Gegen das Licht von Hikaru_Hyuga ================================================================================ Kapitel 1: Gegen das Licht -------------------------- Gegen das Licht 05: 59 Uhr. Sebastian schritt den langen Korridor zu Ciels Schlafgemach entlang und klopfte schließlich an der großen Tür, wohlwissend, dass ihn keiner hereinbeten wird. Dennoch öffnete er diese und schob den Essenswagen ins Zimmer, welchen er vor dem blauen Himmelbett abstellte. Geräuschlos ging er zum Fenster und öffnete mit einem Ruck die schweren Gardinen, während er sagte: „Zeit zum Aufwachen, junger Herr.“ Kein Licht fiel durch die Scheiben; hier in der Unterwelt erreichte die Sonne mit ihrer Wärme die Bewohner nicht. Nur ein roter Mond hing am Himmel, welcher nie verschwand. In der Unterwelt gab es keine Zeit, selbst Tag und Nacht konnte man ignorieren. Die Zeit spielte keine Rolle, wenn man nicht sterben konnte. Trotz der fehlenden Sonnenstrahlen, die Ciel zu Menschenzeiten immer aufgeweckt hatten, wurde er wach. Noch nicht zum Aufstehen bereit, drehte er sich vom Fenster und so auch von seinem Butler weg. „Junger Herr, es ist Zeit zum Aufstehen.“, wiederholte Sebastian noch einmal lauter. Widerwillig öffnete Ciel die Augen und warf ihm einen Blick, in dem Müdigkeit lag und der Vorwurf, warum er ihn so früh aufweckte. Schließlich begann sein Tag- ja, genau Tag- erst halb acht. Der Butler setzte sein gewohnt falsches Lächeln auf, das sein Herr im Laufe der Jahre durchschaut hatte. „Erinnert Ihr euch nicht? Als wir gestern heimkamen, befahlt Ihr mir, euch pünktlich um sechs Uhr zu wecken, da Ihr unbedingt ausgehen wolltet.“ Genauer als „ausgehen“ konnte Sebastian nicht werden. Er war selbst ganz überrascht, als Ciel ihm diesen Befehl vor etwas mehr als sieben Menschenstunden erteilt hatte. Als Grund gab dieser nur an, dass er etwas „Wichtiges“ mit ihm erledigen wolle. Dem schwarzhaarigen Dämon konnte egal sein, wann er wie viel Uhr was zu machen hatte. Er brauchte kein Schlaf; die Zeit, die sein Herr mit dieser Tätigkeit verbrachte, waren seine einzigen freien Stunden, die er noch besaß. Bei seinen Worten wurde Ciel nun etwas wacher, er streckte sich und gähnte. Sebastian ging zurück zum Essenswagen, um seinen Herrn den allmorgendlichen Tee einzuschenken. Er übergab ihm die leere Tasse, aus der sein Master vorsichtig nippte. Währenddessen machte sich der Butler daran, ihn anzukleiden. „Sebastian.“ Der Angesprochene sah auf. „Ja?“ „Sieh mir in die Augen.“ Der Butler hielt in der Bewegung inne und tat, was ihm befohlen wurde. Er sah hoch und traf Ciels Blick. Etwas lag in ihm, vielleicht war es Nostalgie, Traurigkeit mit einem Funken Freude, Melancholie.. oder es war schlicht und einfach seine Einbildung. Er sah seinem Herrn nicht gern in die Augen und dieser wusste es. Und er wusste auch, warum. Früher waren seine Augen tiefblau gewesen, heute konnte er die Farbe nach Belieben wechseln. Wenn er mit seinem Butler in der Welt der Dämonen ausging oder Aufträge erledigte, waren sie rot, gefährlich, kalt. Befand er sich aber in der Menschenwelt oder sah er in den Spiegel, so waren sie stets blau, tief und kindlich. Sebastian, der aber nicht erfühlen konnte, wann sie welche Farbe hatten, vermied einfach ganz den Blick seines jungen Herrn. Der Grund war simpel. Und er schmerzte. Die roten Seen zeigten, was Ciel jetzt war und für immer sein wird: Ein Dämon, genau wie er selbst. Sie zeigten, dass er etwas Wichtiges verloren hatte und es wohl nie wieder zurückkehren wird. Und das war seine Freiheit. Sebastian erinnerte sich nur zu gut an den Befehl seines jungen Herrn, den er gegeben hatte, als er noch als Mensch lebte. „Bis zu dem Zeitpunkt, wo du meine Seele verschlungen hast, bist du mein Butler.