1000 und ein Neuanfang von Plotchaser ================================================================================ Prolog: -------- „Hey, Kira! Hast du was von Kim und Jane gehört?“ „Hm? Ich? Nein. Ich hab sie auch schon seit Tagen nicht mehr gesehen...“ Das blondhaarige Mädchen hatte kaum das Haus betreten, da war ihr auch schon Justin entgegen gekommen und hatte sie an der Haustüre abgefangen. Dieses 3 Stockwerke hohe Haus stellte so etwas wie eine WG dar. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die darin lebten, kannten sich schon länger und hatten es für die beste Idee gehalten, zusammen zu legen und dieses Haus zu kaufen. So konnte jeder seinen Teil beitragen und niemand musste alleine schauen, wie er mit einem Haus zurecht kam. Kim und Jane waren schon seit 3 Jahren ein Pärchen und hatten ein gemeinsames Zimmer im 1. Stockwerk. Für gewöhnlich traf man sie immer zu zweit an und es war selten, dass sie kommentarlos verschwanden und wirklich niemand darüber Bescheid wusste. Nun waren jedoch schon 3 Tage vergangen, in denen die beiden nicht nach hause gekommen waren. Da Wochenende gewesen war, hatte sich niemand sonderlich viele Gedanken darüber gemacht. Doch jetzt, wo es bereits Montagabend war, fingen die ersten an, sich wirkliche Sorgen zu machen. Und auch wenn Kira vielleicht nicht so wirkte, so machte auch sie sich Gedanken darüber, was wohl passiert sein mochte. „Hat schon jemand von euch bei ihren Arbeitgebern nachgefragt?“ Der Junge mit den rotbraunen Haaren verdrehte die Augen bei dieser Frage und seufzte leicht genervt. „Das ist es doch gerade... Sie waren nicht auf ihrer Arbeit! Ihre Chefs haben beide hier angerufen und Chris hat ihnen nur sagen können, dass wir auch nicht wissen, was los ist.“ Ein wenig skeptisch betrachtete die Blonde ihren Gegenüber und kratzte sich an der Wange. Es musste wirklich etwas passiert sein, wenn sie nicht einmal zur Arbeit gingen. Immerhin wusste jeder, dass sie ihre Jobs liebten. „Mhm... Lass mich erst mal rein kommen, vielleicht melden sie sich ja noch.“, auch wenn Kira nicht wirklich daran glaubte. Trotz allem ging sie an dem Jungen vorbei, ins Wohnzimmer und knipste den Fernseher an, um die Nachrichten an zu sehen. Vielleicht waren die ja hilfreicher... „... Viele ehemals drogenabhängige Jugendliche haben hier einen Neuanfang gefunden. Ebenso nennt sich auch das Projekt dieser Organisation. Denn es heißt '1000 und ein Neuanfang'. Hier können die Jugendlichen einen Neuanfang starten. Sie bekommen eine Ausbildung und Arbeit. Niemand muss hier angst haben, wieder auf der Straße landen zu müssen...“ Die Stimme der Nachrichtensprecherin erregte Kiras Aufmerksamkeit und so unterließ sie es, den Blick auch nur kurz abzuwenden, um sich ein Glas zu trinken einzuschenken. Doch als die Kamera von der Nachrichtensprecherin weg schwenkte und ein paar Jugendliche zeigte, stockte dem Mädchen der Atem und sie riss die Augenbrauen hoch. „J-Justin...!“, kam es leise stotternd von der Blonden, um auch die Aufmerksamkeit des Jungen auf den Bildschirm zu richten. „Das... Das sind ja Kim und Jane!“, entfuhr es Justin mit einem Mal, als sein Blick kurz über die Jugendlichen gehuscht war. „Aber... Was suchen die dort? Sie sind weder Drogenabhängig, noch brauchen sie eine neue Ausbildung oder einen neuen Job!“ Erbost wandte er sich Kira zu, die noch immer den Nachrichten lauschte, ehe der Beitrag zu Ende war und sie den Fernseher wieder ausstellte. „Ich weiß es auch nicht, Justin. Aber irgendetwas kann da nicht stimmen...“ Kapitel 1: Wartezimmer ---------------------- Nachdem Kira und Justin den anderen der WG ihre Erkenntnis unterbreitet hatten, hatten sie beschlossen, dem Ganzen am nächsten Wochenende auf den Grund zu gehen, immerhin waren auch sie alle arbeitstätig oder gingen zur Uni oder auf andere weiterführende Schulen. Und als es endlich Samstag war, quälten sich auch die Langschläfer früh aus dem Bett. Immerhin wollten sie dieser 'Organisation' einen Besuch abstatten, um mit Kim und Jane zu reden. Als die 6 Freunde jedoch an das eingezäunte Gelände kamen, bekamen sie bereits ein ungutes Gefühl. Irgendwie hatte das Gebäude in den Nachrichten einladender gewirkt. Wenn man es nun in real betrachtete, machte es den Eindruck einer Jugendstrafanstalt. Die Tore waren geschlossen und man musste erst klingeln, während jemand sie durch eine Überwachungskamera erst einmal abcheckte. „Ich hab kein gutes Gefühl dabei...“, murmelte ein dunkelblonder Junge hinter Chris und Kira, die voraus gingen. „Und genau deswegen müssen wir dort rein und herausfinden, was die beiden hier hält!“, murrte ihn daraufhin ein schwarzhaariges Mädchen an. Ihre langen Haare fielen ihr halb ins Gesicht, während sie das Gebäude misstrauisch betrachtete. „Mhm~... Wir kennen die beiden ja immerhin lange genug, da muss etwas faul sein... Also reiß dich zusammen, Sam, und komm jetzt!“, mischte sich wiederum ein anderes Mädchen ein, deren rote Locken sich auffällig von ihrer blassen, mit Sommersprossen verzierten, Haut abhoben. Während die 3 sich miteinander unterhalten hatten, hatte Chris über die Freisprechanlage ihr Anliegen geschildert, dass sie gerne mit zwei Freunden reden wollten. Nach einem kurzen Hin und Her hatte man eingewilligt, sie herein zu lassen und auch endlich das Tor geöffnet. Mit einem elektronischen Surren war dieses auf geschwungen und kaum, dass die 6 hindurch getreten waren, hatte es sich wieder geschlossen. „Ich will hier gar nicht sein...“, murmelte Sam erneut missmutig und schaute auf das verriegelte Tor zurück. „Das kann nicht gut gehen, nein, das kann es nicht...“ Kira wurde langsam ungeduldig. Sie waren hereingebeten worden, hatten sich in einer Eingangshalle wiedergefunden und mussten nun schon seit – bestimmt – 15 Minuten warten. Allmählich hielt sie die ganze Warterei nicht mehr aus und lief unruhig auf und ab. Da ertönten endlich Schritte, die sich ihnen rasch näherten. Überrascht erblickte die Blonde einen Mann im mittleren Alter, der in einem Arztkittel auf sie zu kam. Allein dies lies zwischen ihren Augenbrauen eine tiefe Kerbe entstehen, als sie die Augenbrauen misstrauisch zusammen zog. „Entschuldigen Sie bitte, dass wir Sie so lange haben warten lassen. Mein Name ist Doktor Sarbia.“, entschuldigte sich der Kerl in Weiß direkt und reichte Chris als erstes eine Hand, ehe er die Runde machte. Bei Kira blieb sein Blick kurz hängen, da ihre verschiedenfarbigen Augen seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatten. Doch schnell riss er sich wieder von ihr los und räusperte sich, um diesen Vorfall zu überspielen. „Ich habe erfahren, dass Sie 2 unserer Mitglieder besuchen wollen? Wie waren noch gleich die Namen?“ Der Blick des Doktors wanderte, über seinen Brillenrand hinweg, wieder zu Chris, der ihm noch immer am nächsten stand. „Die Namen der beiden sind Jane Christel und Kim Trinian.“ Während der Junge mit den dunkelbraunen Haaren die Namen nannte, überflog Doktor Sarbia eine Liste von Namen, die er auf einer Klemmmappe mit sich führte. Kira versuchte einen Blick darauf zu erhaschen, doch hatte der Arzt die Klemmmappe zu schnell wieder zugeklappt. „Ah, ja, die beiden, die seit Samstag zu unseren Mitgliedern gehören.“, nickte er, als wollte er sich selbst bestätigen. „Wenn Sie mir folgen wollen, dann führe ich Sie in einen Warteraum, während ich die beiden hole. Dort ist es um einiges gemütlicher, als hier auf dem Flur.