Digimon Savers: Relaunch von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Der Frechdachs ------------------------- >>Hey, Agumon, gib mir auch was ab!!« Trotzig sah der 19-jährige Masaru seinen kleinen Bruder Agumon an, der gerade dabei war, die gesamten eingesammelten Beeren und Früchte allein zu verputzen. »Aber ich bin doch so hungrig, Aniki …«, erwiderte der kleine Gelbfuß und stopfte sich eine weitere Handvoll Beeren in sein nahezu gigantisches Maul. »Ach und ich nicht oder wie …?!«, sagte Masaru und verpasste Agumon eine donnernde Kopfnuss, so dass dieser rücklings zu Boden ging. Während Agumon somit nun reichlich Sterne sah, konnte der ausgehungerte Masaru einen kleinen Teil der Früchte für sich ergattern, seufzte nach dem Runterschlucken jedoch sogleich, da die wohlschmeckenden Nahrungsmittel viel zu schnell verschwunden waren. »Die sind nicht besonders nahrhaft.« »Aua, Aniki, das hat verdammt nochmal weh getan!« Hochmütig grinste Masaru und zuckte mit den Schultern. »Schon möglich.« »Na warte!«, rief Agumon aus und stürmte auf seinen selbst erwählten großen Bruder zu. Dieser konnte im letzten Moment mit einem gezielten Sprung ausweichen und stopfte sich eine weitere rote Beere in den Mund. Belustigt stemmte er die Hände in die Hüften und lehnte sich hervor. »Was soll das denn werden?«, lächelte Masaru. »Du … du hast mir weh getan!« »Nah, sei ein Mann und stell dich nicht so an.« Motzig blies Agumon die Backen auf und holte tief Luft. Masaru schien zu verstehen und verlor seine eben noch so coole Fassung schlagartig. »Hey, du willst doch nicht…?« »Baby Flame!«, posaunte das gelbe Dinodigimon und feuerte einen ansehnlichen Feuerball auf Masaru ab, der hektisch auf seinen Hintern fiel, als er der Glut ausweichen wollte. Nachdem er geprüft hatte, ob seine braunen Haare etwas von dem Feuer abbekommen hatten, richtete er sich wieder auf und klopfte sich den Staub von der Hose. »Willst du mich verbrennen, du Penner?« Agumon jedoch grinste breit. »Na, was denn, was denn, Aniki, du solltest einfach ein Mann sein und dich nicht so anstellen!« Ironie war noch nie Masarus Stärke und so kam es, wie es kommen musste, er ließ sich auf das kindische Niveau ein. »Na warte, jetzt zeige ich es dir!!« Mit einem gekonnten Hechtsprung war er rasch bei Agumon angelangt und schon waren die beiden ein Knäuel und prügelten, kratzten und bissen sich nach Herzenslaune. »Du Blödmann!« »Du Selberblödmann!« »Also, das ist irgendwie amüsierend«, ertönte plötzlich eine belustigte Stimme und die beiden Streithähne hörten in der Bewegung sofort auf mit ihrer sinnlosen Schlägerei. »Nun, wenn das die Straßenpatrouille der Digiwelt ist, na dann gute Nacht!«, kicherte die Stimme. Masaru errötete leicht und trat einen Schritt auf den Baum zu. »Ach ja, sagt wer? Zeig dich, du Feigling!« »Aniki, sei vorsichtig, das ist …« »Also bitte«, sagte die Stimme und sprang von einem Ast hinab. Vor Masaru und Agumon landete ein lilafarbenes Digimon mit einem roten Halstuch samt Handschuhen und einem gelben Smiley auf dem Bauch. Mit seinen leuchtend grünen Augen grinste es die beiden bösartig an. »Als ob ich vor euch Angst hätte …«, schnalzte es mit der Zunge und zeigte seine spitzen Zähnchen. »Aniki, das ist Impmon, sei vorsichtig. Es ist zwar nur auf dem Child Level, aber es ist gemein und hinterhältig«, warnte Agumon seinen Partner leise. Masaru verzog eine Augenbraue und blickte das fremde Digimon misstrauisch an. »Das … das hat ja ein Smiley auf dem Bauch …«, stammelte er und deutete verdutzt mit seinem Zeigefinger zittrig auf Impmon. »Lass dich von seinem Äußeren nicht täuschen, Impmon ist äußerst verschlagen.« »Hey, ich kann euch hören, ihr Ochsen«, erwiderte Impmon gedehnt und setzte sich mit überschlagenen Beinen auf einen kleinen Felsen. »Aber … es hat immer noch ein Smiley auf dem Bauch …« Und dann war es ganz vorbei, Masaru brach zusammen und kugelte sich auf dem Boden vor Lachen. »Aniki …« Besorgt blickte Agumon auf seinen großen Bruder. Impmon allerdings fand das Ganze plötzlich gar nicht mehr so lustig. »Hör auf zu lachen, du Bastard! Schließlich habe ich mich nicht selbst gemacht … Du wirst schon sehen, wenn ich digitiere-!« »Ach, lass gut sein«, sagte Masaru lächelnd und wischte sich die letzten Lachtränchen aus den braunen Augen. »Wir wollen doch kein böses Blut.« Impmon sprang wütend auf und baute sich möglichst bedrohlich auf, obwohl es bald einen ganzen Kopf kleiner als Agumon war. Aber das schien ihm entweder nicht aufzufallen oder es interessierte es einfach nicht. »Aber ich will böses Blut! Du hast mich ausgelacht, du Volldepp!« Lässig lehnte sich Masaru an dem nächstbesten Baum an. »Na und? Du hast uns doch auch ausgelacht. Ich denke also, dass wir quitt sind.