Sensation von NejiTen-Schreiber ([NejiTen]-Adventskalender 2o11) ================================================================================ Kapitel 16: 17. Dezember | Begegnung im Sturm --------------------------------------------- Okay, der dritte OS von mir dieses Jahr. X_x Ich wollte eigentlich gar nicht so viel machen... Jedenfalls ist dieser OS erst heute entstanden, weil ich vorher einfach noch keine Zeit hatte. Deswegen ist er auch so spät. ^^" Und auch nicht testgelesen. Aber dafür ist er doch ziemlich gut gelungen, finde ich, und ich mag ihn. Er ist AU und Fantasy und ich weiß nicht, wie ich ihn sonst einordnen soll. Außerdem ist er eine Art Fortsetzung zu einem OS, den ich vor zwei Jahren für den Kalender geschrieben habe und zwar ist das Begegnung im Schnee. Er knüpft locker an die ältere Geschichte an, darum solltet ihr noch etwas im Kopf haben, worum es da ging. Ansonsten kann ich wohl nicht mehr dazu sagen, glaube ich. :) ~~~~~~~ Begegnung im Sturm Der Wind war ein lautes Brüllen, das jedes andere Geräusch erstickte. Er wirbelte dicke Schneeflocken so wild durch die Luft, dass TenTen keine fünf Schritte weit sehen konnte. Er biss in die wenigen Fleckchen nackter Haut, die sie ihm aussetzte. Er schnitt durch ihre Kleidung, dass sie selbst mit den beiden dicken Mänteln über ihren verschiedenen Schichten an Winterkleidung fror. Ihre Hände fühlten sich steif und plump an – einen Bogen würde sie mit ihnen nicht so rasch spannen, aber das spielte auch keine Rolle. Bei diesem Sturm würde sowieso kein Pfeil das Ziel treffen, ganz egal, wie gut der Schütze war. Dazu war der Wind zu unberechenbar, zu wild und unbändig. Nur Narren und Verzweifelte wagten sich bei einem solchen Wetter vor die Tür oder aus dem sicheren, windgeschützten, warmen Versteck, das sie sich gesucht hatten. TenTen war keine Närrin, aber verzweifelt war sie schon. Wenn sie nicht rechtzeitig das Nachbardorf erreichte – zu Fuß eigentlich einige Tage von ihrem Heimatort entfernt – so würde es die Siedlung, aus der sie aufgebrochen war, wo sie aufgewachsen war, wo ihre Familie lebte und sich ihr Herz befand, nicht mehr geben. Ausgelöscht von der feindlichen Streitmacht; die Gebäude niedergebrannt und geschleift, die Menschen ermordet oder verschleppt. TenTen konnte noch immer nicht sagen, ob ein Kriegszug im Winter eine pure Dummheit oder ein Geniestreich war. Ersteres, weil es einen Grund gab, dass kaum jemand solcherlei wagte. Letzteres, weil niemand es erwartete und demnach auch nicht dafür gerüstet. Vermutlich würde dieser Sturm das zeigen – wenn die feindliche Streitmacht, nachdem er abgeflaut war, noch immer bestand, dann war es letzteres. Wenn der Blizzard sie ausgelöscht hatte, auf seine ganz eigene Weise, so hatte TenTen diesen Weg umsonst angetreten. Aber sie konnten das Risiko nicht eingehen, dass die Feinde das Unwetter überstanden, darum hatte man TenTen losgeschickt. Außerdem hatte sowieso noch nichts nach einem Sturm ausgesehen, als die Boten zu den verbündeten Dörfern aufgebrochen waren. Sie alle konnten sowieso von Glück sprechen – oder einem Fingerzeig der Engel – dass sie den Feind überhaupt bemerkt hatten, ein paar Jägern, denen erst niemand geglaubt hatte. Aber jetzt war TenTen hier, allein, im Schnee, im Sturm, mitten in der Wildnis auf dem Weg