Schicksalspfade von SoujirouOkita ================================================================================ Kapitel 4: Gewissheit --------------------- Kyoto, 1999 Er wartete am Ende des Philosophenweges auf sie. Er hatte versucht ihr aus dem Weg zugehen, hatte ihre Anrufe ignoriert und war diese Woche gar nicht aus dem Haus gegangen. Sie war hartnäckig geblieben. Zweimal stand sie vor seiner Tür, doch er wollte nicht das sie ihn in diesem Zustand sah. Heute morgen hatte sie ihm einen Zettel unter der Tür durchgeschoben. 16 Uhr, Philosophenweg. Ich vermisse dich. Zuerst hatte er nicht gehen wollen, aber viel länger hätte er das Versteckspiel sowieso nicht mehr ausgehalten. Sie hatte nicht mehr schreiben müssen, obwohl der Philosophenweg doch recht lang war, war klar an welcher Stelle sie sich trafen. Hier stand er also, an der kleinen Brücke in der Nähe des Nanzen-ji Tempels. Der Weg lag verlassen da, nichts liess mehr auf die endlose Menschenströme schliessen, die zur Zeit der Kirschblüte hier spazieren gingen. Unter der Brücke plätscherte der kleine Kanal träge in der Nachmittagssonne vor sich hin. Ausserdem dem Geräusch des fliessenden Wassers und dem sanften Wind der durch die Bäume fuhr, hatte sich eine beruhigende Stille über diesen Ort gelegt. Er war viel zu früh da. Warten gehörte nicht zu seinen Stärken. Von der Ferne hörte er das Läuten einer Tempelglocke. Dann endlich das klackernde Geräusch von Absätzen auf den Steinen des kleinen Weges, der sich über dem schmalen Kanal erhob. Er drehte sich in ihre Richtung um, erleichtert sie wieder zu sehen und beunruhigt über das Gespräch das nun folgen würde. Sie sah so schön aus, das leichte vom Wind zerzauste Haar und ihre grünen Augen, die immer zu leuchten schienen. Er wusste nicht wie er die Woche ohne sie ausgehalten hatte. „Tut mir leid, ich habe den Bus verpasst.“ entschuldigte sie sich ausser Atem. „ Dann bin ich an der falschen Haltestelle -wie ist das denn passiert??“ Sie musterte ihn besorgt und blickte abwechselnd von seinem blutunterlaufenen Auge auf den Verband um seinen Arm und wieder zurück. „Nicht so wichtig...“ antwortete er und wich ihrem Blick aus. „Nicht so wichtig?“ wiederholte sie ungläubig und verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Ist das etwa der Grund warum du nie ans Telefon gegangen bist und so getan hast als wärst du nicht zuhause wenn ich vor der Tür stand?“ Als er nicht antworte, seufzte sie mit gespielter Übertreibung und hakte sich dann an seinem gesunden Arm bei ihm unter. „Baka...“ Sie zog ihn mit sich den Weg entlang und schwieg eine Weile. „Also...wie ist das passiert?“ fragte sie erneut. Sie würde nicht locker lassen, darüber war er sich vollkommen im klaren. „Eine Schlägerei. In einer Bar.“ erklärte er kurzangebunden und wusste wie schrecklich sich das für sie anhören musste. „Am Sonntag Abend.“ meinte sie. Es war eine Festellung, keine Frage. Sie hatten sich am Sonntag gestritten. Der Grund war eine Kleinigkeit gewesen, so nichtig das es sich nicht gelohnt hatte überhaupt zu diskutieren, aber eines hatte zum anderen geführt und letztendlich waren sie erstmals im Streit auseinander gegangen. Sie erreichten die Abzweigung zu dem nächsten Tempel, gingen aber weiter den kleinen Weg am Kanal entlang. Noch immer kam ihnen niemand entgegen, ungewöhnlich dafür das sie mitten in der Stadt waren. „Wie lange warst du im Krankenhaus?“ wollte sie schliesslich wissen. Wieder zögerte er mit der Antwort. „Ich war nicht im Krankenhaus.“ Damit gab sie sich nicht zufrieden. „Du warst zwei Tage nicht zu Hause. Ich war an beiden Tagen morgens, mittags und abends da und ans Telefon bist du auch nicht gegangen.“ Sie sah ihn mit einer Mischung aus Sorge und Traurigkeit an. „Wo warst du?“ Er versuchte ihrem Blick auszuweichen, suchte mit den Augen den klaren ruhigen Fluss des Wassers neben ihnen. Vergeblich. Das Wasser warf ihre Spiegelbilder zurück. „Ich war im Gefängnis.“ sagte er zu ihrem verzerrten Wasserbild. Sie löste ihre Augen von ihm, blickte wieder gerade aus, wo der kleine Weg von den vollen Ästen der Kirschbäume verdeckte wurde. Ich hätte dir doch helfen können. Warum hast du mir nichts gesagt? Er war dankbar, dass sie diese Frage nicht stellte. „Wer hat dich rausgeholt?“ Auch das hatte er ihr eigentlich nicht sagen wollen. „Fuyutsuki.“ Sie verbarg ihr Erstaunen nicht, sagte aber nichts weiter dazu. Die Tatsache, das er den Professor bis zu diesem Tag nur aus Erzählungen von Yui gekannt hatte, war peinlich genug. Aber sie hatte er nicht anrufen wollen und sonst gab es niemand den er hätte fragen können. Sie gingen schweigend weiter, im warmen Licht der Frühherbstsonne. Yui streckte ihren Arm aus um den tiefhängenden Zweig eines Baumes zu erreichen. Doch es gelang ihr nicht ganz und sie streichte ihn nur mit den Fingerspitzen. Dann drehte sie sich wieder zu ihm und sah ihm tief in die Augen. „Das nächste mal rufst du mich an.“ meinte sie und schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. In diesem einen Moment, als ihre Augen mit dem Gold der Septembersonne um die Wette funkelten und ihre aufrichtige Liebe sein Herz überflutete, hatte er Gewissheit. Sie war die einzige. Niemand hatte ihn je so bedingungslos geliebt und niemals hatte er mit solcher Heftigkeit jemanden geliebt. Sie war die einzige. Und würde es für immer bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)