« »Aniki«, sagte Agumon mit leuchtenden Augen. »Du bist ja so erwachsen geworden!« »Quatsch mit Soße! Erzähl doch nicht immer so einen Blödsinn!«, entgegnete der junge Mann verlegen und nahm seinen kleinen Bruder wieder in den Schwitzkasten. »Na, ist das denn …« Impmon verzog seine großen grünen Augen zu kleinen Schlitzen. »Die ignorieren mich.« Das ließ sich das kleine lila Digimon natürlich nicht bieten und schielte auf den mittlerweile recht kleinen Haufen Beeren auf dem Boden. Verschmitzt begann es zu lächeln und ein spitzer Eckzahn ragte aus der Unterlippe hervor. »Wer nicht hören will …« Schnurstracks lief es auf den Beerenhaufen zu. »Ich könnte sie essen, aber eigentlich habe ich keinen Hunger.« »Doofmann!« »Gelbkopf!« Impmon sah kurz zu den beiden hinüber, doch diese schienen es immer noch nicht in irgendeiner Weise zu beachten. »Dann werde ich mir eben Respekt verschaffen«, rechtfertigte es zu sich selbst und hob einen Fuß an. »Ich werde die Früchte einfach zerquet-!« Aber auch dazu sollte es nicht mehr kommen, denn das gelbe Dinosaurierdigimon landete mit einem kleinen Platsch auf dessen und Masarus Abendessen. »Du Idiot!«, brüllte Impmon aufgebracht, da er nun voller Beerenflecken auf seinem Bauch und Gesicht war. Mal ganz abgesehen davon, dass Agumon es um seinen schönen und auch raffinierten Plan gebracht hatte. »Och Mensch, Agumon! Toll gemacht! Kannst du mir mal verraten, was wir jetzt essen sollen?«, seufzte Masaru, viel zu niedergeschlagen und hungrig, um überhaupt böse zu sein. »Wieso toll gemacht? Du hast mich doch geschubst!«, verteidigte es sich und stand langsam wieder auf. Masaru schaute verlegen und leicht gerötet zur Seite. »Hättest ja die Flugbahn ändern können …« »Bitte was?!«, rief Agumon entsetzt aus, hielt jedoch schlagartig inne, als es seinen roten Körper betrachtete. »Oh mein Gott, ich blute!«, schrie es panisch und rannte kreischend umher. »Das ist der Beerensaft, du Vollpfosten«, schaltete sich nun auch Impmon ein, als es endlich seine Sprache wieder erlangt hat. Agumon blieb sogleich quietschend stehen. »Beerensaft?« »Ja, da du fetter Sack da volle Lotte drauf gefallen bist, hast du sie zerquetscht und überall«, es deutete demonstrativ auf seinen beschmutzten Körper, »verteilt. Die Flecken kriege ich vielleicht nie wieder raus.« »Versuch es mit Salz, nein, halt, das war für Rotwein …« Gedankenverloren blickte Masaru in die Ferne. »Was zur Hölle sind Salz und Rotwein?!«, fragte Impmon mit leicht hysterischem Unterton. Er vermutete insgeheim irgendeine starke Superattacke von dem durchgedrehten Kampfduo. »Vermisst du die reale Welt, Aniki?«, fragte das gelbe Digimon seinen großen Bruder und strich ihm liebevoll über den Arm, bis Masaru seine Klaue unsanft wegstrich. Als er Agumons entsetztes Gesicht bemerkte, setzte er schnell ein entschuldigendes Lächeln auf. »Tut mir leid, das wollte ich nicht.« »Schon okay.« »Nein, es ist nicht okay«, meldete sich Impmon zu Wort. »Schon vergessen? Wir sehen beide immer noch aus, als wollte uns dein Menschlein da abschlachten!« »Menschlein?«, presste Masaru zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Nicht aufregen, Aniki. Ich habe dir doch gesagt, Impmon ist die Bösartigkeit schlechthin. Am besten wir ignorieren es und seine Gemeinheiten einfach.« »Nein, das tut ihr nicht!« Der dunkelhaarige Masaru funkelte das fremde Digimon höhnisch an. »Sag mal, was willst du eigentlich von uns? Beleidigt hast du uns ja schon und unser Abendessen ist jetzt auch futsch.« Um das Ganze zu untermalen, grummelte just in diesem Moment Masarus Magen. »Wir haben dir nichts getan und geben können wir dir auch nichts. Also, wenn du uns – der Straßenpatrouille der Digiwelt - nichts zu berichten hast, dann mach dich vom Acker, bevor ich ungemütlich werde. Angst habe ich vor dir sowieso nicht.« Erstaunt und erfreut zugleich, wie toll und ohne Furcht sein großer Bruder mit dem fiesen Impmon umging, strahle Agumon über das ganze Gesicht. »Ja, zeig’s ihm!« »Hm … du bist ganz genauso, wie ich es von dir gehört habe, Menschlein. Arrogant, aufbrausend und ohne Hirn-!« »Nenn mich nicht andauernd Menschlein. Ich weiß auch so, dass ich kein Digimon bin und dennoch habe auch ich einen Namen. Ich heiße Daimon Masaru-sama!« Grinsend sah Masaru zu Impmon und deutete mit dem Daumen auf seine Brust. Impmon jedoch schnaubte. »Und wenn du Igudorashiru persönlich wärst … Ist mir schnuppe.« »Hm, dann mach dich vom Acker, Smileybauch«, sagte Masaru und drehte dem frechen Digimon den Rücken zu. Mit schnellen Schritten entfernte er sich von seinem verwüsteten Lager. »Hey, warte, Aniki!