Schicksalspfade von SoujirouOkita ================================================================================ Kapitel 1: Antarctica --------------------- Das Klingeln des Telefones zeriss die Stille der Nacht. Wie immer nahm er keine Rücksicht. Emiko setzte sich seufzend in ihrem Futon auf. Ein Blick auf den Wecker verriet ihr, das es war 2.45 Uhr war. Sie beeilte sich zum Telefon zukommen, damit die Kinder nicht auch noch wach wurden. „Ja?“ Sie wusste genau, wer sie zu dieser Zeit anrief. Kein Grund höflich zu sein. „Emiko, ich bin es.“ Die Verbindung war wie jedes mal durch heftiges Rauschen gestört. „Weisst du wie spät es hier ist???“ Warum regte sie sich nur jedes mal so auf. Sie kannte die Antwort doch bereits. „Oh...entschuldige ich hatte wieder nicht an den Zeitunterschied gedacht...“ Emiko verkneifte sich einen weiteren Kommentar. Es würde doch zu nichts führen. Großer Wissenschaftler hin oder her, aber alles was ausserhalb seiner Arbeit lag war für ihn so belanglos, dass es einfach ignoriert wurde. „Hast du jetzt die endgültige Zusage für den Urlaub in den Sommerferien?“ fragte sie stattdessen. „Also darum rufe ich an... im Moment laufen alle unsere Projekte so gut, das keiner Urlaub nehmen kann...auch nicht die Mitarbeiter mit Kindern..es geht einfach nicht.“ Emiko spürte Wut in sich aufsteigen. Wie oft hatten sie das Thema jetzt schon diskutiert. „Akira...du wolltest das gemeinsame Sorgerecht unbedingt!!! Seit vier Monaten weisst du das ich im Sommer drei Wochen in Kur muss und das ich Misato nicht mitnehmen kann. Es können nur Kinder bis 8 Jahre mitgenommen werden. Meine Schwester kann Misato auch nicht betreuen, sie muss ihren Mann pflegen und kann nicht auch noch auf ein Kind aufpassen, dass die Sommerferien ganz allein verbringen muss.“ Ihre Stimme bebte nun und sie musste sich bemühen leise zu sprechen, obwohl ihr eigentlich danach war zu schreien. „Ich weiss...“ Akira war von ihrem Wutausbruch so unbeeindruckt wie er es auch schon vor und während ihrer Ehe gewesen war. „Aber ich habe eine Alternative! Da niemand von uns Urlaub bekommt, organisiert das Institut ein Besuchsprogramm für die minderjährigen Kinder der Mitarbeiter, die schon länger als 6 Monate hier sind. Es werden sogar ausgebildete Betreuer eingeflogen, die die Kinder beschäftigen und -“ Emiko konnte sich nicht mehr zurückhalten. „Ein Besuchprogramm für eine Forschungsstation in der Antarktis??? Seid ihr Wissenschaftler wirklich so weltfremd???“ Akira redete einfach weiter. „Es ist alles bestens organisert. Die Kinder kommen gemeinsam von Sydney aus mit einem Transportflugzeug und bekommen auch alle Kleidung, die sie für Aussenaufhalte benötigen direkt dort. Hier auf der Station wird ein gesonderter Bereich für sie eingerichtet, zu den Laboren haben sie natürlich keinen Zugang. Die Station ist groß genug, im Moment arbeiten um die 100 Leute hier, die Kapazität reicht aber für 150 Personen. Ausserdem werden die Mitarbeiter deren Kinder kommen, dann auch etwas weniger arbeiten...“ „Und etwas weniger heisst dann anstatt 15 Stunden nur 12 Stunden am Tag?“ gab Emiko bissig zurück. „Emiko...eine andere Lösung kann ich dir nicht anbieten. Ich muss hier bleiben. Kannst du es nicht als einmalige Gelegenheit für Misato sehen? Wieviele Kinder haben die Möglichkeit die Antarktis zu besuchen? Sie wird begeistert sein von dem vielen Schnee und und es wird auch einen Ausflug zu einer Pinguinkolonie geben und sie wird andere Kinder aus der ganzen Welt kennen lernen. Bitte Emiko...denke darüber nach...“ „Also gut...“ meinte Emiko, überrascht von den vielen Gedanken, die sich ihr Mann gemacht hatte. Es war sonst nicht seine Art, sich in die Lage von anderen Personen hineinzuversetzen, schon gar nicht in die seiner drei Kinder. „Ich werde es mir übelegen.“ „Ich rufe dich nächste Woche wieder an.“ „Bis dann.“ antwortete Emiko. Am anderen Ende der Welt legte Akira Katsuragi erleichtert denn Hörer auf. Es war alles gut gegangen. Er hatte Emiko einfach das gleiche gesagt, was sein amerikanischer Kollege Leonard Hofstadter zu seiner Frau gesagt hatte. Er hatte keine Ahnung ob es Misato hier gefallen würde und ob er wirklich weniger arbeiten würde, auch nicht. Wahrscheinlich würde eher das Gegenteil der Fall sein. Alle Projekte liefen besser als erwartet. Bald würden sie das Geheimnis des Giganten kennen. Zwei Monate später „Die Passagiere von Flug 815 nach Sydney mit Oceanic Airlines werden gebeten sich zu Gate 38 zu begeben.“ Der Flughafen Narita war wie immer voller Leben. Geschäftsleute und Reisende hasteten durch die Gänge oder vertrieben sich die Zeit in einem der vielen Wartebereiche. Alle Altersgruppen und viele Nationen waren vetreten. Alleinreisende Kinder jedoch waren eher eine Seltenheit. Emiko hatte ein ungutes Gefühl. Misato war sehr selbstständig und reif für ihr Alter und sie hatten diese Reise in allen Punkten ausdiskutiert. Die Unterlagen für das Besuchsprogramm waren so ausführlich gewesen, das all ihre Sorgen über die Organisation der Reise und die Betreuung der Kinder eigentlich verflogen waren. Eine Flugbegleiterin würde Misato zum Gate bringen und während des Fluges betreuen. In Sydney würde sie gleich nach dem Aussteigen von einem der Betreuer des Besuchsprogrammes empfangen werden. Der junge Mann war ebenfalls Japaner und hatte vorab bereits sowohl mit Emiko als auch mit Misato telefoniert. Er hatte einen sympathischen Eindruck gemacht. Doch jetzt wo es soweit war und Emiko Misato gleich an die Flugbegleiterin übergeben würde, kamen alle Ängste auf einen Schlag zurück. Und Misato schien es nicht anders zu gehen. „Muss ich wirklich gehen?