White Velvet von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 5: -Smell- ------------------ „Sag mal, Ryou, bilde ich mir das ein, oder bist du irgendwie ein bisschen nervös?“, ermittelte Mokuba neugierig. Sie hatten sich vor einer Stunde zum Lernen zusammengesetzt und Ryou bekam es einfach nicht auf die Reihe, sich nichts anmerken zu lassen. Es war das erste Mal, seit er dieses Abkommen mit Kaiba hatte, dass ihm das Zusammensein mit Mokuba unangenehm war. Vor allem, wo er diesen besonderen … Auftrag, wenn man es so nennen mochte, von Kaiba bekommen hatte. Er fühlte sich absolut niederträchtig und dann wusste er nichtmal, wie er überhaupt anfangen sollte. Immerhin konnte er nicht einfach so fragen: ‚Ey, Mokuba, was geht ab mit dir, dein Bruder hat gesagt, ich soll dich mal eben ausspionieren, weil er das selbst nicht auf die Reihe kriegt…‘ Eigentlich hatte er darauf abgezielt, Mokuba in einem nachdenklichen Moment zu erwischen, in dem er darauf überleiten konnte, aber nichts. Wenn Mokuba ein Problem hatte, so ließ er sich zumindest nichts anmerken. „W-was, nein, ich bin nicht nervös!“ „Sag mal, wie geht’s eigentlich Amane-chan?“, fragte Mokuba dann, für den das Thema erledigt schien. „Uhm, naja, wie es ihr eben immer geht. Sie hat mal Hochs und mal Tiefs. In der letzten Zeit sind es zwar mehr Hochs, aber du weißt ja, wie schnell das umschlagen kann.“ Ryou hatte beinahe vergessen, dass Mokuba und Amane immer sehr gut befreundet gewesen waren, sie waren zusammen in einer Klasse gewesen, da das Mädchen aufgrund ihrer Krankheit und der dadurch bedingten Fehlzeit ein Jahr hatte wiederholen müssen, und wenn Mokuba bei Ryou zum Lernen war, dann besuchte er sie immer bevor er ging. Amane freute sich immer sehr über diese Besuche, denn Mokuba schaffte es immer auf eine ganz besondere Art, ihr zu zeigen, was für ein wundervolles Mädchen sie war. Ryou glaubte sogar tatsächlich, wenn die Umstände anders gewesen wären, hätten die beiden ein Paar werden können und er hätte sich wirklich für sie gefreut aber er glaubte auch, dass Amane womöglich oder mit ziemlicher Sicherheit nicht die Kraft für eine Beziehung hatte und auch, wenn es hart klang, ein Teenager in Mokubas Alter konnte man wirklich keine todkranke Freundin zumuten. Ryou war mit Amanes Krankheit, die sich schon lange zog, quasi aufgewachsen. Mokuba nicht. Das Wetter war schön heute, sie waren nach der Schule zum Lernen in den nahegelegenen Park gegangen, Ryou war nämlich der Auffassung, dass das Lernen an der frischen Luft um Einiges produktiver war und mehr Spaß machte. Mokuba machte Lernen zwar nie Spaß, aber draußen war es doch erträglicher. „Ich muss sie echt bald mal wieder besuchen“, sagte Mokuba gedankenverloren. „Ich hab schon ein ganz schön schlechtes Gewissen, aber in der letzten Zeit … Ich weiß auch nicht.“ Mokuba strich sich eine vorwitzige Franse aus dem Gesicht, die sich aus seinem Zopf gelöst hatte und sah Ryou schuldbewusst an. Der lächelte. „Das brauchst du nicht. Komm doch die Woche mal nach der Schule mit mir nachhause, dann kannst du ihr Hallo sagen.“ Mokuba lächelte. „Und sie ist mir wirklich nicht böse, meinst du?“ „Quatsch …“, dann fiel ihm etwas auf. „Sag mal, was meintest du eben mit in der letzten Zeit? Ist etwas vorgefallen?