« Impmon knirschte mit den Zähnen. Es passierte ihm selten, dass es ignoriert wurde und dann nur von höher digitierten Digimon, die es sowieso nicht ernst nahmen. Aber jetzt von einem Child Level und dann noch von einem Menschen … Nein, das war eine Schmach, die es nicht über sich ergehen lassen wollte. Mal ganz abgesehen davon, dass sie es auch noch dreckig gemacht hatten. Eigentlich hatte Impmon sich nur vergewissern wollen, ob die Gerüchte über die Straßenpatrouille der digitalen Welt stimmten. Viele der Digimon lobten die beiden nämlich in höchsten Tönen und tatsächlich war es seit dem Fall Igudorashirus vor fünf Jahren allmählich ruhiger geworden. Fast schon zu ruhig für Impmons Geschmack, denn es mochte die Unruhe und das Chaos – sofern es natürlich nicht mitten im Tumult stand, versteht sich. »Frechheit«, stellte es fest und lief Masaru und Agumon unsicher nach. Diese bemerkten das selbstverständlich sofort und Masaru rief über die Schulter hinweg: »Wir gehen duschen, also komm, du lahme Ente!« Impmon riss entsetzt die Augen auf und stammelte unverständliches Zeugs. »I-ich … ich bin nur hier, weil …. Weil ihr mir ein neues H-halstuch schuldet!« »Schon klar«, grinste Masaru und rannte davon. »Ich hab gesagt du sollst warten!« »Das ist doch …« Ohne die konkrete Frage des Warums beantworten zu können, stürmte Impmon den beiden hinterher. Irgendwie hatte es das Gefühl, dass die beiden noch wichtig für es waren. »Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?« Leicht verstört blickte Impmon zu Masaru, der sich munter vor ihm entkleidete. Agumon war derweil schon in das kühle klare Nass des kleinen Teiches gesprungen. Es dämmerte zwar schon, aber es war dennoch ein leichtes Widerspiegeln der Abendsonne auf dem Wasser zu erkennen. »Wieso denn? Genier dich nicht so, das macht Spaß!«, grölte der mittlerweile splitterfasernackte Masaru und verpasste dem skeptischen Digimon einen unsanften Tritt, so dass es gut drei Meter in die Luft flog, bis es auf der Wasseroberfläche aufklatschte. Wasserspuckend und schluckend kam es keuchend wieder an die Oberfläche und planschte wütend umher. »Bist du jetzt total Banane, Menschlein?«, keuchte es zickig und rieb sich Wasser aus den großen Augen. »Ach, sei doch nicht so ein Spielverderber«, entgegnete Masaru amüsiert und wusch sich das Haar. »Hihi, das macht Spaaaaß!!«, jubelte Agumon fröhlich und planschte vergnügt umher. Dass es die beiden anderen traf und besonders Impmon wüste Beschimpfungen deshalb murmelte, war ihm herzlich egal. »Was heißt hier Spielverderber?«, fragte Impmon beleidigt und auch verwirrt. Es war es nicht gewohnt, dass man frech zu ihm war. Normalerweise war es dasjenige, das austeilte und nicht einstecken musste. Die Situation war für das Kleine ungewöhnlich. »Und überhaupt«, grummelte es, während es kurz unter- und wieder aufgetaucht war, »schneid dir mal die Haare, Rapunzel, du siehst aus wie ein Mädchen.« Statt sich über Masarus Gesichtsentgleisung zu erfreuen, entfernte es lieber die Beerenflecken aus seinem Halstuch. Impmon hatte Glück, sie waren noch nicht eingetrocknet und ließen sich gut entfernen. »Ra-rapunzel …?« Entsetzt hielt Masaru eine lange braune Strähne in der Hand, die ihm in etwa bis zur Brust reichte. Natürlich gab es in der Digiwelt keinen Friseur und daher schnitt Agumon mit seinen Klauen Masarus Haare. Hierbei war es nicht wichtig, ob sie gerade geschnitten waren oder stylisch aussahen. Masaru war zurzeit ohnehin das einzig menschliche Wesen in der digitalen Welt und da war es ihm relativ egal, wie er aussah, da die Digimon keinen direkten Vergleich zu anderen Menschen ziehen und somit über ihn lästern konnten. Also sollte der Schnitt nur praktisch sein und das bekam Agumon gut hin. Jedoch war der letzte Agu-Friseur-Besuch gut … drei Jahre her. »Agumon, ich sehe doch nicht ernsthaft aus wie ein Mädchen, oder?« »Haha! Du solltest dein Gesicht sehen, Aniki!«, prustete sein Partner los. »So, so. Du findest das also lustig, ja?« Masaru knirschte mit den Zähnen. »Zum Totlachen!« Auch Impmon zeigte ein leises Grinsen, aber es wusch sich mit dem Rücken zu den beiden, daher konnten es die anderen nicht sehen. Obwohl sie es sich eigentlich hätten denken können. »Du bist doch fürs Haareschneiden zuständig, also wieso hast du nichts gesagt?« Beleidigt und mit hoch rotem Kopf tunkte er Agumon mehrmals hinunter. »Friss das, Gelbfuß, das hast du dir redlich verdient.« Zufrieden mit seiner Arbeit grinste er. Impmon hatte sich leicht verschreckt bei den gurgelnden Geräuschen umgedreht und warf einen vernichtenden Blick zu dem Menschen. »Sag ich ja, gemeingefährlich. Und sowas soll uns beschützen.