Die Last auf seinen Schultern von gluecklich (24 Wege, jemanden in den Wahnsinn zu treiben) ================================================================================ Prolog: Erster Advent --------------------- »Wir sagen euch an, den lieben Advent…« Der Geruch von Feuer hatte ihn nicht aufwecken können. Er war noch im Halbschlaf gewesen und hatte ihn durchaus bemerkt, aber gestört hatte er sich nicht daran. Hier brannte ständig irgendwas. Das war kein Grund, an einem freien Tag aufzuwachen. Irgendwer würde den Mist schon löschen. »…Sehet, die erste Ecke brennt…« Was ihn viel eher langsam zurück ins Bewusstsein trieb, war die leise Stimme direkt neben seinem Ohr. Er wusste, wer das war. Er kannte diese Stimme. Sie hatte gerade seine Träume versaut, indem sie ihm verdammt nah kam und ein behindertes Lied säuselte. »…Wir sagen euch an, eine heilige Zeit…« Das war Sougo. Blinzelnd schlug Toushirou die Augen auf. Das – war – Sougo. Etwas roch verbrannt und Sougo sang ihm ein Weihnachtslied ins Ohr. Er hatte geschlafen, etwas roch verbrannt und Sougo sang ihm… »…Machet dem –« Sougos herzerwärmender Gesang stoppte abrupt und er kam mit einem dumpfen Laut rücklings auf dem Boden auf. Toushirous geballte Faust schien ihn überrascht zu haben, denn normalerweise wich er solchen Angriffen problemlos aus. »Oh, du bist ja wach«, sagte er trotzdem fröhlich, nachdem er sich aufgerichtet und kurz über die Nase getastet hatte, und grinste ihn an, als sei nichts geschehen. »Kannst du mir sagen, was zur Hölle du da treibst?«, fauchte Toushirou, der ihn in seiner Wut nicht mal ansehen konnte, weil er vollends damit beschäftigt war, die brennende Decke von sich zu werfen und – barfuß, wohlbemerkt – auszutreten. »Wieso in aller Welt zündest du meine Decke an?« »Aber doch nur eine Ecke«, protestierte Sougo mit perfekter Unschuldsmiene, als bringe das alles wieder in Ordnung. »Heute ist der erste Advent!« »Der erste was?« »Weiß ich auch nicht so genau. Irgendwas Westliches. Jedenfalls haben die da so ‘nen Kranz mit vier Kerzen und zünden jede Woche eine an. Wir haben keinen Kranz. Also dachte ich mir, ich zünde stattdessen jede Woche eine Ecke deiner Bettdecke an.« »Ja, logisch…«, murmelte Toushirou, der nur zur Hälfte zugehört hatte, und fuhr sich mit einer Hand durchs chaotische Haar – nur, um in der nächsten Sekunde aufzuspringen und beherzt nach Sougo zu treten. »WIRST DU DICH WOHL AUS MEINEM ZIMMER VERPISSEN!« Natürlich hatte er verfehlt; Sougo duckte sich mit Leichtigkeit unter der leicht rußgeschwärzten Fußsohle hinweg, rollte sich zur Seite ab und verschwand grinsend hinter der Schiebetür, ließ Toushirou somit allein in seinem Zimmer, das mehr denn je nach Rauch stank. Schnaufend wandte er sich wieder seinem Futon zu und betrachtete naserümpfend die angesengte Decke. Erster Advent also… Richtig, die Weihnachtszeit stand bevor. Und irgendetwas sagte ihm, dass Sougo ihm die Festlichkeiten dieses Jahr sehr … besonders gestalten würde. Erster Dezember --------------- Sougos Weihnachtsstimmung war zum Kotzen. Wenn man das überhaupt Weihnachtsstimmung nennen konnte – wahrscheinlich war es nur wieder mal irgendeine behinderte Farce, um ihn so effektiv wie möglich zu nerven. Und leider klappte das ganz gut. Wenn sie zu zweit waren, begann er aus heiterem Himmel, Weihnachtslieder zu summen. Wann immer sie sich draußen aufhielten, fantasierte er lauthals über Schneelandschaften. Und dann war da noch die Tatsache, dass Weihnachten in Japan … speziell gefeiert wurde. Toushirou hatte davon gehört, dass es im Westen ein Familienfest war, oder zumindest eines sein sollte – na ja, das war es in Japan nicht. Definitiv nicht. Wenn genug Sachen schief liefen, dann war es ein Fest, an dem Familien versehentlich gegründet wurden, durch gerissene Kondome und sowas. Aber im Grunde genommen war Weihnachten für alle Leute hier, die halbwegs erwachsen waren, ein Fest der verzweifelten Dates, inklusive Frust-Sex. Toushirou nahm daran nicht teil. Nie. Er war so schon genervt genug, er musste sich nicht noch irgendeine Trulla antun, die sich dann den ganzen Abend lang an seinen Arm klammerte und von ihm erwartete, dass er sie nett ausführte und am Ende flachlegte, obwohl er absolut keine Lust darauf hatte. Er war nicht interessiert, Ende der Geschichte. Das Problem war, dass Sougo in dieser Hinsicht ein neues Hobby gefunden hatte. Irgendwie hatte er Wind bekommen von dieser furchtbaren Sache, die sich »Pairing« nannte und scheinbar eine Beschäftigung von hirnverbrannten Fans war, und dann hatte er Wind bekommen von diesem furchtbaren »Pairing«, das sich »GinHiji« nannte und einen Haufen pubertärer Mädchen wohl ebenso erfreute wie Sougo höchstpersönlich. Zur Folge hatte das, dass er ihm in der letzten Zeit in den unmöglichsten Ecken und Winkeln auflauerte, um ihm dann plötzlich in den Weg zu springen und so laut wie möglich zu fragen, ob er Sakata nun endlich um ein Weihnachtsdate gebeten hatte und ob er ihm noch ein paar Kondome besorgen sollte. Toushirou antwortete darauf für gewöhnlich mit beherztem Gebrüll und Schwertfuchteln, aber er war nicht ganz sicher, ob das eine gute Methode war, um die anderen Mitglieder, die Sougos lautstarken Fantastereien natürlich zuhören konnten, davon zu überzeugen, dass es nicht stimmte. Na ja, war ja eigentlich auch egal… Er hatte versucht, sich zu wappnen. Er hatte es wirklich versucht. Heute war der erste Dezember und er ging davon aus, dass dieser Monat eine einzige Zerreißprobe für seine Nerven werden würde. Sein Jahr würde also richtig schön beschissen enden, davon war er fest überzeugt. Sougo würde sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen. Er hatte vorbereitet sein wollen, wenigstens psychisch… Er hatte wirklich versucht, sich mental darauf einzustellen, einen ganzen Monat lang noch schlimmer gefoltert zu werden als ohnehin schon. Er hatte es wirklich versucht. Aber eines der vielen großen Probleme dabei, mit dem Prinzen des Sadisten-Planeten zusammenzuleben, war, dass man nie vorbereitet sein konnte. Niemals. Als Toushirou am ersten Dezember von seiner routinemäßigen Patrouille zurück ins Hauptquartier kam, stand eine gigantische Tanne genau vor dem Außeneingang zu seinem Zimmer. Er stand eine Weile lang ratlos davor und musste dann feststellen, dass es mühsamer Zentimeterarbeit bedurfte, sich an dieser Tanne vorbei in sein Zimmer zu schieben. Toushirou war zwischendurch kurz davor, einfach ein verdammtes Loch in die dünnen Schiebetüren zu treten, als er sie schließlich mit einem Ruck öffnen konnte und sich endlich am unangenehm harzenden Baum vorbeischob. Wer auch immer den verfickten Baum vor sein Zimmer gestellt hatte, hatte offenbar noch so einen Baum in seinem Zimmer geleert. Alles, der Boden, die Möbel, sein Futon, alles war bedeckt mit Tannennadeln. Die Fäuste bereits geballt und gefährlich zitternd stampfte Toushirou durch das grüne Meer, das schon nach wenigen Schritten bestialisch in seine Haut piekste, und fand einen kleinen Zettel, der unscheinbar mit Tesafilm an einer der Wände befestigt worden war. Hijikata-san, auf eine besinnliche und ruhige Adventszeit. Ich dachte, das bringt dich vielleicht in Stimmung. - Sougo Nachdem er den Zettel verbrannt hatte, verarbeitete er die Tanne vor der Tür mit seinem Katana zu Kleinholz und versklavte dann Yamazaki dazu, sein Zimmer auszukehren. Zweiter Dezember ---------------- Als Toushirou am nächsten Morgen erwachte, spürte er unangenehmes Pieksen an seinen Beinen und seinem Rücken. Schlaftrunken tastete er unter seinem eigenen Körper über die Matratze und fand ein paar restliche Tannennadeln. Yamazaki hatte also welche übersehen. Er würde ihn dafür vermöbeln. Vielleicht bekam er dadurch ja bessere Laune… Der Tag hatte hiermit schon verdammt beschissen angefangen, und als Toushirou rücklings auf seinem Futon lag und mit halboffenen Augen an die Decke starrte, war er sich sicher, dass der Tag genauso beschissen weitergehen würde. Zweiter Dezember. In zwei Tagen war schon der zweite Advent, und gleich darauf diese Nikolaus-Scheiße. Toushirou hatte vergessen, was man im Westen am sechsten Dezember trieb, aber er hatte den starken Verdacht, dass Sougo es wusste und ihm auch irgendeinen Strick daraus drehen würde. Vielleicht sollte er nachschlagen, was westliche Tradition war, um sich irgendwie wappnen zu können… Obwohl das gestern ja auch nicht geklappt hatte. Es war schlicht und ergreifend hoffnungslos. Und irgendetwas in seinem Zimmer stank. Seufzend setzte er sich auf und warf einen Blick auf die Uhr. Er hatte noch Zeit – wie fast immer. Es passierte ihm oft, dass er schon früh morgens aufwachte und nicht mehr einschlafen konnte, er hatte sich mittlerweile daran gewöhnt und sich eine Morgenroutine zugelegt, die dazu passte. Meistens war es draußen noch dunkel und das Shinsengumi-Hauptquartier lag in völligem Schweigen. Da Sougo für gewöhnlich abends Einschlafprobleme hatte, schlief er dafür morgens länger und war längst noch nicht wach, wenn Toushirou aufstand. Somit hatte er wenigstens ein paar ruhige Stunden am Tag. Für gewöhnlich ging er duschen und allein frühstücken, rauchte ein bisschen vor sich hin und trainierte nach Lust und Laune, bevor die anderen wach waren. Das half ihm, zu entspannen. Die ganze Entspannung war dann fünf Minuten nach Dienstbeginn wieder verflogen, aber das machte ja nichts. Wenn sein Blutdruck so wenigstens morgens für eine Weile in humanen Gebieten lag, war es das wert. Toushirou gähnte und streckte sich, musste aber gleich darauf husten. Verdammt, was stank hier denn so? Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er etwas im Gesicht hatte… Vielleicht war es doch noch zu früh. Vielleicht wurde er auch nur alt. Und er hatte eben Recht gehabt, der Tag ging beschissen weiter. Seufzend fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar – und stockte. Da war etwas. Da war etwas in seinen Haaren, was dort nicht hingehörte. Es war haarig, ja, aber nicht so, wie es sein sollte. Es fühlte sich seltsam hart und klebrig an. Und es stand von seinem Kopf ab. Auf beiden Seiten. Toushirou sprang so schnell auf die Beine, dass sein Kreislauf sich verabschiedete, aber er ließ sich nicht einmal groß davon stören und torkelte so schnell er konnte ins Bad, um sich im Spiegel anzusehen. Und als er dort angekommen war, konnte er nur mit großer Mühe einen wütenden Aufschrei unterdrücken, der das gesamte Hauptquartier geweckt hätte. Seine Haare. Die Haare an den Seiten seines Kopfes, um genau zu sein. Irgendjemand musste sie über Nacht frisiert haben – zu etwas, das einem kleinen Rentier-Geweih beängstigend ähnlich sah. Und es hielt, es stand absolut horizontal von seinem Kopf ab… Scheiße, Toushirou konnte nur hoffen, dass es Haarspray war und kein Sekundenkleber oder ähnliches. Und was die ganze Zeit so gestunken hatte, war ihm nun auch klar. Es war der Gestank eines Eddings. Eines roten Eddings, mit dem irgendjemand seine Nase angemalt hatte. Irgendjemand. Dieser verfickte Bastard hatte sich über Nacht hier reingeschlichen um ihn zu Rudolph dem verdammten Rentier zu machen. Klar schlief er morgens länger, wenn er vorher mit sowas beschäftigt war… Toushirou versuchte noch minutenlang, gegen die Wut anzukämpfen, scheiterte letztendlich jedoch und zerstörte blindlings sämtliche Wasserleitungen in seinem Bad und weckte das Hauptquartier damit schließlich doch noch auf. Glücklicherweise schaffte er es in eine andere Dusche, bevor ihn jemand sah und schaffte es zumindest, das Zeug aus seinen Haaren zu waschen und seine Frisur wieder halbwegs normal aussehen zu lassen. Das größere Problem war die verfluchte Eddingfarbe auf seiner Haut. Nachdem er sich die Nase fast wundgeschrubbt hatte, war sie kaum noch zu sehen, aber er bekam trotzdem den ganzen Tag noch schräge Blicke von Leuten mit guten Augen. Und wer Bescheid wusste, erkannte wohl sowieso die Rückstände dieses stressigen Morgens an ihm. Sougo jedenfalls verfiel jedes Mal in unterdrücktes Gelächter, wenn er ihn am zweiten Dezember sah. Dritter Dezember ---------------- Sougo schlich sich nachts in sein Zimmer. So viel stand fest. Das war neu und Toushirou verstand nicht, wie er das schaffte. Klar, theoretisch war es nicht schwer, weil er seine Tür nicht abschloss. War ja auch nur eine dieser Schiebetüren, die hatte hier jeder. Die meisten von ihnen lebten im Shinsengumi-Hauptquartier, und das war eben traditionell gebaut. Toushirou musste sich normalerweise keine Sorgen machen, weil es keiner der Mitglieder wagte, einfach so in sein Zimmer zu platzen. Kondou war auch höflich genug, vorher anzuklopfen – und Sougo hatte es zwar schon oft versucht, aber eigentlich war Toushirous Schlaf leicht genug, dass er sowas sofort bemerkte und aufwachte. Das endete dann darin, dass er Sougo unter lautem Brüllen wieder aus seinem Zimmer warf und für diese Nacht Ruhe hatte. Entweder war Sougo leiser geworden, oder er schlief tiefer. Irgendwie konnte er sich beides nicht vorstellen. Klar war Sougo nicht schlecht, aber er konnte sich doch nicht mit einem Edding und Haarspray in sein Zimmer schleichen, ohne bemerkt zu werden, oder…? So tief konnte doch niemand schlafen, dass man das nicht bemerkte. Toushirous Schlaf war schon immer leicht gewesen, schon seit seiner Kindheit, und es gab keinen Anlass in den letzten Tagen, dass sich das hätte ändern können. Eigentlich war die einzige Möglichkeit, dass er ihm vorher Schlafmittel untergejubelt hatte oder sowas. Das war Sougo durchaus zuzutrauen und Toushirou würde versuchen, darauf zu achten, aber die erste Maßnahme war eben, etwas dagegen zu tun, dass er nachts einfach hier reinspazieren konnte. Am Abend des zweiten Dezembers hatte Toushirou also seine Tür verbarrikadiert. Man konnte sie von außen nicht mehr aufschieben, und auch die dünnen Wände hatte er, zumindest im unteren Bereich, so vollgestellt wie möglich. Wenn Sougo nun des Nachts hier reinwollte, musste er die Trennwände weiter oben zerreißen und von dort aus reinklettern, und entweder würde Toushirou das hören, oder am nächsten Morgen sehen und ihm vorhalten können. Aber er hatte nichts gehört, und am Morgen des dritten Dezembers war tatsächlich noch alles intakt. Die Barrikade vor seiner Tür sah unberührt aus, völlig unberührt, und alle Wände waren hervorragend erhalten. Toushirou ging trotzdem nochmal sicher, trat vor den Spiegel und überprüfte, ob er irgendwo angemalt oder … anders modifiziert worden war, er durchsuchte jede Ecke seines Zimmers und hatte am Ende seiner Inspektion tatsächlich ganz respektable Laune, weil alles an seinem Platz war, und so, wie es sein sollte. Er hatte es tatsächlich geschafft, Sougo eine ganze Nacht lang von sich fernzuhalten. Beschwingt zog er sich an und entfernte seine Sicherheitsvorkehrungen, um sein Zimmer zu verlassen. Es war früh, wie immer, und er freute sich tatsächlich etwas auf sein ruhiges Frühstück, weil er sich vorher nicht hatte aufregen müssen. Wenn er es langsam schaffte, Sougos Angriffen vorzubeugen, wurde die Weihnachtszeit vielleicht doch nicht ganz so schlimm… Die Mayonnaise-Flasche in der Küche war all, aber das machte nichts. Toushirou hatte einen eigenen kleinen Raum im Hauptquartier, der noch voll mit denen war. Sein eigenes Mayo-Lager. Die anderen wussten davon, natürlich wussten sie davon, immerhin musste ihnen klar sein, von welcher Tür sie die Finger zu lassen hatten. Und als Toushirou gutgelaunt genau dieses Lager ansteuerte, musste er feststellen, dass irgendjemand dieses ungeschriebene Gesetz missachtet hatte. Die Tür ging nicht auf. Egal, ob er drückte oder zog, egal, wie sehr er rüttelte, sie ging nicht auf. Und diese hier war keine Schiebetür, sondern eine massive Holztür, weil es sein verdammtes Mayo-Lager war und das gewisse Sicherheitsvorkehrungen brauchte. Aber sie ging nicht auf. Jemand hatte sie verbarrikadiert. Von innen. Toushirou stand vor der Tür und nahm lange, intensive Atemzüge. Okay. Okay. Seine Mayo-Kammer war verbarrikadiert. Jemand hinderte ihn daran, an seine Mayonnaise zu kommen. Er verbarrikadierte seine Tür und jemand verbarrikadierte diese Tür… Eine Botschaft. Okay. Er hatte verstanden. Auge um Auge, davon war Sougo ja ohnehin ein Fan. Schon gut, er hatte es kapiert. Aber das war nicht wichtig. Wichtig war, dass er nicht an seine Mayonnaise kam. Minutenlang stand er da und starrte die Tür an, versuchte, sich zu entscheiden, ob es besser war, sie einfach zu zerstören und damit das Risiko einzugehen, dass es lang dauern und viel kosten würde, die Tür zu ersetzen, oder ob er einfach losrennen und sein Gehalt für einen neuen Mayo-Vorrat ausgeben sollte. Dann drehte er um und stampfte aus dem Gebäude, um sich in eines der Streifenautos zu setzen und das Blaulicht einzuschalten, damit er schneller durchkam – um fünfzig Flaschen Mayonnaise zu kaufen und sie alle in seinem Zimmer zu deponieren. Nachdem er die erste über sein Frühstück geleert hatte, ging es ihm etwas besser, aber die Sache mit seinem Lager würde ihn noch für den gesamten restlichen Tag leicht aus der Bahn werfen. Dass Sougo die ganze Zeit etwas eingeschnappt wirkte, entging ihm dadurch. Adventsbonus: Con bravura ------------------------- A/N: "con bravura" ist eine Vortragsbezeichnung aus der Musik und bedeutet so viel wie "mit Kühnheit/Virtuosität". Im Folgenden werden weitere musikalische Begriffe auftauchen - wer die nicht versteht, wendet sich bitte an Wikipedia oder mich. hat sich Bansai/Zaki gewünscht, aber wirkliches Shônen-Ai war mir mit diesem Pairing leider unmöglich. D: Also bitte nehmt hiermit Vorlieb. --- Angefangen hatte es mit einer simplen, einfältigen Melodie, die jedes Kind hätte nachsingen können. Keine Begleitung, keine Spielereien, keine Besonderheiten. Ein langweiliger, normaler Charakter. Und