“ Auf den Lippen des Doktors lag ein leichtes Lächeln, doch Kira vermutete, dass dieses nur aufgesetzt war, um die Gruppe zu besänftigen, da sie schon wieder warten mussten. Doch Chris stimmte der Warterei zu und so begaben sich die 6 Freunde in einen Raum, der einige Meter weit von der Eingangshalle entfernt war. Nahe genug, dass es gerade mal der zweite Raum war, den es in dem Flur gab, der durch eine Glastüre vom Eingangsbereich getrennt war. Wenn auch widerwillig, so betraten doch alle das Zimmer, ehe hinter ihnen die Tür geschlossen wurde. „Und wieso müssen wir jetzt schon wieder warten? Er hätte uns doch gleich zu ihnen bringen können!“ Luna brach als erste das Schweigen, während sie ihre schwarzen Haare hinter das Ohren strich und sich in dem weißen Raum umsah. „Und was soll überhaupt an diesem Raum so 'gemütlich' sein? Da war mir sogar die Eingangshalle lieber!“ Mit mürrischem Blick wanderte das Mädchen durch den Raum und inspizierte ihn von Grund auf. In diesem – beinahe steril wirkenden – Raum befanden sich gerade mal zwei harte Sofas und ein Tisch. Um diesen Tisch herum standen 4 Stühle, die an beide Längsseiten gestellt waren. Ansonsten gab es hier drinnen nichts. Auch wenn der weiche Teppich einladender wirkte, als die kalten Fliesen der Eingangshalle. Als sich Luna weiter umschaute, entdeckte sie eine Überwachungskamera, die direkt neben dem Belüftungsschacht hing. Nachdenklich legte sie den Kopf kurz schief, dann wandte sie sich jedoch ab und warf sich – mit vor der Brust verschränkten Armen – auf eines der Sofas. „Ich wette, die lassen uns wieder ewig warten!“, maulte sie dann jedoch weiter, als gäb es keine anderen Probleme. Justin jedoch verdrehte die Augen, ehe er eine Augenbraue anhob. „Tja, wenn du einen Plan hättest, wo sich Kim und Jane aufhalten, dann könnten wir uns auch direkt zu ihnen auf den Weg machen. Immerhin sind wir hier keine Gefangenen, die in diesem Raum bleiben müssen.“, doch als der Junge die Türklinke zur Demonstration herunterdrückte und die Tür öffnen wollte, blieb diese an Ort und Stelle und rührte sich keinen Millimeter. Verwirrt probierte er es erneut. „Oder... doch?“ So langsam dämmerte es auch den anderen. Was wäre, wenn sie nur zum Schein hier herein geführt worden waren und sie nun ebenso in der Versenkung verschwinden würden, wie es mit Kim und Jane geschehen war? „Die werden uns irgendwas antun...“, kam es mit leisen, jedoch panischen, Worten von Sam, ehe Cathy ihn schnappte und auf das Sofa drückte. „Hey! Das werden sie nicht. Wir sind nur hier, um mit jemandem zu reden. Immerhin sind wir keine Verbrecher. Vielleicht war es ja nur ein Versehen, dass sie uns hier eingesperrt haben.“, doch in den grünen Augen der Rothaarigen erkannte man, dass sie selbst nicht an solch einen Zufall glaubte. „Es bleibt uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Also, kommt, setzt euch hin.“ Chris war an Cathy und Sam vorbei gegangen und hatte sich auf die Couch gesetzt, auf der bereits Luna saß. Justin jedoch hatte sich neben der Tür an die Wand gelehnt und die Arme verschränkt. Er würde sich nicht hinsetzen und auf irgendetwas warten, wenn sie hier eingesperrt waren. Niemals. Kira jedoch hatte erneut damit angefangen, in dem Raum auf und ab zu gehen, während man an ihrem angestrengten Blick erkennen konnte, dass sie über den Doktor und das hier nach zu denken schien. Doch nach einigen Minuten blieb die Blonde plötzlich stehen und stützte sich mit einer Hand am Tisch ab, während sie sich mit der anderen an die Schläfe langte. Ihr Blick ging durch die Runde. Alle schienen etwas müder geworden zu sein. Justin hatte sich mit vorsichtigen Schritten zu ihr begeben, da er sich nicht sicher war, ob bei einem normalen Gang ihm die Knie nachgeben würden. „Ist alles in Ordnung mit dir, Kira...?“, seine Stimme war leise und klang geschwächt, was das Mädchen hastig zu dem Jungen herumfahren lies. Doch ehe sie ihn betrachten konnte, wurde ihr für einen Moment schwarz vor den Augen und sie stolperte vorwärts. Justin fing sie behände auf, kam jedoch selbst ins Straucheln. „Irgendwas stimmt hier nicht...“, murmelte die Blonde, in seinen Armen, ehe ihr Verstand sich vollends hinter einen dichten Nebel schob und sie nichts mehr um sich herum mit bekam... Kapitel 2: Erwachen ------------------- Es war bereits wieder Tag, als Kira endlich wieder die Augen öffnete. Träge lies sie den Blick durch den weißen Raum wandern und lauschte dem stetigen Piepen des EKG's, an das sie angeschlossen war. Der Raum erinnerte sie an ein Krankenhauszimmer und die ganzen Schläuche und Kabel, die an ihr befestigt waren deuteten ebenso darauf hin. Doch wie war sie hier her gekommen und warum war sie hier? Der Blick der Blonden ruhte auf der gleichmäßig auslaufenden Anzeige des EKG's, während sie sich zu erinnern versuchte. Ihre Erinnerungen hingen hinter nebelhaften Schleiern und so tat sie sich schwer damit, auch nur etwas zu erhaschen. Und mit einem Mal fiel es ihr wieder ein: Es war Samstag gewesen, als sie mit den Anderen zu dieser Organisation gegangen waren, um mit Kim und Jane zu reden. In Kiras Ohren hörte sich das schneller werdende Piepen bedrohlich an und sie begriff im ersten Moment nicht, weshalb es so war. Erst als sie realisierte, dass ihr Herzschlag im selben Takt schlug, lies sie den Blick wieder durch den Raum schweifen, um etwas herunter zu kommen. Wo waren nur die Anderen? Das Erwachen des Mädchens war nicht unbemerkt geblieben. Immerhin waren die Räume in dieser Einrichtung alle überwacht. Natürlich nur, für den Fall der Fälle. Doch nun hatte sich Doktor Sarbia persönlich auf den Weg gemacht, um nach dem Mädchen zu sehen. Immerhin war er ja – mehr oder minder – irgendwie daran Schuld, dass sie hier lag. Ohne zu klopfen betrat der Doktor den Raum und er sah, wie die Blonde ruckartig den Blick auf ihn richtete und irritiert zu sein schien. Sie saß aufrecht im Bett und hatte wohl bis eben noch die Apparaturen betrachtet, die an ihr angeschlossen waren. In ihren Augen konnte man sehen, wie sie den Älteren wiedererkannte. Doch konnte Doktor Sarbia nicht einordnen, ob sie nur überrascht war oder sich fürchtete. „Schön zu sehen, dass Sie wieder wach sind, Miss Nighthale.“ Die Blonde schien darüber nach zu denken, wie sie seinen Satz auslegen sollte, was dem Doktor ein Grinsen auf die Lippen zauberte. „Sie waren die letzten 7 Tage in einem komatösen Zustand gelegen. Wir können uns selbst nicht erklären, was genau der Grund war. Sie sind einfach, aufgrund eines hohen Fiebers, ohnmächtig geworden, Miss Nighthale. Doch wissen wir nicht, was der Auslöser dieses Fiebers gewesen ist.“ Natürlich wussten sie, weshalb das Mädchen zusammengebrochen war. Sie hatten in den Raum ein Betäubungsmittel verströmt und einer nach dem anderen hatte sich schlafen gelegt. Doch waren sie auch alle wieder nach wenigen Stunden erwacht. Kira jedoch schien sich daran nicht mehr zu erinnern, da sie darauf hin erst wirklich – durch einen Fieberrausch – in einen komatösen Schlaf gefallen war. Wer hätte auch ahnen können, dass der Körper des Mädchens so empfindlich war? „Wo sind meine Freunde?“, in den verschiedenfarbigen Augen des Mädchens blitzte mit einem Mal Argwohn auf, was den Blick des Mannes wieder kälter werden lies. „Keine Sorge, Ihre Freunde sind wohlauf. Natürlich waren sie sehr um Sie besorgt.“ „Ich möchte sie sehen.“ Während der Blick von Doktor Sarbia neutral wirkte, wandelte sich Kiras Blick langsam unter Zweifeln hinweg. Sie wusste nicht, ob sie dem Mann im Kittel glauben sollte oder nicht. „Natürlich können Sie das. Jedoch werden Ihre Freunde erst Montag früh wieder zu Besuch kommen. Bis dahin müssen Sie sich leider etwas gedulden.