« Es biss sich auf die Lippen und schüttelte entrüstet den Kopf. Auch spürte es, wie sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten, doch Impmon erhoffte sich, dass Masaru und Agumon diese als Wassertropfen deuten würde. Angst? Nein, das wäre ja noch eine neue Schmach! »Also bei euch zweien frag ich mich wirklich, wo ich da reingeraten bin.« »Ach, mach dir keinen Kopf. Das ist ganz normal bei uns, nicht war, Großer?« Agumon gurgelte irgendetwas Unverständliches, hob aber einen Daumen zum Verständnis. Masaru lächelte zwinkernd und legte einen Arm um Agumons Schulter. »Na siehst du? Hier tut dir keiner was.« Impmon errötete und schaute beleidigt und verlegen zugleich zur Seite. Unerhört, wie konnte dieser Mensch es wagen seine Körpersprache richtig zu deuten und seine Gedanken zu lesen? »Na dann …« Es sah auf sein Tuch und seinen Bauch. Alles war makellos sauber. »Hm, hast wohl Glück gehabt, es ist nichts dran. Da werde ich mich in meiner Erhabenheit noch mal gnädig zeigen und euch nicht zur Hölle schicken.« »… Okay. Hey, Agumon, alles klar?« »Du musst nicht immer so brutal sein.« »Aber so sind Männer eben.« »Hm, wirklich? Na gut.« Impmon seufzte. »Das sind die reinsten Volldeppen. Im Ernstfall können die doch keinen Strohhalm vorm Knick beschützen.« Langsam schwamm es ans Ufer zurück und hievte sich heraus. »Nun denn, man soll gehen, wenn es am schönsten is-!« »Aniki, guck mal, ich hab einen Fisch gefangen und der ist sogar richtig groß!« »Echt? Super! Ich hab nämlich einen Bärenhunger«, strahlte Masaru. »Hey, Impmon, willst du noch zum Essen bleiben?« »Was? Bist du verrückt, Aniki? Das gemeine Impmon isst uns nur alles weg!« Impmon überhörte Agumons Kommentar und verharrte. Erst jetzt bemerkte es, wie hungrig es eigentlich war. »Ach, ich hab eigentlich keinen Hunger«, scherzte es. In Wahrheit machte es sich eher Gedanken darüber, ob ihm Agumon und Masaru heimlich ein Gift unterschieben würden. Just in diesem Augenblick knurrte Impmons Magen in einer solchen Lautstärke, dass es hätte Tote aufwecken können. Masaru und Agumon sahen sich beide an und fingen schallend zu lachen an. Das lilafarbene Digimon sah mit aufgeblasenen Backen zur Seite. »Oh Mann, der Fisch war echt herrlich!«, verkündete der kleine Dino und ließ sich zufrieden und voll gefressen nach hinten fallen. Mittlerweile war es dunkel geworden und sie hatten ein Lagerfeuer errichtet. »In der Tat. Da vermisse ich gar nicht mehr die Küche zuhause.« »Hm, was war das, Aniki?« »… Ach nichts.« Die bedrückenden Gedanken fortschiebend lächelte er Impmon zaghaft an, dass sich am anderen Ende des Feuers zusammen gekauert hatte. »Sag mal, bleibst du über Nacht bei uns?« Auch er ließ sich nach hinten fallen. »Du bist wohl verrückt geworden. Wahrscheinlich raubt er uns noch aus oder so …«, argumentierte Agumon noch in dem einen Moment und im nächsten war es bereits schnarchend in das Land der Träume entglitten. »Hör nicht auf den gelben Stinker. Also, von mir aus kannst du gerne bleiben.« »Hör auf, so nett zu sein, das hält man ja im Kopf nicht aus! Ich brauche dein Mitgefühl nicht!«, blaffte Impmon zornig und drehte sich rasch um, damit Masaru nicht sehen konnte, wie es auf der Unterlippe kaute. So viel Freundlichkeit war es einfach nicht gewohnt. »Impmon …« Auch Masaru legte sich schlafen. Das Feuer fackelte und knisterte noch lange. Die Flammen tanzten munter bis in den Morgengrauen im Wind umher und ließen den ganzen Groll hinter sich. Kapitel 2: Eine Berühmtheit zieht ins Haus ------------------------------------------ >>Rina-san, schau mal! Da steht ein ganz, ganz großes Auto vor der Tür!«, rief die kleine Yuka freudig aus, als sie aus Rinas Fenster hinauslugte. Auch wenn die Wohnung im fünften Stock eines Hochhauses in Yokohama war, konnte man dennoch gut erkennen, dass das ein großes Auto war, welches dort unten stand. Glockenhell lachend hüpfte sie auf dem Sofa auf und ab und zeigte ihrer Babysitterin ihre Entdeckung. Rina stand von ihrem Buch auf und ging zu der 6-jährigen Maus. »Hm, zeig doch mal, Yuka-chan«, sagte sie mit ihrer sanften Stimme und strich Yuka eine Haarsträhne aus der Stirn. Dann schaute sie der Kleinen über die Schulter auf die Straße hinaus. »Da, da! Siehst du, dort unten!« »Tatsächlich«, bestätigte sie liebevoll. »Warum ist das Auto so groß?« Yuka hielt sich an der Fensterbank fest und tänzelte leicht. Wäre sie näher herangekommen, so hätte sie ihr Gesicht gegen die Scheibe gedrückt. »So wie es ausschaut«, sie stand auf und ging zu ihrer Hausarbeit zurück, »ist das ein Umzugswagen. Die Wohnung mir gegenüber ist doch frei geworden und die wird wohl nun besetzt.« Bei dem Gedanken wurde ihr etwas mulmig zumute, schließlich wusste sie nicht, wer hierher zog. »Können wir das Fenster aufmachen? Dann kann ich mir das Auto noch näher anschauen!