Ride the Rockers 8 - Love Revolution von raphael_asdrai (6. Sequel zu Ride the Rockers und Fortsetzung von Love Education mit Teilen von SCREW in neuer Hauptrolle) ================================================================================ Kapitel 11: ------------ Kapitel 11 Aoi brauchte vier Versuche, bis seine durch den Alkohol schwer zu koordinierende Hand endlich Naos Ersatzschlüssel in das Türschloss von Kais Wohnung navigiert hatte. Er brauchte vier weitere Versuche, den Schlüssel so zu bewegen, dass er die Tür auch tatsächlich öffnete, aber – nachdem ihm endlich aufgefallen war, dass er ihn in die falsche Richtung drehte – nur einen Moment, sich darüber klar zu werden, dass er eigentlich viel zu betrunken für diese Aktion war. Er wusste nicht, wie er Nao davon überzeugt hatte, ihm tatsächlich Kais Schlüssel auszuhändigen, doch die Tatsache, dass Aoi Kais Freund war und ihm eine herzzerreißende und vermutlich äußerst peinliche Szene, unterlegt mit den Worten ›Notfall‹ und ›lebenswichtig‹, gemacht hatte, hatte vielleicht damit zu tun gehabt. Das war vor vier Stunden gewesen, vor der offiziellen Feierlichkeit der Bands mit Presse und Management, zu der er tatsächlich wieder einigermaßen nüchtern gewesen war. Er erinnerte sich vage daran, wie Reita ihn am Nacken gepackt und auf die Raucherterrasse geschleppt hatte, wo die frische Luft wieder ein wenig Klarheit in seinen vernebelten Kopf geblasen hatte. Den Rest der Zeit war er damit beschäftigt gewesen, Nao von Kai fernzuhalten, damit dieser nicht auf die Idee kam, ihn zu verraten. Alles war besser gelaufen, als er selbst gedacht hatte – genau bis zu dem Moment, als ihm aufgefallen war, dass Uruha seinen Anzug gewechselt hatte. Und Kazuki auch. Nur Reitas fester Griff an seinem Handgelenk, der deutlich davon zeugte, dass der andere sich nicht scheuen würde, Gewalt gegen ihn einzusetzen, wenn er sich auch nur mehr als einen Millimeter von ihm fortbewegte, hatte ihn davon abgehalten, den Bowleeimer zu ergreifen und ihn dem rothaarigen Gitarristen überzuziehen. Er wusste nicht, was er davon halten sollte, dass die beiden neue Kleidung trugen. Selbst in nüchternem Zustand hätte es nur eine Erklärung dafür gegeben und er weigerte sich, diese auch nur annähernd in Betracht zu ziehen. Sobald sich die Gelegenheit ergab, die Party zu verlassen, ohne dass ihn jemand vermisste (und ohne dass Reita es bemerkte, der ihm seit den kurzen Ausnüchterungsminuten auf der Terrasse mit besorgtem Gesichtsausdruck wie ein Wachhund folgte), hatte er sich abgesetzt. Das schlanke brünette Mädchen vom Catering, das erschrocken einen Schritt zurücksprang, als er die Tür mit Schwung aufstieß, war ihm gerade recht gekommen – genauer gesagt der Wagen mit Alkohol, den sie vor sich hergeschoben hatte. Seine Augen hatten geleuchtet, als er die pinke Flüssigkeit erblickt hatte, die in einer großen Glasschüssel hin und her geschwappt war. Oh, es war perfekt! Ohne sich um ihren verdutzten Gesichtsausdruck zu kümmern, hatte er sich das größte der frischen Gläser gegriffen, es mit der pinken Flüssigkeit gefüllt und diese heruntergestürzt, als würde sie ihn vorm Verdursten retten. Die Welt hatte ein klein wenig zu wanken begonnen, als er das Glas wieder abgesetzt hatte, und er hatte sich einen Moment gewundert, wie das Mädchen so ruhig stehen konnte, wo doch der dunkelrote Fußbodenbelag unter ihren Füßen Wellen schlug, ehe er sich umgedreht und es irgendwie geschafft hatte, den Weg nach unten zurückzulegen, ohne dabei zu fallen oder gegen etwas zu rennen, ehe er in eines der Taxis gesprungen und zu Kais Apartment gefahren war. Die kurze Strecke hatte bei weitem nicht gereicht, den Alkohol, der noch viel schneller anzuschlagen schien als beim ersten Mal, abzubauen – jedoch durchaus, um sich darüber klar zu werden, dass es eine unglaublich dumme Idee gewesen war, auf diese Art und Weise seinen Kopf davon abhalten zu wollen, zu hinterfragen, was genau zwischen Uruha und Kazuki vorgegangen war. Denn das Einzige, was er damit erreicht hatte, war, dass er nun an nichts anderes mehr denken konnte. Auch als er schließlich in Kais Wohnung stand, den Türschlüssel in der einen Hand und die Augen apathisch ins Leere gerichtet, während sein Gehirn sich zu erinnern versuchte, was genau er hier überhaupt wollte, dominierten die beiden seine Gedanken. War er nicht vor kurzem noch der Überzeugung gewesen, Uruha und Kai wollten ihn verlassen, um nur noch zu zweit zusammen zu sein? Was zur Hölle spielte Kazukis dabei für eine Rolle? Was hatten Uruha und er besprochen und warum hatte Uruha ihn nicht dabei haben wollten, und… »Fuck, konzentrier dich!