“, der Arzt nickte dem Mädchen leicht zu. „Jetzt jedoch würde ich Sie gerne noch einmal untersuchen lassen, nur um sicher zu gehen, dass Sie auch wirklich wieder wohlauf sind, Miss Nighthale. Ich schicke eine Schwester her, die sich um alles kümmern wird.“ Da Kira ihm keine Antwort darauf gab, verabschiedete er sich einfach und verließ den Raum wieder. Eigentlich hatte er mehr Widerworte und Gegenwehr erwartet. Doch schien das Mädchen noch immer zu benommen zu sein, als dass sie sich gerade wirklich große Gedanken zu machen schien. Als die Schwester Kira von den Geräten befreite und sie in ein Labor brachte, in dem sie untersucht wurde, lies sie alles über sich ergehen. Ihr Körper fühlte sich sowieso zu schwach an, als dass sie sich großartig hätte wehren können. Stattdessen konnte sie ihren eigenen Gedanken nachhängen, während ihr niemand deswegen Beachtung schenkte. Sie war also bereits seit 7 Tagen in dieser Anstalt und somit musste heute wieder Samstag sein. Was auch immer geschehen war, sie konnte sich einzig daran erinnern, dass sie irgendwelche Albträume gehabt hatte, während sie in diesem komatösen Zustand gewesen sein musste. An genaue Bilder oder Szenen aus den Träumen konnte sie sich nicht erinnern. Doch schob sie die Träume dem Fieberdelirium zu, wenn sie denn wirklich Fieber gehabt haben sollte. Auch wenn sie – zumindest was diesen Teil betraf – diesem Doktor Glauben schenkte, so traute sie ihm noch immer nicht über den Weg. Ihr Unterbewusstsein riet ihr, dass sie auf ihn nur mit Vorsicht zugehen sollte, also wollte sie sich zumindest vorerst daran halten. Während Kira ihren Gedanken nachhing, folgte ihr Blick den Bewegungen der Schwester, die ihre Tests durchführte. Das Mädchen selbst verhielt sich kooperativ und lies die Frau gewähren. Als diese jedoch meinte, mit einer Spritze auf sie zugehen zu müssen, zuckte sie zusammen und hätte ihr beinahe die Spritze aus der Hand geschlagen. Mit einem Mal schlug ihr ihr Herz bis zum Halse. Sie hatte sich bei dem Anblick der Spritze an etwas erinnert, bei dem sie sich ziemlich sicher war, dass es kein Albtraum gewesen sein konnte. Es musste sehr wohl passiert sein. Man hatte ihr etwas gespritzt, danach erst hatte sie dieses Fieber bekommen. Und damit war sie sich mehr als nur sicher. „Haben Sie keine Angst. Ich möchte Ihnen nur etwas Blut abnehmen. Es wird auch nicht weh tun.“, die Schwester war sichtlich verwirrt durch Kiras Reaktion. Und erst als Kira erkannte, dass die Spritze auch wirklich leer war, lies sie sich wieder etwas in dem Stuhl zurück sinken und versuchte sich ein wenig zu entspannen. „Tut mir Leid, ich mag nur keine Spritzen...“, murmelte die Blonde und lies ihren Blick zur Seite wandern, damit sie die Spritze nicht sehen musste. Sie würde ihr bloß Blut nehmen, mehr nicht... Als die ganze Prozedur endlich beendet war, brachte eine andere Schwester Kira wieder auf ihr Zimmer. „Kann ich nicht zumindest in ein anderes Zimmer?“, versuchte sie ihren Missmut gegen den sterilen Raum auszudrücken. Doch schüttelte die Schwester nur den Kopf. „Heute noch nicht. Sie werden noch etwas unter Beobachtung bleiben müssen.“ Kapitel 3: Kennenlernen ----------------------- Weitere Tage waren vergangen, in denen Kira regelrecht in ihrem Zimmer eingesperrt gewesen war. Der Doktor hatte ihr eine Auswertung ihres Bluttests vorgelegt und auf dem – für sie unverständlichen – Blatt irgendetwas gezeigt, das nicht in Ordnung sein sollte. Laut Doktor Sarbia hätte sie wohl eine ansteckende Krankheit, die man mit verschiedenen Medikamenten besiegen wollen würde. Man hatte ihr zwar einen Namen genannt, doch hatte sie bei dem Latein nichts verstanden. Jedoch durfte sie in dieser Zeit – dank dieses Befundes – niemand besuchen und sie musste sich täglich Untersuchungen unterziehen und Medikamente nehmen. Eine Sache, die Kira sowieso nicht mochte. Da jedoch schon am ersten Tag bemerkt wurde, dass das Mädchen sich weigerte, die Medikamente einzunehmen, stand nun die Schwester so lange bei ihr, bis sie die Tabletten geschluckt hatte. Doch heute, am Dienstag, ganze 10 Tage nach ihrem Erwachen, kam Doktor Sarbia persönlich zu Kira ins Zimmer. Das Mädchen musterte ihn nur fragend. Jeder Argwohn – den sie noch vor einer Woche besessen hatte – schien wie weggeblasen. „Also, Miss Nighthale, ich darf Ihnen mitteilen, dass wir Ihre Krankheit eingedämmt und besiegt haben. Doch besteht ein Risiko, dass sie wieder ausbrechen könnte, also würde ich Sie gerne bitten, die Medikamente weiterhin zu nehmen.“, sprach der Mann die Worte mit einem gekünstelten Lächeln aus. „Da Sie jedoch – so gesehen – wieder wohlauf sind, würden wir Ihnen gerne ein anderes Zimmer anbieten. Wenn Sie möchten, können wir Sie gleich in Ihr neues Zimmer bringen.“ Als Kira sich noch einmal im Raum umsah, betrachtete der Ältere sie kritisch, doch nickte das Mädchen dann folgsam und so führte er die Jüngere in einen anderen Trakt. Mit den Worten „Vergessen Sie nicht, Ihre Medikamente zu sich zu nehmen.“ verabschiedete sich Doktor Sarbia von der Blonden, nachdem er sie zu ihrem Zimmer geführt hatte. Neugierig schaute sie sich direkt in diesem um. Auch wenn der Raum ebenfalls weiß gestrichen war, strahlte er mehr Wärme aus, als es der Raum mit dem Krankenbett getan hatte. Das Bett hier war weich, daneben stand ein Nachttischen mit einer Digitaluhr und einer Nachttischlampe darauf. Auf dem Boden lag ein weicher, terrakottafarbener Teppich, der farblich zu den Vorhängen am Fenster und der Couch vor dem Fenster passte. An der Wand daneben, in Richtung Tür, stand ein kleiner Tisch mit 2 Stühlen. Während Kiras Blick durch den Raum wanderte, fand sie die Tür zu einem kleinen Bad, in dem gerade mal Platz für eine Dusche, die Toilette und ein Waschbecken war. Neben der Badezimmertür stand ein Kleiderschrank, den die Blonde direkt einmal öffnen musste. Es waren Anziehsachen für sie bereitgelegt worden. Einfache, schlichte Kleidung, wie sie sie bereits an anderen Jugendlichen gesehen hatte, als sie auf dem Weg in ihr Zimmer gewesen war. Doch noch ehe sie sich dafür entscheiden konnte, sich eine Runde Duschen zu gönnen und danach frische Sachen an zu ziehen, klopfte es an der Tür. Überrascht öffnete sie diese und fand vor sich 2 Jungen wieder, die sie mit einem Bierchen in der Hand begrüßten. „Hey! Wir wollten dich Willkommen heißen, da wir gesehen haben, wie der Doktor dich her gebracht hat. Ich bin Devon und das hier ist mein jüngerer Bruder Nigel. Unsere Zimmer liegen genau gegenüber.“ Da Nigel jedoch bemerkte, dass Kira ein wenig überfordert zu sein schien, hielt er ihr eine geöffnete Flasche des alkoholischen Getränkes entgegen. „Komm, trink ein Begrüßungsbierchen mit uns.“, das Lächeln des Jungen war freundlich, weshalb Kira in den beiden Albinos keine Gefahr sah, also nahm sie die Flasche dankend an. „Mein Name ist Kira. Kommt rein. Wir müssen ja nicht in der Tür stehen.“ Eine Einladung, die die Jungs nur all zu gerne annahmen. Als die beiden sich auf die Couch gesetzt hatten, zog sich Kira einen der Stühle unter dem Tisch hervor und setzte sich auf diesen, während sie an ihrem Bier nippte. „Wie lange seid ihr beiden schon hier?“, eine Frage, die das Mädchen wirklich interessierte. Auch wenn sie sich diese Neugierde nicht erklären konnte. Die Jungs wechselten kurz einen Blick, ehe sie wieder zu Kira schauten. „Ein wenig mehr als einen Monat.