«, rief das temperamentvolle kleine Mädchen aus. Rina jedoch durchlief ein Schauer, als ihr ein Bild in den Sinn kam, wie ihr die Kleine aus den Händen glitt und tiefer und tiefer hinabstürzen würde. Fast wie bei … »Nein, das ist ausgeschlossen«, sagte sie ruhig, war sich aber nicht ganz sicher, ob sie Herr über ihre brüchige Stimme war. »Schade. Hm, vielleicht zieht hier ja so jemand Tolles wie Rina-san ein und ich kann mit ihr spielen«, äußerte Yuka ihre Gedanken und setzte sich ordentlich hin. Auch wenn es ihr sichtlich schwerfiel, das Fenster zu verlassen. Die Babysitterin legte ihren Stift beiseite und lächelte. »Du weißt wirklich, wie man jemandem Komplimente macht!« Auch Yuka grinste breit. »Weißt du was? Dein Bruder dürfte sowieso bald kommen und dich abholen und da können wir genauso gut unten auf ihn warten. Dann sehen wir, wer hier einzieht. Ehrlich gesagt, bin ich auch ein bisschen neugierig geworden!« »Ja, neugierig!« Das braunhaarige Mädchen sprang wie von der Tarantel gestochen auf und lief zu ihren Schuhen an der Eingangstür. »Schau mal, Rina-san, ich kann das schon ganz alleine!«, sagte sie vergnügt und zog sich die Schuhe ohne Rinas Hilfe an. »Wow, du machst das sehr gut.« Auch Rina war flott in ihre Schuhe geschlüpft und band sich das dunkelbraune lange Haar noch einmal mit ihrer schwarzen Schleife fest. »Rina-san?« Das Mädchen sah sie mit ihren großen Kulleraugen und einem Finger am Mund an. »Meinst du, ich kriege auch mal so lange Haare wie du?« Die Angesprochene kicherte und beugte sich zu dem Mädchen hinab. »Ja, natürlich. Wenn du dein Haar pflegst und regelmäßig die Spitzen schneidest, dann wird es gut wachsen.« »Ja!«, rief sie aus und warf noch einen schmachtenden Blick auf Rinas hüftlanges Haar. Kleine Mädchen und Haare! »Ich bin echt gespannt wegen der neuen Nachbarin!« »Wie kommst du darauf, dass es eine Frau ist?« Yuka verzog den Mund und machte ein leicht angewidertes Gesicht. »Weil Jungs blöd sind!« »Aber dein Bruder und dein Vater sind doch auch Jungs.« Theatralisch seufzte das Mädchen, gerade so, als müsse sie der jungen Frau mal ganz genau erklären, was überhaupt Sache war. »Aber das ist doch etwas ganz anderes.« Dann nahm die Ältere die Jüngere an die Hand, öffnete die Tür und erschrak augenblicklich. »Iiieks!« Vor ihr stand ein großer schwarzhaariger Kerl und sah sie verlegen grinsend und am Kopf kratzend an. »Sorry, wollte dich nicht erschrecken.« Rina seufzte und packte sich an die Brust, wo das Herz ihr rasend entgegen hämmerte. »Zu spät. Sag mal, Rikyu, wie lange hast du denn vor meiner Tür gestanden?« »Bin grad erst gekommen«, sagte er und lehnte sich lässig an Rinas Türrahmen. Anzüglich grinste er sie an. »Okay …«, erwiderte die Ältere der Mädchen und warf einen flüchtigen Blick auf Yuka. Diese zuckte nur mit den Schultern. »Siehst du? Ich sage es doch; Jungs sind doof.« Rikyu, der den letzten Kommentar nur mit allergrößter Mühe überhörte, drückte das nervige kleine Energiebündel gekonnt beiseite und nahm Rinas Hand in die seine. »Hast du schon gesehen? Wir kriegen neue Nachbarn!« »Ja, wir sind gerade auf dem Weg nach unten«, antwortete Rikyus Nachbarin und entzog vorsichtig ihre Hand aus dem festen Griff. »Genau und du störst!«, motzte Yuka und trat dem Schwarzhaarigen mit aller Kraft gegen das Schienbein. »Yuka-chan!«, tadelte Rina, doch eigentlich war nichts Predigendes in ihrer Stimme. Ihre kleine Besucherin lachte nur und zeigte mit dem Finger auf ihr Opfer. »Au! Das kleine Monster hat mich getreten!«, rief Rikyu aus und hüpfte auf einem Bein herum. Rina nahm Yuka wieder an die Hand und machte sich auf den Weg nach unten. »Du hattest es aber auch verdient.« Baff sah ihr der junge Mann nach. »Nicht zu fassen und sowas von dir … Hey, wartet doch! Ich komme auch mit!!« Unten angekommen fielen der kleinen Yuka bald die Augen aus dem Kopf bei dem Anblick des großen Umzugswagens. »Wow«, hauchte sie mit einer Spur von Ehrfurcht in der Stimme. Rikyu zog eine dunkle Augenbraue empor und neigte sich zu Rina. »Man sollte meinen, die hat noch nie einen Umzugswagen gesehen.« »… Wir waren auch mal jung, da sieht die Welt gleich ganz anders aus.« Irritiert runzelte er die Stirn. »Ja, aber das ist ja beängstigend … Hey, Krümel, das ist nur ein verdammt großes Auto, klar? Also sabber hier nicht herum.« Yuka streckte ihm gekonnt die Zunge heraus und beäugte weiterhin das Objekt ihrer Begierde. Rikyu seufzte. »Mann … Was glaubst du, wer hier einzieht, Rina-chan?« Bevor er einen Arm um sie legen konnte, war sie instinktiv zwei Schritte nach rechts gegangen, so dass ihr Gegenüber ins Leere griff. »Ich weiß es nicht. Es ist sehr schade, dass Akemi ausgezogen ist, ich werde sie vermissen.