Word Forward von mystique (Sherlock/John (Sherlock BBC)) ================================================================================ Act V ----- Act V John wartete genau zwanzig Sekunden, dann sprang er auf und rannte die Treppe zu seinem Zimmer hinauf. Dort öffnete er den Nachttisch, nahm seine Waffe an sich und eilte mit schnellen Schritten zurück ins Wohnzimmer. Während er die gesicherte Pistole hinten in seinen Hosenbund stecke, sodass er sie mit einer schnellen Bewegung jederzeit ziehen konnte, griff er nach seiner Jacke und warf sie sich im Laufen über. Hausschlüssel Brieftasche und Telefon waren in den Innentaschen.  Unten auf der Straße sah er ein Taxi um die Ecke biegen. John Watson war alles andere als ein schlechter Schüler. Wenn er in den letzten Monaten etwas von Sherlock Holmes gelernt hatte, dann sämtliche Schleichwege und Abkürzungen in einem Radius von einer halben Meile um die Baker Street herum. Heute machte er zum ersten Mal vollkommen eigennützig davon Gebrauch. Er drehte sich nach links, lief etwa einhundert Meter (siebenundneunzig, sagte eine nervige Stimme, die Sherlock äußerst ähnlich klang, am Rande seiner Wahrnehmung) und bog dann wieder links in eine Gasse zwischen 215 und 213. Er wich den Mülltonnen aus, sprang über einige Kartons und brach schließlich sämtliche, eigene Ehrenkodexe, indem er quer durch Mrs Wilkins‘ Garten sprintete. Auf der anderen Seite machte er sich nicht die Mühe, dass Tor des Zauns zu öffnen, sondern nutzte seinen Anlauf und sprang auch darüber. Schließlich erreichte er die andere Seite und verließ gerade rechtzeitig die Gasse, um das Taxi zu sehen, in dem Sherlock saß. Der große Vorteil dieser Route war außerdem, dass er nun auf einer belebteren Straße mit vielen Restaurants war und sofort selbst ein Taxi erwischte. „Folgen Sie bitte dem anderen Taxi“, forderte er den Fahrer außer Atem auf und schloss einen Moment lang die Augen, um wieder zu Luft zu kommen. Sein Herz schlug ihm bis in die Ohren und Adrenalin jagte durch seinen Körper. Noch nie hatte er Sherlock verfolgt. Vor drei Monaten hatte er es nicht realisiert, als Sherlock ihn wegschickte, um sich anschließend mit Moriarty zu treffen. Und trotz der Frustration, der Anstrengung und der sengenden Wut auf Sherlocks Leichtsinn kam John nicht umhin, zu grinsen. Denn er fühlte sich verdammt noch mal großartig. Diese Art von Jagd brachte einen ganz speziellen Nervenkitzel mit sich. Immerhin verfolgte er Sherlock Holmes! Von den psychosomatischen Schmerzen in seinem Bein war nicht die geringste Spur mehr übrig. Der Fahrer schenkte ihm einen irritierten Blick durch den Rückspiegel, sagte jedoch nichts. Auch den Umstand, dass John ihn gerade ein anderes Taxi verfolgen ließ, kommentierte er nicht. Das hier war London. Die Fahrt dauerte fünfundzwanzig Minuten und führte sie in einen düsteren Teil Londons Immer wieder mussten sie zwischendurch halten, sich zurück fallen lassen (John stieg bei jedem Zwischenstopp aus und vergewisserte sich, dass Sherlock ihn nicht abschüttelte), doch schließlich erreichten sie ein neues Ziel und John wusste, dass dieses Mal etwas anders war. Er bat den Fahrer, in eine Nebenstraße zu biegen und zu warten, als Sherlocks Taxi neben einem heruntergekommenen mehrstöckigen Gebäude hielt. John spähte um die Hausecke - der Taxifahrer musste ihn für einen paranoiden Vollidioten halten, aber das war ihm im Moment egal - und beobachtete, wie sein Mitbewohner das Gebäude betrat. Irgendetwas sagte ihm, dass er sich dort nicht mit Moriarty traf. Und als wollte man seine Vermutung bestätigen, sah John, wie eine in Lumpen gekleidete Gestalt mit ausgebeulten Einkaufstüten in der Hand sich dem Gebäude von der Seite näherte und es durch einen anderen Eingang betrat. Einiges der Spannung fiel von ihm ab. Das Obdachlosennetzwerk. Sherlock brauchte Informationen. Die vorherigen Stationen waren Ablenkungen gewesen - zwei konnten dieses Spiel spielen, musste Sherlock sich gedacht haben. Doch jetzt ging es tatsächlich um etwas Anderes als eine Finte. John war geduldig. Also wartete er. Das Gebäude hatte fünf Stockwerke, war verlassen und unbeleuchtet. Zwei Zugänge, einer vorne, einer an der Seite, wie er festgestellt hatte. Er würde es mitbekommen, wenn jemand ging. Näher heran konnte er auch nicht, da er sicher war, dass Sherlock es sofort mitbekommen würde. Der Detektiv wusste zwar ohne Zweifel, dass John ihn verfolgte, aber solange Sherlock nicht festlegen konnte, von wo aus John das Haus m Blick behielt, hatte er zumindest einen geringen Vorteil. Und wenn man gegen Sherlock Holmes spielte, brauchte man jeden Vorteil, den man kriegen konnte.  Ein Blick auf die Uhr verriet John, dass Sherlock bereits eine halbe Stunde weg war. Sein Taxi parkte noch immer am Gehweg.  Etwas stimmte nicht. John kehrte zu seinem Fahrer zurück, bezahlte ihn für die bisherige Zeit und gab ihm den Auftrag, eine weitere halbe Stunde auf seine Rückkehr zu warten. Das Geld dafür gab er ihm im Voraus und versprach ihm noch einmal so viel für später. Dann verließ er die Nebenstraße und näherte sich dem Haus durch die Schatten. Er nahm den Nebeneingang auf der rechten Seite. Vorsichtig zog er die Feuerschutztür auf und betrat den unbeleuchteten Flur. Er hielt inne, konnte jedoch nichts hören. Den Weg die Treppe hinauf horchte er immer wieder nach Stimmen oder anderen Geräuschen. In der Dunkelheit tastete er nach dem Geländer und im dritten Stock sah er schließlich am anderen Ende des Hausflurs Licht durch eine halb offene Tür scheinen. Noch immer hörte er nichts. Eine Hand legte er auf seine Waffe, während er mit der anderen langsam die Tür aufdrückte. Sie schwang quietschend nach innen. Mitten im Raum stand eine entzündete Kerze. Auf einem Stuhl unmittelbar daneben saß eine Frau, die Beine übereinander geschlagen, und musterte ihn aufmerksam. Als John eintrat, beugte sie sich vor und lächelte. Sie musste die Person gewesen sein, die er vorhin beobachtet hatte. Ihre Kleidung war alt und abgenutzt, ihr Gesicht zeichneten die scharfen Züge einer Person, die schon viel gesehen hatte.  „Sherlock hat nicht gelogen. Du bist gut.