“ Ryou war im Inneren unglaublich stolz auf sich, nun doch noch eine gute Überleitung gefunden zu haben. Mokuba wurde wieder nachdenklich. So hatte er den anderen Teenager noch nie erlebt und er studierte aufmerksam dessen Mimik. Mokuba verschränkte langsam die Arme hinter dem Kopf und ließ sich dann zurück auf die Decke sinken, auf der sie saßen. Einen Moment starrte er nachdenklich in den Himmel. Er schien mit sich zu ringen, ob er mit Ryou sprechen sollte, oder nicht und Ryou hoffte irgendwie insgeheim, dass er sich dagegen entschied, damit er nicht gezwungen war, Kaiba davon zu berichten und daraufhin in einem Sumpf aus Selbsthass zu versinken. „Naja, weißt du …“, begann der Junge zögerlich, „Alle denken immer, mit 15 hat man keine Sorgen. Seto zum Beispiel. Der hat nur seine Firma im Kopf, Leistung, Geld und lauter anderen Erwachsenenkram. Das war aber schon immer so. Früher vielleicht nicht so krass wie heute, ich weiß auch nicht. Ich hab oft das Gefühl, da ist so viel, das er mir verschweigt und er hält mich auf Distanz. Gleichzeitig verlangt er von mir … naja, blinden Gehorsam würde ich es nicht direkt nennen, aber es kommt dem schon irgendwie nahe. Er will immer, dass ich genauso perfekt funktioniere, wie er, aber das kann ich einfach nicht und das macht mich wütend.“ Ryou nickte langsam. Beinahe hätte er etwas zu Kaibas Verhalten gesagt, aber damit hätte er sich auf fatalste Weise verraten. So ließ er Mokuba einfach reden. Es war ja nicht nur, weil er von Kaiba diese Order bekommen hatte – es interessierte wirklich, was den Jungen bedrückte, immerhin waren sie trotzdem noch irgendwo Freunde. Mokuba richtete sich wieder auf und kramte in seiner Tasche herum. Ryou bekam große Augen, als er ein Zigarettenpäckchen zu Tage förderte. „D-du rauchst? Du bist viel zu jung dafür!“ Mokuba schnaubte nur. „Du mit deinen 17 bist auch noch nicht volljährig, oder? Also hast du kein Recht, mir ne Standpauke zu halten“, dabei zwinkerte er Ryou schelmisch zu und der seufzte grottentief und meinte dann: „Dann gib mir wenigstens auch eine, damit ich mich jetzt nicht aufregen muss.“ Mokuba lachte verhalten und hielt Ryou dann das Päckchen hin. Der nahm sich eine und ließ sich dann Feuer geben. „Weißt, da ist halt noch eine andere Sache … ich … hab vor ein paar Wochen nachgedacht und da musste ich an Noah denken und irgendwie hatte ich plötzlich das Gefühl, dass er alleine dort in dieser ätzenden Klinik hockt und eigentlich niemanden hat, keine Freunde, keine Familie, das … das ist einfach nicht richtig. Er tut mir echt leid. Ich … ich hab ihm geschrieben. Ich weiß nicht, wie Seto darauf reagieren würde, ich bezweifel, dass er begeistert darüber wäre, also bitte sag ihm nichts davon, okay? Naja, Noah hat mir geantwortet und seitdem haben wir ein bisschen Briefkontakt. Ich wollte nicht anrufen, weil mein Handyvertrag über Seto läuft und dieser furchtbare Kontrollfreak lässt sich von jedem Telefon, das wir besitzen, monatlich die Rufnummern Auflistung schicken und naja, die Klinik ist nicht direkt in Domino, das ist ne Spezialklinik und eine Nummer von außerhalb würde Seto bestimmt auffallen… Merkwürdigerweise ist das bei Briefen nie so. Um seine Post kümmert er sich ja nichtmal selbst. Nur unser privater Buchhalter und der hält dicht.