in eines der verbündete Nachbardörfer. Vermutlich hatte sie sich schon vor einiger Zeit verlaufen, sie konnte ja kaum die Hand vor den Augen sehen. Die wild durcheinanderwirbelnden Flocken halfen ihrem Orientierungssinn nicht und die altbekannten Landmarken waren nicht zu erkennen. Es war beinahe aussichtslos, den richtigen Weg zu halten, menschenunmöglich. Aber optimistisch, hoffnungsvoll und naiv wie sie war, war sie weitermarschiert in die Richtung, von der sie dachte, dass es die richtige war. Ob das stimmte, würde sie erst erfahren, wenn der heftige Wind sich legte – oder der Schneefall aufhörte. Ihre Bewegungen waren langsam und müde, aber zielstrebig und beharrlich. Sie würde nicht aufgeben, nicht hier, nicht jetzt. Sowieso, wenn sie jetzt anhielt und sich hinsetzte, würde sie vermutlich erfrieren. Ein Versteck war nirgendwo in Sicht und wenn sie auf dem richtigen Weg war, war auch keines in der Nähe. Also blieb ihr überhaupt nichts anderes übrig, als weiterzulaufen. Sie war nur so müde… Der ewige Kampf gegen den Wind und den Schnee und diese verdammte Kälte zerrten an ihren Kräften, sog alle Stärke aus ihr heraus, nur nicht eines: ihr Wille, das Versprechen gegenüber ihren Leuten zu halten. Ihre Hoffnung. Sie würde weiterlaufen. Wenn sie sich nur genug anstrengte, konnte sie es schaffen. Dann würde ihr jemand helfen, der Zufall, die Engel, Neji vielleicht. Ihre Familie brauchte sie, ihre Leute brauchten sie. Auf sie wurde gezählt, in sie wurden Hoffnungen gesetzt. Sie war der Stern am Horizont, das Licht in der Nacht. Sie war die, die mit einem Engel gesprochen hatte, auch wenn das schon zwei Jahre her war. Die, die seinen Segen bekommen hatte, und die, auf der nun alles ruhte. Sie hätte damals nie von dieser Begegnung erzählen sollen… Aber die Begegnung mit Neji hatte ihr noch immer in den Knochen gesessen. Ein dunkler Schatten in ihrem Augenwinkel riss ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie fuhr heftig herum und starrte angestrengt in das Schneegestöber. War da jemand?! Etwas? Vielleicht ein Tier…? Aber selbst Tiere würden bei einem solchen Wetter einen Unterschlupf suchen. Vielleicht war es auch etwas anderes, etwas Älteres, Böseres, Gefährlicheres…? Aber es war zu groß für eine Krähe. Und waren nicht Krähen jene Tiere, als die Dämonen sich in dieser Welt so gern verkleideten? War es ihnen überhaupt möglich, andere Gestalt anzunehmen als diese? Oh ja, es gab Geschichten – Geschichten über so schrecklich anzusehende Monster, dass man bei dem ersten Blick auf sie einfach sofort tot umfiel oder zu Stein erstarrte. Aber konnten sie das hier, in der Menschenwelt? Und wenn ja, warum trieb sich ein Dämon hier herum in dieser menschenleeren, unwirklichen Gegend, in der sich nur der Sturm befand? Der Sturm und TenTen natürlich. War der Dämon hinter ihr her, wegen ihr hier, weil sie damals Neji geholfen hatte die Hoffnung wiederzufinden? Oder maß sie sich zu viel Bedeutung bei? Die letzten beiden Jahre war nichts geschehen, warum sollten sie ausgerechnet jetzt…? Oder täuschten sie einfach ihre müden Sinne? Das war auch möglich. Sie sollte sich einen Unterschlupf suchen, ein paar überhängende Äste, die ein schützendes Dach bildeten, Felsen, zwischen die sie schlüpfen konnte. Nur, um etwas auszuruhen, kurze Zeit oder bis der Sturm