Ride the Rockers 8 - Love Revolution von raphael_asdrai (6. Sequel zu Ride the Rockers und Fortsetzung von Love Education mit Teilen von SCREW in neuer Hauptrolle) ================================================================================ Kapitel 5: ----------- Kapitel 5 Als Aoi am nächsten Morgen seine Haustür hinter sich schloss, um sich auf den Weg in die Stadt zu machen, hatte er so schlechte Laune wie schon lange nicht mehr. Er hatte natürlich vollkommen vergessen, dass Kai am vorigen Abend noch ein Interview mit einem Magazin hatte und deshalb erst so spät nach Hause gekommen wäre, dass sie sich schon vor einer Woche darauf geeinigt hatten, dass Aoi in seiner eigenen Wohnung übernachten würde. Zu dem Zeitpunkt, als sie es so besprochen hatten, hatte Aoi sich nicht wirklich daran gestört. Wenn er ehrlich war, hatte er sich sogar darauf gefreut, sich einfach eine Pizza zu bestellen, es sich auf seiner Couch gemütlich zu machen und einen Film einmal in voller Länge zu sehen, ohne vorher aufs Sofa, den Couchtisch oder über die Sessellehne gelegt zu werden. Uruha hatte er vertröstet, dass er sich am nächsten Tag wieder mit ihm beschäftigen würde. Nun hatte er seine Pizza und seinen Film bekommen, doch er hätte den Inhalte nicht zusammenfassen können, wenn ihn jemand gefragt hätte. Seine Gedanken waren die ganze Zeit bei Uruha und Kazuki gewesen, und nicht nur einmal hatte er das Handy in der Hand gehabt, um anzurufen. Doch kaum hatte er das Telefonbuch aufgeblättert, hatte er sein Benehmen so lächerlich und kindisch gefunden, dass er es wieder geschlossen hatte. Er würde ganz sicher nicht wie ein eifersüchtiges Weibchen Telefonterror machen! Die Nacht daraufhin hatte er sogar erstaunlich gut durchgestanden, voller Entschlossenheit, sich von einem kleinen verzogenen Indie-Musiker nicht bedroht zu fühlen. So weit käme es noch, dass er sich davon verrückt machen ließ! Und ohne Uruha und Kai auszukommen, würde er wohl auch noch schaffen! Doch spätestens in dem Moment, in dem er am nächsten Morgen in der Dusche förmlich darauf gewartet hatte, dass sich ein anderer Körper hinter ihn schob, war ihm klar geworden, dass er große Entzugserscheinungen hatte. Wie konnte das überhaupt möglich sein, Entzugserscheinungen nach nur einem halben Tag? Es war ja schließlich nicht so, als würden sie ständig aufeinander hängen! Es hatte schon oft Zeiten gegeben, wo sie sich einmal ein paar Tage nicht hatten treffen können, und diese hatte er auch gut überlebt, ohne sich gleich wie ein liebeskrankes Mädchen zu benehmen, das von seinem Lover versetzt wurde. Doch diesmal war es anders… Sein Gesichtsausdruck erhellte sich erst dann wieder, als er anderthalb Stunden später aus der U-Bahn Station trat und Uruha mit ungestylten Haaren und Sonnenbrille an einer Ecke auf ihn warten sah, eine Kippe lässig zwischen den Lippen und lustlos auf seinem Handy herumtippend. »Hey«, begrüßte er ihn und musste sich zusammenreißen, um ihm nicht auf offener Straße um den Hals zu fallen. Dass Kazuki nicht bei ihm war, war ihm auch sehr angenehm. »Wie hast du die kleine Pest abgeschüttelt, die bei dir eingezogen ist?« Uruha klappte sein Handy zusammen und hob bei seinem letzten Kommentar eine Augenbraue, bevor er grinste. »Ich sehe, du hast deine E-Mails so sorgfältig wie immer gecheckt, so dass du zwar weißt, DASS du dich mit mir treffen sollst, aber nicht WARUM.