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Word Forward

Sherlock/John (Sherlock BBC)
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Es gibt Rückblicke innerhalb des Kapitels. Diese sind über mehrere Absätze durch anhaltende Kursivschreibung markiert. Komplett anzeigen

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Acv VI

Act VI
 

Wenn sie dachten, dass durch Moriartys Tod Ruhe einkehren würde, dann wurden sie früh eines Besseren belehrt. Am Nachmittag des ersten Januars fand die Polizei die übrigen zwei Vermissten tot am Ufer der Themse. 

John hätte sich diesen Tag lieber auf dem Sofa gewünscht, gemeinsam einer Folge Doctor Who oder einem James Bond Film, doch natürlich kam es nicht dazu. Stattdessen stand er mit eingegipster Hand und dicker Jacke neben Sally Donovan auf nassem Kies und beobachtete Sherlock dabei, wie er die Münder der angespülten, zusammengebundenen Toten untersuchte. John wollte nicht einmal genau wissen, wonach sein Mitbewohner suchte.
 

„Aha!“ Sherlock richtete sich auf. In seinen Händen hielt er ein zerknülltes Stück Papier. Lestrade beendete das Gespräch mit dem Beamten, der als Erster am Tatort gewesen war, und trat neben ihn. „Was steht drauf?“, hörte John ihn fragen.
 

„Wie geht es Ihrer Hand?“, suchte Sally sich diesen Moment für Small-Talk aus und auch wenn John es zu schätzen wusste, wollte er doch eigentlich nicht daran erinnert werden, dass er momentan in seiner Mobilität eingeschränkt war. (Ganz abgesehen von den anderen Dingen, um welche er derzeit gedanklich einen weiten Bogen machte. Seine Psychologin würde ihm zwar Verdrängung vorwerfen, aber John war vor zweieinhalb Monaten das letzte Mal bei ihr gewesen und würde bestimmt nicht heute damit anfangen, sich zu hinterfragen.)
 

„Doppelter Bruch des Mittelhandknochens, aber glücklicherweise ohne Fraktursplitter.“ Es war ein schwacher Trost, dass keine Schienen und Schrauben notwendig waren. „Vier Wochen mit Gips und danach kann ich mir Gedanken darüber machen, wieder Flexibilität in die Hand zu bekommen.“ Er war froh, dass es nicht seine Schusshand war, aber das sagte er Sally natürlich nicht.
 

„James Moriarty war ein kranker Mistkerl.“
 

Dieses Mal kam John nicht umhin, zu schmunzeln, denn Sally hatte die Worte so aufrichtig ausgesprochen, dass seine Sympathie für sie schlagartig um einige Prozentpunkte stieg. „Ja, das war er.“
 

Er betrachtete Sherlock und Lestrade, die aufeinander einredeten und bemerkte erst einige Sekunden später, dass Sally ihn noch immer von der Seite ansah. Er erwiderte den Blick fragend. Sie schien mit sich zu ringen, dann sagte sie: „Keiner von uns verurteilt Sie für das, was heute Nacht passiert ist.“
 

„Oh.“ Tatsächlich hatte er sich darüber noch keine Gedanken gemacht. (Schmerzmittel und weißes Rauschen hatten das zu verhindern gewusst. Darüber hinaus war er sich sicher, dass Sherlock den Rest der Nacht neben ihm auf dem Boden gesessen  und ihn beobachtet hatte, aber es war wieder eine andere Geschichte, wie John auf dem Boden gelandet war und daran wollte er nun wirklich nicht erinnert werden!)
 

„Danke ... nehme ich an.“
 

Es war tatsächlich seltsam, dass der Zwischenfall abgesehen von der kurzen Aussage vergangene Nacht im Krankenhaus bisher ohne Konsequenzen für ihn geblieben war. Er hatte einen Mann erschossen und selbst wenn es Notwehr war, blieb es doch bis zur Auswertung des Berichts nur seine Behauptung. Nach allem, was die Polizei wusste, hätte John Moriarty vorsätzlich erschießen können. Ganz abgesehen davon, dass die Waffe nicht wirklich legal gewesen war. (Vermutlich sollte er sich nicht zu früh freuen.)
 

„Dass Sie gleich wieder mit an den Tatort kommen“, fuhr Sally fort und John kam nicht umhin, sich zu fragen, ob sie sich um Mitternacht einen ganz besonders guten Vorsatz für das neue Jahr gefasst hatte, indem sie äußerst einfühlsam auftreten wollte, „ist beeindruckend. Aber wollen Sie nicht vielleicht etwas Urlaub?“
 

Urlaub. Das klang so surreal.
 

„Urlaub mit Sherlock Holmes?“, scherzte er und schüttelte den Kopf. Nur um zu realisieren, dass er automatisch Sherlock mit einbezogen hatte. Die bloße Vorstellung, alleine irgendwo anders als in London zu sein, verstärkte das stetige Pochen in seiner fixierten Hand. 
 

Dankenswerterweise ging Sally Donovan darauf dann doch nicht ein. Stattdessen sah John sie lächeln. „Ein dummer Vorschlag“, räumte sie ein, dann straffte sie ihre Haltung und verabschiedete sich von ihm. Sie musste noch die Aussage des Mannes aufnehmen, der die Leichen gefunden hatte.
 

John sah ihr nach.
 

„John.“ Sherlock stand neben ihm. Er besaß nach wie vor die unglaubliche Fähigkeit, einfach aufzutauchen, wie ein Phantom. Er zeigte ihm den Zettel.
 

Sherlock Holmes wird büßen.

„Also kein gemütlicher Abend heute?“
 

„Fünf Tote, vier Tatorte. Jeder von ihnen mit einem fehlenden Körperteil. Sebastian Moran ist noch immer auf freiem Fuß und hat keinen Vorgesetzten mehr.“
 

„Das kann gut und schlecht sein.“
 

Sherlock schlug den Kragen seines Mantels hoch, um sich gegen den kalten Wind zu schützen. (Und um besonders mysteriös auszusehen, wie John jedes Mal feststellte.) „Du solltest dir ein Taxi nehmen. Es bringt nichts, wenn du hier sinnlos rumstehst.“
 

Das war Sherlocks eigene Art, um ihm zu sagen: Hier wird es noch dauern und die Polizei wird ohne mich keinen Schritt weiter kommen. Du siehst müde aus. Ruh dich aus.

John schüttelte den Kopf. „Ich kann warten.“
 

In Wahrheit wollte er nicht alleine zurück in die Baker Street. Er befürchtete, dass die Wände anfangen würden, sich auf ihn zuzubewegen, wenn er sie zu lange anstarrte. Er hatte Angst vor der Reaktion seines Körpers auf die Geräusche des Fernsehers. Und dann war da die unausweichliche Stille. Das Ticken der Uhr. Das Tropfen des Wasserhahns.
 

Natürlich entging Sherlock all das nicht. Er wirkte, als wolle er etwas dazu sagen, doch John schien genug Signale zu versenden, dass hier weder der angebrachte Ort noch die richtige Zeit dafür war. Stattdessen sagte Sherlock: „Der Beamte dort hinten hat eine Thermoskanne mit Kaffee in seinem Streifenwagen. Sag ihm, Lestrade schickt dich.“ 
 

Dann wandte er sich ab und vertiefte sich wieder in seinen Ermittlungen. Es war der beruhigendste Anblick, den John sich wünschen konnte. Er lenkte ihn von den Erinnerungen an die vergangene Nacht ab, die noch immer am Rand seines Bewusstseins lauerten und darauf warteten, erneut durchlebt zu werden.
 

∼*∼
 

„Wie ... hast du mich gefunden?“

John hatte lange gebraucht, um seinen Körper dazu zu bringen, ihm einigermaßen zu gehorchen. Das eindeutigste Zeichen für seinen anhaltenden Kontrollverlust war wohl das Zittern, das ihn noch immer schüttelte.

Blaulicht erhellte ihre Gesichter. Polizisten hatten das Gebäude gestürmt und sie nach unten gebracht. Nun durchkämmten sie es nach weiteren Leuten von Moriarty. Natürlich würden sie nichts finden.

„Und wo zur Hölle bist du gewesen?“, fragte John und schlang die Schock-Decke enger um sich.

Ich habe gebettelt, dachte er. Und du hast nicht geantwortet.
 