etwas abgeklungen war. Ein kleines bisschen Kraft schöpfen. Ein Geräusch ließ sie heftig aufschrecken. Sie blieb stehen und sah sich um. Da war jemand. Irgendwer… Sie legte den Kopf schief um zu lauschen. Erneut ertönte dieser Laut – war das etwa ein Wiehern? War da ein Pferd? Wie kam ein Pferd hierher? Oder bedeutete das, dass da draußen irgendwo ein Reiter war? Vielleicht jemand aus ihrem Nachbardorf, zu dem sie unterwegs war? Sie öffnete den Mund, um eine Antwort zu rufen, da kam ihr der Gedanke, dass es vielleicht kein Freund, sondern ein Feind war. Mit einem Pferd wäre er leicht unentdeckt am Dorf und auch an ihr vorbeigekommen… Aber warum hätten sie das tun sollen? Sie wussten ja noch nicht einmal, dass TenTens Leute sie entdeckt hatten. Es musste ein Freund sein, der gehofft hatte, das Heimatdorf zu erreichen. Und sich vielleicht verirrt hatte. Das würde bedeuten, dass sie noch auf dem richtigen Weg war… Richtig? Erneut wieherte das Tier und sie drehte sich in die Richtung, aus der der Laut kam. „Hey!“, rief sie, aber ihre vom langen Schwiegen raue Stimme ging in dem Sturm unter. Sie räusperte sich und brüllte laute: „HEY! HIER!“ Mit entschlossenen Schritten marschierte sie durch den Schnee auf die Quelle des Geräusches zu. „HIER BIN ICH! HILF MIR!“ Hatte er sie gehört? Hoffentlich! Das nächste Wiehern klang näher und war das nur ihre Einbildung oder ließ der Sturm tatsächlich nach? Sie kämpfte sich weiter durch den herumwirbelnden Schnee, rief hin und wieder ein paar Worte und lauschte auf ein antwortendes Wiehern, das jedes Mal näher klang. Neue Energie erfüllte ihre Glieder, die Hoffnung gab ihr wieder Kraft. Das Blut rauschte ihr in den Ohren vor Aufregung und sie begann zu rennen, so schnell es nur ging. Dann schälte sich eine Silhouette aus dem Schneegestöber, schwarz und so schön, dass sie einen Moment lang stehen blieb, ehe sie aus der Verzauberung gerissen wurde. Der Wind blies ihr mit einem Mal mit einer solchen Wucht entgegen, dass sie beinahe umgestoßen worden wäre. Aber sie konnte sich gerade noch halten. Das Pferd kam näher – es war kohlschwarz, die lange Mähne und der Schweif peitschten im Wind. Und es trug keinen Reiter. Nicht mal einen Zaum oder einen Sattel, der darauf hindeutete. Sie schrie enttäuscht auf – ein wildes Pferd? Hier?! Aber was konnte es anders sein? Doch das Tier kam weiter auf sie zu und sie wich einen halben Schritt zurück, während jähe Angst in ihr hochkam. Entlaufenes Reittier oder war es doch ein Dämon?! Mit jedem Schritt, den Ross auf sie zu tat, konnte sie es besser sehen. Es war ein wunderschönes Tier mit langen Beinen und dichten Winterfell. Die klugen, strahlend blauen Augen blickten sie direkt an, ein unnatürlich heller Glanz in den Augen. Es musste ein Dämon sein… War er doch wegen ihr hier…? Der Sturm, plötzlich laut und tobend in ihren Ohren, warf sie beinahe um. Aber sie drehte sich einfach weg und lief los, einfach weg von dem Pferd, das ihr mit einem Mal bedrohlich und gefährlich vorkam. Sie hörte, wie es laut wieherte und klang da Triumph oder Hohn in der Stimme des Tieres mit? TenTen mochte schon einmal Dämonen begegnet sein. Sie mochte schon einen getötet haben mit ihrem Bogen, einer der Krähen einen Pfeil direkt ins Herz geschossen haben. Aber damals war sie bewaffnet gewesen und Neji