Ride the Rockers 8 - Love Revolution von raphael_asdrai (6. Sequel zu Ride the Rockers und Fortsetzung von Love Education mit Teilen von SCREW in neuer Hauptrolle) ================================================================================ Kapitel 8: ----------- Kapitel 8 »Du verarscht mich, oder?« Reita nahm einen Schluck von seinem Kaffeetrinkpäckchen und ließ sich zurück an die Lehne seines Sessels sinken, während er Aoi mit so großen Augen anstarrte, als habe ihm dieser soeben eröffnet, dass sie ihr nächstes Live in Maid-Outfits spielen würden – in pink. Aoi schnaubte leise und nickte bekräftigend, ehe er die Arme vor der Brust verschränkte und sich kurz umsah, ob jemand ihr Gespräch belauscht hatte. Doch abgesehen von der älteren Lady an der Rezeption war niemand in der PSC Lobby. Vor wenigen Minuten wäre Reita ihm noch am liebsten an die Kehle gesprungen, dass er ihn Samstag früh mit den kryptischen Worten ›Notfall! Sag niemandem etwas!‹ aus Rukis Armen aus dem Schlaf geklingelt und in ihr Hauptgebäude bestellt hatte, doch nachdem er ihm in allen Details geschildert hatte, was genau am letzten Abend vorgefallen war, schien der Blonde dies vollkommen vergessen zu haben. Wenigstens einer sah den Ernst der Lage! »Also lass mich zusammenfassen: Uruha – wir reden hier von einem Mann mit unzurechnungsfähigem Pornogehirn, das für seine bloße Existenz schon zensiert werden müsste – schmeißt dich aus seiner Wohnung, obwohl du versuchst, ihn heiß zu machen, und verbringt den Abend mit einer kleinen ›Pestgöre‹, anstatt eben diese zum Bonbonladen zu schicken und dich nach allen Regeln der Kunst über sämtliche Möbel zu vögeln! Und er hat Fahrstuhl-Sex ausgeschlagen? Ernsthaft?« Aoi verzog leicht das Gesicht bei der unkonventionellen Wortwahl des Blonden, doch im Endeffekt traf es den Nagel auf den Kopf. Der Anruf, der ihn aus Uruhas Wohnung ins PSC-Gebäude geholt hatte, um ›etwas Dringendes zu besprechen‹, war nicht weniger schleierhaft. Die Mitarbeiterin, die ihn herbestellt hatte, hatte ihm lediglich ein paar Maße für sein neustes Kostüm abgenommen und eine Stoffprobe gezeigt, und als er nachgehakt hatte, war sie äußerst verlegen geworden und hatte sich auf ›Order von oben‹ berufen. Wer auch immer ›oben‹ war! Reita schlürfte an seinem Trinkpäckchen und starrte einen Moment wie weggetreten ins Nichts, bevor er den Kopf schüttelte und Aoi eine Hand auf den Oberschenkel legte. »Versteh das nicht falsch«, sagte er mit ernstem Gesichtsausdruck, so dass dem Dunkelhaarigen für einen kurzen Moment flau im Magen wurde. »Aber selbst ich hätte dich gegen die nächste Wand gepinnt, wenn du dich so angeboten hättest. Aoi macht willig den ersten Schritt – das ist wie einen Jackpot im Lotto. Er müsste schon eine Gehirnerschütterung haben und sich in einem Ganzkörpergips befinden, und selbst dann würde er noch einen Weg finden, dich um den Verstand zu vögeln!« Aois Augen weiteten sich entsetzt und seine Augen wanderten kurz zu der Hand auf seinem Schenkel, die sich mit einem Mal äußerst seltsam anfühlte, ehe er trocken schluckte und ein Lächeln versuchte. »Danke. Glaube ich«, sagte er und zog eine Grimasse, so dass Reita die merkwürdige Stimmung bewusst wurde und er seine Hand zurückzog. Er räusperte sich kurz und fuhr sich durch die Haare. »Jetzt mal ohne Scherz, Aoi«, begann er und diesmal war sein Tonfall wirklich ernst. »Das würde er nicht machen, so eine Gelegenheit ausschlagen! Der Uruha, den ich kenne, hätte sonst was versucht, um Kazuki loszuwerden! Er hätte ihn zur Not geknebelt und gefesselt auf dem Bürgersteig abgesetzt – wobei ich gehofft hätte, dass er mich in diesem Fall vorher angerufen hätte.« Er grinste dreckig, doch als er Aois mahnenden Blick sah, verschwand das Grinsen wieder und machte einem leicht hilflosen Ausdruck Platz. »Vielleicht bin ich auch einfach uninteressant geworden!