“ fragte ihre Tochter in diesem Moment. Emiko schluckte. „Misato..wir haben das doch alles schon besprochen. Papa freut sich darauf dich zu sehen. Und du wirst jede Menge Spaß dort haben. Denk doch nur an die Pinguine und Eisbären, die du sonst nur im Zoo sehen kannst.“ „Eisbären leben am Nordpol, Mama.“ meinte Misato frustriert. „Letzter Aufruf für Flug 815 mit Oceanic Airlines nach Sydney...“ „Also dann... grüß deinen Vater von mir.“ Emiko umarmte ihre Tochter. Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr kaum. Als Misato durch die Sicherheitskontrolle ging und es endgültig kein zurück mehr gab, schossen Emiko Tränen in die Augen. Sie wusste, dass ihre Ängste fast schon lächerlich waren und dennoch erahnte sie tief in ihrem Herzen, das sie ihre Tochter nie wieder sehen würde. Ende Jetzt, da ich wieder mitten im EVA-Fieber bin, kommen mir noch mehr Fragen als damals als ich die Serie das erste mal gesehen habe (das müsste mittlerweile 11 Jahre her sein, hi hi.). Was mich am meisten gewundert hat: Was macht Misato in der Antarktis??? Eigentlich ist diese Geschichte auch ein guter Einstieg für eine längere Story, mal schauen ob ich dazu komme. Was mich auch stark verwundert hat: in der Folge mit den Rückblenden sieht man Fuyutsuki und Gendo 2002 bei der Aufklärungsexpedition in der Antarktis. Aber: Misato ist auch da! Irgendjemand erklärt Fuyutsuki das sie die einzige Überlebende damals war und seit dem Second Impact nicht mehr gesprochen hat. Aber warum ist sie auf dieser Expedition mit dabei?? Vielleicht ein letzter Versuch seitens eines Therapeuten sie zum reden zu bringen, indem sie zu dem Ort gebracht wird, der ihr Trauma ausgelöst hat? Das wäre auf jeden Fall auch noch eine Geschichte wert :-) Und zu guter letzt: Dr. Leonard Hofstadter ist natürlich eine Anspielung auf Big Bang Theory und die Fluggesellschaft Oceanic Airlines ist die Airline aus Lost :-) Ich fands irgendwie passend. Kapitel 2: Frieden ------------------ Er war spät dran. Die Bildschirme am Haupteingang des Terminals zeigten bereits die Landung des Flugzeuges aus Okinawa an. Er beeilte sich zu dem entsprechenden Gate zukommen. Alle anderen Eltern schienen schon da zu sein, alle in freudiger Erwartung. Er kam gerade noch rechtzeitig, keine Minute später strömten bereits die ersten Kinder lachend mit ihrem Gepäck aus dem Gate. Er entdeckte Kyoko in der Menge und nickte ihr zu. Sie winkte lachend zurück und zog eine Grimase. Anders als er hatte sie sich heute einfach den ganzen Tag frei genommen und erwartete nun sehnsüchtig ihre Tochter. Wenige Minuten später kam Asuka freudestrahlend aus dem Gate. Sie hatte nicht nur einen Koffer und eine Handtasche dabei sondern gleichzeitig auch noch eine Umhängetasche um und an jedem Arm noch mindestens eine zusätzliche Einkaufstüte. Direkt hinter Asuka kam Shinji mit seinen zwei besten Freunden, Toji Suzuhara und Kensuke Aida. Im Gegensatz zu Asuka hatte jeder von ihnen nur eine Sporttasche für die 10 Tage auf Okinawa dabeigehabt. Wie immer wirkte Shinji zwischen den drei lebhaften anderen Kindern etwas verloren, sah aber dennoch ziemlich zufrieden aus. Es dauerte nicht lange, bis Shinji ihn entdeckte. „Papa!“ Shinji kam lachend auf ihn zu und umarmte ihn stürmisch. Dann sah er sich erstaunt um. „Wo ist Mama???“ Gendo grinste. „Du kennst doch Mama und Prof. Fuyutsuki...“ Shinji blickte ihn entgeistert an. „Schon wieder???“ „Sie haben nach der Konferenz die Zeit vergessen und sind mit ein paar amerikanischen Forschern Essen gegangen. Auf dem Weg zum Flughafen standen sie dann im Stau und bis sie ankamen, war das Flugzeug längst weg...“ Shinji schüttelte den Kopf. „Das ist bereits das dritte mal in diesem Jahr...“ „Naja, wenigstens konnten sie auf den nächstmöglichen Flug umgebucht werden.“ meinte Gendo, belustigt über Shinjis Fassungslosigkeit. „ Sie kommen heute abend um 19 Uhr an, wir können sie dann zusammen abholen.“ „Okay...ich verabschiede mich dann jetzt noch bei Katsuragi-Sensei!“ Mit diesen Worten verschwand Shinji wieder in der Menge, gleichzeitig sah Gendo das andere seiner beiden Kinder durch das Gate kommen. Rei, Shinjis bildschöne Zwillingsschwester kam zusammen mit ihrer besten Freundin Hikari Horaki aus dem Gate. Sie war das Ebenbild ihrer Mutter, mit den gleichen grünen Augen und dem strahlenden Lachen. Das haselnussbraune Haar trug sie kurz, seitdem es ihr Shinji in der Grundschule beim Spielen abgeschnitten hatte. Yui war entsetzt gewesen das Reis überschulterlange Haare plötzlich verschwunden waren, aber Rei selbst hatte seitdem immer nur kurze Haare haben wollen. Rei winkte als sie ihn entdeckte und verabschiedete sich dann von Hikari. Sie trug ein kurzes rotes Kleid, welches Gendo noch nie an ihr gesehen hatte. Es war über und über mit weißen Hibiskusblüten gesprenkelt und passend dazu hatte Rei sich eine ebensolche Blüte ins Haar gesteckt. „Papa!“ Rei umarmte ihn lachend und küsste ihn auf die Wange. Dann löste sie sich wieder von ihm und grinste verschmitzt. „Gefällt dir mein neues Kleid? Ich habe mein ganzes Taschengeld dafür ausgeben. Shinji musste mir für die restlichen Tage noch was leihen...“ Gendo runzelte die Stirn. Das Kleid sah zwar wunderschön an Rei aus, aber eine solche Summe... Er hatte Rei noch nie etwas abschlagen können. Auch wenn er und Yui beide Kinder über alles liebten, war es doch schon früh so gewesen, dass er selbst eine innigere Beziehung zu Rei entwickelt hatte, während für Yui das gleiche für Shinji galt. Es war keine bewusste Entscheidung gewesen, es hatte sich einfach im Laufe der ersten Jahre so ergeben und war auch so geblieben. Yui hatte sich eine Zeit lang deswegen Sorge gemacht, aber es war ja nicht so, dass eines der Kinder benachteiligt wurde. „Kein Wort zu Mama darüber.