“ Freudig hat er diese Anweisung mit dem gewohnt leidenschaftlichen „Yes, my Lord“ entgegengenommen, doch damals wusste er noch nicht, dass er sich damit für immer Fesseln der Gefangenschaft auferlegt hatte. Denn wenig später wurde sein Herr aufgrund eines Vertrages zwischen einem milchbubigen Jungen und einem weiblichen Teufel zu einem Dämon. Und er, der perfekte Butler der Phantomhives, der alles konnte, war nicht fähig die Seele aus Seinesgleichen auszusaugen. Wie jeder andere auch. Somit musste er seine restliche Existenz in der Knechtschaft seines Meisters verbringen, der nun etwas länger leben wird, als eigentlich vorbestimmt. Ciel, der anscheinend genug Augenkontakt hatte, wandte seinen Blick ab und sagte: „Ich finde meinen blauen Ring nicht mehr. Such ihn.“ Überrascht über diesen Befehl antwortete Sebastian: „Herr, habt Ihr ihn denn überhaupt mitgenommen? Ich meine mich zu erinnern, dass Ihr euren Ring auf den Nachtschrank in eurem alten Zimmer eures Anwesens in der Menschenwelt gelassen habt.“ Überhaupt, warum wollte der Bengel nun plötzlich seinen Ring haben? Er hatte die letzten 173 Jahre, die er nun als Dämon zubrachte, nicht nach ihm verlangt. Warum also so plötzlich? Ciel gab sich unbeeindruckt. „Kann sein. Ich bin mir nicht sicher. Deswegen sollst du ihn ja auch suchen. Such ihn, wenn du ihn findest, bring ihn mir. Wenn du ihn nicht findest, dann komm trotzdem zurück. Ich warte hier auf dich.“ „Jawohl, junger Herr.“ Sebastian zog noch den zweiten Stiefel seines Meisters an und verschwand aus dem Zimmer. Die Villa, die Ciel in der Unterwelt bewohnte, hatte nicht halb so viele Zimmer, wie das Anwesen, das er zu Menschenzeiten besaß. Wozu auch? Er und Sebastian waren die Einzigen in diesem Haus, er brauchte sonst niemanden und keiner wird ihn besuchen kommen. Innerhalb von einer halben Stunde sinnlosen Suchens, wie der Butler fand, kam er zurück, um seinem Herrn die wenig erfreuliche Nachricht zu überbringen. Dieser schien jedoch nicht allzu enttäuscht zu sein, ganz im Gegenteil. Er machte einen geradezu gleichgültigen Eindruck und Sebastian beschlich das leise, aber bestimmende Gefühl, dass Ciel ihn nur aus dem Zimmer haben wollte. Der Teufel gehörte nicht zur neugierigen Sorte und in den letzten Jahrzehnten musste er die Anwesenheit seines für immer jungen Knaben schon so oft teilen, dass er sich über ein wenig Abstand und ein paar Minuten mehr Freiheit gefreut hätte. Als sie die Tür der Villa hinter sich schlossen, sah Ciel zu seinem Butler hinauf und sagte: „Trag mich.“ Wortlos beugte sich der Aufgeforderte zu ihm hinunter und nahm ihn auf den Arm. Eigentlich war es Sebastian lästig den kleinen Teufelsjungen tragen zu müssen, doch er war froh darüber, dass Ciel ihm nicht mehr verordnete, die Kutsche vorzufahren. Sie wären nur von anderen Dämonen ausgelacht worden, die in einer viel höheren Geschwindigkeit als Pferde jemals erreichen könnten, an ihnen vorbei sausten. Obwohl sein junger Herr längst keiner mehr war, legte er noch immer viel Wert auf seine Menschengewohnheiten. Ein Beispiel dafür war, dass er noch immer jeden Morgen auf seinen imaginären Tee bestand. Oder dass Sebastian ihn langsam in Menschengeschwindigkeit an- und auskleiden musste, was den geborenen Dämon wirklich nervte. Als sein junger Herr noch ein Mensch war, war es nur verständlich und klar, dass er sich so langsam bewegen musste, aber nun war dieser ein Dämon und etwas mehr Tempo konnte nicht schaden. Noch ein Beispiel. Sebastian hatte wie jeden Morgen die Gardinen aufzuziehen, obwohl es längst keine Sonnenstrahlen mehr gab, die einen neuen Tag hätten einläuten können. „Wohin führt unser Weg, junger Herr?