« Er lachte, als Aoi ertappt die Stirn kräuselte, und drückte kurz seine Hand, ehe er sich in Bewegung setzte. Die unauffällige Berührung war wie ein warmer Sonnenstrahl gewesen, doch viel zu schnell wieder vorbei. Aoi folgte ihm wortlos und versuchte sich zu erinnern, ob tatsächlich noch etwas anderes in der Mail gestanden hatte. Doch das Einzige, an das er sich erinnern konnte, war seine Freude, dass er Uruha so schnell schon wiedersehen konnte. »Dann spann mich nicht länger auf die Folter«, sagte er schließlich, als er es aufgab, sich weiter den Kopf zu zermartern. »Livehouse, Probe. Nicht unsere, deren!« »Deren? Seit wann finden Proben in Livehouses statt? Die kriegen wohl bei allem eine Sonderbehandlung!« Aoi hob eine Augenbraue und stellte mit Ernüchterung fest, dass seine schlechte Laune urplötzlich wieder da war. Uruha schien es an seinem schnippischen Tonfall zu merken, denn er drehte sich zu ihm um und tätschelte ihm die Schulter. »Das mit dem Babysitten war leider kein Scherz«, seufzte er und lächelte wehmütig. »Wir sollen uns ein Bild von ihrer Live-Präsenz machen, um mit ihnen daran zu arbeiten. Als ob ich sonderlich Lust darauf hätte…« Er wirkte müde und auf einmal verteufelte Aoi die dunkle Sonnenbrille des anderen, die ihm einen Blick in dessen Augen verwehrte. Eigentlich hatte er fragen wollen, was letzte Nacht geschehen war, wie sich Kazuki verhalten hatte, ob Uruha ihn unter Kontrolle hatte, ob er ihn verdammt noch mal gefälligst nicht in sein Bett gelassen hatte – doch er wusste nicht wirklich, wie er beginnen sollte, ohne zu paranoid oder zu misstrauisch zu klingen. Vielleicht sollte er sich einfach mal am Riemen reißen und Uruha vertrauen! Das Problem war, er war sehr wohl bereit, ihm zu vertrauen. Doch er vertraute Kazuki nicht. ~*~ »Wo sind eigentlich Kai, Ruki und Reita?«, fragte Aoi, als sie die dunklen Stufen des Hintereingangs des Livehouses hinuntergingen und die schwere Tür öffneten, um den Innenraum zu betreten, aus dem sie durch eine weitere Tür gedämpfte Musik hörten. Sie hatten sich entschieden, sich nicht bemerkbar zu machen und erst einmal aus einer dunklen Ecke zu beobachten, was die anderen auf der Bühne so zu bieten hatten. Im Backstage Bereich konnte man sich gut verstecken und hatte trotzdem einen offenen Blick auf das Geschehen. »Kai und Ruki sitzen beim Management und reden mit ihnen über eine Willkommensparty für die neuen Bands; und Reita… Ich habe nicht die leiseste Ahnung.« Uruha öffnete die Tür zur Bühne und sofort schallte ihnen die Musik in ihrer vollen Lautstärke entgegen, so dass Aoi hätte schreien müssen, hätte er die Antwort des anderen kommentieren wollen. So verzog er nur leicht säuerlich den Mund, nicht sicher, ob ihn mehr störte, dass Reita sich vor der Arbeit drückte oder dass er einen weiteren halben Tag auf Kai verzichten musste. Doch ändern konnte er daran auch nichts mehr. Und wenn er ehrlich war, war er schon ein wenig neugierig darauf, was SCREW zu bieten hatten. Wenn er sich über etwas sicher war, dann war es sein Auftreten auf der Bühne. Er war im wirklichen Leben vielleicht manchmal unsicher oder tollpatschig oder fühlte sich nicht wohl, aber sobald er in sein Kostüm schlüpfte, die Bühne betrat und ihn der Scheinwerfer in sein gleißendes Licht hüllte, wurde er zu ›Aoi‹, dem sexy, selbstsicheren Gitarristen von Gazette, der mit jedem Song, mit jedem Gitarrenriff und jedem Applaus noch mehr aufdrehte und von einem Adrenalinstoß zum nächsten rockte. Er wusste, dass es Uruha und den anderen genauso ging. Natürlich schauspielerten sie, natürlich zeigten sie