Sherlock starrte ihn an. John konnte sich nicht daran erinnern, die letzten Minuten nicht Zentrum seiner Aufmerksamkeit gewesen zu sein. Normalerweise würde es ihm schmeicheln, aber er war müde, erschöpft, aufgewühlt und verdammt nochmal einfach nur verängstigt und konnte es demnach nicht wirklich wertschätzen.

Sherlock“, wiederholte er nachdrücklicher und das schien den gewünschten Effekt zu haben. „Ich habe dir bestimmt zehn SMS geschickt.“

„Mein Telefon liegt irgendwo in einem Hinterhof“, sagte Sherlock, als wäre das Rechtfertigung genug und griff nach Johns notdürftig bandagierter Hand. Sie warteten noch auf das Okay von Lestrade, dann würde man John ins Krankenhaus bringen. 

„Gewalteinwirkung auf den Handrücken“, murmelte Sherlock, während er mit den Fingern ungewöhnlich vorsichtig Johns Hand abtastete. Der Schmerz war mittlerweile nur noch ein dumpfes Pochen. Irgendeinen Vorteil musste die Kombination von Adrenalin und Schock ja haben. „Fraktur des Mittelhandknochens. Die Verfärbung der Haut um den Bruch lässt auf mehrfache Einwirkung schließen.“ Er hob den Blick und sah John direkt an. „Er ist dir auf die Hand getreten. Mehrmals.“

„Er hat seinen Frust an mir abgebaut“, bestätigte John und schürzte die Lippen. „Was hast du erwartet? Dass er mit mir Tee trinkt? Dass wir ein Pläuschchen halten. Oh, geredet hat er viel.“ Und wahrscheinlich konnte er froh darüber sein, denn er sähe vermutlich anders aus, wenn Moriarty sich nicht so gerne reden gehört hätte und stattdessen sofort zur Sache gekommen wäre. „Aber es waren nicht wirklich ansprechende Themen.“

Er schwieg einen Moment. „Wo bist du gewesen?“

Sherlock ließ seine Hand los und wirkte mit einem Mal überfordert.

„Er hat Sie gesucht, John.“ Damit hatte Mycroft sich ohne Ankündigung in das Gespräch eingeschaltet. 

∼*∼

„Es ist absolut nichts Persönliches, John. Aber wir sind dazu verpflichtet, dem Protokoll zu folgen.“
 

John nickte, während Lestrade sich ihm gegenüber an den Tisch setzte. Er hielt zwei Akten in der Hand und schlug die oberste auf.
 

Johns Puls beschleunigte sich, als er die Bilder vom Dach sah. Tatort, rief er sich in Erinnerungen. Es war ein Tatort. Und er war der Mörder. Wenn man es sachlich betrachtete; und genau das war die Aufgabe der Polizei. 
 

Es setzte seinem Gewissen nicht zu, dass er Moriarty umgebracht hatte. Viel schlimmer waren die fehlenden Erinnerungen an den Vorfall. Weder an den Moment, in dem er Moriarty die Waffe entrungen hatte. Noch an den Augenblick des Schusses.
 

Aber die Fakten waren klar: Er hatte einen Mann erschossen und selbst wenn es Notwehr war, blieb es doch bis zur Auswertung der Ermittlungen nur seine Behauptung. Ganz abgesehen davon, dass der Besitz der Waffe nicht als legal bezeichnet werden konnte.
 

Lestrade schob John eine Fotografie entgegen. Sie zeigte Jim Moriartys Gesicht, blass und leblos auf einem Obduktionstisch. (Ob Molly ihn obduziert hatte? Was es für ein Gefühl sein musste, dem Ex-Freund so wieder zu begegnen.) 
 

„Ist das der Mann, der Sie gestern Nacht bedroht hat?“
 

John nickte steif. 
 

Er versuchte zu ignorieren, dass die Wände des Verhörraums sich, wenn er sie nicht direkt ansah, zu bewegen schienen. Stress, rief er sich in Erinnerung. Kombiniert mit Schock. Irrational, würde Sherlock es nennen und John wiederholte das Wort wie ein Mantra, bis er sich einbildete, es zu glauben.
 

Irrational. Irrational.

„Kennen Sie seinen Namen?“, fragte Lestrade. Obwohl das Verhör aufgezeichnet wurde, machte er sich Notizen. 
 

„Jim Moriarty“, antwortete John und runzelte die Stirn. „Aber das sollten Sie doch mittlerweile rausgefunden haben.“
 

Als Lestrade den Blick hob, dämmerte ihm, dass dem eben nicht so war. Und seine Situation sah mit einem Mal ganz anders aus.
 

„Er taucht nicht in unserer Datenbank auf. Soweit wir das sehen, existiert Jim Moriarty nicht.“
 

Das war nicht gut.
 

„Und seine Fingerabdrücke?“, hakte John nach.
 

„Sind nicht verzeichnet. Nach unserem Kenntnisstand hat dieser Mann keine Identität.“
 

„Aber das ist Moriarty!“ John tippte mit dem Zeigefinger auf das Foto. „Er ist derjenige, der vor drei Monaten Menschen entführt und in Sprengstoffwesten gezwungen hat. Eine Frau ist dabei umgekommen. Schauen Sie in Ihre Berichte! Ich war der letzte in der Reihe und wäre ebenfalls beinahe drauf gegangen, wenn Sie sich erinnern. Dabei ist beinahe ein ganzes Schwimmbad zerstört worden!“
 

„Das wissen wir, John. Aber keines der Opfer hat seinen Entführer beschreiben können, ebenso wenig Sie. Nach Sherlocks und Ihrer Aussage trat Moriarty erst selbst in Erscheinung, als Sie die Weste bereits trugen. Es gibt demnach keine Zeugen dafür, dass er aktiv daran beteiligt war.“
 

„Und die Scharfschützen, die uns auf seinen Befehl hin beinahe erschossen hätten? Ich habe mir die Zielpunkte auf Sherlocks Stirn kaum eingebildet“, knurrte John, dem die Richtung des Gesprächs gar nicht gefiel. Er hatte doch angenommen, dass die Polizei weiter war oder vielleicht Mycroft sich in die Ermittlungen eingeschaltet hatte, damit die Sachlage geklärt war. Stattdessen war gar nichts klar. Nicht einmal Moriarty.
 

„Wir haben nicht mehr als Ihre Aussagen“, gestand Lestrade und eine Falte war auf seiner Stirn erschienen. „Damals gab es keine Aufzeichnung von Moriarty, wir sehen sein Gesicht heute also zum ersten Mal. Sind Sie sicher, dass dieser Mann der gleiche ist?“
 

John sah das Foto nicht noch einmal an. „Er ist es. Haben Sie Molly Hooper nicht befragt? Vor zwei Monaten war er ihr Freund, also wird sie ihn auch wieder erkennen. Er muss ihr doch einen Namen genannt haben oder hieß er für sie auch Moriarty?“
 

„Molly Hoopers Aussage zufolge nannte er sich James und arbeitete im IT-Bereich des Krankenhauses“, antwortete Lestrade, nachdem er durch sein Notizbuch geblättert hatte. „Die Spur führte ins Leere. Dieser Mann tauchte bis vor einem halben Jahr in keiner Datenbank auf.“
 

John lehnte sich zurück. Ein Nerv in seiner Schulter hatte vor wenigen Momenten begonnen zu zucken. Noch eine Stressreaktion. Er vermied es, an die Wände zu sehen. Auch die eine verspiegelte Scheibe setzte ihm zu und er wusste nicht einmal, warum genau.
 

„Wir haben es mit einem Phantom zu tun“, fasste Lestrade zusammen und ließ Stift und Block sinken, um John anzusehen. „Und haben neben den fünf entführten Toten nun eine weitere Leiche. Können Sie mir noch einmal den Hergang schildern, John?“
 

In knappen Sätzen wiederholte John die Worte aus der vergangenen Nacht. Er hatte sie Lestrade schon einmal erzählt, noch im Krankenhaus, kurz bevor sie sich ein Taxi zurück in die Baker Street genommen hatten. Aber auch daran erinnerte er sich nur Bruchstückhaft. Seit zwölf Uhr fehlten ihm Zeitabschnitte, die jedoch glücklicherweise seitdem immer kürzer geworden waren. Seit vier Stunden hatte er keinen Aussetzer mehr gehabt, was bedeutete, dass er aus dem Gröbsten raus war. 
 