“ Ryou nickte. Er erinnerte sich zwar kaum an Noah Kaiba, aber seine Geschichte konnte er unmöglich vergessen. Das konnte keiner. Er hatte allerdings kaum noch an ihn gedacht. Aus den Augen aus dem Sinn und Ryou hatte genug eigene Probleme gehabt. Allerdings verstand er Mokuba. Noah war immer noch irgendwo sein Bruder und Familie war Familie, egal, was vorgefallen war. „Ich versteh dich, Moki, ehrlich…“, sagte er langsam und der Teenager fuhr fort. „Ich habe ihm geschrieben, dass ich ihm die Sache von damals nicht mehr vorwerfe und als er geantwortet hat, hat er geschrieben, dass es ihm leid tut, was passiert ist und dass er sich sehr darüber freut, dass ich Kontakt mit ihm aufgenommen habe …“ Mokuba zuckte mit den Schultern. „Ich würd ihn so gern mal besuchen, aber das ist außerhalb und ich hab keine Ahnung, wie ich das anstellen soll, ohne, dass es auffällt, dass ich länger weg bin.“ Darauf wusste Ryou auch keinen Rat. Aber all das, was Mokuba ihm da offenbart hatte, erklärte Setos Verdacht … Nanu, seit wann nannte er ihn denn gedanklich beim Vornamen? Kaibas Verdacht, dass in Mokuba etwas vorging, was er ihm wohlweislich verschwieg. Und alles in Ryou wehrte sich dagegen, das, was er gerade gehört hatte Kaiba zu sagen, es war … etwas so Vertrauensvolles und er fühlte sich bereits jetzt hundsmiserabel. Ryou brauchte dann tatsächlich auch fast eine Woche um sich zu überwinden, zu Kaiba zu gehen. Er wollte selbstverständlich nicht auf privatem Raum mit ihm sprechen, immerhin wäre es äußerst fatal, wenn Mokuba die beiden erwischte, also entschloss er sich todesmutig einfach ohne Vorankündigung in der KC aufzuschlagen. Zuvor in der Woche hatte er sich allerdings Kaibas Auflage, wenn man es so nennen mochte, zu Herzen genommen und hatte sich einen ganzen Schwung neuer Kleidung gekauft. Er war bewusst in die Läden gegangen, um die er zuvor ansonsten einen großen Bogen gemacht hatte, weil man sich dafür ein Hemd und eine Hose schon einen gebrauchten Kleinwagen hätte leisten können. Aber jetzt, wo er das Geld in der Hand gehabt hatte von Kaibas Scheck, war er tatsächlich auf den Geschmack gekommen. Jetzt kam er auch nicht mehr so vergammelt vor in seinen Ottonormalklamotten. Gerade trug er ein weißes Seidenhemd, das wie angegossen seine schlanke Taille umschmeichelte, den oberen der versilberten Knöpfe hatte er aufgelassen, was zwar sexy, aber nicht strichermäßig wirkte und der weiße Stoff der Hose war auch eine äußerst angenehme Abwechslung zu den groben Jeans, die er (wie jeder andere Teenager in seinem Alter auch) sonst immer trug und die hellbraunen Schuhe, die er gegen seine zerlaufenen Chucks eingetauscht hatte, ebenfalls Designerstücke, rundeten das alles nochmal ab. Insgesamt fühlte er sich nicht mehr so auffällig unter den ganzen Businessmenschen. Diesmal ohne Vorankündigung machte er sich auf den Weg die Treppen hinauf, merkwürdigerweise hielt ihn der Sicherheitsmann, der für diesen Bereich positioniert war, gar nicht auf. Hm. Hatte Kaiba etwa Anweisung gegeben, ihn durchzulassen, oder hatten die einfach nur so viel zu