dann hatte sich alles geändert. Unerwartete Crescendi, plötzliche, heftige Rhythmen, starke Akkorde, und alles in Dur. Immer in Dur. Egal, was geschah. Er hatte ihn blutend am Boden liegen lassen, er war drauf und dran gewesen, ihn zu töten, und nicht ein einziges Mal hatte sich die Tonart in Moll geändert. Nicht ein einziges, verdammtes Mal. Seine Arbeit, sein gesamtes Zuhause war kurz davor gestanden, zu zerfallen, in Einzelteile, die niemand wieder hätte zusammensetzen können, und hatte es das Stück, das seine Seele spielte, schwächer gemacht? Nicht mal ansatzweise. Es war lauter geworden, stärker und selbstbewusster, es hatte sich in manche mutige Kompositionen vorgewagt, von denen selbst die tapfersten Jazzer die Finger gelassen hätten, und das nur, um diese verrottende Organisation zu retten. Ein Haufen Hunde, der von der Regierung benutzt und von Piraterie zersetzt wurde, eine Ansammlung korrupter Idioten, die die Bezeichnung Samurai gar nicht mehr verdient hätten – zu Anfang war es so leicht gewesen, die Shinsengumi auseinanderzubringen, in Lager aufzuteilen und gegeneinander aufzuhetzen, es war so eine bequeme Arbeit gewesen, und dann war das passiert. Seinen Vize-Kommandeur hatte er noch informieren wollen. Mit einem Fuß hatte er schon im Grabe gestanden, und er hatte sich mit den Händen über den Boden gezerrt, um zu seinem Vize-Kommandeur zu gelangen – seinem Vize-Kommandeur, der in diesem Moment wohlbemerkt ein weichgespülter, feiger Otaku gewesen war. Es war nicht so, dass Bansai das nicht verstehen könnte. Er verstand es, natürlich verstand er es. Es war Loyalität, simple und einfache Loyalität, und das war eine Sache, die ihm durchaus geläufig war. Bansai hielt sich so unabhängig wie möglich, theoretisch war er der Kiheitai zu nichts verpflichtet, aber auch er würde, wenn es hart auf hart käme, wohl oder übel einiges für Shinsuke aufs Spiel setzen. Klar verstand er, dass das auch bei Idioten wie der Shinsengumi so laufen musste. Nein, die Loyalität an sich war nicht sein Problem. Sein Problem war diese Melodie. Diese Komposition, dieses Stück als Ganzes. Wie konnte es so simpel beginnen und mit einem Mal, wenn es doch schon drauf und dran war, mit ein paar lachhaften schiefen Tönchen im Sand zu verlaufen, so aussagekräftig werden und einen immer wiederkehrenden Refrain von Crescendi, schmetternden Arpeggien und Paukenschlägen präsentieren? Bansai wollte es verstehen, und vor allem wollte er wissen, wie lang dieses Stück durchhalten würde. Wie lang dieses Schwanken zwischen Einfältigkeit und blindem Mut noch funktionieren konnte, er wollte hören dürfen, wie all das irgendwann endete. Deshalb hatte er Yamazaki Sagaru leben lassen. Und deshalb verbrachte er seine Freizeit nun damit, auf einer Parkbank in der Nähe des Shinsengumi-Hauptquartiers zu sitzen und auf ihn zu warten. Sie waren mal wieder in Edo, eigentlich waren sie auffallend oft in Edo ohne bemerkt zu werden, und Bansai hatte es tatsächlich mal geschafft, zwischen Shinsuke, Auftragsmord und Otsuu ein paar freie Stunden zu ergattern. Und nun saß er hier und sah dabei zu, wie kleine Fische der Shinsengumi aus- und eingingen. Von ihnen allen ging diese Melodie aus, dieses plumpe Geklimper im Vordergrund mit diesen feinen Anläufen von Stolz und Ehre im Hintergrund. Aber er wollte Yamazaki. Die hohen Tiere interessierten ihn nicht, bei denen war es schon etwas natürlicher, dass ihre Melodie so pompös wurde, bei Yamazaki war das etwas anderes. Und all die anderen kannte er nicht, die interessierten ihn auch nicht. Und er schien sie ebenfalls nicht zu interessieren. Bansai konnte problemlos durch die Straßen Edos schlendern, weil ihn dort niemand kannte, aber innerhalb der Shinsengumi sollte sein Gesicht mittlerweile eigentlich die Runde gemacht haben. Vielleicht waren sie nur zu feige, ihn anzugreifen oder anderen Bescheid zu geben. Ihn störte das nicht, so hatte er seine Ruhe. Bansai trug seine Kopfhörer, wie immer, aber seine Musik war für den Moment aus. Er wollte es nicht verpassen, wenn die Melodie spielte, die er suchte. Er wollte wissen, was mit ihr passierte, wenn Yamazaki ihn entdeckte. Er wollte wissen, ob sie dann wieder so laut und aufgeblasen werden würde wie damals. Er wollte wissen, ob es dazwischen vielleicht eine Sequenz des Zweifels geben würde, nur einen Takt, vielleicht sogar nur einen Ton. Er wollte wissen, wie laut die Angst sein würde, ob sie verfliegen würde, oder ob sie in der Begleitung immer wieder auftauchen würde. Er wollte wissen, was passierte, wenn er ihm folgte. Er wollte wissen, was passierte, wenn er ihn in die Enge trieb. Würde er wieder nur an seine Shinsengumi denken, und an diesen Kommandeur, an den er ihn verpetzen musste, wenn er in der Stadt war? Würde das Stück erneut so aufbrausen, oder würde ihm endlich auffallen, was für eine Bedrohung Bansai für seine Existenz war? Würden es hohe oder tiefe Töne werden, würde es melodisch sein oder disharmonisch, würden es Saiten oder Trommeln sein, Bläser oder Felle? Und welche Lieder spielte er, wenn er um sein Leben rannte? Welche Lieder spielte er, wenn er aufgab? Welche Lieder spielte er, wenn man seine Privatsphäre zerbrach, einfach so, sich zu ihm hinabbeugte und ihm den Tod ins Gesicht hauchte, welche Lieder spielte er im Angesicht unmittelbarer, persönlicher Gefahr? Wie würde er klingen, wenn man ihn schon wieder leben ließ? Es gab noch so viel zu erforschen, wofür er weiterleben musste. Wie präsentierte sein Stück die Freude? Welche Instrumente symbolisierten seine Trauer? Was machte Lust mit seiner Musik? Wurde die Perkussion leiser oder lauter, wenn man ihn erregte? Trotzig oder zaghaft? Gab es vielleicht Instrumente, die er in ihm noch gar nicht gehört hatte? Tonhöhen, die er bisher nicht erreicht hatte, die er erst erklimmen würde, wenn Bansai die rechten Register zog? Möglicherweise war der Junge ein gigantisches Stück, ein Meisterwerk, das einfach nur simpel anfing, um seine Hörer in die Irre zu führen. Möglicherweise war er eine ganze Musikrichtung, bisher unentdeckt, modern und weitläufig, und möglicherweise war es an Bansai, sie zu erforschen und zu seinem Repertoire hinzuzufügen, sie Sein zu machen. Möglicherweise. Mit einem schmalen Lächeln lehnte er sich zurück und wartete auf den schwarzen Haarschopf, der sich noch immer nicht hatte blicken lassen. Er hatte nicht genug Zeit, um all diese Kompositionsvariationen heute auszuprobieren. Aber den Anfang konnte er machen. Und dann würde er nicht mehr von dieser ungeahnt komplexen Partitur ablassen. Yamazaki Sagaru hatte ihn in einen wirren Bann aus Wahn und Begeisterung gezogen. Und er hatte noch keine Ahnung von seinem Verderben. Fünfter Dezember ---------------- Die Mayonnaisekammer war den ganzen Sonntag über geschlossen geblieben, aber als Toushirou die Tür am Montagmorgen ein weiteres Mal vorsichtig überprüft hatte, war sie aufgegangen. Allerdings hatte das nichts besser gemacht. Er wusste nicht, wie Sougo das geschafft hatte, aber jede einzelne Flasche seines Vorrats war mit etwas anderem gefüllt worden. Normalerweise hätte er das gesehen, denn die Flaschen waren durchsichtig, aber wie es aussah, hatte Sougo es irgendwie fertiggebracht, sie mayonnaisefarben anzumalen und dann zu füllen. Sein Montag war bisher die reinste Hölle gewesen. Unter verhaltenem Kichern hatten die anderen Mitglieder dabei zugesehen, wie Toushirou sich Ketchup auf sein Frühstück gegossen hatte. Das hatte ihn aufgeregt und angeekelt, aber das war noch irgendwie auszuhalten gewesen. Als er sich am Vormittag an einem zweiten Frühstück hatte versuchen wollen, war es plötzlich Zahnpasta gewesen – und beim Mittagessen war zu seinem großen Entsetzen zähflüssige, schwarze Schuhwichse aus der Flasche gekommen. Toushirou hatte Zaki dazu versklavt, das Lager komplett leerzuräumen und jede einzelne Flasche zu verbrennen, dann hatte er es selbst mit richtiger Mayonnaise aufgefüllt und das Schloss auswechseln lassen. Und im Nachhinein war ihm aufgefallen, dass Zaki anders gewirkt hatte als sonst. Deshalb saßen sie nun auf dem Hof, zwischen Toushirous Fingern brannte eine Zigarette langsam herunter und Yamazaki klammerte sich an einem Glas Milch fest. »Irgendwas passiert in den letzten Tagen?«, fragte Toushirou ruhig, und meinte damit natürlich irgendetwas außer der Tatsache, dass er ihn vermöbelt hatte. »N-Nein«, antwortete Yamazaki prompt und trank einen großen Schluck Milch. Toushirou nahm einen Zug von seiner Zigarette und seufzte den Rauch aus. »Zaki«, sagte er langsam, »Ich kenn dich jetzt lang genug, um –« »I-Ich glaube, ich werde verfolgt.« Toushirou sah ihn schräg an. »Du?«, platzte er heraus, was Zaki einen etwas beleidigten Blick entlockte. Er hatte ja nichts gegen ihn, aber Yamazaki war einer der langweiligsten Menschen, die er kannte… »Von wem?« »Von… Ähm…« Yamazaki starrte seine Milch an und schluckte schwer. Dann schüttelte er den Kopf so heftig, als müsse er einen Haufen Fliegen loswerden. »I-Ich – ach, ist nicht so wichtig. Mir geht’s gut.« »Hmh«, brummte Toushirou. Glaubte er ihm nicht so recht, dass es ihm gut ging – aber dass er verfolgt wurde, glaubte er ihm irgendwie auch nicht. Zaki war Spion, der wurde nicht ausspioniert. Wer interessierte sich bitte schön schon für Zaki? Auf der anderen Seite kam es wirklich selten vor, dass Yamazaki ihn anlog, und Toushirou überlegte gerade, ob er nicht doch nochmal nachhaken sollte, als Zaki es von allein für angebrachter hielt, das Thema zu wechseln. »Ist … irgendwas zwischen dir und dem Captain passiert?«, fragte er vorsichtig und trank direkt danach sein Milchglas in großen Zügen halbleer, als könne ihn das vor irgendwas beschützen. »Häh?«, machte Toushirou schroff. Er wusste, welchen Captain er meinte, aber er wusste nicht, was die Frage sollte. »Na ja, er… Also, Okita-san scheint in letzter Zeit noch … etwas gemeiner vorzugehen. Wenn ich mir die Beobachtung erlauben d-…« »Ja, ja.« Toushirou winkte ab und zuckte die Achseln. »Schon gut. Nein, ist nichts passiert, ich weiß auch nicht, was er hat. Wird die Weihnachtszeit sein oder sowas.« »Aber wieso? Das hat er letztes Jahr nicht gemacht…« »Hör zu, Yamazaki«, begann Toushirou ungeduldig und sorgte somit dafür, dass Zaki flüchtig zusammenzuckte und ein paar Zentimeter von ihm wegrutschte. Er seufzte und schnipste eine Aschespitze zu Boden. »Du verstehst ihn nicht, ich versteh ihn nicht. Das sind Dinge, mit denen wir uns abfinden müssen, also lass gut sein.« »Ich … meine ja nur«, murmelte Yamazaki und starrte erneut seine Milch an. »Er war hart zu dir, die letzte Zeit –« »Mag sein«, sagte Toushirou gedämpft, erhob sich und klemmte die Zigarette in seinen Mundwinkel. Er schob die Hände in die Hosentaschen und wandte sich ab. »Damit muss ich leben.« Sechster Dezember ----------------- Am Morgen des sechsten Dezembers wachte Toushirou genauso früh auf wie sonst auch, stand allerdings nicht auf, um schnell zu duschen und den Morgen für sich zu haben. Er blieb rücklings liegen und starrte an die Decke, und versuchte, nachzudenken. Yamazaki hatte ihn auf etwas hingewiesen, was er geflissentlich verdrängt hatte. Ja, es stimmte, und ja, er wusste es – Sougo ging ein wenig rabiater vor als sonst. Okay, eigentlich war das gelogen, immerhin versuchte er eigentlich tatkräftig, ihn zu töten, anstatt ihm irgendwelche Kinderstreiche zu spielen. In den letzten Tagen hatte es keine Mordversuche gegeben, aber die kamen eben normalerweise auch nicht Tag für Tag. Einmal in der Woche vielleicht. Spontan, wenn sich Gelegenheiten ergaben. Sougo schien momentan nicht versuchen, ihn zu töten, aber er dachte sich jeden Tag etwas Neues aus, um ihn anderweitig zu quälen. Fast wie irgendein bescheuerter Adventskalender. Und Toushirou fragte sich, ob das einen Grund haben konnte. Wahrscheinlich hatte es einen. Sougo schien willkürlich, aber eigentlich handelte er selten ohne Grund. Für gewöhnlich hatte er bloß Gründe, die Toushirou nicht verstand. »Ach…«, machte er leise, rieb sich mit der flachen Hand über das Gesicht und erhob sich träge von seinem Futon. Wahrscheinlich würde er den Jungen nie durchschauen können, und vielleicht war das auch besser so. Genau genommen wollte er gar nicht wissen, was Sougo so dachte. Es blieb bei dem, was er zu Zaki gesagt hatte – er musste damit leben. Mit allem. Mit den Anschlägen und mit den etwaigen Gründen dafür, und mit der Tatsache, dass Toushirou eine ganze Reihe von Dingen einfielen, für die man ihn hassen konnte. Er sprang rasch unter die Dusche und zog sich an – und als er vor seine Zimmertür trat und in den ersten Schuh schlüpfte, fiel ihm mit einem Mal wieder ein, wie man im Westen den Nikolaustag feierte. Geschenke in den Schuhen. Er hatte ein widerliches, schmatzendes Geräusch gehört und nun fühlte sich seine Socke feucht an, und es roch nach Mayonnaise. Mit ausdruckslosem Gesicht zog Toushirou seinen Fuß wieder aus dem Schuh und betrachtete seine Socke, die tatsächlich mit Mayo getränkt war. Seufzend hob er seinen anderen Schuh vom Boden auf und drehte ihn um, und aus ihm fiel eine tote Ratte zu Boden. Er zog eine Braue hoch. Das war nun selbst für Sougos Verhältnisse irgendwie geschmacklos. Toushirou ließ die Schuhe stehen, wechselte die Socken und zog stattdessen seine Stiefel an. Als er die jedoch zu seiner Mittagspause auszog und nur für wenige Minuten aus den Augen ließ, musste er zu ihnen zurückkehren und feststellen, dass sie bis oben hin mit Wasser gefüllt worden waren. Die Stiefel mussten also auch weg und Toushirou machte sich daran, seine anderen Schuhe doch mal notdürftig zu säubern. Während er das tat, informierte ihn Kondou darüber, dass er seine Getas eingefroren in der Tiefkühltruhe gefunden hatte, was Toushirou nur mit einem Seufzen und einem Kopfnicken abtat. »Harte Zeiten bei euch, hm?«, machte er. Toushirou schielte zu ihm und stellte den Mayonnaise-Schuh weg, um sich dem Ratten-Schuh zuzuwenden. »Scheint so«, antwortete er tonlos. »Er scheint ja Spaß zu haben…« Er hatte erwartet, dass Kondou lachen würde, wie so oft, wenn es um Sougos kindische Streiche ging, aber der Kommandeur wandte den Blick ab und zog die Schultern hoch. »Ich weiß nicht.« Stirnrunzelnd sah Toushirou zu ihm hoch und ignorierte den Gestank der Verwesung, der aus seinem Schuh aufstieg. »Eh?« »Ich weiß nicht«, wiederholte Kondou nur, schüttelte den Kopf und schickte an, den Raum wieder zu verlassen. »Er wirkt verbittert.« »Verbittert?« Davon hatte Toushirou nichts bemerkt, aber jetzt, da er darüber nachdachte, hatte er den Kontakt zu Sougo in den letzten Tagen ohnehin gemieden. Diese ganzen kleinen Anschläge hatten ihm schon gereicht – wäre er ihm nun auch noch ständig persönlich begegnet, wäre er ihm vielleicht nur an die Kehle gesprungen, und das wäre für beide hässlich ausgegangen. Toushirou hatte keine Ahnung, ob Sougo wirklich so gut drauf war, wie seine Spielchen es vermuten ließen. Stirnrunzelnd betrachtete er seine versauten Schuhe, dann sah er wieder Kondous Rücken an und hielt ein Seufzen zurück. Er sollte sich nicht dafür interessieren, nicht für die Launen eines Jugendlichen, der alles daran setzte, sein Leben zur Hölle zu machen, aber es ging nicht anders. Bei Sougo ging es nie anders. »Sprichst du mal mit ihm?«, fragte er leise. Kondou nickte. Einen Moment war es still, dann sagte er: »Versuchen werde ich es.« Er ging und schloss Toushirous Zimmertür. Und Toushirou saß auf dem Boden und betrachtete die Schweinerei, die Sougo angerichtet hatte. Er wollte nicht, dass irgendetwas nicht mit ihm stimmte. Er wollte nicht noch mehr Verantwortung. Siebter Dezember ---------------- »Sougo.« »Hmmmm?« »Hättest du einen Moment… Äh… Was machst du da?« »Nichts«, war Sougos überzeugende Antwort, als er mit todernstem Gesichtsausdruck die Tomoe-Figur auf einer der Tische in der Kantine zurechtrückte. »Ist das… Eh, ich meine, sind das … Tosshis…?« »Hmmmm«, machte Sougo wieder, scheinbar nicht gewillt, sich eindeutig zu äußern. Aber ja – ja, das waren Tosshis. Die hatte er gefunden. Er musste Hijikata zugutehalten, dass wahrscheinlich nicht einmal er noch von diesem Versteck gewusst hatte, von dieser letzten Bastion absoluten Otaku-Wahnsinns. Hijikatas Gedächtnis funktionierte nicht so recht, wenn es um Tosshi ging, und das war ja auch irgendwo verständlich. Wäre es Sougo gewesen, hätte er auch sein Bestes gegeben, diese Erfahrung zu verdrängen. Aber es war nicht Sougo gewesen, sondern eben Tosshi, und deshalb gab Sougo stattdessen sein Bestes, nicht ein einziges Detail dieser Erfahrung zu verdrängen. Und er wollte, dass es den anderen Mitgliedern genauso ging. Also hatte er die letzten Überbleibsel von Tosshis Merchandise-Sammlung im Shinsengumi-Hauptquartier verteilt. »Das ist eine sehr seltsame Weihnachtsdekoration«, bemerkte Kondou. Ein grausam-sanftes Lächeln schlich sich auf Sougos Lippen, während er das große, bedruckte Kissen auf eines der Stühle setzte und zurechtrückte. »Stimmt«, sagte er leise, »ich könnte Weihnachtsdeko daraus machen. Vielleicht einen Adventskranz aus vier Figuren aufstellen… Oder gleich Mangas…? Immerhin konnte ich meinen eigenen Adventskranz letzten Sonntag nicht fortführen.« Kondou zog eine Braue hoch. »Du hast einen Adventskranz? Wusste ich gar nicht.« »Hijikata-sans Bettdecke.« »…Was?« »Hijikata-sans Bettdecke ist mein Adventskranz. Ich zünde jeden Sonntag eine Ecke an. Also, wollte ich eigentlich, aber er war ja der Meinung, er müsse sein Zimmer verbarrikadieren.« Er konnte Kondou seufzen hören und beschäftigte sich geflissentlich weiter mit dem Studium von Tosshis übriggebliebenen JUMP-Ausgaben. »Weißt du, Sougo, darüber wollte ich eigentlich mit dir reden…« »Über Hijikata-sans Zimmerbarrikade? Ja, überzeug ihn bitte, die wieder zu lösen, Kondou-san. Das würde die Dinge für mich viel einfacher machen.