Lieben - Eine Anleitung für Einsteiger von mephis_aka_the_graef (Fortsetzung zu "Teilweise grenzt es an Wahnsinn") ================================================================================ Kapitel 4: Neue Bande --------------------- Wenn ich einfach mal nicht über die kommenden Dinge nachdenke, lebt es sich erstaunlich leicht. Ich hab nicht nur unbeschwert das restliche Wochenende genießen, sondern mich heute auch auf die Vorlesungen konzentrieren können. Seit wann gehör ich überhaupt zu den Denkern? Gut, gedacht habe ich schon immer, aber so viel? War doch vor der Zeit mit Shay auch nicht so. Aber da war so vieles anders. Es kann mit Sicherheit nicht schaden, wenn ich ein wenig meiner früheren Lockerheit zurück erlange. Da trifft es sich auch hervor-ragend, dass wir Donnerstag was Trinken gehen wollen. Ich bin gerade echt dabei, Freundschaften zu knüpfen. Das ist so ungewohnt und ich tu mich auch noch reichlich schwer da-mit. Aber mittlerweile seh ich ein, dass es wohl nicht so schädlich für mich sein kann, auch mal mit wem anderes was Vertrauensvolles auszutauschen. Ich kann mich ja auch schlecht bei Shay darüber ausheulen, dass ich Angst vor meinen Beziehungspflichten habe… Wobei ich das bisher auch nicht meinen Bekanntschaften mittgeteilt habe. Dazu kenn ich sie noch zu wenig und man muss es mit dem vertrauensvollen Austausch auch nicht gleich übertreiben, stimmt’s? „Wenn du Donnerstag feiern gehst, kommst du dann Freitag überhaupt nach Hause?“ „Warum nicht?“ „Na ich weiß ja nicht, wie doll ihr feiert. Kann ja sein, dass du am nächsten Tag so platt bist, dass du lieber da bleibst und dich ausschläfst.“ „Shay, glaubst du echt, dass… dass ich nicht nach Hause komme?“ „Was wolltest du eigentlich sagen?“ „Nix, das ist peinlich!“ „Komm schon. Ich bin sicher, dass ich mich drüber freue.“ Ich kann seinen erwartungsvollen Welpenblick fast schon durchs Telefon sehen. Das der aber auch immer seinen Willen bekommen muss! „Glaubst du, ich halt es so lange ohne dich aus?“ „Du bist süß.“ „Och, Shay! Nenn mich nicht süß! Das ist was für Mädchen!“ „Das sagst du auch zu mir, wenn auch nicht laut. Aber dein Blick lässt es so manches Mal vermuten.“ „Und ich dachte echt, ich hätte deine analytischen Eigenschaften durch unsere Beziehung zum Schweigen gebracht…“ „Oh nein, ist eher schlimmer geworden. Aber versteckter, das geb ich zu.“ „Motiviert mich jetzt nicht gerade.“ „Studier fleißig, dann kannst du das auch bald.“ „Was ich stark bezweifel.“ „Wie sind eigentlich die Mädels in deinem Jahrgang so?“ „Ganz nett, wieso?“ „Nur so… Kommen davon auch welche am Donnerstag mit?“ „Ich denke schon.“ „Sehen die gut aus?“ „Shay?“ „Ja?“ „Was wird das?“ „Nichts. Ich interessier mich halt dafür, mit wem du so um die Häuser ziehst.“ „Und warum fragst du dann nur nach den Mädels?“ „Na ja, weil… Man muss sich halt mal informieren.“, stammelt er mehr schlecht als recht. Verdächtig. „Machst du dir Sorgen, dass ich rückfällig werde?“ – Schweigen – „Shay?“ „So abwegig ist der Gedanke jetzt auch wieder nicht.“ „Hab ich mich emotional echt noch nicht genug entblößt, dass du die letzten Wochen jetzt ernsthaft in Frage stellst?“ „Es tut mir leid.“ Jetzt nicht in Tränen ausbrechen! Dieses Gespräch verläuft gerade mal so gar nicht süß und locker wie sonst. Und dann spricht er auch noch so traurig! Oh man, Shay! „Meine Welt hat sich in den letzten Wochen und Monaten komplett neu organisiert und du warst der einzige Fixpunkt, an den ich mich halten konnte. Und nachdem ich jetzt endlich ein wenig System erkannt habe, fängst du an zu zweifeln?“ „Das nicht, es ist nur…“ „Was denn verdammt?!“ „Du stehst nun mal noch immer auf Frauen, das sagst du selbst von dir.“ „Seit geraumer Zeit steh ich ausschließlich auf dich!“ Ich kann nicht glauben, dass wir gerade so ein Thema diskutieren! Ist doch zum Heulen! Wenn Shay schon an uns zweifelt… „Oh… Das… hast du mir noch nie gesagt.“ „Irgendwas läuft hier gerade mächtig falsch.“ „Wie meinst du das?