sich in einer Rolle, die sie entweder vom Label bekommen oder sich selbst ausgedacht hatten – aber in diesen zwei Stunden im Scheinwerferlicht lebten sie sie mit voller Inbrunst. Diese Rolle war über die Jahre zu einem Teil seines Selbst geworden, den er liebte und nicht mehr missen wollte, und zu sehen, wie eine noch relativ junge Band ihre Rolle für sich entdeckte und sie zu leben begann, versprach durchaus spannend zu werden. Uruha reckte den Hals hinter einem Verstärker hervor und winkte Aoi, sich neben ihn zu stellen, so dass sie von der Seite auf die Bühne sehen konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Der andere Gitarrist schob sich neben ihn in den Schatten und lehnte sich an die Wand, um das Geschehen zu beobachten. Der Bass vibrierte in seinem Bauch, die Gitarren kreischten in seinen Ohren und er konnte den Beat der Bassdrum durch den Boden seinen Körper durchzucken fühlen. Seine Augen drifteten für einen kurzen Moment genüsslich zu und ließen ihn die harten Riffs mit seinen restlichen Sinnen umso intensiver spüren, ehe er sie wieder öffnete und sich die Mitglieder näher betrachtete. Er konnte jetzt verstehen, warum Ruki den Sänger als seinen Cosplayer bezeichnet hatte. Er hatte eine beinahe verblüffend ähnliche Ausstrahlung, etwas Kühles, Brutales in der Stimme, bevor sie im nächsten Moment wieder weich und beinahe verletzlich wurde. Sein Blick wanderte weiter und streifte die anderen Mitglieder flüchtig, doch noch bevor er sich wirklich mit ihnen beschäftigen konnte, blieb er an Kazuki hängen. Und was er sah, ließ ihn seinen Blick nicht mehr abwenden. Gerade noch hatte er darüber nachgedacht, wie er selbst auf der Bühne in eine andere Rolle schlüpfte, doch in Kazukis Fall schien diese Rolle eine 180° Drehung im Tempo eines Wirbelsturms zu sein. Einen Augenblick bezweifelte er ernsthaft, dass dies die selbe Person war, die verschüchtert im Flur der PSC auf den Boden gestarrt hatte. Der Gitarrist war in hautenges schwarzes Leder gekleidet, das sich um seinen schlanken Körper schmiegte. Lederriemen und Ketten lagen um seine schmale Hüfte und waren um seine Arme geschnallt, seine langen Beine steckten in knappen schwarzen Hotpants, über der die Haut seines Bauchs hervorlugte, und seine roten Haare waren so perfekt gestylt wie eines Edel-Hosts in einem Hochglanzmagazin. Doch das, was Aoi am meisten faszinierte, waren seine Bewegungen. Der schlanke Körper zuckte zu jedem Beat, wand sich im flackernden Scheinwerferlicht so erotisch, als würde er an einer Stange tanzen. Die sehnigen Arme, die seine Gitarre bearbeiteten, waren angespannt und hielten sie mit Gewalt fest, während sich sein Unterkörper dagegen presste, so dass es beinahe so wirkte, als würde er sie vergewaltigen. Seine Augen waren zu schmalen Schlitzen verengt, die vollen Lippen geöffnet und von einem verruchten Lächeln umspielt. Aoi schluckte trocken, als Kazukis Zunge hervorschnellte und über eines seiner Piercings und seine Unterlippe leckte, doch er war sich seiner Reaktion noch nicht einmal bewusst. Für eine winzige Sekunde schnellte sein Blick zu Uruha und er konnte sehen, dass dieser ebenso schockiert und verblüfft starrte wie er selbst, dann zog es seine Aufmerksamkeit schon wieder zu Kazuki. Und diesmal klappte ihm der Kiefer wirklich nach unten. Der junge Gitarrist hatte sich in Bewegung gesetzt, tanzte mit schwingenden Hüften auf die Bühnenmitte zu, wo Byou schon auf ihn wartete. Der blonde Sänger grinste den anderen an, dessen