« »Nein, nicht darüber. Ich meine… Eher … über dich und über deine Laune in der letzten Zeit.« Sougo schwieg und blickte ausdruckslos den Stapel buntes Papier vor ihm an. »Ist alles in Ordnung?«, fragte Kondou dann einfach. »Klar«, log Sougo prompt. Er wandte sich ihm zu und fälschte ein fast perfektes Grinsen. »Ich will ihn nur ein bisschen in Weihnachtsstimmung bringen!« Ein Zucken ging durch Kondous Gesicht, als hätte er darüber fast gelacht, aber es kam nicht ganz an. »Das ist nett«, sagte er trotzdem fahrig, »aber auf mich wirkt es, als sei etwas anders als so-« »WAS ZUR HÖLLE?« Kondou-san hatte nicht weitersprechen können, weil in diesem Moment Hijikata-san die Kantine betreten und das Ausmaß des Verderbens erblickt hatte. Und es dauerte keine zwei Sekunden, bis er begann, zu toben – Sougo hatte gerade noch Zeit, einen halbherzigen Adventskalender aus Figuren und Mangas aufzustellen und teilweise anzuzünden, dann musste er vor Toushirou abhauen, der den Raum zur Hälfte auseinandernahm und ihm dann schwertschwingend und brüllend hinterhertrampelte. Und als Sougo ihm einen Tisch in den Weg warf und vor Lachen gackernd durch die Gänge floh, war das Grinsen auf seinen Lippen endlich wieder echt. Achter Dezember --------------- »Toushi?« Blinzelnd sah Toushirou von den Papieren auf dem kleinen Tisch vor ihm auf und hinauf zu Kondou, der sich langsam auf der anderen Seite des Tisches niederließ. »Ich hab mit Sougo gesprochen.« »Oh.« Toushirou zog die Brauen hoch. Das war gut. Er hätte nicht gedacht, dass Sougo überhaupt mit sich reden lassen würde, der Junge hatte sich ja angewöhnt, niemanden an sich ranzulassen (und damit war er bei Weitem nicht der einzige hier), aber vielleicht war das bei Kondou einfach etwas anderes. Toushirou musste zugeben, dass er die Tatsache, dass Kondou noch mit Sougo hatte sprechen wollen, etwas verdrängt hatte. Gestern hatte er den halben Tag damit verbracht, den Bastard zu jagen und zu schlagen, sobald er ihn mal für ein paar Sekunden in die Finger bekommen hatte. Er hatte es tatsächlich geschafft, immer mehr altes Zeug von seinem glücklicherweise toten Alter Ego aufzutreiben und im gesamten Hauptquartier zu verteilen. Jedes verdammte Mitglied war zwischendurch an irgendwelchen Figuren, Mangas, Kissen, CDs oder Postern vorbeigelaufen – und wenn sie es nicht sofort verstanden hatten, dann hatten sie es wohl spätestens dann geblickt, als sie gesehen hatten, wie Toushirou Sougo laut brüllend durchs Haus getrieben hatte. Ja, das hatte er sich irgendwie selbst verbaut. Auf jeden Fall musste das eine Menge Aufwand gewesen sein, und nun, da er darüber nachdachte, fiel ihm wieder auf, wie untypisch das für Sougo war. Normalerweise schnappte er sich eine Bazooka, zielte und drückte ab, und das war alles, was er tat, um Toushirou auf die Nerven zu gehen. Das hier waren tatsächlich ausgetüftelte Streiche, für die er sich sonst selten die Zeit nahm. Und das jeden Tag. Irgendwas stimmte tatsächlich nicht mit dem Jungen. Allerdings hatte er gestern gegen Abend auch das Gefühl gehabt, dass sich doch wieder etwas verändert hatte. Beim Abendessen waren die Figuren alle weg gewesen, eine Handvoll Mitglieder hatte die Güte gehabt, die Kantine wieder halbwegs annehmbar herzurichten, und Sougo hatte sich normal benommen. So wie immer. Nachdem Toushirou ihn über das gesamte Grundstück und zwischendurch sogar durch halb Edo gejagt hatte, und nachdem er ihm tatsächlich ein paar üble Schläge verpasst hatte, sobald er ihn mal kurz geschnappt hatte. Er verstand diesen Jungen nicht. »Und?«, fragte er also hoffnungsvoll. Vielleicht stieg Kondou-san da ja eher durch… Kondou sah ihn ernst an. »Wie schlimm ist es?« Er blinzelte. »Wie schlimm ist was?« »Die Träume.« »Häh?« »Kannst du noch durchschlafen? Hast du danach Angst? Sollen wir dir jemanden organisieren, der dir hilft?« Toushirou saß einfach nur da und sah Kondou an, bis sich ein fürchterlicher Verdacht in seinem Kopf bildete. Seine Hand bewegte sich langsam wieder zu den Papieren und hielt sie etwas zu fest. »Kondou-san«, sagte er langsam, »worüber hast du mit Sougo gesprochen?« »Über deine Alpträume«, sagte Kondou mitleidig. Das Schlimme war ja, dass man ihm dafür nicht böse sein konnte… »Sougo sagte, sie seien sehr schlimm.« Alle Papiere, die Toushirou eigentlich hatte bearbeiten müssen, wurden am achten Dezember restlos zerfetzt. Und Toushirou war sich sicher, dass Sougo wieder zu seinem alten Standard zurückgekehrt war. Neunter Dezember ---------------- Es war verdammt schwer gewesen, Kondou davon zu überzeugen, dass er keine Alpträume hatte. Er hatte wirklich keine. Er schlief schlecht und zu kurz, ja – aber er hatte keine Alpträume. Hin und wieder verfolgten ihn gewisse Dinge nachts, klar war das unangenehm, aber er empfand das als ganz normalen Traum. Die Psyche musste eben verarbeiten, das war alles, und das wusste er. Das war schon okay. Er konnte danach problemlos arbeiten und es war nun wirklich sehr, sehr lange her, dass er mal schweißgebadet und panisch aus einem Traum aufgewacht war. Dummerweise hatte Sougo Kondou wohl ziemlich genau das Gegenteil erzählt und da Kondou so besorgt um ihn gewesen war, hatte es fast den ganzen Abend gedauert, ihm zu versichern, dass das nicht der Wahrheit entsprach. Und was zur Hölle mit Sougo nicht stimmte, wusste er nun auch nicht. Darüber hatte Kondou scheinbar nicht mit ihm gesprochen. Er war von Idioten umgeben. Aber was auch immer mit Sougo los war, scheinbar war es nicht mehr so akut. Sougo sprach wieder mit ihm, und es waren tatsächlich auch diese ganz alltäglichen Stunden wiedergekommen, in denen sie völlig normal miteinander arbeiten konnten. Sie waren eben oft zusammen auf Streife, oder auf irgendwelchen Aufträgen, oder einfach nur im selben Raum im Hauptquartier, und in den letzten Tagen hatte Toushirou immer das Gefühl gehabt, dass Sougo ihn geflissentlich gemieden hatte. Hin und wieder hatte er mal über seine eigenen Streiche gelacht, wenn Toushirou merklich mit ihnen gekämpft hatte, aber mehr Kontakt hatte es nicht gegeben. Und jetzt, einfach so, war alles wieder beim Alten. Toushirou hatte schon überlegt, ob das mit seiner Hetzjagd von vorgestern zusammenhängen konnte, aber das ergab irgendwie wenig Sinn. Sougo hatte ihm einen üblichen Streich gespielt und Toushirou hatte ihn danach gehörig zusammenschlagen wollen, und seitdem war alles wieder normal. Nein, das ergab wirklich wenig Sinn, und er glaubte nicht, dass das der Grund war, aber egal. Wie immer bescherte es ihm Kopfschmerzen, über Sougo und seine seltsame Psyche nachzudenken. Die Streiche hatten deshalb natürlich nicht aufgehört. Es schien wirklich so, als sei das alles Sougos groteske Vorstellung eines Adventskalenders, der wohl nur zu seiner eigenen Erheiterung diente, oder so. Aber durch die Tatsache, dass er sich wieder halbwegs normal verhielt, hatte Toushirou etwas mehr Ruhe gewonnen und das Ganze heute mal anders geregelt, und dabei eine weitere Beobachtung gemacht, die ihn einmal mehr verwirrte. Heute früh war eine Ladung Wäsche angekommen, und als Toushirou seine in den Schrank hatte räumen wollen, hatte er feststellen dürfen, dass einige zu klein geratene Uniformen dabei gewesen waren – und ein Haufen pinke Slips. Zwei BHs und zehn Paar Hello-Kitty-Socken waren auch dabei gewesen. Oh, er hatte sich aufgeregt, natürlich hatte er sich aufgeregt. Zuerst. Als er noch allein in seinem Zimmer gewesen war. Da hatte er geflucht, ein bisschen gegen sein Mobiliar getreten, und dann war er rausgegangen und hatte geraucht, und dort hatte er beschlossen, dass er Sougo sicherlich mit seinen eigenen Waffen schlagen konnte. Na ja, schlagen konnte er ihn damit im Endeffekt wohl nicht. Aber er hatte sich wenigstens mal auf seine Art zur Wehr gesetzt. Toushirou hatte die hässliche Unterwäsche zurück in den Sack gepackt und selbigen mit in die Kantine genommen, wo der Rest bereits gefrühstückt und Sougo ihn erwartungsvoll angegrinst hatte. Er war an seinen Tisch getreten, hatte den Sack dort vor Sougo geleert und ihm seelenruhig gesagt, dass man ihre Wäsche scheinbar vertauscht hatte. Sougo hatte sich nicht aufgeregt, so wie Toushirou. Überraschenderweise hatte Sougo auch nicht versucht, ihn umzubringen. Eigentlich hatte er so gut wie gar nicht reagiert, bis auf ein kurzes Glucksen und ein Grinsen, das Toushirou nicht verstanden hatte. Er hatte das seltsame Gefühl, dass Sougo diese Gegenwehr gefallen hatte. Vielleicht sogar, dass sie jetzt quitt waren. Es hatte keinen Angriff mehr gegeben an diesem Tag, keine Bemerkung mehr über pinke Frauenunterwäsche oder wilde Theorien über seinen Vater in BHs. Sougo war völlig friedlich in seiner Nähe geblieben. Er verstand diesen Jungen nicht. Und er hatte keine Ahnung, dass dieser Tag lediglich die Ruhe vor dem Sturm gewesen war. Zehnter Dezember ---------------- Missmutig starrte er gen Himmel, während er in seinen Taschen nach einer Zigarettenpackung angelte. »Sieht fast aus, als könne es die Tage schneien…«, brummte er. »Mmhm«, machte Sougo langgezogen, warf ebenfalls einen kurzen Blick in den Himmel und wickelte sich dann den Schal enger um den Hals. »Na ja, solang der Alte uns nicht wieder zwingt, mit irgendwelchen Idioten Skifahren zu gehen, soll mir das egal sein.« »Mir nicht«, sagte Toushirou und klopfte eine Zigarette aus der Packung. »Ich hasse Schnee. Alles ist matschig, alles ist rutschig, nass und kalt, ständig wirft irgendjemand Schneebälle und irgendwelche Trottel fliegen jeden Tag auf die Fresse und verletzen sich.« »Sprich nicht immer so viel von dir selbst«, sagte Sougo trocken. Toushirou verdrehte die Augen, sagte aber nichts dazu. Er schob sich die Zigarette zwischen die Lippen und verstaute die Packung wieder, begann dann ein weiteres Mal, seine Taschen zu durchwühlen – diesmal, ohne fündig zu werden. »Häh«, machte er leise an seiner Kippe vorbei. »Hab ich mein Feuerzeug vergessen…?« Normalerweise packte er das morgens als allererstes in seine Hosentasche, noch vor so unwichtigen Dingen wie seinem Handy, seinen Schlüsseln oder Geld. Zigaretten bekam man immer irgendwoher, aber sein Mayonnaise-Feuerzeug war wichtig. Und es war nicht da. Toushirou gab ein äußerst missgelauntes Seufzen von sich, nahm die Zigarette wieder aus dem Mund und starrte sie an, als könne er sie nur mit seinem Blick entflammen. »Toll«, sagte er nur. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern bewegte sich Sougo. Toushirou nahm ihn gerade noch im Augenwinkel wahr und drehte sich knapp rechtzeitig zu ihm, um mitzubekommen, wie er seine Bazooka hervorzauberte (ernsthaft, er hatte keine Ahnung, wo der Junge sie immer versteckte) und auf ihn zielte, bevor sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht bemerkbar machte. »Ich kann dir Feuer geben, Hijikata-san«, sagte er. »Du kleiner –«, begann Toushirou, aber Sougo drückte ab. Toushirou war routiniert genug in diesen Angriffen, um sich einfach zu ducken und dem Angriff zu entgehen, aber er spürte die heiße Welle des Schusses über ihn hinwegfegen und musste mühsam dem Drang widerstehen, Sougo einfach die Beine vom Boden zu ziehen und ihn bewusstlos zu schlagen. Und seine Zigarette brannte jetzt immer noch nicht. Toushirou war zu stolz, sich ein neues Feuerzeug zu kaufen – er wollte sein altes. Sein eigenes. Sein Mayonnaise-Feuerzeug eben! Er durchsuchte das gesamte Shinsengumi-Hauptquartier und konnte es nicht finden, und als er eine Pause einlegte, um zu essen, musste er danach feststellen, dass nun auch sein Schwert verschwunden war. Das war nicht so schlimm – dieses Mistding war immerhin immer noch verflucht, und somit hatte es die kuriose Angewohnheit, irgendwie mit Toushirou zu kommunizieren. Oder so. Er wusste auch nicht ganz, wie das vonstattenging, aber Tatsache war, dass es ihm unwahrscheinlich leicht fiel, es wiederzufinden, egal, wo es war. Er fand es in der Regentonne und verbrachte einige Zeit damit, es fluchend abzutrocknen und zu säubern. Das war doch verdammte Bullenkacke. Er hatte die Barrikade von seiner Zimmertür entfernt. Weil sie ihn auf die Dauer doch ziemlich nervte, und weil Sougo ja so gewirkt hatte, als habe er sich beruhigt. Und was war das Resultat? Er hätte sich ja eingestanden, dass er sein Feuerzeug mal verlor – aber sein verdammtes Schwert verlegte er nicht. Es war offensichtlich, dass Sougo es geklaut hatte. Sein Schwert und sein Feuerzeug. Aus seinem Zimmer. Kaum entfernte er die verfickte Barrikade, kam der kleine Hosenscheißer wieder an und nahm einfach sein Zeug. Hatte Toushirou das verdient? Nein, Toushirou hatte das nicht verdient. … Okay, vielleicht hatte er es verdient. Aber es pisste ihn trotzdem an. Da er kein Feuerzeug bei sich trug und sich zu fein war, andere Leute um Feuer zu bitten, hatte er den ganzen Tag nicht geraucht. Den ganzen Tag. Nicht eine einzige Zigarette. Hijikata Toushirou hatte seit dem Aufstehen nicht geraucht. Er war gereizt. Wirklich gereizt. Verdammt gereizt. Als er nachmittags zurück in sein Zimmer kam, seine konstant geballten Fäuste zitterten schon leicht und er hatte das Gefühl, als bewege sich sein Blutdruck in schwindelerregenden Höhen, lag sein Mayonnaise-Feuerzeug einsam und intakt in der Mitte seines Futons. Mit einem Anflug von lächerlicher Freude hob Toushirou es auf und wollte gleich wieder vor die Tür, um endlich zu rauchen – Um festzustellen, dass man ihm seine Zigaretten gestohlen hatte. Toushirou hielt sich nur mit sehr viel Selbstbeherrschung davon ab, das geliebte Feuerzeug in seiner Faust nicht zu zerstören, trat stattdessen seine eigene Tür ein, versenkte sein Schwert mehrmals im Mobiliar der Kantine, jagte ein oder zwei Bäume im Garten in die Luft und verpasste Yamazaki im Vorbeigehen einen Kinnhaken, der sich gewaschen hatte. Und dann beschloss er, einfach Feierabend zu machen, weil das definitiv besser für Edos Bevölkerung war, warf sich statt der Uniform seinen Yukata über und stapfte los in die Stadt, um auf andere Gedanken zu kommen. Nein, heute würde er nicht mehr nach Hause zurückkehren. Heute würde er sich nicht weiter Sougos Willkür aussetzen. Er war nicht verpflichtet, sich von diesem Bastard quälen zu lassen. Er war nicht verpflichtet, bei ihm zu sein. Dritter Advent: Mit den Waffen einer Frau ----------------------------------------- »Entschuldigen Sie, aber sind Sie nicht Hijikata Toushirou?« »Hmh? Ah… Doch. Bin ich. Gibt es ein Problem?« »Nein, nein! Ich dachte nur gerade… Ist doch immer wieder interessant, welche Leute man hier so trifft. Sonst sind es immer nur irgendwelche eingebildeten Amanto-Großmächte, und jetzt haben wir endlich auch mal eine echte Edo-Berühmtheit hier sitzen.« »Berühmtheit…?« »Klar, Ihr Name ist doch in der ganzen Stadt bekannt!« »Ja, aber nur in negativen Zusammenhängen.« »Ach, das würde ich so nicht sagen.« »Ich schon. Und im Übrigen bin ich gebürtig nicht mal aus Edo.« »Nicht? Oh, das wusste ich gar nicht. Darf ich fragen, wo Sie –« »Bushuu.« »Bushuu? Das ist auf dem Land, oder?« »Ja, ziemlich.« »Ich bin auch nicht aus der Stadt.« »Aha.« »Oh je, Ihr Tag muss furchtbar gewesen sein.« »Hä?« »Das merkt man Ihnen an. Sie haben ja auch einen stressigen Job. Ist heute irgendwas passiert?« »Ich konnte den halben verfickten Tag nicht rauchen.« »…Oh.« »Und ich hasse – alles.« »Alles?« »Ja. Alles.« »Mein Gott. Kann ich Ihnen irgendwas Gutes tun?« »Keine Ahnung…« »Na kommen Sie, wir fangen mal bei einem spendierten Drink an. Ich bin übrigens Zurako.« Das war gestern Abend gewesen. Heute war der dritte Advent und Toushirou war tatsächlich vergleichsweise gut gelaunt. Er hatte keinen Kater, dafür hatte er zu wenig getrunken. Toushirou achtete darauf, sich nicht hirnlos zu besaufen, aber ein bisschen Alkohol hatte einfach sein müssen, deshalb hatte er sich den ein oder anderen Drink durchaus von der netten Dame spendieren lassen. Nachdem er sich gestern erst einmal drei neue Packungen Zigaretten gekauft und die erste davon in Rekordzeit leergeraucht hatte, hatte es ihn in eine Hotelbar verschlagen. Er war in der Laune dazu gewesen, sein Gehalt auf den Kopf zu hauen, und das hätte er wohl auch gut und gerne getan, wäre Zurako nicht gewesen. Das Hotel war ein piekfeines Sternehaus, in dem sonst eine Menge Regierungsidioten von anderen Planeten oder Amanto-Botschafter abstiegen, wenn sie hier Geschäfte zu erledigen hatten. Toushirou kannte das Hotel von manchen Treffen, bei denen die Shinsengumi Bodyguards hatte spielen müssen, und er hatte sich vage erinnern können, mal mit Matsudaira an dieser Bar gesessen und das Gesöff gelobt zu haben. Also war er dorthin zurückgekehrt, und Zurako hatte ihn angesprochen. Und sie hatte ihm zugehört. Klar hatte er ihr nicht alles erzählt, das meiste war entweder geheim oder ging niemanden etwas an, aber Toushirou hatte sich zumindest mal über seine Kollegen auslassen können, und über Weihnachten, und über den Schnee, und über die Tatsache, dass Leben allgemein eine ziemlich beschissene Idee gewesen war, und Zurako schien das nicht verschreckt zu haben, Zurako hatte die ganze Zeit dort gesessen und genickt und gelächelt, hin und wieder etwas Beschwichtigendes gesagt und schlussendlich dafür gesorgt, dass sich ein ganzes Stück Stress von Toushirous Schultern gehoben hatte. Immer, wenn Toushirou gesagt hatte, dass er wahrscheinlich verdient hatte, immer mal eins auf die Nase zu bekommen, hatte sie vehement den Kopf geschüttelt und gesagt, dass das bestimmt nicht die Wahrheit war. Toushirou glaubte, dass sie keine Ahnung hatte, was er alles verdient hatte, aber es war trotzdem nett gewesen, es mal zu hören. Das passierte ihm sonst nicht, und es hatte unwahrscheinlich gut getan. Es war harmlos ausgegangen. Sie hatte ihm am Ende die Schultern massiert, angemerkt, dass sie hart wie Eisen waren, und ihm damit einen gigantischen Gefallen getan, und dann hatte sie ihm ein kleines Zimmer im Hotel organisiert (dort erst hatte Toushirou erfahren, dass sie Aushilfskraft in diesem Laden war und nur einen freien Abend hatte), damit er dort übernachten konnte. Allein, ohne sie. Wie sich das für einen Gentleman gehörte. Am Ende hatte er im fremden Bett trotzdem nicht schlafen können und war mitten in der Nacht ins Hauptquartier zurückgekehrt, um sich in sein Futon zu schleichen. Heute trafen sie sich zum Mittagessen, und Toushirou hatte noch immer nicht vor, sie flachzulegen, würde er wahrscheinlich auch nie tun. Tatsächlich veranstaltete er solche Geschichten extrem selten, er hatte kein sexuelles Interesse an Zurako. Es war einfach nur die Tatsache, dass ihm das Reden so gut getan hatte, die ihn dazu brachte, sich zu diesem Mittagessen blicken zu lassen. Es war kein Date. Vielmehr war es vielleicht eine Therapiesitzung. Er lud sie ein, bestaunte ihr schönes Kleid (und insgeheim auch ihre schönen Haare) und ließ sich an einem Zweiertisch nieder, ursprünglich, um die Karte zu studieren, aber Zurako schien andere Prioritäten zu haben. »War dein Tag denn heute besser?