“, fragte Sebastian in angemessener Lautstärke. „Zur Insel das Todes.“ Ohne weitere Fragen zu stellen, rannte der schwarzgekleidete Butler los. In seinem Kopf jedoch spuckten jede Menge Fragen nach dem warum. Warum wollte Ciel zur Insel des Todes? Wollte er jemandem die versprochene Seele aussaugen? Warum aber musste er ihn dann begleiten? Wehmütig dachte Sebastian daran, dass er nie wieder einen Menschen dort hinführen wird. Die letzte Person, die er dorthin gebracht hatte, war sein jetziger Herr und wird es für immer bleiben. Jetzt, wo er durch einen ewigen Vertrag an Ciel gebunden war, wird er nie wieder eine Gelegenheit haben, einen Neuen zu schließen. Er wird nie wieder in den Genuss erstklassiger Seelen kommen. Als sie auf der Insel ankamen, setzte er seinen Meister ab. Dieser ging schnurstracks auf das Innere einer alten Ruine zu, in die Sebastian ihn schon mal geführt hatte. Der Butler blieb zwei Schritte hinter dem Eingang stehen, während sein junger Herr weiter ging. Dieser schaute sich um, als würde er sich in seinem alten Kinderzimmer umsehen, welches er schon seit Jahren nicht mehr betreten hatte. Dann blieb er stehen und drehte sich zu ihm um. „Weckt das in dir nicht auch Erinnerungen, Sebastian?“ Der Gefragte lächelte. „Und ob es das tut, junger Herr. Ich erinnere mich nur zu gerne an die Zeit, wo ich kurz davor stand, Eure Seele zu verschlingen. Damals wurde sie noch nicht von einem niederträchtigen Dämon gestohlen, der somit mein Schicksal besiegelt hatte.“ Ciel lachte laut auf. „Du bist selbst dran schuld, Sebastian. Ich möchte ihn ja nicht in Schutz nehmen, aber du hättest mich auch einfach seelenlos zurücklassen können. Oder dich einfach meinem Befehl widersetzen. Dein Schicksal war noch nicht besiegelt.“ Sebastian legte seinen Kopf schief. Das Lächeln war noch immer da, nur nahm es einen tadelnden Zug an. „Aber, aber, junger Herr. Wie könnte ich, Euer treuer Butler, Euch leer zurücklassen? Oder Euch gar widersetzen? Wo denkt Ihr hin!“ Ciel lächelte leicht. „Treuer Butler, so, so..“, murmelte er, „Allerdings wage ich es zu bezweifeln, dass du immer noch bei mir wärst, würde der Vertrag uns nicht aneinander binden.“ Das wagte Sebastian ebenfalls zu bezweifeln. Stark zu bezweifeln. Sehr stark zu bezweifeln. Der Schwarzhaarige antwortete nicht und fragte stattdessen: „Junger Herr, wärt Ihr so freundlich, mir zu erklären, was es mit diesem Aufenthalt hier auf sich hat? Ihr wärt doch nicht so früh aufgestanden, nur um hier mit mir zu plaudern?“ „Natürlich nicht.“, erwiderte der Junge, „Wir sind hier, weil ich dir etwas geben wollte.“ Bei diesen Worten griff er in seine rechte Brusttasche und holte ein kleines Kästchen heraus. Mit seiner anderen Hand öffnete er sie und griff darein bis sein Arm bis zum Ellbogen verschwand. Ah, dachte sich Sebastian, ein bodenloses Kästchen. Perfekt, wenn man viel mitnehmen möchte, aber nicht viel tragen will. Als sein Herr seinen Arm langsam, fast schon bedächtig, aus dem kleinen Kasten wiederherauszog, umfasste seine Hand einen lachsfarbenen Griff. Nach und nach kam eine lange, schmale, aber scharfe Klinge zum Vorschein. „Ist das-“, fing Sebastian mit weiten Augen an, doch Ciel unterbrach ihn mit einem zufriedenen Lächeln. „Ja, ist es. Das legendäre Schwert der 13 sterbenden Dämonen.