Lippen noch immer das selbe verruchte Lächeln zeigten, ehe er sich mit dem Rücken an den Kleineren schmiegte. Sein Kopf kippte auf Byous Schulter, er riss seine Gitarre in die Höhe, bevor er sie am Gurt zur Seite sinken ließ, sich ein wenig drehte und mit seiner freien Hand über seinen Oberkörper fuhr. Seine Fingernägel kratzten spielerisch seinen Ausschnitt entlang, rissen an seinem Oberteil, bevor sie auf Byos Oberkörper wanderten, und in dessen geöffnetes Hemd schlüpften. Der Sänger reckte sich der Bewegung entgegen, die Augen starr auf das imaginäre Publikum gerichtet. Für einen kurzen Moment verfluchte Aoi ihre Position dafür, dass er das Schauspiel nur von der Seite sehen konnte, doch die Bewegungen waren eindeutig genug. Byous Hand wanderte um Kazukis Hüfte, um ihn zu halten, während sich der Gitarrist wie eine Raubkatze noch näher an ihn schmiegte. Ihre Gesichter wendeten sich einander zu und für einen kurzen Moment geisterten ihre Lippen übereinander, bevor Kazuki plötzlich das Kinn des anderen packte und ihm einen beinahe brutalen Kuss auf den Mund zwang, ehe er sich von ihm abstieß und sich wieder zurück zu seinem Platz bewegte, als wäre nichts geschehen. Aoi stand sicher noch zehn Sekunden mit geöffnetem Mund da, unfähig sich zu bewegen, bevor er es merkte und den Kiefer wieder nach oben klappte. Er sah zu Uruha und auch dieser hatte sichtlich Mühe, das soeben Erlebte zu verarbeiten. Sein Blick fand Aois und dieser nickte nur, als er an der Bewegung der Lippen des anderen die Worte »Holy Crap« ablas. Holy Crap, oh ja, das traf es! Hatte dieser Junge eine gespaltene Persönlichkeit?! Ein schrilles Geräusch des Mikros ließ ihn zusammenzucken und nur Momente später verstummten die anderen Instrumente. Der Bassist winkte sich einen der Tontechniker heran, während der Sänger dem Menschen hinter dem Mischpult am Ende der Halle einen kurzen Break gestikulierte. »Was?!«, beschwerte sich Kazuki, als Byou ihn mit vorwurfsvollem Blick ansah. »Kazuki-chan, du machst schon wieder Sachen, die nicht abgesprochen waren!«, antwortete der andere und hob mahnend den Zeigefinger. »Antanzen, anschmiegen, Kuss andeuten. Andeuten! Nicht wirklich tun!« Ein Grinsen breite sich auf den Lippen des Gitarristen aus, das selbe anzügliche Grinsen wie vor ein paar Minuten, nur noch viel breiter. »Ach komm, du hast so sexy ausgesehen, da konnte ich mich nicht beherrschen!«, antwortete er ohne das geringste Anzeichen für Scham über seine direkten Worte. »Und tu nicht so, als würde es dir nicht gefallen! Ich hab genau gemerkt, wie du meinen Po gepackt hast und mit deinen Fingern unter meine Hotpants wolltest!« Er lachte amüsiert als ihm der Sänger einen finsteren Blick zuwarf, und strich sich die Haare nach hinten. Seine schlanken Finger glitten etwas zu offensichtlich an seinem Hals entlang und spielten für einen Moment mit dem Stoff seines Oberteils, bevor er auf Byou zuging und ihm beide Arme ausgestreckt um den Hals legte. »Wenn du das auch einbauen willst, können wir später nochmal privat üben«, säuselte er mit rauchiger Stimme und leckte sich verführerisch über die volle Unterlippe. Sein Grinsen verschwand auch dann nicht, als Byou ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust piekte und ihn so von sich wegschob, stattdessen lachte er nur und warf ihm eine Kusshand zu, ehe er zurück auf seinen Platz gehen wollte. Doch im nächsten Augenblick erstarrte er zu Stein und seine Augen weiteten sich entsetzt. Der selbstsichere