« »Na ja, aber du kannst sie ja zwischendurch besuchen in Nagasaki. Und schreiben könnt ihr euch doch auch«, versuchte er sie aufzuheitern. Rina lächelte leise gedankenversunken. »Ja, da hast du wohl recht.« Da Rikyu es nicht mochte, wenn Rina niedergeschlagen oder traurig war, versuchte er rasch das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. »Aber hey! Vielleicht kriegen wir ja eine richtig gut aussehende neue Mitbewohnerin!« Er lachte auf und Rina verzog das Gesicht. »Und sie sollte heiß sein!« »Rina-san, schau mal!« »Ach je, Yuka-chan, komm da runter!« Aufgebracht eilte Rina zu dem kleinen Wirbelwind, der die Dreistigkeit besaß auf einem der Sessel herum zu hüpfen. »Juhuu!!« Während Rikyu anfing zu kichern, zog Rina Yuka von dem Möbelstück hinab. »Das kannst du doch nicht machen!«, sagte sie und errötete. Dann sah sie sich den Sessel genauer an, ob er in irgendeiner Weise Schaden genommen hatte und als dem nicht so war, stieß sie die Luft erleichtert und befreiend aus. »Puh …« »Ach komm schon, Rina-chan. Du darfst das alles nicht immer so ernst sehen«, setzte Rikyu an, wurde jedoch von einem vernichtenden Blick Rinas zum Schweigen verdonnert. »Achtung, darf ich mal?«, sagte einer der Möbelpacker und drängte sich an den jungen Leuten vorbei, um mit seinem Kollegen den Sessel, welchen Yuka zuvor noch als Trampolin benutzte, nach oben zu tragen. »Das war knapp«, meinte der Schwarzhaarige und legte die Hände in die Hüften. Seine Nachbarin bestätigte dies mit einem stummen Kopfnicken. »Hm, wo ist denn unser kleiner Teufelskrümel hin?« Rina sah ihn entsetzt an und blickte panisch neben sich. »Ich meine, nicht, dass es mich stören würde, bin ja nichts lieber, als nur mit dir allein, aber-!« »Yuka-chan!« Die Kleine drehte sich nicht um, sondern setzte ihre Klettertour in den Umzugswagen fort. Wie ein geölter Blitz war ihre Aufpasserin an ihrer Seite erschienen und hielt sie hoch. Yuka lächelte sie ertappt an. »Du, willst du mich ärgern? Du kannst doch nicht einfach alles hier als Abenteuerspielplatz umfunktionieren. Du könntest dir wehtun!« »Aber Rina-san und Baka-chan passen doch auf mich auf«, entgegnete sie verlegen und mit roten Wangen. Schließlich wollte sie Rina nicht verärgern oder dass sie sich Sorgen um sie machen musste. Yuka wollte doch einfach nur spielen. Und sie war nun einmal ein sehr neugieriges Mädchen. Außerdem konnte sie nicht riskieren, dass Rina nie wieder mit ihr hinausging, bloß weil sie sich einmal daneben benahm. »Sag mal«, Rikyus Augenbraue zückte energisch, als er den beiden Damen mit verschränkten Armen entgegenblickte, »wen meint sie denn bitte mit Baka-chan??« »Tut mir leid, Rina-san. Ich mache es nie wieder, versprochen.« Mit ihren silbergrauen Augen strahlte Rina das Mädchen glücklich an. »Na dann ist ja alles geklärt«, sagte sie und setzte Yuka wieder ab. »Ich weiß ja nicht, was der ihre Eltern ihr beigebracht haben, aber allzu viel Respekt vor dem Alter scheint sie nicht zu haben … Du solltest ihr Manieren beibringen, Rina-cha-! Boah!!« »Wo wir gerade bei Manieren sind …« Yuka trällerte auf. »Nein, ich meine, guck dir das an!« Behutsam hüpfte Rina von dem Umzugswagen hinab und half dann ihrem kleinen Schützling herunter. »Was denn?« »Da! Sieh mal, also das nenne ich mal einen Wagen«, posaunte Rikyu und deutete voller Staunen auf eine schwarze Limousine in der Ferne. »Männer und Autos ... Aber halt, sagtest du nicht zu Yuka, dass das hier nur ein Auto sei? Und jetzt bist du selbst nicht besser.« »Genau!«, pflichtete Yuka bei. Hektisch schüttelte Rikyu den Kopf. »Aber das ist doch was ganz anderes. Es gibt Wagen und Wagen!« Rina seufzte. Das kleine Mädchen zupfte an ihrem Pullover. »Das verstehe ich nicht.« »Lass es mich so erklären; Rikyu ist manchmal einfach … ein Junge.« »Ach so, das verstehe ich. Und Jungs sind doof, richtig?« »Genau«, grinste Rina, doch Rikyu störte sich nicht weiter an dieser Aussage. »Ich würde verdammt viel dafür geben, nur einmal mit so einem Ding fahren zu können.« »Gute Güte, der biegt hier ein.« »Was? Oh, du hast recht. Vielleicht sind meine Gebete erhört worden!« »…« Die große pechschwarze Limousine kam leise vor den dreien zum Stehen. Staunend beobachteten sie die Szenerie und der männliche Part musste sich stark beherrschen, dass ihm die Kinnlade nicht aufklappte. »Cool«, hauchte Yuka. Als der Motor ausgeschaltet war, stieg ein älterer Herr aus der Fahrerkabine aus. Er nickte den dreien höflich zu und schritt dann nach hinten, um seinen Dienst zu erfüllen. Doch die Tür wurde bereits von alleine geöffnet. »Lassen Sie es gut sein, danke.