich gut. Die Ärzte waren zu der Zeit zuversichtlich, dass er den Krebs besiegt hatte. Das war zumindest ein kleiner Trost. Doch nur ein paar Monate, nachdem meine Mutter gestorben war, hielt mein Vater es nicht mehr aus und brachte sich um.“ Haruka öffnete etwas den Mund vor Schreck, konnte aber nichts sagen. Sie war schockiert. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wenn sie ehrlich war, konnte sie es aber ein wenig nachvollziehen. „Ich war sehr lange Zeit, sehr wütend auf ihn. Schließlich hatte er uns einfach alleine gelassen. Ich konnte zwar verstehen, dass er sie vermisste aber das taten wir alle. Mein Bruder konnte es ihm auch nie verzeihen und hat nur noch selten über ihn gesprochen. Ich habe damals zum Glück Hilfe bekommen und konnte meine Trauer in einer Therapie verarbeiten. Mein Bruder wollte das leider nicht und da er schon achtzehn war, konnte ihn auch niemand zwingen. Bei mir haben meine Großeltern drauf bestanden und ich bin heute dankbar dafür.“ „Das tut mir alles sehr leid.“ flüsterte Haruka nach kurzer Stille. Sie wusste nicht, was sie sonst sagen sollte. Es war schrecklich und sie wünschte, sie könnte irgendwas tun oder sagen, damit es Michiru besser ging. „Ist schon gut. Es ist nun mal passiert.“ Haruka wünschte sich aber, es wäre nicht so. Aber sie konnte ja leider nichts daran ändern… Sie ließ ihren Blick erneut über die Fotos wandern und entdeckte plötzlich eine Person, die sie überhaupt nicht einordnen konnte. Sie hatte so eine Vermutung, wollte es aber genau wissen. Außerdem hatte sie das Gefühl, ein Themenwechsel wäre jetzt gut. Sie griff sich das Bild, welches weiter hinten stand, drehte es vor Michiru um und zeigte auf die Person im Hintergrund. „Wer ist das?“ „Oh. Das… das ist…“ rang Michiru mit den Worten. „Deine Ex?“ half die Blonde ihr weiter. „Ja. Ich hab eigentlich alle Bilder von ihr entsorgt aber das ist eines der wenigen auf dem Hotaru zusammen mit ihren Eltern drauf ist, deswegen konnte ich es nicht wegwerfen.“ Haruka drehte das Bild vor sich wieder um. Im Vordergrund waren wirklich Hotaru und ihre Eltern. Offenbar hatte die Kleine Geburtstag. Alles war festlich geschmückt und vor ihnen war ein Kuchen auf dem Tisch, verziert mit Kerzen und einer großen Zwei. Hinter der kleinen Familie standen Michiru, und eben die Ex. „Wow… Sieht heiß aus.“ Eigentlich redete sie mehr mit sich selbst, als mit ihrem Gegenüber. „Was?“ Das Michiru dies sagte, nahm sie auch kaum war. Sie starrte nur noch diese Frau an. Die war nun wirklich das krasse Gegenteil von ihr. Sie hatte lange, glatte rote Haare, leuchtend grüne Augen, eine schlanke Figur mit ausgeprägten Rundungen und trug ein elegantes Kleid, genau wie Michiru neben ihr. Sie wusste nicht, was sie erwartet hatte, aber das nicht. Wenn eigentlich das der Typ Frau war, auf den Michiru stand, was wollte sie dann von ihr? Sie war zwar eine Frau, ja, aber sie musste zugeben, nicht besonders viel davon abbekommen zuhaben, weder was das Aussehen, noch den Charakter betraf. Sie würde sich niemals ein Kleid anziehen. So was trug sie einfach nicht gern. Für besondere Anlässe hatte sie ‘nen Anzug im Schrank, und nicht nur einen. Die Dinger fand sie nämlich, im Gegensatz zu Kleidern, totschick, also an sich. An ihrer Seite bevorzugte sie natürlich auch eine schöne Frau im eleganten Kleid, wie sie es ja auch schon oft genug gehabt hatte. Aber wenn sie so darüber nachdachte, waren eigentlich sämtliche Eroberungen von ihr eher hetero