Klavier von Okkasion ================================================================================ Kapitel 1: Dort am Klavier lauschte sie mir... ---------------------------------------------- Sanft glitten Roderichs Finger über die Tasten seines geliebten Klaviers. Lange schon, viel zu lange hatte er nicht mehr darauf gespielt. Doch nun hielt er es für angebracht die Saiten erneut, vielleicht zum letzen Mal, erklingen zu lassen. Zaghaft, ganz zaghaft begann er eine leise, kleine Melodie zu spielen. Beethovens 9. Sinfonie, die Sinfonie des Schicksals. Ein sehr schönes Stück des Großmeisters. Just in diesem Moment vernahm Roderich ein barsches Klopfen an der Tür und eine ihm wohlbekannte Stimme. Wie passend. Das Schicksal klopfte an die Tür. Er war also wirklich hier, hatte es wirklich geschafft. Sie sagen zu mir schließ auf diese Tür Die Neugier wird zum Schrei, was wohl dahinter sei „Roderich! Ich weiß, dass du da drinnen bist! Sperr endlich die verdammte Tür auf!“ Das Klopfen ertönte erneut, diesmal stärker. Nun in diesem Fall versuchte das Schicksal wohl eher die Tür einzurennen… Glücklicherweise hatte Roderich den Raum vorsorglich abgeschlossen, zum Schutz vor unerwünschten Besuchern –wobei das noch reichlich milde ausgedrückt war. Während der Österreicher weiterspielte, überlegte er, wie jener unerwünschte Gast sich überhaupt Zutritt zu seinem Haus verschafft hatte. Nun gut, eigentlich war es auch nicht schwer in das Haus zu gelangen… Wenn man wusste, wo der Zweitschlüssel lag. Doch Roderich war sich absolut sicher, dass betreffende Person ganz genau wusste, wo sich der Schlüssel befand, war sie hier doch sooft ein und aus gegangen. Hinter dieser Tür steht ein Klavier Die Tasten sind staubig, die Saiten sind verstimmt Doch Roderich ließ sich nicht beirren, spielte weiter seine Melodie, spielte lauter, spielte schneller, immer schneller, aggressiver, dann wieder langsamer, leiser, bis sein Spiel gänzlich verstummte. Es hatte einfach keinen Sinn, auf einem eingestaubten Klavier mit verstimmten Saiten zu spielen. Es klang nicht wirklich schön, zwar war die Melodie noch erkennbar, aber schön klang sie auf keinen Fall. Nicht so majestätisch, wie der erste Satz der Sinfonie eigentlich hätte klingen müssen. Es klang eher… kläglich, es blieb der klägliche Versuch. Noch immer stand Roderich vor dem Klavier, starrte jetzt jedoch nicht mehr auf die vergilbten Tasten. Stattdessen lenkte er seinen Blick auf etwas Interessanteres. Auf die Person, die neben ihm am Klavier saß. Ein Anblick so wunderschön, so atemberaubend und doch so schrecklich, geradezu abstoßend. Nicht mehr majestätisch wie einst sondern eher… kläglich. Hinter dieser Tür sitzt sie am Klavier Doch sie spielt nicht mehr Ach, das ist so lang her „Eliza…“ Genauso sanft, wie er über die Tasten seines Klaviers gefahren war, ebenso zärtlich fuhr er durch das Haar seiner Geliebten. Oft hatten sie gemeinsam am Klavier gesessen, vierhändig gespielt. Es hatte immer wunderschön geklungen. Als wären sie absolut eins gewesen. Nun, das war jetzt vorbei. Doch am Klavier würde sie auf ewig sitzen. Das würde nicht so einfach, so schnell vorbeigehen. Noch immer saß sie auf dem gepolsterten Hocker am Klavier, die schlanken Finger auf die Tasten gelegt. Nur ihr Kopf war ebenfalls auf die Tasten gesunken. Sie hätte ausgesehen als würde sie schlafen… Einfach über den Noten eingeschlafen… Dort am Klavier lauschte ich ihr und wenn ihr Spiel begann hielt ich den Atem an Roderich strich behutsam über Elizavetas blasse Wange. Diesen Abend würde er nie vergessen. Den Abend an dem sie zum letzten Mal gemeinsam musiziert hatten. Eliza hatte schon am Klavier gesessen, ein bisschen für sich gespielt und Roderich hatte einfach nur gelauscht. Er liebte Musik, egal ob er sie hörte oder ob er selbst