Gesichtsausdruck verschwand im Bruchteil einer Sekunde, ehe er den Kopf einzog und reflexartig zurückwich, als würde er sie wie eine Mimosenpflanze zusammenziehen wollen. Aoi starrte ihn nur verdattert an, bis ihm klar wurde, dass jemand das Licht angemacht hatte und sie nicht länger im Schatten standen. Und da Kazuki ihn nicht einmal angesehen hatte, konnte seine Reaktion nur an einem liegen: Uruha. »Auf jeden Fall, sprich sowas bitte das nächste Mal vorher mit mir ab, dann können wir sehen, ob wir es einbauen«, ließ sich Byou vernehmen, der von alledem noch überhaupt nichts mitbekommen hatte, bevor auch er sie entdeckte. Seine Augen weiteten sich überrascht und sein Blick huschte für einen kurzen Moment zu Kazuki, dann legte sich ein erfreutes Lächeln auf sein Gesicht und er hob die Hand zum Gruß. »Hallo!«, sagte er laut und wedelte mit der Hand nach seinen anderen Bandmitgliedern. »Jungs, wir haben Besuch! - Was macht ihr denn hier?« »Zusehen, was unsere neuen Pflegekinder schon allein auf die Beine stellen können!«, antwortete Uruha, der zuerst seine Reaktionsfähigkeit wiedererlangt hatte, spaßend und ging auf die Bühne, um die anderen zu grüßen und Byou auf die Schulter zu klopfen. Aoi folgte ihm und nickte den jungen Männern höflich zu, die alle sichtlich begeistert über ihren Besuch schienen. Alle bis auf Kazuki, der wie ein paralysiertes Kaninchen auf den Boden starrte, die Schultern zusammengezogen und absolut regungslos, als würde er hoffen, dadurch unsichtbar zu werden. »Wir dürfen euch doch sicher ein bisschen zugucken, oder?«, fragte Uruha und zeigte ihnen erfreut ein Thumbs Up, als die anderen enthusiastisch mit den Köpfen nickten. Er griff Aoi am Handgelenk und sprang mit ihm von der Bühne, um sich einen Platz in der Halle zu suchen, von dem aus sie weiter zusehen konnten – diesmal von vorn. »Na dann!«, rief Byou und klatschte in die Hände, ehe er dem Tontechniker gestikulierte und seine Bandkameraden wieder auf ihre Plätze scheuchte. »Kazuki-chan, du auch!«, sagte er und stieß dem Gitarristen, der auf seine Worte nicht einmal ansatzweise reagiert hatte, gegen die Schulter. Der andere zuckte zusammen und nickte verlegen, ehe er zu seinem Platz schlich und mit zitternden Händen seine Gitarre umfasste. Es war ihm deutlich anzusehen, wie unwohl ihm die Situation war, und auch wenn er sich bei den nächsten Liedern nicht verspielte, waren seine Bewegungen lange nicht mehr so flüssig und verführerisch wie noch vor ein paar Minuten. Er wirkte hölzern, beinahe wie eine steife Puppe, und als sie die Probe schließlich beendeten, brauchte er nicht einmal 30 Sekunden, um sein Instrument abzustöpsen und im Backstage Bereich zu verschwinden. Die beiden Gazette-Mitglieder sahen ihm perplex nach, doch von SCREW schien diese Reaktion niemanden zu verwirren. »Der beruhigt sich wieder«, sagte Byou nach ein paar Minuten zu Aoi, als sie alle auf der Bühne standen und ihre Sachen packten. Uruha hatte sich zu dem Bassisten und dem anderen Gitarristen gesellt, sich in ein Gespräch über Frequenzen und Verstärker vertieft und versuchte ihnen gerade zu zeigen, wie man mit dem Fuß den Kanal wechseln und in der selben Bewegung noch einen rekordverdächtigen Hüftschwung inszenieren konnte, während Aoi sich ein wenig verloren vorkam. Er nickte, auch wenn er nicht wirklich wusste, was er mit der Information anfangen sollte. »Er dreht ja auf der Bühne ganz schön auf«, sagte er schließlich und tippte sich auf die Lippen. Byou verstand den Hinweis, denn er lachte und wiegte den Kopf hin und her. »Ach nein, so ist er normalerweise auch«, klärte er den schwarzhaarigen Gitarristen auf. »Es vergeht eigentlich kaum ein Tag, an dem er nicht irgendjemanden küsst oder sich auf ihn wirft oder ihm in den Schritt fasst. Er hat sogar einmal das Kamasutra angeschleppt und wollte uns zwingen, es in Trockenaerobic nachzustellen.