(Was nicht bedeutete, dass es keine Art von Rückfall geben könnte, das wusste er, aber daran wollte er jetzt nicht denken.)
 

Lestrade nickte ermutigend und John war dankbar, dass niemand anderes ihn verhörte. Das Ganze war anstrengend genug. Lestrade war ein guter Polizist und würde John nicht gewaltsam zu etwas drängen. Er musste einfach dem Protokoll folgen (was die ganze Situation nicht weniger unangenehm machte, doch zumindest war sie nicht unerträglich).
 

Mittlerweile stand ihm kalter Schweiß auf der Stirn. Sein Körper wehrte sich gegen die Rekapitulation. Als er mit seiner Schilderung an den Punkt gelangte, an dem er die Waffe auf Sherlock gerichtet haben musste, geriet er ins Stocken.
 

Der Inspektor warf einen flüchtigen Blick zur Seite und John wurde erst jetzt bewusst, dass hinter der verspiegelten Scheibe womöglich weitere Beamte standen. Sally Donnovan oder - ihm schauderte - Anderson. 
 

Wenigstens konnte es nicht Sherlock sein, denn dieser war vor einer Stunde vom Tatort verschwunden, um einem Hinweis zu folgen, den nur er gesehen haben konnte. Das machte er oft und John hatte es nicht einmal großartig gestört. Das hätte es eigentlich, wie ihm jetzt auffiel, denn Moran war noch dort draußen. Er hoffte, Mycroft hatte ein wachsames Auge auf seinen Bruder, solange John es nicht konnte. 
 

Lestrade räusperte sich. „Wollen Sie etwas trinken?“
 

John schüttelte den Kopf und biss die Zähne aufeinander. Zumindest behandelte Sherlock ihn nicht so, als würde er jeden Moment zerbrechen. Über diesen Punkt war er hinaus. (Ein Paar Hände, das ihn festhielt. Zusammenhielt. Sherlocks Blick, einem Anker gleich, der John erdete.)
 

Kurz nach Sherlocks Aufbruch hatte Lestrade John darauf hingewiesen, dass im Angesicht der vergangenen Nacht ein Verhör notwendig war, wobei es ratsam war, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Ihm war bewusst, wie unwohl John sich dabei fühlen musste, daher die Eile, um es rasch abzuhaken. (Du hast ja keine Ahnung, hatte John gedacht, dann jedoch zugestimmt denn je eher er es hinter sich brachte, desto schneller konnte er es vergessen. Und überhaupt, was blieb ihm für eine Wahl? Hätte er Lestrade abgewiesen, wäre die Polizei vielleicht einen Tag später vorgefahren und hätte John aus der Baker Street abgeführt.)
 

Dass man John unter diesen Umständen überhaupt an den Tatort gelassen hatte, wunderte ihn rückblickend, aber vermutlich hatte er auch das dem Inspektor zu verdanken.  Dem Verhör zuzustimmen war das Mindeste, was er tun konnte.
 

Lestrade öffnete nun die zweite Akte. „Wir haben eine medizinische Zweitmeinung einholen lassen, nach der ein durch Geräusche und visuelle Eindrücke ausgelöster Flashback bei Personen, die unter PTBS leiden, nicht ungewöhnlich ist“, erklärte er mit neutraler Miene. „Auch wurde uns mitgeteilt, dass unter diesen Umständen nicht von Zurechnungsfähigkeit gesprochen werden kann. Wenn dann noch Notwehr hinzugenommen wird, ist die Straflage stark gemindert. Was jedoch die ganze Situation verkompliziert ist die Waffe“, fügte er hinzu und präsentierte ein Tatortfoto von der Pistole mit Maßeinheiten am Rand.
 

John schluckte, denn er hatte eine Ahnung, was nun kommen würde. Diese Waffe war der Polizei nicht unbekannt. 
 

„Die Kugeln im Magazin passen zu einer Kugel, die vor drei Monaten als Beweisstück bei einem anderen Mord sichergestellt wurde. Ein Mord, in den Sherlock Holmes involviert war. Sie erinnern sich an die scheinbare Selbstmordserie, die sich als Mordserie entpuppte?“
 

Wieder nickte John. 
 

„Der Täter wurde erschossen und der Schütze nie überführt. Auf der gestrigen Waffe wurden Ihre und Moriartys Fingerabdrücke nachgewiesen. Das hier sind Routinefragen, John, das müssen Sie verstehen, aber ich muss Sie fragen, ob Sie in irgendeiner Weise in den Mord des Taxifahrers verwickelt waren.“
 

Er wusste, dass er Probleme hatte. Genau genommen hatte er befürchtet, dass die ganzen Umstände seines ersten Falls mit Sherlock, der Studie in Pink, ihn irgendwann einholen würden.
 

Bevor er dazu kam, Lestrade zu antworten, wurden Stimmen im Gang vor dem Raum laut. Sie waren zunächst nur gedämpft zu hören, doch es war eindeutig, dass die Quelle sich auf sie zubewegte. Dann wurde die Tür unvermittelt aufgerissen und Sherlock Holmes stürmte in den Raum, dicht gefolgt von zwei Beamten, die nur mühsam mit ihm Schritt halten konnten. 

Sein Blick nahm die Situation auf und er erfasste die Sachlage in Sekunden. Was John am meisten verblüffte, war die ehrliche Wut auf Sherlocks Zügen, als er Lestrade fixierte. „Was fällt Ihnen ein?“ 
 

Er umrundete den Tisch und stellte sich neben John. Seine Haltung erinnerte an die eines Raubtiers, kurz vor dem Angriff. John starrte fasziniert zu ihm hoch.

„Ich folge nur dem Protokoll, Sherlock“, erwiderte Lestrade und erhob sich. Er wirkte nicht im Mindesten von Sherlock eingeschüchtert. Stattdessen straffte er sichtlich gereizt die Schultern und sah zu den Beamten an der Tür. „Ist es nicht Ihre Aufgabe, die Unterbrechung eines Verhörs zu verhindern?“
 

Der jüngere von beiden errötete und stammelte: „D-das haben wir versucht, Inspektor, aber -“
 

„Ich insistierte“, beendete Sherlock seinen Satz. „Nachdem ich herausfand, dass Sie John hinter meinem Rücken hierher gebracht haben.“
 

„Er ging aus freien Stücken mit. Niemand hat ihn gezwungen.“
 

Sherlocks Blick bohrte sich mit einem Mal in Johns und Finger pressten gegen seine Halsschlagader. „Puls beschleunigt, Pupillen verengt, schnelle, unregelmäßige Atmung und kalter Schweiß. Man muss kein Ermittler sein, um zu bemerken, dass dieser Mann noch immer unter Schock steht und körperlich nicht in der Verfassung für ein Verhör ist. Muss er erst eine Schock-Decke tragen, damit Sie es sehen?“
 

Lestrades Sicherheit geriet einen Moment lang ins Wanken. Sherlock stürzte sich darauf wie ein Bussard.
 

„Und Sie haben nichts Besseres zu tun, als ihn die vergangene Nacht noch einmal durchleben zu lassen, nachdem er nicht einmal die Möglichkeit gehabt hat, das Geschehene zu verarbeiten? Äußerst professionell, Lestrade.“
 

„Die Situation ist kompliziert!“, protestierte dieser. „Wir haben sechs Tote und -“
 

„Einen abtrünnigen Soldaten auf freiem Fuß, der erwiesenermaßen ein Handlanger von Moriarty ist. Wäre es nicht logisch, zunächst dieser Spur zu folgen, bevor Sie haltlose Beschuldigungen aussprechen?“
 

John wollte Sherlock sagen, dass keine Beschuldigungen geäußert worden waren, doch eine flüchtige Bewegung der Hand an seinem Hals zerstreute sämtliche Gedanken. Er musste den Impuls unterdrücken, den Kopf zu neigen. Der direkte Kontakt mit Sherlock brachte für einige wunderbare Momente Ruhe in das Chaos seiner Gedanken und Erinnerungen.
 

„Ich müsste ihn vorläufig hier behalten“, begann Lestrade und man sah ihm deutlich an, dass er das nicht gerne sagte. John verspürte keinen Groll, vielmehr tat ihm der Inspektor leid. Lestrade und er hatten schon ein Bier zusammen getrunken und er konnte sich vorstellen, wie zwiespältig er dem gegenüber stehen musste.
 

