Aurae von Flordelis (Löwenherz Chroniken II) ================================================================================ Kapitel 4: Verfolgt ------------------- Tatsächlich genoss Raymond den Abend. Kurz bevor er das Haus erreicht hatte, war ein erneutes Zögern in ihm erwacht, ob er Joel wirklich wieder so einfach damit davonkommen lassen sollte – und ob er sich den besorgten Gesichtern dessen Eltern aussetzen wollte. Immerhin hatte Joel ihnen bestimmt bereits erzählt, dass er unter heftigen Albträumen litt und die Lehrer waren damit sicherlich auch schon an den Direktor herangetreten. Lediglich der Wunsch nach einer warmen Mahlzeit, einem Tee und etwas Gesellschaft, die ihn ablenken könnte, hatten ihn schließlich davon überzeugt, nicht wieder nach Hause oder einfach ins nächstbeste Kino zu gehen. Entgegen seiner Befürchtungen wurde es auch ein netter Abend. Die Atmosphäre war bei weitem nicht so angespannt wie gedacht, keiner der Erwachsenen sprach ihn auf seine Albträume an, obwohl er durchaus bemerkte, dass ihnen die Schatten unter seinen Augen auffielen und auch Joel verhielt sich deutlich sensibler als sonst und schluckte des öfteren einen Spruch herunter, der ihm bereits auf der Zunge lag, das war selbst für Raymond offensichtlich. Genauso wie die Tatsache, dass dieses Verhalten seinem Freund äußerst schwerfiel, was ihn nur in dem Entschluss bekräftigte, nach dem Essen wieder nach Hause zu gehen, obwohl er auf der Stelle hätte einschlafen können, so müde wie er war. Theia und Rufus verabschiedeten sich nur knapp von ihm, vermutlich um nicht die Gefahr einzugehen, doch noch irgendwelche Anzeichen von Besorgnis auszuleben, während Joel ihn bis an die Tür begleitete. Ein wenig verlegen kratzte sein Freund sich am Nacken. „He, Ray, was ich vorhin gesagt habe, tut mir Leid. Ich sollte dich nicht dauernd auf solche Dinge ansprechen.“ Raymond war sich darüber im Klaren, dass Joel erwartete, dass er abwinken und sagen würde, dass schon alles gut sei, aber stattdessen sah er ihn nur schweigend an, so dass er gezwungen war, fortzufahren: „Aber meine Zunge ist manchmal schneller als mein Gehirn. Ich arbeite daran, echt.“ „Viel Erfolg“, meinte Raymond trocken, lächelte im nächsten Moment aber bereits. „Mach dir nicht allzu viele Gedanken darum. Ich werde nicht tot umfallen, weil du unsensibel bist. Du musst nur damit rechnen, dass ich ab und zu verärgert bin.“ Joel wirkte deutlich erleichtert und schmunzelte auch wieder. „Ich hasse es, wenn du so bist. Da gibst du einem immer das Gefühl, an allen Katastrophen auf der Welt schuld zu sein und als ob du nie wieder mit einem sprechen möchtest.“ Das war ihm nie bewusst gewesen, aber es war gut zu wissen. „Nein, keine Sorge, so weit wird es wohl nie kommen.“ „Sehr gut. Dann komm gut nach Hause, ich werd' dich morgen früh wieder abholen.“ Raymond nickte und verabschiedete sich von Joel, ehe er das Haus verließ. Er war erst wenige Schritte gelaufen, als er die Entscheidung bereits wieder bereute. Es war überraschend kalt für eine Nacht im September, fand er und auch irgendwie... unheimlich. Außer ihm schien sich sonst niemand auf den Straßen zu befinden, was zwar in dieser Gegend von Lanchest nicht sonderlich unüblich war, ihm aber im Moment doch einen Schauer über den Rücken jagte. Er hob den Kopf und entdeckte neben dem schwachen Leuchten einiger besonders heller Sternen auch den abnehmenden Mond, der ihm gemeinsam mit den Straßenlaternen Licht spendete. Genug, um zu sehen, dass es nichts gab, vor dem er sich fürchten müsste und doch war genau diese Abwesenheit von potentieller Gefahr etwas, was in seinem Inneren alle Alarmglocken auf