“ Die Augen des Jungen lagen auf der glitzernden Klinge der Waffe. Langsam hob er seinen Kopf und richtete seinen Blick nun auf den Teufel vor ihm. Fest entschlossen schaute er ihn an. „Töte mich, Sebastian.“ Meine eigenen Worte hallten in meinen Ohren wider, so oft bis sich meine Stimme fremd anhörte. Sebastian schien es nicht anders zu ergehen, noch immer starrte er mich ausdruckslos an. Und noch immer ruhte mein Blick auf ihn. Ich wartete. Ich wartete auf irgendeine Reaktion, doch es schien mir, als wolle mein Dämon meine Geduld testen. Genau diese war ich gerade dabei zu verlieren, als endlich etwas passierte. „Ein schönes Stück habt Ihr in Euren Händen.“, lächelte er anerkennend, „Ich habe schon viele Geschichten über dieses Schwert gehört, hatte jedoch noch nie die Ehre es mit eigenen Augen zu sehen.“ Die Geschichten, die er meinte, kannte ich selbst. Und sie waren alle wahr. „Es wird erzählt“, fuhr mein allwissender Butler fort, als ich nicht antwortete, „dass dieses Schwert die Fähigkeit hätten, Dämonen aus einem Lebewesen auszutreiben, wenn man es damit durchbohrt. Vorwiegend im 18. Jahrhundert wurde es benutzt, um von Dämonen besessene Menschen zu erlösen. 180 Jahre später verschwand es plötzlich spurlos.“ Ich nickte. „Ferner erzählt man sich“, sprach Sebastian weiter, „dass Dämonen, die von diesem Schwert verletzt werden, und sei es eine noch so kleine Wunde, sterben. Wenn das dämonische in ihnen ausgetrieben wird, bleibt nichts als eine Hülle zurück.“ Erneut nickte ich. „Sehr richtig. Und du wirst mich nun damit durchbohren.“ Mit einem Blick, der mir klar und deutlich sagte, dass Sebastian glaubte, dass ich den Verstand verloren habe, antwortete er mir: „Ihr wisst nicht, was für einen absurden Wunsch, Ihr gerade eben geäußert habt, junger Herr. Lasst uns heimkehren. Ich werde Euch einen Assam mit viel Milch-“ „Sebastian!“, unterbrach ich ihn. Er verstand mich nicht. Er hielt alles für einen Witz und ich konnte es ihm noch nicht einmal übel nehmen. „Ich meine es ernst!“, rief ich laut, „Ich meine es todernst!“ „Junger Herr..“ „Hör mir zu!“, fahre ich ihn schroff an. Was muss mich dieser Dämon immer unterbrechen? „Vielleicht werde ich sterben. Vielleicht auch nicht. Schließlich bin ich kein geborener Dämon, sondern nur einer, der zu einem gemacht wurde. Wenn dieses heilige Schwert wirklich von Dämonen besessene Menschen errettet haben soll, wird es mir vielleicht auch meine menschliche Seele und meine Existenz als Mensch zurückgeben!“ Spott und blanker Hohn zierte das stolze Gesicht meines Butlers und ich fühlte mich ausgelacht. Ich konnte seine Gedanken, die Gedanken jeden Dämons hören, die verächtlich auf mich runterschauten. Ich war ein schwächlicher, gebrechlicher und vergänglicher Mensch, der zu einem starken, unsterblichen und mächtigen Dämon gemacht wurde und scheine mir nichts Sehnlicheres zu wünschen als wieder dieser kleine Elendshaufen zu sein, den ich vorher war. „Junger Herr, wir sollten gehen. Euch tut die Luft hier nicht gut.“ Ohne sich weiter auf meine, aus seiner Sicht, Hirngespinste einlassen zu wollen, drehte er sich zum Gehen wortlos um. Ich seufzte und lächelte zugleich. „Sebastian.“ Er blieb stehen. „Das war ein Befehl.“ Und drehte sich um. „Ihr könnt diesen Befehl nicht mehr zurücknehmen, junger Herr.