gewesen, oder zumindest bi. Wirklich lesbisch war kaum eine. Durch ihr männliches aussehen kam sie eben viel besser bei denen an, die auch genau das wollten. Noch dazu machte es einfach vielmehr Spaß eine Frau rumzukriegen, für die es das erste Mal mit einer wär, oder eventuell sogar das erste Mal überhaupt. Aber nun war Michiru ja genauso lesbisch wie sie, also stand sie wohl auch eher auf die typisch weiblichen Seiten an einer Frau. Haruka bekam gerade richtige Zweifel, warum sich die Türkishaarige überhaupt auf sie eingelassen hatte. Michiru bekam davon nichts mit. Sie war immer noch viel zu sehr entsetz von dem, was Haruka da gerade vor sich hingemurmelt hatte. »Heiß?! Sie findet sie heiß?! …Wa… warum sagt sie das?« Noch schlimmer fand sie aber, dass die Große offenbar nicht mal mehr die Augen von ihr abwenden konnte. Das versetzte ihr einen richtigen Stich ins Herz. Je länger sie diese Scene betrachtete, desto enttäuschter, trauriger und wütender wurde sie. Hatte sie sich jetzt etwa doch so gewaltig in Haruka getäuscht? Klar, sie hatte gewusst, dass sie ein Frauenheld war und sie war sich ja auch von Anfang an nicht sicher darüber, ob Haruka monogam leben könnte, aber nach den letzten Tagen? Sie hatte doch so viele wundervolle Dinge zu ihr gesagt, sie kümmerte sich so süß um Hotaru, und sie hatte wirklich gedacht, sie würde ihr wenigstens etwas mehr bedeuten, als ihre ganzen Affären. „Willst du vielleicht ihre Nummer haben?“ brachte Michiru dann als einziges hervor. Es sollte wütend und vielleicht ein bisschen sarkastisch klingen, aber eigentlich war es die reine Verzweiflung die aus ihr sprach. „Hä? Was soll ich ‘n mit ihrer Nummer?“ Endlich sah Haruka von dem Bild wieder auf, in Michirus Gesicht. Nun war sie komplett verwirrt. Was sollte denn dieser komische Blick? „Ich weiß nicht. Wenn sie dir so gut gefällt…“ Haruka brauchte einen Augenblick um zu schnallen, was hier los war. Dachte Michiru ernsthaft, sie würde diese Rothaarige IHR vorziehen? Nur weil sie sagte, sie sei heiß? Das klang so völlig absurd für sie, dass sie ein ungläubiges Lachen nicht unterdrücken konnte. „Was, meinst du das ernst? … Michiru, das ist doch totaler Blödsinn. Glaubst du echt, ich würde was mit deiner Ex anfangen wollen?“ Haruka schüttelte noch mal ungläubig mit dem Kopf und wurde nun eher nachdenklich. „Ich hatte wirklich gehofft, du würdest mir inzwischen zumindest etwas vertrauen. Hmpf, naja, kann ich wohl nicht erwarten.“ Sie warf wieder ein Blick aufs Foto. Sie fand ehrlich, dass die zwei nicht im Geringsten zusammenpassten – und das dachte sie nicht nur aus Eifersuchtsgründen. Nein, jetzt mal rein von der Optik her und dem, was sie ausstrahlten. Irgendwie hatte sie den Eindruck als hätte man da Feuer mit Wasser vermischt. Das biss sich nun wirklich in absolut jeglicher Hinsicht! Es wunderte sie, dass die Zwei es überhaupt solange miteinander ausgehalten hatten. Was hatte ihr Engel an der gefunden? Michiru dagegen auf dem Bild sah für sie einfach nur traumhaft aus. »Hhmm, wie alt war sie da eigentlich?« Wenn sie die große Zwei auf der Torte berücksichtigte, musste das Hotarus zweiter Geburtstag gewesen sein, demnach war die Türkishaarige wohl neunzehn. »Oh Mann, und ich war dreizehn! Wenn man’s von der Seite betrachtet sind sechs Jahre ja doch ein Unterschied.