“ John nahm die Hand von der Pistole und schlug die Jacke zurück, um sie zu verdecken, auch wenn er wusste, dass es der Frau keineswegs entgangen war. Ihr Blick hatte etwas von einem Raubvogel. „Das war also nur ein Bluff“, bestätigte er seine Befürchtung. Was hatte er auch von Sherlock erwartet? Die Frau lachte leise und bedeutete John, sich auf den Stuhl neben ihr zu setzen. Er blieb stehen und sie neigte den Kopf. „Mein Name ist Alice und ich leite das Obdachlosennetzwerk.“ John nickte. „Wo ist Sherlock jetzt?“ Alice ignorierte die Frage. „Ich kenne ihn jetzt schon seit sieben Jahren, aber soweit ich weiß, bist du der erste, der es so lange mit ihm aushält.“ „Er ist also nicht mehr hier“, murmelte John und sah sich um. Es musste noch einen weiteren Zugang zum Haus geben. Sherlock hatte den offensichtlichen Eingang genommen und Alice angewiesen, den Seiteneingang zu nehmen, um ihn in dem Glauben zu lassen, es gäbe nur zwei. Eigentlich hätte John dieses Detail stutzig machen müssen. Es war eine Ablenkung gewesen. (Dumm, so dumm, Watson.) „Was ist so besonders an dir, John Watson?“ „Vielleicht ist er ja doch wieder beim Scotland Yard“, sagte er zu sich selbst. „So eine Mühe hat er sich bisher nie gegeben.“  Er hatte sich bereits abwenden wollen, doch die letzten Worte von Alice ließen ihn innehalten. „Wie bitte?“ „Sherlock Holmes ist vieles, aber rücksichtsvoll zählte in all den Jahren, in denen ich ihn kenne, nicht zu seinen Eigenschaften.“ Als John nichts sagte, fuhr sie fort: „Versteh mich nicht falsch, er ist zweifellos kein schlechter Mensch, das ist uns allen bewusst. Aber er gibt sich auch keine Mühe, ein guter Mensch zu sein. Er löst Fälle für die Polizei und gibt uns Geld für Informationen. Manchmal auch mehr, als die Information wert ist. Aber keiner von uns hat je erlebt, dass er so etwas tut.“ „Und was genau ist ,so etwas‘?“ Alice deutete an sich hinab. „Was glaubst du, warum ich hier bin? Wenn ich wollte, hätte ich das Haus längst verlassen können und du hättest nichts weiter vorgefunden als ein leer stehendes Gebäude ohne den geringsten Hinweis darauf, dass überhaupt jemand hier gewesen ist. Stattdessen sitze ich hier - nicht um dich abzulenken, sondern um dir eine Nachricht zu übermitteln.“ John straffte die Schultern. „Welche Nachricht?“ Die Belustigung verschwand aus ihren Augen. „Kehr‘ um, John“, sagte sie. „Das hier ist nicht deine Aufgabe. Ich weiß, was ich tue.“ Sie schloss den Mund und John schürzte die Lippen. „Ich nehme nicht an, dass du mir deine Information für Sherlock wiederholen kannst.“ „Bedaure.“ An einem anderen Tag, unter anderen Bedingungen hätte John sich gefragt, wer Alice genau war. Was für ein Leben sie bis heute gelebt hatte und ob sie tatsächlich so hieß. Doch in diesem Moment und in dieser Situation war es John egal und es kümmerte ihn nur, wo Sherlock jetzt war. „War es das?“, fragte er steif. „Nicht ganz.“ Alice‘ Blick flackerte einen Moment. Die Selbstsicherheit schien sie plötzlich zu verlassen und sie blinzelte. John erkannte all die Anzeichen für Nervosität und das gefiel ihm gar nicht. „Es gibt noch eine Nachricht. Sie kursiert in ganz London in unserem Netzwerk, aber sie ist nicht von Sherlock Holmes. Eine Nachricht für Doktor John Watson. Und es ist ganz explizit darauf bestanden worden, dass nur er sie hören soll.“ Er hatte eine Ahnung und wappnete sich für die folgenden Worte. Das machte sie nicht wirklich angenehmer. „Heute Nacht werde ich Sherlocks Herz verbrennen. Und kein Doktor wird die Verletzung heilen können.“ Alice senkte den Blick. John nickte knapp. „Danke.“ Dieses Mal drehte er sich wirklich um und verließ den Raum.  ∼*∼ Zurück auf der Straße griff er nach seinem Handy und rief Lestrade an. „Ist Sherlock bei Ihnen?“ „Nein. Bisher haben wir auch keine neuen Informationen zum fünften Vermissten. Wir warten noch auf die Laborergebnisse.“ „Okay. Danke.“ Er ließ das Telefon sinken, doch Lestrades Stimme kehrte seine Bewegung um. „Ja?“ „Ich weiß nicht, wie wichtig es genau ist, aber Sie können es Sherlock sagen. Wir haben neben der DNA von Moran am letzten Opfer Spuren von Chlor gefunden. Wir analysieren die Probe noch nach weiteren Hinweisen, aber soviel steht bereits fest.“ Chlor. Genau diese Information hatte John gebraucht. „Danke Lestrade, ich richte es ihm aus.“ Er legte auf und blieb einen Moment stehen, um alles zu verarbeiten. Sherlock wollte ihn abschütteln. Moriarty schickte ihm Drohungen und düstere Prophezeiungen. Irgendwo in der Stadt mordete ein abtrünniger Soldat. Und vier Personen wurden noch vermisst, wobei nicht klar war, ob sie überhaupt noch am Leben waren. Das Taxi von Sherlock stand nicht mehr vor dem Gebäude. Noch eine Finte. Der Mann hatte gewartet, um John in dem Glauben zu lassen, Sherlock würde zurückkommen. Und er war natürlich darauf reingefallen. Einen feinen Soldaten gab er ab. Er kehrte zurück in die Nebenstraße und war erleichtert, dass sein Taxi noch immer dort stand. Er bedankte sich und gab dem Fahrer die neue Adresse. Während der Fahrt ging er die Fakten im Kopf immer wieder durch. Ein Student, ein Rentner, ein Tierarzt und ein Soldat. Wer war das letzte Opfer, damit es Sinn ergab? Er versuchte den Blickwinkel zu verändern. Ein junger Mann, beinahe noch ein Junge, zwei erwachsene Männer und ein Rentner. Auch das brachte ihn nicht weiter. Und wieso musste ausgerechnet John Finnigan sterben? „Wir sind da.“ John sah aus dem Fenster und sein Magen zog sich zusammen. Er zögerte allerdings nicht, als er ausstieg und dem Fahrer das restliche Geld überließ. Er sah ihm nach und erst als das Taxi außer Sichtweite war, drehte er sich um und betrat das öffentliche Schwimmbad. Seit dem letzten Mal war es noch nicht wieder geöffnet worden. Flatterband verwies darauf, dass Bauarbeiten ausgeführt wurden. Als John durch die Türen trat, fühlte er sich einen Moment lang drei Monate in die Vergangenheit versetzt. Nur hatte er zu diesem Zeitpunkt eine Weste mit Sprengstoff getragen und Moriarty hatte ihm vergiftete Worte ins Ohr geflüstert. Er schüttelte die Erinnerung ab und sah sich um. Der Schutt, den die Explosion der Weste vor beinahe drei Monaten zurück gelassen hatte, war weggeräumt worden, doch die Reparaturarbeiten waren noch nicht beendet. Im Schwimmbecken befand sich kein Wasser und der ganze Pool glich mehr einer Baustelle, als etwas Anderem. John stieß den Atem aus, den er ohne es zu merken angehalten hatte und ließ seinen Blick über die