«, fragte sie ohne Umschweife und klang ehrlich besorgt. Toushirou lugte zuerst über den Rand der Karte hinweg zu ihr, dann legte er sie wieder hin und seufzte leise. »Schlechter als gestern hätte er ja kaum werden können«, sagte er und zuckte die Achseln. »Es ging bisher… Na ja, bis auf die Tatsache, dass ich mal wieder durch eine brennende Bettdecke geweckt wurde.« Zurako machte große Augen. »Oh nein, was ist denn passiert?« »Er hat vor zwei Wochen angekündigt, das jetzt jeden Sonntag zu machen«, brummte Toushirou. »Hat behauptet, meine Decke sei sein Adventskalender, damit er jede Woche eine neue Ecke anzünden kann…« »Und er hat nun wirklich schon drei… dreimal deine Bettdecke angezündet? Während du drin lagst?« »Jep.« Toushirou senkte den Blick wieder auf die Karte und konnte somit glücklicherweise nicht sehen, wie der Hauch eines schiefen Grinsens über Zurakos Gesicht huschte. »Letzte Woche ist er nicht dazu gekommen, weil mein Zimmer abgeschlossen war, dafür hat er es heute Nacht und heute früh gleich zweimal geschafft. Ich hab jetzt nur noch eine intakte Ecke in meiner Decke, und es ist scheiße unangenehm, durch diesen Brandgeruch aufzuwachen…« »Mein Gott, du armer Kerl«, seufzte Zurako. »Glaubst du denn, er will dich… Also… Glaubst du, er will dich wirklich verletzen?« »Klar will er das«, sagte Toushirou prompt. »Sonst würde er es wohl nicht so verzweifelt versuchen. Na ja – mich zu verletzen klappt ja hin und wieder auch ganz gut. Ich bin nicht sicher, ob er mich wirklich töten will… Aber es würde mich nicht überraschen, wenn er es irgendwann einfach tut.« »Nein, so darfst du doch erst gar nicht denken…!« Toushirou zuckte nur die Achseln. Wenn er ehrlich war, war es ihm vielleicht lieber, wenn Sougo ihn irgendwann mit der Bazooka erwischte, als wenn irgendein dreckiger Amanto ihm den Kopf absäbelte. Toushirou war überaus dankbar für das vollkommen friedliche Mittagessen, das er mit Zurako verbringen konnte, am Ende zahlte er für sie und nahm dankend den Zettel mit einer Handynummer entgegen, bevor er ihr die Nummer seines eigenen Privathandys gab. Das hatte er bisher zwar fast nie benutzt, aber man konnte ja nie wissen. Vielleicht wurde er ja plötzlich gesprächig. Zurako hatte viel über seine Arbeit nachgefragt und Toushirou hatte wenig Lust auf Reden gehabt, aber vielleicht änderte sich das unter ihrem Einfluss ja mit der Zeit. Konnte durchaus sein. Nein. Nein, er wollte keine Beziehung, das wollte er wirklich nicht, schon gar nicht mit irgendeiner Frau, egal wie hübsch sie war. Das lief nicht. Das wollte er nicht und das würde auch nicht passieren, aber wenn diese Zurako die Person war, bei der er endlich ein bisschen abschalten und zur Ruhe kommen konnte, dann würde er eben riskieren, dass es nach außen vielleicht so aussah. Und er hatte keine Vorstellung davon, was er genau damit ins Rollen brachte. Als Zurako an diesem Nachmittag wieder ging, sah Toushirou ihr lange hinterher, den Zettel mit ihrer Handynummer in der Hand, und dachte, dass sie ihn an irgendwen erinnerte. Zwölfter Dezember ----------------- Er war wütend, und er wünschte sich, er müsse nicht wütend sein. Sougo verbrachte nun schon den halben Tag damit, sich Gründe auszudenken, weshalb er nicht wütend sein sollte oder konnte oder musste, oder wenigstens andere Gründe für diese verdammte Wut, und es klappte nicht. Klappte einfach nicht. Kein Erfolg. Er war wütend und er konnte absolut nichts daran ändern. Und das nur weil dieser Bastard von einem Vorgesetzten es für nötig gehalten hatte, sich diese hässliche Trulla anzulachen. Ernsthaft? Die sah aus wie ein Kerl. Wie ein großer, breiter, hässlicher Kerl, der sich gern in Frauenkleider warf und sich ausgesprochen geschmacklos schminkte, um mit Volltrotteln wie Hijikata essen zu gehen. Wahrscheinlich war er … oder sie … einfach nur arm und brauchte jemanden, der ihr Essen spendierte. So sah’s aus. Und Hijikata fiel drauf rein, weil Hijikata dumm war. Er hasste es. Er hasste, hasste, hasste es, wenn Hijikata irgendwelche Frauen abschleppte. Sougo wusste nicht genau, was er mit diesem hässlichen Exemplar angestellt hatte, aber Tatsache war, dass er am Samstagabend nicht zurück nach Hause gekommen war – er war wohl erst mitten in der Nacht wieder aufgekreuzt, aber da hatte Sougo schon geschlafen. Morgens jedenfalls hatte er wieder in seinem Futon gelegen, aber Sougo war nicht dumm, er konnte auch eins und eins zusammenzählen. Hijikata haute ab, Hijikata war die halbe Nacht nicht da, und Hijikata ging am nächsten Tag mit irgendeiner behinderten Frau aus, die ihn anlächelte, als sei er der Messias. Er hasste es. Er hasste es, wenn Hijikata das tat, und er hasste es, dass er sich darüber aufregte. Das war nicht richtig, das war absolut sinnlos, unnötige Zeit- und Energieverschwendung, und es trug nur dazu bei, dass Sougo sich selbst verachtete. Und eigentlich machte er sowas nicht, eigentlich fand er sich selbst gar nicht so übel, aber immer, wenn es um Hijikata ging, stand alles auf der Kippe. Bastard. Beschissener Bastard. Früher hatte er sich gesagt, dass es an seiner Schwester lag. Er hasste es, Hijikata mit anderen Weibern zu sehen, weil das nicht fair war. Er hatte seine Schwester abserviert, um sich stattdessen mit irgendwelchen billigen Miststücken abzugeben, das hatte Sougo wütend gemacht, das war der Grund gewesen, hatte er sich gesagt. Und vielleicht hatte das auch eine Weile lang gestimmt. Das schloss er gar nicht aus. Wahrscheinlich war das jahrelang wirklich der richtige Grund gewesen, aber irgendwann hatte sein Fokus sich verlagert. Fatal verlagert. Und er hasste es. Sougo wusste, wie sich Eifersucht anfühlte, Sougo wusste es sehr gut. Er würde dieses Gefühl immer erkennen. Egal, in welchen Farben und Formen es auftauchen würde, und welche Gründe es haben würde. Egal, ob es Sinn ergab oder nicht. Eifersucht würde er immer identifizieren können. Er gab es nur ungern zu – nein, eigentlich gab er es gar nicht zu. Anderen gegenüber sowieso nicht, und sich selbst gegenüber… Na ja, ein Teil von ihm wusste es eben. Sein Unterbewusstsein oder sowas. Irgendwo war es ihm schon klar, aber er dachte so wenig wie möglich daran. Eigentlich waren die Gründe ja auch schnuppe, er war eben wütend auf Hijikata, das war doch im Endeffekt alles, was zählte. Und was tat Sougo, wenn er wütend auf Hijikata war? Richtig, da gab es eine ganz einfache Lösung. Er lauerte ihm im Garten vor seinem Zimmer auf, weil Hijikata Pause hatte und früher oder später hier heraustreten würde, zum Rauchen. Er war berechenbar. Furchtbar berechenbar. Noch so ein Grund, wütend auf ihn zu sein, vielleicht sollte er ihn lieber deshalb hassen, weil er berechenbar war, und nicht, weil er ihn neidisch machte, oder irgend so eine Scheiße. Sougo hatte sich einfach eine der Bazookas aus dem Lager geschnappt, die jetzt auf seiner Schulter ruhte. Oh, er würde ihn nicht töten. So wie immer. Er sagte das gerne, aber er hatte nicht vor, den Trottel irgendwann umzubringen. Auch, wenn es manchmal wie die bessere Lösung schien, aber… Nein. Nein, Sougo hatte für die nächsten Jahrzehnte genug Beerdigungen gesehen, Hijikata sollte nicht sterben. Nur leiden. Weil das gerecht war. Absolut gerecht. Die Schiebetür ging auf und Hijikata trat auf den Hof, Zigaretten und Feuerzeug schon in der Hand. Sougo visierte an, verengte die Augen etwas, und drückte ab. Nichts passierte. Stirnrunzelnd schielte er das Rohr auf seiner Schulter an, wartete einige Sekunden und drückte noch einmal ab – und wieder geschah nichts. Sougo fluchte leise und senkte die Bazooka etwas, musterte sie misstrauisch. War das Ding kaputt? Geladen hatte er sie, dessen war er sich sicher… Seine Hände wurden mit einem Mal heiß, und im Lauf der Waffe hörte er verdächtiges Rauschen. Oh, oh. Er wollte die Bazooka von sich werfen, doch noch bevor sie seine Hände verlassen hatte, hörte er den Knall, er spürte die Druckwelle, dann flog irgendetwas Schwarzes auf ihn zu und riss ihn von den Füßen, und Sougo war weggetreten. Dreizehnter Dezember -------------------- Sein Kopf fühlte sich an wie in Watte gepackt. Das unangenehme Schwimmen zwischen Wachsein und Ohnmacht benebelte seinen Verstand, und doch nahm er bereits den unverkennbaren Geruch eines Krankenhauses wahr. Sougo spürte sich selbst die Stirn runzeln, während er darüber nachdachte, was passiert war. Er war definitiv im Krankenhaus gelandet, aber wieso? War lang her, dass ihm das passiert war, normalerweise waren seine Verletzungen nicht so schwer… Was hatte er denn angestellt? Er konnte sich nur daran erinnern, dass Hijikata ihn genervt hatte, weil er irgendwas angestellt hatte, mit einer Frau oder so… Oh. Oh. Fuck. Die Bazooka hatte nicht zünden wollen, und dann war sie offensichtlich in die Luft geflogen, und jetzt lag er im Krankenhaus. Scheiße. Scheiße, Scheiße, Scheiße. Sougos gesamter Körper fühlte sich tonnenschwer an, nur sein Kopf schien unwahrscheinlich leicht. Und eben eingepackt. Als er die Augen langsam blinzelnd öffnete, stellte er fest, dass sein Kopf scheinbar tatsächlich eingepackt war – im rechten Augenwinkel konnte er dicken Verband erkennen. Und im linken Augenwinkel konnte er eine bekannte Uniform entdecken. Im ersten Moment dachte er, es sei Kondou, und freute sich. Aber es war nicht Kondou, der an seinem Bett saß. Es war Hijikata. Der, den er eigentlich hatte in die Luft jagen wollen. Hijikata sah aus dem Fenster, und Sougo überlegte schon, ob er einfach die Augen wieder schließen und sich schlafend stellen sollte, bis er sich wieder verpisste, da trafen sich ihre Blicke. »Oh, du bist ja wach«, sagte Hijikata und klang irgendwie seltsam dumpf. Nun, da er gesprochen hatte, fiel Sougo auf, dass alles um ihn herum … dumpf klang. »Erinnerst du dich, was passiert ist?« Wollte der sich jetzt auch noch über ihn lustig machen? Klar erinnerte Sougo sich an das, was passiert war, und es war verdammt peinlich. Hatte Hijikata ihn am Ende auch noch gefunden…? Im Gebüsch vor seinem Zimmer, mit einer kaputten Bazooka und einer zur Hälfte in die Luft gejagtem Kopf? Toll. Oh Gott, hatte er sich etwa wirklich den Kopf in die Luft gejagt? Was machte der Verband da? Sougo hob die rechte Hand, obwohl sie bleischwer war, ignorierte den Schlauch, der darin steckte, einfach, und tastete vorsichtig über die dicke Schicht aus Verbandsmaterial und Pflastern. Sie verlief genau über sein Ohr. Deshalb klang also alles so dumpf. Hijikata schien ihn sehr genau dabei zu beobachten, und als Sougo wieder in sein Gesicht schielte, stellte er mit Missfallen fest, dass er schmal grinste. »Sie haben dir dein Ohr wieder annähen müssen«, sagte er mit einem Hauch von Schadenfreude. Was? »Was?« »Dein Ohr«, wiederholte Hijikata hörbar amüsiert und Sougo wollte ihn mit dem Schlauch an seinem Arm erwürgen. »Es ist dir … etwas abhanden gekommen. Aber sie haben es wiedergefunden und angenäht. Gibt ‘ne hässliche Narbe. Kannst offiziell ja erzählen, dass ein Joui versucht hat, dich aufzufressen oder so…« Sougo verengte die Augen. »Das gefällt dir, hm?«, fauchte er. Hijikata lehnte sich einfach nur zurück, und Sougo hasste diese Ruhe jetzt schon. Was sollte das? Das hier war alles falsch, falschherum, das gehörte sich nicht so, dass er hier lag und nicht umgekehrt… »Dass du hier liegst und aussiehst wie eine Mumie?« »Ja, genau das!« Sein Grinsen wich etwas, endlich, und Hijikata legte den Kopf schief. »Nein«, sagte er dann träge. »Das gefällt mir nicht. Du hast dir dein verdammtes Ohr weggebombt, nebenbei bemerkt hast du Brandwunden an den Armen und am Hals, und du hast dir ein paar Haare verbrannt. Die andren lachen dich im Übrigen aus. Werden sie sich nicht anmerken lassen, wenn du wieder da bist, aber ich dachte mir, du willst es vielleicht wissen.« »Halt die Klappe«, brummte Sougo. Was zur Hölle – er erzählte ihm, dass es ihm nicht gefiel, und fuhr dann nur damit fort, ihm zu erläutern, wie erbärmlich er sich angestellt hatte. Dummer Bastard. »Und das nur, weil du mich mal wieder angreifen musstest«, seufzte Hijikata. »Ich weiß nicht, wieso diesmal, aber ich gehe mal davon aus, dass es einfach nur eine spontane Eingebung war. So wie immer eben.« Trottel. Er hatte keine Ahnung. Sougo drehte den Kopf weg. »Hast du mich hergebracht?«, fragte er leise. »Ja. Uns beide. Ich hab mich auch flüchtig verbrannt.« Stirnrunzelnd schielte Sougo zurück zu ihm. »Du? Wieso?« Hijikata zog die Brauen hoch. »Ich hab dich aus dem Weg geschafft«, sagte er. »Hast du das gar nicht mehr mitgekriegt? Ich hab dich gesehen, als im Innern der Bazooka irgendwas explodiert ist, und bevor sie ganz in die Luft geflogen ist, hab ich mich gegen dich geworfen und die Bazooka weggetreten. Sonst wärst du jetzt wahrscheinlich … na ja, tot.« Sekundenlang lag Sougo nur da und starrte ihn an. Dann spürte er, wie ihm exorbitant schlecht wurde. »Sag mir nicht«, würgte er heraus, »dass du mir den Arsch gerettet hast.« »Tu ich nicht«, sagte Hijikata prompt und stand auf. »Wäre ich nicht gewesen, hättest du die Aktion ja gar nicht angefangen. Ich hab höchstens versucht, zu retten, was ich vorher schon versaut hab. Hier.« Und damit stellte er ihm einen Eimer neben sein Bett und verließ das Zimmer. Sougo starrte ihm nach und presste die Zähne aufeinander, während ihm immer noch furchtbar übel war. Idiot. Trottel. Arschloch. Bastard. Immer musste er sich als Held aufspielen. Bestimmt ging er nun zu Hause herum und erzählte allen, wie er ihn vor seiner dummen, explodierenden Bazooka gerettet hatte. Wichser, Wichser, Wichser… Und dann drehte er sich auf die Seite und kotzte tatsächlich in den Eimer. Vierzehnter Dezember -------------------- Sougo hatte recht schnell wieder gehen dürfen. Mit dem Arbeiten sollte er noch ein bisschen aufpassen, aber ansonsten erholte er sich gut. Sein Ohr würde man sich in ein paar Tagen noch einmal ansehen müssen, die restlichen Verletzungen konnte er auch selbst versorgen, es war ja nun nicht das erste Mal, dass er ein bisschen mitgenommen war. Also war er jetzt wieder hier, aber er und Toushirou gingen einander aus dem Weg. Das hieß, na ja, eigentlich ging eher Sougo Toushirou aus dem Weg. Toushirou selbst bemühte sich nicht darum. Er sah kein Problem darin, Sougo jetzt unter die Augen zu treten – aber er wusste selbst ganz gut, was die ganze Aktion für Sougos Stolz bedeuten musste, er konnte ihn verstehen. Das geschah nicht oft, das geschah wirklich nicht oft – aber wenn es um Stolz ging, waren sie sich wohl zur Abwechslung furchtbar ähnlich. Und einige Mitglieder schienen das nicht zu verstehen. »Ganz ehrlich…« Er hörte sie tuscheln, wenn er vorbeiging. »…ich hätte ihn liegen gelassen…« Er ging weiter und ballte in seinen Hosentaschen die Hände zu Fäusten. »…Wenn jemand ständig versucht, mir das Leben so schwer wie möglich zu machen…« Er atmete tief durch. »…dann helf ich ihm bei so einem Versuch doch nicht auch noch…« Er rauchte eine Zigarette, zwei, drei. »Ich würde mir diese Behandlung nicht gefallen lassen…« Dann ging er zurück zu den tuschelnden Mitgliedern, suchte sich irgendetwas Triviales, wofür er sie anbrüllen konnte und donnerte ihnen dann die langweiligste Arbeit auf, die er finden konnte. Sie verstanden es nicht, sie würden es auch nie verstehen. Sie wussten nicht genug über ihn, nicht genug über Sougo, um auch nur ansatzweise zu verstehen, wieso das alles so gelaufen war. Dafür konnten sie nichts. Aber er wollte diesen Mist nicht hören. Er wollte diesen Mist einfach nicht hören. Es gab Gründe, weshalb er sich so verhielt, wie er sich verhielt. Es gab Gründe, weshalb er letzten Endes nie wirklich versuchte, Sougo von seinen Streichen abzuhalten. Und es gab Gründe, weshalb er ihm die Bazooka aus den Händen getreten und ihn ins Krankenhaus gebracht hatte anstatt ihn in die Luft fliegen zu lassen. Sougo durfte nichts passieren. Sougo war wie Familie für ihn. Es gab Zeiten, da hatte er ihn wie einen kleinen Bruder erlebt. Das tat er heute nicht mehr, aber er war immer noch… Scheiße, er war einfach irgendein bescheuerter Teil von ihm, er gehörte dazu. Ihm durfte nichts passieren. Mitsuba würde es das Herz brechen. Und genau darum ging es. Um Mitsubas gebrochenes Herz. Denn wenn man Mitsubas gebrochenes Herz mit bedachte, dann war das alles fair. Absolut, ungelogen, hart und fair. Durch die ganze beschissene Sache mit seiner Schwester hatte Toushirou Sougos Leben unwahrscheinlich schwer gemacht. Nicht absichtlich, nie absichtlich. Aber hatte es ihn damals interessiert, als er es bemerkt hatte? Nein, das hatte es nicht. Er hatte nur weitergemacht mit seiner Ego-Tour, hatte seine Schwester verletzt und zurückgelassen und Sougo spüren lassen, dass ihm das alles gepflegt am Arsch vorbeiging. Er hatte Sougos Leben zur Hölle gemacht. Und nun machte Sougo sein Leben zur Hölle. Das war nur fair. Kindisch, vielleicht. Unreif, von ihnen beiden. Ungesund sowieso. Aber es war fair, und somit wurde es von Toushirou geduldet. Es war unangenehm und erniedrigend, aber wenn es das war, was Sougo brauchte, dann sollte es geschehen. Es war eine Last, die gut und gerne Platz auf seinen Schultern fand. Fünfzehnter Dezember -------------------- Es war der späte Abend des fünfzehnten Dezembers, die Hälfte des Monats war bereits geschafft, und es hatte heute noch keinen Anschlag gegeben. Sougo schien sich zurückhalten zu wollen… oder so. Toushirou wusste es nicht. Wahrscheinlich sollte er erleichtert sein, aber tatsächlich war er eher besorgt. Die Tatsache, dass Toushirou ihn »gerettet« und ins Krankenhaus gebracht hatte, schien immer noch sehr an ihm zu nagen, die Verletzungen machten es ihm natürlich auch nicht leicht, und obwohl er von den meisten Mitgliedern hier großen Respekt genoss, gab es doch einige, die ihn nun schräg ansahen. Er hatte nicht gewollt, dass es so lief. Aber es lief ja sowieso nie nach seiner Nase. Als Toushirou abends seufzend sein Zimmer betrat, fiel sein Blick auf das Handy, das neben seinem Futon am Boden lag. Sein Arbeitshandy hatte er immer dabei, aber das hier war sein Privathandy, das er eigentlich nie brauchte. Aber er hatte Zurako diese Nummer gegeben. Stumm hockte Toushirou sich auf den Boden und machte nach Ewigkeiten mal wieder das Handy an, grübelte einige Sekunden lang über den PIN und blickte dann ausdruckslos das Hintergrundbild an. Und dann vibrierte es. Toushirou hätte es fast wieder fallen gelassen. Blinzelnd durfte er feststellen, dass er tatsächlich einen Anruf verpasst hatte. Er fischte den alten Zettel aus seiner Hosentasche und verglich ihn mit dem auf seinem Display, und tatsächlich: Zurako hatte versucht, ihn anzurufen. Gestern. Einige Momente lang zögerte er. Dann stellte er fest, dass er sonst nichts zu tun hatte, dass sein Tag mal wieder frustrierend gewesen war und dass es ja wohl kaum schaden konnte. Er lag falsch. Toushirou stand wieder auf, um sich stattdessen auf die kleine Holzterrasse vor der Tür zu setzen, wählte den Rückruf und hob sein Handy ans Ohr. »Ha-Hallo?