«, warf Aoi ein und runzelte verärgert die Stirn, als er merkte, wie bitter sein Tonfall klang. Doch was genau sollte er von Uruhas Verhalten sonst denken? Er fühlte sich zurückgestoßen, und ja, vielleicht sollte er verständnisvoller sein! Er konnte Reita schlecht erklären, welchen Deal sie mit Kazuki und der PSC hatten, und was alles davon abhing, doch hätte Uruha nicht trotzdem versuchen sollen, ein wenig Raum für ihn zu schaffen? Ein kleiner Teil fühlte sich beinahe schuldig, dass er ihn in eine solche Zwickmühle gebracht und beinahe vor Kazuki bloßgestellt hatte, doch dieser Teil war nicht sonderlich hilfreich. Nicht dass es angenehmer war, die Ursache darin zu suchen, dass Uruhas Gefühle sich geändert hatten. »Ach halt bloß die Klappe!«, holte ihn Reitas Stimme harsch aus seinen Gedanken zurück, als habe dieser geahnt, welchen inneren Dialog er mit sich führte. Der Blick des anderen war beinahe verärgert und er stellte sein Trinkpäckchen mit einem hörbaren Knall auf dem Tisch ab. »Uruha ist verrückt nach dir! Er war noch nie so verrückt nach jemandem! Was auch immer mit ihm los ist, es ist vollkommen unmöglich, dass es damit zu tun hat, dass er dich nicht mehr will!« Er schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, und Aoi musste grinsen, als ein warnendes Räuspern aus Richtung der Rezeption erklang, welches den Bassisten ertappt die Hand zurückziehen und sich entschuldigen lies. Er wollte etwas erwidern, doch noch bevor er sich entschieden hatte, ob er zustimmen oder lieber protestieren sollte, hörte er Geräusche und sah, wie die Mitglieder von Alice Nine die Lobby betraten und sie grüßten, ehe sie geschlossen zum Kaffeeautomaten pilgerten. Ihre jeweiligen Leader hatten sie alle für später an diesem Tag zu einer Versammlung über die geplante Willkommensparty für die neuen Bands einberufen – was übrigens das längste Gespräch war, was er seit dem Tag auf dem Dach mit Kai geführt hatte. »Ehrlich, ich kenne Uruha schon lange!«, fuhr Reita fort, diesmal mit gedämpfter Stimme. »Er liebt dich! Mach dir keine Sorgen! Schnapp ihn dir das nächste Mal, wenn er allein ist!« Er grinste und Aoi konnte nicht umhin, auch zu lächeln. Und diesmal war es ernst gemeint. Reita war zwar nicht immer der hellste, aber er war Uruhas längster Freund, so dass die Sicherheit, mit der er von dessen Gefühlen überzeugt war, wie Balsam für Aois verletzen Stolz war. Und, auch wenn er es nicht gern zugab, für sein angeknackstes Herz. »Was sagt eigentlich Kai dazu?«, fragte der Bassist mit einem Mal und schaffte es damit, Aois gute Laune schlagartig wieder zu zerstören. Sein Gesicht wurde dunkel und er fühlte, wie sich ein unangenehmer Klumpen in seinem Brustkorb zu bilden begann, ehe er mit den Schultern zuckte und leise auflachte. »Wenn er mal mehr als 2 Sätze mit mir sprechen würde, würde ich das vielleicht wissen«, erwiderte er schnippisch und wendete den Blick ab, doch er konnte trotzdem sehen, wie sich Reitas Augen erstaunt weiteten. Es war nicht gerade angenehm, vor seinen Freunden zugeben zu müssen, dass die Beziehung, von der alle dachten, sie wäre absolut perfekt, doch nicht so perfekt war. Sie waren von Anfang an ungewöhnlich gewesen, nicht ›normal‹, eigentlich schon zum Scheitern verurteilt – doch genau das hatte sie jeden Tag angestachelt, sich nur noch mehr anzustrengen und allen zu beweisen, dass es möglich war, dass sie es zusammen schaffen konnten. Und Aoi hatte es geglaubt. Mit jeder Faser seiner Selbst. Dass sie es schaffen konnten, solange sie nur zusammenhielten. Allein der Gedanke daran, dass sie versagen könnten, barg so viel Schrecken, dass Aoi ganz schlecht wurde. »Vielleicht kann er Uruha mal ins Gewissen reden!«, fuhr Reita fort und tätschelte Aois Schulter. Am liebsten hätte dieser die Hand mitsamt dem anhängenden Mitleid weggestoßen, doch er wusste, dass Reita es nur gut meinte. Er konnte ja schließlich nichts dafür, dass Aoi plötzlich unglaublich neidisch auf seine unkomplizierte Beziehung zu Ruki war, die schlichtweg allem standzuhalten schien. »Vielleicht ist Uruha einfach ein bisschen durch den Wind. Immerhin hat er einen neuen Mitbewohner. Kai kriegt das schon wieder hin! Er hat einen Draht zu Uruha! Immerhin waren die beiden schon eher mal zusammen! Wenn jemand weiß, wie er Uruha anfassen muss, dann ist es Kai – und wenn Uruha auf jemanden hört, dann auf Kai!