tun, dass man ihn nicht bemerkte? Er zuckte innerlich die Schultern und ging zum Aufzug. Wie neulich war in dem Stock, in welchem Kaiba sein Büro hatte nicht viel los und Mai schaute ihn überrascht an. „Kann ich zu Herrn Kaiba? Ich … er … Ich muss mit ihm sprechen…“ „Das geht jetzt leider gerade nicht, er führt gerade noch ein wichtiges Telefongespräch und danach hat er ein Meeting. Ich weiß jetzt auch nicht, wie lange das dauern wird, aber wenn du möchtest, kannst du in der Business-Lounge ein Stockwerk tiefer einen Kaffee trinken, oder so. Sag, Mai schickt dich, dann brauchst du nichts zu bezahlen, das geht schon in Ordnung.“ Ryou nickte. Wenn er schonmal hier war, dann konnte er sich auch ruhig auf Kaibas Kosten mal gut gehen lassen. Also ging er die Treppen hinunter eine Etage tiefer. Die Lounge war nicht zu übersehen. Es gab einen Tresen, an welchem Kaffee und teurer Konditorei Kuchen, sowie Drinks ausgegeben wurden, in dem Raum standen mehrere Glastische an denen man arbeiten konnte. Das hier war wohl Geschäftspartnern und führenden Angestellten vorbehalten. Ryou staunte tatsächlich nicht schlecht. Dieser Luxus begann wirklich, ihm zu gefallen. Ryou ging zum Tresen, an welchem eine sehr korrekt gekleidete, hübsche junge Dame arbeitete. Gerade servierte sie einem Mann, welcher ebenfalls am Tresen saß, eine Tasse … Mokka? Das erkannte Ryou an der Tasse. Schon witzig, wie man in manchen Kreisen darauf achtete, dass jedes Getränk ein eigenes Gefäß bekam. Der Mann allerdings fiel Ryou sofort auf in seiner Erscheinung. Er war auf keinen Fall ein Japaner. Er war recht groß, größer als Kaiba sogar noch, braungebrannt und hatte weißes Haar. Gekleidet war er in einen teuren Designeranzug und Ryou hatte sofort das Gefühl, dass dieser Mann von absolut großer Wichtigkeit war. Er wartete in einigem Abstand, bis die Bedienung fertig war, dann stellte er sich an den Tresen und versuchte sich seine Einschüchterung dabei nicht anmerken zu lassen. „Ähm … Mai schickt mich, sie … ähm hat gesagt, ich …“ Die Frau lächelte. „Schon in Ordnung. Was darf ich dir geben?“ „Ich glaube … habt ihr hier Chai Latte?“ „Ja, natürlich. Einen Moment bitte.“ Ryou lehnte sich mit einem Ellenbogen leicht an die Theke, während er wartete. Dabei folgte er mit den Augen der jungen Frau bei ihrer Tätigkeit. Allerdings fiel ihm plötzlich noch etwas anderes auf. Und zwar wurde er beobachtet. Bildete er sich das nur ein? Ryou riskierte einen flüchtigen Blick zur Seite – und starrte schnell wieder nach vorne, als ihm zwei dunkle Augen begegneten in Kombination mit einem spitzbübischen Lächeln. „Nana, nicht so schüchtern, Twink, du kannst mich ruhig anschauen“, ertönte eine angenehme, rauchige Stimme mit arabischem Akzent, woraufhin Ryou seinen Kopf leicht verlegen wieder zu dem Mann drehte. „W-wie haben Sie mich gerade genannt?“, erwiderte er, so freundlich, wie möglich, ein verlegenes Lächeln auf den Lippen. „Ich denke, du hast schon richtig gehört, mein Junge“, schnurrte der ausländische Geschäftsmann, „Arbeitest du für Kaiba?“ „Sonst wär ich wohl kaum hier“, erwiderte Ryou, den diese Konversation, wie immer, wenn er mit wichtigen Leuten sprach, leicht nervös machte. „Tatsächlich. Für was beschäftigt er dich denn?