«, schimpfte er leise und schüttelte den Kopf, als sich die Gedanken immer schneller zu drehen begannen. Der kurze Moment, in dem er ins Trudeln kam und sich an einem Regal abstützen musste, um nicht zu fallen, machte ihm klar, dass schnelle Bewegungen wohl nicht die beste Wahl waren. Doch zumindest hatte es bewirkt, dass ihm wieder klar geworden war, was eigentlich seine Intention gewesen war, in Kais Wohnung einzubrechen. Er wollte Beweise. Und er war überzeugt, dass dies der Ort war, an dem er sie finden würde. Er kannte Kai gut genug, um zu wissen, dass er bei einer gemeinsamen Verschwörung zwischen ihm und Uruha der Kopf des Plans sein musste. Und sein Faible, Dinge zu dokumentieren, war nicht nur darauf begrenzt, Videomaterial ihrer mehr oder weniger unzüchtigen Hobbys zu sammeln. Etwas musste sich hier befinden, das Aoi nicht sehen durfte. Nicht umsonst hatte Kai jedes Mal abgeblockt, wenn er das Gespräch darauf gebracht hatte, ob er ihn besuchen oder bei ihm übernachten könnte. Wenn er fertig sein wollte, bis Kai wiederkam, musste er sich beeilen. Zwar war es zu seinem Vorteil, dass der andere nach größeren Treffen immer einige Leute in seinem Van nach Hause fuhr, doch ewig würde er auch nicht fernbleiben. Und er wollte sich gar nicht vorstellen, wie Kai ausrasten würde, wenn er herausfand, dass er ihn ausspioniert hatte. So schnell und strategisch, wie es irgendwie möglich war, während sich der Boden bei jeder Bewegung ein Stück hob und die Möbel um ihn herum wie die bunten Fruchtstücke in der pinken Bowle in der Luft schwammen, begann er, sich seinen Weg durch die Privatsphäre seines Freundes zu bahnen. Er öffnete Schubladen und Schranktüren, durchblätterte Notizhefte, in denen die Schriftzeichen tanzten, hob Sofakissen und drückte sogar den rot blinkenden Knopf am Anrufbeantworter, nur um festzustellen, dass Kai den Internetanbieter gewechselt hatte, die Sekretärin des Managements ihn um detailliertere Informationen zu irgendeinem Bericht bat und ihm jemand eine Lebensversicherung aufschwatzen wollte. Frustriert drückte er die unbekannte Stimme weg und machte sich auf zum letzten Zimmer, Kais Schlafzimmer. Doch auch hier wurde er nicht fündig, und als er sich schließlich auf das breite Doppelbett fallen ließ, die Arme nach beiden Seiten ausgestreckt und die bunten Punkte beobachtend, die nicht mehr ganz so prägnant wie noch vor einer halben Stunde vor seinen Augen tanzten und ihm unangenehm deutlich machten, dass er sich auf dem Weg in die nüchterne Realität befand, hätte er am liebsten geheult. Er hatte keine Ahnung, was er sich eigentlich erhofft hatte! Beweise; ja, Beweise! Doch was hatte er gedacht, was er finden würde? Ein offenes Tagebuch? Flugtickets mit Uruhas und Kais Namen nach Las Vegas? Einen Zettel auf dem Couchtisch mit den Worten »Aoi, ich liebe dich nicht mehr!«? War er eigentlich vollkommen bescheuert gewesen?! Ein frustrierter Laut entwich Aois Kehle, als er mit der Faust auf die Matratze hieb und die Augen zusammenpresste, um die Tränen der Wut zurückzuhalten, die ihm den Blick verschleierten. »Verdammt«, fluchte er leise und biss sich auf die Unterlippe, während er versuchte, so langsam wie möglich ein und aus zu atmen. Was, wenn er Uruha und Kai Unrecht getan hatte? Hatte er sich alles nur eingebildet? Wurde er langsam paranoid, und könnte man nicht vielleicht alle Situationen anders interpretieren? Vielleicht war Uruha wirklich nur so angespannt, weil er Kazukis Freund spielen musste! Vielleicht war Kai wirklich nur so abweisend, weil er viel zu tun hatte! Und vielleicht steckten sie nur deshalb die Köpfe zusammen, weil sie versuchten, die ganze Kazuki-Situation so zu lösen, dass Aoi so wenig wie möglich davon mit bekam, weil sie wussten, wie sehr er darunter litt! Aoi wollte es glauben. Seine Augen brannten und er wendete den Kopf zur Seite, um ihn in Kais weichen, wie immer mit weißer Bettwäsche bezogenen Kissen zu vergraben, in denen sie so oft zu dritt gelegen hatten – als er ›es‹ sah. ›Es‹ war nicht größer als eine ausgestreckte Hand, in einem einfachen silbernen Rahmen auf dem Nachttisch, unter einer dunkelgrünen Nachttischlampe. Es zeigte drei fröhliche Gesichter, rechts Kai, das Lächeln so breit, als würde er damit ganze Landstriche verstrahlen wollen; links Uruha, die Ponysträhnen mit einem Haarclip zurückgesteckt und die Lippen zu einem Kussmund geschürzt; und in der Mitte Aoi selbst, ein Grinsen auf den Lippen und ein Auge zugekniffen, als würde er der Kamera zuzwinkern wollen, beide Arme um die Schultern der anderen beiden gelegt und sie an sich heranziehend. Aoi regte sich einen Moment keinen Millimeter und es schien ihm, als sei alles um ihn herum plötzlich komplett still geworden. Zaghaft streckte er die Hand nach dem Foto aus und holte es näher zu sich heran, um es zu betrachten, als hätte er es noch nie gesehen. Er kannte das Motiv, konnte sich so lebhaft an die Situation erinnern, als wäre sie erst gestern geschehen. Es war zu keinem besonderen Anlass entstanden, der Hintergrund etwas unscharf und an einer Seite sah man sogar noch den leichten Schatten von Rukis Finger auf der Linse. Es war einfach ein normaler Moment gewesen, eingefangen auf einem Stück glänzendem Papier, das bis vor kurzem noch in Kais Fotobox im Wohnzimmer gesteckt hatte, zusammen mit all den wichtigen und weniger Erinnerungen, die sie miteinander und mit der Band teilten. Es hatte noch nicht hier gestanden, als Aoi das letzte Mal da gewesen war. Und als er in ihre Gesichter sah, die Freude, die sie ausstrahlen, rollte auf einmal unbemerkt die erste Träne über seine Wange. Er biss sich auf die Unterlippe, als er bemerkte, wie seine Hand zu zittern begann, doch weder wischte er die Träne weg noch versuchte er, seinen Körper zu beruhigen. Er war nicht mehr traurig oder verzweifelt oder wütend. Es war, als würde ihm ein Stein