Blutrache von Xanokah ================================================================================ Prolog / Unterbrechung I ------------------------ PROLOG / UNTERBRECHUNG I "Mama, wann kommt Papa wieder?" Blätter tanzten in der Luft, in Paaren, manchmal auch zu dritt, zu viert, ließen sich von einer sanften Brise treiben, während sie langsam zu Boden glitten. Der Abend brach herein, der Himmel nahm die Farbe der Dämmerung an, ein zartes Rosa gab sich durch die Baumkronen zu erkennen, die Takigakure fast vollständig überschirmten. Innerhalb des Dorfes war eine Grabesruhe eingekehrt, anders, als in den letzten Tagen, an denen sich Chizuru kaum noch vor den Aufständen und den wüsten Beschimpfungen retten konnte. Zahlreiche Dorfbewohner hatten vor ihrem kleinen Wohnhaus gestanden, die Fenster eingeschlagen, Morddrohungen hinterlassen. Doch heute war es ruhig. Keiner der Dorfbewohner wünschte ihr und ihrem Sohn nun den Tod, keine Steine wurden durch die nun glaslosen Fenster geworfen. Stille. Chizuru saß am Esstisch, das Abendessen, welches aus nicht mehr als einer spärlichen Portion Reis bestand, vor sich aufgetischt, für zwei Personen. Das Gesicht vergrub sie in ihren Handflächen, jedoch weinte sie nicht, wie an den Tagen zuvor, an denen sie so viele Tränen vergossen hatte, dass diese einen ganzen Brunnen füllen konnten. Sie hatte sich leer geweint, nachdem sie realisierte, dass er nicht mehr zurückkommen würde. "Mama, wann kommt Papa wieder?" Ihr gegenüber saß ein Junge, zu jung um zu verstehen, der fragend in die schweren Augen seiner Mutter blickte und es sichtlich bereute, den Mund überhaupt aufgemacht zu haben. Er wird nicht mehr wieder kommen. "Morgen bestimmt...", antwortete Chizuru mit dünner Stimme, ein gebrochenes Lächeln auf den Lippen. Er wird nicht mehr wieder kommen. Kazu, ihr Sohn, nickte und sah auf die bisher unberührte Schüssel Reis, zu jung um zu verstehen, jedoch alt genug, um zu begreifen, dass seine Mutter ihn anlog. Schweigend vergingen Sekunden, Minuten, schweigend mieden die beiden jeglichen Blickkontakt, das Essen unberührt vor ihnen auf dem Tisch. Die Zeit verstrich, aus der Dämmerung wurde Nacht, ohne auch nur ein einziges mal aufzusehen, stand Kazu auf und verließ den Raum. "Ich gehe ins Bett", gab er mit kaum mehr als einem Murmeln kund, erreichte Chizuru kaum mit seinen Worten. "Kazu...", wandte sich Chizuru mit einem wehmütigem Blick an den Jungen, welcher schon längst im Gang verschwunden war. Chizuru hasste sich dafür, ihn Tag ein, Tag aus anzulügen, wie viel Zeit mag wohl vergangen sein, seit dem er weg war, drei Monate, vier Monate? Und doch erschien es ihr so, als wäre es erst gestern gewesen, als Tomoyo die Nachricht überbrachte, man hätte ihn eingesperrt, würde ihn für sein Versagen bestrafen. Eine Nachricht, die sich wie ein Lauffeuer im Dorf verbreitete, lodernd, wütend, alles um sich herum in Brand steckte und zum Brandherd lockte, ihr Leben zur Hölle machte. Dieser Brandherd war Chizuru. Oder Tomoyo? Oder gar er? Ein wütender Mopp verschiedener Dorfbewohner versammelte sich seither vor ihrem Haus, tuschelte hinter ihrem Rücken, scheute sich auch nicht vor Steinen. Heute Nacht jedoch war es ruhig. Vielleicht hat Tomoyo sie beruhigt, so wie er es versprochen hat, dachte Chizuru. Mit einem leisen Seufzer auf den Lippen stand sie auf, räumte die Reisschüsseln vom Tisch und ging auf das Fenster im Esszimmer zu, um es zu schließen. Ein sanfter Windhauch strich ihr über die Wange, von diesem Fenster aus hatte man einen guten Blick auf das Dorf, normalerweise brannten um diese Uhrzeit noch allerhand Lichter, doch am heutigen Abend breitete sich Finsternis im Dorf aus. Ein unangenehmes Gefühl beschlich die junge Frau am Fenster, von einem Tag auf den