Sherlocks Gesicht war ausdruckslos. „Inkorrekt. Es liegen keine eindeutig belastenden Beweise vor. John Watson wurde von einem Mann ohne Namen angegriffen und wehrte sich.“ Woher Sherlock wusste, dass Moriarty ein Phantom war? Was fragte John sich das überhaupt, Sherlock hatte es vermutlich vor ihnen allen gewusst „Er ist ein aufrichtiger Mann, der die Sicherheit anderer vor seine eigene stellt. Er diente für die Krone und das Land. Von ihm geht keine Gefahr aus, solange sein Leben nicht mit niederen Absichten bedroht wird  - was auf siebenundachtzig Prozent von Londons Population zutrifft, wenn Sie es genau wissen wollen. Demnach können Sie ihn nicht hier festhalten.“
 

„Was ist mit der Waffe?“
 

Ein scharfer Zug war auf Sherlocks Stirn erschienen. „ Alles, was Sie bisher haben sind Ergebnisse aus Schnelltests. Erst wenn Sie eindeutige Laborergebnisse vorlegen können, was eine Woche dauern kann - zehn Tage, wenn Anderson sie ausführt - ist die Waffe wieder von Relevanz. Bis dahin ist John Watson ein unbewaffneter Londoner Bürger.“
 

Lestrade und Sherlock starrten sich einige lange Sekunden an. Dann entspannte der Inspektor sich merklich und fuhr sich durch die Haare. Er sah müde aus, doch er nickte auf beinahe zufriedene Art. „Das sind gute Argumente. Überzeugend genug für meinen Vorgesetzten. John“, er hob hilflos die Hände, „Sie müssen verstehen, dass ich das hier nicht gerne gemacht habe. Sie sind ein guter Mann und haben uns nie das Gegenteil glauben lassen. Meine Abteilung und ich stehen hinter Ihnen.“
 

Und das schätzte John so sehr an Lestrade. Er machte keinen Hehl aus seiner eigenen Meinung, selbst wenn sie nicht der seiner Vorgesetzten entsprechen würde. John spürte, wie ein müdes Lächeln an seinem Mund zerrte.
 

„Danke, Lestrade. Darf ich jetzt gehen?“
 

„Wir fahren Sie nach Hause, John.“
 

„Unnötig, wir nehmen ein Taxi“, warf Sherlock dazwischen und zog John auf die Beine. Im ersten Moment fühlte er sich wackelig, doch der Griff um seinen Ellbogen stabilisierte ihn im entscheidenden Moment. Sherlock dirigierte ihn an Lestrade und den Beamten, die zur Seite traten, vorbei. „Inspektor.“

„Sherlock.“
 

John ließ sich schweigend nach draußen führen. Mit einem Funken Selbstzufriedenheit registrierte er, dass Sherlock seinen Arm nicht losließ, bis sie im Taxi saßen.
 

∼*∼
 

Sherlocks Blick war, gelinde ausgedrückt ,giftig‘. (John wäre sogar so weit gegangen, mörderisch zu sagen - das aber nur an einem anderen Tag und an einem anderen Ort.)

„Solltest du nicht deine Marionetten dirigieren, Mycroft?“

Der Schirm in Mycrofts rechter Hand wirkte - und daran hatte John sich mittlerweile zwar gewöhnt, kam jedoch nicht umhin, es zu bemerken - äußerst deplatziert, bot jedoch genau die richtige Ablenkung für seine Gedanken. Wenn er sich darauf konzentrierte, musste er sich nicht an Moriartys tote Augen erinnern. Oder an die Schreie, die ihm auch jetzt noch eine Gänsehaut bereiteten. Oder an das Blut.

„Mein lieber Bruder, glaube mir, dass auch ohne meine ständige Überwachung alles dem Protokoll entspricht.“

Die momentane Unsicherheit fiel von Sherlock ab und ein böses Lächeln umspielte seine Lippen. „Zwei deiner Spezialkräfte haben ein Verhältnis. Miteinander. Sie verrichten einen stümperhaften Job darin, es zu verschleiern. Sicherlich deckt sich das nicht mit dem Protokoll, Bruderherz, oder ist es dir etwa entgangen?“
 

Mycrofts Mundwinkel senkten sich momentan, dann schien er das Missfallen anstrengungslos abzulegen und richtete seine Aufmerksamkeit stattdessen wieder auf John. „Hier geht es nicht um mich, Sherlock.“ Er ignorierte das abfällige Schnauben. „Hier geht es um Doktor Watson.“

„Das stimmt nicht“, protestierte dieser und zog die Decke enger um sich. Sie war das einzige, das ihn vor Mycrofts direkten, analytischen Blick abschirmte. „Hier ging es um Moriarty, der jetzt tot ist. Das einzige, was hier in unmittelbarer Zukunft noch gehen wird, bin ich. Und zwar nach Hause.“

Die Brüder wechselten einen Blick. Doch sie ließen ihm das schlechte Wortspiel kommentarlos durchgehen.

„Was ich eigentlich sagen wollte, John“, begann Mycroft schließlich und nahm den Regenschirm in die linke Hand, „ist, dass es einen gerechtfertigten Grund für Sherlocks Abwesenheit gibt. Und der beinhaltet - wie könnte es heute auch anders sein - ebenfalls Sie.“

„Aha.“ John sah zu Sherlock, der noch abzuwägen schien, ob er Mycroft weitersprechen lassen oder stattdessen lieber selbst das Wort ergreifen sollte. John war zu müde für diese Spielchen. 

„Aber wieso haben Sie mir nicht geantwortet, als ich dachte, Moriarty hätte Sherlock in seiner Gewalt? Sherlocks Handy liegt irgendwo in einem Hinterhof, das habe ich verstanden. Was ist Ihre Erklärung?“

Mycrofts Gesicht blieb unbewegt. „Ich möchte Sie nicht mit den Formalitäten eines offiziellen Staatsbesuchs langweilen, John. Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich nahm es zur Kenntnis, wusste jedoch aus sicheren Quellen, dass die Information inkorrekt war.“

John machte einen Schritt auf ihn zu und registrierte, wie Sherlocks Gesichtszüge sich dabei interessiert erhellten. „Und Sie hielten es nicht für notwendig, mir das zu sagen, damit ich nicht in eine Fall laufe?“

„Ich nahm an, Sherlock kümmere sich darum.“

John verlor den kümmerlichen Rest Beherrschung und tat etwas, das unter normalen Umständen gar nicht seiner Art entsprach. Er packte Mycroft Holmes am Kragen und zog ihn zu sich. 

„Soll ich dir mal etwas sagen, Mycroft? Ich habe einen Mann von diesem Dach fallen sehen und hab geglaubt, es sei Sherlock. Ich hätte Moriarty beinahe vorsätzlich dafür zwischen die Augen geschossen, wenn er mich nicht aufgeklärt hätte. Nach meinem Aussetzer hätte ich Sherlock um Haaresbreite eine Kugel verpasst! Und du hattest nicht die drei Sekunden Zeit, die es gebraucht hätte, mich darüber zu informieren, dass dein Bruder putzmunter durch London tobt?!“

Im Nachhinein würde ihm einzig und allein der Umstand Genugtuung verschaffen, dass Mycroft einen Moment lang sprachlos war (denn stolz war er auf seinen Ausbruch keinesfalls). John ließ ihn los und trat zurück. Er würde sich nicht entschuldigen. Nicht heute Nacht. Vielleicht morgen. Er stand unter Schock, er durfte unüberlegt handeln.

Mycroft richtete sich den Kragen und ignorierte Sherlocks schadenfrohen Blick. (Einige Beamte, die überrascht inne gehalten hatten, beeilten sich, ihre Aufgaben fortzusetzen.) „Ich verstehe Ihren Ärger. Und ich wollte Sie damit keinesfalls in Rage bringen. Geschweige denn in diese Situation.“

„Rage?“ John hätte beinahe gelacht. „Ich bin nicht in Rage. Sherlock, sag deinem Bruder, dass ich nicht in Rage bin.“

„Sei nicht absurd, Mycroft. Muss ich dir die physischen Symptome einer akuten Belastungsreaktion etwa auflisten?“

„Ganz und gar nicht.“

„Wenn John in Rage wäre, würdest du es merken.“

„Ich nehme den Hinweis zur Kenntnis.“

„Was willst du dann noch hier?“, grollte Sherlock und trat zwischen sie. Somit konnte John nicht mehr sehen, als Sherlocks Rücken, und verpasste offensichtlich ein wichtiges Signal, denn aus seiner Perspektive fragte Mycroft unvermittelt:

„Wirklich, Sherlock?“ Er erhielt keine Antwort und fügte hinzu: „Willst du es Mummy mitteilen oder soll ich es tun? Nicht, dass sie es nicht selbst längst geahnt hätte.“

Verpiss dich, Mycroft.“ 

„Deine Wortwahl ist beschämend.“

Ein Sanitäter legte John eine Hand auf die Schulter und bedeutete ihm, ihn zum Krankenwagen zu begleiten. John wollte die Nacht nicht in einem Krankenhaus verbringen müssen und schüttelte den Kopf.