spielte. Musik hatte etwas Magisches. Sie konnte die innersten Gefühle des Spielers ausdrücken und sie dem Zuhörer vermitteln. Musik sagte mehr als tausend Worte und präsentierte sich dabei noch in einem atemberaubenden Gewand aus Klängen. Worte waren immer so hart und barsch. Musik war es nicht… Musik war zärtlich, trotzdem leidenschaftlich… Genauso wie Elizaveta es gewesen war. Wie ihre Finger immer über den Flügel geglitten waren, sanft, zärtlich und doch bestimmt. Roderich hatte es geliebt ihr beim Spielen zuzusehen, hatte es mehr geliebt als selbst zu spielen. Er hatte sie mehr geliebt als alles andere auf der Welt. Das war jetzt auch vorbei. Sie sagte zu mir ich bleib' immer bei dir doch es hatte nur den Schein Sie spielt für mich allein Mehr als alles andere hatte Roderich Elizaveta geliebt. Er war bis zum bitteren Ende davon ausgegangen, dass sie dasselbe für ihn fühlte. Wie falsch er doch gelegen hatte. In seinem eigenen Haus, in seinen eigenen vier Wänden hatte er es herausgefunden, hatte herausgefunden, dass Elizavetas Liebe nicht ihm sondern einem anderen gegolten hatte. Gesehen hatte er sie, gesehen in dem Zimmer, welches er sich mit Eliza geteilt hatte, ihr Zimmer, ihr Bett… Doch er hatte sich nicht bemerkbar gemacht einfach stumm zugesehen hatte er und sich letztendlich vor Trauer und Ekel abgewendet… „Mach diese scheiß Tür auf!“, schrie der unerwünschte Besucher erneut, hämmerte stärker auf die Tür ein als zuvor. Doch die dumpfen Schläge verhallten nach einigen Minuten wieder, offenbar hatte der Andere keine Kraft oder keinen Antrieb mehr Roderich dazu zu bewegen den Raum freizugeben. Es herrschte wieder ehrfürchtige Stille im Raum, keine weiteren Geräusche von der Tür. Roderich wusste, wusste ganz genau, wer sich auf der andern Seite der Tür befand, wer die ganze Zeit versuchte zu ihm und zu Elizaveta zu gelangen. Welch schicksalhafter Zufall, dass es eben jene Person war, die Roderichs geliebte Eliza begehrt hatte… Ich goss ihr Blut ins Feuer meiner Wut Ich verschloss die Tür Man fragte nach ihr Der Tag, an welchem Roderich Elizas Untreue, die sich, wie er später im Verlauf jenes Tages herausfand, bereits über mehrere Jahre hinzog, entdeckte, sollte auch ihr letzter gemeinsamer Tag sein. An jenem Abend, als Roderichs Elizas improvisiertem Klavierspiel, ihrem letzten Stück gelauscht hatte, hätte niemand seine Tat vorhergesehen, nicht einmal er selbst. Er hatte auf ihre langen Finger gestarrt, ihre wunderschönen Hände… und er musste unwillkürlich daran denken, was diese Hände erst einige Stunden zuvor getan hatte mit dem Mann, der sie jetzt zu sehen wünschte. Just in diesem Moment überfiel Roderich, noch immer die Bilder des Nachmittages im Kopf eine solche Wut, eine solche nicht zu bändigende Wut, wie er sie bei sich noch nie erlebt hatte. Vollkommen von Sinnen, nur noch die Bilder von Eliza im Kopf hatte er nach seiner Stimmgabel, die wie griffbereit auf dem Tisch gelegen hatte, gegriffen… Dort am Klavier lauschte ich ihr und wenn ihr Spiel begann hielt ich den Atem an Kurz hatte sich Elizaveta noch umgedreht, sich wundernd, warum Roderich plötzlich so aufgebracht gewesen war. Ihre Augen, ihr großen grünen Augen hatten sich vor Schreck geweitet, als sie erkannt haben musste, was Roderich vorgehabt hatte. Doch Elizas Erkenntnis war zu spät gekommen. Die Stimmgabel war bereits zur tödlichen Waffe geworden, steckte schon tief in ihrer Brust. Dann langsam, nahezu wie in Zeitlupe hatten ihre vollen Lippen eine stumme, verständnislose Frage geformt, begleitet vom fragenden Blick ihrer smaragdgrünen Augen. „Warum?