Bereitschaft springen ließ. Er spielte mit dem Gedanken, wieder zurückzugehen und Joel zu fragen, ob er doch über Nacht bleiben könnte, aber er verwarf das sofort. Was würde das denn für einen Eindruck machen? Er war doch kein kleines Kind mehr, das sich vor der Dunkelheit fürchtete – zumindest redete er sich das im Moment ein, denn wenn er nur zu lang in die finsteren Ecken blickte, kam es ihm doch anders vor. Unmerklich wurden seine Schritte langsamer, bis er schließlich komplett stand. Es waren dieselben Straßen wie immer, er kannte jedes Straßenschild, jeden Stein, jede Macke im Asphalt und doch... etwas war anders als sonst. Nein, nicht anders, nur deutlicher. Da war schon immer etwas gewesen, das einen einfach irritieren musste, wenn man nachts diese Straße entlanglief, aber bislang war es immer möglich gewesen, das Gefühl zu ignorieren. In dieser Nacht aber kam es stetig wieder hervor, egal wie oft er es wegschob. Also versuchte er sich zu sagen, dass es nur ein Gefühl von Angst war, hervorgerufen durch all die Horrorfilme, die er sich hin und wieder gemeinsam mit Joel ansah oder dessen Bücher, die er las. Logisch argumentierend versuchte er innerlich, sich zu sagen, dass es keinen Grund gab, sich zu fürchten, dass er in Sicherheit war. Selbst die Monster, die es durchaus gab, könnten nicht einfach unbemerkt in der Stadt herumstreunen, jemand hätte sie längst bemerkt und eliminiert. Alles war gut. Aber als er seinen ausgestoßenen Atem weiß hervortreten sah als wäre ohne sein Wissen bereits der Winter eingebrochen, wusste er sofort, dass nichts gut war. Sein Puls beschleunigte sich wieder, das Blut rauschte in seinen Ohren und machte es ihm unmöglich, etwas zu hören. Dafür konnte er überdeutlich spüren, dass sich etwas hinter ihm befand. Etwas Böses, Bedrohliches, das nicht nur die Uhrzeit von ihm wissen wollte oder den Weg zum Bahnhof. Seine Vernunft ließ dieses Mal nichts von sich hören, aber dennoch erinnerte er sich an ein ähnliches Ereignis vor einigen Tagen und beschloss, es einfach noch einmal genauso zu machen, nur um sicherzugehen, dass nichts hinter ihm war. Erschreckend langsam wandte er den Kopf und entdeckte- „Nichts...“ Seine eigene Stimme kam ihm in der Stille schon fast tröstend vor, aber das nagende Gefühl der Unruhe und der Bedrohung schwand einfach nicht. Stattdessen mischte sich nun noch eine Stimme in seinen Gedanken dazu; eine Stimme, die ihm riet, einfach einmal die Brille abzunehmen, nur um sicherzugehen, dass sich außer ihm wirklich nichts auf der Straße befand. Das Heben seines Arms, um die Brille abzunehmen, ging nur quälend langsam vonstatten. Er hatte das Gefühl, dass etwas ihn festhielt, seinen Körper in die andere Richtung ziehen wollte, damit er nie erfuhr, ob da noch etwas war. Ein Instinkt möglicherweise, dem sein Seelenheil wichtig war, aber er bekämpfte diesen erfolgreich, um Gewissheit zu erhalten und nahm schließlich die Brille ab. Eine Mischung aus den verschiedensten Emotionen nahm noch im selben Moment seinen Körper in Beschlag. Er verspürte Erleichterung darüber, dass er sich die Bedrohung nicht nur eingebildet hatte; Verwirrung, weil er diese Wesen noch nicht einmal aus seinem Biologiebuch kannte und zuguterletzt auch Furcht, weil er sich in der Unterzahl sah und absolut nichts über diese Wesen wusste, außer dass sie feindselig waren. Es waren in etwa zehn, er war sich nicht sicher, weil es mal mehr und mal weniger zu werden schienen, wenn sie für einen kurzen Moment den Schein der Lampe verließen und in die Schatten krochen, wo ihre schleimigen, dunkelblauen Körper fast schon unsichtbar wurden, lediglich die roten Augen glühten ihm dann noch entgegen. Diese Augen wirkten... unschuldig, sie waren groß wie die eines Kindes, aber ihnen fehlte jedes Weiß und auch die Pupille, sie waren einfach blutrot. Zwei Auswüchse an den Seiten des Körpers endeten in drei viel zu lang geratenen Fingern, an Beinen mangelte es den Wesen, aber das hielt sie nicht davon ab, sich ihm langsam, aber zielsicher zu nähern. „Nein, bleibt weg! Kommt mir nicht zu nahe!