« »Zurako?« »Zu-… Ja, hier ist Zurako.« »Gut. Ich bin’s –« »Ich weiß, Hijikata-kun.« »Oh. Okay. Stör ich?« »Nein, nein, natürlich nicht!« »Gut. Ich wollte nur… Also, ich hab gesehen, dass du gestern angerufen hast.« »Oh, ja, genau! Ich hatte gehört, dass dein Kollege im Krankenhaus gelandet ist. Ich wollte nachfragen, ob alles in Ordnung ist.« »Ah… Das. Ja. Sougo ist okay. Er ist schon wieder raus aus dem Krankenhaus, wird schon gehen. Er ist hart im Nehmen –« »Und du?« »Ich?« »Na, bist du auch okay?« »Klar, wieso sollte ich nicht…?« »Ich dachte nur. Das wollte ich eigentlich fragen, weißt du. Nicht, ob er in Ordnung ist. Dass ihr sowas ganz gut überlebt, dachte ich mir schon. Ich wollte eher fragen, ob es dir damit gut geht, weil… Na ja – er bedeutet dir viel, oder?« »Wer? Sougo? Er…« Hijikata verstummte plötzlich und verzog das Gesicht. Zurako am anderen Ende schien zu glucksen. »Willst du das etwa abstreiten?« »Nein«, sagte Toushirou flach. »Nein, will ich nicht.« »Gut. Ich glaube nämlich, du bedeutest ihm auch viel.« Toushirou lachte hohl. »Das glaubst du nur, weil du uns nicht wirklich kennst«, sagte er tonlos. »Er hasst mich, aber das ist okay –« »Oh, Hijikata-kun, glaubst du das wirklich?« Zurako schien ehrlich überrascht – und das wiederum überraschte Toushirou. »Klar glaub ich das wirklich, er versucht dauernd, mich umzubringen…« »Haha, ach was. Wenn er dich wirklich töten wollte, hätte er das längst getan, oder? Nein, ich glaube nicht, dass er wirklich will, dass dir etwas passiert.« »Ach, und was sollen dann seine ständigen behinderten Aktionen?« »Ich weiß nicht, dafür kenne ich euch wohl wirklich nicht gut genug. Vielleicht will er ja nur deine Aufmerksamkeit.« Er schnaubte. »Klar…«, murmelte er nur. Dieses Gespräch lief gar nicht so, wie er gern gehabt hätte. Sougo war doch kein kleines Kind mehr, außerdem buhlte man doch nicht so um Aufmerksamkeit, nicht mit Handgranaten und Bazookas, das war nun wirklich etwas extrem. Und so gestört Sougo auch war, seinen Drang nach Aufmerksamkeit tat er eigentlich nur dann so extrem kund, wenn… Oh. Zurako hatte irgendwas gesagt, aber Toushirou hörte ihr nicht zu. Mit offenem Mund starrte er geradeaus, mit einem Mal taten seine Schläfen weh, und seine Hände schwitzten, und ihm wurde eiskalt. Scheiße. »Hijikata-kun?« Sein erster Gedanke war, dass er verstanden hatte, aber eigentlich stimmte das nicht. Er hatte etwas verstanden, aber nicht alles. Es ergab noch immer recht wenig Sinn, aber zumindest ein bisschen mehr als vorher. »Hijikata…?« »‘Tschuldigung, Zurako«, murmelte er in den Hörer. »Ich muss –« Weiter kam er nicht. Ein weiteres Mal hatte die unverkennbare Explosion von Bazooka-Munition das Stück Hof vor seinem Zimmer in die Luft gejagt. Nur hatte es diesmal auch Toushirou von den Füßen gerissen. Sougo biss sich auf die Unterlippe und legte die Bazooka einfach achtlos zur Seite. Das sah gar nicht gut aus. Oh, Scheiße, das sah wirklich überhaupt nicht gut aus. Er zielte ja eigentlich immer an Toushirou vorbei. Er sorgte manchmal dafür, dass er kleine Hämatome oder Platzwunden davontrug. Aber er bemühte sich, ihn nie wirklich zu treffen. Und nun lag Hijikata am Boden und rührte sich nicht mehr. Er hatte ihn telefonieren hören, und dann hatte er den Namen dieser Trulla gehört und das hatte ihm gestunken, also hatte er den Hof ein bisschen hochbomben wollen, damit er nicht mehr telefonieren konnte, aber das hier… Das hier… Sougo hatte nie damit gerechnet, dass Hijikata irgendwann einmal wirklich etwas passieren würde. Wankend stakste er über die aufgerissene Erde und versuchte, sich schon mal zu überlegen, was er Kondou-san erzählen sollte. Sechzehnter Dezember -------------------- Schlaf hatte die unangenehme Angewohnheit, ihm Erkenntnisse zu bringen. Toushirou war ohnmächtig gewesen, er war wieder zu sich gekommen und hatte feststellen können, dass er im Krankenhaus war, dass eine der Krankenschwestern ihm eine Schmerzmittelinfusion anhing und dass sonst niemand im Zimmer war. Er hatte die Schwester wieder rausgehen sehen und eine Weile lang die Tür angestarrt, hatte dem steten Pochen zwischen seinen Schläfen zugehört und war dann wieder eingeschlafen. Gesprächsfetzen sausten durch seinen Verstand. Er bedeutet dir viel, oder? Vielleicht will er ja nur deine Aufmerksamkeit. Er hasst mich, aber das ist okay – Vielleicht will er ja nur deine Aufmerksamkeit. Er bedeutet dir viel, oder? Vielleicht will er ja nur deine Aufmerksamkeit. Wieso war er nicht früher darauf gekommen? Oh, na ja, wahrscheinlich, weil es nicht viel Sinn ergab. Er wusste nicht, wieso in aller Welt Sougo seine Aufmerksamkeit wollte, aber mittlerweile war er sich doch recht sicher, dass er seine Aufmerksamkeit wollte. Es war ein ganz altes Verhaltensmuster, das dennoch immer wieder auftauchte. Sougo hatte sich schon immer schnell verlassen gefühlt, er hatte immer schon viel Aufmerksamkeit gebraucht, nur hatte er die früher nie von Toushirou gewollt. Von allen anderen, nur nicht von Toushirou. Aber schon damals hatte er sich diese Aufmerksamkeit geholt, indem er möglichst viel möglichst laut kaputt gemacht hatte – er hatte Dinge umgeworfen, in Brand gesetzt, in die Luft gejagt, und so weiter. So wie heute auch noch. Aber irgendwie… Irgendwie hatte Zurako Recht gehabt. Sougo hatte sich zweifelsfrei auf ihn fixiert, und dass er ihn nicht wirklich töten wollte, stand wohl außer Frage. Vielleicht benahm er sich wirklich wieder so wie früher. Vielleicht wollte er ihm wirklich nur mitteilen, dass er Beachtung brauchte. Aber wieso brauchte er seine Beachtung? Toushirou war wirklich fest davon ausgegangen, dass Sougo ihn hasste. Scheiße, Sougo hatte ja auch allen Grund dafür. Aber wenn man es von einer anderen Seite betrachtete, und wenn man Sougo und seine Abartigkeiten gut kannte, dann… Na ja, dann konnte es wirklich sein, dass es kein Hass war, sondern etwas ganz anderes. Toushirou wusste nur noch nicht so recht, was. Er wusste ja auch nicht so recht, was er für Sougo empfand. Hass war es nicht, Hass war es nie gewesen. Zwischendurch war ein bisschen Abneigung da gewesen, aber groteskerweise hatte die sich recht schnell wieder verflüchtigt. Da war dieser kurze Bruder-Komplex gewesen, den er für ihn gehabt hatte, vor allem, als sie aus Bushuu weggezogen waren und Sougo merklich seine große Schwester vermisst hatte. Aber das hatte sowieso nicht geklappt. Selbst, wenn Toushirou sich dann mal überwunden und versucht hatte, sich wie ein großer Bruder zu benehmen, hatte Sougo das nicht unbedingt begrüßt. Also hatte er diese Gefühle auch wieder begraben. Und was es jetzt war, wusste er nicht. Er wusste nur, dass es schwer fassbar war, und das war nicht besonders hilfreich. Tatsache war, dass Zurako Recht gehabt hatte – Sougo bedeutete ihm viel. Unwahrscheinlich viel. Egal, wie oft er ihn noch abknallte, und egal, was Sougo selbst fühlte. Er war wichtig. Er war wichtig, und Toushirou würde nie aufhören, ihn beschützen zu wollen. Sougo hatte sich den ganzen Tag noch nicht blicken lassen. Früh morgens, vor Dienstbeginn, hatte er mal vorbeigesehen, aber nur, um das Personal zu fragen, wie es denn mit Hijikata aussah, und sich dann wieder zu verziehen, ohne auch nur ins Zimmer zu schauen. Er hatte noch Glück gehabt. Sie hatten beide noch Glück gehabt. Sougo bombte sich selbst ein halbes Ohr weg, aber Hijikata war nach seinem Anschlag noch ganz. Er hatte zumindest noch alle Gliedmaßen. Ein paar oberflächliche Brandverletzungen an den Armen hatte er wohl, und eine Schürfwunde an der Wange. Das Besorgniserregendste sei seine Gehirnerschütterung, aber auch die bekomme man leicht wieder in den Griff, hatte man ihm gesagt. Es gäbe höchstwahrscheinlich keine Folgeschäden. Er hatte ihn mit einer verdammten Bazooka abgeschossen und es würde keine Folgeschäden geben. Unkraut verging nicht, sagte man. Hijikata war zäh wie Schuhsohle, Sougo wusste das sehr gut. Und er war froh darum. Er hatte nicht gewollt, dass das passierte. Heilige Scheiße, nein. Sougo wusste selbst, wie grotesk das war, aber mit seinen ständigen Angriffen wollte er nicht erreichen, dass Hijikata verletzt wurde. Er wollte ganz andere Dinge erreichen. Aber nicht das hier. Klar trug er trotzdem hin und wieder Verletzungen davon und Sougo störte sich nicht daran. Hijikata war ein Arschloch… Also war das schon okay. Aber diesmal war er weggetreten gewesen, stundenlang, und lag jetzt im Krankenhaus. So weit ging es normalerweise nicht. Und das beunruhigte ihn. Mittlerweile war es später Abend und Sougo hatte sich überwunden, doch noch dieses verdammte Zimmer zu betreten. Er hatte überlegt, ob er einfach behaupten sollte, sie seien jetzt quitt – Hijikata hatte ihn ins Krankenhaus gebracht, und er hatte Hijikata ins Krankenhaus gebracht – aber eigentlich stimmte das nicht. Hijikata war nur hier, weil Sougo Mist gebaut hatte. Zwar hatte Hijikata vor ein paar Tagen gemeint, er sei auch an Sougos Krankenhausaufenthalt schuld gewesen, aber das war nur das Gewäsch eines Mannes mit gigantischen Komplexen und Schuldgefühlen, das wusste Sougo. Glaubte er zumindest. So ganz kapierte er nicht, was in Hijikata vorging. Aber sowas wie Schuldgefühle hatte er wohl… Ständig. Sougo drückte die Tür auf und schob sich ins Zimmer, sah sich stumm um und musste feststellen, dass es hier keinen verdammten Stuhl gab, und setzte sich dann einfach auf Hijikatas Bettkante. Sein Vorgesetzter sah ihn mit einem Ausdruck völliger Verständnislosigkeit an. Ein großes, weißes Pflaster klebte auf seiner Wange, er war blass, ansonsten sah er ganz okay aus. Sougo legte den Kopf schief. »Du kannst dich doch an mich erinnern, oder?«, fragte er und klopfte sich innerlich auf die Schulter, dass er seinen üblichen monotonen Tonfall noch schaffte. »Klar und deutlich«, brummte Hijikata. Sougo grinste wackelig. Dann wandte er den Blick ab und versuchte, ein Tut mir leid rauszuwürgen. Es klappte nicht. »Wieso«, begann Hijikata dann plötzlich, »bringst du mich ins Krankenhaus, nachdem du mich mit einer Bazooka abknallst? Das ergibt keinen Sinn. Entscheide dich wenigstens mal.« Sougo rümpfte die Nase und schielte wieder zu ihm. Oh, Scheiße. Oh, Scheiße, Scheiße. Er hasste es, ihn ansehen zu müssen. Er hasste, was es in ihm auslöste. Er hasste diese Emotionen und diese Hilflosigkeit, die sie mit sich brachten. »Vielleicht ergibt es sehr wohl Sinn«, sagte er leise, »und du verstehst ihn nur nicht.« Hijikata seufzte. »Irgendwie versteh ich eine Menge nicht…«, murmelte er und schloss die Augen. »Willst du… Willst du Aufmerksamkeit? Ist es das? Früher hast du dich nur so extrem destruktiv verhalten, weil du eifersüchtig warst, aber…« Hijikata runzelte die Stirn und öffnete die Augen wieder, und obwohl Sougo sich die ganze Zeit gewünscht hatte, er würde endlich verstehen, wollte er nun eher, dass dieser Moment augenblicklich wieder vorbeiging. »Bist du eifersüchtig?« Sougo wandte den Blick wieder ab und verzog das Gesicht zu einem kindlichen Schmollen. Normalerweise konnte er gut lügen. Aber normalerweise war er auch nicht in so beschissener psychischer Verfassung. Und das nur wegen Hijikata. Nur wegen dieses verwirrenden Bastards, den er abstoßend finden wollte und den er stattdessen anziehend fand. »Vielleicht«, murmelte er. »Warum?«, fragte Hijikata prompt. Als Sougo nicht antwortete, schien er nachzudenken – und auf eine Lösung zu kommen. »Doch nicht… Hast du mich und sie gesehen? Mich und Zurako?« Sougo nickte. »Deshalb bist du eifersüchtig?« Sougo antwortete nicht. Er hob nur den Kopf wieder und sah Hijikata ausdruckslos an, der verständnislos zurückstarrte. »Wieso…«, begann er und zog die Augenbrauen zusammen. »Wieso gehst du dann nicht… Ich meine, wieso gehst du dann nicht raus und besorgst dir selbst ein Date? Du kannst doch nicht deshalb eifersüchtig auf mich sein, auf dich stehen sie doch genauso…« Sougo verdrehte die Augen. Oh, verdammt, dieser Idiot. Und der sollte der Intelligente ihrer Mannschaft sein. Pustekuchen. In dieser Mannschaft gab es niemanden, der ansatzweise intelligent war… »Ich bin nicht auf dich eifersüchtig«, sagte er. Hijikata sah ihn an, und Sougo sah zurück, und Hijikata sah ihn an und sah ihn an, und Hijikata schien endlich zu kapieren. Und als die Uhr auf dem Nachttisch auf 0:00 sprang, ging Sougo dem Drang in seinem ganzen Körper endlich nach, beugte sich herunter und drückte seine Lippen unsanft auf die Hijikatas, und Toushirou wehrte sich nicht. Siebzehnter Dezember -------------------- Toushirou hatte keine Ahnung, was er hier tat. Richtig oder falsch, gut oder schlecht, echt oder geträumt, er wusste es nicht. Und eigentlich war es ihm auch ziemlich egal. Er blickte gegen Sougos geschlossene Augen, während ihre Lippen sich immer und immer wieder berührten, er hörte nichts außer den eigenen Atem und das Rascheln von Kleidung, und er spürte die Hitze, die ihn bis in seine Fingerspitzen ausfüllte. Sougo hatte die Augenbrauen zusammengezogen und schien sich konzentrieren zu müssen, er wollte den Kuss nicht lösen, während er seine Position auf dem schmalen Krankenhausbett änderte, und Toushirou blieb einfach nur liegen und ließ es geschehen, er hatte das Gefühl, dass er ihn beobachten musste, permanent beobachten, um erfassen zu können, was sie hier gerade trieben. Sougos Knie befanden sich mittlerweile auf beiden Seiten von Toushirous Körper, er saß mehr oder weniger auf seiner Hüfte und hatte den rechten Arm neben seinem Kopf im Kissen abgestützt, während die linke Hand an seinem Hals lag und mit langsamen Bewegungen in Richtung Brust fuhr. Sougos Finger waren eiskalt, aber Toushirou störte sich nicht daran. Im Moment störte er sich an gar nichts. Er gab sich größte Mühe, sein Hirn einfach abzuschalten, und das funktionierte erstaunlich gut. Er hatte verstanden, er hatte endlich alles verstanden, also brauchte er diesen störenden Verstand gar nicht mehr. Ja, er hatte Aufmerksamkeit gewollt, ja, er war eifersüchtig gewesen – nicht auf ihn, sondern auf Zurako, und auf alle anderen, die statt ihm mit Toushirou Kontakt gehabt hatten. Er hatte verstanden, es war okay. Es war okay. Toushirou hätte selbst nicht in Worte fassen können, was nun mit Sougo los war, ob er auf irgendeine Art und Weise auf ihn stand, ob er vielleicht in ihn verknallt war, oder ob es irgendeine andere groteske Gefühlsregung war, aber er hatte längst aufgehört, jeder Emotion einen Namen geben zu wollen. Manchmal gab es keinen Namen. Für das, was Sougo fühlte, gab es keinen Namen, und für das, was er fühlte, gab es auch keinen Namen. Er konnte sich absolut sicher sein, dass es keine Liebe war, nein, das war ziemlich ausgeschlossen. Toushirou wusste, wie Liebe sich anfühlte. Toushirou wusste das sehr gut. Und das hier war keine und würde auch nie welche werden, aber wen störte das schon? Er wusste auch, dass er von allein wohl nie auf die Idee gekommen wäre, sich einfach mal Sougo zu schnappen und ihn flachzulegen. Nein, definitiv nicht – aber genauso wusste er, dass er momentan gar nicht abgeneigt war. Das hatte sich wohl über die Jahre, nach den ganzen komplizierten Geschichten, die sie miteinander gehabt hatten, einfach so entwickelt. Drauf geschissen. Einfach drauf geschissen. Hey, im Zweifel konnte er es immer noch auf seine aktuelle Gehirnerschütterung schieben. Er hob die Hände, glücklicherweise war die Schmerzinfusion an seinem Arm mittlerweile wieder abgestöpselt, und griff ohne Umschweife an die Jacke von Sougos Uniform, um sie ihm von den Schultern zu streifen. Keine Sekunde später hatte Sougo den Kuss endlich gelöst und sich ein Stück aufgerichtet, sodass Toushirou seine Hände letztendlich doch wieder sinken ließ. Kommentarlos streifte Sougo sich die Jacke selbst ab und ließ sie zu Boden fallen – und dann saß er auf seiner Hüfte und sah ihn an, bevor er einen Blick zur Tür warf. Toushirou hätte schwören können, dass er gleich einen Rückzieher zu hören bekam. Er versuchte schon, sich mental darauf vorzubereiten, als Sougo ihn wieder, mit völlig normalem Gesichtsausdruck, ansah, und fragte: »Kommt die Nachtschwester hier nochmal rein?