« »Master«, erwiderte der Chauffeur mit leicht angedeuteter Verbeugung und lief zurück auf den Fahrersitz. Nachdem er wieder Platz genommen hatte, stieg auch der Gefahrene endlich aus. Er hatte blondes Haar und die Brille vor seinen strahlend blauen Augen verstaute er sogleich in seiner Hemdtasche. Dann beugte er sich noch einmal in den Wagen hinein, um sein Laptop herauszuholen. Als er es zufrieden in den Händen hielt und die Tür wieder geschlossen war, rief er dem Fahrer zu, dass er nun gerne abfahren kann. Mit einem kurzen Hupen verabschiedete sich auch dieser und der Neuankömmling schaute zu den drei Schaulustigen. Er setzte ein freundliches Lächeln auf und Rikyu verzog sofort die Mundwinkel. »So viel zur heißen Nachbarin«, nuschelte er so leise, dass nur Rina ihn verstehen konnte. »Sei höflich«, wurde er daraufhin ebenso lautlos ermahnt. Der Blonde klemmte sein Laptop unter den Arm. Rikyu hingegen konnte nicht umhin auf dieses zu starren. »Ist von Apple. Herr von Kohlen und Reibach hat wohl zu viel Asche in der Tasche. Aber das hätte ich mir eigentlich bei dem Schlitten schon denken können.« Ein deutlicher Funken Neid war aus seiner Stimme herauszuhören. Rina seufzte und sie war sich plötzlich sehr sicher, dass er nicht so abwertende Gedanken gehabt hätte, wäre der neue Nachbar eine Sie. Der Fremde ging selbstbewusst auf die kleine Gruppe zu und verneigte sich kurz. »Guten Tag, Es freut mich, euch kennenzulernen. Ich nehme an, wir sind nun Nachbarn.« Auch Rina trat zögerlich und beschämt hervor und verneigte sich rasch. »Ja! Herzlich willkommen!«, sagte sie freundlich. »Wir sind sogar direkte Nachbarn, ich wohne gleich gegenüber von Ihnen.« Er lächelte. »Dann hoffe ich auf ein angenehmes Zusammenleben.« »Ja, ich auch.« Rikyu hatte einen neuen Feind. Es passte ihm so gar nicht, dass der Fremde jetzt schon bald bessere Karten bei Rina hatte, als er in den letzten Jahren. Und dann kam auch noch hinzu, dass er ihr direkt gegenüber wohnte! Aber bevor er seinen Missmut und seinen Plan des Wegekelns anfing in die Tat umzusetzen, wurde sein Blick auf einmal skeptisch bei dem Anblick des Neuen. »Hey du, haben wir uns irgendwo schon einmal gesehen? Du kommst mir so bekannt vor.« Der neue Hausbewohner spannte sich schlagartig an und sah verlegen zur Seite. »Ich wüsste nicht, wo.« »Hm«, machte Rikyu und beäugte ihn nur noch misstrauischer. »Ich entschuldige mich für Rikyus schlechtes Verhalten. Ich bin übrigens Sakurai Rina«, meldete sich Rina zu Wort, ehe Rikyu noch dreister werden konnte. Als sie sich entschuldigend verneigte, winkte der Neue gleich ab. »Ach, nicht der Rede wert, das ist doch nicht Ihre Schuld.« Yuka indes betrachtete den blonden jungen Mann. Als er ihren Blick erwiderte und lächelte, versteckte sie sich verschreckt hinter Rina. Diese entschuldigte sich auch dafür. »Sie ist sehr schüchtern.« »Habe ich gemerkt.« »Hey!!« Synchron drehten die vier ihre Köpfe zu der Stimme, welche gerufen hatte. Yuka erkannte ihn sofort und lief freudestrahlend auf ihren großen Bruder zu. »Onii-chaaaaan!!«, begrüßte sie ihn und schlang die Arme um ihn. »Hallo, Ikuto-kun«, wurde er auch von Rina gegrüßt. Er grinste breit und legte eine Hand auf Yukas Kopf. »Na, warst du auch schön brav?« »Jap!« Der Blonde runzelte die Stirn. »Ikuto..? Noguchi Ikuto? Das bist du doch, oder?« Ikuto brauchte einen Moment, um seinen alten Freund zu erkennen. Dann jedoch war er windschnell zu ihm hin gehechtet und umarmte ihn stürmisch. »Touma Norstein! Es ist lange her.« »Ich dachte mir gleich, das Mädchen kenne ich doch. Mensch, Ikuto, du bist ganz schön groß geworden!« Verlegen blickte er drein und kratzte sich hinter dem Kopf. »Ach, nur ein bisschen.« »Touma Norstein?«, ging es Rina durch den Kopf. Sofort war sie verlegen, dass sie mit einer solchen Persönlichkeit derlei unbefangen geredet hatte. Sie errötete. »Touma Norstein, der Nobelpreisträger?! Ich wusste doch, dass ich dich schon mal gesehen habe!«, rief Rikyu aus. »Bitte.« Touma war etwas bange zumute. »Schreit das nicht so laut herum. Ich bin schließlich hergezogen, weil ich meine Ruhe haben möchte.« »Oh, du armer Kerl«, blaffte Rikyu, steckte die Hände in die Hosentaschen und machte sich auf den Rückweg ins Haus. »Komm, Rina, lassen wir die Berühmtheit alleine«, rief er noch und verschwand dann. Rina schämte sich so für Rikyu und auch für sich selbst. Wie konnte sie den berühmten Touma Norstein – der jüngste Nobelpreisträger in der Geschichte überhaupt – nicht erkennen? In ihrer Universität wurde er sogar von allen Medizinstudenten verehrt. »Ich kann mich nur immer wieder für ihn entschuldigen.