“ Roderich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Möglichkeit mehr zu antworten gehabt, seine sterbende Geliebte war bereits auf dem schönen, hölzernen Flügel in sich zusammengesunken, Hände noch auf den Tasten liegend, die Augen noch immer geöffnet. Obgleich sie tot war, nichts hatte sie von ihrer Schönheit eingebüßt. Dort am Klavier stand ich bei ihr doch es hatte nur den Schein sie spielt für mich allein Erneut fuhr Roderich seiner verblassenden Liebe durch das lange, kastanienbraune Haar. Wie romantisch ihr Tod gewesen war. Aus Liebe, unendlicher Liebe ermordet mit einer Stimmgabel an seinem geschätzten Klavier. Es hatte schon fast etwas Poetisches. Etwas weniger poetisch hingegen würde Roderichs nächste Tat werden, wie er befürchtete… Er glitt mit seinen beiden Händen zärtlich den Rücken Elizaveta hinunter, wieder hinauf, erkundete den gut gebauten Oberkörper der jungen Frau, bis… „Scheiße, verdammt! Roderich, mach diese beschissene Tür auf!“ Wieder kamen Geräusche von der Tür. Diesmal klang es, als versuche der Besuch Roderichs Tür einzutreten. Doch auch diese Tat wurde nicht von Erfolg gekrönt. Egal wie oft sich der Andere gegen die Tür warf, klopfte, dagegentrat, nichts passierte. Wieder Stille. Dann ein unterdrücktes Schluchzen von der Tür und der letzte verzweifelte Tritt gegen die Tür. Das Schloss knackte gefährlich, doch nichts geschah. Gleichzeitig aber wurde Roderich bewusst, dass er dem hier ein Ende setzen musste. Das Schloss war nicht für die Ewigkeit gemacht. Ein letztes Mal umfasste Roderich den erkalteten Körper Elizavetas, ließ seine Hände darüber wandern. Es glich einer romantischen Umarmung – bis Roderich die Stimmgabel mit einem Ruck aus Elizas Brustkorb zog. Geöffnet ist die Tür Ei, wie sie schrein' Ich hör' die Mutter flehn' der Vater schlägt auf mich ein Die blutbesudelte Stimmgabel in der Rechten durchquerte Roderich den großen Raum, bis er schließlich vor der Tür stand, der Tür hinter der er wartete. Er. Der verdammte, arrogante Albino, zu nichts zu gebrauchen, egozentrisch und faul… Und doch offenbar begehrenswerter als Roderich. Gilbert. Ganz genau erinnerte sich Roderich an den Namen seines ehemaligen Freundes, hatte er Elizaveta diesen Namen doch so oft seufzen gehört. Die Gedanken drehten sich, erneute Wut, noch schrecklicher als zuvor, erfasste Roderich, kontrollierte sein Denken, sein Handeln. Mit einem Ruck riss er die Tür auf und starrte –wie erwartet– dem rotäugigen Mann mit dem schlohweißen Haar entgegen, der allerdings gekonnt durch Roderich hindurchsah, nur das Klavier im Blick. Wie schon bei Elizaveta weiteten sich die roten Augen Roderichs Gegenübers geschockt. „…Was? Wie?! Du… Du verdammter Arsch! Was soll das?! Was hast du getan?!“, schrie er, konzentrierte sich aber nicht mehr auf Roderich, überrannte ihn fast, um zu Elizaveta zu gelangen. Man löst sie vom Klavier und niemand glaubt mir hier dass ich todkrank vor Kummer und Gestank „Liz? Liz?“, flüsterte der Albino verzweifelt, die Arme um Roderichs einzige Liebe geschlungen, schüttelte sie, starrte sie an wie ein Wahnsinniger. Roderich stand noch immer an der Tür, drehte sich nun langsam um, das sich ihm bietende Schauspiel eine ganze Weile betrachtend. Langsam, ganz langsam schritt er auf die Beiden zu. So schrecklich unpoetisch war seine Tat dann wohl doch nicht. Ein Mord aus Rache, das klang zwar schrecklich aber andererseits… Zwei Liebende, für immer im Tode vereint, war das nicht romantisch, war das nicht poetisch? Gleich würde er sie erreicht haben. Nur noch einen Schritt war er von seiner Geliebten und dem verhassten Mann entfernt. Nur noch einen Schritt zur Erlösung, zur sehnlichst erwarteten Erlösung. Er war da. Roderich stand genau hinter dem aufgelösten Gilbert und der blassen, steifen Elizaveta. Präzise hob Roderich die Stimmgabel, durch die Eliza schon zu Tode gekommen war… Dort am Klavier lauschte sie mir und als mein Spiel begann hielt sie den Atem an Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)