Wände schweifen, während er an den Rand des Pools herantrat. Dann sah er ihn. Ein regungsloser Körper lag auf dem Boden des Beckens. Unter ihm hatte sich eine Blutlache gebildet. Sämtliche Militärreflexe aktivierten sich und John kletterte die Leiter hinab, ließ sich dann für den letzten Meter fallen und eilte auf die Person zu. Während er mit seiner rechten Hand den Notruf wählte, fühlte seine Linke nach einem Puls. Er spürte nichts. Als er dem Mann die Haare aus der Stirn strich, begegneten ihm leblose, weit aufgerissene Augen. John fluchte. Er forderte Lestrade und einen Krankenwagen an. Dann versuchte er, herauszufinden, wer der Tote war. Seiner Ausbildung als Arzt und der Zeit mit Sherlock sei Dank, hatte er sich angewöhnt, immer ein Paar Handschuhe bei sich zu tragen und vorsichtig tastete er die Hosentaschen des Mannes ab, bis er die Brieftasche fand. Er schlug sie auf und blendete die Kinderbilder aus, denn wenn er daran dachte, dass der Tote eine Familie hatte und eigentlich nur ein sinnloses Opfer war, dann würde er auch daran denken, dass all dies nicht nötig wäre, wenn Moriarty nicht - Sein Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als er den Ausweis des Mannes in Händen hielt. Die Brieftasche fiel achtlos neben ihm auf den Boden. Er hatte seine fehlende Verbindung. Den Blickwinkel, den er gesucht hatte. Das fünfte und letzte Opfer. Ein Student, ein Lehrer, ein Tierarzt, ein Soldat. Eine Reihe, ja, aber die Schwerpunkte waren falsch gesetzt. Nicht nur ein Student, sondern ein Medizinstudent. Ein Tierarzt? Irrelevant. Ein Arzt. Ein Soldat mit zwischenzeitlicher Stationierung in Afghanistan. Ein Lehrer, aber viel wichtiger der Name: John Finnigan. Und nun der letzte Tote. Der Unbekannte, dem die Zunge fehlte. Tom Watson. Moriarty hatte mit fünf Opfern Johns gesamte Biografie inszeniert und keinen Raum für Zweifel gelassen: Ein ehemaliger Militärarzt mit Medizinausbildung in fünf Akten. Und über all dem die beiden Toten mit dem Namen John und Watson. Eine Botschaft: John Watson wird sterben. Jeder Teil von ihm. Es war ein kleiner Trost, dass er allein darauf gekommen war, denn Moriarty hatte alles so arrangiert. Er wollte, dass John es selbst herausfand, während es Sherlock bereits vor eineinhalb Stunden realisiert und darauf reagiert hatte. Heute Nacht werde ich Sherlocks Herz verbrennen. Und kein Doktor wird die Verletzung heilen können. Moriartys Nachricht war eindeutig. Er hielt John für Sherlocks Herz. John Watson, der humpelnde, gebrochene Soldat, der aus Afghanistan zurückgekehrt war und erst in London feststellte, dass ihm etwas fehlte. Der in Sherlock Holmes einen Mann kennen gelernt hatte, der ihm genau das bieten konnte. Zwei so ungleiche Menschen mit einer Freundschaft. Moriarty musste das ganz scheußlich finden. Und genau in diesem Moment bot John die perfekte Angriffsfläche. Jetzt haben Sie einen Trumpf aus der Hand gegeben, Dr. Watson. Er griff nach seiner Pistole und entsicherte sie. Die Polizei würde bald hier sein, aber das schützte ihn nicht vor möglichen Übergriffen. Vielleicht wartete Moriarty auch nur darauf, dass er seine Deckung vernachlässigte. Oder Sebastian Moran hatte ihn längst im Visier, so wie schon einmal die Scharfschützen von Moriarty? Er presste sich mit dem Rücken gegen die Außenwand des Pools und behielt seine hockende Position bei. Er lauschte auf verdächtige Geräusche. Abgesehen von dem Flattern der Plastikplanen war es jedoch still. Im Hintergrund hörte er das stetige Atmen der Hauptstadt. Nichts Ungewöhnliches. Er atmete leise aus. Mit seiner freien Hand schrieb er eine Nachricht an Sherlock. Hör auf, Fangen zu spielen und komm zum Pool. Die fünfte Geisel ist tot.  Er überlegte, ob er Sherlock den Namen schicken sollte, doch mit einem Kopfschütteln verwarf er den Gedanken. Sherlock kannte Moriartys Plan längst, hatte ihn schon vor Stunden erkannt, als er seinen Gedankenpalast besucht hatte. Deswegen war er gegangen und hatte nicht gewollt, dass John ihm folgte. Es würde ihn nicht einmal überraschen, wenn Sherlock ihn die ganze Zeit unbemerkt hatte beschatten lassen, um zu wissen, wo John war. Fünf Minuten verstrichen und er erhielt keine Antwort. Er schrieb einen neuen Text. Sherlock, ich weiß, was Moriarty mit den Entführungen sagen will. Es ist gefährlich, wenn wir uns trennen. Wo immer du gerade bist, antworte. Nach weiteren drei Minuten hörte er die Sirenen und entspannte sich merklich. Eine Antwort erhielt er allerdings auch die nächste Stunde über nicht, während der das Scotland Yard den Tatort sicherte, Sally Donovan seine Aussage aufnahm und Lestrade ihn beiseite nahm, um ihm Polizeischutz anzubieten. John dachte darüber nach. „Ist es notwendig?“ Lestrade seufzte. „Die Situation ist kritisch. Zwei der fünf Entführten sind tot und wir kommen keinen Schritt weiter, was die Ermittlungen nach Moran angeht. Darüber hinaus ist offensichtlich, auf wen Moriarty als nächstes abzielt. Ich halte mich wirklich nicht für übervorsichtig, John, aber in diesem Fall würde ich kein Risiko eingehen.“ „Hat Sherlock sich irgendwie gemeldet?“ „Ich habe seit heute Nachmittag nicht mehr von ihm gehört.“ John drängte die Sorge, die immer penetranter wurde, für den Moment zurück und versuchte, die Situation nüchtern zu betrachten. Von Sherlock war seit zwei Stunden kein Lebenszeichen gekommen. Moran würde auch die anderen Entführten töten, um seiner Nachricht weiteren Ausdruck zu verleihen. Und die Nachricht war eindeutig: John Watson war ein toter Mann. „Sie sehen müde aus, John. Wollen Sie mit einer Streife zur Baker Street fahren?“ John lehnte dankend ab. „Ich glaube, ich nehme ein Taxi.“ Lestrades Blick wurde skeptisch. „Halten Sie das für eine gute Idee? Moriarty hat Sie als sein nächstes Opfer festgelegt.“ John hätte ihm gerne gesagt, dass Moriarty es ruhig versuchen sollte, dass er ihm liebend gerne eine Antwort darauf geben würde, aber er schwieg. Noch hatte niemand die nicht ganz legale Waffe unter seiner Jacke bemerkt. Oder Lestrade hatte sie wahrgenommen, sprach ihn jedoch nicht darauf an. John wusste nicht, ob das sein Vertrauen in die Polizei bestärken oder schwächen sollte ... „Ist gut, ist gut“, beschwichtigte er den Inspektor und hob abwehrend die Hände. „Ich lasse mich von einer Streife fahren.