“ meinte er schliesslich trocken. Rei nickte und sah sich dann genaue wie ihr Bruder überrascht um. „Wo ist Mama überhaupt?“ *** Die Sonne schien strahlend hell am wolkenlosen Himmel, als sie an der Küste entlang vom Haneda Airport nach Hause fuhren. Rei und Shinji, die beide auf der Rückbank saßen, diskutierten darüber was ihnen auf Okinawa am besten gefallen hatte. „Also das Aquarium war schon ziemlich cool. Die Tanks waren riesig!! In dem größten war sogar ein richtiger Wal!“ erzählte Rei gerade begeistert. „Der Raum mit der Glasdecke war aber auch super! Die Fische waren direkt über uns. Es war wie tauchen nur ohne nass zu werden...“ meinte Shinji. „Und das Touch-Becken war lustig. Es war ein ganz flaches Becken und da gab es Mantas, Seesterne und kleine Haie, die man anfassen durfte. Asuka hat sich einmal total erschrocken als ein Hai ihre Hand gestreift hat und hat dann sogar kurz aufgeschrien...“ Rei und Shinji mussten lachen bei der Erinnerung. „Aber das lustigste war eigentlich an dem Tag als...“ Die Stimme der beiden verschwammen in seinem Kopf, er konnte die einzelne Worte nicht mehr erfassen. Er blickte in den Rückspiegel und ein merkwürdiges Gefühl beschlich ihn beim Anblick seiner zwei glücklichen Kinder. Das Gefühl war nicht neu, es war in den letzten zehn Tagen immer wieder einmal aufgetreten. Das Yuis Vortragsreise und die Klassenfahrt der Kinder auf die selbe Zeit fielen, war Zufall gewesen. Es war das erste mal in den letzten 14 Jahren gewesen, dass er abend für abend in eine leere Wohnung gekommen war. Schon am ersten Tag hatte er gemerkt, das die immer fortwährende Stille des sonst so lebhaften Ortes ihn erdrückte. Ohne Yui an seiner Seite konnte er keinen Schlaf finden und das allmorgendliche Chaos wenn die Kinder zur Schule mussten, fehlte ihm ebenso. Doch schlimmer war dieses schleichende Gefühl das an seinem Herzen nagte. Ein Gefühl, dass seine kleine glückliche Welt bald wie ein Kartenhaus zusammenbrechen würde. Als wäre dieses Leben, welches er im Moment führte, mit einer Frau die er über alles liebte und zwei wunderbaren Kindern, nicht für ihn bestimmt. Jedesmal versuchte er dieses ungute Gefühl zu verdrängen. Es gab keinen Grund sich Sorgen zu machen, hatte er sich immer wieder gesagt. Seine Kinder und seine Frau würden wohlbehalten zurückkehren und er war sich sicher gewesen, dass mit ihrer Rückkehr auch dieses Gefühl der Angst verschwinden würde. Doch es war immer noch da, stärker als je zuvor. Ob es an Yuis Abwesenheit lag? Würde er erst wieder Ruhe finden, wenn er sie heute abend in die Arme schliessen konnte? Oder würde die Angst bleiben? „Papa, gibt es was zu Essen wenn wir daheim sind?“ riess Shinji ihn aus seinen dunklen Gedanken und brachte ihn damit unwillkürlich zum lächeln. Seit einem halben Jahr hatte sich Shinjis Magen in ein schwarzes Loch verwandelt und er hatte eigentlich immer Hunger. „Ich habe Okonomiyaki vorbereitet.“ erklärte Gendo, was bei Shinji helle Begeisterung hervorrufte. „Dein Okonomiyaki schmeckt am besten, Papa!“ versicherte Rei ebenfalls, bevor sie mit Shinji wieder weiterdiskuitierte, was den jetzt das lustigste Ereignis auf der Klassenfahrt gewesen war. Wenig später verliessen sie die Küstenstrasse und liessen das endlose Blau des Meeres hinter sich. Es würde nicht mehr lange dauern, dann waren sie zu Hause. Gendo schob das ungute Gefühl tiefer und tiefer zurück in sein Unterbewusstsein. Kein Grund für Sorgen. Er führte das perfekte Leben. Was konnte ein Mann mehr verlangen? *** Das gleichmäßige Piepsen der Monitore und der Geruch von Desinfektionsmittel nahm Shinji schon lange nicht mehr wahr. Seitdem er wieder bei Bewusstsein war, kam er jeden Tag in dieses Zimmer. Wie lange das war, wusste Shinji nicht. Er hatte jegliches Gefühl für Zeit verloren, nachdem er hier im Krankenhaus wieder aufgewacht war. Ein ganzer Monat war vergangen hatte man ihm gesagt. Ein ganzer Monat seitdem er fast einen Freund getötet hatte. Seitdem er NERV verlassen hattte. Und doch wieder zurück gekommen war. Ein ganzer Monat seit dem Kampf gegen den letzten Engel. Ein ganzer Monat seit... Die Ärzte wussten nicht, ob und wann er jemals wieder aus dem Koma erwachen würde. Das hatte Misato ihm gesagt, als sie ihn zum ersten mal hier her gebracht hatte. Und das es nicht seine Schuld war. Das es nicht seine Schuld war, das der abgetrennte Arm von EVA-01 direkt neben ihm an der Wand aufschlug und ein Teil der Panzerung sich daraufhin löste und ihn mit einer solchen Wucht traf das er seitdem hier im Koma lag. Er hätte es besser wissen müssen, hatte Misato zu ihm gesagt. Er hatte gewusst, das es gefährlich war zu bleiben. Es ist nicht deine Schuld, hatte Misato immer wieder gesagt. „Nicht meine Schuld“ wiederholte Shinji ihre Worte jedes mal wenn er in diesen Raum kam. Wie jeden Tag hatte sich auch heute in dem Zimmer nichts verändert. Stunden vergingen. Shinji verlor sich in seinen Gedanken, war gefangen zwischen Schuldgefühlen und Angst. Angst davor, sollte er jemals wieder aufwachen. Angst davor, sollte er niemals wieder aufwachen. Die Tür des Zimmers öffnete sich leise. „Shinji...“ Misato stellte sich neben ihn. „Es ist Zeit..du solltest schlafen gehen...du musst dich noch ausruhen...“ Shinji blieb weiter regungslos vor dem Patientenbett stehen. Als er endlich sprach, war seine Stimme nur ein Flüstern. „Er sieht irgendwie...“ Shinji suchte nach dem richtigen Wort für den Gesichtsausdruck, denn er noch nie an seinem Vater gesehen hatte. „Er sieht irgendwie zufrieden aus...findest du nicht auch, Misato?