“ Ich lachte verächtlich. „Nun sag mir nicht, dass ich dir fehlen würde oder dass es dir gar Spaß gemacht hat, mir zu dienen ohne jegliche Aussicht auf eine Seele. Sei lieber froh über diese Anweisung! Wenn ich sterbe bis du mich los und wenn ich nicht sterbe, bekommst du meine Seele! Ist das nicht eine wundervolle Aussicht?“ Mit diesen Worten warf ich ihm das Schwert zu, welches er mit einer fließenden Bewegung wieder auffing. Er starrte eine Zeit lang die Waffe in seiner Hand an und lächelte. Lächelte wirklich. Lächelte wirklich dieses wirkliche Lächeln, das er früher immer gelächelt hatte, wenn er mal wieder dachte, was für ein besonderer Mensch ich war. Langsam, fast schon bedächtig, ging er auf mich zu. „Ihr habt nicht Unrecht, das ist wirklich eine wundervolle Aussicht. Ich frage mich, ob sich Euer Dämonendasein auf den Geschmack Eurer Seele ausgewirkt hat.“ Ha. Das war natürlich das Erste, woran ein Teufel wie er denken konnte. „Dennoch bin ich mir sicher, dass es ein wundervolles Mahl wird.“ Er stand nun direkt vor mir. Ich musste meinen Kopf in den Nacken legen, damit ich ihm weiter ins Gesicht sehen konnte. Ich wusste, dass er es nicht mochte, aber ich ließ meine Augen tiefrot werden und dann aufleuchten. Es wird das letzte Mal sein, dass er mich damit sah, also soll er sich nicht so haben. Außerdem wird er so oder so bekommen, was er will: Seine Freiheit. Ich sah, wie sich die Augen meines jungen Herrn rot färbten und belächelte dies. Jetzt, wo ich wusste, dass sowieso bald alles ein Ende haben wird, hasste ich diese Farbe nicht mehr, egal, was sie vor kurzem noch für mich bedeutet hatten. Ich hob meine Arme über den Kopf, bereit zuzustoßen. Ich lächelte. Er lächelte. Wir lächelten. „Tschüss.“, murmelte ich, da ich einen kleinen Abschied angemessen fand. Egal, ob der junge Herr nach dieser Aktion noch lebte, den Dämonen Ciel wird es nicht mehr geben. Das Lächeln meines Meisters wurde noch breiter und ich ließ meine Arme hinab sausen. Blut spritzte. Blut spritzte überallhin. Blut spritzte auf Sebastians Gesicht. Blut spritzte auf Ciels Gesicht. Blut floss. Blut floss überallhin. Blut befleckte. Blut befleckte Sebastians Kleidung. Blut befleckte Ciels Kleidung. Die Augen des Herrn weiteten sich. Im ersten Moment hatte der Junge seine Wirbelsäule durchgestreckt, im Zweiten krümmte er sich vor Schmerz. Er fiel schreiend auf die Knie und legte sich wenig später vollends hin, um sich auf dem Boden vor Pein zu winden. Sebastian sah währenddessen unschlüssig zu, nicht wissend, was zu tun war. Als guter Butler musste er seinem Herrn beistehen, irgendwie versuchen, sein Leiden zu lindern, doch genauso gut wusste er, dass der Junge nicht reagieren wird, nicht reagieren kann und dass es überhaupt sinnlos ist, ihm helfen zu wollen. Also blieb er reglos stehen. Das Einzige, was er tat, war in die Hocke zu gehen und zu warten. Warten bis die Schmerzen vorbei waren, um dann zu sehen, was von seinem Herrn übrig blieb. Ein Teil wünschte sich, nein, das war weit untertrieben und Sebastian gab es in diesem Moment auch selbst zu, sein ganzes Selbst wünschte sich, dass sein Herr als Mensch zurückkehrte. Es wäre sehr bedauerlich, wenn er jetzt wirklich sterben sollte. Er hatte damals vor 176 Jahren, als er und Ciel sich zum ersten Mal begegneten, sehr viel Gefallen an seiner Seele gefunden und mit der Zeit wohl auch an seiner Persönlichkeit. Ja, jetzt, wo er wusste, dass bald alles enden wird, konnte er den Gedanken wieder zulassen: Er, Sebastian Michaelis, hatte den