„Sir, wir müssen Ihre Hand röntgen. Noch wissen wir nicht, wie kompliziert die Fraktur ist. Wenn wir sicher sind, dass ein Gips und eine Schiene reichen, können Sie gehen und müssen nicht über Nacht bleiben.

Seufzend gab John sich geschlagen. Vom medizinischen Standpunkt aus wusste er, dass der Mann recht hatte. Das machte die Kapitulation nicht angenehmer.

Aus den Augenwinkeln sah er Mycroft leise mit Sherlock reden, doch er verstand die Worte nicht. Anschließend trat der ältere Holmes zurück.

John wusste, dass es an diesem Tatort viel zu viel Interessantes für Sherlock gab (ganz vorneweg die Leiche von Moriarty), um ihn jetzt schon zu verlassen. „Ich komme später zur Baker Street“, verkündete er ihm daher und versuchte, nicht ganz so entkräftet zu klingen. Er hatte auch seinen Stolz. „Wenn man mich lässt. Sollte ich heute Nacht nicht zurückkommen, dann musste die Hand wohl doch operiert werden.“

Und dann beobachtete John ein ganz eigenartiges Schauspiel: Sherlock verzog bei seinen Worten den Mund und Mycroft gab ihm mit seinem Schirm einen schnellen Schlag von hinten gegen die Wade. John wollte diesen Anblick bereits als Sinnestäuschung abtun (immerhin stand er unter Schock und trug eine Schock-Decke, was ihm einen angemessenen Spielraum gab), doch Sherlock stieß Mycroft in diesem Moment den Ellbogen in die Seite und trat danach, als wäre nichts gewesen, neben John.

Auf seinem Gesicht lag ein ganz eigenartiger Ausdruck, während er nach Johns Arm griff und ihn zum Krankenwagen führte. Ein Blick zurück über die Schulter zeigte, wie Mycroft sich kopfschüttelnd, jedoch lächelnd abwandte. Scheinbar aus dem Nichts war Anthea hinter ihm aufgetaucht.

„Was war das?“, fragte John perplex.

„Ein brüderlicher Wink“, knurrte Sherlock und hakte seinen Arm jetzt ganz bei ihm ein. „Wieder tut Mycroft so, als wäre er um ein vielfaches schlauer. Dabei sieht er gar nichts.“

John nickte, obwohl er nicht das Geringste verstand. „Heißt das, du fährst mit ins Krankenhaus? Ich dachte, Krankenhäuser seien langweilig. Noch dazu mit dem Tatort hier als Alternative.“

Sherlock sah zu ihm hinab, als habe John gerade etwas besonders Falsches gesagt. „Was für eine Alternative?“, fragte er. „Moriarty ist tot und ich kenne bereits alle Fakten. Der letzte relevante Beweis ist sein Telefon, welches bereits von Lestrade aus meiner Reichweite geschafft wurde. Vor morgen werde ich keinen Zugriff darauf erhalten. Moran ist die letzte noch unbekannte Variabel und wenn er irgendwo ist, dann bestimmt nicht hier.“

Sie hatten den Krankenwagen erreicht und Sherlock half ihm hinein. Während John sich auf der Liege ausbreitete (und sich lächerlich vorkam, denn es ging hier nur um seine Hand, aber der einzig weitere freie Platz wurde von dem Sanitäter eingenommen), führte Sherlock seine Ausführungen fort:

„Er hat mich mit langweiligen, viel zu banalen Rätseln durch London geführt und ich habe zu spät erkannt, dass es nur Ablenkung war.“

Die Türen wurden zugeschlagen und der Krankenwagen setzte sich in Bewegung.

„Was meinte Mycroft damit, du hättest mich gesucht?“, fragte John schließlich, während der Sanitäter seine Vitalfunktionen überprüfte. 

Sherlock reagierte nicht auf die Frage und begann stattdessen, die Vorgehensweise des Sanitäters zu kritisieren. „Hat man Ihnen nicht gezeigt, wie man einen Puls richtig prüft?“

Und etwas später: „Bevor Sie sich falsche Angaben bezüglich seiner Statur machen, fragen Sie lieber mich. Wenn es nach Ihrer Auffassungsgabe geht, können wir ihn gleich als „durchschnittlich“ bezeichnen.“

John schloss lächelnd die Augen und ignorierte für den Moment, dass Sherlock seiner Frage bewusst ausgewichen war. Das konnte warten.

∼*∼

Mit einem Ächzen ließ John sich in seinen Sessel fallen, während Sherlock in der Küche rumorte.
 

Die Taxifahrt vom Tatort an der Themse war überwiegend schweigend verlaufen. Hin und wieder hatte John Sherlock etwas murmeln hören, aber die Worte waren unverständlich und meist zu leise gewesen, um den Kontext zu verstehen. (Lediglich Fragmente wie inkompetent und eklatant meinte er, herausgehört zu haben.)
 

Es mussten Minuten vergangen sein, denn es war Sherlock, der ihn aus seinen Gedanken riss, indem er eine dampfende Tasse vor John auf den Tisch stellte. ER blinzelte dreimal, ehe er die Erkenntnis akzeptierte, dass Sherlock ihm Tee gemacht hatte.
 

„Ist das dein Ernst?“, fragte er.
 

Anstatt ihm zu antworten oder sich auf das Sofa zu setzen, lief Sherlock unruhig auf und ab. Das war kein neuer Anblick, doch derzeit gab es keinen Anlass dazu. Es sei denn, der Brühvorgang des Tees hatte zu einer ganz besonders wichtigen Schlussfolgerung im Fall geführt. 
 

John griff nach der Tasse. „Danke“, sagte er und inhalierte das Aroma. Wie auf ein Kommando blieb Sherlock stehen.
 

„Wiederhol das.“
 

John runzelte die Stirn. Sherlock hasste unnötigen Wiederholungen.
 

Danke?“
 

Sherlock starrte ihn lange Momente an, dann gab er einen undefinierbaren Laut von sich, wirbelte herum und trat ans Fenster. John verstand gar nichts mehr.
 

„Was? Was ist los?“
 

Er erhielt keine Antwort.
 

„Sherlock. Würdest du die Güte besitzen, mich aufzuklären?“
 

„Nach allem, was passiert ist, fällt dir nichts Besseres ein, als dich zu bedanken?“
 

„Du hast mir Tee gemacht. Du machst nie Tee.“
 

„Eine Schock-Decke hatte ich nicht zur Hand. In emotional belastenden Situationen hilft ein heißes Getränk. Es war die nahe liegende Alternative.“
 

„Und ich darf mich nicht dafür bedanken, weil ...?“, hakte John nach.
 

Sherlock drehte sich zu ihm um. „Du hättest heute Nacht sterben können.“
 

Jetzt war John wieder mit Sherlock auf einer Höhe. Dies hier war das Gespräch, das sie vergangene Nacht nicht geführt hatten. Oder nach der Eskalation am Swimming Pool vor zwei Monaten. 
 

„Es ist nicht das erste Mal.“
 

Er hätte schon so oft sterben können. Und auch wenn es im Nachhinein eine erschreckende Erkenntnis sein müsste, so war das Überleben anderer in diesen Momenten doch immer vorrangig gewesen. Als Militärarzt war es seine Pflicht, Soldaten zu retten und sich in die Schussbahn zu stellen. Als Sherlocks Partner war seine Aufgabe im Prinzip die gleiche. Nur, dass es nicht mehr vorrangig aus Verpflichtung dem Land gegenüber geschah, sondern vielmehr aus einem aufrichtigen Verlangen heraus. 
 