“ Mit einem Schlag fiel Ryou alles aus dem Gesicht. Mist. Verdammter Mist. Das hatte er ganz vergessen. Jetzt musste er sich schnell etwas einfallen lassen. „I-ich, also, bin sozusagen … ich … assistiere ihm…“ Der Mann bedachte ihn mit einem wissenden Blick. „Privatassistent, was?“, damit zwinkerte er ihm zu und Ryou hatte urplötzlich den leisen Verdacht, dass dieser Kerl, wer immer er auch war, Bescheid wusste. „Wie heißt du, mein Junge?“ „Ryou.“ „Ryou … Ryou…“ Er wiederholte seinen Namen, sprach ihn aus, als ließe er sich gerade Honig auf der Zunge zergehen und Ryou konnte nicht umhin, als sich von der Art dieses Mannes eingenommen zu fühlen. „Akefia Wahwadi-“ er streckte ihm die Hand hin und Ryou ergriff sie, runzelte dann die Stirn, als er etwas in der Hand spürte. „Meine Karte“, sagte der Mann sanft. „Ich bin noch eine ganze Weile in Domino City und würde die Gesellschaft eines so reizenden jungen Mannes sehr begrüßen.“ Ryou lächelte. Er fühlte sich geschmeichelt. „Wer weiß“, antwortete er und stieg auf den unerwarteten Flirt, der sich ihm bot, ein. „Wenn ich von Herrn Kaiba nicht zu sehr eingespannt werde, Sie müssen wissen, er ist sehr … einnehmend.“ Unbewusst war ihm diese Zweideutigkeit über die Lippen gerutscht, aber einmal ausgesprochen war sie ohnehin nicht mehr rückgängig zu machen. Wahwadi lachte. „Oh, das kann ich mir gut vorstellen.“ Während sie sich noch etwas weiter unterhielten, stellte Ryou fest, dass ihm dieser Akefia Wahwadi äußerst gut gefiel. Nicht nur, dass er gut situiert war, er war überaus attraktiv und charmant und ihm blitzte ständig der Schalk im Auge. Kurzum, er hatte einfach Charisma. Vor allem hatte er etwas, das Kaiba fehlte: Einen Hauch von Wärme. Kaiba ging mit einem seiner Assistenten, der ihm den Aktenkoffer stetig hinterhertrug in Richtung der Business Lounge. Normalerweise war es nicht seine Art, sich zu verspäten und eigentlich war es auch nur eine Verspätung von wenigen Minuten, die im Grunde kaum der Rede wert war, aber er hasste es trotzdem. Als er jedoch die Lounge betrat, stach ihm etwas Merkwürdiges ins Auge. Wahwadi war bereits da, allerdings war er nicht alleine. Es war kein geringerer als Ryou, der da bei ihm auf einem der langen Hocker saß und sich offensichtlich prächtig zu amüsieren schien. Kaiba war unbewusst stehen geblieben. Wahwadi schrieb etwas auf die Rückseite einer Visitenkarte oder Ähnliches und schob diese Ryou dann zu, der sich bedankte und sie dann einsteckte. Dann unterhielten sie sich weiter – Ryou schien sich zu amüsieren. Er lachte, lächelte, unbeschwert, spielte dabei an seinen Haaren, wie ein billiges Flittchen. Jetzt strich Wahwadi ihm noch eine Strähne aus dem Gesicht. Was sollte das? Ryou hatte sich gefälligst nicht von irgendwelchen schleimerischen Geschäftsleuten um den Finger wickeln zu lassen. Oder gar anfassen zu lassen. Außerdem war er sein Flittchen. Unbewusst knirschte er mit den Zähnen, dann ging er weiter, die überraschten Blicke seines Assistenten ignorierend, aber fürs Ignorieren hatte er ohnehin ein Talent. „Herr Wahwadi“, sagte er schließlich steif, die beiden mitten in einer Unterhaltung störend. „Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie habe warten lassen, ich hatte leider noch ein wichtiges Telefonat zu führen.