bei ihr, ein Engel, der einzig dafür geboren worden war, um jene teuflischen Kreaturen zu töten. Jetzt war sie allein, ihr Bogen nutzlos und ihre Klinge kurz. Wie sollte sie auf diese Weise gegen einen dämonischen Rappen bestehen? Sie schickte Gebet um Gebet zu den Engeln, mit jedem Schritt, den sie so schnell wie möglich tat, vor allem zu Neji. Hatte er ihr nicht gesagt, dass er ihr vieles verdankte? Dass er ihn ihrer Schuld stand? Konnte er diese jetzt nicht einlösen?! Wenn sie jemals Hilfe gebraucht hatte, so war es jetzt. Aber niemand kam ihr zu Hilfe, kein in strahlendem Licht erscheinender Engel, kein Zufall, kein Schicksal… Dennoch lief sie verbissen weiter. Vielleicht würde der Sturm den Dämon von ihr abhalten, vielleicht würde er sie trennen und den Dämon in Pferdegestalt – oder sie beide verwirren und verirren. Dann mochte sie ihren Weg verloren haben, aber sie wäre wenigstens vor dem Monster in Sicherheit. Sie kam unendlich langsam voran, denn selbst der Sturm schien sie nicht gehen zu lassen. Er blies ihr entgegen oder warf sie fast um, wenn er die Richtung änderte und von der Seite kam. Sie schlug einen Haken, lief jählings nach rechts, tiefer in den Wald hinein oder war es hinaus in die freie Fläche? Sie wusste es nicht mehr. Die Flucht – oder doch die Suche nach dem vermeintlichen Reiter – hatte sie bereits jetzt völlig vom Weg abgebracht und in die Irre geführt. Sie biss sich auf die Lippen und ließ nicht zu, dass die Verzweiflung, die ihr die Kehle zuschnürte, die Oberhand gewann. Sie würde jetzt nicht aufgeben. Sie würde weitermachen, weiterrennen und alle Schluchzer und Verzweiflungstränen hinunterschlucken. Das war sie ihren Leuten und ihrer Familie und auch sich selbst schuldig und sie würde es schaffen, auch allein und ohne himmlische Hilfe von einem undankbaren Engel. Ihr Keuchen klang ihr heftig in den Ohren, ihre Lunge und ihre Kehle brannten von der kalten Luft und ihre Augen tränten. Ihre Füße fanden kaum Halt auf dem unebenen Boden, den der Schnee tückisch verdeckte, und manchmal brach sie bis zu den Oberschenkeln ein. Aber die Wut, die sie in sich nährte, gab ihr die Kraft weiterzulaufen. Längst hörte sie keine Geräusche mehr hinter sich, kein vom Schnee gedämpfter Hufschlag, kein fragendes Wiehern. Wenn sie sich umdrehte, so war auch nichts mehr zu sehen als Schnee und die Silhouetten einiger Bäume, kein schönes Pferd, kein schwarzer Schatten… Und dazu, wurde der Schneefall nicht weniger? Lichtete sich das Weiß um sie herum, konnte sie nicht schon besser sehen, zwei oder drei Schritte mehr als vorhin? Bis hinüber zu diesen Bäumen, die einen Saum an der Wiese bildeten, über die sie gerade lief? TenTen wollte gerade erneut einen Haken schlagen, um dort drüben in den Wäldern unterzutauchen, als sie den Rappen wieder sah. Er lief einige Meter vor den Bäumen durch den Schnee, hinterließ tiefe Löcher in der weißen Decke, die jedoch schon nach Augenblicken wieder zugedeckt wurden, und wirbelte noch mehr Schnee auf, wenn er die Beine wieder hob. Das Schwarz des dichten Fells bildete einen starken Kontrast zu den weißen, herumwirbelnden Flocken und die Eleganz der Bewegungen war so unnatürlich wie der Glanz in den strahlend blauen Augen. Sie duckte sich hastig hinter eine Schneewehe und hielt den Atem an. In diesem Moment