“, antwortete der Jüngere der beiden. „Und du?“ „Nun ja, ich habe gerade 2 Wochen lang im Krankenzimmer gelegen. Also würde ich mal behaupten, dass ich offiziell erst jetzt hier angekommen bin.“, das Lächeln auf Kiras Lippen war sanft, ehe sie sich an ihre Medikamente erinnerte und zusammenzuckte. „Ich glaube, ich sollte besser keinen Alkohol trinken. Immerhin muss ich Medikamente nehmen...“, entschuldigend blickte sie die Jungen an und wollte die Flasche gerade hinter sich auf den Tisch stellen, doch Devon schüttelte mit einem allwissenden Grinsen den Kopf. „Ach was, das eine Bier macht schon nichts. Darüber brauchst du dir keine Gedanken zu machen.“ Ein wenig skeptisch blickte die Jüngere den Weißhaarigen an, entschied sich dann jedoch dafür, ihm Glauben zu schenken. „Wenn du meinst...“ Kapitel 4: Katerstimmung ------------------------ Es war noch früh, als Kira die Augen aufschlug und sich mit einem Murren zu der Digitaluhr umdrehte. Das knallende Rot der Zahlen bereitete ihr zusätzliche Kopfschmerzen, während sie mit müden Augen die Zahlen entzifferte. Es war 07:13 Uhr. Kaum dass sie die Uhrzeit gelesen hatte, rollte sich das Mädchen wieder auf den Rücken, legte sich eine Hand auf die Stirn und schloss ihre Augen. Gott, wo kamen nur diese elenden Kopfschmerzen her? In dieser Position blieb Kira eine Weile liegen und versuchte die Kopfschmerzen los zu werden, als ihr plötzlich wieder einfiel, weshalb ihr Schädel so protestierte: In der letzten Nacht wurde aus dem einen Bierchen mehr als nur ein Bier und die Medikamente schienen das ganze doch nicht wirklich positiv hingenommen zu haben. Doch zog die Blonde da ihre Augenbrauen zusammen und öffnete ihre Augen wieder. Sie war gestern freiwillig mit diesem vermaledeiten Doktor mitgegangen und hatte es ernsthaft hingenommen, weiterhin hier zu bleiben und diese Drogen zu sich zu nehmen? Ruckartig setzte das Mädchen sich auf und ignorierte den aufkommenden Schwindel, während sie versuchte zu verstehen, was los war. Sie hatte sogar ihre Freunde einfach vergessen. Obwohl sie nicht wusste, was mit ihnen los war und wo sie steckten. Vielleicht waren sie ja auch in irgendwelche Krankenzimmer gesperrt und unter Drogen gesetzt worden? Heftig schüttelte Kira den Kopf und schwang ihre Beine aus dem Bett. Sie trug noch immer die Sachen, die sie auf der Krankenstation bekommen hatte, also hielt sie sich nicht länger damit auf, andere Sachen an zu ziehen, sondern stiefelte geradewegs aus ihrem Zimmer und auf die gegenüberliegende Tür zu, um lautstark an diese zu hämmern. Sie verstand gerade gar nichts mehr und wollte Antworten! Erst als Nigel endlich die Tür öffnete, wusste Kira, welches der beiden Zimmer wem gehörte. „Was ist hier los?!“, fuhr sie den müden Jungen an, der nur irritiert eine Augenbraue anhob, ehe er zu verstehen schien. „Oh...“, kam es leise von ihm, bevor er sich – nur mit Boxershorts und T-Shirt bekleidet – an ihr vorbei schob und recht sachte bei seinem großen Bruder anklopfte. Bei diesem dauerte es mehr als doppelt so lange, bis er sich an die Tür bequemte und diese schlaftrunken öffnete. „Es ist 7 Uhr, Nigel, was willst du... von mir...“, die letzten beiden Worte lies Devon ausklingen, als sein Blick an seinem Bruder vorbei ging und Kira traf, die einen Blick drauf hatte, als wollte sie jemanden zur Rede stellen oder gar gleich töten, um eine Antwort zu bekommen. „'Morgen, Kira.“, begrüßte er das Mädchen kurzerhand und trat zur Seite, sodass sie sein Zimmer betreten konnte. Da Devon nicht den Eindruck machte, als wollte er ihr irgendetwas verschweigen, folgte sie seiner stummen Einladung, blieb jedoch mitten im Raum stehen. „Was ist hier los?“, wiederholte sie ihre Frag bissige, die sie Nigel zuvor gestellt hatte und ignorierte, dass der Ältere sogar weniger anhatte, als sein Bruder. Immerhin trug er Shorts. Mit einem leisen Seufzen schloss der Weißhaarige die Tür hinter seinem Bruder und kam auf das Mädchen zu, das ungeduldig mit der Fußspitze den Boden malträtierte und die Arme vor der Brust verschränkt hatte. Wusste sie eigentlich selbst, auf wen sie so wütend war? Wahrscheinlich nicht. „Setz' dich.“, forderte Devon die Blonde auf, doch verengte Kira nur die Augen finster, ohne etwas dazu zu entgegnen. „Dann halt nicht...“, kam es murmelnd von dem Älteren, während er in dem Zimmer auf und ab ging, ohne Kira aus den Augen zu lassen. „Diese Medikamente, die man dir verabreicht hat, sind bewusstseinsverändernde Drogen. Je länger man sie dir gibt, umso kooperativer wirst du. Doch sprechen nicht alle auf diese Tabletten an, weshalb sie manche in eines der Krankenzimmer sperren – mit irgendeinem Vorwand – und ihnen härtere Sachen verabreichen. Nur haben diese Drogen den Nachteil, dass sie bei Alkohol ihre Wirkung verlieren.“, der Junge blieb endlich stehen und zuckte mit den Schultern. „Wir sind Versuchskaninchen, doch wissen diese Idioten nichts davon, dass die Wirkung mit Alkohol bekämpft werden kann, weswegen sie sich auch zu fein sind, unsere Zimmer zu überwachen. Sie rechnen nicht damit, dass etwas schief gehen kann, da wir uns brav nach Plan verhalten, wenn sie anwesend sind oder wir uns in einem überwachten Raum befinden.“ Mürrisch krampfte Kira die Hände um ihre Arme. „Und was ist ihr Plan? Aus uns gehorsame Hündchen zu machen, die tun was sie wollen, ohne zu fragen?“ Einen Moment lang schwieg Devon, ehe er dann doch nickte. „Genau so ist es. Wir wissen noch nicht, was sie genau vor haben. Doch wir wollen es herausfinden, deswegen halten wir uns noch daran, nach ihrem Plan zu handeln. Was auch immer sie vorhaben, es wird wohl etwas wirklich ernstes sein.“ „Und was hab' ich damit zu tun?!“, platzte es augenblicklich aus der Blonden heraus, während ihre verschiedenfarbigen Augen den Älteren fixierten. Endlich war nicht mehr nur Wut in diesen Augen zu erkennen, sondern auch eine gewisse Angst. „Du bist ebenso willkürlich ausgesucht worden, wie alle anderen hier. Nur hast du das Glück, nicht auf diese Drogen anzusprechen und auf uns getroffen zu sein.“ Stille legte sich über das Zimmer, während Kira betreten den Blick senkte. „Und was ist mit meinen Freunden...?“, ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Ich will sie finden und von hier verschwinden...“ Erneut war es eine Weile ruhig in dem Zimmer, doch spürte das Mädchen dann eine Hand auf ihrer Schulter. Ruckartig hob sie den Blick an und blickte in die rötlich-blauen Augen des Größeren. „Ihr könnt nicht einfach von hier verschwinden. Sie würden euch nicht gehen lassen. Alle, die versucht haben, zu verschwinden, hat man nie wieder gesehen. Wir wissen nur, dass sie sie irgendwohin weggesperrt haben. Was man dort mit ihnen macht...“, er lies den Satz ausklingen, um ihm mehr Bedeutung zu schenken. Das Schweigen, dass sich dieses Mal über die Drei legte, hielt länger an und war bedrückender als zuvor. Doch schaffte es Kira irgendwann, genug Mut zu fassen, um sich von Devons Hand zu befreien und sich mit einer Hand durch die Haare zu fahren. In ihren Augen lag Zweifel und Angst. „Ich darf sie aber dennoch suchen, oder?“ Nigel nickte, da sie ihn ansah und nicht mehr mit seinem Bruder Vorlieb nahm. „Solange du dich so unauffällig wie möglich verhältst.“, bestätigte er dann mit ruhiger Stimme. Nun war das Mädchen mit Nicken dran. „Gut... Dann möchte ich sie später gerne suchen gehen, damit ich zumindest weiß, was mit ihnen ist. Aber vorher will ich diese verfluchten Kopfschmerzen los werden...