“ Wahwadi grinste schief und ergriff die dargebotene Hand. „Nicht der Rede wert. Die Wartezeit wurde mir angenehm versüßt.“ Dabei ruhte sein Blick einen Moment auf Ryou und für Kaibas Geschmack einen Moment zu viel. Er wies seinen Assistenten an, auf einem der Glastische, bei dem sie nachher Platz nehmen wollten, schon einmal alles vorzubereiten, sagte Wahwadi, er käme in zwei Minuten nach und als dieser sich umgedreht hatte, um von Kaibas und zudem seinem eigenen Assistenten begleitet zu dem bereits vorbereiteten Tisch zu gehen. Kaum, dass Wahwadi ihnen den Rücken zugedreht hatte, hatte Kaiba Ryou grob am Oberarm gepackt und zog ihn aus dem Raum hinaus auf den Gang, wo sie etwas sichtgeschützter waren und schubste ihn erbost gegen die Wand. „Was fällt dir eigentlich ein?“ Ryou blickte ihn verwirrt an und dieser unschuldig-ratlose Blick, was bitte er denn falsch gemacht haben sollte, machte Kaiba gerade noch wütender. „W-was…?“ „Du weißt genau, was ich meine!“ Kaiba schnappte nach Luft, bemühte sich, seine alte Fassung wieder zu erlangen. „Was sollte die Flirterei mit Wahwadi? Ich kann es nicht gebrauchen, dass du hier rumtänzelst und meinen Geschäftspartnern den Kopf verdrehst. Abgesehen davon, was hast du hier zu suchen!? Ich hab dich nicht herbestellt.“ Nanu? Kaiba störte sich daran, dass er mit Akefia gesprochen hatte? Bildete er sich das ein, oder hatte er da gerade den Hauch von Eifersucht herausgehört? Wie untypisch für Kaiba, dachte er ironisch, dann entsann er sich der Frage, die man ihm gestellt hatte, den Griff Kaibas um seinen Oberarm noch deutlich spürend. „Du wolltest doch, dass ich mit Mokuba spreche, jetzt hab ichs getan und es ist dir auch nicht recht!“, erwiderte er vorwurfsvoll, wünschte sich jedoch im nächsten Moment, es nicht getan zu haben, da Kaiba ihm eine Ohrfeige gab. Ryou japste überrascht – mit was hatte er die denn verdient? „Ich sag es dir nur einmal noch – untersteh dich, mir noch einmal freche Antworten zu geben!“ „Es tut mir leid“, sagte Ryou beschwichtigend, den pochenden und brennenden Schmerz in der Wange spürend. Er musste sich gerade wirklich zusammen nehmen um nicht irgendeine beleidigte Antwort zu geben, dafür stand zu viel auf dem Spiel. „Ich hab … eben herausgefunden, was mit Mokuba los ist und ich dachte, du solltest das wissen. Allerdings bin ich mir nicht sicher, ob ich dir das hier zwischen Tür und Angel sagen sollte.“ Kaiba warf einen Blick in Richtung seines Geschäftspartners, dann wandte er sich wieder Ryou zu. Der heute außerordentlich hübsch aussah, wie er beiläufig feststellen musste. Ein Blick in die warmen braunen Augen reichte aus um seinen ersten Groll etwas zu besänftigen. „Hör zu“, knurrte Kaiba etwas unwillig. „In etwa drei Stunden bin ich hier fertig, warte später beim Aufgang der Garage, meine Limousine wird dich später mitnehmen.