« Toushirou grinste schief und schüttelte den Kopf. »Erst in drei Stunden oder so«, sagte er leise. »Gut«, sagte Sougo geschäftig. »Wie ich dich kenne, bist du ja eh in einer Minute fertig.« »Hey«, machte Toushirou etwas lauter und hob eine Hand, um Sougo einen Klaps zu verpassen, aber Sougo fing seinen Arm einfach mitten in der Luft auf, presste ihn zurück auf die Matratze und drückte einen weiteren, kürzeren Kuss auf Toushirous Lippen. »Du musst leise sein, Hijikata-san«, hauchte er danach mit einem unheilverheißenden Grinsen. »Sonst kommt doch noch jemand hier rein und sieht, dass du ein alter, pädophiler Perversling bist…« Toushirou zog eine Braue hoch und gluckste trocken. »Ach, sei still«, murmelte er und hob die freie Hand an Sougos Schal. Er zog ihn zu sich und hob selbst seinen Oberkörper ein bisschen, hatte eigentlich darauf abgezielt, mit seinen Lippen an dessen Hals zu kommen, aber Sougo kam ihm schon wieder zu vor, drückte eine Hand gegen Toushirous Oberkörper und stemmte ihn zurück aufs Bett. »Finger weg«, sagte er ruhig, zog sich den Schal selbst aus und warf ihn zur Jacke am Boden. Die Weste folgte und zurück blieb das dünne weiße Hemd, dem Sougo keine Beachtung mehr schenkte. Seine kalten Finger kamen wieder auf Toushirous Brust an, strichen den blauen Yukata, den er vom Krankenhaus bekommen hatte, langsam zur Seite, während er sich herunterbeugte und Toushirou mit einer Wucht in den Hals biss, mit der er nicht gerechnet hatte. Er fuhr zusammen und presste die Zähne aufeinander, schielte an Sougo vorbei und konnte ihn an seiner Haut vorbei kichern hören. Sadistischer Bastard. Der Gedanke, dass das hier doch keine so gute Idee gewesen war, flatterte durch seinen Kopf, verflüchtigte sich aber beeindruckend schnell wieder. Was hatte er gedacht? Drauf geschissen. Das war das. Trotzdem konnte er sich mit dieser Unten-liegen-Sache nicht anfreunden… Während er spürte, wie Sougos Zunge auf dem Weg zu seinem Schüsselbein war, stützte er sich auf seine Unterarme auf, Sougo biss wieder zu und wanderte noch etwas tiefer, und letztendlich setzte Toushirou sich ganz auf und blickte stirnrunzelnd zu ihm hinab, wie er über seinen Beinen kniete und mit diesen unpassend riesigen Augen zu ihm hochschielte. »Was?«, fragte er unschuldig. Toushirou zog die Brauen hoch. »Glaub ja nicht, dass du oben sein darfst«, sagte er unverblümt. Einen Moment lang sahen sie sich bloß still in die Augen, dann grinste Sougo wieder und lachte sogar kurz auf. »Aber Hijikata-san…«, sagte er langgezogen, löste mit einem einzigen Handgriff den Obi des Krankenhaus-Yukatas und stemmte eine Hand gegen Toushirous Oberkörper, um ihn einmal mehr nach hinten zu drücken. »Du hast eine Gehirnerschütterung…! Also musst du liegen bleiben.« Sougos Fingerspitzen fuhren einen seiner Arme herauf, und seine andere Hand hielt den Obi hoch. »Du willst doch nicht, dass ich dich hiermit ans Bett fessle, oder?« Toushirou schnaubte. »Glaub ja nicht, dass ich bei deinen SM-Spielchen mitmache«, sagte er platt. Zu seiner Beunruhigung wurde Sougos Grinsen breiter und er beugte sich hinab bis zu seinem Ohr, wo seine Stimme kaum mehr als ein Hauchen war. »Denkst du, dass ich dich dafür um Erlaubnis fragen würde?« Ein eher unangenehmes Ziehen machte sich in seinem Unterleib bemerkbar, doch er konnte mit flüchtiger Erleichterung feststellen, dass Sougo den Obi nur unbenutzt auf die Matratze legte, während er sich erneut seinem Oberkörper zuwandte. Allerdings hielt er sich dort nicht besonders lang auf. Tatsächlich dauerte es jetzt nur noch ein paar Sekunden, bis Sougo die Bettdecke ans Fußende kickte, mit beiden Händen den Bund von Toushirous Unterhose packte und ihm einen schmerzhaften Biss unter den Bauchnabel verpasste. Toushirou beobachtete ihn genau, bereit, ihn von sich zu werfen, sobald er wieder den Sadisten raushängen ließ – aber als seine Unterhose aus der Welt geschaffen war und er ein weiteres Mal Sougos Zunge auf seiner Haut spürte, dachte er sich, dass diese Position vielleicht doch gar nicht so übel war. Achtzehnter Dezember -------------------- Sougo hob den Kopf und schielte zu ihm hoch, und während Toushirou den Blick erwiderte, leckte der Bastard sich tatsächlich langsam mit der Zunge über die Lippen. Scheiße, am liebsten hätte er ihn einfach an den Schultern gepackt, umgeworfen und ohne Umschweife gevögelt, aber das würde Sougo wohl oder übel nicht zulassen. Außerdem war das Bett so verdammt klein… Obwohl Toushirou auch nichts dagegen einzuwenden gehabt hätte, ihn einfach auf dem Boden zu nehmen. Oder an der Wand. Gott, ihm war alles egal, solang er nur dieser Erregung Luft machen konnte, die gerade drohte, ihn platzen zu lassen. Toushirou war normalerweise nicht leicht zu erregen, er musste ständig irgendwelchen platten Anmachen standhalten und hatte damit überhaupt kein Problem, aber gottverdammt, gegen einen Blowjob konnte er sich definitiv auch nicht wehren. Außerdem war irgendwas an Sougo… irgendwas… Fuck, er wollte ihn einfach flachlegen. Stand er auf dieses dämliche Babyface? Auf diese beschissenen Bishi-Augen und diese affige Röte auf seinen Wangen? Vielleicht. Vielleicht. »Komm her«, knurrte Toushirou leise, untermalte seine Forderung mit einer eindeutigen Handbewegung und sah dabei zu, wie Sougo mit einem schiefen Grinsen wieder hochkletterte, bis ihre Gesichter auf einer Höhe waren. Ein weiteres Mal beugte Sougo sich bis zu seinem Ohr hinab. »Glaub nicht, dass du hier irgendeine Form von Kontrolle bekommst«, flüsterte er, aber Toushirou war längst zu angestachelt, um sich davon noch beeindrucken zu lassen. Toushirou bewegte seine Hände, und bevor Sougo reagieren konnte, lag die rechte an seiner Hüfte – mit der linken umfasste Toushirou sein eigenes Glied, er bewegte sein Becken nach oben und das von Sougo nach unten, und mit einem Mal war die ganze Großmäuligkeit gewichen. Über Sougos Lippen kam ein erstickter Laut, er hatte den Kopf gesenkt und verweilte sekundenlang in dieser Position, aber Toushirou hielt es nicht viel länger aus. Er winkelte seine Beine an und stellte die Füße auf, auch seine linke Hand legte sich nun fest an Sougos Hüfte, und mit einem schnellen, kräftigen Stoß drang er komplett in ihn ein. Sougos gedämpfter Aufschrei riss sofort wieder ab, seine Arme erzitterten und knickten letztendlich ein, und im nächsten Moment lagen ihre Oberkörper aufeinander und Toushirou hörte ihn deutlich in sein Ohr keuchen. »Bastard«, brachte er hervor und Toushirou grinste. Es roch nach Schweiß und Rauch. Genau diese Gerüche war er gewohnt, wenn er aufwachte, zu Hause roch es immer so, aber sollte er nicht noch im Krankenhaus liegen? Toushirou war sich nicht sicher, er hatte monströse Kopfschmerzen und fühlte sich, als habe er irgendwas Falsches geraucht. High. Von Schmerzmitteln vielleicht? Vielleicht. Und von diesen Erinnerungen, die seinen Schlaf verfolgten. Sougo versuchte immer wieder, sich abzustützen und aufzurichten, kam aber nie besonders weit. Unbarmherzig hielt Toushirou das Fleisch seiner Hüften fest, drückte ihn mit jedem Stoß sich selbst entgegen und wurde nicht müde, regelmäßig und kraftvoll sein Becken nach oben zu bewegen. Sougo konnte oben bleiben, Sougo konnte von ihm aus die ganze verdammte Zeit oben bleiben, aber das hieß gar nichts. Das hier war Toushirous Spiel, das hier war Toushirous Lust, und die musste raus, und dafür sorgte er, nicht Sougo. Konstant hörte er Keuchen und leises Stöhnen direkt neben seinem Ohr, hin und wieder biss er in Sougos Schulter, fuhr mit der Zunge seinen Hals hinauf und packte mit einer Hand seine Haare, er hörte dem unverkennbaren Geräusch aufeinandertreffender Körper zu und spürte den nicht enden wollenden Schweiß auf seiner Haut, das Pflaster in seinem Gesicht löste sich beinahe unter der Flüssigkeit, seine Hände rutschten nun doch hin und wieder an Sougos Hüfte ab, also krallte er sich stattdessen in dessen Schulterblättern fest. Aus den Augenwinkeln sah er, wie Sougo die Lider zusammenkniff und eine Hand auf seinen Mund drückte, er atmete schwer durch die Nase und bewegte sich nicht mehr von allein gegen ihn, seine Beine waren mittlerweile weggerutscht und er lag müde und schwer auf Toushirous Oberkörper, und doch schien er nicht mal ansatzweise zu wollen, dass es aufhörte. Er wusste, dass es Erinnerungen waren, keine Träume. Es war passiert. Dessen war er sich sicher, absolut sicher. Er konnte die Nachwirkungen nicht mehr an seinem eigenen Körper spüren, weil er sich ja irgendwie wie zugedröhnt fühlte, aber er wusste einfach, dass es Tatsachen waren. Allein schon die Erinnerung daran, wie die Sache ausgegangen war, bestätigte das. Mit aller Kraft, die ihm noch blieb, presste er Sougos Körper gegen sein Becken, seine Augen waren geschlossen und sein Kopf in den Nacken gelegt, er atmete stoßweise und lautlos – bis er schließlich lang ausatmete, sich mit der Zunge über die trockenen Lippen fuhr und nur langsam von Sougo abließ. Umständlich erhob sich Sougo, vorsichtig und noch immer mit leicht schmerzverzerrtem Gesicht, nur um gleich darauf wieder an Toushirous Seite zusammenzubrechen. »War das jetzt länger als eine Minute?«, murmelte er undeutlich. Toushirou schnaubte. »Halt die Klappe«, befahl er, angelte mit seinen Füßen die Bettdecke und warf sie über Sougo, der mit einem Mal, nackt und neben ihm zusammengerollt, viel kleiner aussah als er eigentlich war. Und sein Gesichtsausdruck sah aus, als habe er in eine Zitrone gegessen. »Beim nächsten Mal benutzt du gefälligst irgendwas… Gleitgel…mäßiges…« Gleitgelmäßig also. Toushirou zog eine Braue hoch. »Du warst derjenige, der mir keine Zeit für irgendwas gelassen hat«, sagte er trocken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Er gluckste leise. »Beim nächsten Mal also, ja…?« Sougo schien aufzufallen, was er da gesagt hatte, er warf Toushirou einen bösen Blick zu und vergrub sich dann unter der Decke. »Bild dir bloß nichts drauf ein«, brummte er von dort aus – er schien noch etwas hinzufügen zu wollen, aber in diesem Moment ging die Tür auf und die Nachtschwester betrachtete mit sehr weit hochgezogenen Brauen den menschenförmigen Hügel unter der Bettdecke und den Haufen Klamotten am Boden. Sie und Toushirou sahen sich einige Sekunden lang stumm ins Gesicht, dann räusperte sie sich sehr laut und schloss die Tür wieder. Und während Toushirou noch innerlich fluchte, begann Sougo, lauthals zu lachen. Nein, nein. Das war kein Traum gewesen. Definitiv echt. Sowas passierte nur ihm. Sougo hatte sich dann recht bald verzogen und Toushirou hatte eine Menge geschlafen. Die Schmerzen seiner Gehirnerschütterung waren etwas später mit Pauken und Trompeten zurückgekehrt, er hatte sich eine Standpauke des Krankenhauspersonals eingefangen, weil er sich schonen sollte, und sein Aufenthalt hier war dementsprechend verlängert worden, und abends war Sougo mit Kondou zurückgekehrt, um ihn auszulachen. Sie hatten beschlossen, dieses ominöse nächste Mal nicht im Krankenhaus stattfinden zu lassen, also war er auch mit Kondou wieder verschwunden und Toushirou hatte hier seelenruhig geschlafen. Wieso hörte er also jetzt doch wieder Sougos Stimme? Und wieso roch es nach Rauch? »Wir sagen euch an den lieben Advent…« Oh, nein. »Sehet, die vierte Ecke brennt…« Oh, nein. Nein, nein, nein. Toushirou setzte an, blind nach Sougo zu schlagen, aber seine Arme kamen nur ein paar Zentimeter weit, bis sie mit einem Ruck wieder stillstanden. »Toushi selber wird kommen, er zögert nicht…« Was zur Hölle? Das war garantiert nicht der richtige Text – und viel wichtiger war, dass das garantiert nicht so gewollt war, dass er seine Arme nicht bewegen konnte… »Auf, auf, ihr Herzen, werdet licht!« »SOUGO!« Toushirou hatte es geschafft, die Augen zu öffnen. Sougo saß an seiner Bettkante und hatte scheinbar die angekokelte Decke von Toushirous eigenem Futon mitgebracht, nur, um sie jetzt schon wieder anzuzünden. Und heute hatte er Toushirou tatsächlich mit seinem verdammten Obi ans Bett gefesselt. »MACH MICH HIER SOFORT WIEDER LOS!«, bellte Toushirou, aber Sougo grinste ihn nur breit an und schüttelte den Kopf. »Neeein«, sagte er langgezogen und hielt die schwelende Decke hoch. »Erst müssen wir gemeinsam diesen wundervollen Adventskranz bewundern.« »Ich bewunder dich auch gleich mal«, schnaubte Toushirou geistreich. »Ja, das mag sein«, sagte Sougo, wandte den Blick ab und kokelte weiter fröhlich an der Decke herum. Er baumelte mit den Beinen und sein Tonfall hätte schadenfroher nicht sein können, als er weitersprach: »Glückwunsch zu deiner Morgenlatte.« Vierter Advent: Konzert unter Virtuosen --------------------------------------- A/N: Ein weiter BanZaki-Bonus für , diesmal mit Smut! ...und etwas weniger musikalischem Fachchinesisch, glaub ich. --- Es war fast schon zu viel für ihn. Eine völlige Überladung der Sinne. Selbst im Halbdunkel konnte er die Röte in seinem Gesicht ausmachen, die krampfhaft zusammengekniffenen Augen, den Biss auf die Unterlippe. Er konnte sehen, wie sich die schmalen, bleichen Hände an sein Bettgestell klammerten, er sah die Muskeln in seinem gesamten Körper zucken, er bemerkte sogar das Krümmen seiner Zehen, den feinen Schweißfilm überall, jede einzelne Strähne, die ihm ins Gesicht fiel. Er spürte die verschwitzte Haut an seiner, er spürte das Bettlaken unter seinen Knien, er spürte die Enge und die Hitze, er spürte die Lust und die Erregung, die von seinem Unterleib ausgingen und in gigantischen Wellen seinen ganzen Körper erfüllten, er spürte mit jedem Stoß den Orgasmus anrollen und hielt sich doch noch zurück, weil er weiter zuhören wollte. Musste. Es war so komplex, es war so unerträglich komplex – Bansai hätte sich einfach aufs Bett setzen und auf ewig diesen Kompositionen zuhören können, die Yamazaki von sich gab, wenn man ihn mit den eigenen Handschellen an das stählerne Bettgestell kettete, er hätte sich stundenlang den zittrigen Streichern hingeben können, die er hörte, wenn er mit den Fingerspitzen quälend langsam jeden Zentimeter seines Körpers abtastete, der Mischung aus leiser Angst und lauter Erregung, wenn er bedächtig die Gleitcreme verteilte, es war ein ganzes verdammtes Konzert, es waren hundert verdammte Konzerte, die Bansai sich alle im stillen Publikum hätte anhören können, aber es ging nicht. Es ging nicht. Bansai konnte lang aushalten, Bansai konnte Ewigkeiten still sitzen und einfach nur zuhören, aber es gab gewisse Reize, denen auch er sich nicht entziehen konnte. Er versuchte, gleichzeitig seine verdammte Erregung loszuwerden und zuzuhören, und vielleicht war es das Schwerste, was er in seiner bisherigen Karriere je getan hatte. Dieser Junge trieb ihn in den Wahnsinn. Und er konnte ihn nicht einfach schnell vögeln und dann weiter zuhören, weil er dann einen der wichtigsten Parts dieses ganzen Stückes verpasst hätte. Yamazaki klang nur noch komplexer als sonst, wenn man ihn vögelte. Es war unglaublich. Scheiße, es war unglaublich, Sex war eine so furchtbar banale Sache und dieser Junge schaffte es, genau diesen Akt zu einem verfluchten Meisterstück zu machen. Da war die Angst vor ihm. Hohe Klaviertöne, ständige Sprünge und ein zittriges Staccato. Da war das Wissen, dass er unterworfen wurde, die hingebungsvollen, ruhigen Töne einer klassischen Gitarre. Da war sogar das schlechte Gewissen, weil er sich nicht wehrte, obwohl er es hier mit einem Terroristen zu tun hatte, mit einem Gegner, mit dem Feind. Ja, jedes Mal, wenn Bansai tief und kräftig in ihn stieß, konnte er Yamazakis schlechtes Gewissen hören, und es war ein wehleidiges Streichquartett. Und die Lust. Die Erregung, die mit festen Perkussionsschlägen und tiefen Bläsern kam, und das Verlangen, das ihm eine einnehmende Melodie präsentierte, in deren Hintergrund sich doch tatsächlich ein verspielter Walzer versteckte, und die Ekstase, die allein vielleicht nur wie ein betrunkener Jazzer geklungen hätte, in diesem Zusammenhang aber das verdammte Sahnehäubchen war. Alles spielte ineinander, es war ein ganzes verfluchtes Orchester, das Klavier, die Gitarre, die Streicher, die Bläser, die bombastische Perkussion, die mit jedem Stoß lauter zu werden schien, es füllte alles aus, was Bansai wahrnahm, er hörte Yamazaki nicht stöhnen, er hörte sich selbst nicht keuchen, er hörte nur noch dieses Konzert, dieses Konzert, das er nur für ihn spielte, dem er noch auf ewig lauschen wollte. Es wurde lauter, wenn er wieder zustieß, und minimal leiser, wenn er sich wieder zurückzog, und sobald Bansai das verstanden hatte, spielte er mit diesen Crescendi und Decrescendi, wie es ihm gerade sinnvoll erschien – die Tatsache, dass er der Dirigent war, dass er die Kontrolle darüber hatte, was mit diesem Konzert für ihn persönlich noch passierte, erhöhte seine Erregung nur noch mehr. Bansais Hände griffen dicht neben Yamazakis Kopf ins Laken, er stieß fester und schneller zu, dann wieder langsamer, er änderte flüchtig die Richtung, er drückte Yamazakis Beine zusammen und auseinander, schob seine Hüfte in die Höhe und drückte seinen Rücken durch, er geilte sich an den erschrockenen Tonsprüngen auf, die das Klavier vollführte, wenn er seine Zähne in Sagarus Hals versenkte, wenn er um ihn herumgriff und seine Fingernägel in seinen Rücken drückte. Änderte Bansai den Rhythmus, änderte Yamazaki den Takt, änderte Bansai die Intensität, änderte Yamazaki die Lautstärke, und drohte er, sich aus ihm zurückzuziehen, wurde das ganze Stück mit einem Mal zittriger, die Töne langgezogener, bettelnd und fordernd. Yamazaki biss sich mittlerweile in den eigenen Arm, die Beine konnte er aus eigener Kraft schon nicht mehr heben und sein Atem war viel zu schnell und absolut unregelmäßig, aber Bansai beachtete ihn einfach nicht. Seine äußerlichen Reaktionen waren ihm furchtbar egal, ihn interessierte nur dieses Stück, dieses Orchester, dieses Konzert. Er wollte nie wieder aufhören. Er wollte auf ewig hier bleiben, seine Hände in Sagarus Kniekehlen pressen und seine Beine gegen seinen Oberkörper drücken und einfach nur zustoßen, immer und immer wieder zustoßen, um diesem Meisterwerk zuhören zu dürfen – er wollte sich sein Leben lang am Zusammenspiel dieser Harmonien aufgeilen. Aber lang würde er sich nicht mehr zurückhalten können. Ohne groß nachzudenken löste Bansai eine Hand von Yamazakis Oberschenkel, fuhr mit seinen verschwitzten Fingern über dessen Glied und umfasste es im nächsten Moment ganz. Die Streicher erzitterten, Trommelwirbel begannen und erstarben wieder, und das Klavier schien Gesellschaft von einer Orgel bekommen zu haben. Bansai beschleunigte seinen eigenen Rhythmus, während seine Hand sich beinahe unkontrolliert bewegte, er hielt die Augen geschlossen, um den rollenden Wellen von Pauken und Bläsern zuzuhören, wie sie immer lauter wurden, immer lauter und immer schneller – Mit mehreren, gigantischen Schlägen und hohen, aber festen Tönen, großen Akkorden und einer Lautstärke und Intensität, die Bansai, so glaubte er, noch in seinem Bauchnabel nachvibrieren spürte, brach Yamazakis Höhepunkt über ihn ein. Vielleicht war es eine Mischung aus der eigenen Erregung und diesem genialen Konzertende gewesen, die ihn ebenfalls genau in diesem Moment hatte kommen lassen. War ihm eigentlich egal. Nur langsam ließ er von Sagarus Glied ab, zog sich selbst noch nicht zurück und ließ sich schwer atmend auf Yamazaki sinken. Bansais eigene Arme trugen einen Großteil seines Gewichts, doch er konnte den Jungen unter sich beben und zittern spüren. Mit jedem Ausatmen gab Zaki noch immer leises Stöhnen von sich und Bansai grinste matt in die schwarzen Haare, in die er sein Gesicht versenkt hatte. »Du bist ein wahrer Virtuose«, sagte er leise in Zakis Ohr, der daraufhin flüchtig zusammenfuhr. »W-Was?