« Sie schüttelte die Gedanken darüber ab und versuchte nun Michiru wieder zu beruhigen. „Äh, ja, sie ist heiß. Das musst auch du zugeben, schließlich warst mit ihr zusammen, aber weißt du… diese Türkishaarige da neben ihr… ah, ich weiß nicht, die hat so etwas an sich… ich glaub, wenn ich die Wahl hätte…“ Haruka brach den Satz ab, in der Hoffnung es wäre gar nicht mehr nötig ihn zu Ende zu führen. War es offenbar auch nicht. Sie fand zu ihrer Freude ein, etwas verlegenes, Lächeln auf Michirus Lippen. Also sprach sie weiter. „Hey, aber vielleicht gibst du mir wirklich ihre Nummer. Dann kann ich ihr mal gehörig die Meinung sagen, wie sie es wagen konnte, dich einfach im Stich zulassen, und die kleine Taru-chan ins Heim stecken zu wollen! Du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich die Frau nicht mal mit Handschuhen anfassen würde!“ Damit stellte sie das Bild wieder zurück auf seinen Platz, um ihre Aussage noch zu unterstreichen. Michiru kam sich gerade ziemlich blöd vor. Vorhin hatte sie noch daran gedacht wie sehr sie Haruka vertrauen würde, und nun reichte ein winziger Kommentar, zu dem Aussehen ihrer Ex, von ihr und sie kam ins Zweifeln. Takuyas Freundin am Flughafen hatte sie auch gleich mit Misstrauen angesehen, obwohl sie lediglich Haruka gegenüber gestanden hatte. Diese Eifersuchtstour kannte sie gar nicht von sich, aber wenn es um Haruka ging, überkam es sie einfach. Das musste sie wirklich ganz dringend abstellen. Wie sollte jemals etwas hier draus werden, wenn sie gleich bei jeder Frau an die Decke ging, mit der die Blonde sprach, oder einfach nur ansah. Sie beschloss von nun an erst einmal nachzufragen, oder nicht sofort so ernst zu nehmen, was Haruka von sich gab. Die schien auch nicht immer groß darüber nachzudenken, was ihren Mund verließ. Dennoch, das Foto hatte sie ihrer Meinung nach doch etwas zu lange und abwesend angestarrt, als dass da nicht noch etwas anderes gewesen wäre. „Okay, aber irgendetwas hat dich doch eben beschäftigt. Warum hast du sie so lange angesehen.“ „Ach, das… ich war einfach überrascht. Das ist alles. … Hey, wird unser Tee nicht kalt?“ versuchte die Sportlerin offenbar die Antwort zu umgehen. „Oh, ja richtig.“ Sie ging zur Couch rüber und setzte sich. Haruka tat es ihr gleich und nahm die Tasse entgegen, die Michiru ihr erst einfüllte und dann reichte. Aber so einfach wollte sie das Thema nicht abhaken. „Warum warst du überrascht?“ Es war der Blonden deutlich anzusehen, dass sie eigentlich nicht antworten wollte. „Ich… naja, du musst zugeben, dass die nun wirklich das komplette Gegenteil von mir ist.“ brachte sie schließlich zögerlich hervor. „Und was daran ist jetzt schlecht?“ verstand Michiru überhaupt nicht. „Nichts, nur… Sahen deine anderen Freundinnen auch so aus?“ „Was meinst du mit "auch so"? Und wieso fragst du das?“ „Ich meine so „weiblich“.“ kam es jetzt fast ein bisschen gereizt zurück. „Weiblich?“ wiederholte Michiru ungläubig. So langsam dämmerte es ihr, worauf Haruka hinaus wollte. Jetzt war sie diejenige, die sich zusammenreißen musste nicht zu lachen. Während sie sich sorgen darüber gemacht hatte, dass sie ihre Ex heiß fand, hatte die in Wirklichkeit bedenken sie könne ihr nicht „weiblich“ genug sein. „Ist das nicht völlig egal?“ fragte sie deshalb. „Waren sie es nun, oder nicht?“ „Ähm, also … ja, eigentlich schon.“ „Und wieso dann ich? Ich mein, in Rom sagtest du, du hättest mich von Anfang an anziehend gefunden, aber wieso? Wenn du eigentlich auf so was da stehst.