“ Ein gedämpftes Lachen, das eher einem Husten glich, kam aus Devons Richtung. Als Kira ihn finster anfunkelte, räusperte er sich und tat so, als wäre nichts gewesen. „Du kannst beruhigt sein, du wirst die Kopfschmerzen nicht gleich jedes Mal haben. Außer natürlich, du übertreibst es mit dem Alkohol maßlos.“ „Heißt das, ich muss die Tablette weiterhin schlucken?“, mit ungläubigen, großen Augen starrte sie den Albino an. Woraufhin dieser ein entschuldigendes Lächeln auflegte. „Ja, musst du. Sie werde dein Blut Anfangs noch alle 3 Tage testen, nur um sicher zu gehen. Danach jede Woche ein Mal. Wenn sie die Droge nicht in deinem Blut nachweisen können, werden sie dich wohl ebenfalls wegsperren.“ Kira schloss die Augen und nahm die Bedeutung der Worte in sich auf, ehe sie leise seufzte. Sie hatte also keine andere Wahl, als hier zu bleiben und das brave Hündchen zu spielen, wenn sie ihre Freunde wiedersehen wollte. Nun ja, sie hatte ja zwei Helfer, die sich darum kümmern würden, dass sie nicht wirklich wieder zu einem Hündchen werden würde. Doch verzog das Mädchen dann wieder skeptisch die Augenbrauen. „Wie kommt ihr überhaupt an den Alkohol?“ Sie würden ihnen das Zeug ja wohl kaum freiwillig hinstellen, oder? Auf Devons Lippen legte sich ein süffisantes Lächeln. „Um die Ecke ist ein Supermarkt. Sie brauchen uns ja nicht weg zu sperren, wenn wir brav hören. Also dürfen wir auch zum Supermarkt und uns dort Sachen holen, die wir hier nicht bekommen. Denn du bist ja immer noch du selbst und willst vielleicht mal eine Tüte Chips oder so. Und da du hier – um den Schein aufrecht zu erhalten – so etwas wie ein Gehalt bekommst, ist das alles auch gar kein Problem.“ Auch wenn Kiras Blick ungläubig wirkte, so nickte sie doch. „Irgendwie ist das alles ein schlechter Traum...“, murmelte sie kaum hörbar. Wo war sie da nur hinein geraten? Und wie sollte sie hier je wieder heraus kommen? Mit einem Kopfschütteln bewegte sich die Jüngere auf die Tür zu. „Ich leg' mich nochmal hin. Es hieß ja, dass heute keine Pflichtsachen sind, außer die Begrüßungsrede heute Abend.“ Kapitel 5: Vorlesungsraum ------------------------- Eigentlich hatte Kira sich erhofft, etwas ruhigen Schlaf zu bekommen, als sie sich noch einmal hingelegt hatte, doch war dem nicht so. Durch die Kopfschmerzen war sie zwar recht schnell erschöpft eingeschlafen, doch gingen ihr zu viele wirre Gedanken durch den Kopf, was sie sich immer wieder im Bett herum wälzen lies. Und ehe sie sich versah, war auch schon Nachmittag. Das Essen hatte sie verschlafen und ihr knurrte der Magen, als sie sich mürrisch aus dem Bett quälte. Ihr war so, als hätte sie etwas geweckt, doch fand sie keinen Anhaltspunkt darauf, was es gewesen war. Bis es erneut an der Tür klopfte. Misstrauisch wanderte ihr Blick zur Tür. Eigentlich konnten es ja nur die Zwillinge sein, oder? Zögernd stieg die Blonde aus dem Bett und warf einen Blick, durch die offene Badezimmertür, in den Spiegel. Mit der Hand strich sie ihr zerzaustes Haar hinter die Ohren, ehe sie zur Tür schlich und diese leise öffnete. Doch vor der Tür standen nicht die Zwillinge. „Da Sie weder beim Frühstück, noch beim Mittagessen waren, wollte ich mich vergewissern, dass es Ihnen gut geht, Miss Nighthale.“ Doktor Sarbias Blick war abschätzend. „Ehm... Ja... Mir geht es gut. Ist es denn wirklich schon so spät?“, um nicht all zu verdächtig zu wirken, wandte das Mädchen sich kurz dem Wecker auf ihrem Nachttisch zu. Und legte die Stirn in Falten. „Ich denke, ich muss mich erst einmal wieder daran gewöhnen, dass ich nicht den ganzen Tag schlafen kann. Immerhin habe ich das im Krankenzimmer eigentlich den ganzen Tag gemacht.“, entschuldigend lächelte Kira, als sie zurück zu dem Schwarzhaarigen schaute. Der Doktor schien ihre Aussage gründlich im Kopf zu analysieren, ehe er langsam nickte. „So wird es wohl sein. Aber nicht, dass Sie die Rede später verpassen. Und vergessen Sie nicht Ihre Medikamente.“ Da Kira auf diese Aussage hin nur nickte, wandte sich der Arzt ab und zog von dannen. Erst, als er um die nächste Ecke gebogen war, wagte die Blonde es, wieder zu atmen. Hatte der Mann gemerkt, dass sie den Wirkungen der Tabletten nicht mehr unterlag? Sie hoffte inständig, dass es nicht so war. Doch vorerst wollte sie sich keine Gedanken darüber machen. Stattdessen begnügte sie sich endlich damit, unter die warme Dusche zu springen und sich danach frische Sachen an zu ziehen. Erst, als ihre Haare ebenfalls endlich trocken waren, wagte die Blondhaarige sich aus dem Zimmer. Sie hatte noch eine halbe Stunde bis zur Begrüßungsrede. Doch wusste sie noch nicht einmal mehr, wo sie eigentlich dazu hin musste. Also überquerte sie den Flur und klopfte an die Zimmertür des älteren Zwillings. Doch als nach ein paar Minuten – und mehrfachem Klopfen – niemand reagierte, ging sie doch an die andere Tür. Kira war unwohl zu Mute, als sie darüber nachdachte, dass vielleicht auch Nigel nicht da sein könnte, jedoch öffnete der Weißhaarige nur einen Augenblick später seine Tür und ihr Unmut war verflogen. Zumindest so lange, bis ihr klar wurde, dass sie hier auf dem Gelände von den Zwillingen abhängig war und ebenso in deren Schuld stand. „Hey... Ich hab schon bei deinem Bruder geklopft, aber der ist nicht da...“, schüchtern schaute die Blonde zu Boden, wobei ihre Haare ihr ins Gesicht fielen. Zeitgleich fixierten die rötlich-blauen Augen das Mädchen und man sah ihnen an, dass er dieses Verhalten gerade nicht einschätzen konnte. „Devon ist wahrscheinlich irgendwo auf dem Gelände unterwegs. Außer nachts ist er selten in seinem Zimmer.“ Da Kira dem nichts entgegnete, legte Nigel lediglich den Kopf schief. „Du scheinst keine Kopfschmerzen mehr zu haben.“ Überrascht wegen dieser Feststellung hob das Mädchen nun doch endlich den Kopf wieder an und schüttelte leicht den Kopf. Nein, sie hatte keine Schmerzen mehr. „Und deine Tabletten? Hast du sie genommen?“ Erneut schüttelte sie nur leicht den Kopf, was den Jungen zu einem wissenden Grinsen brachte. „Nimm' sie am besten gleich. Bevor du zur Rede gehst.“ Da die Blondhaarige im Moment scheuer war, als sie es noch am Morgen gewesen war, musste er ihr wohl alles aus der Nase heraus ziehen. „Willst du noch ein Bier, zum beruhigen der Nerven?“ Wieder nur ein leichtes Kopfnicken. Mit einem tonlosen Seufzen nahm Nigel eine Flasche von seinem Tisch und reichte sie dem Mädchen. „Was stört dich sonst noch?“ Die verschiedenfarbigen Augen des Mädchens suchten den Blick ihres Gegenübers, ehe sie die Flasche ergriff und diese betrachtete. „Ich weiß nicht, wo ich hin soll. Und wie ich dort hin komme. Und... Was, wenn jemand das hier“ - sie hob die Flasche leicht in die Höhe - „mitbekommt? Sarbia war vorhin da. Weil ich nicht beim Frühstück und dem Mittagessen war. Was ist, wenn er Verdacht schöpft?“ „Hör' auf, dir so viele Gedanken zu machen. Verhalte dich einfach ganz normal, dann fällt das Ganze nicht auf. Und solange du die Tabletten schluckst, werden sie dir nichts nachweisen können. Egal, ob er Verdacht schöpft, solange du dich nur normal verhältst. Und was den Vorlesungsraum betrifft, ich kann dich dorthin bringen, wenn du willst.“ „Ja, bitte...“, Kiras Stimme war leise, was dem Jungen ein weiteres Grinsen ins Gesicht zauberte. „Na dann komm, nimm die Tabletten und ich bring' dich hin.