Sherlock Holmes hatte sich in seinem Leben nie wirklich um sein eigenes Wohl gekümmert. Es war Johns Aufgabe, sich zu sorgen und zu beschützen. Und im Gegenzug gab Sherlock ihm dadurch wieder einen Zweck. Sie hatten sich auf ganz eigene Art, ohne es zu bemerken, gesucht und gefunden. 
 

Aber vielleicht steckte hinter Sherlocks Worten mehr, als John auf den ersten Blick sah. Denn es war auch nicht das erste Mal, dass seine Zusammenarbeit mit Sherlock ihn in Lebensgefahr gebracht hatte. Sie verfolgten immerhin Verbrecher und nicht jeder war nur ein Dieb oder ein Betrüger. Es waren auch Mörder dabei, die bereit waren, über weitere Leichen zu gehen, um dem Gefängnis zu entkommen.
 

„Du siehst es nicht, John. Du bist zu blind, um die Verbindung zu sehen. Warum warst du letzte Nacht auf dem Dach?“
 

„Weil ich dachte, Moriarty hätte dich in seiner Gewalt.“
 

„Ist das eine logische Handlung?“
 

„Ja.“ Er musste nicht einmal darüber nachdenken.
 

Sherlock deutete mit dem Zeigefinger auf ihn. „Falsch, John. Logisch wäre gewesen, nachzudenken. Es war vollkommen unmöglich, dass Moriarty und ich am selben Ort waren. Es gab genug Indizien dafür, du hättest dir nur die Mühe machen müssen, sie zu beachten.“ 
 

Auch wenn Sherlock nur die Fakten darlegte, fühlte John sich beleidigt. Er griff nach seinem Handy und öffnete das Bild, welches Moriarty ihm geschickt hatte. „Und was ist damit?“
 

Sherlock betrachtete es ganze zwei Sekunden und richtete seinen Blick wieder auf John. „Wirklich? Das war für dich der ausschlaggebende Beweis? Selbst aus zwei Metern Entfernung sehe ich die Reflexionen des Swimmingpools. Darüber hinaus sind meine Haare auf dem Foto einen halben Zentimeter kürzer. Moriarty hat sich noch nicht einmal Mühe gegeben, dich zu täuschen und du bist enthusiastisch in seine Falle gelaufen, John. Das war einfältig.“ Er wandte sich ab.
 

John starrte lange auf seinen Hinterkopf, dann tat er zum zweiten Mal an diesem Tag etwas Unüberlegtes. Er holte aus und warf sein Handy quer durch den Raum. Es traf Sherlock am Rücken. (Genau dort, wo John es haben wollte.) Sherlocks Blick wanderte von dem Mobiltelefon am Boden hinauf in Johns Gesicht.
 

Dieser zitterte vor unterdrückter Wut. Am liebsten hätte er etwas zerbrochen und er musste sich zurückhalten, um Sherlock Holmes, unerträglichsten Idioten Londons, nicht zu packen und kräftig zu schütteln, bis er es endlich verstand.
 

„Du kapierst es nicht oder? Und das trotz deiner Genialität?“, fragte er und seine Stimme war ruhig. Er würde bald merken, wie lange er das durchhielt. „Dass es Moriarty nicht um mich, sondern um dich ging. Ich war nur ein Mittel zum Zweck, ich war nützlich und mein Tod sollte sein Meisterstück sein, um dich fallen zu sehen. Hier ging es nie um mich, Sherlock, sondern immer nur um dich. Und du denkst, ich schaue dabei zu? Soll ich teilnahmslos am Seitenrand stehen und dich anfeuern? Hältst du wirklich so wenig von mir?“
 

Er war aufgestanden und sah Sherlock herausfordernd an. 
 

„Hättest du an meiner Stelle gewartet?“ Er ließ Sherlock keine Zeit zu antworten. „Natürlich nicht. Sherlock Holmes arbeitet besser allein. Sherlock Holmes ist effizienter ohne Ballast. Entschuldige, dass ich mich kümmere, aber wenn es um dich geht dann -“

„John.“
 

Lass mich verdammt nochmal ausreden, Sherlock!“
 

Er holte zitternd Luft.
 

„Wenn es um dich geht, dann ist es mir egal, hörst du? Es ist mir egal, ob Moriarty mich von einem Dach springen sehen will, ob er mir die Hand bricht oder ob er mich in eine Weste mit Sprengstoff steckt. Das kümmert mich einen Dreck, wenn ich dadurch verhindern kann, dass er dir irgendwie nahe kommt. Wenn ich dich nicht beschützen kann, Sherlock, welchen Sinn habe ich dann noch?“
 

Es wäre ein passender Moment gewesen, um wieder unterbrochen zu werden. Sei es durch das Klingeln von Sherlocks Handy, Mrs Hudsons Schritte auf der Treppe oder irgendetwas Anderes. Doch dieses Mal war John Sherlocks uneingeschränkte Aufmerksamkeit gegönnt.
 

Dieser nahm ihn mit seinem Blick geradezu auseinander. „Emotionen?“, fragte er schließlich und dieses Mal lachte John wirklich, denn nach all seinen Worten brauchte Sherlock noch eine Bestätigung?!
 

„Ja, Sherlock. Emotionen. Haufenweise. Soll ich sie dir auflisten? Willst du mitschreiben? Ach, was sage ich, du kannst es dir ohnehin merken, denn du bist ja ein verdammtes Genie!“ John stieg über den flachen Wohnzimmertisch - wie Sherlock es schon so oft getan hatte. „Wut. Frustration. Entrüstung. Unglaube. Zorn. Erschöpfung. Kraftlosigkeit. Unsicherheit. Frustration.“ Mit jedem Wort war er näher getreten und stand nun unmittelbar vor dem Detektiv.
 

„Du hast Frustration doppelt genannt, John.“
 

„Ich bin auch doppelt frustriert, Sherlock.“ Er hob eine Hand und legte sie auf Sherlocks Schlüsselbein. Seine Fingerspitzen stahlen sich flüchtig unter den Kragen seines Hemdes und ertasteten blasse Haut. Sherlocks Atem beschleunigte sich kaum merklich. „Oh.“
 

„Du bist unmöglich. Und dieses Gespräch ist noch nicht vorbei.“ John zog die Hand ruckartig zurück und trat zurück. Als er wieder Abstand zwischen sie gebracht hatte, verschränkte er die Arme. (Es war ganz und gar nicht der richtige Zeitpunkt, um seine Hände in Sherlocks Locken vergraben zu wollen.)
 

„Also rede. Es stört dich, dass ich hätte sterben können. Was mich alles stört, sage ich erst gar nicht.“
 

„Wenn dich so viel stört, warum bist du dann noch hier?“, fragte Sherlock.
 

John erkannte eine bewusste Provokation, wenn man sie ihm ins Gesicht warf. „Obwohl sich das wohl viele fragen, steht es für mich nicht zur Debatte. Ich bleibe.“
 

„Vielleicht liegt da das Problem. Moriarty wäre gar nicht so weit gekommen, wenn es dich nicht gegeben hätte. Du bist ein Risiko für meine Ermittlungen.“
 

John war es leid. „Warum hast du mich bis jetzt noch nicht weggeschickt, Sherlock? Warum duldest du mich, während du alle anderen wegstößt?“ Er machte eine Pause. „Denk mal darüber nach, was du mir wirklich sagen willst.“
 

Damit drehte er sich um und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum. 
 

∼*∼

Es war die Nacht zuvor und John saß am Rand seines Betts, ignorierte die Schatten, die am Rande seines Sichtfelds lauerten und redete sich ein, dass alles in Ordnung war. Wenn er die Nachttischlampe ausschaltete, waren die Schemen an der Wand nicht ganz so bedrohlich.

Trotzdem waren seine Handflächen feucht.

Sobald er die Augen schloss, sah er die Bilder wieder. Sand, Blut und Moriartys totes Gesicht. Also behielt er sie offen. Und wenn er sich mit voller Aufmerksamkeit auf die vorbeiziehenden Autoscheinwerfer am Fenster konzentrierte, dann ließ sich alles ausblenden. Er begann seine Atemzüge zu zählen. Als das nicht mehr half, fixierte er den hellen Fleck auf seinem Oberschenkel. 

