Collection II von Lydel-chan (Kurzgeschichten) ================================================================================ Kapitel 20: Death ----------------- 30. Dezember 2013 Langsam öffne ich meine Augen, sie brennen wie Feuer. Jede Stelle meines Körpers schmerzt, als ich mich bewege. Blinzelnd sehe ich mich um. Ich bin in meiner Wohnung, in meinem Bett. Ein lautes Poltern lässt mich richtig hochschrecken. Mein Herz hämmert gegen meine Brust, als ich, in die nun wieder herrschende Stille, lausche. Plötzlich kann ich Koichis Stimme vernehmen. Er spricht hastig und scheint aufgebracht zu sein. Dann vernehme ich auch Meto und Mia, sie versuchen ihn zu beruhigen. Was ist da los? Wieso sind die anderen überhaupt in meiner Wohnung? Ich quäle mich aus dem Bett und öffne die Tür, welche mich von den anderen trennt. Im Flur stehen überall Kisten. Es sieht fast so aus, als wäre ich gerade erst eingezogen. Oder ziehe ich aus? Das hatte ich überhaupt nicht geplant. Mit leisen Schritten gehe ich zur Küche, von wo ich die Stimmen vernehme. Ich stelle mich in den Türrahmen und sehe zu den anderen. Heult Koichi etwa? Sie sind tatsächlich dabei mein Zeug in Kisten zu packen. Was soll das? „Wieso müssen wir das überhaupt machen?“, fragt Koichi aufgebracht und verräumt ein paar Tassen. „Ich hatte mir geschworen, dass ich nie wieder einen Fuß in diese Wohnung setze.“, lässt er die anderen wissen. Aber wieso nicht? Hab ich ihm irgendwas getan? Nicht, dass ich mich erinnern kann. „Seine Eltern haben eben keine Zeit. Irgendjemand muss es machen.“, setzt Mia zu einem Erklärungsversuch an. Im Gegensatz zu Koichi scheint er ganz ruhig zu sein. Aber ich glaube das täuscht, denn seine Hände zittern. Ich werfe einen Blick zu Meto. Eine Zigarette klemmt in seinem Mundwinkel, die Asche lässt er einfach fallen. Spinnt der? Das macht er selber wieder sauber! Doch jetzt zieht auch er die Nase hoch. Seine Augen glänzen feucht. Was zum Teufel ist hier los? „Hey, was macht ihr da?“, frage ich in die Runde. Keine Reaktion. „Hey! Meine Wohnung zu plündern, ohne mit mir darüber zu reden, gilt nicht!“, sage ich jetzt etwas lauter. Keine Reaktion. Noch ein paar Mal versuche ich die anderen anzusprechen, doch sie ignorieren mich komplett. Als es mir zu bunt wird, gehe ich einfach zu Koichi und tippe ihm auf die Schulter. Vor Schreck lässt er zwei Suppenschüsseln fallen. Schnell dreht er sich um, doch er scheint durch mich hindurch zu sehen. „Meto, das ist nicht witzig!“, blafft er unseren Drummer an. Der sieht ihn nur verständnislos an. „Wenn du das nochmal machst, fängst du dir welche!“, knurrt er. „Was hab ich denn gemacht?“, will Meto jetzt wissen. „Du hast mich angetippt, wie Tsu es immer gemacht hat!“ Einen Moment sehen die beiden sich dann stumm an, bis Meto wieder das Wort ergreift. „Du spinnst ja komplett.“, murrt er nur und kümmert sich weiter darum die Kisten zu verkleben. „Was hast du gesagt?!“, will Koichi wissen und geht auf den Jüngeren los. Mia bringt die beiden schnell wieder auseinander, schnappt sich Koichi und geht mit ihm nach draußen. Meto hockt währenddessen wie ein Häufchen Elend an meinem Küchentisch. Ich setze mich ihm gegenüber, aber er scheint mich nicht zu bemerken. Er zieht das Dach seines Cappys ein bisschen weiter in sein Gesicht. Seine Augen kann ich jetzt nicht mehr sehen, aber dafür die Tränen, die an seinen Wangen entlang laufen. Was ist hier nur los? Tröstend lege ich eine Hand auf die von Meto, welche auf dem Tisch liegt. Erschrocken zieht er sie schnell zurück und sieht in meine Richtung. Seine Augen sind geweitet und rot unterlaufen. Für einen Moment habe ich das Gefühl, er würde mich sehen. „Sprich endlich mit mir.“, bitte ich leise. Aber kein Wort kommt über seine Lippen. Er wischt sich kurz über die Augen, dann steht er auf und verlässt die Küche. Langsam folge ich ihm. Ganz langsam, Schritt für Schritt, geht er auf mein Schlafzimmer zu. Ich betrete es mit ihm und jetzt sind es meine Augen, die sich vor Entsetzen weiten. An der Wand, hinter dem Kopfende meines Bettes, ist ein großer Blutfleck. Es sieht so aus, als wäre es gegen die Wand gespritzt und dann jemand daran herunter gerutscht. Überall stehen Weinflaschen und einige Päckchen Tabletten liegen auf meinem Nachtschrank. So sah es hier doch eben noch nicht aus! Meto setzt sich auf den Bettrand, darauf bedacht das Blut nicht zu berühren. Er mustert den Fleck an der Wand einige Minuten lang. „Wieso Tsu?“, flüstert er dann leise. „War dir alles so zuwider? Wo zum Teufel hattest du die Waffe her, hm? Nicht mal nen Brief als Erklärung hast du uns gelassen. Koichi verliert langsam den Verstand und jetzt geht es bei mir auch los.