“ „Warum muss ich dich gerade von der Ernsthaftigkeit meiner Absichten überzeugen, wo ich doch eigentlich derjenige bin, der so viele Bedenken hatte?“ „Vielleicht zeig ich es nicht so, aber ich bin genauso unsicher wie du.“, spricht er leise, als ob er etwas zugeben müsse, was er selbst nicht wahrhaben will. Zum Heulen! „Aber warum denn? Du bist dir doch sicher, dass du mit mir zusammen sein willst. Und du hast dir doch auch gewünscht, dass ich bei dir bleibe. Ich versteh dich nicht, Shay.“ „Ich bin mir auch immer noch sicher und wünsche es mir genauso wie vorher-“ Seine Satzabbrüche machen mich echt kirre! „Aber?“ „Aber ich hab Angst, dass ich dich überforder oder ich doch nichts für dich bin oder-“ „Klappe, Shay! Hör mit dem Zweifeln auf, sonst fang ich auch wieder an und ich will nicht zweifeln. Ich will bei dir sein. Ich will keine und keinen anderen. Nate gehört zu Shay.“ „Du bist süß!“ „Und du bist doof! Solche dämlichen Gedanken zu haben, also echt. Wenn ich das mache, ist es ja in Ordnung, aber du darfst das nicht. Du musst dir sicher sein, damit du mich beruhigen kannst, wenn ich dumme Sachen denke.“ „Nate?“ „Ja?“ „Ich bin froh, dass ich dich habe. Ich freu mich auf Freitag.“ Ist das zu Beginn einer Beziehung immer so dämlich? Stellt man sich da immer so an? So unsicher? Also hat Shay Angst, dass er mich überfordert und ich hab Angst, dass ich nicht mithalten kann. Meine Güte, da soll sich mal einer zurecht finden. Mit der Zeit wird es doch aber unkomplizierter, oder? Wenn man hoffentlich gegenseitig akzeptiert, dass man den jeweils anderen nicht mehr los wird? Denn das wird er nicht. Und genau jetzt brauch ich wen zum Auswerten… Das macht keinen Spaß hier. Die werten grad alle ihre Beziehungen aus und ich kann nicht mitreden. Wer sich jetzt wirklich wundert, warum wohl nicht, denke bitte noch einmal schärfstens nach! Ich hab ‚bitte‘ gesagt. Es geht mal wieder bergab mit mir… Ich kann da echt noch nicht mitreden. Warum hab ich Shay denn nicht schon früher kennen gelernt? Wir hatten noch keinen großen Streit, mussten uns noch nicht den Eltern vorstellen und vom Beziehungsalltag sind wir noch Jahre entfernt. Und außerdem hab ich Bedenken, dass ich mich verquatsche. Also im Bezug auf die Art meiner Beziehung. Scheint immerhin niemand zu ahnen, dass ich in einen Mann verliebt bin, denn bisher kamen noch keine dummen Witze und die Frauen werfen sich in die Brust, um mir zu gefallen. Zu meiner Erleichterung kann ich ihnen echt nichts abgewinnen. Entweder zeigen sie zu viel Haut oder wirken zu künstlich, haben ein schrilles Lachen oder ständig ins Gesicht flatternde Haare. Keine kann mit meinem Shay mithalten. Keine hat sein warmes Lachen und den schelmischen Blick und auch nicht diese Aura, die mir immer so viel Sicherheit gibt. Es war echt dumm von ihm, sich deswegen Gedanken zu machen, aber morgen ist das hoffentlich alles wieder vergessen. Wenn ich eifersüchtig bin, ist das ja in Ordnung, weil der Typ ja nun mal verdammt gut aus-sieht und man bei seiner Gutmütigkeit Angst haben muss, dass er sich nicht mal aus Mitleid abschleppen lässt. Der gehört mir. Ist „alles meins!“ „Hä?“ „Was?“ „Was ist alles deins?“ „Oh, das sollte nicht laut sein.“ „Von dir haben wir noch gar nichts Beitragendes gehört.“ „Ja los, Nate. Erzähl mal!“ Da kommt die Meute und fleischt die Infos aus mir raus… „Ich hab auch nichts zu erzählen. Wir sind ja noch nicht lange zusammen.“ „Wie habt ihr euch denn kennen gelernt?“ „Auf der Arbeit. Ich hab die Zeit bis zum Studium als Aushilfe in ‘nem Zwischenlager verbracht.“ „Man, dann ist das ja noch richtig frisch!