“ Lestrade nickte, dann zwang er sich zu einem Lächeln. „Was für ein Übergang ins neue Jahr. Es kann hoffentlich nur besser werden.“ „Hoffentlich.“ John glaubte nicht wirklich daran. Es war einfach noch viel zu viel Luft nach unten übrig. ∼*∼ „Mrs Hudson, war Sherlock in den letzten zwei Stunden hier?“, rief John, als er die Tür der Baker Street hinter sich schloss.  Die Tür im Erdgeschoss ging auf. „Ja. Vor einer dreiviertel Stunde ist er die Treppe hoch und war keine fünf Minuten später wieder weg. Wenn Sie Neujahr zusammen verbringen wollen, dann sollten Sie ihn aber bald finden, John.“ Sie zwinkerte ihm zu. John hätte ihre gute Laune gerne geteilt. Stattdessen verabschiedete er sich von ihr und beeilte sich nach oben in die Wohnung. Sherlock hatte etwas gesucht. Er hatte sich durch einige Papierstapel gewühlt und die Tür zu seinem Zimmer stand offen. Aber wo war er jetzt? Was hatte er gesehen, was ihn Moriarty einen Schritt näher gebracht hatte? Auf dem Wohnzimmertisch lagen die Akten der Entführten, die Sherlock vom Yard mitgebracht hatte. John schlug sie auf, doch die Informationen halfen ihm nicht weiter. Als er sie wieder zurücklegte, fiel sein Blick auf die Karte, die Moriarty ihm geschickt hatte. Wenn die Kirchturmuhr 12 schlägt, dann verwandelt sich die Kutsche zurück in einen Kürbis. Ob Moriarty darin einen weiteren Hinweis verpackt hatte? Um zwölf Uhr begann das neue Jahr und am London Eye würde ein Feuerwerk stattfinden. Die Kirchturmuhr könnte jede Uhr sein, aber vielleicht war es auch der Big Ben? Doch warum die Anspielung auf Aschenputtel? John hasste solche Rätsel. „Du siehst, aber du beobachtest nicht, John“, murmelte er und schloss die Augen. Sherlock war hierher zurückgekommen und hatte etwas gesehen. In diesem Appartement war etwas gewesen ... Er öffnete die Augen, doch der Anblick war derselbe. Als ob er tatsächlich damit gerechnet hatte, die Welt plötzlich mit Sherlocks Augen zu sehen.  Er trat ans Fenster und blickte auf die Straße. An der Ecke stand ein Streifenwagen. Also behielten sie ihn im Auge. Doch sie konnten ihn nicht am Verlassen der Wohnung hindern. Bevor er ging warf er einen letzten Blick auf sein Telefon. Noch immer keine Antwort. Und so begab John Watson sich auf die Suche nach Sherlock Holmes. ∼*∼ Um zehn Uhr siebenundzwanzig hatte John acht Kontakte von Sherlock überprüft, ohne eine Spur vom Detektiv gefunden zu haben. Niemand wusste, wo Sherlock Holmes war und diejenigen, die behaupteten, ihn gesehen zu haben, entpuppten sich als Sackgassen. Mittlerweile hatte John sieben Nachrichten verschickt, ohne eine einzige Antwort zu bekommen und seine Sorge hatte ein Ausmaß erreicht, bei dem sie sich nicht mehr effektiv zurückhalten ließ. Jegliche Ruhe, die ihm die Ausbildung zum Soldaten gelehrt hatte, war einer angespannten Nervosität gewichen. Vor einer viertel Stunde hatte er in seinem Bein wieder ein nur allzu vertrautes Ziehen gespürt. 20:58 Uhr Sherlock? 21:17 Uhr Sherlock, auch wenn du meinst, dass ich dich aufhalte, zu zweit sind wir schneller. Zu zweit können wir Moriarty dieses Mal aufhalten. John Watson war mit seinem Latein am Ende, während er mittlerweile ziellos durch die Straßen von London irrte.  21:33 Uhr Angelo lässt seine Grüße ausrichten. Sherlock, wo bist du? 22:01 Uhr Du weißt, dass es kein Spiel ist. Lass dir von Moriarty nichts einreden. Sherlock, antworte. Nichts. Sherlock Holmes war wie vom Erdboden verschluckt. Ob Moriarty ihn gefasst hatte? Aber was dann? Wartete er vielleicht darauf, dass John ihn fand und blind in eine Falle tappte? 22:23 Uhr Schick einfach ein Lebenszeichen. Irgendeins. 22:24 Uhr Bitte, Sherlock. Die Unwissenheit nagte an ihm. Gleichzeitig war da diese Wut auf Sherlock. Wieso war er auch alleine losgezogen? John hätte ihm den Rücken freihalten können. Hatten sie nicht die letzten Monate gut gemeinsam funktioniert? Nun fühlte John sich wie überflüssiger Ballast, der Sherlock nur aufgehalten hätte. 22:25 Uhr Das ist nicht fair. Er stand kurz davor Mycroft anzurufen, da summte sein Handy. Erleichterung war wie ein warmer Regen und er nahm ab, ohne die Nummer zu prüfen. „Sherlock, eins sage ich dir, das ist absolut lächerlich und -“ „Hallöchen, Johnny-Boy.“ Er erstarrte. „Ich hoffe, du hast meine Nachricht erhalten. Ich habe mir wirklich Mühe gegeben, sie adäquat zu platzieren. Hat es dir gefallen?“ Das letzte Mal hatte Moriarty ihn wenigstens noch gesiezt. Dieser letzte Rest Distanz war jetzt Geschichte und John verspürte nicht den Wunsch, ihn künstlich aufrecht zu erhalten. Nicht, wenn es um Sherlock ging. „Woher hast du diese Nummer?“ „Oh, ein Kinderspiel. Aber sag mir lieber, wie dir mein Geschenk gefallen hat?“ „Es war kreativ.“ Warum machte Moriarty sich die Mühe, ihn zu kontaktieren? Er hätte erwartet, dass er irgendwo am anderen Ende der Stadt mit Sherlock telefonierte und ihn von Station zu Station schickte. Aber das? „Nicht wahr? Du hättest Sebastian sehen müssen, wie ein kleiner Junge an Weihnachten.“ John verzog angewidert den Mund. „Und wo ist er jetzt? Arbeitet er an dem nächsten Geschenk?“ „Nun, siehst du, Johnny-Boy, genau das ist das Problem. Er würde ja gerne, aber er hat im Moment alle Hände voll.“ „Bedauerlich. Weswegen rufst du mich an und nicht Sherlock?“ „Genau da liegt die Krux.“ Der spielerische Ton verschwand plötzlich aus der Stimme. „Sherlock ist derzeit etwas - wie soll ich es sagen - vereinnahmt. Was auch der Grund dafür ist, dass Moran keine Hand frei hat.“ Bleierne Angst schnürte ihm den Magen zu und John hörte sein eigenes Schlucken viel zu deutlich. Er zwang sich zur Ruhe. „Und wie soll dagegen vorgegangen werden?“ „London Waterloo Academy in einer Stunde. Auf dem Dach.“ „Ist das Gebäude überhaupt geöffnet?“ „Finde es heraus, Johnny-Boy. Und komm ohne Begleitung. Wir finden schon jemand Passenden für deinen Abschlussball“, trällerte Moriarty. „Und um das Ganze filmreif zu machen.“ Er räusperte sich und knurrte: „Keine Polizei, verstanden?“ Dann war die Verbindung unterbrochen. Johns Finger waren taub, als er die Hand sinken ließ. Moriarty hatte Sherlock. Viel schlimmer: Moran hatte Sherlock. Er wollte sich nicht ausmalen, was er alles mit ihm anstellen konnte. Er hatte die Leichen gesehen. Es war eindeutig gewesen, dass es Moran Spaß gemacht hatte. John lief ein kalter Schauer den Rücken hinab und er winkte ein Taxi heran.  