«, antwortete er fahrig. Bansai gluckste. »Nicht so wichtig…« Neunzehnter Dezember -------------------- A/N: Leichte Spoiler bzgl. Mimawarigumi-Arc. --- Die ersten Schneeflocken fielen zu Boden und Sougo und Hijikata saßen nebeneinander auf dem Krankenhausbett, um ihnen dabei zuzusehen. Sougo schmiedete innerlich bereits Pläne für diverse Schnee- und Eisskulpturen, während Hijikata lauthals kundgetan hatte, dass er dieses Wetter hasste, und eben nebenbei hatte erwähnen müssen, dass er Sougo nicht verstand. Sougo antwortete nicht. Er verstand sich mittlerweile ganz gut. Hatte vielleicht auch ein bisschen gedauert, aber na ja. Jetzt ging es. Lag wahrscheinlich daran, dass es jetzt irgendwie einfacher war, sich das alles einzugestehen. Wieso auch immer… Als man Hijikata vor ein paar Tagen bewusstlos ins Krankenhaus gefahren hatte, hatte Sougo sich gefragt, wieso er ihn nicht einfach hatte liegen lassen. Je schlechter es Hijikata ging, je mehr er außer Gefecht gesetzt war, desto angenehmer war das Leben für Sougo. Wenn er ihn nicht sehen musste, musste er auch nicht über ihn nachdenken, und über alles, was passiert war, wenn er ihn nicht zu Gesicht bekam, musste er sich diese irritierenden Gedanken nicht machen, also wäre es wohl sinnvoller gewesen, ihn dort einfach seinem Schicksal zu überlassen. Und dann hatte er sich an das Telefonat erinnert, das er mit angehört hatte. Wie Hijikata behauptet hatte, dass Sougo ihn hasste. Und wie er gesagt hatte, dass das okay war. Sougo kannte Hijikatas Komplexe, sogar peinlich genau. Er wusste, wie er sich Vorwürfe wegen seiner eigenen Familie machte, und wie er sich Vorwürfe wegen Sougos Schwester machte. Er wusste, dass er auf seine eigene, verschrobene Art und Weise versucht hatte, das alles bei Sougo wiedergutzumachen. Sougo hatte sich dagegen gesperrt und er hatte auch nicht vor, das zu ändern, aber es waren wohl diese Momente im Auto gewesen, mit einem ohnmächtigen Hijikata und den Erinnerungen an dieses Telefonat, die ihn hatten merken lassen, welch schweres Gewicht auf seinem Rücken ruhte. Sougo kannte die Geschichte von Hijikatas Kindheit – er hatte sie ihm nie selbst erzählt, aber dank Kondou hatte er immer alles ganz gut mitbekommen. Das mit Mitsuba war… Na ja, offensichtlich. Und jetzt das mit ihm. Scheiße, Sougo sah sich nicht imstande, irgendetwas daran zu ändern, er sah sich nicht imstande, auch nur ein Gramm Gewicht von Hijikatas Schultern zu heben, aber er hatte es zumindest einmal geschafft, zu realisieren, dass es überhaupt existierte. Und das Mindeste, was er hatte tun können, war, ihn ins verdammte Krankenhaus zu bringen, nachdem er ihn einfach so abgeknallt hatte. Ein Samurai beschützte, was ihm wichtig war. Hijikata versuchte das immer und immer wieder und es schien ständig fehlzuschlagen. Sougo wollte es besser machen. »Und woher kam dieser plötzliche … Streich-Adventskalender?«, fragte Hijikata dumpf, der noch immer zu versuchen schien, Sougos Handlungen zu verstehen. Sougo zuckte die Achseln. »Mir war danach«, sagte er vage. »Und gab es dafür irgendeinen Grund? Hab ich Anfang Dezember auch schon irgendwas angestellt, was dich angekotzt hat?« »Nicht direkt«, murmelte Sougo und ließ sich rücklings aufs Bett fallen. »Es ist … das zweite Weihnachten ohne ihre Briefe. Ist mir irgendwann Ende November aufgefallen. Ich schätze, ich … musste mich nur irgendwie ablenken.« »Also hast du meine Bettdecke angezündet?« »Ja.« Hijikata versenkte sein Gesicht in seiner Handfläche und Sougo musste für einen kurzen Moment grinsen, bevor er den Blick wieder von Hijikatas Profil abwandte und an die Decke starrte. »Hey, Hijikata-san.« »Hm?« »Hast du deinem Bruder diesen Monat schon geschrieben?« »Nein.« »Schreibst du ihm noch?« »Natürlich.« »Sag ihm, dass er gut auf sie aufpassen soll, wo auch immer sie jetzt sind.« Hijikata zog eine Augenbraue hoch und warf ihm einen undefinierbaren Blick zu, dann schnaubte er leise und sah wieder aus dem Fenster. »Kann ich machen«, sagte er. Vermutlich waren die beiden an einem Ort, an dem man, blind oder nicht, genau hierhersehen und seine jüngeren Geschwister auslachen konnte, dachte Sougo. Und dann versuchte er, sich zu entscheiden, ob er Hijikata ausziehen oder aufschlitzen wollte, dafür, dass er ihn wieder auf solche Gedanken gebracht hatte. Glücklicherweise kam er nicht dazu, einen Entschluss zu fassen. Ein namenloses Mitglied der Shinsengumi platzte ins Zimmer und eskortierte sie zum Auto, das sie endlich zurück ins Hauptquartier brachte, nachdem man Hijikata aus dem Krankenhaus entlassen hatte. Eigentlich hatten sie für diese Fahrt zwar Yamazaki gebucht, aber der war irgendwie nirgends aufzufinden. Zwanzigster Dezember -------------------- »KAAAAAAATSURAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAAA!« Mit seinem ohrenbetäubenden Kriegsgebrüll stürmte Toushirou durch die Gasse, in einer Hand sein Schwert, auf der anderen Schulter eine Bazooka – vielleicht sollte er weniger Gewicht mit sich rumtragen, aber er brauchte das Zeug eben, wenn es um Katsura ging. Und irgendwie hatte er das Gefühl, dass er den Idioten auch nicht einfangen würde, hätte er das ganze Zeug nicht dabei. Also war es besser, die Bazooka als Fernwaffe mit sich herumzutragen. Irgendwann würde er ihn schon treffen. Toushirou schoss ein weiteres Mal, der Asphalt der Straße ging einfach hoch und Katsura verschwand in einer dicken Rauchwolke. Neben ihm bretterte Sougo in einem der Streifenautos vorbei (er war ja ursprünglich dagegen gewesen, dem Jungen schon einen Führerschein in die Hand zu drücken, aber es war manchmal doch ganz praktisch), schlitterte an der aufgeplatzten Straße vorbei und versperrte Katsura den weiteren Weg, doch als die Rauchwolke sich wieder hob, war er schon nicht mehr zu sehen. Fluchend bog Toushirou um die nächste Ecke, wo er sie sah. Katsura und sein komisches, gruseliges Enten-Amanto-Vieh. Und dieses … Ding half ihm gerade via Räuberleiter über die Mauer, in der diese Sackgasse hier eigentlich endete. »Vergiss es«, knurrte Toushirou, er hob die Bazooka, visierte an und drückte ab, und somit flog besagte Mauer einfach in die Luft. Rücksicht auf Verluste? Kannte er nicht. Er war der verfickte Vize-Kommandeur der Shinsengumi, und wenn er Stadtmauern in die Luft jagen wollte, dann jagte er Stadtmauern in die Luft. Als sich der Rauch auch hier legte, musste er jedoch feststellen, dass die Explosion den beiden scheinbar nichts ausgemacht hatte. Das seltsame Leintuch, oder was auch immer es war, was dieser Amanto trug, war hinten dreckig, ansonsten waren die beiden unversehrt. Scheinbar hatte das Vieh Katsura beschützt. Und nun klemmte es sich den Kerl einfach unter den Arm und lief los. Und Katsura hing dort, winkte ihm zu und schenkte ihm ein absolut schadenfrohes Lächeln. Und in diesem Moment dachte Toushirou, dass er genau dieses Lächeln in genau diesem Gesicht kannte. Schon mal gesehen hatte. Nur unter anderem Namen. Und in anderer Gefühlslage. Ganz anderer Gefühlslage. »Maaaan«, machte Sougo monoton, der aus dem Streifenwagen ausgestiegen war und nun neben ihm stand. Sie sahen dabei zu, wie der Amanto mit lauten Flapp-flapp-Geräuschen davonlief, Katsura noch immer einfach so unter den Arm geklemmt. »Nichts kannst d-« »Fuck«, sagte Toushirou laut. Sougo gluckste. »Ja, allerdings.« »Nein, das mein ich nicht. Ich meine… Fuck!« »…Hijikata-san, hast du wieder eine Gehirnerschütterung?« »Zurako!« »Ich heiße Sougo.« »Argh! Ich weiß! Ich meine… Oh, verdammt…« »War Zurako nicht dieses Weib, das du gedatet hast?« »Erstens hab ich sie nicht gedatet«, knurrte Toushirou. »Und zweitens … war sie … glaube ich … kein Weib.« Sougo musste so heftig glucksen, dass er sich verschluckte. »Was?«, würgte er heraus. »Zurako«, schnaubte Toushirou. »Katsura. Scheiße, und ich hab noch gedacht, dass mir die Visage bekannt vorkommt…« »Du hast… D-Du hast mit Katsura ge-… gegessen und telefoniert und du hast es nicht bemerkt?« »Sei still!«, fauchte Toushirou noch, aber er wurde schon nicht mehr gehört, weil seine Stimme vollends in Sougos markerschütterndem Lachanfall unterging. Katsura war kein Kuppler. Nein, wirklich nicht. Oh Gott, eigentlich hatte er doch geplant, dass er Hijikata um den Finger wickelte, ein bisschen hin und her verführen, um ein paar Informationen aus ihm rauszuquetschen, aber das hatte ja überhaupt nicht geklappt. Nein, irgendwie war es dann auf Beziehungsberatung herausgelaufen, was ihn und dieses Sadistenkind anging. Er hatte ja nicht gedacht, dass das auch noch funktionierte! Nein, im Gegenteil. Katsura war nicht dumm, er hatte die Spannungen zwischen den beiden schon ganz gut bemerkt, die bemerkte hier ja jeder. Also hatte er sich einfach das Dümmstmögliche ausgedacht und versucht, Hijikata weiszumachen, dass sie sich in Wahrheit ganz doll lieb hatten und sowas. Er hatte gedacht, damit könne er ein bisschen Verwirrung stiften und am besten noch mehr Spannungen bewirken, damit die Shinsengumi damit beschäftigt war, sich selbst auseinanderzunehmen und keine Zeit mehr für ihn hatte. Und jetzt? Jetzt standen sie nebeneinander in dieser Gasse und lachten sich gemeinsam den Arsch ab. Jetzt hatten sie sich wirklich ganz doll lieb. Verfluchte Hunde. Einundzwanzigster Dezember -------------------------- Etwas hatte sich verändert. Eigentlich war es bemerkenswert wenig, aber etwas hatte sich verändert. Er wusste nicht, ob Hijikata das auffiel, aber eigentlich war es ihm auch egal. Vielleicht konnte man nach außen gar nicht sehen, was sich verändert hatte, aber das musste ihn ja auch nicht interessieren. Er hatte sich verändert. Er war ruhiger geworden. Das war schon alles, was ziemlich grotesk war, aber es war eben genug, um Sougo aufzufallen. Scheiße, sie hatten miteinander geschlafen. Er und Hijikata hatten miteinander geschlafen. In einem Krankenhausbett. Nachdem er ihn mit einer Bazooka abgeknallt hatte. Das musste man sich erstmal geben… Aber auf irgendeine seltsame Art und Weise war diese ganze Nacht wie ein gigantisches Geständnis gewesen. Sougo glaubte jetzt, Hijikata zu verstehen, und er glaubte auch, dass Hijikata ihn nun ein bisschen besser verstand. Sie hatten einander gestanden, was los war, teilweise mit Worten, teilweise mit Taten. Und das hatte eben etwas verändert. Keiner von ihnen war verknallt. Gott, nein. Das wäre ja ekelhaft. Aber jeder hatte zugegeben, dass er zumindest irgendwas fühlte, was dort eigentlich nicht hingehörte, was schwer zuzugeben und schwer zu fassen war, und was eben dazu führte, dass ihnen hin und wieder der Sinn danach stand, sich gegenseitig auszuziehen und auf Krankenhausbetten zu pinnen. Sougo wusste, dass Hijikata noch sehr an seiner Schwester hing. Vielleicht brauchte er einfach nur Ausgleichssex und hatte den eben mit ihm. War ihm eigentlich schnuppe. Die Hauptsache für Sougo war, dass er Hijikata für sich hatte, dass er dafür sorgen konnte, dass genau das passierte, was Sougo wollte, und dass er nicht aussprechen musste, was er fühlte. Soweit war er zufriedengestellt. Und deshalb war er ruhiger geworden. Er konnte öfter mit Hijikata zusammenarbeiten, ohne das Bedürfnis zu verspüren, ihn zu töten oder ihm zumindest Höllenqualen zuzufügen. Er spielte trotzdem noch hier und da seine Streiche, machte dumme Bemerkungen und jagte hier und da mal etwas in die Luft, aber Sougo fand, dass er um einiges harmloser geworden war. Er war einfach nicht mehr so gereizt wie vorher. Er hörte nicht komplett auf, weil es ihm dafür zu viel Spaß machte, aber er tat es zumindest aus anderen Gründen, und damit war Hijikata endgültig außer Lebensgefahr. Ob Hijikata selbst das bemerkte und begrüßte, wusste er nicht. Interessierte ja auch niemanden. Sougo saß in Kondous Zimmer und beobachtete Hijikata dabei, wie er die Platzwunde an Kondous Stirn behandelte. Sah aus, als habe er Otae nach einem Date für Weihnachten gefragt. Sah aus, als habe sie nein gesagt. Sah aus, als sei hier alles wie immer. »Und, Hijikata-san…«, sagte er deshalb träge. »Hast du Danna schon nach einem Date gefragt?« Hijikata biss auf seine Zigarette und warf ihm einen tödlichen Blick zu. »Ich muss Weihnachten arbeiten«, sagte er betont ruhig. »Oooh neeein«, machte Sougo. »Dann wird er ja furchtbar enttäuscht sein, oder nicht? Schenk ihm wenigstens was als Entschuldigung…« »Halt die Klappe!«, fauchte Hijikata und Sougo musste grinsen. »Hast du denn dein China-Mädchen schon gefragt?« Und schon war das Grinsen wieder verschwunden. Kondou-san sah ihn neugierig an und Sougo rümpfte die Nase. »Bäh«, sagte er. »Nein, was will ich denn mit der? Wie alt ist sie, sieben? Vergiss es.« »Ist vielleicht besser so«, sagte Hijikata ruhig, während er ein großes weißes Pflaster auf Kondous Stirn klebte. »Nicht, dass sie dich noch verprügelt…« »Wollt ihr zwei denn Weihnachten frei haben?«, fragte Kondou, bevor Sougo nach seinem Schwert greifen konnte. »Ihr arbeitet ständig an Feiertagen, wir könnten euch sicher entbehren…« »Nein, nein«, sagten sie gleichzeitig. Sougo warf Hijikata einen kurzen Blick zu und stand dann langsam auf. »Wir brauchen keine Dates, Kondou-san. Jemand muss die Arbeit machen. Das ist wichtiger.« »Ich stimm dir ja nur ungern zu, aber so ist es«, sagte Hijikata, der sich ebenfalls erhob und Kondous Stirn prüfend musterte. »Wie geht’s deinem Kopfweh, Kondou-san?« »Ach, das geht schon!«, sagte Kondou laut und winkte tapfer grinsend ab. »Für Otae-san nehm ich alles in Kauf!« Sie schnaubten unisono. »Okay«, sagte Hijikata nur und wandte sich ab. Sougo sah ihm kurz nach, erkundigte sich dann nochmal nach Kondous Wohlbefinden und verschwand dann ebenfalls. Nein, nein, er brauchte Weihnachten kein Date, es war viel besser, wenn er an diesem Tag arbeitete. Viel, viel besser. Er und Hijikata würden gemeinsam auf Streife gehen. Zweiundzwanzigster Dezember --------------------------- »Hijikata-san, bist du fertig?« Toushirou legte den letzten Rest Papierkram beiseite und sah aus verengten Augen zu Sougo. »Was willst du?«, fragte er misstrauisch. Sougo verschränkte die Arme hinter seinem Rücken und wippte auf den Fußballen vor und zurück. »Wir sollten für Weihnachten einkaufen gehen«, sagte er, »bevor die Läden leergeräumt sind.« »Für Weihnachten einkaufen?«, wiederholte Toushirou dümmlich. Bisher hatte er für Weihnachten höchstens mal Alkohol und Frustessen eingekauft, sonst nichts. Und was sollten sie schon brauchen? Sie arbeiteten doch. »Und was sollen wir da bitte einkaufen?« Sougo schenkte ihm einen langen, vielsagenden Blick, und nach ein paar Sekunden verstand Toushirou. »Ah«, machte er. Er tastete kurz über seine Hosentaschen, versuchte dann, sich zu erinnern, wie es in seinem Zimmer aussah, und stand auf. »Ja, ich glaub, ich hab keine mehr…« »Ich will welche mit Erdbeergeschmack!«, forderte Sougo, während sie gemeinsam das Gebäude verließen. »Ich hasse Erdbeeren«, brummte Toushirou. »Sie sollten mal welche mit Mayonnaisegeschmack entwickeln.« »Ih, nein! Dann könntest du dir das Ganze aber abschminken…« »Was, wieso?!« »Ach, vergiss es, Idiot.« »Hrm… Also, jedenfalls kannst du dir den Erdbeergeschmack in die Haare schmieren. Ich will nicht, dass mein Ding nach Erdbeeren schmeckt.