anderen schien sich alles um sie herum verändert zu haben. Sie zog die Vorhänge zu, durch die eingeschlagenen Scheiben drang der kalte Wind auch weiterhin in den Raum und ließ den Stoff der Vorhänge leicht im Wind tanzen. Mit einem misstrauischem Blick über die Schulter drehte sie sich um, auf dem Weg den Raum zu verlassen, schlafen zu gehen, angenommen, sie könnte dies. Doch dieser eine Blick zum Fenster, diese eine Sekunde, war da etwas? Chizuru blieb stehen, machte auf dem Absatz kehrt, das Gesicht nun zu den im Wind tanzenden Vorhängen gewandt. Sie glaubte, nein, sie war sich sicher, dort einen Schatten, einen Menschen, gesehen zu haben. Lautlos schlich diese Person nun im Raum umher, immer dort, wo ihn Chizurus Blicke nicht erreichten. Sie drehte sich, versuchte, alle Richtungen gleichzeitig im Auge zu behalten, sie spürte es, spürte die Mordlust, die hinter diesem Schatten lag. Deswegen also. Deswegen keine Aufstände vor ihrem Haus, deswegen diese unnatürliche Stille. Dieser Gedanke durchfuhr sie wie ein Blitz, warum blieb sie da noch wie angewurzelt stehen? Sie stürmte aus dem Raum in den Gang, sie musste zu ihrem Sohn, musste fliehen. Doch der Schatten, der Ninja, der auf sie angesetzt war, der gekommen war, um sie zu töten, war schneller. Ein kleiner Gegenstand rollte vor Chizurus Füße, mit einem lauten Knall explodierte dieses Etwas und dichter Rauch erfüllte den nur schwach beleuchteten Gang, brannte sich in die Augen der jungen Frau, zwang sie in die Knie. "Mama?", eine vertraute Stimme drang an Chizurus Ohr, leise Schritte kamen immer näher, fanden den Weg jedoch nicht zu ihr. "Kazu, du musst wegrennen", rief Chizuru, kaum hörbar, von ihrem eigenen Husten übertüncht. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, sei es nun von der Rauchbombe oder da sie erkannte, dass sie sich in einer Situation ohne Ausweg befanden. Ihr Sohn rief weiter nach ihr, die Stimme fast blockiert durch die Gase, die in die Lunge eintraten, die Augen blind vor Rauch. Ein kleiner Junge konnte nicht allein fliehen, nicht aus diesem Dorf. "Bitte, bitte verschont ihn. Er hat nichts getan!", flehte Chizuru den unbekannten Attentäter an, wohl wissend, dass er dieses Trauerspiel in vollsten Zügen genoss, den Gnadenstoß hinauszögerte, nur um Mutter und Kind leiden zu sehen. Ihr Sohn sollte Leben. Ihr Sohn sollte Leben. Das war der einzige Gedanke, der in ihrem Kopf kreiste. Kazus Vater lebte noch, Chizuru wusste das, er würde bald zurück kommen und Kazu mitnehmen, weit weg von diesem Dorf. Ihr Sohn sollte Leben. Ihre Zähne bohrten sich in ihre Unterlippe, hinterließen dort blutrote Stellen, aus denen keine Sekunde später kleine Wunden wurden, sie ballte ihre Fäuste, stieß einen Schrei der Verzweiflung, des Wutes, aus, raffte sich auf und... Das Husten verstummte. Nicht ihr eigenes. Das ihres Sohnes, das Kazus. "Kazu?" Keine Antwort. "... Kazu?" Unfähig, auch nur noch einen weiteren Gedanken zu fassen, stand sie auf, schwerfällig, schockiert, auf unsicheren Beinen, Tränen liefen ihre Wangen herab, vermischten sich mit dem Blut, welches aus ihrer Unterlippe trat. Ihr Sohn war tot, Chizuru würde die nächste sein. Sie spürte bereits die Anwesenheit des Attentäters, wie er langsamen Schrittes auf sie zu kam, ein hämisches Grinsen im Gesicht, fühlte das kalte Metall des Kunais an ihrer Kehle und wie es diese mit einem sauberen Schnitt durchtrennte. Atemlos glitt sie wieder zu Boden, die rote Flüssigkeit, die aus der Wunde an ihrem Hals klaffte, tränkte ihre Kleidung, ihr Haar. In ihrem letzten Moment erblickte Chizuru ihren Sohn, der ihr direkt gegenüberlag, die Augen weit aufgerissen, blutüberströmt, lautlos um Hilfe schreiend. Und dann wurde alles schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)