war sie aus tiefstem Herzen dankbar für die weiße Jagdkleidung, die sie sich übergezogen hatte. Auf diese Weise war sie in dieser Umgebung kaum zu sehen. Ihr Blick hing wie verzaubert an dem vorbeitrabenden Dämon, fasziniert und angezogen von der Schönheit, aber abgestoßen durch den Gedanken, eine höllische Kreatur vor sich zu haben, böse und grausam. Wie konnte solche Anmut, solche Herrlichkeit Verdorbenes, Falsches verbergen. Erst, als das Pferd wieder im Wald verschwand, wagte sie es, aufzuatmen. Sie rollte sich vorsichtig herum, um in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Bei jedem unpassenden Geräusch zuckte sie zusammen und warf einen Blick über die Schulter. Doch der diabolische Rappe kam nicht zurück. Als sie endlich den Waldrand erreichte, duckte sie sich hinter einen Baum um sich noch einmal umzusehen. Es war nichts zu sehen bis auf schattenhaft wirkende Nadelbäume und herumwirbelnder Schnee. Wenigstens hatte der Wind etwas nachgelassen… Doch der Dämon war weg. Er musste wohl weitergelaufen sein, hatte sie auf der freien Fläche nicht gesehen… Sie atmete auf und drehte sich um. Diesmal lief sie nicht, sondern schlug ein langsameres Tempo an. Sie wollte noch weg vom Waldrand, von dieser Wiese, über die der Dämon gegangen war, und sich dann einen Unterschlupf suchen. Da sie ihren Weg vollkommen verloren hatte und überhaupt nicht mehr wusste, wo sie war, blieb ihr nur eines übrig: abwarten, bis sie sich wieder orientieren konnte und dann herausfinden, in welche Richtung sie laufen musste, um das Nachbardorf zu finden. Das war jetzt der einfachste, beste Weg. Also kämpfte sie sich wieder voran, durch den Schnee, den Wind, den Wald. Die Müdigkeit, die sie auf ihrer wilden Flucht vergessen hatte, kehrte wieder zurück und jeder Schritt fiel ihr schwerer. Immer öfter taumelte sie ein Stück voran, ehe sie sich wieder fing. Einmal stolperte sie gegen einen Baum, den sie vor lauter Erschöpfung nicht sah, und brauchte einen Moment, um sich wieder davon zu lösen. Gleich, gleich konnte sie ausruhen. Sie musste nur die Augen offen halten… Mit einem leichten Schrecken stolperte sie über eine verborgene Baumwurzel und landete bäuchlings im Schnee. Ob sie einfach hier liegen blieben konnte? Natürlich, der Wind war laut und kalt und die Nässe drang bereits in ihre Kleidung ein. Aber es war so weich, so schön, einfach hier zu liegen und sich nicht bewegen zu müssen. Kein weiteres Vorankämpfen, kein Sturm, der sich ihr entgegenstellte. Nachher konnte sie weiter zu dem Dorf, diese wenigen Minuten würden nicht stören, immerhin konnte ein Heer in einem solchen Wetter keinen Schritt machen. Vermutlich saßen diese feindlichen Soldaten, die ihr das eingebrockt hatten, gemütlich in ihren Zelten und tranken heißen Tee. Und sie lag hier im Schnee und wollte im Moment nichts anderes als liegenblieben. Einfach nur kurz entspannten, ausruhen… „Wenn du da liegen bleibst, stirbst du.“, erklärte ihr eine dunkle Stimme, die erstaunlich deutlich über das Getöse des Windes zu hören war. Sie blinzelte müde, rührte sich aber sonst nicht. Sie war viel zu erschöpft. Konnte dieser Störenfried nicht einfach gehen? Sie musste sich ausruhen, damit sie Hilfe für ihr Dorf holen konnte. „Ich meine es ernst. Und hast du das nicht auch zu mir gesagt?