“ Angezogen war er ja immerhin zu dieser Uhrzeit, also schloss er die Zimmertür hinter sich, ehe er Kira zu ihrem Zimmer folgte. Dort nahm sie ihre Tablette und trank zum herunterspülen eine halbe Flasche Bier, ehe sie dem Albino durch die Gänge folgte. Erst nach einer ganzen Weile schien sich die Blonde endlich nicht mehr ganz so unwohl zu fühlen, da ihr Blick immer öfter neugierig durch die Gänge glitt. „Ich werd' mich hier verlaufen, Nigel...“, brummelte sie leise vor sich hin. Schon vor 5 Minuten hatte sie den Überblick verloren, wann sie wo abgebogen waren. „War bei mir anfangs auch so. Aber irgendwann weiß man schon, dass eigentlich jeder Weg ans Ziel führt. Zumindest laut Devon. Für mich sind die Gänge teilweise noch immer wie Labyrinthe.“ Je näher die beiden dem Vorlesungsraum kamen, um so mehr Menschen tauchten auf den Gängen auf. Die Meisten unterhielten sich darüber, wie sehr es ihnen gefiel und wie gespannt sie darauf waren, was wohl bei der Ansprache gesagt werden würde. Als Nigel dann jedoch vor einer großen Doppeltür stehen blieb, blickte Kira wieder zu dem Älteren auf. „Da wären wir. Wenn du willst, hol' ich dich später wieder ab, damit du dich nicht auf dem Rückweg noch verläufst.“, das Grinsen auf seinen Lippen war dezent frech, was Kira selbst ein wenig Grinsen lies. „Ja, gerne.“ Beiläufig strich Nigel ihr über die Haare, während er sich abwandte und einen der Gänge hinunter verschwand. Der Blick des Mädchens hing noch eine Weile auf ihm, ehe sie sich dazu durchrang, den großen Raum zu betreten. Der Vorlesungsraum war mit Stühlen geradezu gepflastert. Und die meisten der Plätze waren bereits besetzt. Nur ziemlich weit hinten, nahe der Tür, waren noch vereinzelt Plätze frei. Sie war also doch recht spät dran. Vor den Stuhlreihen gab es ein Podest, auf dem ein Mikrofonständer stand. Die Bühne war hell erleuchtet, während der Rest des Raumes nur mit trübem Licht geflutet zu sein schien. Da jedoch noch kein Redner auf der Bühne stand, befand Kira es so, dass sie doch noch nicht zu spät war. Während die restlichen Personen von den Gängen her in den Raum traten und sich hinsetzten, beschloss die Blonde, sich ebenfalls hin zu setzen. Doch suchte sie sich den Platz aus, der am nächsten zur Tür war. Ihr war das Ganze immer noch nicht geheuer, also wollte sie zumindest diese Fluchtmöglichkeit in ihrer Nähe wissen. Keine Minute später wurde es dunkel und eine Frau mit langen schwarzen Haaren betrat die Bühne. Kapitel 6: Begrüßungsrede ------------------------- Während das Licht im Raum abdunkelte und sich alle Blicke ausschließlich auf die Bühne richteten, warf sich Ariana MacBeth ihre langen, schwarzen Haare über die Schulter und überblickte den gefüllten Raum. Nein, die Menschen richteten ihre Blicke nicht auf die Bühne. Sie richteten ihre Blicke einzig und allein auf sie. „Ich freue mich, Sie hier herzlich Willkommen zu heißen.“, ihre helle Stimme hallte über Lautsprecher durch den Raum und klang freundlich und zuvorkommend. Genau so, wie sie es haben wollte. „Da Sie so zahlreich zu uns gestoßen sind, möchte ich Sie alle nicht weiter auf die Folter spannen. Immerhin möchten Sie doch alle gerne wissen, was Ihnen hier so geboten wird, nicht wahr?“ Durch die Dunkelheit im Raum konnte Ariana gerade die ersten Reihen ausmachen und so lies sie den Blick durch diese schweifen. Niemand sprach. Alle Blicke hingen gebannt an ihr. „Wie Sie sicherlich bereits erfahren haben, bekommen Sie hier endlich die Möglichkeit, einen Neuanfang zu starten. Wir wollen Ihnen allen ermöglichen, einen Beruf zu erlernen, der zu Ihnen passt und Ihnen gefällt. Ebenso erhalten Sie hier eine Wohn- und Essensmöglichkeit. Einige unter Ihnen nutzen diese Möglichkeiten ja bereits.“ Und dann begann sie über die gesamte Einrichtung und alle ihre Vorzüge und beruflichen Werdegänge zu philosophieren. Wie oft hatte sie diese Rede bereits gehalten? Gott, wie sie dieses Gelabere doch satt war. Nur, um diese niederen – durch Drogen manipulierten – Menschen davon zu überzeugen, dass ihre Worte der Wahrheit entsprachen und sie sich dem ganzen nur um so freiwilliger hingaben. Ihre Rede schien alles wichtige zu beinhalten. Alles, was Neulinge zu interessieren hatte. Und wenn jemand eine Frage stellte, wurde diese natürlich fachgemäß und auf der Stelle beantwortet. Wozu sie auch einige der älteren Mitglieder auf die Bühne bat, damit diese ihre Erfahrungen unter die Leute bringen konnten. Als sich die anderthalb Stunden langsam dem Ende zu neigten, richtete Ariana ihr Augenmerk auf die Personen, die noch immer nicht wussten, wie der Alltag in dieser Einrichtung aussehen würde. Diese, die gerade erst aus den sogenannten Krankenzimmern entlassen worden waren. „Selbstverständlich lassen wir Ihnen die Zeit, die Sie zum einleben brauchen, darüber brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Wenn Sie sich bereit dazu fühlen oder ein bestimmter Beruf Sie besonders interessiert, können Sie Ihren Betreuer jederzeit darauf ansprechen.“ Die Schwarzhaarige sah, das ein, zwei in den ersten Reihen erleichtert aufatmeten, da dieser Druck von ihnen genommen worden war. Sie hatte recht schnell begriffen, dass das allgemeine Denken sich nicht von diesen Zombies nehmen lies. Weshalb sie darauf achten musste, jeden Zweifel zu beseitigen, wenn sie ihre Ziele erreichen wollte. „Solange würden wir uns sehr darüber freuen, wenn Sie an unseren Freizeitbeschäftigungen teilnehmen. Unter anderem bieten wir ihnen Yoga und Fußball an. Eine genaue Liste dazu hängt in den Gängen vor diesem Saal aus. Wenn Interesse besteht, scheuen Sie nicht, sich direkt einzutragen.“ Kira hatte sich derweil schon lange aus dem Staub gemacht und bekam nichts von den Freizeitaktivitäten mit. Denn kaum hatte diese Frau angefangen zu reden, war dem Mädchen klar geworden, dass sie die gesamte Ansprache einstudiert hatte. Ebenso ihre Brechreiz erregende Freundlichkeit, die sie einem vor heuchelte. Wobei es nicht die vorgetäuschte Freundlichkeit war, die ihr Übel werden lies. Es lag wohl eher an der halben Flasche Bier auf ihren mehr als nur nüchternen Magen. Und genau aus diesem Grund hatte Kira auch schleunigst den Saal verlassen und – nach einigen Malen Weg erfragen – auch ein Bad gefunden, ohne sich vorher auf diesem sterilen, Krankenhaus ähnlichen Flur zu übergeben. Nach einer Weile hatte sicher der Magen der Blonden endlich wieder beruhigt. Kaum dass sie sich den Mund am Spülbecken ausgewaschen hatte und davon überzeugt war, dass es ihr besser ging – außer, dass sie nun wirklich einen mörderischen Hunger und einen Geschmack im Mund hatte, der einfach nur widerlich war –, verließ sie endlich wieder die Toilette. Nur um fest zu stellen, dass sie sich hoffnungslos verlaufen hatte. Sie war so mit ihrer Selbstbeherrschung beschäftigt gewesen, dass sie nicht einmal mehr wusste, ob sie nun von links oder von rechts gekommen war. Und weit und breit war keine einzige Person zu sehen. „Oh je... Und was mach ich jetzt? Ich werd' doch nie wieder zurück finden...