Menschen, Earl Ciel Phantomhive, wirklich gemocht. Und er, ein mächtiger Teufel, hatte durchaus Gefallen daran gefunden, ihm, einem gebrechlichen Menschen, zu dienen. Und ja, ihn hatte die Aussicht, ihm eine Ewigkeit dienen zu müssen, wirklich geärgert. Weil er ein stolzer Dämon war. Weil er die abwertenden Blicke der anderen Dämonen nicht ignorieren konnte. Weil er den Menschen in ihm einfach vermisst hatte. Sebastian seufzte und nach ein paar weiteren Minuten weit entfernter Stille wurde Ciel allmählich ruhiger. Bis er schließlich völlig bewegungslos dalag. Noch bevor ich die Augen öffnete, spürte ich, dass mich jemand ganz nah bei sich trug. Ich merkte, dass ich atmete. Ich merkte, dass ich atmen musste. Ich atmete den einzigarten Duft der Person ein, die mich ganz fest im Arm hielt. Ich spürte Wärme. Ich spürte die Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Ich spürte, dass ich mich bewegte und wünschte, ich würde mich dem Licht entgegenbewegen. Die Person, die mich trug, hielt an. Langsam wurde ich auf etwas hartem, kaltem abgesetzt. Zögerlich öffnete ich die Augen und erkannte, dass es eine Bank war, auf der ich mich nun befand. Ich erkannte, dass ich schon mal auf dieser Bank gesessen hatte. Vor einer langer, langer Zeit. „Ihr seid wach, junger Herr?“ Ich hob meinen Kopf ein wenig und erkannte meinen Butler, der mich genau wie früher ehrlich anlächelte. Ich hatte mich nicht vertan. Ich war wieder ein Mensch. „Sebastian.“, flüsterte ich „Ihr seid außergewöhnlich, junger Herr.“ „Mhm“ Ich schaute hoch und sah einen blauen Himmel. Welch‘ Ironie. Die Unterwelt war stets von einem roten Himmel bedeckt, aber ausgerechnet auf der Insel des Todes, war dieser wieder blau. Anscheinend wollte man die Menschen, die hierher kamen, nicht verschrecken. Mein Blick richtete sich wieder auf Sebastian, der mich immer noch anlächelte. „Der Rest meiner Seele gehört dir.“, wiederholte ich meine Worte von damals. „Das war vom jungen Herrn zu erwarten. Ihr seid freundlich.“ Auch er sprach die schon einmal gesagten Worte aus und auf irgendeine komische Art und Weise kam in mir Nostalgie auf. Statt der jetzt kommenden Frage, ob es wehtun wird, sagte ich stattdessen: „Hast du es in den letzten Jahren jemals bereut, mit mir einen Vertrag abgeschlossen zu haben? Oder mich nicht seelenlos zurückgelassen zu haben? Oder gegen Claude gewonnen zu haben?“ Sebastian schaute mich verwundert an, so wie er es immer tat, wenn ich etwas machte, was er so nicht erwartet hätte. Er schien nachzudenken. „Nun..“, setzte er an, „Ich gebe zu, Euch in den letzten Jahren sehr oft gedanklich verflucht zu haben, aber ob ich all diese Dinge jemals bereut habe.. das kann ich euch nicht beantworten. Das Einzige, was ich wirklich bedauerte, war es, mich bestohlen lassen zu haben, aber jetzt, wo ich weiß, wie es ausgehen wird, verlieren all diese Gedanken an Sinn.“ Ich ließ mir seine Worte durch den Kopf gehen, ohne zu wissen, was es mir nun brachte, das gehört zu haben. Ich schloss die Augen, die letzten Sonnenstrahlen und Sekunden meines endlich wieder menschlichen Lebens genießend. Ja, ich war Ciel Phantomhive. Nur Ciel Phantomhive. Ein kleiner Junge, der seine Eltern verloren hat und 176 Jahre zu spät sterben wird. Ein unbedeutender Mensch, der viele andere unbedeutende Menschen in seinem unbedeutenden Leben kennengelernt hat. Dennoch wurde dieser Mensch geliebt und er hatte versucht zurückzulieben. Irgendwie. „Bitte erlaubt mir, Euch eine letzte Frage zu stellen.