“ Owari Diese Geschichte kam aus dem nichts:-) Ich mag sie sehr. Ich hoffe es hat euch ein wenig gefallen. Kapitel 3: Puppe ---------------- Die Stimmung war angespannt. Obwohl alle noch reichlich zu tun hatten bevor der Test beginnen konnte, war die Anspannung förmlich greifbar. Allen Mitarbeitern schien es so zu gehen. Die letzten Vorbereitungen wurden mit höchster Konzentration getroffen, alle Daten wurden wieder und wieder überprüft. Sie durften sich keinen Fehler erlauben. „Und? Was meinst du?“ Ihre Kollegin, die neben ihr an der Konsole stand, blickte sie von der Seite an. „Bitte?“ fragte Noriko irritiert. „Naja,“ ihre Kollegin machte eine ausschweifende Geste „Was meinst du zu dem allen hier? Zu dem Test?“ „Ach so...“ Noriko überlegte einen Moment wie sie ihre Gedanken in Worte fassen sollte. Sie liess ihren Blick durch den Raum schweifen und schliesslich blickte sie durch die Glasscheibe wenige Meter vor ihnen in den Hangar, dem Zentrum des Geschehens. Von hier oben sah sie nur den Kopf der Evangelion-Einheit. Der Hauptsteg zum Entry-Plug war noch nicht entfernt worden, direkt neben dem Zugang zum Entry-Plug hielt sich aber bereits die Pilotin bereit. Obwohl es das erste Mal war, das sie diesen Test durchführten, schien die Pilotin als einzige nicht von der allgemeinen Anspannung betroffen zu sein. Gerade in diesem Moment blickte sie voll Selbstvertrauen hinauf in den Kontrollraum und zeigte siegesbewusst ein Victory-Zeichen. Danach winkte sie lachend. Natürlich galt das Victory-Zeichen und das Lachen weder Noriko noch ihrer Kollegin. Es war allein für den Menschen bestimmt, an dem das Herz der Pilotin hang. „Ich glaube ...ich glaube es bringt Unglück ein Kind dabei zu haben.“ antwortete Noriko schliesslich auf die Frage ihrer Kollegin. „Was ??? Um Himmels willen, Noriko! Was redest du denn da?“ fragte ihre Kollegin entsetzt und warf einen verstörten Seitenblick auf das Kind, welches gerade das Winken seiner Mutter erwiderte. „Hast du nicht das von dem Test in Japan gehört?“ fragte Noriko ohne dann eine Antwort abzuwarten. „Ich war damals zwar schon in Deutschland stationiert, aber eine Freundin kennt jemanden der bei dem Test dort dabei war. Die Pilotin hat ihr Kind ebenfalls mitgebracht. Es heisst, sie wollte ihm die strahlende Zukunft der Menschheit zeigen. Kannst du dir das vorstellen? Wie verantwortungslos! Es kam wie es kommen musste... der Test war ein Fehlschlag und die Pilotin hat nicht überlebt.“ Ihre Kollegin blickte sie fassungslos an. Sie hatte gewusst das der Test in Japan nicht erfolgreich gewesen war, hatte aber bis soeben keine Details gekannt. Beunruhigt blickte sie zu dem kleinen Mädchen das immer noch wie gebannt an der Glasscheibe stand und mit großen Augen die Vorgänge im Hangar beobachtete. „Aber Dr. Sohryu ist eine brilliante Wissenschaftlerin! Und sie wollte unbedingt selbst als Pilotin zur Verfügung stehen! Meinst du wirklich sie hätte sich freiwllig gemeldet UND hätte ihre Tochter mitgebracht, wenn sie nicht alle Eventualitäten berücksichtigt hätte?“ Noriko zuckte mit den Achseln. „Alle Eventualitäten kann man niemals berücksichtigen.“ meinte sie. Dann ertönte eine Stimme aus dem Lautsprecher. Der Test begann. *** Sie lebte hinter der Glasscheibe. Sie wusste nicht, wie lange schon. Zeit hatte jede Bedeutung für sie verloren. Menschen kamen und gingen. Sie wusste nicht, wer sie waren. Manche sprachen mit ihr, manche nicht. An ihre Gesichter konnte sie sich nicht erinnern. Überhaupt konnte sie sich an wenig erinnern. Nur der Geruch von LCL und Blut hatte sich unweigerlich in ihrem Gedächtnis festgebrannt. Die eine Person, an die sie sich erinnern konnte, kam nicht. Einige Male hatte sie gedacht sein Gesicht hinter der Glasscheibe zu sehen. Doch sie musste sich getäuscht haben. Er kam nie zu ihr hinein und stets war eine andere Frau an seiner Seite. Er konnte es also nicht sein. Wo war er? Warum kam er nicht zu ihr und liess sie und seine kleine Tochter allein? Und dann gab es da noch die Beobachterin. Sie war oft da. Sie starrte sie an. Beobachtete sie. Sie war ihr hilflos ausgeliefert, während ihre Beobachterin sicher war. Sicher hinter der Galssscheibe. Niemand sonst schien zu bemerken. Dabei war sie böse. Sie wusste, die Beobachterin wollte ihr nichts Gutes. Sie wollte sie leiden sehen. Sie wollte sie und ihre kleine Asuka leiden sehen. Aber dieses böse Wesen würde ihre kleine Asuka niemals bekommen. Sie würde sie niemals hergeben. Die anderen, die kamen und gingen waren nicht böse. Und dennoch konnte sie niemand verstehen. Niemand wollte sie verstehen. Auch die anderen hatten versucht ihr Asuka wegzunehmen. Sie hatten es nicht geschafft und bald aufgegeben. Die Beobachterin würde nicht aufgeben. Sie war sich dessen sicher. Aber sie würde ebenfalls nicht aufgeben. Sie war so froh, dass Asuka an diesem merkwüridgen Ort hinter der Glasscheibe bei ihr war. So konnte sie Asuka beschützen. Vor der Beobachterin und vor den anderen. Sie würde es niemals zulassen, das jemand ihr weh tun würde. Es würde nicht mehr lange dauern, dessen war sie sich sicher. Dann würde die Beobachterin versuchen ihr Asuka wegzunehmen. Aber sie kannte einen Ausweg. Sie wusste wie sie mit Asuka aus diesem Raum entkommen konnte. Nicht nur bis zum Gang mit der großen, stets verschlossenen Glastür. Nein, sie würde diesen Ort für immer verlassen. Auch wenn sie dann niemals zurückkommen konnte. Aber was machte das schon? Asuka würde bei ihr sein und sonst gab es niemand der auf sie wartete oder niemanden an den sie sich noch erinnern konnte. Ihn hatte sie bereits verloren, sie würde nicht auch noch warten bis man ihr Asuka wegnahm. Niemals. Ihre Mutter lebte hinter der Glasscheibe. Asuka wusste nicht mehr wie lange schon. Die Mama, die sie kannte, war sie schon lange nicht mehr. Asuka hasste es hier herzukommen. Noch mehr hasste sie