“ Ryou nickte wortlos. In der Zwischenzeit vertrieb er sich die Zeit, indem er durch die Innenstadt schlenderte – er hatte noch einen Rest von dem Geld, das Kaiba ihm gegeben hatte, übrig, also beschloss er, es sich in einem Massage Salon ein bisschen gut gehen zu lassen. Er war ohnehin so verspannt und die erfahrenen Hände, die ihm das angenehm duftende Öl in die Haut massierten, waren eine wahre Wohltat. Vielleicht war er dann nachher auch nicht mehr so verkrampft, wenn er mit Kaiba sprach. Dann ging er noch in dem teuersten Café der Stadt einen Kaffee trinken, der auch nicht anders schmeckte, als irgendwo anders und schließlich waren die drei Stunden auch schon wieder um. Wie von Kaiba gewünscht wartete er ein wenig abseits der Tiefgaragenauffahrt und tatsächlich – fünf Minuten, nachdem er sich dorthin gestellt hatte, fuhr die Limousine mit den dunkel getönten Scheiben die Auffahrt hinauf. Sie hielt kurz an und Ryou öffnete die eine Hintertür, um einzusteigen. Kaiba saß auf der linken Seite und blickte ihn nicht an. „Takahashi, fahren Sie solange durch die Gegend, bis ich Ihnen ein Ziel gebe. Und fahren Sie die Zwischenscheibe hoch, das ist ein Privatgespräch.“ Der Mann tat wortlos, was man ihm aufgetragen hatte und nachdem sie sich in den Straßenverkehr eingeordnet hatten, sagte Kaiba: „Nun?“ Ryou, der gerade noch vollkommen fasziniert von dem Inneren dieser Limousine gewesen war, denn das war das erste Mal, dass er in einer mitfuhr, hätte fast vergessen, warum er eigentlich hier war. Richtig. Er sollte seinen besten Freund verraten. „Also, wir haben uns ein wenig unterhalten, Mokuba und ich und naja, er hat mir schon ein paar Dinge anvertraut, aber …“ „Was aber?“ Kaiba hatte einen drohenden Unterton in der Stimme. Ryou seufzte. Er hatte jetzt schon Angst vor der Reaktion, denn sie waren hier auf engem Raum und wenn Kaiba ihm hier gegenüber einen Wutausbruch erlitt, konnte ihn das entweder dämmen, oder es konnte unangenehm für Ryou enden. Aber er nahm es in Kauf. Er schlang die Arme um den Oberkörper und kaute ein wenig auf seiner Unterlippe herum, ehe er antwortete: „Weißt du, ich habe auch eine Schwester. Gut, bei uns ist es etwas anderes, wir sind Zwillinge, aber ich tue alles dafür, dass es ihr gut geht, ähnlich wie du arbeite ich mir den Arsch dafür wund.“ Nur vielleicht auch im absolut wörtlichen Sinne. „Allerdings vergesse ich dabei nicht, dass sie ein Mädchen ist, das Gefühle hat und Ängste und Sorgen und ja, mir macht die Veränderung Angst, die in der letzten Zeit mit ihr vorgeht, aber deshalb schiebe ich sie nicht ab, sondern höre ihr zu und gehe auf sie ein.“ Kaiba hatte schweigend dem gelauscht, was Ryou zu sagen hatte. Ein verkniffener Zug hatte sich dabei um seine Mundwinkel breit gemacht. Allerdings schwieg er. Noch. „Weißt du, ich … weiß, ich habe nicht das Recht dir in irgendetwas reinzureden, das ist mir klar und ich nehme jede Strafe dafür in Kauf, aber … wieso hast du nicht einfach mal versucht, dir Zeit für ihn zu nehmen? Bei allem, was er erzählt hat, konnte ich raushören, dass er sich gerade jetzt ziemlich von dir vernachlässigt fühlt. Vielleicht solltest du dir einfach etwas mehr Zeit nehmen, anstelle … jemanden, wie mich auf ihn anzusetzen.