Eine Stunde. So lange konnte er nicht warten.  Moriarty hat Sherlock, schrieb er Mycroft während der Fahrt. Dann hängte er die Adresse an die Nachricht und schickte sie ab.  Auch hier erhielt er keine Antwort. Was war los? Verdammt, seid ihr von der Holmes Familie euch zu fein, um mir zu antworten? Moriarty. Hat. Sherlock. JW Die Minuten verstrichen viel zu schnell und noch immer hatten weder Sherlock noch Mycroft zurück geschrieben. Ob es eine Falle war, in die er lief? Sein Handy summte. Als John die Nachricht öffnete, begann ein Bild zu laden. Es dauerte neun Sekunden, bis es ihm angezeigt wurde und sein Griff um das Telefon verkrampfte sich.  Es war Sherlocks Gesicht, durch ein Zielfernrohr anvisiert. Direkt auf seiner Schläfe lag das X. Um ihn herum war es dunkel, Schweiß stand auf seiner Stirn und er wirkte angespannt. Unter dem Bild stand: Stayin‘ alive, Johnny. ∼*∼ Eine halbe Stunde vor der eigentlichen Zeit stand John vor dem Gebäude und seine Befürchtungen wurden bestätigt: Sie war geschlossen. Natürlich war sie geschlossen, es war ja auch Neujahr. Er umrundete das Grundstück und näherte sich von der Rückseite, dabei die Augen nach Kameras offen haltend. Er registrierte vier.  Das war nicht gut. Wenn man ihn auf den Videos dabei sah, wie er versuchte, in die Akademie einzubrechen, würde die Polizei eingeschaltet werden und Moriarty würde womöglich nicht auf John warten, ehe er Sherlock etwas antat. Zwei Kameras an den Ecken, eine über dem Eingang auf der Rückseite und eine nahe dem Lieferanteneingang. Das war die Schwachstelle, des Gebäudes. Die Kamera machte alle dreißig Sekunden einen Schwenk und gab John somit ein Zeitfenster. In geduckter Haltung lief er über den Hof und wich den übrigen Kameras aus. An der Tür angekommen, inspizierte er das Schloss. Drei Stifte. Er griff nach seiner Brieftasche und förderte einen Dietrich zutage (mit Sherlock konnte man nie wissen). Dann machte er sich an die Arbeit.  Er war nicht schnell genug. Nach fünfundzwanzig Sekunden musste er zurückweichen und warten, bis die Kamera wieder zurück schwenkte. Dann versuchte er es erneut. Das Problem war, dass Sherlock für gewöhnlich die Schlösser knackte. John hatte ihm zwar oft genug zugesehen und verstand das Prinzip, aber er besaß nicht das Feingefühl dafür. Dreimal versuchte er es noch, bevor er resignierend aufgab. Er zog sich zurück und ging hinter einer Mauer in Deckung. Er rutschte an ihr hinab und vergrub das Gesicht in den Händen. Denk nach, rief er sich zur Ordnung. Es muss einen anderen Weg hinein geben. Es kann doch nicht sein, dass du an einem einfachen Schloss scheiterst. Aber die Wahrheit war nie rücksichtsvoll. John schaffte es nicht, das Schloss zu knacken. Und ihm blieben noch dreiundzwanzig Minuten, um eine andere Lösung zu finden. Er ignorierte die wachsende Panik und rappelte sich auf. Er machte sich auf die Suche nach einem leichteren Eingang. ∼*∼ Zwanzig nach elf. Es gab keinen verdammten Weg hinein. John wusste nicht weiter. Seine Lippen waren wund gebissen und seine Schulter schmerzte vom Versuch, die Tür einzurennen. Das Zeitfenster war einfach zu klein. Mycroft meldete sich nicht und John hatte sich den Hals verrenkt, um nach seinen Leuten Ausschau zu halten. Nichts. Er stand ohne Backup da. Wieso? Das passte nicht! Ließ man ihn bewusst in der Schwebe hängen, nur um Moriarty im entscheidenden Moment zu überrumpeln? Aber Mycroft würde Sherlocks Leben nicht so gefährden. Das konnte John sich nicht vorstellen. Er umrundete zum bestimmt zehnten Mal das Gebäude. Mittlerweile konnte er die Panik nicht länger zurückhalten. Er würde es nicht schaffen. Er würde versagen. Was war er für ein Soldat, dass er sich von einer Tür aufhalten ließ? Ein hilfloser Blick auf sein Handydisplay. Eine Nachricht, zehn Minuten alt. Die Nummer war unterdrückt. Tick, tack, Johnny. Seine Hand zitterte, als er eine neue Mitteilung öffnete.  Noch sechs Minuten.  Sherlock?, schrieb er. Ein letzter Versuch. Er konnte die Tür nicht knacken. Warum funktionierte es immer in den Filmen?  Fünf Minuten. Als die Kamera dieses Mal wieder zurück zur Tür schwenkte, machte er sich nicht einmal mehr die Mühe, zurück zu weichen. Er schlug mit der geballten Faust gegen die Tür. Hätte er einfach ein Fenster eingeschlagen und den Alarm riskiert. Oder das Schloss aufgeschossen? Aber wer wusste, wie Moriarty auf das Geräusch reagiert hätte? Solange er Sherlock in seiner Gewalt hatte, konnte John das nicht riskieren!  Das Handydisplay war eine kümmerliche Lichtquelle. Ich schaff es nicht, Sherlock. Ich schaff es nicht. Es tut mir leid. „Verdammt!“, fluchte er und presste die Stirn gegen die Tür. Halb zwölf. Er war nicht da.  John konzentrierte sich nur auf seine Atmung. Ein und aus. Ein und aus. Keine Panik. Vielleicht sollte er einfach Lestrade anrufen. Sie würden die Tür aufbrechen, das Dach stürmen und Moriarty überwältigen. Er schaffte es nicht allein, aber mit der Hilfe vom Yard wäre es bestimmt möglich. Sie würden -  Er kam nicht dazu, den Gedanken zu beenden. Er hörte ein Flattern, gefolgt von einem widerlichen Knacken. Dann war es still. John atmete zitternd aus und löste sich von der Tür. Mit langsamen Schritten näherte er sich der Gebäudeecke. Der Weg dorthin schien unendlich weit. Als er aus dem Schatten des Gebäudes trat, fiel sein Blick auf eine reglose Gestalt in zwanzig Metern Entfernung auf dem Boden. Selbst aus der Distanz war ihm klar, dass sie diesen Fall nicht hatte überleben können. Eine unbeschreibliche Ruhe erfasste sein Bewusstsein. (Wie in Afghanistan, würde er sich später erinnern. Als die Kugel seine Schulter durchdrang und er Momente - sekundenlang - nur auf das Blut an seiner Hand gestarrt hatte, ohne auch nur irgendetwas zu empfinden.) Er drehte sich um und kehrte zur Tür zurück. Er entsicherte seine Waffe, zielte auf das Schloss und feuerte. Das Geräusch musste einen halben Kilometer weit zu hören sein, doch John drückte bereits die Tür auf und begann erst langsam, dann immer schneller die Treppen hinauf zu laufen. Er brauchte ganze zweieinhalb Minuten bis in die sechste Etage. Oben angekommen gönnte er sich keine Pause und riss die Tür zum Dach auf, die Waffe bereits im Anschlag. Ohne zu blinzeln richtete er die Pistole auf James Moriarty, der am Rand des Daches stand, die Händen in den Taschen seines hellgrauen Anzugs, und nach unten blickte.  