« Er grinste breit, als er Aois schockiertes Gesicht sah, ehe er mit den Schultern zuckte. »So ist er halt«, sagte er, als wäre es etwas vollkommen Normales, wenn ihm sein Bandkollege beinahe täglich an die Wäsche wollte. Aoi klappte den Mund auf und wieder zu, sichtlich verwirrt, wie er diese neuen verstörenden Informationen einordnen sollte, denn obwohl es in seinem Fall tatsächlich normal war, wenn einem Bandkollegen an die Wäsche gingen, so war er sich ziemlich sicher, dass das NICHT der Normalfall war. »Und was war das dann gerade eben?«, fragte er schließlich und deutete auf die Tür, durch die Kazuki verschwunden war. Für einen Augenblick wurde Byous Gesichtsausdruck ernst, dann seufzte er tief. »Keine Ahnung. Wenn es um Uruha geht, dreht er irgendwie ein bisschen ab. Aber das wird sich schon wieder einrenken!« Er nickte zuversichtlich und wendete sich seinem Mikrokabel zu, während Aoi sichtlich beunruhigt auf die Tür starrte. Das, was er bis jetzt erlebt hatte, ließ seiner Meinung nach keines Wegs darauf schließen, dass sich irgendetwas einrenken würde! Im Gegenteil, je mehr er über den anderen erfuhr, umso unruhiger ließ es ihn werden. Solange er Kazuki für einen harmlosen – wenn auch leicht abgedrehten – Fanboy gehalten hatte, hatte er es halbwegs mit sich vereinbaren können, ihn bei Uruha wohnen zu lassen. Doch nun, da er mit eigenen Augen gesehen hatte, zu was der Junge fähig war, erfüllte es ihn schier mit Panik, wenn er nur daran dachte, dass er sich im selben Raum wie sein Freund aufhielt. Er musste mit Kai reden. Sie mussten sich dringend etwas einfallen lassen! Er wollte auf keinen Fall, dass Uruha mit diesem wandelnden psychotischen Hormonhaushalt nach Hause ging! Das wäre definitiv ein wandelnder Hormonhaushalt zu viel in Uruhas Wohnung! Am liebsten würde er sofort wieder alles rückgängig machen, was sie abgesprochen hatten, sich Uruha schnappen, ihn in Kais Wohnung schleppen und die Tür hinter ihnen verrammeln. Denn über eines war er sich nun absolut sicher: Kazuki war gefährlich. ~*~ »Was soll das heißen, er soll ihn nicht nach Hause nehmen?« Kais Stimme am Telefon war recht verdutzt, als Aoi ihn wenige Minuten später vom Vorraum des Livehouses anrief, und sein Tonfall ließ darauf schließen, dass er eigentlich gerade mit etwas Wichtigerem beschäftigt war. »Du hättest ihn sehen müssen!«, sagte Aoi aufgebracht und sah sich erschrocken um, als seine Stimme etwas lauter war, als er eigentlich vorgehabt hatte. Er dämpfte seine Stimme, als er fortfuhr, aber seine Worte waren deshalb nicht weniger aufgeregt. »Es war, als würde Uruha auf Ruki losgehen. Er hat ihn befummelt und geküsst, und es hätte nicht viel gefehlt, dann hätte er ihn auf der Bühne flachgelegt!« Nun ja, letzteres war vielleicht ein klein wenig übertrieben, aber solange es ausreichte, dass Kai den Ernst der Lage begriff, war es durchaus angemessen. Er fand sein Beispiel äußerst aussagekräftig. Für einen kurzem Moment hatte er tatsächlich ein Déjà-vu von Uruha und Ruki gehabt, die genau das selbe schon zig Mal vor seinen Augen aufgeführt und die Fangirls damit zum Kreischen gebracht hatten. Und im Fall von Uruha und Ruki war es auch nicht immer nur beim Küssen geblieben. Er kannte die Videos! »Der Junge hat es faustdick hinter den Ohren!