“ Ehrfürchtiges Raunen geht durch den Raum. Jetzt reicht es aber auch wieder mit der Infoweitergabe. Ich muss einen möglichst schnellen Weg finden, das hier zu beenden. „Lässt sie dich schon ran? Manche sind ja da sehr eigen…“ Ich hab’s geahnt! Jetzt kommen die wirklich unangenehmen Themen. Okay, links von mir ist der Fluchtweg ausgeschildert. Wenn ich also schnell bin- „Vielleicht will Nate ja selbst auch noch nicht“, erklingt da das rettende Stimmchen von Esther. Ich danke dir, auch wenn ich das jetzt schlecht laut sagen kann. Doch sie zwinkert mir wissen zu und lächelt. Wissend? Warum wissend? Sie weiß doch gar nichts, also warum dann wissend? Das sieht nicht gut aus für mich! Aber erst mal bin ich ihr dankbar und greife ihre Hilfe auf: „So in etwa. Genau genommen ist das meine erste ernstzunehmende Beziehung und da ich in meinen Jugendjahren wahrlich genug Sex hatte, lass ich es eben etwas ruhiger angehen.“ Diese Antwort scheint alle zufrieden zu stellen und sie lassen von mir ab. Stattdessen habe ich eine Vorlage für ein neues Thema gegeben: Jugendsünden und erste Erfahrungen. Das ist genau mein Ding und ich steige wieder voll ins Gespräch ein. Am Ende des Abends sind sich alle einig, dass sie mich niemals als so ein Arschloch eingeschätzt hätten. Auf dem Weg zurück wird es allerdings wieder unangenehm. Esthers Wohnung liegt bei mir um die Ecke und natürlich bringe ich sie noch nach Hause. Bin halt ein Gentleman wie eh und je. Ich kann ja schlecht eine hübsche Dame nachts allein durch dunkle Gassen ziehen lassen. Sobald die anderen außer Sichtweite sind, hakt sie sich bei mir ein und fragt sogleich los: „Wie ist sie eigentlich so?“ „Wer?“ „Na deine Freundin. Du scheinst ‘ne Menge von ihr zu halten.“ „Na ja, sie ist eben perfekt.“ „Klar ist sie für dich perfekt, aber so im Allgemeinen mein ich. Beschreib sie doch mal!“ „Nee, nicht nur für mich. Sie ist überhaupt perfekt, Sie weiß immer, was zu tun ist, findet immer die richtigen Lösungen, verhält sich immer angemessen, sieht unglaublich gut aus, kann kochen, schaut nur intelligente Filme, ist selbst sehr intelligent, hat Abi mit 0,9 gemacht und ist jetzt mit 23 Abteilungsleiter in einem international anerkannten Logistikunternehmen.“ „Wow!“ Ehrfürchtig blicken mich ihre großen, blauen Kulleraugen an. Sie wäre durchaus mein Beuteschema, aber ich habe echt null Interesse an ihr. Als Freundin vielleicht, denn ich glaube, man kann ihr echt vertrauen. Sie sieht zwar aus wie Barbie und wirkt auf den ersten Blick sehr oberflächlich, aber dahinter scheint ein richtig taffes Mädel zu stecken. „Sie ist älter als du? 23? Du bist erst 19, oder?“ „Äh… ja, ich bin jünger.“ „Wie sieht sie aus? Ich will alles wissen!“ „Schokobraune Haare, grüne Augen, größer als ich, muskul-“ Erschrocken breche ich ab und sehe sie schockiert an, doch sie lacht nur so herzlich, dass sie sich bereits die Hände auf die Rippen presst. Scheiße! Kurzatmig klammert sie sich nach einer Weile wieder an mir fest – ich bin natürlich artig stehen geblieben und nicht angesichts der Blamage geflüchtet – und sieht mir grinsend unter ihrem vor Lachtränen zerlaufenden Mascara an. „Was soll ich dazu jetzt sagen?“ „Gar nichts, Naty, gar nichts. Ich hab mir schon gedacht, dass irgendetwas an dir anders ist. Warum sind solche geilen Männer wie du und anscheinend auch dein Freund immer schwul?“ „Ich bin nicht schwul!“ „Ist er ‘ne Transe?“ „Hä? Nee, er ist schon ‘n Mann und zwar ziemlich eindeutig.“ „Und wie lange bist du schon nicht-schwul?“ Sie macht sich über mich lustig, das Biest! Aber da ich mich ja nun schon mal geoutet habe, kann ich ihr gleich die ganze Geschichte erzählen. Also fange ich mit meinem ersten Zusammentreffen mit Shay an, gehe über die Arbeit und meiner veränderten Welt bis hin zum Gespräch mit Liz und der daraus resultierenden Beziehung inklusive meines Erkenntnisses, dass ich Shay-schwul bin. Mittlerweile sitzen wir übrigens in ihrer Küche. Sie hat Wippstühle… „Also stimmen deine ganzen Frauengeschichten?“ „Jupp und das waren vorhin nicht mal alle.“ „Ich bin verblüfft. Ich würde ihn gern mal irgendwann kennen lernen. Das Bild, was ich jetzt von ihm habe, kommt etwas Übermenschlichem nahe und das würde ich gern zerstören.“ „Wird eh nichts. Entweder es bleibt so oder es verschlimmert sich.“ Ergeben seufzen wir auf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)