Im Krankenhaus hatte das Röntgen ergeben, dass die Fraktur glimpflich verlaufen war. Ein Gips und Ruhe würde es wieder richten. Ob Sherlock darauf unterschreiben würde, wenn John ihn darum bat? 

Irgendwo schlug eine Autotür zu. Ein Ruck ging durch Johns Körper und ehe er es wirklich realisieren konnte, hatte er sich auf den Boden geworfen und presste sich flach auf den Bauch.

Er schloss überfordert die Augen. 

Ein Laut verließ seine Kehle und er klang viel zu sehr nach einem trockenen Schluchzen, um von ihm zu stammen. Er presste die gesunde Faust gegen seinen Mund, während zurückgedrängte Bilder ihn schüttelten und der ganze Frust sowie sämtliche Angst des Abends sich entluden.

Irgendwann musste er so eingeschlafen sein. Er träumte von einer Hand auf seinem Kopf. Fingern an seiner Schläfe. Atem auf seiner Stirn.

∼*∼

Es war gerade einmal früher Abend und John sah es nicht ein, den Rest des Tages in seinem Zimmer zu verbringen, als würde er schmollen. Die Situation war verfahren. Es konnte so nicht weiter gehen. Wenn Sherlock etwas störte, musste er es sagen. Darüber hinaus besaß John nicht die Geduld, darauf zu warten, bis Sherlock von sich aus zu ihm kam. Bei dessen Dickköpfigkeit konnte sich das ewig hinziehen.
 

Er haderte lange mit sich, dann kehrte er zurück ins Wohnzimmer. 
 

Sherlock stand noch immer am Fenster, als hätte John die Unterhaltung nicht für eine halbe Stunde unterbrochen. John lehnte sich gegen den Türrahmen.
 

„Zu einem Ergebnis gekommen? Gibt es etwas, dass du mir sagen willst?“
 

Sherlock antwortete nicht, woraufhin John den Kopf schüttelte. „So geht das nicht weiter.“ Er brauchte frische Luft. Einmal um den Block war genug in seiner jetzigen Verfassung und er ging davon aus, dass Mycroft sie nach der vergangenen Nacht ohnehin dreimal so intensiv observieren ließ. 
 

Als er sich abwandte, machte Sherlock einen Schritt auf ihn zu und diese Reaktion, die beinahe so wirkte, als wolle er ihn aufhalten, ließ John verharren. 
 

„Eintausendvierhundertneun“, sagte Sherlock. Die Zahl schien aus seinem Mund zu stolpern.
 

„Was?“
 

„Es gibt eintausendvierhundertneun Dinge, die ich dir sagen will.“
 

John verschlug es die Sprache, doch Sherlock redete bereits weiter:
 

„Dass du mir nicht danken solltest, wo die Arbeit mit mir dich heute Nacht beinahe umgebracht hätte. Dass du offensichtliche Dinge aussprichst, die noch nicht einmal einer Äußerung bedürfen.“ John öffnete den Mund, doch er brachte keinen Laut zustande. Sherlock fuhr ohne Pause fort: „Dass du Anfängerfehler machst, die jeder Amateur vermeiden könnte. Dass deine Besorgnis um mich unlogisch und unangebracht ist, weil ich erwachsen bin und vor dir einunddreißig Jahre lang zurecht gekommen bin.
 

Dass du trotz deiner Schulter ein ausgezeichneter Schütze bist. Dass die Narbe aus Afghanistan knapp über deinem Schlüsselbein liegt, knapp eine Arterie verfehlt hat und dir an Tagen mit schlechtem Wetter besonders zusetzt, auch wenn du es dir nicht anmerken lassen willst. Dass du deinen Kaffee schwarz und ohne Zucker trinkst, in einen Tee aber ab und zu etwas von beidem hineintust, wenn du ihn genießen möchtest.
 

Dass du den Nervenkitzel des Krieges vermisst, aber die Erinnerungen an Afghanistan dir Albträume bereiten. Dass du Schuldgefühle hast, wenn Mrs Hudsons Hüfte ihr wieder zusetzt und du weißt, dass die Schmerzmittel, die du ihr gibst, nicht reichen, aber eine stärkere Dosis schlecht für ihre Gesundheit wäre. Dass du viel zu wenig auf deine eigene Sicherheit Rücksicht nimmst, wenn es um andere geht. 
 

Dass ich ganz am Anfang für einen Moment gedacht habe, Moriarty und ich seien gleich, bevor du mir gezeigt hast, wie unterschiedlich wir tatsächlich sind. Dass deine Erwartungen mich nicht beeinflussen sollten, es aber letztendlich doch tun, weil du der erste bist, der ohne eigennützige Gedanken an mich glaubt. Dass ich den Tatort heute Nacht mit dir verlassen habe, weil du das Wichtigste dort warst, obwohl dort so viele Beweise und Indizien lagen, die ich eigentlich hätte untersuchen müssen. Dass dein Verhör unangebracht und unlogisch war, weil du niemals jemanden grundlos erschießen würdest. Dass ich weiß, dass du mir niemals etwas antun würdest, es sei denn, es wäre zu meinem eigenen Wohl. 
 

Dass ich weiß, wie schlecht es dir heute Nacht allein ging und dass ich vor deiner Zimmertür gesessen und deinem Atem gelauscht habe, aber nicht eher hineinkommen konnte, bis du eingeschlafen warst. Dass deine Haare an der längsten drei Komma drei Zentimeter und an der kürzesten Stelle sechs Millimeter lang sind und sich weich zwischen meinen Fingern anfühlen. Dass all meine Schlussfolgerungen sagen, wie normal und gewöhnlich du sein solltest, aber dass du es nie versäumst, mich immer wieder zu überraschen, sobald ich meine, dich durchschaut zu haben. Dass mir das noch nie passiert ist. Dass du der erste bist. Dass du der einzige bist.
 

Das und eintausenddreihundertdreiundachtzig andere Dinge will ich dir sagen, John.“
 

John lehnte längst nicht mehr am Türrahmen. Er versuchte vielmehr, sich an ihm festzuhalten. „Sherlock“, murmelte er und wusste nicht, was er sonst sagen sollte. Nach all diesen Worten, all diesen Wahrheiten, hatte er keine Ahnung, wo er anfangen sollte. Jedes weitere Wort schien unangebracht. „Sherlock ich-“
 

„Ich auch, John.“
 

Er schüttelte den Kopf, denn warum war seine Kehle wie zugeschnürt und warum brannten seine Augen und verdammt, er dachte, er hätte es unter Kontrolle!
 

Sein schlechtes Bein gab nach und er rutschte an der Tür hinab. Sämtlicher Stress, sämtliche Ängste entluden sich in diesem Moment und Sherlock war da, wie in der letzten Nacht. Sherlock kniete vor ihm und hielt sein Gesicht in den Händen, während John ihm mit zitternder Stimme erzählte, welche Angst er um ihn gehabt hatte. Wie viel Hass er empfunden hatte, als er geglaubt hatte, Moriarty hätte Sherlock vom Dach gestoßen. Dass er es nicht bereute, Moriarty getötet zu haben, aber dass es ihn verrückt machte, nicht gemerkt zu haben, was mit ihm geschah. Wie groß der Schrecken war, am Ende Sherlock beinahe etwas angetan zu haben.
 

Er erzählte, wie das Verhör von Lestrade ihm klar gemacht hatte, dass Moriartys Plan mit seinem Tod nicht endete und wie viel Angst er davor hatte, dass Moran seine Drohung wahr machte und sich an Sherlock rächte.
 

Als all das von seinen Lippen gefallen war, griff er nach Sherlocks Händen und sagte gar nichts mehr, denn nach all den Sätzen und Worten war sein Kopf leer und mit einem Mal erschien ihm alles weniger bedrohlich. Sie waren zuhause und Sherlock war da. Sie hatten die letzte Nacht überlebt - sie hatten Moriarty überlebt - und würden auch den kommenden Morgen miterleben.
 

Johns Albträume würden nicht verschwinden, aber sie würden mit der Zeit abnehmen und wenn nötig würde Sherlock sich neben ihn legen. Er würde ihn beobachten, damit er ermitteln konnte, wann sich ein Albtraum ankündigte, um ihn gleich zu unterbinden. Und er hatte bereits Hinweise, die sie zu Moran führen würden. Er war da. Er würde John jetzt nicht loslassen. Er war da. John. John
 

Dann wurde ihm klar, dass dies Sherlocks Worte waren. Worte, die der Detektiv gegen seinen Nacken murmelte. John schloss die Augen und lehnte sich gegen den anderen Körper.
 