« Er lächelte, doch seine Worte hatten genau das Gegenteil von dem in Aoi ausgelöst, was sie vermutlich beabsichtigt hatten. Ein unangenehmes Kribbeln breitete sich mit einem Mal in seinem Körper aus; es zog von seinen Fußspitzen durch seine Beine hinauf zu seinem Brustkorb, wo es so stark wurde, dass für einen kurzen Moment sein Blickfeld zu einer weißen flackernden Masse verschwamm und er sich mit der Hand in die Lehne seines Sessels krallte. »Alles ok?«, hörte er Reita erschrocken fragen, doch er war viel zu sehr damit beschäftigt, seine Atmung unter Kontrolle zu halten, um auch nur auf den Gedanken zu kommen, ein falsches Lächeln auf seine Lippen zu zwingen und so zu tun, als wäre alles ok. Eine beißende Kälte breitete sich mit einem Mal in seinen Gliedmaßen aus, jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken, und als irgendjemand die Tür öffnete und ein leichter Luftzug durch die Halle sauste, erschauderte er unangenehm berührt unter dem Gefühl des Schweißes, der sich auf seiner Stirn gebildete hatte. »Sorry, ich geh mal kurz aufs Klo!«, brachte er heraus, bevor er sich fahrig über die Augen fuhr und aufstemmte, doch Reitas Hand hielt ihn zurück. Und als er dessen panischen Blick sah, wusste er, dass der andere verstanden hatte, was er soeben aus seinen Worten herausgehört hatte. »So war das nicht gemeint, Aoi!«, sagte er und schüttelte hastig den Kopf. Aoi überlegte einen kurzen Moment, ob er nicht doch versuchen sollte, zu behaupten, es wäre alles in Ordnung, aber er stieß den Gedanken so schnell von sich, wie er gekommen war. »Ich meine, erinnere dich daran, wie sie sich wegen dir an die Kehle gesprungen sind! Sie haben nicht ›mehr‹ als mit dir! Sie lieben nur dich!« Sein Griff um Aois Handgelenk wurde härter, als er spürte, wie sich der Gitarrist lösen wollte, doch als Aoi ruppig daran riss, ließ er ihn los. »Aoi, rede doch einfach mit ihnen!«, fügte er noch hinzu, doch Aoi war schon auf der Flucht, seine Schritte so hastig, dass er fast stolperte, doch er hätte sich lieber auf die Nase gelegt und zum Obst gemacht anstatt noch eine Sekunde länger Reitas Worten zuhören zu müssen, die mit erschreckender Präzision in eine Wunde piekten, von der er nicht einmal gewusst hatte, dass sie überhaupt da war. Eine Wand prallte gegen ihn, als er um die Ecke zu den Toiletten bog, und er taumelte zurück, überrascht von der Plötzlichkeit, mit der seine Flucht gestoppt worden war. Wunderbar, war er schon so neben der Spur, dass er nicht mehr geradeaus laufen konnte?! »Alles ok?«, hörte er die Wand fragen, und ein heißer Blitz durchzuckte ihn, als er die Stimme erkannte. Das konnte doch nicht wahr sein! »Fantastisch!«, antwortete er und versuchte nicht einmal, den Zorn in seiner Stimme zu unterdrücken, ehe er Uruhas Hand, die ihm helfen wollte, sein Gleichgewicht wiederzufinden, ausschlug und ohne ihn anzusehen an ihm vorbeistürmte. Es kümmerte ihn nicht, dass er den anderen mit einem verstörten Gesichtsausdruck zurückließ. Sollte er einmal von seiner eigenen Medizin kosten, dann könnte er sich vielleicht vorstellen, mit welchem Gefühl er gestern Abend in dem Fahrstuhl gestanden hatte. »Aoi!