in der Größe eines Kleintransporters vom Herzen fallen. Denn dass Kai dieses Bild ausgewählt hatte, hieß nur eins: Er liebte ihn noch. Und allein das reichte Aoi. Zum ersten Mal an diesem Tag schlich sich ein echtes Lächeln auf Aois Lippen und er richtete sich ein wenig auf, so dass er sich an die Kopfseite des Bettes lehnen und das Bild ausgiebig betrachten konnte. Seine Hand zitterte noch immer und er fischte eine Zigarette und sein Zippo aus seiner Hosentasche, um seine strapazierten Nerven zu beruhigen, während so viele Emotionen in ihm aufflammten, dass ihm der Kopf schwirrte. Erleichterung, Euphorie, Liebe… Der bläuliche Rauch war wie eine Wohltat für seinen Körper, und ehe er es sich versah, hatte er die Zigarette aufgeraucht, ohne es überhaupt bemerkt zu haben. Er konnte nicht eine Sekunde von dem Foto wegsehen, so perfekt war es, so dass er erst wieder daran dachte, dass er sich eigentlich hatte beeilen wollen, als er hörte, wie von außen ein Schlüssel ins Schloss gesteckt wurde. Einen kurzen Moment fuhr er zusammen, doch dann rief er sich innerlich zur Ruhe. Was auch immer er in den letzten Tagen für Panik geschoben hatte, er weigerte sich, ihr noch länger nachzugeben. Er hatte keine Lust mehr, paranoid und eifersüchtig zu sein. Kai liebte ihn noch. Das war alles, was er wissen musste. »Was zur Hölle!«, hörte er Kai erschrocken fluchen. Natürlich, es war nicht zu übersehen, dass sich jemand an seinen persönlichen Sachen vergriffen hatte. Aoi war sich nicht einmal sicher, ob er die Tür wieder abgeschlossen hatte. »Ich bin hier!«, rief er aus dem Schlafzimmer und nur Sekunden später wurde die Tür aufgerissen und Kai fegte in das Zimmer, um mit heruntergeklappter Kinnlade und weit aufgerissenen Augen vor ihm zu stoppen. »Aoi!«, rief er, sichtlich schockiert. Sein Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch auf dem Trockenen und Aoi konnte es ihm nicht wirklich verübeln. »Sei nicht sauer, lass mich erklären!«, begann er sich zu verteidigen, bevor Kai überhaupt die Chance hatte, seine Fassung wiederzugewinnen. »Ich wollte wirklich nicht so weit gehen, aber du warst in letzter Zeit so seltsam, und Uruha auch! Ich dachte, ihr würdet etwas vor mir verbergen wollen, und ich war überzeugt, ich würde es hier finden, also habe ich deine Wohnung durchsucht! Aber es war nichts da und es tut mir leid! Und ich bin betrunken!« Er versuchte ein Lächeln, als der Schock nicht von Kais Gesicht weichen wollte. Dabei war das letzte Argument wirklich gut gewesen! Kai wusste, auf was für dumme Ideen er kam, wenn er getrunken hatte. »Wie bist du in meine Wohnung gekommen?!«, war das Erste, was Kai von sich gab, und Aoi runzelte ein wenig die Stirn, als er sah, wie der andere den Raum mit seinem Blick abscannte, bevor er ihn wieder ansah. »Ich habe dem Vermieter ein Märchen erzählt, damit er mir aufschließt. Er kennt mich doch«, log Aoi nach kurzem Zögern. Er wollte Nao ungern in die Pfanne hauen. Kai schien es zu schlucken. Immerhin war Aoi seit über einem halben Jahr fast täglich bei ihm ein und aus gegangen. »Was hast du hier gesucht?«, fragte Kai weiter und diesmal war Aoi irritiert. Hatte er nicht genau diese Frage soeben beantwortet? Er konnte an der Art, wie Kai versteinert im Raum stand und sich nicht regen konnte, während seine Augen jedoch umso schneller hin und her zuckten, sehen, dass er den anderen mit seiner Anwesenheit vollkommen aus der Fassung gebracht hatte. In Kais Kopf schienen die Gedanken querfeldein zu laufen. Für einen kurzen Augenblick war Aoi erneut verunsichert, doch nur ein Blick auf das Bild in seinen Händen reichte aus, um alle negativen Gefühle auszulöschen. »Es tut mir so leid; ich wollte euch nichts unterstellen!«, sagte er, statt eine Antwort auf die Frage zu geben, und erhob sich vom Bett, nur um festzustellen, dass er doch noch stärker betrunken war, als er gedacht hatte. Er torkelte nach vorn und fiel fast auf Kai, ehe er seine Arme um ihn schlang und sich an ihn schmiegte. Der leicht herbe Duft von Kais Parfum stieg ihm in die Nase, gemischt mit dem unwiderstehlichen Geruch seiner Haut, der Aoi einen warmen Schauer über den Rücken jagte – und zum ersten Mal wurde ihm wirklich bewusst, wie sehr er die Berührung des anderen vermisst hatte. Und als Kai die Umarmung nach kurzem Zögern erwiderte, kam es ihm vor, als würde ein Kokon Schmetterlinge in seinem Bauch explodieren. »Ich hab dich vermisst«, murmelte er leise und vergrub seinen Kopf in der Halsbeuge des anderen, das Gefühl der Nähe aufsaugend, die wie ein warmer Regen auf all seine Sinneszellen rieselte. Kais Arme schlossen sich fester um ihn und er hörte den anderen langsam ausatmen, während eine Hand zu seinem Nacken wanderte und durch seine schwarzen Haare kraulte. »Ich hab dich auch vermisst«, antwortete Kai und seine Stimme war so weich und zärtlich, dass Aoi sich zurückhalten musste, um nicht dümmlich zu grinsen. Seine Hände fuhren Kais Rücken hinauf, über die vom Schlagzeugspielen muskulösen Schultern, wieder hinab über seine Wirbelsäule, bis sie sich um seine Taille legten und den Saum seines Hemds aus der Hose zogen. Ganz leicht kosten seine Fingerspitzen über den Spalt Haut, den er entblößt hatte, und ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er merkte, wie Kai leicht erschauderte. »Du machst ganz schön seltsame Sachen, wenn du betrunken bist«, flüsterte Kai an sein Ohr und wiegte ihn sanft in seinen Armen hin und her. Aoi war ein wenig erstaunt, dass die Standpauke, mit der er gerechnet hatte, ausblieb, aber er würde sich sicher nicht beschweren, dass der andere endlich wieder so mit ihm redete, wie er es in der letzten Zeit vermisst hatte. »Dafür liebst du mich doch, oder?