es, ihre Mutter gar nicht mehr zu sehen. Doch jedes mal wenn sie zu Mama in das Krankenhaus kam, wurde sie wütend. Mama beachtete sie nicht. Sie wiegte immer nur die Puppe und sprach nur mit ihr. Mit der Puppe die sie „Asuka-chan“ nannte. Wie konnte ihre Mutter glauben das sie so eine dumme, leblose Puppe wäre? Mama war krank, das wusste Asuka. Aber konnte man wirklich so krank sein das man eine Puppe für einen Menschen hält? In der ersten Zeit hatte Asuka alles versucht um Mamas Aufmerksamkeit zu bekommen. Sie hatte ihr schöne Geschenke gebastelt. Sie hatte ihre Violine mitgebracht und Mamas Lieblingslied gespielt. Sie hatte an ihr gezerrt und sie angeschrien. Aber Mama erkannte sie nicht und reagierte nicht auf sie. Nur die Puppe war ihr wichtig. Asuka wusste von einem Gespräch, das sie belauscht hatte, dass Mama die Puppe aus dem Wartezimmer für Besucher hatte. Dort gab eine Kiste mit Spielsachen und dort hatte Mama ihre neue Asuka gefunden. Asuka hasste die Puppe. Sie wollte nicht für ein lebloses Stück Stoff gehalten werden. Diese Puppe war nicht sie. Asuka schwor sich, niemals so schwach zu werden wie ihre Mutter und die willenlose Puppe hinter der Glasscheibe. Sie würde niemals eine Puppe einem anderen Menschen vorziehen. Niemals sollten andere Menschen für sie sorgen, ihre Haare waschen, sie anziehen und füttern wie eine Puppe. So wie es die Krankenschwestern hier mit Mama machten. Und wie Mama es mit ihrer Puppe machte. Niemals würde sie Schwäche zeigen. Niemals würde sie aufgeben. Niemals würde sie irgendjemandes Puppe sein. *** Die Monitore um sie herum piepsten gleichmäßig, immer wieder. Das war das einzige was sie wirklich wahrnahm. Ständig trifftete sie zwischen Realität,Traum und Erinnerungen hin und her. Manchmal glaubte sie Sonnenstrahlen auf ihrer Haut zu spüren. Manchmal hörte sie wie eine der Krankenpflegerinnen, die kamen um sie zu waschen, mit ihr redete. Früher hätte sie das gehasst. Jetzt war es ihr egal. Alles war egal geworden. Alles wofür sie gelebt und gekämpft hatte, war vergangen. Ihre Puppe machte nicht mehr, was sie wollte. Sie hatte endgültig verloren und wurde nicht mehr gebraucht. Rei und Shinji konnten ihre Puppen ja noch benutzen. Und dann waren da noch die Erinnungen, die der Engel der dunkelsten Ecke ihres Herzens entrissen hatte. Asuka wollte sie wieder dorthin zurückverbannen, aber es gelang ihr nicht. Sie war ihnen ausgesetzt, die ganze Zeit. Das Piepsen der Monitore vermischte sich mit einer ihr bekannten Stimme. „Hilf mir!“ war alles was sie wahrnahm. Und die Stimme.. Shinji? „Hilf mir bitte!“ Warum sollte ich dir helfen? Du musst uns doch immer retten. Deine Puppe macht was du willst. Du hast ihr dein Herz geöffnet...wie idiotisch... Warum weinst du, Shinji? Du brauchst mich nicht. Niemand braucht mich. Dann spürte sie seine Hände auf ihrer Haut. NEIN! Lass mich los!!! Das Piepsen verschwand. Ein kalter Hauch auf ihrer Haut. Und dann... NEIN! HÖR AUF! ICH BIN NICHT DEINE PUPPE!!! ERNIEDRIGE MICH NICHT NOCH MEHR! Kimochi warui... Ende Kapitel 4: Gewissheit --------------------- Kyoto, 1999 Er wartete am Ende des Philosophenweges auf sie. Er hatte versucht ihr aus dem Weg zugehen, hatte ihre Anrufe ignoriert und war diese Woche gar nicht aus dem Haus gegangen. Sie war hartnäckig geblieben. Zweimal stand sie vor seiner Tür, doch er wollte nicht das sie ihn in diesem Zustand sah. Heute morgen hatte sie ihm einen Zettel unter der Tür durchgeschoben. 16 Uhr, Philosophenweg. Ich vermisse dich. Zuerst hatte er nicht gehen wollen, aber viel länger hätte er das Versteckspiel sowieso nicht mehr ausgehalten. Sie hatte nicht mehr schreiben müssen, obwohl der Philosophenweg doch recht lang war, war klar an welcher Stelle sie sich trafen. Hier stand er also, an der kleinen Brücke in der Nähe des Nanzen-ji Tempels. Der Weg lag verlassen da, nichts liess mehr auf die endlose Menschenströme schliessen, die zur Zeit der Kirschblüte hier spazieren gingen. Unter der Brücke plätscherte der kleine Kanal träge in der Nachmittagssonne vor sich hin. Ausserdem dem Geräusch des fliessenden Wassers und dem sanften Wind der durch die Bäume fuhr, hatte sich eine beruhigende Stille über diesen Ort gelegt. Er war viel zu früh da. Warten gehörte nicht zu seinen Stärken. Von der Ferne hörte er das Läuten einer Tempelglocke. Dann endlich das klackernde Geräusch von Absätzen auf den Steinen des kleinen Weges, der sich über dem schmalen Kanal erhob. Er drehte sich in ihre Richtung um, erleichtert sie wieder zu sehen und beunruhigt über das Gespräch das nun folgen würde. Sie sah so schön aus, das leichte vom Wind zerzauste Haar und ihre grünen Augen, die immer zu leuchten schienen. Er wusste nicht wie er die Woche ohne sie ausgehalten hatte. „Tut mir leid, ich habe den Bus verpasst.“ entschuldigte sie sich ausser Atem. „ Dann bin ich an der falschen Haltestelle -wie ist das denn passiert??“ Sie musterte ihn besorgt und blickte abwechselnd von seinem blutunterlaufenen Auge auf den Verband um seinen Arm und wieder zurück. „Nicht so wichtig...“ antwortete er und wich ihrem Blick aus. „Nicht so wichtig?“ wiederholte sie ungläubig und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ist das etwa der Grund warum du nie ans Telefon gegangen bist und so getan hast als wärst du nicht zuhause wenn ich vor der Tür stand?“ Als er nicht antworte, seufzte sie mit gespielter Übertreibung und hakte sich dann an seinem gesunden Arm bei ihm unter. „Baka...“ Sie zog ihn mit sich den Weg entlang und schwieg eine Weile. „Also...wie ist das passiert?“ fragte sie erneut. Sie würde nicht locker lassen, darüber war er sich vollkommen im klaren. „Eine Schlägerei. In einer Bar.