“ Was soll das alles bedeuten? Was meint er damit? Was für eine Waffe? Was für ein Brief? Langsam steht er wieder auf und geht um das Bett herum. Dabei stößt er mit dem Fuß eine Flasche um, doch darum kümmert er sich nicht. Er nimmt ein Handtuch aus dem Schrank und geht damit zur anderen Bettseite, auf welcher sich nicht ganz so viel Blut befindet. Er breitet das Handtuch darauf aus und legt sich dann hin. Er bleibt einfach so da liegen und starrt auf das rot gefärbte Laken. Mein Blut? Was hab ich nur getan? Wieso? Ich laufe eine Straße entlang. Sieht aus, wie mein Heimweg. Ich schwanke bedächtig. Ab und zu muss ich mich an einer Hauswand abstützen. Ich versuche mir eine Zigarette anzuzünden, doch das gelingt mir, in meinem Zustand, nicht mehr. Wütend werfe ich die Zigarette und das Feuerzeug von mir und setze meinen Weg fort. Es dauert einen Moment, bis der Schlüssel im Schloss steckt. Ich öffne meine Wohnung und falle direkt über ein paar Flaschen. Ich trete sie beiseite und schlüpfe aus meinen Schuhen. Ich gehe weiter in die Küche und nehme mir eine Weinflasche aus dem Schrank. Ich öffne sie und nehme sie mit ins Wohnzimmer. Dort schalte ich den Fernseher an und lasse mich auf die Couch fallen. Wie immer liegt eine Schachtel Zigaretten auf dem Tisch. Ich nehme sie und stecke mir einen der Glimmstängel in den Mund. Ich schiebe meine Finger zwischen die Polster der Couch und fummle ein Feuerzeug hervor, womit ich die Kippe anmache. Es kommt ein Bericht über unsere Band. So aufmerksam ich kann, verfolge ich ihn. „Ist doch alles gelogen…alles gelogen!“, nuschle ich. Meine Zunge fühlt sich beim Sprechen sehr schwer an. Ich ziehe an der Zigarette und trinke einen Schluck Wein nach. Es läuft zurzeit einfach nicht rund. Es liegt nicht an uns als Band. Die Umstände rundherum machen uns einfach zu schaffen. Hassmails verstopfen noch dazu mein Postfach. Ich hab es so satt jeden Tag die gleiche Scheiße zu lesen. Ich fresse nur noch Beruhigungstabletten und saufe literweise Wein. Was anderes krieg ich nicht runter. Neulich war es sogar so schlimm, dass ich zu spät zu einer wichtigen Besprechung kam. Mein Leben läuft aus dem Ruder. Ich renne immer wieder ungebremst gegen eine dicke Mauer und warte nur darauf, dass mein Schädel endlich knackt. Den letzten Schluck Wein trinkend, trotte ich in mein Schlafzimmer. Dort lasse ich die Flasche einfach fallen und setze mich auf mein Bett. Ich öffne die Schublade meines Nachtschränkchens und greife hinein. Heraus hole ich eine Pistole. Sie ist schwarz und liegt gut in der Hand. Federleicht irgendwie. Ich rutsche richtig auf mein Bett und lehne mich an die Wand über dem Kopfende. Noch einmal sehe ich mir die Waffe von allen Seiten an. Ich prüfe nach, ob eine Kugel vorhanden ist. Mein Körper fängt an zu beben. Er wird von meinen aufkommenden Tränen geschüttelt. So sehr, dass sich eine Gänsehaut auf ihn legt und er beginnt zu schmerzen. Ich weine, ich weine laut, so laut, dass ich Angst habe, die Nachbarn könnten mich hören. So viel angestauter Frust. So viel angestaute Wut. So viel angestaute Angst. So viel angestaute…Einsamkeit. Denn so sehr sie es auch wollen, die anderen können mir einfach nicht helfen. Die Freundschaft zu ihnen reicht einfach nicht mehr aus, um all diese schlechten Gefühle zu verdrängen. Ich brauche jemanden, in dessen Armen ich mich verkriechen kann, wie ein kleines Kind. In dessen Armen ich weinen kann und mich so klein machen kann, bis ich ganz verschwinde, bis mich keiner mehr findet. Die, von denen ich dachte, sie könnten derjenige sein, liefen davon. Sie kannten nur meine starke Seite und hatten Angst vor meiner schwachen, verletzlichen Seite. Sie waren selber zu schwach, um mir eine Stütze zu sein. Es kam ihnen sicher vor, als würden sie unter Wasser gedrückt und würden langsam ersticken. Ja, ich hab sie mit meinen Problemen erdrückt. Es waren einfach zu viele und zu große. „Es tut mir leid.“, flüstere ich leise. Dann stecke ich mir die Waffe in den Mund und drücke ab. Mit, vor Entsetzen, geweiteten Augen starre ich zu meinem Bett, auf welchen Meto immer noch liegt. Ich erinnere mich. Ich habe es wirklich getan. Jetzt kommt Mia zurück. Koichi hat er nicht dabei. Er geht zu Meto. „Meto, raus aus dem Bett.“, sagt er mit leiser Stimme und zieht den Jüngeren langsam auf die Beine, doch die wollen ihn nicht so recht tragen, weswegen Mia ihn stützen muss. Sie verlassen zusammen die Wohnung. Jetzt ist es ganz dunkel und ganz still. Nur das leichte Licht, welches durch die Lücken der Vorhänge dringt, erhellt den Blutfleck vor mir an der Wand. „Es tut mir leid.“, flüstere ich in die Dunkelheit und schließe meine Augen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)