«, fragte er und schmiegte seine Wange an Kais. Er hatte seine Stimme absichtlich scherzhaft klingen lassen, aber als er auf die Antwort wartete, klopfte sein Herz doch ein wenig schneller als zuvor. »Ganz genau«, antwortete Kai ohne Zögern, und der zarte Kuss, den er auf Aois Wange hauchte, ließ diesen ganz schwindlig vor Erleichterung werden. »Allerdings werde ich wohl überlegen, mein Schloss auszutauschen, wenn ich befürchten muss, dass du das nochmal machst«, fuhr Kai mit Schalk in der Stimme fort. Aoi verstand sehr gut, dass es eine Warnung war, aber Herrgott, er war sozusagen bei Kai eingebrochen – dass dies das Einzige war, was er sich daraufhin anhören musste, war, als hätte man ihm nach einem Banküberfall einmal kurz auf die Finger geklopft! »Ich bleibe brav, versprochen!«, antwortete er ein klein wenig beschämt, nicht wirklich in der Stimmung, das Thema noch weiter auszureizen. Zudem war er viel zu sehr abgelenkt durch Kais warme Umarmung und die weiche Haut unter seinen Fingerspitzen, die es immer schwerer machte, sich darauf zu konzentrieren, dass der klare Verdacht, der ihn zu seiner Suchaktion getrieben hatte, eigentlich noch nicht ausgeräumt war. »Du bist warm«, flüsterte er und schlüpfte mit den Fingern weiter unter Kais Hemd, um über den unteren Teil seines Rückens zu streicheln. Wie beiläufig streiften seine Finger über dessen Seiten, von denen er wusste, dass Kai dort besonders sensibel war, und seine Mundwinkel bogen sich nach oben, als er bemerkte, wie der andere sich leicht versteifte und hörbar die Luft einsog. »Und du bist immer noch betrunken«, hörte er Kais Stimme an seinem Ohr, ehe weiche Lippen über seinen Hals strichen. Das Prickeln, das sie auf seiner Haut hinterließen, ließ Aoi aufseufzen und sich näher an Kai pressen, als er spürte, wie sich ein Hitzestrom in seinem Körper ausbreitete, von dem ihm ganz schwindlig wurde. Nein, er würde keine Sekunde bestreiten, dass er immer noch betrunken war. Doch es störte ihn kein bisschen. Wenn Alkohol etwas bei ihm tat, dann war es, ihn zu enthemmen und ihn gleichermaßen für jede Berührung so sensibel zu machen, dass alles andere aus seinem Bewusstsein einfach verschwand. Und beides konnte er gerade sehr gut gebrauchen! »Das liegt dann wohl an dir«, konterte er und musste selbst grinsen, als er bemerkte, wie kitschig seine Worte klangen. Doch Kai schien sich daran nicht zu stören. Er lachte nur und kraulte weiter durch Aois Haare, welcher die Augen schloss und das Gefühl mit all seinen Sinnen aufsaugte. Er musste sich auf die Unterlippe beißen, um nicht hörbar aufzustöhnen, als Kais Finger um seinen Hals herum wanderten, jeden Millimeter seiner Haut liebkosten, den sie erwischen konnten, und in seinen Hemdkragen schlüpften. Aois Hände kamen ihm zu Hilfe und schoben den Schal beiseite, den er sich umgelegt hatte, und ließen ihn zu Boden fallen, ehe er das Jackett von seinen Schultern streifte. »Aoi, du-«, begann Kai, doch Aoi unterbrach ihn. »Sch…«, flüsterte er leise und nippte mit den Lippen an Kais Ohrläppchen, die Augen noch immer geschlossen und sich leicht in Kais Armen hin und her bewegend, als würde er mit ihm tanzen. Er wollte jetzt nicht reden, er wollte das Gefühl genießen, das ihn durchströmte, die schmerzlich vermisste Wärme, das Kribbeln der Aufregung, Kai so nah zu sein und seine Umarmung zu spüren. Kai gab einen leisen Laut von sich, als Aois Lippen sich auf seinen Hals senkten und daran zu saugen begannen. Seine Fingernägel gruben sich in Aois Haut, und der leichte Schmerz durchzuckte diesen wie ein Blitz, der genau zwischen seine Beine schoss. Er seufzte gegen Kais Hals auf und drückte seinen Schritt gegen den Unterleib des anderen, wohlig erschaudernd, als er spürte, dass dieser ebenso erregt war wie er selbst. Aoi wusste nicht, was in ihn gefahren war, als er Kai ohne Vorwarnung herumdrehte und auf das Bett drückte. Keine Sekunde später war er über ihm, ignorierte den überraschten Ton, den Kai von sich gab, und presste seine Lippen auf ihren Gegenpart. Das Zittern, das sich durch seinen Körper bahnte, als er endlich die so lange schmerzhaft vermissten Samtkissen spürte, war beinahe mehr, als er ertragen konnte. Es raste durch seine bis zum Anschlag geschärften Nervenzellen, durchdrang jede Faser und ließ ihn gegen Kai schmelzen, als wäre er ein Stück Butter in der Sonne. »Aoi…«, keuchte Kai gegen seine Lippen und Aoi nutzte den Moment, um mit seiner Zunge in den Mund des anderen zu tauchen. Er wollte ihn sanft küssen, zärtlich, doch schon nach wenigen Sekunden konnte er der Gier nach Nähe nicht länger standhalten. Kai stöhnte überrascht auf, als Aois Hand sich in seinen Nackenhaaren vergrub und seinen Kopf nach hinten zog, um ihn hungrig zu küssen, wild und stürmisch, dem Alkohol dankend, der ihm jede Scham nahm, dass er sich