“ erklärte er kurzangebunden und wusste wie schrecklich sich das für sie anhören musste. „Am Sonntag Abend.“ meinte sie. Es war eine Festellung, keine Frage. Sie hatten sich am Sonntag gestritten. Der Grund war eine Kleinigkeit gewesen, so nichtig das es sich nicht gelohnt hatte überhaupt zu diskutieren, aber eines hatte zum anderen geführt und letztendlich waren sie erstmals im Streit auseinander gegangen. Sie erreichten die Abzweigung zu dem nächsten Tempel, gingen aber weiter den kleinen Weg am Kanal entlang. Noch immer kam ihnen niemand entgegen, ungewöhnlich dafür das sie mitten in der Stadt waren. „Wie lange warst du im Krankenhaus?“ wollte sie schliesslich wissen. Wieder zögerte er mit der Antwort. „Ich war nicht im Krankenhaus.“ Damit gab sie sich nicht zufrieden. „Du warst zwei Tage nicht zu Hause. Ich war an beiden Tagen morgens, mittags und abends da und ans Telefon bist du auch nicht gegangen.“ Sie sah ihn mit einer Mischung aus Sorge und Traurigkeit an. „Wo warst du?“ Er versuchte ihrem Blick auszuweichen, suchte mit den Augen den klaren ruhigen Fluss des Wassers neben ihnen. Vergeblich. Das Wasser warf ihre Spiegelbilder zurück. „Ich war im Gefängnis.“ sagte er zu ihrem verzerrten Wasserbild. Sie löste ihre Augen von ihm, blickte wieder gerade aus, wo der kleine Weg von den vollen Ästen der Kirschbäume verdeckte wurde. Ich hätte dir doch helfen können. Warum hast du mir nichts gesagt? Er war dankbar, dass sie diese Frage nicht stellte. „Wer hat dich rausgeholt?“ Auch das hatte er ihr eigentlich nicht sagen wollen. „Fuyutsuki.“ Sie verbarg ihr Erstaunen nicht, sagte aber nichts weiter dazu. Die Tatsache, das er den Professor bis zu diesem Tag nur aus Erzählungen von Yui gekannt hatte, war peinlich genug. Aber sie hatte er nicht anrufen wollen und sonst gab es niemand den er hätte fragen können. Sie gingen schweigend weiter, im warmen Licht der Frühherbstsonne. Yui streckte ihren Arm aus um den tiefhängenden Zweig eines Baumes zu erreichen. Doch es gelang ihr nicht ganz und sie streichte ihn nur mit den Fingerspitzen. Dann drehte sie sich wieder zu ihm und sah ihm tief in die Augen. „Das nächste mal rufst du mich an.“ meinte sie und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. In diesem einen Moment, als ihre Augen mit dem Gold der Septembersonne um die Wette funkelten und ihre aufrichtige Liebe sein Herz überflutete, hatte er Gewissheit. Sie war die einzige. Niemand hatte ihn je so bedingungslos geliebt und niemals hatte er mit solcher Heftigkeit jemanden geliebt. Sie war die einzige. Und würde es für immer bleiben. Kapitel 5: Tod -------------- Sie hasste sie inzwischen aus ganzem Herzen. Sie schämte sich dafür, doch gegen den Haß der jede Faser ihres Körpers zu übernehmen schien, kam sie nicht an. Am meisten hasste sie ihr glockenhelles Lachen und die sanfte Stimme. Sie konnte dieses Lachen nicht ausstehen. Doch auch in so vielen anderen Dingen fühlte sie sich ihr unterlegen. Sie hatte weder ihre beschwingte Leichtigkeit, mit der sie durch das Leben ging noch das mädchenhafte Aussehen. Nur im Intellekt stand sie ihr in nichts nach, wenn sich ihre Fachgebiete auch schwer miteinander vergleichen liessen. Die Eifersucht war langsam und schleichend gekommen und war nun unerträglich. Unerträglich auch, weil sie dem ganzen einfach kein Ende setzen konnte. Obwohl sie wusste wie sinnlos das ganze war. Er würde niemals ihr gehören. Das Klingeln des Telefones riess sie aus ihren trüben Gedanken. „Mama...wann kommst du heute abend nach Hause?“ fragte ihre Tochter am anderen Ende der Leitung. „Tut mir leid, Ritsuko, ich komme bestimmt erst in zwei oder drei Stunden. Wir haben gleich noch eine kurzfristige Besprechung.“ Wie oft hatte sie ihre Tochter bereits vertrösten müssen, seit dem sie hier arbeitete? „Okay...ich hab etwas zum Essen gemacht für dich.“ „Danke mein Schatz. Morgen komme ich wieder früher nach Hause, versprochen.“ Manchmal fragte sie sich ob es vielleicht auch an ihrer Tochter lag. Seit der Trennung von Ritsukos Vater hatte sie nur einige kurze Affären gehabt und wollte sich nie wieder mit einem Mann dauerhaft einlassen. Sie wollte keine dritte Person in ihre kleine Familie miteinbringen, niemanden mit dem sie eine ernsthafte Beziehung führen musste. Einerseits weil ihr das neben Job und Kind zu anstrengend erschien, andererseits weil Ritsuko sie dann mit niemanden teilen musste. Ihre Tochter hatte es auch so schon schwer genug und die wenige Zeit die sie mir ihr verbrachte, wollte sie nicht auch noch zwischen einer anderen Person aufteilen. Sie war zufrieden mit dieser Art zu Leben, bis sie ihm begegnet war. Zum ersten mal seit dem Ende ihrer Ehe wollte sie mehr als nur eine kurze, flüchtige Beziehung die nur auf das eine hinauslief. Doch er war bereits vergeben gewesen und seitdem sie ihn kannte hatte er nur Augen für seine Frau. Als sie von der Schwangerschaft hörte, war Naoko fast erleichtert gewesen. Yui wollte nach der Geburt nur noch an drei Tagen pro Woche ins Labor kommen und ansonsten von zu Hause aus arbeiten. Somit würde sie ihr nicht mehr jeden Tag begegnen müssen. Nicht das ihre Labore in der Nähe lagen, aber durch die zahlreichen Meetings liefen sie sich eigentlich jeden Tag über den Weg. Sie war stets bemüht freundlich, damit niemand ihren Haß bemerkte. Doch innerlich fraß sie die Eifersucht aus. Am schlimmsten war es wenn sie die beiden zusammen sah. Sein Blick, ihr Lachen. Es war kaum zu ertragen. In diesen Momenten wurde ihr besonders bewusst wie unerreichbar ihr Traum für sie blieb. Und dennoch blieb tief in ihrem Herzen der Wunsch, dass Yui einfach verschwinden würde. Damit sie ihren Platz einnehmen konnte. Sie hasste sich selbst für diesen grausamen Gedanken und kam dennoch nicht von ihm los. 2004 „Dr Akagi...bitte, Sie müssen nach Hause gehen. Sie arbeiten jetzt seit fast drei Tagen ohne Pause...