“ Mit einem theatralischen Seufzen verdrehte Kira die Augen, ehe sie sich in die entgegengesetzte Richtung wandte und einfach drauf los ging. Wobei ihre Schritte leise und bedacht waren. Durfte sie hier überhaupt herum laufen? Oder führte ihr Weg sie in eine Richtung, in der es nur Ärger für sie gab? Aber Ärger bedeutete auch, dass sie vielleicht auf ihre Freunde treffen würde. Was wohl der einzige Grund war, weshalb ihre Schritte etwas beschwingter wurden, während ihre Blicke über die Schildchen neben den Türen glitten. Nummer 1.306, Nummer 1.307, Nummer 1.308... Was auch immer das für Räume waren, sie hatten weder eine Bezeichnung noch ein Namensschild, also waren es zumindest keine Schlafräume von irgendwelchen Patienten. Nur juckte es sie deswegen um so mehr unter den Fingern. Sie wollte wissen, was sich hinter den Türen verbarg, doch steckte eine gewisse Angst in ihr, die sie bisher daran hinderte, auch nur an den Türen zu lauschen. Vielleicht waren es ja Versuchslaboratorien? Oder diese Räume, wohin diejenigen gebracht wurden, die fliehen wollten? Ein eisiger Schauder jagte Kira den Rücken hinunter und sie musste stehen bleiben, damit das darauf folgende, unwillkürliche Schütteln sie nicht zum Stürzen brachte. Jedoch half ihr dieses Stehen bleiben auch, um die Schritte zu hören, die sich aus einem Seitengang auf sie zu bewegten. Energische Schritte, die sie schlagartig in Panik versetzten. Und so wandte sie sich einfach der nächstbesten Tür zu und stürzte in den stockfinsteren Raum hinein, der sich dahinter verbarg. Kapitel 7: Dokumentationen -------------------------- Kaum hatte Kira die Tür in ihrem Rücken lautlos geschlossen, war sie auch schon an dieser zu Boden gesunken und hatte die Luft angehalten. Erst, als die Schritte auf dem Flur an ihrem Zimmer vorüber geeilt waren, hatte sie es sich erlaubt, wieder zu atmen. Und zu denken. Denn als sie nun den Blick anhob und durch den Raum schweifen lies, konnte sie nicht die kleinste Kleinigkeit erkennen. Erneut befiel sie ein Schauder, ehe sie sich am Riemen riss und, noch immer im Sitzen, nach dem Lichtschalter tastete. Nach einem leisen „Klick“ des Schalters ertönte auch schon das altbekannte Brummen und Klicken der Leuchtstoffröhre über ihr, die dann auch langsam den Raum erhellte. Blinzelnd schaute Kira sich um, während sie langsam aufstand. Die Wände waren gesäumt mit Regalen, die bis unter die Decke mit Ordnern, Papierstapeln und Kartons vollgestopft waren. Der Tür gegenüber stand ein kleiner Schreibtisch, der ziemlich in den Raum gezwängt aussah, denn auch hinter diesem Tisch ragten Regale bis unter die Decke. Auf dem Schreibtisch selbst lagen zigtausend Papiere, die kreuz und quer verteilt waren und keine Ordnung hatten. Ebenso stand ein kleiner PC-Bildschirm auf der Tischplatte und unter dem Tisch der Rechner selbst, sowie ein Papierkorb, der bereits überquoll. Die Maus und die Tastatur des PCs waren von den Papierbergen begraben. Als die Blonde zu dem Schreibtisch hinüber ging, hörte sie, dass der PC an war, weshalb sie den Bildschirm anknipste. Während sie darauf wartete, dass der alte Leuchtstoffmonitor ansprang, nahm sie sich ein paar der Papiere in die Hand. Doch fand sie auch jetzt noch keine Logik dahinter, denn manche waren auf ein Datum von vor einem Jahr datiert, manche auf ein Datum vor wenigen Monaten. Mit schief gelegtem Kopf versuchte sie heraus zu finden, ob es vielleicht vom Inhalt her zusammenhänge gab, doch wurde sie nicht schlau daraus, während sie die zusammen getackerten Blätter überflog. „Die neurologischen Eigenschaften blieben unverändert“, „Keine Veränderungen in den Synapsen fest zu stellen“, „Das Wiedererkennen verschiedener Gegenstände ist gesteigert“, „Kognitive Eigenschaften sind gestiegen“, „Die Volition scheint sich ausgeprägt zu haben“, „Es scheint intelligenter geworden zu sein“, „Stärkere Bewachung erforderlich“. Mit Stirnrunzeln betrachtete Kira die hochgestochenen Begriffe, wobei sie zumindest ein paar wiedererkannte und halbwegs zuordnen konnte. Doch was Volition war, war ihr unbegreiflich. So etwas kompliziertes hatte sie noch nie in ihrem Leben gehört. „Volition bezeichnet die bewusste und willentliche Umsetzung von Zielen und Motiven in Resultate. Dieses zielgerichtete Handeln erfordert eine Willenskraft, der Tiere nicht mächtig sind.“ Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und lies die Blätter fallen, ehe sie sich hastig umwandte. Sie hatte niemanden die Tür öffnen hören. Oder war sie so vertieft gewesen, dass sie es einfach überhört hatte? Doch als sie sich umgedreht hatte, war da niemand. „Was zur Hölle...?“, verstört huschten ihre Augen durch den Raum. Sie sah weder Kameras noch sonst welche Lautsprecher. Doch woher war die Stimme dann gekommen? Und, die wichtigste aller Fragen, woher hatte die Stimme gewusst, über was sie nachdachte? Eigentlich wollte die Blonde gar keine Antwort auf diese Frage, da ihr die Situation doch zu unheimlich war. Also durchquerte sie schleunigst den Raum und griff nach der Türklinke. Doch hielt sie vor dem Öffnen noch einmal inne und blickte, aus einem ihr unerfindlichen Grund, zum Schreibtisch zurück. Als ihr Blick auf den Bildschirm traf und dann über die zerstreuten Papiere am Boden huschte, biss sie sich kurz auf die Unterlippe. Auch wenn sie so schnell wie möglich fliehen wollte, so hatte sie doch genug Verstand, um ihre Spuren wieder zu verwischen. Also schlich sie sich doch wieder, übervorsichtig, zurück an den Schreibtisch, wobei ihre Blicke weiterhin den Raum durchforsteten. Doch auch dieses Mal fand sie nichts, was ihr Aufschluss dazu gab, was da eben passiert war. Immerhin war es seither wieder still gewesen. Also knipste sie nur schnell den Bildschirm wieder aus, nachdem sie einen Blick darauf geworfen und ihn für uninteressant befunden hatte und ging vor dem Tisch in die Hocke, um die Papiere wieder aufzulesen. Während sie bereits halb unter dem Tisch kniete, um die letzten Dokumente aufzuheben, grübelte sie erneut über diese seltsame Stimme nach. Sie war sich sicher, dass sie sich die Stimme nicht eingebildet haben konnte. Oder woher sollte sie sonst, aus den Tiefen ihres Gedächtnisses, hervorkramen können, was dieses Wort bedeutete. Vor Schreck hatte sie die Antwort zudem bereits wieder vergessen. Wie war das Wort noch mal gewesen? Volunteer? Ähm, nein, es war bestimmt nicht das englische Wort für Freiwilliger gewesen... Mit einem spöttischen Lächeln auf den Lippen griff Kira gerade nach der letzten Unterlage, als die Stimme sich erneut zu Wort meldete. „Volition war der Begriff, du Dussel!“ Das Mädchen schreckte auf und stieß sich mit einem lauten Scheppern den Kopf an der Tischplatte, wobei sie vermutlich noch mehr Unordnung auf dem Tisch angerichtet hatte. Immerhin pendelte nun hinter ihr die Maus an ihrem Kabel hin und her. Doch bemerkte sie dies nicht, da sie es fürs Erste dann doch dabei beließ, sich unter dem Tisch einfach nur zusammen zu kauern und leise zu wimmern, während sich die Sternchen um sie herum drehten. Und da waren ihre Kopfschmerzen auch schon wieder... Erst, als der pochende Schmerz an ihrem Schädel ein wenig nachgelassen hatte und die weißen Punkte verschwunden waren, wagte sie es sich, die Augen langsam wieder zu öffnen. Erneut war ein Teil der Dokumente von ihrem Schoß gerutscht, wo der Großteil doch noch halt gefunden hatte. Also bückte sie sich hastig nach vorne und griff wütend nach den Papieren. Es war ihr egal, wenn sie dieses Mal doch einige Knicke abbekamen. Doch hielt sie da auch schon wieder inne und blinzelte ungläubig. In der dunklen Ecke hinter dem Papierkorb hatte sich ein kleiner Hund versteckt. Ein Welsh Corgi, um genau zu sein. Sein fluffiges, hellbeiges Fell verdeckte beinahe das Halsband, das er trug. Selbst in dem diffusen Licht unter dem Tisch erkannte Kira die weißen Zeichnungen an der Schnauze, der Brust, dem Bauch und jedem einzelnen Pfötchen. Augenblicklich war ihre vorherige Angst vergessen. „Wo kommst du denn her?“ Bei diesen Worten verengten sich die braunen Augen des Hundes zu misstrauischen Schlitzen. „Durch die Tür, woher denn sonst?