“ Eisiges Schweigen. Ryou erhielt keine Antwort und das machte ihn fast nervöser, als, wenn er ihm eine Strafe auferlegt hatte. Und irgendwie fühlte er sich gleichsam auch auf eine lächerliche weise schuldig. Er hätte sich eigentlich überhaupt nicht in diese Familiengeschichte einmischen dürfen. Er verstand auch Kaiba. Irgendwie. Die Eindrücke, die er bereits von dem Firmenchef hatte sammeln können, waren eben die, dass Kaiba in allem, was ihn umgab Perfektion erwartete, auch von sich selbst und das Wissen, in einer Beziehung seines Lebens versagt zu haben, konnte offensichtlich nicht akzeptiert werden. Ryou wagte einen scheuen Blick zur Seite. Kaiba sah weniger wütend, denn nachdenklich aus. Ryou überwand schließlich seine innere Angst, etwas Falsches zu tun und rückte näher zu ihm hin, seine Hand tastete sich vorsichtig an Kaibas rechten Oberschenkel heran, wo die Finger dann zärtlich die Innenseite krabbelten. „Bist du mir jetzt böse?“, wollte Ryou dann wissen. Er wollte nicht, dass Kaiba ihm böse war, dass sein Meister ihm zürnte. Kaiba wandte den Blick zur Seite und der entschuldigende und auch leicht sorgenvolle Blick Ryous begegnete ihm. Dieser Junge hatte so wundervolle, sanfte Augen, dieser Blick reichte schon aus, um ihn zu beschwichtigen und eigentlich wusste er, dass er ihn hätte bestrafen sollen, dafür, dass er sich so viel herausnahm, doch irgendwie war ihm in diesem Moment nicht danach. Irgendwie … was war das nur für ein Duft, der ihm in die Nase stieg, als Ryou begann, vorsichtig an seinem Hals zu knabbern. Es war ein Esoterischer Duft, frisch-süßlich und irgendwie wirkte er entspannend. Nein, er war nicht wütend. Nachdenklich, ja, aber nicht wütend. Er würde sich heute Abend seine Gedanken bezüglich Mokuba machen, dachte er, während er die zarten Bisse an seinem Hals, den lieblichen Geruch in seiner Nase genoss. Ryou verstand wirklich viel von dem, was er tat. Und er schaffte es tatsächlich, ihn um den Finger zu wickeln. Eine zarte Hand geisterte zum Gürtel herab und zog das Hemd aus der Hose um über den flachen durchtrainierten Bauch streicheln zu können und diese Berührungen verschafften Kaiba eine Gänsehaut. Diese wunderschönen sinnlichen Hände. Diese Hände sollten nur ihm zu Diensten sein. Schmetterlingsküsse an seinem Hosenansatz, während die Hände sacht an seinem Reißverschluss zupften. Diese Lippen … sollten von keinem anderen geküsst werden. Gedankenverloren vergrub er wenig später die Hand in dem weißen Haarschopf, während Ryou ihm hingebungsvoll einen blies. Vielleicht hatte Ryou Recht. Irgendwie … hatte er diesen Jungen unterschätzt. Und irgendwie … mochte er tatsächlich seine Art, ihm Widerworte zu geben. Er tat es, aber er blieb dabei irgendwie auf seine ganz eigene Art und Weise unterwürfig und wohlgefällig. Plötzlich kam Kaiba der Gedanke, dass dieser Junge doch so viel mehr war, als nur ein Stricher. Er war etwas Besonderes. Früher waren die Stricher für ihn nur gesichtslose Objekte gewesen, an denen man schnell für Geld seine Lust stillen konnte. Keine denkenden, fühlenden Lebewesen. Keine Menschen, die auch Geschwister hatten und die vielleicht ansatzweise nachempfinden konnten, was in ihm vorging. Ein leises Stöhnen schlich sich von seinen Lippen, als er wenig später in Ryous Mund kam. Diesen Jungen würde er nicht mehr hergeben. Nie wieder. Und wenn das bedeutete, dass er ihn eines Tages einsperren musste, es war ihm gleich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)