“ Sie zeigte mit dem Finger wieder auf das Foto im Regal. „Also zunächst einmal, ich such mir doch nicht aus, wen ich anziehend finde und wen nicht. Auch, wenn meine bisherigen Freundinnen komplett anders waren als du, ist mir das Aussehen im Grunde egal. Wenn der Charakter nicht stimmt, ist es völlig egal wie sie aussieht.“ Das stimmte Haruka jetzt auch nicht milder. Ihr Charakter hatte ja wohl noch weniger zu bieten als ihr Körper. Jedenfalls sah sie das so. Aber Michiru war offenbar noch nicht fertig mit reden. „Im Übrigen finde ich dich sehr „weiblich“.“ Sie setzte das Wort tatsächlich in Anführungszeichen. „Hä?“ „Ja, ich weiß. Mir musste erst jemand sagen, dass du eine Frau bist. Ich begreif heute auch einfach nicht, wie ich das nicht sehen konnte, aber wahrscheinlich wollte ich es auf irgendeine Art auch gar nicht. Du warst, und bist immer noch, meine Schülerin und, dass ich jemals zu so etwas fähig wäre, hätte ich niemals gedacht. Wenn ich von einem Lehrer oder einer Lehrerin erfahren würde, der oder die sich mit einem Schüler/Schülerin eingelassen hätte, wär ich mit Sicherheit die erste, die beim Direktor stehen würde, und nicht eher Ruhe geben würde bis diese Person entlassen wär, oder sogar noch schlimmer bestraft wär. … Ich fass es einfach nicht, dass ausgerechnet mir das jetzt passiert.“ seufzte die Türkishaarige und rieb sich die Stirn vor Verzweiflung. „Aber… du willst es doch nicht beenden, oder?“ fragte Haruka geschockt nach. „Nein, will ich nicht.“ kam es zuversichtlich zurück. Haruka atmete erst mal erleichtert aus. Sie hatte gerade wirklich schiss bekommen. „Also, ich finde es ist völlig in Ordnung was wir tun.“ „Natürlich tust du das.“ schüttelte die Türkishaarige amüsiert mit dem Kopf. „Ja, tu ich. Und?“ „Haruka, ich bin deine Lehrerin! Und damit für dich verantwortlich. Ich sollte eigentlich auf dich aufpassen und nicht… nicht…“ „Ausziehen?“ bat Haruka ihr an. „So genau wollte ich das jetzt nicht sagen, aber ja, genau das sollte ich auf gar keinen Fall tun.“ „Ach, komm. Is ja nicht so, als würdest du mich dazu zwingen. Wir machen’s freiwillig. Und wenn man‘s genau nimmt, bist du nur meine Vertretungslehrerin.“ „Das macht es in keiner Hinsicht besser.“ Daraufhin konnte Haruka nur die Augen verdrehen. „Außerdem bist du auch noch Minderjährig.“ seufzte Michiru weiter. „Es dauert nicht mal mehr fünf Monate bis ich achtzehn werde! Und ich bin kein Kind mehr, Michiru, schon lange nicht mehr. Ich bin seit Ewigkeiten auf mich allein gestellt, und wenn mein Arbeitgeber nicht auf diesen blöden Abschluss bestehen würden, bräuchte ich ihn überhaupt nicht. Ich hab mehr Geld als ich zählen kann und bin mega-erfolgreich, also was macht es für ein Unterschied, ob ich siebzehn oder achtzehn bin? Wir sind gerade mal sechs Jahre auseinander, das ist doch gar nichts! Außerhalb der Schule is das völlig normal!“ Haruka redete sich richtig in Rage, und machte damit ihrem Ärger Luft, der sich über das Thema in ihr aufgestaut hatte. „Ja, das weiß ich. Um ehrlich zu sein, hab ich auch nicht das Gefühl etwas falsch zu machen, dafür… fühlt es sich einfach viel zu richtig an. Es ist halt nur… die Sache an sich. Ich wünschte einfach es wäre anders, dann wär alles viel einfacher.“ „Ja, das wünschte ich auch.“ seufzte Haruka. „Lass uns jetzt nicht mehr darüber reden, okay? Ich möchte nicht weiter darüber nachdenken. Solange wir vorsichtig sind und das nicht rauskommt, wird sich das Problem hoffentlich irgendwann von alleine lösen.