“ Kapitel 8: Tierwissen --------------------- Und erneut machte Kiras Hinterkopf schmerzhafte Bekanntschaft mit der harten Unterseite der Tischplatte. Doch hielt sie sich dieses Mal nicht damit auf, zu jammern und sich den Kopf zu heben. Nein, dieses Mal kroch sie schleunigst unter dem Tisch hervor und sprang auf die Beine. Wobei sie ihr Gleichgewicht auf der Stelle wieder verließ und somit unsanft auf dem Hosenboden landete. „Wa-... Was zur Hölle...?“ Kiras verschiedenfarbige Augen waren vor Angst geweitet, was den farblichen Unterschied zwischen grün und blau nur noch mehr verstärkte. Zitternd blieb sie an Ort und Stelle sitzen und starrte in die Ecke unter dem Tisch, aus dem der kleine Hund langsam hervor gekrochen kam. Seine Ohren waren eng an den Kopf angelegt und seine Augen misstrauisch zusammen gekniffen. Nur leicht zuckte es um seine Mundwinkel herum, doch knurrte er nicht. „Was... Was bist du...?“, hauchte das Mädchen verstört und konnte den Blick nicht von dem Tier wenden. Schnaubend schüttelte der Corgi den Kopf, ehe er ihn auf seine Pfoten bettete und zu ihr auf schaute. „Diese Frage hast du dir bereits vor einigen Momenten selbst beantwortet. Ich bin ein Welsh Corgi.“ Ungläubig blinzelte die Blonde und schüttelte dann langsam den Kopf. Was zur Hölle war hier eigentlich los? Sie redete tatsächlich mit einem... mit einem Hund! Erneut schüttelte Kira den Kopf, doch kniff sie dieses Mal die Augen feste zusammen, als ob sie so die Situation aussperren könnte. Das ist alles nur ein schlechter Traum... Erst dieser Laden hier und dann das... „Na, jetzt wollen wir aber nicht gleich angreifend werden“, ermahnte sie der Corgi, was sie überrascht zusammen zucken lies. Hastig huschte ihr Blick zurück unter den Tisch. „Wie... Wie ist das möglich...?“, stammelte das Mädchen zusammen, was den Hund erneut Schnauben lies, ehe er aufstand und sich am ganzen Körper schüttelte. „Wie wohl? Du hast doch in die Dokumentationen hineingeschaut. Kannst du da nicht eins und eins auf einen Nenner bringen?“ Schnuppernd tapste der kleine Hund über die Papiere hinweg, ehe er das gefunden hatte, was er zu suchen schien. Dieses Dokument nahm er zwischen die Zähne und schleifte es zu Kira hinüber, wobei er es in einigem Abstand vor sie hin legte und dann wieder den Rücktritt unter den Tisch antrat. Vorsichtig beugte die Blonde sich nach vorne und nahm die Unterlagen in die Hand. Nur kurz glitt ihr Blick zu dem Corgi, ehe sie in die Papiere schaute und diese durchblätterte. „Versuchsobjekt: 958, Name: Lionel, Alter: 3 Jahre, Rasse: Welsh Corgi Pembroke“, „Injizieren der Lösung CI-13“, „Besseres Verständnis der menschlichen Sprache macht sich bemerkbar“, „Offensichtliche Steigerung der Intelligenz von 958“, „Erster Kontakt von 958 per Telepathie“, „Starker Rückfall von 958 im Verhalten gegenüber Professoren“, „Weigerung von Befehlen“, „Verstärkte Kontrolle von 958 angefordert“. Erneut hatte Kira die Seiten nur überflogen, doch war ihr dieses Mal mehr ins Auge gefallen, womit sie auch etwas anfangen konnte. Kritisch zog sie die Augenbrauen zusammen, während sie noch einmal hin und her blätterte, ehe sie das Dokument auf den Boden legte und den Corgi vor sich erneut musterte. „Du bist genau so ein Versuchsobjekt, wie ich.“ Einen Moment lang blieb es still in dem Raum und Kira hörte, wie draußen Schritte vorbei eilten. Dann erst hob der Corgi den Kopf an. „Was machen sie mit dir? Du kannst herumlaufen, ohne dass man dich in einen Raum sperrt oder unter Beobachtung setzt.“ Erneut wurde die Falte auf Kiras Stirn durchs Grübeln tiefer. „Damit liegst du nicht ganz richtig. Ich darf aber nur herum laufen, ohne dass sie mich gleich wieder einsperren, weil sie davon ausgehen, dass ich unter dem Einfluss ihrer Drogen stehe und alles brav befolge, was sie von mir verlangen.“ Wieder schüttelte der Hund sich am ganzen Körper und stieß dabei fast den Mülleimer um. „Als ob ich deren Befehle befolgen würde! Sie haben mir die Intelligenz gegeben, warum sollte ich sie dann nicht nutzen? Du bist auch nicht dumm, warum gehorchst du ihnen dann?“ Der Blick der Blonden schweifte zur Seite hin ab. „Wenn ich ihnen zeige, dass ich nicht unter ihren Drogen stehe, werden sie mich wieder weg sperren. Ich weiß nicht, wie lange ich wirklich schon hier bin. Ich weiß nur von den knapp zwei Wochen, in denen ich in ein Krankenzimmer gesperrt gewesen war, unter dem Vorwand, eine ansteckende, gefährliche Krankheit zu haben. Und als ich endlich auf die Drogen so reagierte, wie sie es wollten, haben sie mich endlich raus gelassen und mir ein eigenes Zimmer gegeben.“ Seufzend schüttelte das Mädchen den Kopf. „Ich muss so tun, als ob ich ihnen gehorchen würde, sonst kann ich meine Freunde nicht finden, die sich irgendwo in diesem riesigen Gebäude aufhalten.“ „Das ist nicht nur ein Gebäude. Das sind mehrere Gebäude. Und riesig ist, wohl wahr, untertrieben.“ Der Hund stand auf und schnappte sich immer eines der Dokumentenbündel, um es auf einen neuen Haufen zu stapeln. Mit leicht schräg gelegtem Kopf beobachtete die Blonde ihn dabei, bis er sich wieder ihr zu wandte. „Diese Menschen hier sind skrupellos und grausam, wenn sie nicht bekommen, was sie wollen. Doch, da du ein ebensolcher Rebell bist, wie ich, will ich dich warnen. Auch wenn sie so aussehen, als ob sie deinem Trugbild glauben schenken, vertraue nicht darauf. Spiele mehr. Spiele besser.“ Wieder schüttelte der Corgi sich, ehe er fortfuhr. „Und jetzt leg' die Dokumentationen zurück auf den Tisch und such' das Weite. Bald müsste jemand auf die Idee kommen, dass ich mich in diesem Raum verstecke. Immerhin suchen sie mich schon eine ganze Weile.“ Ein hinterhältiges Lachen war zu hören und Kira wunderte sich, dass alles was er sagte wohl nur in ihrem Kopf ertönte, obwohl es sich so real anhörte. „Jetzt mach' schon, du Dussel!“ Hastig stand das Mädchen auf und legte die Papiere zurück auf den Tisch, ehe sie die Maus auch wieder auf diesen zurück legte und unter ein paar Unterlagen versteckte. Doch als sie den Raum verlassen wollte, blieb sie doch noch einmal stehen und blickte zu dem Hund zurück. „Aber ich weiß gar nicht, wo ich lang soll, um wieder zurück zu finden.“ Erneut ertönte ein leises Lachen von Seiten des Tieres. Überrascht starrte Kira den Corgi an. „Nichts leichter als das, du brauchst mir nicht zu danken. Ich kann deine Gedanken lesen und ein wenig in deine kürzlichen Erinnerungen einsehen. Du kamst von links, 2 Gänge weiter musst du rechts abbiegen, dann folgst du dem Gang 3 Kreuzungen weit, an der 4. Kreuzung ging es wieder nach links und dann bist du dort, wo du her kamst. Bei diesem Vorlesungsraum, wie du ihn nennst. Und nun geh', die Zeit wird knapp.“ Die Blonde verharrte noch einen Augenblick, wobei sie einen eisigen Schauder verdrängte. Dann lächelte sie leicht. „Danke, Lionel. Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“ „Unkraut vergeht nicht“, war die Antwort des Corgis und schon war sie aus dem Raum verschwunden und war der Wegbeschreibung bis zum Vorlesungsraum gefolgt, wo Nigel bereits wartete. Als er sie entdeckte, schien ihm glatt ein Stein vom Herzen zu fallen, denn er eilte hastig auf sie zu. „Verdammt, wo warst du? Ich warte hier schon seit über einer halben Stunde!“ Ein entschuldigendes Lächeln huschte über Kiras Züge. „Entschuldige. Mir war nur schlecht und als ich vom Bad hierhin zurück wollte, hab' ich mich verlaufen.“ Mit einem besorgten Blick nickte der Ältere. „Du solltest endlich was essen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)