“ Ich nickte als Zeichen dafür, dass er meine Erlaubnis hatte. „Warum heute? Warum wollt Ihr, dass ich Euch heute die Seele nehme? Warum nicht morgen? Warum nicht nie?“ Ich schlug die Augen auf, um ihm zu antworten. „Heute vor genau 173 Jahren waren wir das letzte Mal hier. Ich wollte, dass du an dem gleichen Tag das zu Ende bringst, was du damals angefangen hast. Das Schwert habe ich vor einem halben Jahr erhalten und seit dem stand für mich fest, dass ich heute sterben werde. Denn ich habe längst keinen Grund mehr zum Leben. Die Menschen, die mich damals in den Abgrund der Finsternis gestürzt hatten, sind tot. Und die Menschen, die für mich Sympathie empfanden, sind ebenfalls tot. Meine Existenz diente nur noch dazu, dass du meine Seele verschlingen kannst, doch das konntest du ja nicht mehr, seitdem ich zu einem Dämon geworden bin. Also bestand meine Aufgabe darin, einen Weg zurück zu finden. Einen Weg wieder ein Mensch zu werden.“ „Ihr wolltet also nur noch sterben.“, stellte Sebastian nüchtern fest. Die gewählten Worte klangen so, als wöllte ich Selbstmord begehen, weil ich das Leben nicht mehr aushielt, weil ich zu schwach war, um damit fertig zu werden, doch wir Beide wussten es besser. Meine Zeit war einfach schon lange abgelaufen und ich hatte kein Recht mehr auf ein Leben. Und ich schuldete jemandem noch meine Seele. Dieser Jemand stand noch immer lächelnd vor mir, als hätte er mich nach langem Suchen endlich wiedergefunden. „Falls Ihr unsere drei Herrschaften wiederseht, wegen denen sich Euer Tod so lange verzögert hat, dann seid so freundlich und richtet ihnen aus, dass ich Eure Seele doch noch erhalten habe.“ Ich lächelte. Es würde die Dreien unsagbar ärgern. „Ich verspreche es.“ Die Gesichtszüge meines Gegenübers wurden sanfter. „Auf Wiedersehen, junger Herr. Vielleicht sehen wir uns eines Tages wieder.“ Ein Abschied. Ich erwiderte nichts darauf. Sebastian kam näher, seine Augen nahmen wie beim ersten Mal eine purpurne Farbe an, während ich die meinen schloss. Kein Shinigami wird mir meine Vergangenheit zeigen, doch in meinem Kopf dachte ich an die schönen Kindertage zurück. Sie waren nicht gestochen scharf, wie ich sie beim Cinematic Record gesehen hätte, nur verschwommen und blass, aber es reichte mir. Ich dachte an all das Gelächter, dass damals unser Haus gefüllt hatte, ich dachte an meine geliebte Mutter, an meinen geliebten Vater und an meine geliebte Tante. Ich dachte an das viele kaputte Geschirr durch Maylenes Tollpatschigkeit, an die vielen zerstörten, weisen Rosen durch Finnys Bärenkräfte und an einige nicht schöne Bauchkrämpfe durch Bards Kochkünste. Ich dachte daran, dass ich Lust auf Tee von Sebastian hätte und dass ich irgendwie gerne mit Lizzy tanzen würde. Ich dachte daran, dass ich mir hätte mehr Zeit lassen sollen. Wieso hatte ich es so eilig damit, die Mörder meiner Eltern ausfindig zu machen? Sie wären mir nicht weggerannt, ich hätte öfters die Arbeit vergessen und die Sonne genießen sollen. Ich dachte an Sebastians Lippen, die sich auf die meinen legten. ______________________________________________________________________ Hallo :3 danke fürs Lesen! Ich hatte nach dem Schreiben irgendwie das Gefühl, dass das Ende verdammt nach OoCness riecht, wollte gleichzeitig aber nichts mehr ändern, weil.. ja. Irgendwie mag ich das Ende trotzdem. Und falls jemand Shonen- ai hints sieht, dem sei gesagt, dass ich mich der Serie/ Manga nur anpassen wollte xD Liebe Grüße Hikaru Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)