“, fuhr die lästige Stimme fort und sie wandte den Kopf. Sie sah ein Paar schwarze, mit Fell besetzte Stiefel. Ihr Blick wanderte höher, über in weiß gewandete Beine und eine ebenfalls unter Weiß verborgene Brust bis hin zu dem blassen, beherrschten Gesicht. Es war umrahmt von langem, dunklen Haar und zwei wintermondhelle Augen blickten sie durchdringend an. Sie brauchte einen Moment, um ihn zu erkennen, aber dann schlich sich ein leises Lächeln auf ihr Gesicht. „Neji.“ Trotz dass er sie jetzt so unhöflich störte, war er ihr doch ein gern gesehener Freund. Er war immerhin ein Engel. „Du solltest jetzt aufstehen, TenTen.“, ermahnte er sie und seine Stimme war streng. Aufstehen…? Aber sie war doch so müde… „Jetzt.“ Diesmal war der Ton befehlend und sie bemühte sich, der Aufforderung nachzukommen. „Ich mach ja schon.“, maulte sie und rappelte sich auf alle Viere auf. „Jetzt drängel nicht so.“ Neji schüttelte beinahe unmerklich den Kopf und ging vor ihr auf die Hocke. Die Spitze seines völlig schwarzen Schwertes sank in den Schnee ein und er trug eine ebenfalls schwarze Rüstung unter dem weißen Wappenrock. Das Kettenhemd war letztes Mal nicht gewesen… „Der Schnee wird dich töten, wenn du nicht aufstehst. Sofort!“ Abrupt fuhr sie auf, nicht wegen der Worte, sondern dem Ton. Sie stand erst schwankend, aber dann kehrte das Leben in ihre Glieder zurück und dieser Schmerz klärte ihren Kopf. Der Schrecken, beinahe den dümmsten Fehler begangen zu haben, den man im Schnee tun konnte, half ihr noch mehr. Erstaunt sah sie Neji an, der ihren Blick unerschrocken erwiderte. „Ich…“, sagte sie und bevorzugte dann doch ein schlichtes „Danke.“ Neji hatte ihr in diesem Moment das Leben gerettet. Sie wäre gestorben im Schnee wie so viele vor ihr: einfach eingeschlafen, weil er so einladend war und sie so müde. Anscheinend waren sie jetzt quitt, TenTen und der Engel. Neji erwiderte ihr erleichtertes, dankbares Lächeln nicht und erklärte: „Du hast Glück, dass ich keine anderen Befehle habe. Ansonsten hätte ich nicht kommen können. Ich werde dich zu deinem Ziel bringen.“ TenTen nickte, dankbar. Ihr hätte ein sicheres Versteck gereicht, aber das Nachbardorf war ihr auch willkommen. Dort würde man ihr ein Bett zur Verfügung stellen, warm und weich… Ihr Blick fiel an Neji vorbei auf eine zweite Gestalt und ihr Blut schien ihr in den Adern zu gefrieren. Einige Schritte entfernt stand der teuflische Rappe. Er starrte sie aus zu klugen, schönen Augen an, ein triumphierender Ausdruck aus dem expressiven Gesicht. Sie schrie auf und wich zurück, aber Neji nahm keine Notiz von dem Dämon, sondern legte nur fragend den Kopf schief. Einen Moment später wandte er sich um und folgte ihrem Blick. Das Pferd schnaubte und schüttelte die prächtige Mähne und Neji sah sie wieder an. „Das ist Aquila.“ Und in diesem Moment wurde ihr klar, dass der Rappe kein Feind war, kein Dämon, keine Kreatur, die aus der Hölle gestiegen war um sie zu töten. Sondern ein Freund, ein Helfer der Engel, ein Helfer Nejis. Und sie lachte über ihre eigene Dummheit, rau und hart. Aber wer hätte daran schon gedacht?! Der Engel reagierte gar nicht auf ihre Reaktion gegenüber seinem Reittier, sondern fuhr unbeeindruckt fort. „Er hat mir geholfen, dich zu finden. Komm.