«, hörte er Uruha noch hinter sich herrufen, doch er hielt nicht an, und erst, als er die Tür des Toilettenraums hinter sich schloss und einen Schwall kaltes Wasser in sein Gesicht klatschte, wurde er wieder etwas klarer im Kopf. Die eisigen Tropfen perlten über seine Haut, hingen an seinen Haaren und platschten mit einem leisen Geräusch auf die weiße Marmorplatte des Waschbeckens. Einen Moment hielt er inne, schloss die Augen und breitete die Handflächen auf dem glatten Untergrund aus, als könnte ihm der bloße Kontakt zu etwas Festem, Stabilem, den Halt zurückgeben, der ihm gerade brutal entrissen wurde. Denn auch wenn Reita es nicht beabsichtigt hatte – er hatte etwas in ihm ausgelöst, was so angsteinflößend war und plötzlich so erschreckend realistisch schien, dass er jede Stütze brauchte, die er finden konnte. Und tatsächlich wirkte es. Aoi spürte, wie er nach nur wenigen Sekunden ruhiger wurde, wie das Zittern, das für einen Moment die Kontrolle über seinen Körper ergriffen hatte, abklang und er so entspannt wurde, dass es beinahe unheimlich war. Seine Atmung war langsam und beherrscht, als er die Tür des kleinen Abstellraums öffnete, eine schmale Leiter griff, die normalerweise benutzt wurde, um die Deckenleuchten zu reparieren, und sie unter die Türklinke klemmte, so dass man die Tür nicht von außen öffnen konnte. Er drehte den Wasserhahn zu und legte die Handflächen erneut auf den kühlen Marmor, doch diesmal betrachtete er sich im Spiegel. Seine Augen waren leicht gerötet, doch das war aufgrund der Tatsache, dass er die halbe Nacht nicht geschlafen hatte. Er würde den Teufel tun und wie ein kleines Mädchen heulen! Es erstaunte ihn, wie ruhig er auf einmal war, doch noch mehr erstaunte ihn, wie entspannt er den vielen Bilden und Gedanken folgte, die auf einmal in seinen Kopf glitten, als würden sie von außen in ihn fließen und zu einem See zusammenlaufen, dessen Fläche so klar war, dass er zum ersten Mal alles ungebrochen sehen konnte. Er sah Kai, er sah Uruha, er sah den Moment auf dem Dach, in dem sie ihm ihren Deal mit der PSC eröffnet und sich geschworen hatten, alles zusammen durchzustehen; er sah, wie sie ihn in den Arm nahmen und er sah sich selbst, wie er ihnen geglaubt hatte, dass sie nichts auseinander bringen konnte. Wie hatte er so naiv sein können, zu glauben, dass sie stärker als alle anderen waren? Das Einzige, womit sie vorher zu kämpfen gehabt hatten, waren die Vorurteile gewesen, dass es zu dritt nie funktionieren würde. Er hatte gelacht und daran gedacht, was sie schon alles überlebt hatten – doch was war es eigentlich gewesen? Der Kampf, den sie ausgefochten hatten, um zusammenzukommen, war so schwer und blutig gewesen, dass ihm überhaupt nicht aufgefallen war, dass danach gar keine Probleme mehr gekommen waren. Und nun, beim ersten Hindernis, kamen sie so sehr ins Stolpern, dass sie alle Energie darauf konzentrieren mussten, nicht zu fallen. Wenn man sich selbst kaum auf den Beinen halten könnte, war es überhaupt möglich, zwei andere Personen zu stützen? Aoi sog harsch die Luft ein, als er fühlte, wie etwas Kaltes über seine Wange perlte, und er weigerte sich, auch nur in Betracht zu ziehen, dass es etwas anderes als ein Wassertropfen sein könnte. Uruha und Kai waren stark zusammen, sie waren es schon früher gewesen. War er eigentlich mehr als ein Sex-Toy für sie, das sie adoptiert hatten, weil sie eine dritte Person brauchten, um zusammen zu sein? Vielleicht taten sie es nicht einmal bewusst, aber was würde passieren, wenn es hart auf hart kam und sie nur eine Person halten konnten? Würden sie ihn fallen lassen? Es war schmerzhaft, es zuzugeben, aber er war das schwächste Glied in der Kette. Er würde sich auch nicht halten wollen. Das Geräusch der Türklinke ließ ihn zusammenfahren, doch seine kleine Vorrichtung sorgte dafür, dass sich die Tür nicht einmal einen Spalt öffnete. Er hoffte, dass die Person schnell aufgeben und wieder gehen würde, doch als er Uruhas Stimme hörte, wurde ihm plötzlich klar, dass er seinen Zufluchtsort nicht sonderlich weise gewählt hatte. Er steckte in der Falle. »Aoi, bist du da drin?«, ertönte die Stimme des anderen und er konnte hören, wie unsicher Uruha klang. Was genau erwartete er? Dass er ihn hereinließ und mit ihm redete? Aoi hatte keine Ahnung, wie er dem anderen begegnen sollte, nachdem, was er ihm gerade in seinem Kopf unterstellt hatte. Was, wenn er ihn wirklich nur brauchte, um mit Kai zusammen zu sein? »Aoi, ich muss mit dir reden!