“ Naoko drehte sich langsam von dem flimmernden Bildschirm weg, auf dem sie die Daten kaum noch war nehmen konnnte. Ihr Rücken schmerzte und seit heute morgen liess auch ihr ansonsten wacher Verstand langsam aber gleichmäßig nach. Und dennoch.. „Diese eine Möglichkeit muss ich noch testen. Das sind wir ihr schuldig.“ erklärte sie Fuyutsuki entschlossen. Er sah genauso erschöpft aus wie inzwischen alle Mitarbeiter . Niemand war seit dem Vorfall gegangen. Niemand ausser Gendo. Er hatte am frühen Morgen des ersten Tages sein Kind genommen und war wortlos verschwunden. Seitdem hatte niemand mehr etwas von ihm gehört. Er ging weder zu Hause an das Telefon noch an sein Handy. Naoko hatte ihm inzwischen mehrmals auf den Anrufbeantworter und die Mailbox gesprochen, ebenso wie Fuyutsuki. Das beunruhigte sie zutiefst. Sie hoffte, das er in seiner jetzigen Verfasssung keine Dummheit begehen würde. „Gut, aber danach gehen sie.“ stimmte Fuyutsuki zu und verliess das Labor. Naoko wandte sich wieder ihrem Computer zu. Lange würde sie auch nicht mehr durchhalten. Doch an Schlaf war nicht zudenken. Sie wusste, selbst wenn sie nacher endlich wieder nach Hause ging, sie würde keinen Schlaf finden. Die Schuldgefühle, die sie jetzt durch die Arbeit noch verdrängen konnte, würden sie heimsuchen und sie keine Ruhe finden lassen. Vor weniger als drei Tagen war ihr geheimer und hässlichster Wunsch Wirklichkeit geworden. Yui Ikari war verschwunden, genauso wie sie es sich immer gewünscht hatte. Doch wie so oft stimmten Wunschgedanke und Realität nicht überein. In ihrer Vorstellung war Yui immer mitsamt ihrem Kind einfach gegangen, hatte Gendo verlassen und somit Platz für sie gemacht. Das sie nun in der von ihr entwickelten Waffe gefangen war, erfüllte zwar Naokos Wunsch nach ihrem Verschwinden, aber auf eine grausame Weise. Auch wenn das Verschulden weder an ihr noch an einem der anderen Mitarbeiter des Labors lag – niemand hatte diese Entwicklung vorhersehen können, die meisten der beteiligten Wissenschaftler waren davon überzeugt gewesen das sich bei diesem ersten Test die Synchro-Rate im Bereich zwischen 0,1 und 1 bewegen würde – lastete das Ereignis schwer auf ihr. Denn sie war sich sicher, niemand ausser ihr hatte sich jahrelang gewünscht, was jetzt Wirklichkeit geworden war. Deswegen musste sie einen Weg finden, sie zurückzuholen. Sie musste ihre Schuld begleichen. 2010 Sie startete noch ein paar Diagnoseprogramme und meldete sich dann vom System ab. Es war höchste Zeit Feierabend zu machen. Naoko hielt kurz inne und liess ihren Blick über ihr Lebenswerk schweifen. Das Magi-System funktionierte seit seiner Inbetriebnahme mit Ausnahme weniger Fehler ausgezeichnet. Sie war inzwischen für mehrere Forschungspreise vorgeschlagen worden und hatte einige bereits erhalten. Auch ansonsten lief es gut in ihrem Leben. Ritsuko hatte ihre Promotion erfolgreich abgeschlossen und arbeitete seit einigen Monaten auch bei GEHIRN. Und auch mit ihm...sechs Jahre ware inzwischen vergangen und seit einiger Zeit war sie ihrem Traum näher als je zuvor. Sie trafen sich nur im geheimen, aber das war ihr genug. Doch dann gab es da noch das kleine Mädchen, dass er ihr und Ritsuko vor einigen Wochen vorgestellt hatte. Das Mädchen mit jenem Gesicht, dass sie immer so gehasst hatte. Die Tür automatische Tür hinter ihr öffnete sich mit einem leisen Zischen. Naoko drehte sich um und blickte direkt in die leeren Augen des Mädchens, an das sie gerade gedacht hatte. „Was machst du denn hier Rei-chan?“ fragte Naoko betont freundlich um die negativen Gefühle zu verbergen, die in ihrem Inneren brodelten. Bisher hatte sie das Mädchen noch nie alleine gesehen, er war immer bei ihr gewesen. „Ich habe mich verlaufen.“ erklärte Rei mit dem stets gleichen ausdruckslosen Gesicht und der monotonen Stimme. „Dann lass uns einfach zusammen zurückgehen. Alleine findest du den Weg nicht.“ bot Naoko ihr an. „Ist schon in Ordnung, du alte Hexe...“ Wenige Minuten später lag das Kind leblos zu ihren Füßen. Naokos Körper zitterte, zitterte vor der körperlichen Anstrengung, der Wut, dem Haß auf das Schicksal und auch aufgrund der Tatsache das sich langsam in ihr Bewusstsein drängte, was sie soeben getan hatte. Sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. War wirklich alles nur eine Lüge gewesen? Empfand er nichts für sie? Und warum hatte er seine Gefühle diesem kleinen seelenlosen Mädchen mitgeteilt? Die Erkenntnis traf Naoko wie ein Schlag in die Magengrube. Ihr ganzer Körper zog sich zusammen vor Schmerz, als ihr das ganze Ausmaß der Wahrheit bewusst wurde, die ihr Rei gerade eben mitgeteilt hatte. Sie hatte nie den Platz an seiner Seite eingenommen. Er war immer leer geblieben. Und nun hatte Rei, die Yui wie aus dem Gesicht geschnitten aussah, diesen Platz eingenommen. Dieses eine Mädchen war nur eine seelenlose Kopie einer Frau, die niemals wieder zurückkommen würde – und dennoch gab er ihr den Vorzug. Sie selbst war nur ausgenutzt worden. Sie war nur eine Spielfigur in seinem Plan gewesen. Ihr Leben erschien ihr sinnlos und leer. Jetzt, da sie geglaubt hatte am Ziel all ihrer Träume zu sein, war die Realität über ihr eingebrochen wie zu dünnes Eis auf einem uferlosen Wintersee. Der Anblick des toten Körpers löste keine Trauer in ihr aus. Wo dieses Wesen herkam, gab es noch genügend Ersatz. Ausser Schuld und Reue konnte sie im Moment kein anderes Gefühl mehr wahrnehmen. Reue über die vergeudeteten zehn Jahre, in denen sie sich nach ihm gesehnt hatte. Schuld, dass sie sich das Verschwinden einer anderen Frau