so auf ihn stürzte. Er fühlte sich wie berauscht, trunken von Kais Geschmack, seinem Geruch, dem Gefühl von seiner Haut unter seinen Fingerspitzen, die ungeduldig die Knöpfe seines Hemds bearbeiteten, bis Aoi die Geduld verlor und sie mit einfach aufriss. »Ich kauf dir ein neues«, flüsterte er atemlos, ehe er ihre Lippen wieder verschloss, nicht bereit, auch nur eine Sekunde zu vergeuden. Seine Hände hasteten über die neu entblößte Haut, strichen über die leichten Erhebungen der Bauchmuskeln hinauf zu Kais Brustwarzen, um sie sanft zu zwicken, während er seinen Oberschenkel gegen Kais Schritt schob und leicht drückte. Der Drummer stöhnte laut und ungehalten auf – ein Ton, der Aoi wie ein Blitz zwischen die Beine schoss – und sein Oberkörper bog sich ins Hohlkreuz. Der kurze Moment, in dem er den Kuss brach, den Kopf mit lustverzerrtem Ausdruck in den Nacken warf, reichte aus, um auch die letzte Hemmung in Aoi verschwinden zu lassen. Er stürzte sich auf den Hals des anderen, attackierte ihn mit Lippen, Zunge und Zähnen, während er seinen Oberschenkel noch stärker gegen Kais Schritt rieb, bis dieser ein keuchendes Bündel unter ihm war, hilflos seinen Angriffen ausgeliefert. Das Gefühl, Kai unter sich zu haben, war so neu und aufregend, dass Aoi vollkommen wirr davon wurde. Normalerweise war er es, der auf den Rücken gedrückt wurde, der unter Kai nach mehr bettelte. Vielleicht war es der Alkohol, der ihn mutig machte, vielleicht war er das so lange angestaute Verlangen, das ihn so gierig werden ließ, dass er sich einfach nahm, was er wollte. Oh ja, er wollte Kai! Er wollte alles, was er kriegen konnte. Ihn so devot zu erleben, war wie ein Rauschmittel, das ihn vollkommen süchtig werden ließ. »Kai…«, keuchte er und grub die Finger seiner einen Hand in eine der straffen Pobacken, während seine andere Hand eine der dunklen Brustwarzen umspielte. Kai biss sich auf die Unterlippe, die Augen fest zusammengekniffen und die Brauen verzerrt, als würde er sich mit Gewalt davon abhalten wollen, Aoi zu zeigen, wie sehr er seine Berührung und ihre ungewollte Rollenverteilung genoss. Doch Aoi sah es deutlich an seinen geröteten Wangen, der leichten Schweißschicht, die auf seiner Stirn glänzte, und dem abgehackten Rhythmus, in dem sich sein Brustkorb hob und senkte. Kais Hände waren in das Laken gekrampft, sein Körper angespannt wie vor einem Wettkampf, und mit jeder Bewegung von Aois Oberschenkel gegen seinen Schritt entwich ihm ein leises Japsen, das Aoi mehr anturnte als alles, was er zuvor erlebt hatte. Er war beinahe schmerzhaft hart und wollte nur aus seinen Kleidern heraus, um endlich Haut an Haut zu spüren. In weniger als fünf Sekunden hatte er sich seines Hemds entledigt und seinen Gürtel geöffnet, ehe er seine Lippen um Kais Brustwarze schloss und im selben Atemzug dessen Hose öffnete. Er zerrte den Stoff mitsamt der Unterwäsche nach unten, verschwendete keine Zeit, sie komplett auszuziehen, sondern stoppte, als er sie bis zu den Knien herabgezogen hatte. Er leckte sich über die Lippen, als er die harte Länge des anderen sah, deren Spitze feucht glänzte und ihm deutlich verriet, wie erregt Kai war. Der Drummer hatte den Kopf zur Seite gewendet, die Lippen geöffnet und die Wangen purpurrot, und Aoi meinte, zwischen all der Erregung in seinem Gesicht einen kleinen Hauch von Scham zu sehen. Und er konnte nicht leugnen, dass es ihn unglaublich heiß machte. »Du bist so sexy«, flüsterte er gegen Kais Ohr und ließ seine Zunge über die Ohrmuschel gleiten. Kai keuchte bei seinen Worten leise auf und zog Aois Kopf zu sich, um ihre Lippen zu einem weiteren hungrigen Kuss zu verschließen, während er die Hose von seinen Beinen strampelte und, als er es mit einiger Mühe geschafft hatte, seine Schenkel um Aois Hüfte schloss. »Aoi…«, hauchte er beinahe tonlos in ihren Kuss und vergrub seine Hände so fest in Aois Nackenhaaren, dass dieser harsch die Luft einsog, als der Schmerz ein wenig zu stark wurde. Und dann ging alles so schnell, dass Aoi gar nicht wirklich reagieren konnte. Kai riss seinen Kopf von sich weg, ein Ruck ging durch seinen Körper und nur einen Augenblick später lag Aoi auf dem Rücken, Kai über sich mit einem diabolischen Grinsen auf den Lippen, das ihm einen heißen Schauer über den Rücken jagte, bevor sich seine Lippen zu einem tonlosen Stöhnen öffneten, als Kai seinen Hals attackierte. Finger kratzten über seinen Brustkorb, Zähne gruben sich in seine Haut und ließen Aoi Laute von sich geben, die ihm das Blut ins Gesicht trieben, und als Kai begann, seinen Unterleib gegen ihn zu reiben, wurde sein Kopf so blank und leer, als hätte ihm jemand einen Baseballschläger übergezogen. Sein Bauch fühlte sich an wie ein Vulkan, in dem die heiße Lava brodelte, und wenn sich Kai noch länger so stark gegen ihn rieb, würde er… würde er… »Kai, Stopp!«, brachte er mit aller Mühe heraus, als er spürte, wie sich sein Unterleib zusammenzog, und krallte die Fingernägel so fest in Kais Oberarme, dass er weiße Halbmonde auf der braunen Haut hinterließ. Er konnte sich nicht länger unter Kontrolle halten, konnte die Glut, die unaufhaltsam in seinem Bauch zusammenfloss, nicht zurückdrängen, doch nur Sekunden, bevor ihn sein Orgasmus überrollt hätte, hielt Kai inne und zog sich von ihm zurück. Ein Keuchen entwich Aoi und er konnte nicht sagen, ob es aus Erleichterung oder Frustration war. Er brauchte einige Momente, um seine abgehackte Atmung zu beruhigen. »Du bist so unfair!