« Das klang ernst. Aoi schluckte trocken, und wich mit dem Rücken ans Waschbecken zurück, die Hände auf dem kühlen Marmor, doch diesmal blieb das Gefühl der Ruhe, das dieser noch vor wenigen Minuten in ihm ausgelöst hatte, aus. Uruha ruckelte an der Klinke und diesmal hielt die Leiter-Vorrichtung nicht mehr stand. Aoi fühlte sich wie ein in die Ecke gedrängtes Tier, als der andere die Tür öffnete und einen Moment zaudernd in der Öffnung stand, bevor er langsam auf ihn zukam. Sein Gesicht wirkte fahl, als habe auch er die halbe Nacht nicht geschlafen, und mit einem Mal fühlte sich Aoi noch schlechter als vorher. Seinem Freund ging es nicht gut. Kein Wunder, er war gezwungen, mit einem Fremden in seiner Wohnung zu leben und irgendeinen Weg zu finden, nicht dessen Lover werden zu müssen, ohne dabei ihren Vertrag zu riskieren. Und Aoi hatte nichts Besseres zu tun, als es ihm mit seinen Annäherungsversuchen noch schwerer zu machen und ihm danach zu unterstellen, sich mit Kai gegen ihn verbündet zu haben, sich vermutlich von ihm trennen zu wollen und was sonst noch in den letzten Minuten in gefährlicher Eigendynamik an Irrsinn durch sein Gehirn gerast war. »Aoi, es tut mir leid wegen gestern«, begann Uruha, und selbst wenn Aoi nicht den flehenden Ausdruck in seinen Augen gesehen hätte, wäre an dieser Stelle wieder alles in Ordnung gewesen. Sein Gesicht wurde weich und er hatte kaum die Hände vom Waschbecken gelöst und die Arme geöffnet, da hatte Uruha auch schon die kurze Distanz zwischen ihnen überbrückt und ihn so fest an sich gedrückt, dass Aoi überrascht nach Luft schnappte, bevor er lächelte und die Arme um Uruha legte. Die Wärme des anderen flutete ihn wie Wasser aus einem gebrochenen Staudamm und ließen alle schlechten Gedanken mit einem Mal so abwegig erscheinen, dass er beinahe vergaß, in welches Loch sie ihn noch vor wenigen Momenten gerissen hatten. Uruhas Hände fuhren über seinen Rücken, strichen besänftigend seine Seiten entlang, zu seinen Schultern hinauf, in seinen Nacken, durch seine Haare, und wieder zurück auf seinen Rücken, während seine Umarmung mit jeder Sekunde fester zu werden schien, so dass auch der letzte Spalt zwischen ihren Körpern geschlossen wurde. Sein Kopf war in Aois Schulterbeuge vergraben, so dass die hellen Haare seine Wange kitzelten und sein Atem seinen Hals streifte, und als Aoi die Umarmung mit der selben Stärke erwiderte und seine Arme um Uruhas Taille legte, konnte er fühlen, wie der andere deutlich aufatmete. Sein Griff war immer noch so hart, dass Aoi nicht entweichen konnte, selbst wenn er es gewollt hatte. Und irgendwie gefiel es ihm. Es war genau das, was er gerade brauchte. Uruha, der sich an ihn klammerte, als würde er ihn um keinen Preis der Welt aufgeben wollen. »Das nächste Mal warten wir, bis die Plage ausgeflogen ist, bevor ich zu Besuch komme«, sagte er leise und strich mit den Fingerspitzen durch Uruhas Nackenhaare, hoffend, dass dieser sein Friedensangebot verstehen würde. Einen Moment blieb es still, dann lachte Uruha unsicher, doch noch bevor sich Aoi etwas dabei denken konnte, wurde sein Kopf herumgedreht und warme, volle Lippen legten sich auf die seinen. Er schloss die Augen, öffnete den Mund, um ihren Geschmack einzuatmen und mit all seinen Sinnen zu spüren, und als Uruhas Zunge vorsichtig über seine Unterlippe fuhr, war er dankbar für die enge Umarmung, die seinen Beinen erlaubte, für einen kurzen Moment zu Wackelpudding zu werden. Er schmolz gegen Uruhas Körper, als er den Kuss erwiderte, sanft mit seiner Zunge nach deren Gegenpart suchte und diese zu sich lockte, um mit ihr zu spielen und sie beinahe tänzelnd zu necken, während in seinem Kopf ein kleines Feuerwerk nach dem anderen explodierte. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wann er Uruha das letzte Mal so geküsst hatte. Er konnte die Anspannung beinahe körperlich fühlen, die ihm den Atem nahm, ihm den Boden unter den Füßen wegzog und nichts anderes mehr spüren ließ als das betörende Gefühl butterweicher Lippen, die sich wie schützende Flügel um seine Sinne legten und all seine Sorgen einfach hinfortküssten. Er war gewöhnt, dass Uruhas Küsse rau waren, voller Gier und Leidenschaft, als würden sie ihn packen, verschleppen und sich an ihm vergehen wollen – nicht so beruhigend und zart wie jetzt. Doch er mochte es. Und er brauchte es. »Aoi«, hörte er Uruha in den Kuss hineinflüstern und atmete hörbar ein, als weiche Finger über seine Wange streichelten, bevor die Lippen des anderen begannen, ihm kleine Schmetterlingsküsse zu stehlen, federleicht, als würde er nicht wagen, mehr von ihm zu fordern. »Ich liebe dich…« Die Worte waren so leise gewesen, dass Aoi sie beinahe nicht verstanden hätte, und für einen kurzen Augenblick fragte er sich, ob er sich vielleicht verhört hatte, doch Uruhas Lippen waren schneller wieder auf den seinen, als er überhaupt richtig darüber nachdenken konnte. Sie verwehrten ihm jede Antwort, küssten ihn genauso sanft wie zuvor, doch diesmal war etwas anders, und Aoi brauchte eine Weile, bis ihm auffiel, dass Uruhas Atem schneller ging und sich sein Brustkorb unregelmäßig hob und senkte, als hätte er alle Mühe, die Emotionen in sich unter Kontrolle zu halten. Es war nicht normal, schon gar nicht für Uruha! Und es machte Aoi nervös! »Was ist los?«, fragte er, als er es schaffte, seine Lippen für einen Moment von dem anderen zu lösen, doch anstatt ihm zu antworten, packte Uruha seine Arme und drängte ihn zurück an die Wand, um seinen Mund erneut zu verschließen, diesmal stürmischer, mehr wie seine normalen Küsse. Aoi spürte deutlich, wie sich in seinem Inneren der selbe trockene Klumpen wie vor nicht einmal einer halben Stunde bildete und ihn langsam aber sicher in Panik verfallen ließ. Was zum Teufel veranstaltete Uruha hier?! Merkte er nicht, dass genau solche ein Verhalten dazu führte, dass in Aois Kopf alles durcheinanderwirbelte? Sich entschuldigen, ihm zu sagen, dass er ihn liebte, und ihn dann einfach zu ignorieren – das passte nicht zu Uruha! Das letzte Mal hatte er sich so gefühlt, als sie auf dem Dach gewesen waren, kurz bevor die große Bombe geplatzt war, und Gott bewahre, er hatte nicht vor, noch einmal in seinem Leben eine solche emotionale Achterbahn fahren zu müssen! »Uruha-«, begann er, den anderen am Schopf packend und von sich wegziehend, nur um verstört abzubrechen, als er den seltsamen Ausdruck in dessen Augen sah. Doch noch bevor er weitersprechen konnte, wurde die Tür aufgerissen und Kai stand in der Öffnung. Seine Augen weiteten sich, als er sie sah und Aoi konnte nicht umhin, sich so zu fühlen, als hätte man sie bei etwas Unanständigem ertappt. Er wollte die seltsame Stimmung mit einem Scherz entschärfen, doch Kais Brauen, die sich mit einem Mal verärgert zusammenzogen, ließen ihn verstummen. Und noch ehe er reagieren konnte, hatte der andere Uruha am Arm gepackt und von ihm weggerissen. Der Blick, den er dem Gitarristen zuwarf, war scharf genug, um durch Metall zu schneiden. »Entschuldige, ich habe etwas mit ihm zu besprechen«, sagte er, ohne Aoi anzusehen, und dieser schnappte empört nach Luft, die Zweifel und die Wut, die er noch vor kurzem besiegt hatte, plötzlich wieder so präsent, als wäre sie nie weggewesen, doch da hatte Kai Uruha auch schon mit sich fortgezogen. Aoi brauchte einige Momente, in der er wie zur Salzsäule erstarrt dastand und zu begreifen versuchte, was zur Hölle gerade hier abgegangen war, doch dann setzte er sich in Bewegung und eilte auf den Gang, um den beiden anderen zu folgen. Doch sein hastiger Blick, mit denen er beide Richtungen abscannte, konnte sie nicht sehen. Verdammt, wo konnten sie so schnell hingegangen sein?! »Hey, Aoi«, riss ihn Shou aus seiner Starre, der um die Ecke bog, »die Leader warten drauf, dass wir kommen und die Kleiderordnung für die Party-« »Wo sind Uruha und Kai?