«, fuhr er fort und fühlte, wie sein Herz unangenehm schnell zu klopfen begann, als er sich erinnert, mit was für einem hungrigen Blick Kazuki Uruha angesehen hatte, als er bei ihm eingezogen war. Dieser Blick war gefährlich gewesen, ein Blick, wie Aoi ihn von vielen anderen und nicht letztlich von sich selbst kannte – aber keiner dieser anderen Menschen wohnte bei Uruha. Keiner schlief so dicht neben seinem Schlafzimmer, das sich nicht abschließen ließ. Er wollte gar nicht daran denken, was passieren würde, wenn Uruha einen schwachen Moment hätte. »Kai, sag was!«, flehte er, als es am anderen Ende der Leitung still war. Kai seufzte, und Aoi wusste selbst ohne dass er es sah, dass der andere dabei mit den Augen rollte. Er kannte den Ton gut genug, und er hätte Kai am liebsten dafür geschlagen. »Meinst du nicht, dass du etwas überreagierst?«, fragte der Drummer. »Es war deine eigene Idee, dass wir mitspielen sollen. Und jetzt willst du es einfach abbrechen? Weißt du, dass uns das unseren Vertrag kosten könnte? Uruha nimmt eine Menge auf sich, um das durchzuziehen. Du solltest ihn lieber unterstützen, anstatt ihm so in den Rücken zu fallen!« Seine Worte waren hart gewesen und für einen Augenblick wusste Aoi nicht, was er erwidern sollte. Sein Mund stand offen, er hielt das Handy regungslos in der Hand und für einen kurzem Moment wurde ihm unangenehm schwindlig, so dass er sich an der Hauswand abstützen musste. Nur langsam konnte er sich wieder fangen, doch die Gedanken schwirrten noch immer in seinem Kopf herum, als würde darin ein Wirbelsturm toben. Er wusste nicht, was er antworten sollte, denn das Grausame war: Kai hatte Recht. Und sein letzer Vorwurf hatte Aoi mehr getroffen, als er für möglich gehalten hatte. »Bin ich denn der Einzige von uns, der Angst hat, dass er uns verlassen könnte?«, sagte er und musste sich zusammenreißen, um seine Stimme fest klingen zu lassen. Er hatte es als Vorwurf formulieren wollen, doch es klang eher so, als würde er sich verteidigen. Einen Moment war es still an der anderen Seite der Leitung. Aoi konnte förmlich fühlen, wie ihm mit jeder Sekunde kälter wurde, in der Kai nicht antwortete. Doch schließlich hörte er den anderen seufzen. Diesmal wollte er Kai nicht dafür schlagen. Diesmal tat es einfach nur weh. Aber es war nicht einmal annähernd so grausam wie Kais nächste Worte. »Wir haben zu keinem Zeitpunkt gesagt, dass wir eine monogame Beziehung haben. Das sollte dir klar sein. Aber selbst wenn Uruha mit Kazuki schlafen sollte, wird er uns deshalb nicht verlassen.« Die Stimme des anderen hatte weich geklungen, beinahe so, als wollte er Aoi trösten, doch dieser bemerkte es nicht einmal. Seine Beine, die ihn bis jetzt noch sicher gehalten hatten, gaben mit einem Mal nach und ließen ihn auf den Boden des Vorraums sinken. Es war ihm vollkommen egal, dass der Untergrund dreckig war, als seine freie Hand darauf Halt suchte, um ihn abzustützen. Er war sich beinahe sicher, dass er auch das Handy hatte sinken lassen, und erst als Kai fragend seinen Namen sagte, bemerkte er, dass er es noch immer an sein Ohr gepresst hatte, die Finger so fest darum geschlossen, als würde er es zerquetschen wollen. »Aoi?