“ Er schaffte es, zu schreien, doch das schien diese Ungetüme nur weiter aufzuhetzen, ihm kam es so vor als wären sie plötzlich schneller, hungriger und auch wenn er nicht genau wusste, was sie mit ihm tun wollten, so wusste er doch, dass es eine schlechte Idee war, stehenzubleiben und es herausfinden zu wollen. Seine Beine bewegten sich immer noch nicht, aber wenn er sich nur fest genug darauf konzentrierte, wenn er stark genug daran glaubte... vielleicht würde er es dann schaffen, die Wurzeln zu lösen, die ihn mit dem Boden zu verbinden schienen. Ein Adrenalinschub, genau! Das brauche ich jetzt! Und noch während er das dachte, fiel die Beklemmung von ihm ab, seine Beine und seine Arme gehorchten ihm wieder, was er nutzte, um eilig herumzuwirbeln und fortzulaufen. Wohin seine Beine ihn trugen wusste er nicht und es war ihm auch egal, solange es fort von diesen unbekannten Wesen war, die er hinter sich hören konnte, wie sie ihn verfolgten und dabei an Geschwindigkeit zunahmen. Sie gaben keine Töne von sich, aber zwischen seinen eigenen Schritten konnte er das träge Matschen hören, wenn die schleimigen Körper sich vorarbeiteten. In irgendeinem Unterrichtsfach, dessen Name Raymond in diesem Moment entfallen war, hatte er gelernt, dass man in einer Paniksituation oft vergaß, wo man war und selbst in seinem eigenen Haus plötzlich nicht mehr wüsste, wo sich der Ausgang befand. Er hatte das nie geglaubt, zumindest nicht, dass es auch auf ihn zutraf. Er war immer zuversichtlich gewesen, dass seine Vernunft und sein logisches Denkvermögen selbst im Angesicht des Todes noch fähig wäre, ihm zu sagen, was er tun sollte, wo er sich befand und welcher Fluchtweg der Verlässlichste wäre. Aber in diesem Moment, in dem er orientierungslos durch die Straßen rannte, die er eigentlich im Schlaf kennen sollte, auf der Flucht vor diesen seltsamen Wesen, wurde ihm bewusst, dass das auch für ihn galt und er zumindest in diesem Fall nicht anders war. Gerade, wenn ich es mal brauchen könnte, typisch. Noch dazu war niemand auf den Straßen zu sehen, der ihm helfen könnte. Keine Menschenseele befand sich draußen, alle Fenster waren verschlossen und größtenteils bereits dunkel, sämtliche Fahrzeuge, die am Straßenrand standen, waren verlassen. Es war als wäre er der letzte Mensch in dieser Stadt, als hätten diese Wesen jeden außer ihm bereits verschlungen. Dieser Gedanke ließ ihn ins Straucheln geraten und beinahe stürzen. Nein, das ist nicht wahr! Das kann gar nicht sein! Seine Vernunft schaltete sich wie ein Notaggregat ein und ließ ihn sicher weiterlaufen. Irgendwo würde er Hilfe finden, ja, er müsste nur bis zur Akademie rennen, dort gab es nicht nur genug Lehrer und Söldner, die ihm helfen könnten, dort gab es auch Waffen, die er benutzen könnte, um sich zu verteidigen. Er müsste nur immer dieser Straße folgen, dann... Als ob etwas seine Gedanken vorhergesehen hätte und ihn von seinem Vorhaben abbringen wollte, entdeckte er plötzlich eine Barriere nicht weit vor sich. Er konnte auf diese Entfernung nicht ausmachen, was es war, aber es war auf den ersten Blick eindeutig, dass er dieses Hindernis nicht überwinden könnte. Dennoch wollte er nicht aufgeben! Kurzentschlossen bog er in eine Seitenstraße ein – und