“ Damit streckte er die Hand aus. TenTen nahm die dargebotene Hilfe an und ließ sich zu dem himmlischen Ross führen. Die kurze Berührung – und sie war noch nicht einmal Haut auf Haut, da sie zwei Paar Handschuhe über ihren Fingern trug – zuckte wie ein Blitz durch ihren Körper und sie fühlte sich mit einem Mal wieder besser. Es schien, als sei etwas Energie zu ihr zurückgekehrt; sie war wacher als seit Stunden. Neji ließ ihre Hand los und schwang sich mit einer solch anmutigen Leichtigkeit auf den Rücken seines Pferdes, dass ihr der Atem stockte. Das Pferd schnaubte und bog den eleganten Hals, sichtbar stolz auf sich und seinen Reiter. Doch der Engel streckte ihr unberührt einfach erneut die Hand entgegen und als TenTen sie diesmal nahm, zog er sie hinter sich auf den Rücken des Rappen. Sie hatten weder Sattel noch Zaum, doch sie schienen auch keinen zu brauchen. Neji lenkte das Tier mit natürlicher Leichtigkeit und TenTen hatte die Arme um ihn geschlungen. Sein Körper und die Rüstung waren hart und unbequem, aber wenigstens war er warm und ihre Glieder schienen wieder endgültig aufzutauen. Das Pferd lief mit mühelosem, leichtem Schritt, glitt beinahe durch den Schnee. Die Bäume links und rechts schienen zu verschwimmen, so schnell zogen sie vorbei, als Aquila an Tempo aufnahm. Die dumpfen Hufschläge waren laut in ihren Ohren und Neji fest und stark in ihren Armen. Zum ersten Mal seit Tagen fühlte TenTen sich sicher. Hier, auf dem Rücken eines himmlischen Pferdes und hinter einem Engel, schienen Stärke, Vertrauen und Schutz zu existieren wie sonst nirgendwo auf der Welt. Hier schien ihr nichts etwas anhaben zu können. Hier war Hoffnung nicht nur das; nicht nur ein flüchtiger, unsicherer Hauch, sondern greifbar wie ein Schwert. Hier war Hoffnung das Versprechen auf Sieg, auf Freiheit, auf Glück und die Entschlossenheit, ihre Hoffnung niemals loszulassen war der Preis, den TenTen leicht zahlen konnte. Sie erinnerte sich noch gut an ihre erste Begegnung mit dem Engel, an die völlige Aufgabe, der ihr Begleiter sich hingegeben hatte. Er hatte im Schnee gelegen wie ein Toter. Verletzt von Dämonen, aber geschlagen von der Verzweiflung. Damals war es Neji gewesen, der sie verloren hatte, seine Hoffnung. Seinen Glauben an sich, an seinen Krieg, an die Menschheit, für die sie kämpften. Sie wusste bis heute nicht genau, wie er wieder Mut gefunden hatte, Stärke, Glaube, Sicherheit. Einzig dass sie geholfen hatte, indem sie einfach sie selbst war. Und jetzt gab er ihr das zurück, was sie ihm gegeben hatte, zahlte Gleiches mit Gleichem zurück; erneut ohne dass sie eine Ahnung hatte, wie es geschah. Denn jetzt war sie sich zum ersten Mal sicher, dass sie – ihre Familie, ihre Leute und ihre Verbündeten – den Kampf gegen den so plötzlich aufgetauchten Feind gewinnen konnten. Dass sie siegen konnten. Als sie aus dem Wald herausbrachen, wusste TenTen trotz des Windes und des noch immer fallenden Schnees genau, wo sie waren. Das Nachbardorf lag gar nicht mehr weit entfernt, hinter den Hügelketten, die sich vor ihnen ausbreiteten wie rollende Wellen, ganz in Weiß. Der Rappe trug sie geschwind den ersten Hang hinunter, trittsicher wie auf einer ebenen Straße. Links und rechts tauchten zwei weitere Pferde auf, ebenso schwarz, schön und stark wie Aquila. Die Reiter trugen lange, weiße Gewänder und schwarze Waffen und Rüstungen wie Neji. Ihre