«, wiederholte Kai seine Worte, doch Aoi reagierte nicht. Er fühlte sich wie gelähmt, als hätte sich eine eisige Kälte um seine Brust geschlossen und würde seine Kehle mit ihren klammen Fingern zusammendrücken, so dass er nur noch unter Schmerzen atmen konnte. Denn es tat weh. Es tat so sehr weh, dass er am liebsten aufgeschrien hätte. Kai hatte Recht … Kai hatte mit allem Recht. Er hatte es nie bemerkt, hatte sich so wohl mit ihm und Uruha gefühlt, dass er vollkommen vergessen hatte, dass keine Regel sie daran hinderte, sich auch mit anderen zu vergnügen. Vielleicht war es schon geschehen und er hatte es nur nicht bemerkt? Was, wenn Kai es auch schon getan hatte? Er schien es immerhin zu billigen! Und Uruha? Uruha liebte es, mit anderen zu flirten, und sein Ruf als Schwerenöter eilte ihm durch die gesamte PSC voraus. Hatte er das wirklich für ihn aufgegeben? Was, wenn nicht? Was, wenn er das ›Spiel‹, Kazukis Freund zu sein, zu ernst nahm? »Aoi, ich habe keine Zeit mehr, ich muss zurück ins Meeting«, riss ihn Kais Stimme aus seinen Gedanken, und er zuckte erschrocken zusammen. »Kai, warte!«, keuchte er hastig, plötzlich wieder vollkommen klar. »Leg nicht auf, ich muss mit dir reden! Ich brauche dich jetzt! Was meinst du mit ›das sollte mir klar sein‹? Hast du heute Abend Zeit?« Sein Herz klopfte so laut, dass er es zu hören glaubte. Er hielt den Atem an und leichte Panik überfiel ihn, als er für eine Sekunde glaubte, Kai hätte schon aufgelegt, doch die leisen Hintergrundgeräusche am anderen Ende der Leitung waren noch immer zu hören. »Tut mir leid, Aoi, ich habe heute keine Zeit für dich. Wir sprechen uns morgen!« Dann ertönte ein leises Klicken und es war still. Aoi starrte einen Augenblick schockiert ins Nirgendwo, das Handy immer noch ans Ohr gepresst. »Kai!«, rief er, »Kai!«, doch die Leitung war tot. Aoi schnappte hörbar nach Luft, nicht empört darüber, dass ihn der andere einfach weggedrückt hätte, wie er es sonst gewesen wäre, sondern aus purer Panik. Er japste erneut auf, diesmal lauter als das letzte Mal, und hielt sich erschrocken die Hand auf die Brust, als er den seltsamen Laut vernahm. Doch er konnte nicht verhindern, dass er es ein drittes Mal tat, diesmal so schwach, als hätte ihm jemand mit voller Wucht in die Magengrube geschlagen, ehe er das Handy sinken ließ. Was passierte hier gerade mit ihm? Gestern noch hatte er sich sicher gefühlt, hatte gedacht, sie würden alles zusammen durchstehen können. Und nun hatte er nur noch Angst, große Angst. Kazuki war eine ernste Bedrohung, die sich einfach rücksichtslos in ihr Leben gedrängt hatte, und die beiden Menschen, die er brauchte, um es durchzustehen, waren nicht für ihn da. Er musste etwas tun, musste ihnen klarmachen, was ihn so in Panik versetzte. Doch Uruha konnte er nicht auch noch seine eigenen Probleme auflasten. Und Kai hatte ihn zurückgewiesen. Und er konnte nicht leugnen, dass er sich von ihm verraten fühlte, ein Gefühl, was er fast noch mehr hasste als die Angst, Uruha könnte bei Kazuki schwach werden. Von seinem einen Freund fühlte er sich im Stich gelassen, dem anderen vertraute er nicht. Wie tief konnte er noch sinken? Noch nie hatte er sich so hilflos gefühlt wie jetzt. tbc. ---------------------- Aha, aha, Kazuki ist also doch ganz anders als gedacht XD Na das wird noch interessant werden! Armer Aoi! Ich fliege nächste Woche übrigens für 10 Tage nach Schweden. Kalt ... >.< Ich denke, ich werde mich auf einen 2-wöchigen Update-Rhythmus einpendeln. Das nächste Kapitel ist in meinem Kopf schon fertig, will nur noch geschrieben werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)