« Shou zuckte zurück, als er den wilden Ausdruck in Aois Augen sah und deutete in die Richtung, aus der er gekommen war. Aoi verschwendete nicht eine Sekunde daran, was der andere von ihm halten müsste, und sprintete an ihm vorbei. Er konnte sie nicht sehen, doch es gab nur einen Platz, zu dem sie gegangen sein konnten – die kleine Raucherecke im Innenhof. Und tatsächlich hörte er schon aufgebrachte Stimmen, als er sich der Tür näherte. Er schlüpfte hinter eine der großen Zimmerpflanzen und lugte vorsichtig hervor, doch die beiden Männer waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als dass sie ihn bemerkt hätten. Er hatte den Anfang des Streits scheinbar verpasst, doch auch ohne diesen Teil konnte er deutlich sehen, dass Kai wütend auf Uruha war. »Ach komm, als ob es tatsächlich eine dauerhafte Lösung gewesen wäre!«, erwiderte Uruha gerade und verschränkte provokativ die Arme vor der Brust. »Er hat mehr Probleme gemacht als gelöst!« »Und deshalb hast du ihn rausgeschmissen? Bist du noch ganz dicht?!« Aoi runzelte die Stirn und ein unangenehmes Stechen machte sich in seinem Brustkorb breit. Ging es etwa um ihn? Redeten sie über den gestrigen Abend? »Ich war von Anfang an dagegen! Als ob wir zu zweit nicht besser gewesen wären!«, fuhr Uruha fort, die Augen zu zwei schmalen Schlitzen verengt, und Aoi spürte, wie ihm ein klein wenig schlecht wurde. Oh Gott, war sein Verdacht etwa tatsächlich berechtigt gewesen? »Und das rechtfertigt, dass du ihn rausschmeißt? Was denkst du, was jetzt passiert? Du kannst wirklich nicht einmal nachdenken, bevor du etwas tust!« Aois Finger krallten sich in die Pflanze, hinter der er sich versteckte, und er wünschte sich das Waschbecken zurück, denn die paar grünen Blättchen gaben ihm definitiv nicht den Halt, den er gerade brauchte. Was ging hier vor? War Kai auf seiner Seite? Aber warum zum Teufel regte er sich so auf? »Ich habe ihn nicht rausgeschmissen, er ist von allein gegangen! Vermutlich hatte er keinen Bock mehr auf mich! Was weiß ich? Vielleicht hat er endlich kapiert, dass sein Plan, bei mir einzuziehen, absolut idiotisch war!« Kazuki? Aoi stockte und entließ die Pflanze aus seinem Klammergriff, so dass eine ganze Handvoll grüner Blätter auf den Boden rieselte. Es ging um Kazuki? Er konnte nicht leugnen, dass der Stein, der mit einem Mal von seinem Herzen fiel, so groß war, dass man darauf ein Haus hätte bauen können – doch nur Sekunden später zog er irritiert die Brauen zusammen, als ihm klar wurde, WAS GENAU er soeben gehört hatte. Kazuki war freiwillig ausgezogen? Hurra, darauf hatten sie sich die ganze Zeit gefreut! Problem gelöst, Friede, Freude, Eierkuchen! Zeit, die Sektkorken knallen zu lassen! Oder nicht? – Warum regte sich Kai so auf? »Was hast du getan, Uruha?« Die Stimme des Leaders klang misstrauisch und dass Uruha ertappt einen Schritt zurückwich, schien ihn nicht gerade zu besänftigen. »Nichts!«, erwiderte der andere bockig. Aoi hätte seine Lüge nicht mal im volltrunkenen Zustand überhören können. »Ach, dann habe ich ihn wohl wegen nichts mit verheulten Augen in Richtung Hauptoffice gehen sehen? Nachdem mir die Putzfrau erzählt hat, dass er gestern Abend mit seinem Koffer hier angerollt kam und die Nacht in einem der Büros geschlafen hat?« Aoi weitete die Augen und auch Uruha schien diese Offenbarung einen ordentlichen Schlag in die Magengrube versetzt zu haben. Alle Farbe wich aus seinem Gesicht und seine Lippen begannen zu zittern, während das Entsetzen seinen ganzen Körper zu durchfahren schien. »Scheiße«, hauchte er beinahe tonlos, »Scheiße«, und taumelte ein Stück zurück, um sich an der Mauer abzustützen. Er verschwand aus Aois Blickfeld, doch Kai konnte er noch deutlich sehen. Auf seinem Gesicht hatte sich ein Ausdruck von brutaler Entschlossenheit ausgebreitet, der sehr deutlich klarmachte, dass er Uruha zur Not in den Schwitzkasten nehmen und die Wahrheit aus ihm herauspressen würde, sollte er sie nicht innerhalb der nächsten fünf Sekunden freiwillig ausspucken. Aoi hatte diesen Ausdruck noch nie an Kai gesehen. Und es lief ihm eiskalt den Rücken herunter. »Denkst du, das hier ist ein Spiel?