so sehr gewünscht hatte und sich insgeheim auch noch über dessen Erfüllung gefreut hatte. Schuld, das sie diese Frau durch den Tod von Rei nun noch einmal hatte verschwinden lassen. Reue, das sie ihre Liebe einem Mann geschenkt hatte, der sie nur benutzt hatte. Wie ferngesteuert öffnete sie die kleine Schublade unter ihrer Computerkonsole. Zögerlich strich sich über das kalte Metall, gleichzeitig wusste sie schon, das sie es tun würde. Es konnte kein Zufall sein, das sie den kleinen Revolver nur wenige Wochen zuvor dort plaziert hatte. Sie hatte kein wirkliches Vertrauen in die ständig wechselnden Wachmänner die hier ihre Runden zogen und wollte für den Fall der Fälle vorbereitet sein. Das sie diese Waffe, die sie sich während der gesetzlosen Zeit direkt nach dem Secon Impact zugelegt hatte, nun gegen sich selbst richten würde, erschien ihr die einzig logische Schlussfolgerung. Sie hatte nichts mehr im Leben. Ihre Forschung, ihr Lebenswerk war abgeschlossen. Alles weitere konnte sie mit gutem Gewissen Ritsuko überlassen. Als Wissenschaftlerin war ihr Leben sinnvoll gewesen. Als Mutter hatte sie mehr oder weniger versagt. Die Arbeit war immer an erster Stelle gestanden. Das ihre Tochter sich trotzdem so positiv entwickelt hatte, war mitnichten nicht ihr Verdienst. Als Frau...war sie immer nur zurückgewiesen worden. Der Lauf an ihrer Schläfer fühlte sich richtig an. Es gab nichts mehr auf dieser Welt für sie. Die Forschung und ihre blinde Liebe hatten sie am Leben gehalten. Dieses Leben war nun zu Ende. Ein letzter Herzschlag, ein letzter Atemzug. Dann drückte sie ab. Kapitel 6: Erstsemester ----------------------- Sie saß allein in der ersten Reihe des größten Hörsaals der Universität. Sie war ein wenig zu früh dran und hatte schon ihre Stifte, den Notizblock und das Notebook in Reih und Glied vor sich aufgestellt. Während sie zum Zeitvertreib ihre Nachrichten auf dem Handy abrief, füllten sich so nach und nach die Reihen mit den anderen Studierenden. Lautes Gelächter und Stimmengewirr erfüllten den Raum. Es war wie immer. Zunächst nahm keiner von ihr Notiz. Dann, als die hinteren Reihen langsam belegt waren und sich die Neuankömmlinge mit dem vorderen Teil des Saals begnügen mussten, begann das Getuschel. Keiner setzte sich in ihre Nähe, zwischen ihr und den nächsten Studenten waren mindestens 10 Plätze frei. Sie hatte es nicht anders erwartet. Noch fünf Minuten bis Vorlesungsbeginn... Hinter ihr wurde das Getuschel von vier Studentinnen immer lauter. Offenbar kannten sie sich bisher noch nicht, beratschlagten aber mit großem Enthusiasmus was es wohl mit der einsamen Studentin in der ersten Reihe auf sich hatte. Eine der Studentinnen die schräg hinter ihr in der zweiten Reihe saß, fasste sich doch noch ein Herz und kam zu ihr vor gelaufen. „Hey...brauchst du vielleicht Hilfe? Wo-“ „Ich brauche keine Hilfe!“ antwortete sie genervt und mit fester Stimme. Die Studentin schaute sie entgeistert an und spielte dann nervös mit ihren Haaren, bevor sie zögerlich antwortete. „Na schön...falls du es dir anders überlegst-“ „Nein, Danke!“ Die Studentin starrte sie noch ein paar Sekunden an und ging dann zurück auf ihren Platz. Wenige Minuten später betrat der Professor das Pult und eröffnete die Vorlesung. Wie die meisten seiner Kollegen aus den Naturwissenschaften hielt er sich nicht lange mit Floskeln auf. Er begrüßte die Erstsemester mit einem Satz und begann dann ohne Überleitung mit der Einführung in den Lehrstoff. Die Tafel fühlte sich mit Formel um Formel, der Professor wurde immer begeisterter über die Materie die er den neuen Studierenden näher bringen wollte, während ein Großteil der Zuhörer schon nach der ersten Viertelstunde ihre Fächerwahl in Frage stellte und ganz Verzweifelte überlegten, sich gleich nach der Vorlesung wieder zu exmatrikulieren. „Und wie Sie hier sehen, führt uns dieser Beweis zu folgender Schlussfolgerung-“ „Entschuldigen Sie bitte...“ Die einsame Studentin in der erste Reihe hob die Hand. Ein Raunen ging durch den Hörsaal, während der Professor seine Brille aufsetze und in die Runde blickte, bis ihm die erhobene Hand in der ersten Reihe auffiel. „Ja, bitte?“ fragte er höchst verwundert und ohne eine Antwort abzuwarten fragte er in den Raum „Zu wem gehört die Kleine denn?“ Alle schauten sich um, doch weit und breit meldete sich niemand. Die Kleine stöhnte genervt auf. „Ich bin alleine hier. Und Sie haben bei der letzten Gleichung einen Fehler gemacht.“ Der ganze Hörsaal hielt den Atem an. Der Professor rang um Fassung und noch ehe er einer Antwort mächtig war, begann das Mädchen wieder zu sprechen. „Der Fehler ist in der vorletzten Zeile. Bei dem Binomialkoeffizienten.“ erklärte sie. In den hinteren Reihe machte sich verhaltenes Flüstern breit. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis der Professor sich langsam zur Tafel umdrehte. Sorgfältig begann er seine Berechnung zu prüfen. Schließlich musste er sich eingestehen, dass die Beschuldigung berechtigt war. Er versuchte sich zu sammeln und wandte sich wieder an den Hörsaal. „Wenn das ein Scherz der Fachschaft sein sollte, dann-“ Das Mädchen sprang auf. „Das ist kein Scherz.“ rief sie wütend und begann ihre Sachen in ihre Tasche zu stopfen. „Wenn Sie nichts dagegen haben, ich gehe jetzt. Um 10 Uhr beginnt noch eine Vorlesung zur Stringtheorie, vielleicht ist das Vorlesungsniveau bei den Physikern ja etwas höher angesiedelt.“ Damit sprang das rothaarige Mädchen auf und verließ erhobenen Hauptes den Hörsaal. Als die Tür hinter ihr zufiel, zerknüllte Asuka das Vorlesungsverzeichnis der mathematischen Fakultät und schmiss es in den nächstbesten Mülleimer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)