Adventskalender 2011 von Eis_in_Flammen (Eine Kurzgeschichtensammlung) ================================================================================ Türchen 16 - Heiße Waffeln -------------------------- Freitagabend war es, und Tim schlenderte mit seinen Freunden, oder besser ausgedrückt, den Leuten, mit denen er in seiner neuen Schule herumhing, über den überschaubaren Weihnachtsmarkt im Dorf, gleich neben der Kirche. Die Buden mit dem handgearbeiteten Christbaumschmuck; die Kräuterbonbons und auch die Lose für eine Hilfsorganisation scherten die anderen keinen Dreck; sie hatten nur im Sinn, so schnell wie möglich zum Glühweinstand zu kommen, wo sich schon eine kleine Menge versammelt hatte. Die Hände in den Taschen vergraben, trottete Tim schweigend hinterher. „Der Thassilo!“, prustete Vanessa, und Tim starrte zu der Bude, wo köstlich duftende Waffeln und auch Brezeln verkauft wurden. Von niemand geringerem als ihrem Mitschüler, mit dem niemand etwas zu tun haben wollte. Unter anderen Umständen hätte sich Tim gefreut, mit dem zurückgezogenen Jungen so einmal ins Gespräch zu kommen. „Was machtn der Scheißstreber hier?“, rümpfte Leo die Nase und ging auf den Stand zu. „Na, reicht das Geld wohl nicht, was deine Alte beim Putzen und Anschaffen verdient?“, grölte Bruno und Vanessa und Angelina kicherten verhalten. Tim schämte sich so sehr, dass er sich nicht einmal traute, Thassilo anzusehen. „Lieber ne Thasse Glühwein“, höhnte Leo und rotzte auf den Boden. Die Mädels steuerten schon die Schlange vor dem Glühweinstand an und Tim stellte sich mit den Jungs an einen der freien Tische und hörte nur mit einem Ohr ihren Gesprächen zu. Er tat Tim leid. Aber was er für den schlaksigen Jungen empfand, das war kein Mitleid... Er drehte sich um und schaute in Richtung von Thassilos Bude, wo dieser gerade einem kleinen Mädchen mit extra viel Papierservietten eine frische heiße Waffel überreichte und erhaschte prompt dessen Blick. Wieso hatte er Thassilo nie angesprochen in der Schule? Er war ihm nämlich schon am allerersten Tag aufgefallen… „Hier, dein Glühwein, Tim“, lächelte Angelina und stellte die Tasse vor ihm ab. „He, wo willst du hin?“ Hin zu dem verzaubernden Duft; und hin zu Thassilo, der ihn schon längst verzaubert hatte. Er war sich im Klaren, dass er wenig zu gewinnen aber auf jeden Fall etwas zu verlieren hatte. Thassilo wechselte gerade ein paar Worte mit dem älteren Mädchen, das den Waffelteig umrührte. „Eine Waffel mit Ahornsirup“, sprach Tim ihn an, und Thassilo drehte sich zu ihm um. „Und...entschuldige bitte das mit den Schwachköpfen“, fügte er schnell noch hinzu und kramte nach dem Geld. „Ach...“, sprach Thassilo, „von denen erwarte ich gar nichts anderes mehr.“ Tim sah ihm dabei zu, wie er den Ahornsirup auf der Waffel verteilte und ihm kamen plötzlich Zweifel an seiner Entscheidung. „Hier, bitte“, sagte Thassilo und seine braunen Augen leuchteten, als er ihm die dampfende Herzwaffel mit einer Serviette überreichte, „lass es dir schmecken.“ Ihre Fingerkuppen berührten sich kurz und vor Schreck hätte Tim sie beinahe fallen gelassen. „Danke.“ Er wolle noch etwas sagen, irgendetwas, doch ihm fiel nichts ein, was die Situation retten konnte, deswegen entfernte er sich vom Stand. Er ging alleine vor sich hin und aß dabei seine Waffel; der süße Teig schmecke noch besser als er roch, und vertrieb die Gedanken daran, was seine „Freunde“ wohl jetzt von ihm hielten. Plötzlich gefiel es ihm von einer Sekunde auf die andere überhaupt nicht mehr in diesem tristen Tausend-Seelen-Kaff, in das er nie hatte umziehen wollen und bekam tierische Wut auf seine Eltern. „Hey“, riss eine Stimme ihn aus seinen Gedanken, und zu Tode erschrocken drehte er sich um. „Oh.. du bist es nur.“ Thassilo stand vor ihm, strich mit seinem Daumen über seinen Mundwinkel. „Du hattest da Ahornsirup“, erklärte er und war so errötet wie er selbst es sein musste. Tims Gedankenfetzen endeten in einem wirren Strudel und er hätte jetzt ziemlichen Quark gelabert, doch in diesem Moment legte das Glockenspiel der Kirche los; ein heller, eigenartiger aber melodischer Klang, und verlieh dem Platz eine märchenhafte Präsenz... Fasziniert schaute er erst sein Gegenüber an, dann hinauf zum Kirchturm. Genau dorthin blickten sie auch heute, auf dem Weihnachtsmarkt, während das Glockenspiel ertönte. „Hier hat sich in fünf Jahren aber nicht viel geändert“, meinte Thassilo nachdenklich. „Doch“, bemerkte Tim und beugte sich zu seinem Freund, „die Waffeln schmecken nicht halb so gut wie damals.“ Und der Blick, den sein Liebster ihm schenkte, schien nichts anderes zu sagen als: Du hast alles richtig gemacht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)