fand sich nach wenigen Metern vor einer weiteren Barriere. Ihm blieb nichts anderes übrig als stehenzubleiben und sie ungläubig anzusehen. Was sich da vor ihm aufgebaut hatte und ihm den weiteren Weg versperrte, war eine Wand aus Wurzeln, sie verloren sich in der Erde, waren direkt vor ihm aber ineinander verschlungen als hätte jemand versucht, mit ihnen ein besonders schönes Muster zu stricken. Er fand es fast bedauerlich, dass er keine Zeit hatte, um es zu bewundern. Da er spüren konnte, dass seine Verfolger nicht aufgeben, beschloss er, zu versuchen diese Wand zu erklimmen. Er war immer schlecht im Klettern gewesen und hatte diesen Kurs auch sofort abgewählt, als es möglich gewesen war, aber im Moment blieb ihm keine andere Wahl. Seine Finger suchten unruhig und viel zu hastig nach geeigneten Stellen auf den Wurzeln, an denen er sich hochziehen und dann seine Füße darauf stellen konnte. Fluchend schlug er gegen das Holz, als er feststellte, dass es aussichtslos war. Zwar war die Wand nicht unbedingt glatt oder makellos, aber jedes vorstehende Stück, jeder Spalt, war zu schmal, um ihm die Möglichkeit zu geben, daran Halt zu finden. Er drehte sich wieder um und lehnte sich erschöpft mit dem Rücken gegen die Wand. Diese Wesen hatten inzwischen aufgeholt und positionierten sich vor ihm. Sie bewegten sich nicht mehr, immerhin wussten sie genauso gut wie er, dass er nun in der Falle war und es keinen Ausweg mehr gab. Er würde gleich hautnah, am eigenen Körper, miterleben, was sie mit ihren Opfern taten, aber ihm blieb keine Gelegenheit, es im Anschluss jemanden zu erzählen. Niemand würde erfahren, dass er... Am Liebsten hätte er sich selbst eine Ohrfeige verpasst. Warum war ihm nicht direkt sein Handy eingefallen? Er könnte jemanden zur Hilfe rufen und weiter zu fliehen versuchen. Da die Wesen sich immer noch nicht bewegten – ihm schien, dass in den hinteren Reihen noch einige aufschlossen – zog er sein Handy aus der Tasche, um damit die erstbeste Person anzurufen, die er in seinem Telefonbuch finden könnte. Doch ein Blick auf das Display genügte, um ihn von der Sinnlosigkeit dieses Vorhabens zu überzeugen. Datum und Uhrzeit waren verzerrt als ob das Display einen Riss hätte, den er nicht sehen könnte, auf sein Drücken der verschiedenen Knöpfe folgte keine Reaktion außer unverständliche, kryptische Symbole, die ihm wohl ebenfalls sagten, dass es keinen Zweck hatte und er sich lieber endlich seinem Schicksal ergeben sollte. „Bitte nicht...“, murmelte er leise. Er hatte sich selbst nie sterben gesehen und wenn, dann doch bitte irgendwann in vielen, vielen Jahren und das im Schlaf und nicht in einer Seitengasse, in die er von unzähligen Wesen, deren Namen er nicht einmal kannte, gedrängt worden war. Die Furcht schnürte seine Kehle zu und ließ ihn wieder bewegungsunfähig werden, aber dieses Mal war das auch kein Problem, immerhin gab es keinen Fluchtweg mehr. „Besiege deine Angst. Umarme den Tod; lass ab davon, dich an dein Leben zu klammern und du wirst sehen, dass es nichts gibt, vor dem du dich fürchten müsstest. Wenn du den Tod schätzt, gibt es keinen Gegner, der dich einschüchtern kann.“ Die Stimme aus seinem Traum erklang plötzlich, so nah als würde der Mann, der diese Worte sagte, direkt neben ihm stehen, aber gleichzeitig waren sie von solch einem Nachhall begleitet, dass er direkt wusste, dass es nicht echt war, dass er allein war, vollkommen auf sich gestellt. Aber dennoch... Es widersprach seiner Natur, einfach aufzugeben, außerdem war da tief in seinem Inneren etwas, das ihm sagte, dass es da noch etwas gab, was er tun musste. Er durfte nicht aufgeben, durfte nicht Leute im Stich lassen, die an ihn glaubten. „Das wäre auch sehr übel für uns. Es gibt niemanden, auf den wir uns so gut verlassen können wie auf dich.