«, zischte der Leader so leise und scharf, dass Aoi es beinahe nicht hören konnte. »Du weißt, was wir hier riskieren? Bring es wieder in Ordnung oder ich tue es!« Uruha schnaubte abfällig und Aoi verfluchte die Wand dafür, dass er die Mimik des anderen nicht sehen konnte. »Als ob du so perfekt wärst! Denkst du, es ist ein guter Plan, Aoi einfach dauerhaft aus dem Weg zu gehen? Früher oder später wird er nachfragen. Der Deal war, dass wir uns so normal wie möglich verhalten! Ich bin nicht der Einzige, der hier nicht alles im Griff hat!« »Oh, komm, versuch gar nicht erst, vom Thema abzulenken. Du wirst-« Ein Klingeln unterbrach Kai und als er auf sein Handy sah, stieß er einen verärgerten Laut aus. »Wir müssen zur Versammlung«, sagte er und klopfte sich mit beiden Händen gegen die Wangen, um sich zu beruhigen. Er warf Uruha einen letzten warnenden Blick zu, aber seine Stimme war nicht mehr ganz so scharf, als er die nächsten Worte aussprach. »Wir besprechen das später. Verhalte dich unauffällig. Und klär das mit Kazuki! Aoi darf niemals erfahren, was wir ihm verschwiegen haben.« Uruha nickte, als er aus dem Schatten trat, und klopfte Kai auf die Schulter. Er schien nicht versöhnt, doch ruhiger als noch vor ein paar Momenten. Aoi schreckte aus seiner Starre auf, als er sah, wie sich die beiden auf die Tür zubewegten, und rannte so schnell, wie ihn seine Beine tragen konnten. Er hatte keine Ahnung, in welche Richtung er ihn bewegte; er rannte und rannte und rannte, stieß die Tür des PSC Gebäudes so hart auf, dass er die Glasscheiben scheppern hörte, doch er blickte nicht einmal zurück, ehe er weiterrannte, bis er weder seine Beine noch seine Lunge spüren konnte. Irgendwann brach er einfach am Straßenrand zusammen, ließ den Kopf an die kühle Steinmauer sinken und lauschte für ein paar Minuten seinem rasselnden Atem und seinem hämmernden Herzschlag, bis er sich wieder soweit beruhigt hatte, dass er einigermaßen klar denken konnte. Doch das war noch eine viel schlimmere Folter als alles zuvor. Verrat. Das Wort spießte sich in sein Gehirn wie eine scharfe Fleischgabel. Verrat. Aus den eigenen Reihen. Von den beiden Menschen, die ihn am meisten verletzen konnten. Aoi ballte die Hand zur Faust und ließ sie so hart auf die Erde krachen, dass er die Zähne zusammenbeißen musste, um unter dem Schmerz, der seinen Arm durchströmte, nicht aufzustöhnen. Eine kalte Hand umschloss sein Herz und drückte es zusammen, doch seltsamerweise begann es nicht zu bluten, wie er erwartet hatte. Oh, wenn irgendjemand denken würde, er würde sich jetzt zusammenrollen, in seinem Leid suhlen und zu jammern anfangen, dann hatte er sich getäuscht! Es war eine Sache, ihn schlecht zu behandeln. Es war eine andere Sache, ihn zu hintergehen. Beides tat weh. Aber das zweite machte ihn gleichermaßen so wütend, dass es alle anderen Emotionen schlichtweg auslöschte. Oh, er würde herausfinden, was sie ihm verheimlichten! Er würde sich so verhalten wie immer, würde in die Normalität blenden, als hätte er nichts von alldem erfahren. Und dann würde er es ihnen mit gleicher Münze heimzahlen! Wenn jemand bluten würde, dann waren sie es! tbc. ******** oh, oh oh. Werden wir noch erfahren, was zwischen Kazuki und Uruha passiert ist und wie es mit ihnen weitergeht? - Auf jeden Fall. Wird Aoi es erfahren? - Wer weiß... Wird es noch zu einem richtig großen Knall kommen? - Definitiv! Ich bin aus Japan zurück, habe wieder Zeit zum Schreiben und jede Menge neue Motivation und Inspiration! Die Geschichte ist ja in meinem Kopf eigentlich schon klar und fertig, aber jedes Mal kommen doch noch kleine überraschende Details dazu. Es tut mir leid, wenn Kai so negativ rüberkommt. Ich mag ihn sehr! Aber gerade steckt er in einer echt unangenehmen Situation. Die ich noch nicht verrate XD Anyways, ich hoffe, ihr hattet alle ein schönes neues Jahr! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)