Wie auf ein Zeichen drehte er sich zu John um und breitete lächelnd die Arme aus. „John. Du bist leider zu spät. Unser Gast hatte einen wichtigen Termin. Einen Flug, musst du wissen, der sich nicht verschieben ließ.“ John trat auf das Dach. Der Schuss würde direkt zwischen Moriartys Augen gehen. Eine Kugel. (Eine reglose, zerbrochene Gestalt auf dem Asphalt vor dem Gebäude. Starre, tote Augen, die John sich nicht vorstellen wollte, aber musste, denn es waren einzigartige, stechende Augen, die schon so viel gesehen hatten und nun nie wieder sehen würden.) Vielleicht auch fünf Kugeln. „Warum das ernste Gesicht? Oh“, er verzog das Gesicht in gespielter Überraschung, „habe ich dich verärgert? Nun, wie unhöflich von mir.“ Er imitierte Johns Gesichtsausdruck, dann grinste er. „Immer so ernst und stoisch. ,Doktor John Watson‘“, er verstellte seine Stimme in falscher Seriosität. „,Stets zu Ihren Diensten.‘ Ein treuer, folgsamer Doktor, loyal wie ein dummer Hund.“ Der Schalk verließ seine Augen. „Wie langweilig.“ Und dieses Wort löste etwas in John. Dieses eine Wort, dass Sherlock gehörte und oh Gott Sherlock Sherlocksherlocksherlock... Moriarty vergrub die Hände in den Taschen und blickte wieder nach unten. „Das war nicht Sherlock“, sagte er geradezu beiläufig und drehte sich wieder zu John um, dessen Welt sich gerade zum zweiten Mal in drei Minuten um einhundertachtzig Grad drehte. Dieses Mal schmerzte es wie Hölle. „Versteh mich nicht falsch, Johnny“, fügte er hinzu und zuckte die Schultern, „das hätte er sein können und genau genommen wäre das nicht einmal so weit hergeholt, denn jemand wie er verdient einen Fall. Aber er war es nicht.“ John öffnete den Mund, doch kein Ton verließ seine Lippen. Jim Moriarty verstand ihn auch so. „Das, mein lieber Doktor, war der Besitzer des Daumens. Brian Henning, der gute, gute Student. Hat vergessen, seine Hausaufgaben zu machen“, ergänzte er in einem Singsang. „Wollte mit mir diskutieren, als ich ihm deutlich machte, dass es dafür keine Entschuldigung gibt. Eins führte zum anderen und ... hoppsa!“  Die Hand mit der Waffe zuckte, doch sie war weiterhin auf Moriarty gerichtet. „Wo ist Sherlock dann? Wo hast du ihn?“ Sie waren allein auf dem Dach, also musste Sherlock mit Moran woanders sein. In der Nähe? Im gleichen Gebäude womöglich?  „Ich habe ihn nirgendwo.“ Und Johns Gesichtsausdruck musste fassungslos sein, denn er begann haltlos zu lachen. „Oh, das ist großartig, du hast wirklich geglaubt, ich hätte ihn.“ Von einem Moment auf den anderen war er wieder ernst. „Überraschung, Johnny. Du bist soeben in eine Bilderbuchfalle getappt. Ups!“ Er zog sein Handy aus der Tasche und hielt John das Display entgegen. „Hat dich das verwirrt?“ Es war das Bild von Sherlock. „Hübsch, nicht wahr? Nur alt, John-Boy. Genau genommen zwei Monate alt. Und hättest du etwas genauer hingesehen, hättest du die Reflexionen vom Wasser bemerkt. Aber Emotionen machen so unglaublich blind, nicht wahr?“ Wasser? Der Pool. Einer der Scharfschützen musste das Bild zu dem Zeitpunkt gemacht haben. Die Erleichterung war wie ein frischer Luftzug. Sherlock lebte. Er war nie in Gefahr gewesen! John fühlte sich benommen. Sherlocks scheinbarer Tod und doch wieder nicht ließen sich nicht einfach so wegstecken. Moriarty trat näher und schließlich unmittelbar vor ihn. Er nahm die Hände aus den Taschen seines maßgeschneiderten Anzugs und legte sie John bedeutungsschwer auf die Schultern. „Du hast meine Nachricht erhalten. Du weißt, warum du hier bist.“ Als John nicht antwortete, fuhr er fort. „Sherlock Holmes, großartige Kreatur, die er ist, hat ein Herz, das ihn behindert. Es hemmt ihn, macht ihn langsam, macht ihn menschlich.“ Er spuckte das Wort regelrecht aus. „Aber die Behandlung ist leicht und die Lösung noch viel leichter. Siehst du, Johnny, dass hier ist nichts Persönliches. Außer vielleicht doch!“ Und damit schubste er John brutal nach hinten. Er stolperte und stieß mit dem Rücken gegen die offen stehende Tür. Er wollte die Hand mit der Waffe heben, doch Moriarty kam ihm zuvor und verpasste ihm einen Schlag ins Gesicht. John stürzte zu Boden und die Pistole rutschte einige Meter weiter. Ehe er sich sammeln konnte, trat Jim mit voller Kraft auf seine Hand, mit der er sich vom Boden abgestützt hatte. John spürte seinen Mittelhandknochen brechen und biss einen Schrei zurück. Stattdessen verließ seinen Mund nur ein Ächzen. Ein Blick nach oben zeigte Moriartys hassverzerrtes Gesicht. „So menschlich. All diese Gefühle. Human. Schwach.“ Er hob den Fuß und ehe John seine Hand zurückziehen konnte, trat er wieder zu. Dieses Mal schrie John wirklich. „Sag mir, Johnny, hattet ihr Spaß? War eure gemeinsame Zeit einzigartig?“ Moriarty tippte sich gegen das Kinn. „Fühltest du dich endlich wieder gebraucht? Und hattest nichts Besseres zu tun, als Sherlock Holmes herab zu stufen. Von einzigartig zu gewöhnlich, so wie du es bist?!“, schrie er ihn an und John wäre zurück gewichen, hätte der Fuß auf seiner Hand ihn nicht daran gehindert. Ein Ekel erregendes Knirschen war zu hören, als Moriarty seinen Fuß drehte und Wellen aus Schmerz peitschten Johns Arm hinauf. Einen Moment lang verschwamm seine Sicht. Er erinnerte sich. An die Warnungen, sich von Sherlock Holmes fern zu halten. An skeptische Blicke und unheilvolle Prognosen. Sherlock Holmes hat keine Freunde. An einsame Taxifahrten, an Auseinandersetzung, an verschiedene Prioritäten. Menschen sterben, Sherlock!  Erinnerte sich an unterschiedliche Auffassungen. Mach aus Menschen keine Helden John. Helden existieren nicht und selbst wenn, wäre ich keiner von ihnen. „Du bist so blind, Jim“, sagte er und fluchte gegen die Schmerzen in seiner Hand. „Du denkst, Sherlock wäre heute irgendetwas Anderes als genial, dabei kannst du es einfach nicht sehen, verblendet wie du bist.