“ Christines Stimme. Eine Person, die ihm vertraute, die sich auf ihn verließ, die er nicht einfach zurücklassen könnte, sonst würde sie möglicherweise doch noch von einem Laster überfahren – oder ebenfalls von diesen Wesen angegriffen werden. „Sehr gut. Dann komm gut nach Hause, ich werd' dich morgen früh wieder abholen.“ Er sah Joels Gesicht vor sich, als er erleichtert festgestellt hatte, dass sein bester und so ziemlich einziger Freund ihn nicht hasste. Eine Person, die ihn mochte, die auf ihn angewiesen war, die er nicht einfach verlassen könnte, sonst würde er wieder so einsam sein wie zuvor – oder ebenfalls von diesen Wesen angegriffen werden. Und mit der Erinnerung an diese beiden, erwachte in seinem Inneren erneut ein Kampfwille, der ihm sagte, dass es noch zu früh war zu sterben und dass er nicht einfach aufgeben durfte. „Ich kann noch nicht sterben, nicht hier!“, entfuhr es ihm, als seine Kehle sich von den Fesseln der Furcht mit einem Schlag befreite. Wieder das kalte Lachen aus seinem Traum. „Auf diese Art und Weise verlierst du nur – und zwar nicht nur den Kampf, sondern auch dein Leben.“ „Was auch immer“, erwiderte Raymond murmelnd, auch wenn er nicht glaubte, dass die Person ihn hören könnte. Er griff nach dem erstbesten Gegenstand, der sich ihm anbot, ein halb verrostetes Stahlrohr, und hielt es schützend vor sich. Wenn er schon sterben müsste, dann mit einem Kampf, selbst wenn dieser aussichtslos erschien. Niemand sollte ihm später nachsagen, er hätte nicht zumindest alles versucht, was in seiner Macht stand. Die Wesen rührten sich immer noch nicht als ob etwas sie davon abhalten würde, ihn anzugreifen, als ob es eine unsichtbare Barriere gab, die nur sie sehen konnten – aber noch während er darüber nachdachte, ob er die Gelegenheit zum Fliehen nutzen sollte, hörte er plötzlich eine weitere Stimme: „Schließe deine Augen.“ Irritiert hielt er inne und blickte sich um. Es war immer noch niemand außer ihm zu sehen, aber diese Worte eben stammten nicht aus seiner Erinnerung, er hatte diese Stimme – die eindeutig einer Frau gehören musste – noch nie zuvor gehört. „Schließe deine Augen, wenn du überleben willst.“ Es gab keinen Grund, dieser Stimme zu vertrauen oder überhaupt anzunehmen, dass sie wirklich existierte, aber wenn er so darüber nachdachte, war diese Chance möglicherweise realer als sein Gedanke, sich mit einem verrosteten Stahlrohr durchzuschlagen. Da selbst seine Vernunft, die bereits am Ende mit sich selbst zu sein schien, nichts mehr dazu anmerkte und ihm die Gelegenheit ließ, nach jedem Strohhalm zu greifen, der sich ihm bot, schloss er ohne weiter zu zögern die Augen. Er spürte eine Woge von Wärme, nein, Hitze, deren Zentrum sich inmitten der angreifenden Wesen befand und diese verzehrte – zumindest stellte er sich das so vor, er hielt die Augen immerhin weiter geschlossen. Schließlich erlosch die Hitze wieder, langsam kehrte die Kühle der Septembernacht zurück, aber etwas hielt ihn nach wie vor davon ab, seine Augen zu öffnen. Es dauerte einen Moment, bis ihm bewusst wurde, dass es eine Hand war, die sich auf seine Augenlider gelegt hatte – jemand stand hinter ihm, wie auch immer diese Person von ihm unbemerkt dorthin hatte gelangen können. Die fremde Stimme lachte leise und von der Richtung aus der sie erklang, konnte er sagen, dass es die Person hinter ihm war, die zuvor zu ihm gesprochen hatte – und das nun ebenfalls wieder tat: „Ich hoffe, du bist bereit zu sterben.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)