Wie lange sie dort saßen und einander schließlich beim Schweigen zuhörten, wusste John nicht. Was er wusste war, dass er sich zum ersten Mal seit mehr als vierundzwanzig Stunden wieder lebendig fühlte. Dreieinhalb Monate nachdem von den zitternden Lippen eines sterbenden Taxifahrers ein Name gefallen war, ließ der Schatten Moriartys sie endlich los und John hatte wieder Luft zum Atmen. 
 

Und auf dem Boden der Baker Street Nummer 221B kauernd murmelte er „danke“, denn ohne Sherlock hätte er die Zeit nach Afghanistan nicht überlebt und die Bedrohung durch Moriarty nicht ertragen und nicht erkannt, wie erfüllt sein Leben durch den einzigen Consulting Detective überhaupt sein konnte.
 

Sherlock antwortete nicht, aber John spürte das selbstzufriedene Lächeln gegen seinen Hals nichtsdestotrotz. Ohne etwas zu sagen, hatte Sherlock den Dank erwidert.
 

[tbc]



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  Kaoru
2012-06-02T11:45:55+00:00 02.06.2012 13:45
Wow, gestern hab ich die FF in einem Rutsch bis hierhin gelesen und muss sagen: Gratulation, sie ist sehr authentisch. Wenn man von wenigen sprachlichen Ausnahmen absieht, könnte man wirklich denken, sie wäre professionnel geschrieben.

Ich mag es, dass du die BBC-Handlung mit einbeziehst, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Der Zwist zwischen Sherlock und Microft, ihre Beziehung zu "Mummy", Johns Wunsch, einen guten Eindruck bei ihr zu machen, Moriartys Darstellung... genial! Aßerdem ist es dir sehr gut gelungen, Sherlocks Superhirn darzustellen und seine Probleme auf zwischenmenschlichem Terrain, die im krassen Kontrast zu seiner eigentlichen Genialität stehen. Ganz im Gegensatz zu John, der sich gut in ihn einfühlen kann und ihn versteht, obwohl er oftmals hintan stehen muss. Und niemals, wirklich NIEMALS ist das ganze OOC. Kein Charakter verhält sich anders als die Vorlage - bemerkenswert!

Ich hoffe wirklich, du beehrst uns bald mit einem neuen Kapitel, ich kann die Fortsetzung kaum erwarten.

LG~
Von:  Yai
2012-05-26T19:19:41+00:00 26.05.2012 21:19
Ich hab so sehnsüchtig auf den 6.Akt gewartet und nun konnte ich ihn endlich genießen! ^^ wirklich toll geschrieben. Alles liest sich so flüssig. Ich versinke jedes Mal in deiner Geschichte und bin quasi ein Teil davon, als objektiver Beobachter, dass kann ich aber nur, wenn das so gut dargestellt ist, wie bei dir. Einfach nur toll! Mach weiter so! :)
Von:  Fabien
2012-05-22T19:50:58+00:00 22.05.2012 21:50
Habe gerade deine Fanfiktion entdeckt und kann nur sagen...WOW!
Selten so ein tollen schreibstil gesehen. Selten eine so gut durchdachte Story gelesen, und selten so dermaßen gut getroffene Charaktere begleitet.
Meine größte Beweunderung! Ich warte gespannt auf die Fortsetzung!
Von:  jibrillchan
2012-05-15T19:23:47+00:00 15.05.2012 21:23
Deine Geschichte, deine John und Sherlock schaffen es das ich alles um mich herum vergesse und nur wie gebend Zeile um Zeile verfolge. Und wie immer ist es viel zu schnell vorbei. Auch wenn ich dieses Wort nicht oft gebrauche, aber deine Geschichte ist Genial und du hast einen tollen Schreibstil. Ich kann gar nicht genug davon bekommen und hoffe das du uns dieses mal nicht so lange warten lässt, den jeder Tag ist einer zuviel. :-)
Ach ja und das Gespräch zwischen den beiden mit all den Emotionen ist so klasse. Und war irgendwie einfach nötig.
Ich liebe deine Geschichte, mach weiter so.

Von:  Spielzeugkaiser
2012-05-15T17:10:23+00:00 15.05.2012 19:10
Ich kann mich eigentlich im Großen und Ganzen meinen Vorpostern nur anschließen.
Es war... genial.
Es war genauso gut wie immer =)

Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll... Die Charaktere - einfach wunderbar getroffen. Wirklich, ich glaube ich hab im deutschsprachigen Raum noch nie so eine gute Sherlock FF gefunden, das ist einfach...
Das sind einfach Sherlock und John :)

Ich mochte das kleine Gekabbel zwischen Sherlock und Mycroft unheimlich, mit dem John nicht so recht was anfangen konnte. Das war einfach absolut die Beiden, Sherlock braucht wohl hin und wieder einen Anstupser :)

Und auch wie du Johns Reaktionen beschrieben hast, den Schock, den Posttraumatischen Stress, das ist alles sehr relatitätsnah und authentisch, da hast du dich gut informiert =)

Und dann... Der Streit. Mit all den Dingen, die Sherlock John zu sagen hat.
Das war wunderschön und wirklich passend.
Sherlock ist ein Mensch, der in seinem Kopf gut strukturiert sein muss und wohl einen kleinen Faible für Zahlen hat (weil sie so klar sind?), ich meine, wer kann sonst tausende von Dingen aufzählen, die einem im Kopf herumschwirren?
Diese Szene mochte ich wirklich sehr =)

Letzen Endes kann ich nur sagen: Ich freue mich auf den nächsten Teil.
Auch, wenn ich mich jedes Mal ein wenig aufrege. Ich meine, gott, warum machen sie nicht einfach mal den Mund auf? Warum geht John nicht einfach mal seinen Impulsen nach?
Ich hab das Gefühl sie sind vorallem im zweiten Kapitel drei Schritte vor, und dann wieder einen zurück.
Aber ich weiß schon, ich weiß schon - so sind sie eben ;)

In dem Sinne:
Bis zum nächsten Kapitel =)
Von:  Nara-san
2012-05-15T02:02:03+00:00 15.05.2012 04:02
Man sollte es besser wissen.
Wenn man um 0 Uhr einfach mal durch die Fanfics stöbert, dabei einen shonen ai von Sherlock Holmes findet, auf "kompletter Fanfic" klickt, feststellt, dass dieser 138 Seiten hat und denkt "ach, ich kann ihn ja morgen weiterlesen". Man sollte es besser wissen. Letztendlich liest man das Teil doch bis 4 Uhr morgens zuende, weil die Charaktere so geil getroffen sind (vor allem wenn man die zwei/drei Folgen gesehen hat) und das ganze so fesselnd ist.
Ein geiler Fanfic! Und ich freu mich drauf wies weiter geht! ^^
Von:  minyard
2012-05-14T15:56:33+00:00 14.05.2012 17:56
Ich kann grad' nicht viel sagen, denn ich komme vom Schulsport und bin völlig fertig und es ist warm und noch so viel zu tun, deshalb ganz kurz und knapp:
Ich liebe diese Fanfiction.
Jedes Mal wenn ich ein weiteres Kapitel lese, bin ich sofort wieder Sherlock geflasht ♥ :)
Mach weiter so!
Von:  Spiegelscherben
2012-05-14T06:40:25+00:00 14.05.2012 08:40
grandios. Grandios. GRANDIOS.

Du schreibst wahnsinnig toll und deine Ausdrucksweise gefällt mir *o*
Deine Story hat herausragend gutes Drama (ich liebe Drama) und in diesem neuen Kapitel gefällt mir sehr gut den Unterschied zwischen Johns Emotionalität und Sherlocks Soziopathen-Dasein zu sehen. Die Szene als John das Handy gegen Sherlocks Rücken wirft gefällt mir :D Ich finde du hast den Moment auch genau richtig getroffen, beziehst das Vorangegangene richtig mit ein, den Schock den John erlebt hat und durchleidet und sein dadurch willkürliches und spontanes Handeln.
Mach bitte weiter so! Deine FF sorgt immer wieder dafür das ich atemlos davor sitze und staune. Du triffst sowohl Sherlock als auch John so wahnsinnig gut!

schönen Tag noch :D
Spiegelscherben


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