«, brachte er mühsam heraus und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Er streckte die Hände aus, um Kai wieder zu sich zu ziehen, doch er griff ins Leere. Verwundert öffnete er die Augen, nur um zu sehen, wie der andere mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck neben ihm saß, die Augen geweitet, als hätte ihn etwas fürchterlich erschreckt. »Kai?«, fragte Aoi verwirrt und auch etwas besorgt, bis er das Handy in der Hand des anderen sah, das dieser aus seiner Hose geholt haben musste, die neben ihm lag. Es vibrierte. »Du willst da jetzt nicht wirklich drangehen!« Aois Brauen zogen sich argwöhnisch zusammen, während er spürte, wie die Hitze in ihm dramatisch abnahm. Kai reagierte nicht, starrte nur wie paralysiert auf den Namen, der auf dem Display blinkte, bevor er mit dem Finger drauf tippte und das Gespräch entgegennahm. »Das ist jetzt nicht dein Ernst!«, protestierte Aoi empört, ehe er zusammenzuckte, als sich plötzlich eine Hand auf seinen Mund presste. Er konnte gar nicht so schnell reagieren, wie Kais Hand ihn zurück auf das Kopfkissen drückte und dort hielt, die Handfläche so fest auf seinem Mund, dass er keinen Ton von sich geben konnte. Panik stieg in Aoi auf und sein Herz holperte so schnell, als hätte ihn soeben jemand von einem Hochhaus gestoßen. Er fühlte, wie sich Wut in seinem Inneren sammelte, Empörung, Entsetzen, begleitet von einer eiskalten Lähmung, die seine Reaktionsfähigkeit vollkommen außer Kraft setzte, so dass er nicht einmal auf den Gedanken kam, sich zu wehren. Kai starrte ihn mindestens genauso entsetzt an wie Aoi ihn, doch die Angst, Aoi könne einen Laut von sich geben, schien stärker zu sein als seine Überraschung über sich selbst. »Was gibt es?«, sagte er ins Telefon und versuchte seine Stimme fest klingen zu lassen. Aoi sah ihm aus geweiteten Augen zu, wie er nickte, als der Gesprächspartner etwas erwiderte, völlig regungslos. Kai lauschte und nickte erneut, auch wenn ihn die Person am anderen Ende der Leitung nicht sehen konnte. Aoi konnte die Stimme nicht hören. »Ja, ist er. – Nein, nichts. – Ich werde das regeln. – Mir sind die Konsequenzen deutlich bewusst. – Verstanden.« Aoi biss die Zähne zusammen und versuchte nicht einmal, in den zusammenhangslosen Antworten einen Sinn zu suchen. Er war viel zu schockiert, um auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Er sah Kais beunruhigtes Gesicht, als er auflegte, doch sein Gehirn war vollkommen überfordert, so dass er erst registrierte, dass der andere die Hand von seinem Mund nahm, als sein Körper von selbst nach Luft schnappte. Er hatte überhaupt nicht bemerkt, dass er sie angehalten hatte... Kais Kiefer war angespannt, als würde er die Zähne mit aller Kraft zusammenbeißen. Er schien noch immer gedanklich in dem Gespräch zu sein. Sein Blick ging erst dann wieder zu Aoi, als dieser sich regte, und plötzlich breitete sich ein Ausdruck von purem Horror auf seinen Gesichtszügen aus, als ihm klar wurde, was er soeben getan hatte. »Aoi, ich-«, begann er, doch seine Stimme versagte ihm. Er hob die Hand, doch als Aoi instinktiv vor ihm zurück an die Wand am Kopfende rutschte, zog er sie zurück und senkte den Blick zu Boden. Einen Augenblick war es vollkommen still. Sie saßen da wie gelähmt, keiner rührte sich. »Was geht hier vor?«, brach Aoi schließlich als erster die unangenehme Spannung, die sich zwischen ihnen ausgebaut hatte. Er hatte seine Stimme hart klingen lassen wollen, doch stattdessen war sie unsicher und holprig gewesen. Es fühlte sich an, als würde eine kalte Hand über seinen Rücken kriechen, drohend und gefährlich, und plötzlich waren sie wieder da, all die Zweifel und Verdächtigungen. »War das Uruha?« Kais Augenbrauen zuckten, aber Aoi konnte nicht zuordnen, ob dies hieß, dass er recht hatte oder nicht. Er war mit einem Mal vollkommen nüchtern. Redete Kai so mit Uruha? Was ging hier vor? »Aoi…«, begann Kai, ehe er abbrach. Beinahe unbewusst zog er die Bettdecke über seinen entblößten Schoß, und krampfte die Faust in den weißen Stoff. »Ich… Du…« Er brach erneut ab und Aoi konnte sehen, wie sich sein Brustkorb unregelmäßig hob und senkte, als könne er nicht richtig atmen. Er erkannte die äußeren Anzeichen von Panik, sah, wie sie Kai überfiel, doch er konnte es nicht im Geringsten nachvollziehen. Wenn hier jemand panisch sein durfte, dann doch wohl er selbst! »Sag mir sofort, was hier vor sich geht!«, befahl er, diesmal so schneidend, dass Kai zusammenzuckte. Der Leader schluckte trocken und sein Mund öffnete sich, doch es kam kein Ton heraus. »Du musst gehen«, sagte er schließlich mit kratziger Stimme, als würde er sich zu jedem Wort zwingen. »Ich rufe dir ein Taxi! Bitte frag nicht, warum! Bitte vertrau mir!« Seine Stimme hatte beinahe flehend geklungen, doch Aoi nahm es nur am Rande wahr. Es war, als würde sich jedes Härchen an seinem Körper aufstellen. Das Prickeln, das über seine Haut lief, war nicht länger angenehm, es fühlte sich an wie kleine böse Elektroschocks, die ihn peinigten, und jede Sekunde, die er länger verharrte, schien es schlimmer zu werden. »Du willst mich ohne Erklärung rausschmeißen?