“ Moriarty tat so, als hätte Sherlock vorher nie ein Herz besessen, aber das war falsch. Sherlock Holmes hatte ein großartiges, einzigartiges Herz. Und es zu besitzen machte ihn in in keiner Weise weniger effizient. Weniger Sherlock. Im Gegenteil. Denn da waren so viele andere Erinnerungen. Wir können an einem Tatort nicht kichern. Gemeinsames Lachen im Hausflur. Das ist mein Freund John Watson. Eine hektisch abgestreifte Weste mit Sprengstoff. Das, was du eben getan hast ... das war gut. Hitzige Diskussionen und brillante Schlussfolgerungen. Und nicht zuletzt immer wieder ein Blick über die Schulter (seltene Momente, wenn niemand hinsah oder wenn Sherlock sich sicher war, dass niemand außer ihm es beobachtete), um sicher zu gehen, dass John noch da war. Sherlock war noch immer er selbst. Moriarty erkannte nur nicht, dass brillant sein nicht hieß, genauso wie Jim Moriarty zu sein. „Was bezweckst du? Denkst du, er wird meinen Tod rächen und ihr habt eine wunderbare Zeit - du als Gejagter und er als Jäger? Oder glaubst du vielleicht, der Mord an mir wird aus Sherlock etwas formen, das dir irgendwie ähnelt? Als ob er dadurch sein Herz verlieren würde“, knurrte er.  Moriarty lächelte. „Wie könntest du es verstehen? Du bist langweilig, John Watson. Gewöhnlich.“ John lachte atemlos gegen den Schmerz. „Versuch es, Jim.“ Angst schnürte ihm die Kehle zu, aber er erlaubte es nicht, dass Moriarty sie in seinen Augen sah. „Du kannst lange darauf warten, Sherlock Holmes fallen zu sehen. Das wird nie passieren.“ „Ich warte nicht darauf. Ich weiß, dass es passieren wird.“ „Viel Spaß bei dem Wahnsinn.“ „Den werden wir haben. Leider wirst du es nicht mehr erleben.“ „Was willst du machen? Mich auch vom Dach werfen?“ „Oh bitte.“ Er verdrehte die Augen. „Einer reicht. Du wirst springen, Johnny.“ „Warum sollte ich?“ „Der tapfere Bauer bietet sich für ein Damenopfer an, um den schwarzen König Schach zu setzen. Aber der Schwarze König hat einen äußerst zuverlässigen Turm.“ Moriartys Grinsen hatte etwas Bestialisches. „Und der Turm mag nicht hier sein, aber er hat bereits gemordet und die Polizei konnte es nicht verhindern. Was meinst du, wen er noch umbringen kann, bevor sie ihn fangen?“ John schluckte. Das Problem war, dass er abgesehen von sich selbst keinen Trumpf hatte. Und er verstand genau, worauf Moriarty anspielte. Sein Verstand reagierte vertraut auf diese Art von Gefahr und Ruhe erfasste John. Es fiel ihm immer leichter, zu denken. Er wartete einige Momente, bevor er erwiderte: „Darf ich dann aufstehen?“ Jim Moriarty hob den Fuß von seiner gebrochenen Hand. John rappelte sich auf. So, wie er die Situation sah, hatte er drei Möglichkeiten. Nummer eins beinhaltete eine Kehrtwende und taktischen Rückzug. Kurz: Um sein und Sherlocks Leben rennen. Nummer zwei war seine unwahrscheinliche Rettung durch Mycroft, Lestrade oder Sherlock. Vielleicht sogar durch alle drei Parteien, denn irgendwo mussten sie ja sein, wenn John gerade mit Moriarty auf einem Dach stand. Nummer drei endete weitaus unappetitlicher, denn dabei würde er wirklich springen. Das Problem war, dass er Moriartys Wort nicht traute, also wäre sein Sprung letztendlich wertlos. Er hatte lange genug auf sein Rettungskommando gewartet, doch er war nicht so naiv, alles auf sie zu setzen. Wer wusste, was Moran in diesem Moment vielleicht auf der anderen Seite der Stadt eingefädelt hatte? Vielleicht glaubten sie auch, John sei entführt worden und folgten einer falschen Fährte. Wer wusste, was Moran ihnen erzählte? Dass er vielleicht mit Johns Telefon alle Nachrichten geschickt hatte, um sie zu verwirren.  Moriartys Pläne waren nie etwas Anderes als komplex und verworren. John war auf sich allein gestellt und stand vor dem Boogey-Mann. John Watson war kein Feigling. Er suchte den Nervenkitzel des Kampfes, das Risiko des Krieges, aber er setzte sich nicht leichtsinnig irgendwelcher Gefahr aus. Schon gar nicht, wenn klar war, dass er der Unterlegene war. Er wusste, wann er sich in einer Situation befand, die er nicht überleben konnte und die keinerlei Option für ihn offen hielt. Er konnte Sherlock besser beschützen, solange er am Leben blieb.  Er tat das einzige, was ihm übrig blieb. Er wirbelte herum und stürmte durch die offene Tür zurück ins Gebäude, weg von Moriarty. ∼*∼ Er kam gerade über die Türschwelle, da erwischte Moriarty ihn, als habe er genau auf diese Reaktion gewartet. John stolperte und fiel die obersten sieben Stufen hinunter, bis zur nächsten Ebene.  Einen Moment lang wurde alles schwarz, dann explodierten Lichter in seinem Kopf. Als er die Augen wieder öffnete, schwebte Jim Moriartys Gesicht dicht über seinem, ein mörderisches Glimmen in den Augen. „Dachtest du, ich würde dich einfach so weglaufen lassen? Oh Johnny, du unterschätzt mich immer wieder.“ Sein Kopf schien zu bersten. Etwas Kühles presste sich gegen seine Schläfe und John erkannte den Lauf seiner eigenen Pistole. „Steh auf“, befahl Moriarty. Als John nicht sofort reagierte, presste er die Pistole gegen Johns verletzte Schulter. „Ich werde dich nicht umbringen, aber ich werde dich wünschen lassen, du wärest tot. Sterben kann so unglaublich lange dauern, Johnny.“ Er tastete blind über sich und zog sich am Geländer hoch. Der Sturz war glimpflich ausgegangen, würde ihm nicht mehr als ein paar blaue Flecken beschweren, vielleicht eine Prellung des Ellbogens. Viel mehr Soge bereitete ihm die Aussicht auf einen ganz anderen Sturz ...  Moriarty dirigierte ihn wieder hinaus aufs Dach und nach vorne bis zum Rand. Er hielt sein Telefon in der anderen Hand, ebenfalls auf John gerichtet. Vermutlich filmte er alles, um es später Sherlock zuzuschicken. „Da sich unsere Wege bald trennen werden, Doktor Watson, möchte ich dich eins noch wissen lassen.“ John erfuhr nie, was Moriarty sagen wollte, denn in diesem Moment schlugen in ganz England die Uhren Mitternacht. Am London Eye wurde das Feuerwerk gezündet.  