Haare, lang und dunkel, peitschten wie die Mähnen der Pferde im Wind. TenTen kam sich vor wie in einem Traum. Bald konnte sie die Gesichter der Reiterinnen sehen, schön und entschlossen wie Nejis, und mit Augen wie Wintermonde, wie er. Ob allen Engeln diese Augen gegeben waren? Ob diese Augen der Grund waren, warum sie tief sehen konnten, bis hinunter in die dunkelsten Ecken der menschlichen Seele? Der wilde Ritt über die Hügel dauerte nicht lang und keines der Pferde stolperte auch nur ein einziges Mal. Die schönen, himmlischen Tiere bewegten sich wie Tänzer über den Schnee hinweg, wie die Schneeflocken, doch zielstrebig und gerade. Und TenTen genoss jeden Augenblick. Als sie den letzten Hügelkamm erreichten, zügelte Neji Aquila. Tenten brauchte einen Moment, um sich von ihm zu lösen und ihre steifen Glieder zum Kooperieren zu zwingen, ehe sie vom Rücken des Pferdes rutschte. Unter ihnen lag, geschützt in einem gut zu verteidigenden Talkessel, das Dorf, in dem sie um einige Krieger bitten sollte. Sie drehte sich wieder um und wandte das Gesicht zu Neji. Schön, stolz und stark sah er aus auf dem Rücken des Rappen, kriegerisch und mächtig. Seine stummen Begleiterinnen warteten einige Schritte entfernt; die langen, dunklen Haare der drei Engel und der Pferde wehten im starken Wind. Die erste Kriegerin erwiderte TenTens Blick hochmütig, die andere lächelte sie jedoch freundlich an. Die Jägerin wandte sich wieder zu Neji. „Danke.“, sagte sie. „Jetzt stehe ich wohl in deiner Schuld.“ Aber das machte ihr nichts aus. „Nein.“, antwortete der Krieger jedoch. „Geh jetzt und hole die Hilfe, die ihr brauchen werdet.“ Sie nickte. „Natürlich.“ Immerhin hatte sie dies ihren Leuten versprochen. „Wenn du jemals Hilfe von jemandem wie mir brauchst, dann zögere nicht und frag.“ Ihr Gegenüber nickte und um seine Lippen spielte ein winziges Lächeln. Die Geste wirkte fremd auf seinem Gesicht, aber für sie war es das Wunderbarste, das sie je gesehen hatte. „Ich werde dir immer zur Seite stehen, das verspreche ich, wie ich meiner Familie beistehe.“ Wieder lächelte Neji, dann nickte er ihr zum Gruß zu und wandte sein Pferd um. Sie sah ihm und seinen Begleiterinnen zu, wie sie die Rösser antrieben und den Hügel hinuntergaloppieren ließen. Sie wollte dieses Bild im Kopf behalten, diese Pracht, diese Herrlichkeit – diese Stärke. Wer wusste schon, ob sie sie je wieder sah? Vermutlich nicht – aber das hatte sie auch schon vor zwei Jahren gedacht. Sie lachte leise in sich hinein, drehte sich um und begann, den Hügel hinunterzumarschieren. Sie hatte noch ein Versprechen zu halten und so anziehend es auch wäre, ihrem himmlischen Freund in die dunklen Wälder zu folgen, sie konnte es nicht. Aber vielleicht, eines Tages… Vielleicht brauchte einer von ihnen beiden wieder eine Ermahnung, was Hoffnung, Stärke und Glaube bedeuteten – oder sie trafen sich einfach irgendwo, irgendwann, vielleicht. Sie hoffte es. TenTen lachte, laut und wild. Denn die Hoffnung war himmelweit und niemals fern. Der leichte Wind trieb Schneeflocken vor sich her, dass sie tanzten. ~~~~~~~ Ich will auch richtigen Schnee... Vorhin hat es für eine halbe Minute mal kurz geschneit, aber das war's. D: Und in genau einer Woche ist Weihnachten. °_° Gruß Sorca~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)