«, fragte er, den Impuls unterdrückend, seine Faust mit Kais Gesicht kollidieren zu lassen. »Wenn du mich jetzt so vor die Tür setzt, siehst du mich nicht wieder!« Kais Augen weiteten sich entsetzt, doch obwohl Aoi wusste, was er soeben angedroht hatte, fühlte er nicht einmal ansatzweise Mitleid. Was fühlte er eigentlich? Schmerz? Enttäuschung? Wut? Hoffnung, dass Kai ihm endlich die Wahrheit sagen würde? Warum ließ er ihn im Dunkeln?! Warum vertraute er ihm nicht einfach?! Er fühlte sich, als sei er inzwischen an einem Punkt angekommen, an dem er es einfach nur noch wissen wollte. Egal was es war oder welche Konsequenzen es haben würde, er wollte einfach nur nicht länger angelogen werden! »Du bist betrunken«, sagte Kai und es klang, als würde er sich seine Worte selbst nicht glauben. »Bitte lass mich dir ein Taxi rufen! Ich erkläre dir alles später! Bitte vertrau mir!« Ein kühles Lachen war alles, was Aoi zustande bringen konnte. Einen Moment sah er den anderen herausfordernd an, als würde ihm dies irgendetwas offenbaren, dann lachte er erneut, diesmal so spöttisch, dass es ihm kalt den Rücken herunterlief, als er den Laut hörte. Es war, als würde plötzlich alles um ihn herum zusammenfallen. Alles, an das er bis jetzt geglaubt hatte, alles was er um sich aufgebaut hatte, alles, von dem er gedacht hatte, es sei real – es brach zusammen wie ein altes Gemäuer und ließ ihn schutzlos zurück. »Ist das dein Ernst?«, fragte er zynisch. »Willst du mich loswerden? Denkst du, ich lasse das mit mir machen? Ich habe es satt, dass ihr mich hintergeht! Ich bin nicht dumm, Kai! Ich merke, dass etwas nicht stimmt! Und ich lasse mich von euch nicht länger verarschen! Ihr könnt euch einen anderen Dummen suchen! War das der Plan? Mich so lange abzuweisen, bis ich es von selbst merke, damit ihr euch nicht von mir trennen müsst? Wenn ja, dann lass mich etwas klarstellen: Ihr habt euer Ziel erreicht! Ich lasse mich nicht länger verarschen!« Aoi sog rasselnd die Luft ein, als er sah, wie Kai schockiert den Mund öffnete, doch ihm kam nicht mal ansatzweise der Gedanke, die Worte zurückzunehmen. Sie fühlten sich an wie ein Befreiungsschlag, der schon längst überfällig war, wie eine Faust, die er Kai in den Magen rammen konnte für all die Momente, in denen er ihn zurückgewiesen hatte. Er ballte die Fäuste, als er fühlte, wie sich sein Brustkorb so stark zusammenzog, als würde er von der Intensität seines Schmerzes zerdrückt werden. Doch alles war besser, als noch länger angelogen zu werden. Er wollte raus, einfach nur raus! »Aoi, was sagst du da?«, erwiderte Kai und seine Stimme klang so atemlos, als sei jede Kraft aus seinem Körper gewichen. Das Entsetzen auf seinem Gesicht war so echt, dass Aoi sich hart auf die Unterlippe beißen musste, doch seine eigenen Wunden bluteten viel zu stark, als dass er sich darum kümmern wollte. »Du hast mich schon verstanden!«, rief er und zuckte zusammen, als er hörte, wie sich seine Stimme vor Wut und Aufregung überschlug. Seine Hände begannen zu zittern und er fühlte sich, als würde der Boden unter ihm wegbrechen, als er aufstand und seine Kleidung zusammensuchte, um sie sich hastig überzustreifen. ›Raus, raus, raus!‹, hallte es in seinem Kopf wider. Sein Aufbruch schien Kai endlich aufzuwecken. »Aoi, bitte, lass mich erklären!«, begann er und sprang auf, um Aoi am Arm zu fassen. »Das ist es nicht wert; lass mich dir alles erklären! Bitte!« »Damit du mich noch weiter anlügen kannst?« Aoi spuckte die Worte beinahe aus und riss seinen zitternden Arm los. Er bebte am ganzen Körper und ihm war eiskalt und heiß zugleich, als würden sämtliche Emotionen, die er empfinden konnte, mit einem Mal auf ihn einstürzen. Er vergaß vollkommen, dass er sich vor ein paar Momenten nichts mehr als die Wahrheit gewünscht hatte. Doch jetzt, wo sie greifbar war, war die Angst vor ihr plötzlich übermenschlich stark. »Ich habe gehört, wie du dich mit Uruha unterhalten hast; wie ihr darüber gesprochen habt, dass ihr mich anlügt! Denkst du, ich werde dir auch nur noch ein Wort glauben nach all dem?! Es reicht mir!« »Aoi, lass mich-« »Nein!« Das Wort brach wie ein Schrei aus Aoi heraus. »Nein! Es reicht! Was auch immer ihr für ein Spiel spielt, ihr könnt es von jetzt an ohne mich spielen! Es ist aus zwischen uns!« Heiße Flüssigkeit stieg in Aois Augen auf und er konnte nicht sagen, ob es vor Wut oder Schmerz war, dass er plötzlich das tat, von dem er nie gedacht hatte, dass es jemals passieren würde. Er sah die Angst in Kais Augen, das nackte Entsetzen, und es war ihm alles egal, als er seine Sachen schnappte und aus der Wohnung flüchtete. Er spürte, wie Kai ihn zu packen versuchte, hörte seine Stimme, die ihm nachrief, doch er rannte so schnell, als würde es um sein Leben gehen. Er stürzt beinahe die Treppen des Apartment-Komplexes hinunter, krallte sich hastig am Geländer fest und stieß die Haustür so hart auf, dass das Metall laut scheppernd an die Wand knallte. Er sah nicht nach links oder rechts, als er auf die Straße rannte und gerade noch vor einem anfahrenden Auto stoppen konnte, ehe er in eine der vielen kleine Seitengassen einbog. Ein paar Mal sah er nach hinten, halb aus