Es geschah etwas, das weder John Watson noch Jim Moriarty hatten vorhersehen können: Licht und Lärm überfluteten Johns Sinne. Nicht in der Lage, die Eindrücke korrekt einzuordnen, tat sein Verstand das einzige, was ihm übrig blieb: Er suchte sich eine Erinnerung, die dem Licht von Sprengkörpern und dem Geräusch von Explosionen am nächsten kam. Und schickte ihn zurück in den Krieg. ∼*∼ John spürte Wind im Gesicht. Er musste Sand in die Augen bekommen haben, denn sie brannten. Er war verschwitzt, sein Atem war abgehackt. Es war so heiß und die Luft wurde knapp. Er konnte es hören. Jede Explosion war wie ein Erdbeben, brachte den Boden zum Erzittern. In der Ferne hörte er Schreie. Doch alles, was er sehen konnte, war das Blut. So viel Blut und Sand. Er hätte bei seiner Einheit bleiben müssen. Sich nicht abhängen lassen dürfen. Sie brauchten ihn, standen unter schwerem Beschuss. Er war Militärarzt, verflucht noch mal! Wenn er ihnen nicht helfen konnte, welchen Zweck erfüllte er dann noch? Sein Atem ging in schnellen, unregelmäßigen Schüben. Die Luft um ihn herum wurde immer heißer, das Atmen fiel mit jedem Zug schwerer. Nur der Griff um seine Waffe hielt ihn noch aufrecht. Seine Hand zitterte nicht, im Gegensatz zum Rest seines Körpers, der sich gegen die unmenschlichen Naturbedingungen wehrte. Man hatte ihn angegriffen. Er hatte sich wehren müssen, denn sie waren bewaffnet gewesen und hätten ihn getötet, wenn er nicht gehandelt hätte. Das, was er getan hatte, war Notwehr. Furchtbare, zwingende Notwehr. Hätte man ihn getötet, wäre seine Einheit das nächste Ziel gewesen und er hätte nicht mehr die Möglichkeit gehabt, sie zu warnen, sie zu versorgen oder irgendetwas für sie zu tun. (Nutzlos, nutzlos, zischte eine leise Stimme, aber es konnte auch bloß der Wind sein, der ihm einen Streich spielte.) Eliminierung war die einzige Möglichkeit gewesen, zu beschützen. Er hatte eine Aufgabe. Warum wurde dann immer noch geschossen?  Eine Gestalt trat vor ihm aus dem Sandsturm und sein Körper reagierte, bevor sein Verstand überhaupt eine Chance hatte, dazwischen zu gehen. „John!“ Afghanistan verschwand. Die Realität war wie ein Schlag ins Gesicht. John Watson stand auf einem Dach in London, die Pistole auf seinen Mitbewohner Sherlock Holmes gerichtet. Jim Moriarty lag vor ihm auf dem Boden, die Augen weit geöffnet, ein Blick der absoluten Überraschung auf seinen Zügen. Eine Blutlache breitete sich unter ihm aus. Johns Welt erbebte unter einer weiteren Detonation. Hörte denn niemand die Schreie? Jemand musste sie stoppen! „John. John, sieh mich an.“ Das war kein Paschtu und auch kein Dari, sondern Englisch.  „Sieh mich an. John.“ Seit wann kniete er auf dem Boden? Und wie konnte er nicht bemerken, dass Sherlock vor ihm hockte und sein Gesicht in den Händen hielt. Ihr Atem vermischte sich. Lichter explodierten hinter Johns Augen und seine Ohren sirrten. Das kam davon, wenn man zu dicht neben einer Granate stand, wenn sie hochging. Anfängerfehler. Seine Kameraden würden ihn auslachen. Sie mussten runter von diesem Gebäude. Es würde einem direkten Angriff nicht standhalten und John hatte nicht ausreichend Munition, um sie beide zu verteidigen. Die Angriffe kamen von oben. Er würde Sherlock Deckung geben und ihn vorschicken. Runter vom Dach, durch das Treppenhaus. Vielleicht ein Hinterhalt? Er dürfte Sherlock nicht vorschicken, er würde es keinen Moment-  Sein Gedankengang wurde jäh unterbrochen. Sherlock presste die eigene Stirn gegen Johns und seine Daumen drückten gegen Johns Schläfen. Der Schmerz in seinem Kopf ebbte für einige wunderbare Momente ab und endlich, endlich lichtete sich der Schleier um seinen Verstand und die Rationalität orientierte sich neu. John verstand. Posttraumatische Belastungsstörung. Ein Kriegs-Flashback. Über ihnen erhellten Feuerwerkskörper den Himmel und jeder Knall schickte ein Zittern durch seinen zusammengekauerten Körper, weckte Erinnerungen an längst vergangene Kämpfe in einem weit entfernten Land. Es war sein erstes Feuerwerk, seit er aus Afghanistan zurück war. Er hatte ja keine Ahnung gehabt, dass er so darauf reagieren würde. (War das normal? Er war eine tickende Zeitbombe, soviel stand fest! Was, wenn er in der Nähe anderer Menschen gewesen wäre? Oh Gott. Oh Gott.) „Es ist okay“, murmelte Sherlock, keine Sekunde lang den Blick von ihm nehmend. Die Waffe entglitt Johns kraftlosen Händen. Er erinnerte sich nicht daran, sie Moriarty abgenommen zu haben. Geschweige denn, ihn erschossen zu haben. Oder die Waffe anschließend auf Sherlocks Kopf gerichtet zu haben. Er hätte Sherlock erschießen können! „Es tut mir leid“, flüsterte er und nichts in seiner Stimme kam ihm bekannt vor. Das war nicht John Watson. Da sprach ein Mann, der auseinander zu fallen drohte und der nur noch von einem Paar Hände an seinem Kopf zusammengehalten wurde. Er hob die Arme und legte die eigenen Hände auf Sherlocks. Ignorierte den gebrochenen Knochen. „Es tut mir leid. Es tut mir leid.“ Sherlock durfte ihn jetzt nicht loslassen. Wieder und wieder explodierte der Himmel in neuen Lichtern. Johns Augen wussten nicht, wohin sie sehen sollten. Seine Ohren schmerzten. Zuviel Input. Es klang wie Bomben, Detonationen, Chaos, Zerstörung, Tod. Sein Verstand sagte ihm, dass davon keine Gefahr ausging, aber sein Körper und sämtliche Instinkte schrien ihn an, Deckung zu suchen und Sherlock zu beschützen. „Sieh mich an, John.“ Er folgte der Aufforderung und fixierte Sherlock. Unter seinem Blick schien er neu zusammen gefügt zu werden, wie ein falsch gelöstes Puzzle. Er fühlte, wie sein Herzschlag sich etwas beruhigte und die Panikattacke ihn langsam aus ihren Klauen entließ. Er wusste nicht, wie lange sie so voreinander hockten und wie oft Sherlock ihn daran erinnerte, den Blick nicht abzuwenden. Er wusste auch nicht wie oft er sich entschuldigte und was für Unsinn seinen Mund sonst noch verließ, doch irgendwann wurden die Explosionen über ihnen weniger und John schloss erschöpft die Augen. Ein feuchter Druck auf seinen Lippen gab ihm einen Anker, an den er sich dankbar klammerte. Als die Polizei (Sekunden, Minuten, Stunden) später das Dach stürmte, kauerten sie noch immer auf dem Boden und John brauchte eine weitere Ewigkeit, ehe Sherlock gefahrlos die Hände sinken lassen konnte.  Sie wurden nach unten begleitet, um sich medizinisch versorgen zu lassen. Während der Behandlung wich Sherlock nicht von Johns Seite.  Lestrade würde später Folgendes in seinen Polizeibericht schreiben: J. Moriarty bedrohte J. Watson mit einer Waffe. Das Neujahresfeuerwerk überraschte beide Beteiligte und J. Watson versuchte, J. Moriarty zu überwältigen. In dem folgenden Handgemenge löste sich ein Schuss, der J. Moriarty tödlich traf. Mit keinem Wort wurde erwähnt, dass die Waffe John Watson gehörte. Ebenso wenig stand in dem Bericht, dass die Hand des Schützen nicht gezittert hatte und dass die tödliche Kugel direkt in Moriartys Herz eingedrungen war. [tbc] Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)