« »Du nimmst es ja nicht in den Mund.« »Ich muss aber damit rumlaufen.« »Stimmt. Das muss wirklich peinlich für dich sein, Hijikata-san.« »Klappe!« Oh man, was hatte er sich da nur angetan? »Ich brauch noch Mayonnaise und Zigaretten, wenn wir schon mal hier sind…«, murmelte er, während sie den Supermarkt betraten. Scheiße, jetzt würde er also Mayonnaise, Kippen und Kondome einkaufen, und das an der Seite seines Arbeitskollegen. Hoffentlich hielt der Kassierer dicht… Na ja, aber dass er Kondome mit Sougo kaufte, musste ja noch gar nichts heißen, richtig? Bestimmt gingen andere Männer auch zu zweit Kondome kaufen, die sie dann aber nicht für sich brauchten, sondern für Frauen. Und so. Richtig? Richtig? Niemand hier würde von diesem Einkauf darauf schließen, dass er mit Sougo schlief, niemand würde auf so einen Gedanken kommen, das war abwegig, absolut abwegig… Sougo ging zielstrebig auf das Regal mit den Kondomen zu, während Toushirou es bevorzugte, sich erstmal mit Mayonnaise einzudecken. Das war wichtig! Er atmete leise durch, während er das Mayo-Regal leerte. Heilige Scheiße. Das war nun bei Weitem nicht das erste Mal, dass er Kondome kaufte. War ja schon fast peinlich, was hier in seinem Kopf vorging. Ruhe bewahren, es waren doch nur Kondome, jeder Mann kaufte Kondome, niemand würde auch nur in Erwägung ziehen, wo die später landen würden… Stumm trat er neben Sougo, der fröhlich eine Packung studierte und ihm dann unter die Nase hielt. »Wie wär’s damit?« Toushirou brauchte einen Moment, dann blickte er ungläubig von der Packung zu ihm. »Die sind zu klein«, stellte er fest. Sougo zog die Brauen hoch. »Glaubst du?«, fragte er unschuldig. »Ich dachte eher, na ja… Also, ich hätte eher gedacht, dass die noch etwas groß wären. Aber ich hab keine kleineren gefunden…« Etwas in Toushirous Mimik zuckte gefährlich. »Ich reiß dir den Kopf ab, du kleiner Bastard«, zischte er gedämpft, pflückte die Packung aus Sougos Hand, rammte sie zurück ins Regal und schnappte sich die nächstbeste Kondom-Packung, die ihm nicht zu klein war, und auf der kein widerlicher Geschmack angepriesen wurde. »Och man, ich wollte aber Erdbeere!«, quengelte Sougo, als er hinter ihm her zur Kasse schlurfte. Toushirou achtete darauf, dass er ihm nicht noch heimlich eine Packung mit Erdbeergeschmack zusteckte… Als sie an der Kasse angekommen waren, hatte Sougo seine Nörgelei glücklicherweise wieder abgestellt. Seinen Sadismus aber natürlich nicht. Toushirou legte drei Packungen Zigaretten neben dem restlichen Zeug aufs Fließband und konnte aus dem Augenwinkel schon sehen, wie Sougo besserwisserisch den Kopf schieflegte. »Rauchen macht ja impotent«, sagte er sachlich. »Fraglich, ob du die da überhaupt noch brauchst…« Er wies auf die Kondome und Toushirou packte mit zusammengebissenen Zähnen Sougos Kragen und zog ihn zu sich. »Wenn du nicht aufpasst, hast du übermorgen höchstens meine Kippen im Arsch und sonst gar nichts, kapiert?«, fauchte er. Sougo grinste schadenfreudig. »Oh, kommen da plötzlich geheime Fetische raus?«, säuselte er. Toushirou schnaubte nur und ließ ihn los, um zu bezahlen. Der Kassierer beäugte sie mittlerweile natürlich doch etwas skeptisch, was ihm nun aber auch am Arsch vorbeiging. Er hasste Weihnachten. »Gleitmittel hab ich übrigens noch zu Hause«, bemerkte Sougo beiläufig, als sie den Laden verließen. Aha. Ihn wunderte heute überhaupt nichts mehr. Dreiundzwanzigster Dezember --------------------------- Yamazaki Sagaru hatte kein Date für Weihnachten, und das war auch vollkommen in Ordnung. In den letzten Tagen hatte er eindeutig genug zwischenmenschliche Kontakte gehabt. Er war immer noch ein bisschen unsicher auf den Beinen, was einerseits am Muskelkater und andererseits an der ständigen Nervosität lag. Er konnte kaum in Worte fassen, wovor er Angst hatte – er wusste auch nicht, wovor er die meiste Angst hatte. Vielleicht vor Bansai. Vielleicht davor, dass es nochmal passierte. Vielleicht davor, dass es nie mehr passierte. Vielleicht davor, dass es jemand herausfand. Vielleicht vor sich selbst. Zaki wusste nichts mit seinen eigenen Gefühlen anzufangen, er war verwirrt. Er hatte mit dem Feind geschlafen. Mehrmals. Er war ein Verräter. Und noch dazu war es ein Mann, und ein offensichtlicher Psychopath, und besonders sanft war er auch nicht mit ihm umgegangen, und trotzdem kam ihm die Vorstellung, dass es jetzt nicht mehr vorkommen würde, fürchterlich grausam vor. Die Kiheitai hatte sich scheinbar verzogen. Bansai hatte ihm nicht gesagt, wohin und warum – eigentlich hatte er ihm nicht einmal direkt gesagt, dass sie Edo verließen, er hatte nur fadenscheinige Andeutungen gemacht, aber Sagaru war sich relativ sicher, dass sie nicht mehr da waren. Also würde er über Weihnachten hoffentlich Zeit haben, darüber nachzudenken, was er hier angestellt hatte, und er wollte bitte zu dem Schluss kommen, dass er das nie wieder tun sollte. Er hatte zwar kein großes Vertrauen darin, aber einen Versuch war es ja wert. »Zaki.« Blinzelnd hob er den Kopf, versuchte, sich aus seiner Trance zu lösen, und blickte hoch zum Vize-Kommandeur. »Auftrag«, sagte der nur und wedelte mit einer Mappe. »Oh. Okay«, sagte Zaki leise, nahm die Mappe entgegen und verzog sich in sein Zimmer, um sie zu lesen. Noch ein Spionage-Auftrag also, hoffentlich nicht über Weihnachten, er brauchte diese Freizeit jetzt… Seine Gesichtszüge hellten sich für einen Moment auf, als er las, dass der Auftrag erst im Januar losgehen sollte. Und dann entgleisten sie. Die Kiheitai kehrte zurück. Und er sollte sie beobachten. Sie sah ihn stirnrunzelnd an und er hatte das Gefühl, immer weiter zu schrumpfen. Er schluckte schwer und glaubte, dass seine Arme bald beginnen würden, zu zittern, aber er hielt die Karte mit der Einladung weiterhin tapfer ausgestreckt in ihre Richtung. Er hatte sie nicht gestalkt. Kein bisschen. Er war ganz brav zu ihrer Haustür gegangen, hatte geklopft, sie begrüßt und ihr diese Karte überreichen wollen. Aber noch schien sie nicht überzeugt, sie überhaupt in die Hand zu nehmen. »Bitte«, krächzte er. »Ich komme für alles auf. Du kannst alles haben, was du willst. Ich zahle. Und es ist nur Essengehen. Das verspreche ich! Nicht das, was die anderen alle an Weihnachten treiben, ich brauch das nicht! Ich will nur mit dir Essen gehen! Bitte…« Ihr Blick schien für einen Moment zum Pflaster auf seiner Stirn zu schweifen, er sah sie lautlos seufzen. Und dann streckte sie einen Arm aus und nahm die Karte aus seiner Hand, auf die er ungelenk die Einladung für morgen Abend geschrieben hatte. »Nur Essen gehen«, wiederholte sie. Er nickte, den Tränen nahe. Streng sah sie über den Rand der Karte hinweg zu ihm. »Sonst nichts. Keine dummen Versuche.« »Versprochen…!« »Du weißt, was ich sonst mit dir anstelle.« »Ich – natürlich.« Sie lächelte und er glaubte, dass sein Herz schmolz. »In Ordnung. Morgen Abend um acht. Ich bin da.« Otae schloss die Tür wieder und Kondou wandte sich zum Gehen und war sich absolut sicher, dass er der glücklichste Mann auf Erden war. »Hach, da gehen sie alle hin«, seufzte Katsura und sah seinen treuen untergebenen Jouishishi nach, die in die Weihnachtsferien verstoben. Ja, sie hatten hier Weihnachtsferien. Katsura war ja kein Unmensch! Er gönnte ihnen allen diesen Urlaub, damit sie auch mal wieder zwischenmenschliche Kontakte pflegen konnten. Und ihre Libido. Das war wichtig für einen Krieger! Und irgendwie hatte auch fast jeder von ihnen ein Date ergattern können. Ach, Katsura war stolz auf sie. Als er sich umdrehte, blickte Elizabeth betont zur Seite, und er wollte schon nachfragen, was los war, als er das Schild in ihrer Hand sah. Verbring Weihnachten mit mir, Katsura-san. Er zog die Brauen hoch und gluckste. »Mach ich doch sowieso«, setzte er an, aber sie drehte das Schild rasch um. Ich meine richtig. Als Date. Katsura wurde rot. Elizabeth auch. Sie sah noch immer zur Seite, und er versuchte für einen Moment, ihrem Blick zu begegnen, senkte den eigenen dann jedoch lieber. »Gerne.« Vierundzwanzigster Dezember --------------------------- Weihnachten schien eine seltsame Wirkung auf Terroristen zu haben. Alles war völlig still. Keine Spur von Katsura und seinem Entenvieh. Nicht ein einziges Mitglied der Kiheitai war in der Stadt gesichtet worden. Keine anderen Joui-Gruppen. Keine Explosionen, keine Angriffe. Vielleicht waren sie alle zu Hause und besonnen sich im Zuge dieser festlichen Zeit? Na ja, oder sie hingen alle in Puffs rum und ließen es sich gut gehen, anstatt Edo zu terrorisieren. Ihm war beides recht. Sie hatten vorhin mal eine Gruppe Jugendlicher zur Sau gemacht, die irgendwelchen Blödsinn an eine Hauswand hatten sprayen wollen. Dann hatten sie ein paar Betrunkene aus diversen Kabarett-Clubs entfernt, in die Ausnüchterungszelle geworfen und dreimal überprüft, dass Kondou nicht unter ihnen war. Mehr hatten sie nicht zu tun gehabt. Und deshalb parkte das Streifenauto jetzt am Rand einer der vielen verlassenen Straßen Edos, innen brannte nur das schwache Licht, sie hatten den Beifahrersitz umgeklappt, um mehr Platz zu haben, und Toushirou lag breit und entspannt auf der Rückbank. Es war der vierundzwanzigste Dezember und er hatte gerade den besten Sex des Jahres gehabt. War das schlimm? Irgendwie schon, fand er. Dass er so unfassbar guten Sex ausgerechnet mit Sougo hatte. Das sollte so eigentlich nicht sein, wirklich nicht, aus tausend verschiedenen Gründen – aber es war eben so und daran konnte er auch nichts ändern. Hey, eigentlich wollte er daran gar nichts ändern. Toushirou konnte sich nicht erinnern, wann er sich das letzte Mal so befriedigt gefühlt hatte. Er wusste gar nicht, ob er sich überhaupt jemals so befriedigt gefühlt hatte wie im Moment. Sougo saß noch immer auf seiner Hüfte, nackt bis auf das weiße Hemd, das ihm offen über den Schultern hing, er hatte einen Arm an der Rückenlehne der Sitzbank abgestützt und fuhr mit dem Zeigefinger der anderen Hand in kaum spürbaren Kreisen über Toushirous Oberkörper. »Woher ist die?«, fragte er. Toushirou schielte kurz nach unten, überlegte einen Moment. »Keine Ahnung«, gab er dann zu. »Hm«, machte Sougo und bewegte seinen Finger zur nächsten Narbe. »Und die hier?« Dasselbe Spiel. »Mimawarigumi«, antwortete er dann. »Oh. …Die?« Er schielte zu seinem Finger und legte den Kopf schief. Dann verzog er das Gesicht. »Die hab ich von dir.« »Ah.« Sougos Lippen zogen sich zu einem Grinsen und Toushirou stellte fest, dass er das wohl schon die ganze Zeit hatte hören wollen. Schließlich stützte Sougo sich wieder auf seine Knie, rutschte etwas weiter abwärts und fuhr sein Narbenspiel fort. »Woher war die?«, fragte er und zeigte auf eine etwas großflächigere Brandnarbe an Toushirous Hüfte. »Katsura.« Sougo lachte ihn aus und Toushirou hob ein Bein, um ihm sehr leicht in den Schritt zu treten. »Aua!« »Kommt davon.« Sougo schüttelte tadelnd den Kopf, und dann rutschte sein Finger noch ein Stück tiefer und zeigte auf eine breite Schnittnarbe, die gefährlich nah an Toushirous Leiste lag. »Und die?« Er schielte in seine Richtung und sein Blick verdunkelte sich. »Bastard«, fauchte er und setzte sich auf. »Die hab ich von deinem beherzten Versuch, mich zu kastrieren, schon vergessen?« »Was, ich? Sowas würd ich nie machen!«, sagte Sougo, sah ihn mit großen Augen an – und bewegte seine Hand noch tiefer. »Wann soll das denn gewesen sein…?« Toushirou biss die Zähne zusammen. »Letztes Jahr … oder so…«, presste er heraus. Sougo schien sich nicht mehr groß für seine Narben zu interessieren, seine Finger aber arbeiteten weiter und für Toushirou war es mit einem Mal sehr schwer geworden, weiterzusprechen. »Na, zum Glück ist es mir nicht gelungen«, sagte Sougo leise, dessen Augen sich in die Toushirous bohrten, während sich ein fürchterliches Grinsen auf seinen Lippen ausbreitete. »Wäre ja kaum auszuhalten, wenn du da unten noch weniger –« Weiter kam er nicht, weil Toushirou sich unter wütend-erregtem Fluchen auf ihn geworfen hatte. Es war der vierundzwanzigste Dezember und er hatte gerade den besten Sex des Jahres gehabt. Das davor? Ach, das war eine Lappalie gewesen. Runde zwei war unschlagbar. Unschlagbar. Sougo lag quer, bäuchlings, über der Rückenlehne, noch immer keuchend, während Toushirou auf dem umgeklappten Beifahrersitz saß und aus dem Fenster heraus rauchte. Scheiße, wieso hatte er nicht früher angefangen, Sougo zu vögeln? So wahnsinnig sorgenfrei hatte er sich ja schon ewig nicht mehr gefühlt. Na ja, hätte er früher angefangen, hätte er sich wahrscheinlich strafbar gemacht. Und sowas machte er ja nicht. Niemals. Aber es war grotesk, dachte er, während er eine große Rauchwolke in die Nacht schickte. Grotesk, wie Sougo und er sich verhalten konnten. Klar war der Sex aggressiv gewesen, ziemlich sogar, aber das hatte ja niemanden gestört. Es war eher, wie sie sich vor dem Sex verhalten hatten. Sougo würde wohl immer Sougo bleiben, aber es war alles ein bisschen verhaltener gewesen, verspielter vielleicht – alles in allem musste er einfach nicht mehr jedes von Sougos Worten als Todesdrohung auffassen. Er hasste ihn nicht. Toushirou wusste nicht, was er stattdessen fühlte, aber Sougo hasste ihn nicht. Das war für ihn eine relativ neue Erkenntnis der letzten paar Tage. Und sie war fast so erleichternd wie der Sex mit ihm. Irgendwie war nun alles leichter für ihn. Und trotzdem konnte er es noch nicht ganz fassen, trotzdem wollte er nachhaken, irgendwie versuchen, herauszuhören, ob in Sougo vielleicht ähnliches vorging wie in ihm. Dachte er überhaupt so wie er? Toushirou schnipste eine Aschespitze auf die Straße und blickte weiterhin nach draußen, als er mit leiser Stimme fragte: »Hat sich irgendetwas verändert, zwischen uns?« »Nö«, hörte er prompt von hinten. »Alles beim Alten.« Und dann nahm er kurzes Rascheln war, und das unverkennbare Klicken einer entsichernden Bazooka. »Fuck«, entfuhr es ihm noch, bevor er sich – gerade rechtzeitig – wegduckte und über seinem Kopf die Beifahrertür in die Luft flog. Und das ist die Geschichte, wie Okita Sougo am vierundzwanzigsten Dezember mitten in der Nacht nackt eine Autotür sprengte. Ende. Epilog: Die Last auf seinen Schultern ------------------------------------- A/N: Mimawarigumi-Spoiler. Frohe Weihnachten. --- In der Hocke kauerte er vor seinem Grabstein, zwischen den Fingern der rechten Hand eine brennende Zigarette, in der linken Hand einen schneeweißen Briefumschlag, auf dem nur sein Name stand. Toushirou legte den Brief auf die Erde, starrte ihn an und nahm einen Zug von seiner Zigarette. Dann hob er ihn wieder auf und hielt ihn fest. Er wusste nicht, ob er das tun sollte. Er wusste nicht, ob das richtig war. Er hatte seinem Bruder schon seit Ewigkeiten nicht mehr wirklich geschrieben. Klar, er hatte jeden Monat einen Brief hierhergebracht, aber da hatte immer das gleiche dringestanden. Er hatte es ihm versprochen und er hielt sein Versprechen, so viel stand fest, aber er hatte nie irgendetwas über sich geschrieben. Er wollte seinen Bruder nicht damit behelligen, wie sehr sein Leben ihn ankotzte. Aber Tatsache war, dass ihn sein Leben in der letzten Zeit gar nicht mehr so sehr angekotzt hatte. Deshalb hatte er sich ein Herz gefasst und mal einen echten Brief geschrieben. Er hatte geschrieben, dass er in den letzten Tagen viel mit Sougo zu tun gehabt hatte. Und dass sie viele Dinge hatten klären können. Er hatte geschrieben, dass er sich jetzt sicher war, dass Sougo ihn nicht hasste, trotz allem, was passiert war. Trotz allem, was Toushirou getan hatte. Er hatte geschrieben, dass das sein Leben um einiges leichter machte und dass er glaubte, dass dieses Wissen ihm helfen würde, endlich mal wieder auf die Beine zu kommen. Er hatte geschrieben, dass durch diese Erkenntnis all die Schuldgefühle, die sich in ihm angesammelt hatten, ein bisschen weniger schlimm geworden waren. Sougo hatte allen Grund, ihn zu hassen, und er tat es nicht. Vielleicht war es an der Zeit, weniger streng mit sich selbst zu sein. Für alles. Für das, was er Sougo angetan hatte, für das, was er Mitsuba angetan hatte. Für das, was er ihm angetan hatte. Es war gut gewesen, das alles zu denken. Auch das hatte er aufgeschrieben. Er hatte geschrieben, dass er sich fühlte, als sei diese gigantische Last auf seinen Schultern mit einem Mal um mehrere Tonnen leichter geworden. Aber nun, da er hier an seinem Grab kauerte, wusste er nicht, ob er ihm diesen Brief wirklich geben wollte. Er hatte nie mit ihm darüber gesprochen, dass er sich diese Vorwürfe gemacht hatte, dass er sich diese Last auf die Schultern geladen hatte. Er wollte ihn nicht damit behelligen. Er wollte nicht… Ein bitteres Grinsen zog sich über Toushirous Lippen, als er die Zigarette zwischen seine Zähne klemmte und den langen Brief wieder aus dem Umschlag zupfte. Er zückte sein Notizbuch, riss eine kleine Seite davon aus, kritzelte etwas darauf und steckte stattdessen die in den Umschlag, den er endlich auf das Grab legte, und stand ohne weiteres Zögern auf. Ohne noch einmal zurückzublicken schlenderte er weg, und zerriss im Laufen seinen langen Brief. Was er ihm geschrieben hatte, reichte. Den Rest behielt er für sich. Alte Gewohnheiten starben nie. Ein bisschen Last würde er immer bei sich behalten. Ein bisschen Last gehörte einfach auf seine Schultern. Tamegorou-san, Ich hoffe, es geht dir gut. Diesen Monat überbringe ich dir ausnahmsweise eine Bitte. Sie stammt von einem furchtbaren Freund und mir selbst: Falls du, wo auch immer du nun bist, dort eine Frau triffst, die unbeschreiblich schön ist und auf den Namen Okita Mitsuba hört, pass gut auf sie auf. Mach es besser als ich und sorg dafür, dass sie glücklich ist. Danke. Toshi Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)