Angst, halb aus unrealistischer Hoffnung, dass Kai ihn einholen würde, doch er sah den anderen nicht, rannte weiter und weiter, bis ihn schließlich die Kraft verließ und er an einer Hauswand zusammensackte. Sein Brustkorb bebte und seine Lunge brannte, als hätte man sie mit Benzin übergossen und angezündet, während sein Herz so brutal gegen seine Rippen hämmerte, als würde es sie zersplittern wollen. Er fühlte heiße Flüssigkeit auf seinen Wangen, doch obwohl er wusste, was es war, dauerte es ein paar Momente, bis er wirklich begriff, dass er weinte. Und dann begriff er, was er soeben getan hatte, und auch die letzten Grundfesten brachen zusammen. Er hatte sich von Kai getrennt. Es war alles vorbei. Mit einem erstickten Schrei krümmte er sich zusammen, die Hände in seinen Anzug verkrampft im verzweifelten Versuch, sich an irgendetwas festzuhalten, und die Zähne so stark zusammengebissen, dass es sich anfühlte, als würde sein Kiefer brechen. Doch er konnte nicht aufhalten, was durch ihn hindurch rauschte, und als er sich selbst schluchzen hörte, die seltsamen Laute seiner erstickten Stimme vernahm, die so fremd klang, als wäre sie die Stimme einer anderen Person, gab er auf. Er ließ die Tränen fließen, ließ das Zittern von seinem Körper Besitz ergreifen und sich in das dunkle Loch fallen, das sich vor ihm aufgetan hatte und ihn unaufhaltsam in sich sog. Er wehrte sich nicht, als der Schmerz ihn wie ein Gewitterschauer überfiel, kämpfte nicht gegen die gequälten Laute an, die sich aus seiner Kehle lösten, und kümmerte sich nicht darum, ob ihn jemand sehen oder hören könnte. Es tat weh, mehr als er jemals gedacht hatte. Es war, als hätte jemand einen Teil aus seiner Seele gerissen – doch er war es selbst gewesen. Irgendwann, er wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, vibrierte sein Handy – Kai – und als er auf das Display sah, bemerkte er, dass ihn der andere zum fünften Mal anrief, seitdem er seine Wohnung verlassen hatte. Er drückte ihn weg. Einen kurzen Moment starrte er auf das Telefon, als würde er darauf warten, dass es erneut klingelte. Doch es blieb ruhig. Erst jetzt bemerkte er, wie kühl es um ihn herum geworden war, und wischte sich die Tränen von den Wangen. Er hatte keine Ahnung, wo er war, und es war mitten in der Nacht. Entfernt hörte er das Geräusch von Autos, doch die Straße, in der er sich befand, war vollkommen leer. Ein paar Sekunden spielte er mit dem Gedanken, sich einfach am Straßenrand zusammenzurollen und zu sterben, doch dann öffnete er sein Adressbuch und scrollte durch die Kontakte. Er zuckte zusammen, als er Kais Nummer sah, und klickte schnell weiter, nicht sicher, nach wem er eigentlich suchte. Schließlich stoppte er bei der ersten Person, von der er wusste, dass sie ihm helfen würde. »Hey hey, wohin bist du denn abgehauen?!«, erklang Reitas muntere Stimme nur Sekunden später am anderen Ende der Leitung. »Kannst du mich abholen?« Aois erschrak, als er hörte, wie schwach und heiser seine Stimme klang. Einen Augenblick blieb es still, dann erklang Reitas Stimme erneut, diesmal deutlich beunruhigt. »Was ist passiert? Wo bist du?« Aoi schluckte und räusperte sich, ehe er sich umsah. »Ich hab keine Ahnung, wo ich bin«, antwortete er. »Ich war bei Kai, dann bin ich auf die Straße gelaufen und irgendwo abgebogen. Hier sind Wohnhäuser mit Gärten.« »Aoi, das hilft mir nicht!« Reitas Stimme klang besorgt und aufgeregt zugleich, und Aoi meinte, im Hintergrund Rukis zu hören, der ihn fragte, was los sei. »Ich weiß nicht, wo ich bin«, wiederholte er und biss sich auf die Unterlippe, als er spürte, wie erneut Tränen in seinen Augen aufstiegen. »Ich sehe ein helles Haus mit einer Werbetafel auf dem Dach und einige kleine Geschäfte.« »Was ist mit Kai? Er kennt die Umgebung!« Diesmal war es Rukis Stimme, ein wenig gedämpfter. Reita hatte sein Handy scheinbar auf Lautsprecher geschaltet. »Nein!«, protestierte Aoi hastig, ehe er den Kopf an die Wand hinter sich fallen ließ. »Holt mich bitte einfach nur ab…« »Ok!« Ruki klang ernst. »Bis zu Kai kann ich fahren, ab da musst du mich irgendwie lotsen!« Er schien verstanden zu haben, dass er nicht länger diskutieren musste. Aoi nickte, bis ihm einfiel, dass Ruki ihn nicht sehen konnte. »Ok«, sagte er leise. »Ich ruf dich zurück, wenn wir da sind! Wenn du an irgendeinen Punkt gehen kannst, den man besser findet, dann tu das!« »Ok…« Aoi ließ das Handy sinken und drückte die Taste zum Auflegen. Er fühlte sich so kraftlos, als wäre er einen Marathon gelaufen. Vielleicht war das gar nicht so weit von der Wahrheit entfernt. Die Uhr zeigte 2 Uhr nachts, doch er hatte keine Ahnung, wann er von Kai aufgebrochen war. Am liebsten hätte er das Handy ausgeschaltet, um nicht noch einmal den Drummer wegdrücken zu müssen, wenn er ihn anrufen sollte. Die Band… Was würde jetzt eigentlich mit der Band passieren… Und Uruha… Hatte er sich auch von ihm getrennt? Warum gab es keine Lehrbuchsituation für so einen Moment?! Was sollte er jetzt nur tun… Jetzt, wo er alles kaputt gemacht hatte. Tbc. ********** Ich kalkuliere aktuell mit 16 Kapiteln, wenn das für euch wichtig sein sollte ^^ Genau kann ich es aber nicht sagen. Es passiert also noch einiges. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)