“ Michiru sah sie bittend an, und Haruka war mehr als nur einverstanden damit. Sie wollte auch nicht mehr darüber nachdenken. Michiru hatte Recht. Irgendwann würde sich das Problem schon lösen, auf die eine oder andere Art. Haruka nickte ihr zu und somit sprachen sie nicht weiter darüber. Beide beschäftigten sich einen Augenblick mit ihrem Tee, bis der Sportlerin wieder etwas einfiel. „Sag mal, wie hast du das gemeint, du würdest mich sehr „weiblich“ finden?“ „Das hast du nicht vergessen, was?“ lächelte Michiru sie an. „Sieht nicht so aus, nein.“ „Ich hab es genauso gemeint, wie ich es gesagt habe. Wenn ich dich heute ansehe, sehe ich eine Frau, und nichts anderes. Deine Kleidung mag zwar aus der Herrenabteilung stammen, aber ich finde sie steht dir ausgesprochen gut, sogar mehr als das. Und wenn du dich darin wohlfühlst, warum solltest du sie dann nicht tragen? Ich finde das ist das Wichtigste. … Oh, und wenn das was sich unter der Kleidung befindet nicht weiblich ist, dann weiß ich auch nicht mehr.“ Es trat augenblicklich ein Grinsen in Harukas Gesicht, auch wenn sie versuchte es zurückzuhalten, aber als Michiru dann auch noch leicht an zu lachen anfing, musste sie mit einstimmen. Ihre Zweifel was ihr Aussehen anging waren damit begraben. Aber was war mit dem anderen? „Okay, ich hab‘s kapiert, du findest mich scharf. Aber ich hab auch nicht gerade „weibliche“ Interessen. Ich steh nun mal auf Autos, Motorräder, Sport, Technik… Ich wette keine deiner Freundinnen hatte solche Interessen, oder?“ „Nein, das stimmt. Naja, vielleicht außer Sport. Und ich mag auch Sport. Gut, okay, schwimmen, aber es ja ‘ne Sportart. … Jedenfalls finde ich nichts von deinen Eigenschaften negativ. Im Gegenteil. Ich bewundere dich dafür. So was wie Motorradfahren würde ich mich niemals trauen, und schon gar nicht das beruflich zumachen. Ich kann mir vorstellen, dass du dort mit ganz schön viel Ablehnung zu kämpfen hattest, oder noch hast. Die Männer finden es bestimmt nicht witzig, von dir geschlagen zu werden. Außerdem, wer hat eigentlich bestimmt, welche Interessen „männlich“ und welche „weiblich“ sind? Das ist doch nur so ein Bild, welches uns die Gesellschaft vorleben will, gleiches gilt für Kleidung und Frisuren. Das ist völlig bescheuert, wenn du mich fragst. Jeder sollte das Anziehen und machen dürfen, wozu er Lust hat, solange es niemandem schadet. Also finde ich es absolut bewundernswert, was du da tust.“ Haruka wurde doch etwas rot. „Das sehe ich genauso, obwohl ich mir nie wirklich Gedanken darum gemacht habe. Mir war immer bewusst, dass ich anderes bin aber ich habe nie versucht, das zu verstecken. Und es stimmt, die anderen Fahrer sind nicht besonders gut auf mich zu sprechen, obwohl mittlerweile nicht mehr alle. Ich denke, inzwischen haben die meisten mich akzeptiert und versuchen wirklich ernsthaft mich im Rennen zu schlagen. Mir war das aber von Anfang an egal. Meinetwegen können die Leute oder die Fahrer denken was sie wollen. Ich wollte nur fahren. Und bin wie ich bin.“ „Siehst du, das ist noch etwas was ich an dir bewundere. Du machst dir keine Gedanken, was andere über dich denken, und lässt dir auch von niemandem etwas gefallen. Du sagst was du denkst und stehst auch dazu. Du versuchst nicht dich für irgendjemanden zu verbiegen, nur weil du vielleicht nicht ins Schema passt. Das finde ich toll.“ „Aber das tust du doch auch.“ „Nein, da irrst du dich. Ich lass mir von vielen vorschreiben was zu tun ist. Ich habe oft einfach nicht den Mut oder die Kraft mich zu wehren. Du siehst doch wo mich das hingebracht hat. Mein Traum liegt auf Eis. Ich habe einen Job, den ich eigentlich nie gewollt habe, in dem ich viel weniger verdiene, als mir zusteht und ich auch noch Kurse unterrichten muss, für die ich eigentlich gar nicht zuständig bin. Ich habe dem Jugendamt nachgegeben, Keikos Eltern und dem Direktor auch. Du hättest das bestimmt nicht getan.“ „Nein, vermutlich nicht. Aber ich kann verstehen warum du das getan hast. Du hattest angst Hotaru zu verlieren, gerade erst deinen Bruder verloren und dann mit der Kleinen zu recht zukommen war sicherlich auch nicht leicht. Dass du dann keine Kraft mehr hattest dich auch noch mit ihren Großeltern anzulegen ist doch verständlich. Naja, und der Direktor… Ich kann mir vorstellen, dass du den Job brauchtest und deshalb nachgegeben hast. Allerdings finde ich wirklich, du solltest dich in dieser Hinsicht wehren. Der Kerl is ‘n riesen Fan von mir, vielleicht kann ich ja mal mit dem reden.“ „Oh Gott, tu das bloß nicht!“ sah Michiru sie mit weit aufgerissenen Augen geschockt an. „Wieso nicht?“ „Haruka, der Kerl ist der letzte der auch nur den Hauch davon mitbekommen darf, was da zwischen uns läuft. Er ist der Direktor! Wenn du zu ihm läufst und dich für mich einsetzt, können wir ja gleich alles öffentlich machen.“ „Ja, aber das ist doch unfair. Du solltest das bekommen was dir zusteht.“ „Natürlich, aber auf keinen Fall, wenn wir dabei riskieren aufzufliegen! Bitte Haruka, du darfst das nicht tun! Außerdem will ich auch nicht, dass du das für mich machst.“ „Aber wieso nicht? Ich will dir doch nur helfen.“ „Und das finde ich auch wirklich total süß von dir, aber das ist mein Problem, um das ich mich selber kümmern muss. Was bringt es mir, dich für deinen Mut zu bewundern, wenn ich nicht versuche ihn bei mir selbst zu finden?“ Haruka musste zugeben, dass das einleuchtend klang. Trotzdem würde sie ihr liebend gern helfen. „Also schön, ich werd‘s lassen.“ seufzte sie schließlich. „Versprochen?“ „Ja, versprochen.“ Dann musste sie ihr eben anderweitig helfen. Vielleicht könnte sie sie ja darin unterstützen schneller zu ihrem Mut zu finden. Sie fand nämlich, dass Michiru schon ausreichend davon besaß. Das musste sie ihr nur noch irgendwie begreiflich machen. Im Moment war sie aber wieder viel zu sehr von ihren Augen gefesselt, die so einnehmend zu ihr hinsahen, als dass sie auch nur noch ein Wort hervorbringen könnte. Als Michiru den Blick irgendwann abwendete, um ihre, inzwischen leere, Tasse auf den Tisch abzustellen, war es für sie, als würde sie aus einem wundervollen Traum gerissen werden. Sie musste sich erst mal wieder sammeln und sah dadurch durch den Raum. Dabei fiel ihr Blick auf die Uhr, an der Wand. „Wow, schon fast halb zwölf.“ murmelte sie Gedanken verloren. „Oh, ja du hast Recht. Du willst sicher nach Hause.“ »Was? Nein!« Das hatte sie doch lediglich laut gedacht, weil ihr gar nicht aufgefallen war, wie die Zeit verging. Auf gar keinen Fall wollte sie gehen! Sie könnte hier noch Stundenlang sitzen und sich mit ihr unterhalten, oder auch einfach nur ansehen. „Tut mir leid, dass ich dich so lange aufgehalten habe.“ entschuldigte sich Michiru, und erhob sich nun. „Nein, hast du nicht!“ Toll, wie sollte sie denn jetzt wieder aus der Sache rauskommen? Sie stand ebenfalls auf und überlegte fieberhaft, was sie jetzt sagen könnte, ohne dass es vielleicht zu aufdringlich oder fordernd klang. Aber der einzige Satz der ihr durch den Kopf huschte war: Ich will nicht gehen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)