« »Ich habe doch gesagt, es ist in Ordnung. Der wird sich schon wieder einkriegen«, beruhigte sie Touma. »Da kennen Sie Rikyu aber schlecht.« »Ich muss los!«, meinte Ikuto plötzlich, als er einen Blick auf seine Uhr geworfen hatte. »Kaa-san meckert sonst wieder, wenn wir zu spät zum Essen kommen.« »Zum Essen kommen!«, wiederholte Yuka und versuchte Ikutos panisches Gesicht nachzumachen. »Touma, bleibst du noch länger in Japan oder reist du bald wieder ab?« »Ich werde wohl noch ein bisschen bleiben. Ich wohne jetzt hier.« »Echt? Cool! Rina, vielen Dank fürs Aufpassen!« »Immer wieder gerne. Kommt gut nach Hause.« »Na klar. Tschüss!« »Ciao«, verabschiedete ihn auch Touma. Da Rina bei Fremden ziemlich zurückhaltend war, wurde sie sofort verlegen. »Ähm, brauchen Sie vielleicht noch Hilfe?« Touma hatte noch hinter Ikuto und Yuka hinterher gesehen, daher antwortete er nicht sofort. »Bitte was? Oh, nein, aber vielen Dank! Ich selbst kann auch nicht viel machen, außer vielleicht die Umzugsleute koordinieren.« Er sagte das mit solch einer Belustigung in der Stimme, dass ihr ein wenig von der Anspannung abfiel. »Na gut.« Dann folgte sie seinem Blick von eben. »Sie kennen Ikuto-kun?« »Von früher, ja. Wir … hatten eine Weile miteinander zu tun. Es ist aber schon länger her, dass wir uns gesehen haben. Ich habe ihn kaum wiedererkannt! Und die kleine Yuka ist auch sehr gewachsen. Das letzte Mal, als ich sie sah, war sie noch ein Baby.« Rina schmunzelte bei der Vorstellung von Yuka als kleines Windelbündel. »Sie war bestimmt sehr niedlich.« »Oh ja«, sagte Touma und warf einen Blick auf seine Uhr. »Mist, schon so spät, ich muss los … Sakurai-san, darf ich Sie nachher auf einen Tee einladen?« Verblüfft über die Einladung, verschlug es Rina die Sprache. Sie als einfache Studentin im ersten Jahr sollte mit dem Touma Norstein Tee trinken? »Oh, ich … ich weiß nicht …« »Nun, überlegen Sie es sich. Sie wissen ja, wo sie mich finden!« Daraufhin holte er ein Handy hervor und lief telefonierend davon. Rina war immer noch sprachlos, entschied sich nach einer Weile allerdings dazu, Rikyu zu suchen. Kapitel 3: Die sieben Dämonenkönige ----------------------------------- Herzhaft gähnend kratzte sich Impmon am Bauch und suchte mit verschlafenen Blicken nach der Ursache des tosenden Klanges. Es fehlte nicht mehr viel und das kleine lilafarbene Digimon wäre von den Vibrationen ein Stück vom Boden abgehoben. Verwirrt sah es nach links und rechts, nach oben und sogar nach unten und schließlich hatte es die Geräuschquelle gefunden. »Nicht zu fassen, die sägen ja bald den ganzen Wald ab …«, zischte Impmon schlecht gelaunt und mit wütendem Blick zu Masaru und Agumon, die merkwürdig verdreht ineinander verschlungen schliefen und dabei lauthals schnarchten. Dabei waren sie keineswegs synchron; vielmehr war es so, dass wenn einer ausatmete, der andere wieder einzuatmen anfing und so war es ein konstant anhaltender schallender Ton. Impmon war selten gut drauf, doch es war erstrecht schlechter Laune, wenn es um seinen Schönheitsschlaf gebracht wurde, daher stand es mühselig und träge auf und lief zu den Schnarchern. »Dass die sich nicht gegenseitig wecken, ist mit ein Rätsel.« Kurz beobachtete es die beiden Schlafenden noch ein Weilchen, dann trat es Masaru in die Rippen. »Hey, nicht so laut, Menschlein!« Statt den gewollten Effekt zu erzielen, murmelte Masaru etwas Unverständliches, drehte sich zur Seite und kuschelte mit Agumons Fuß. Genervt verzog Impmon das Gesicht. »Das glaub ich ja wohl nicht. Da ist Rapunzel anscheinend zu Dornröschen mutiert!« Enttäuscht, dass ihm wieder keinerlei Respekt gezollt wurde, zückte es von irgend her einen schwarzen Filzstift und setzte ein diabolisches Grinsen auf. »Na, die werden sich wundern«, murmelte es vergnügt und tobte sich nach Herzenslaune in den Gesichtern der beiden aus. Zwar reagierten sie auch hier nicht weiter (Agumon hatte nur kurz »Oh ja, Eiscreme« geflüstert und Masaru schmuste immer noch mit dem Fuß), doch Impmon würde seine Genugtuung bekommen, da war es sich sicher. Letztendlich mussten die beiden ja auch mal aufwachen. »Tadaa!«, rief es glücklich aus, als sein kleines „Meisterwerk“ vollendet war. »Da soll doch mal einer behaupten, ich hätte keinen Geschmack!« Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten … Jedenfalls hatte Masaru plötzlich einen schwarzen Bart und Agumon gigantische Augenringe um die ohnehin sehr großen Augen. Fast sah es aus wie ein Waschbär. Hinzu kamen noch vielerlei kleine Gekritzel auf Wangen und Stirn; wie in etwa ein verkorkster Stern. »Also wenn du sowas unterhaltsam findest, dann kann man dir auch nicht mehr helfen, kleines Impmon.« In Millisekunden war Impmon gar nicht mehr nach Lachen zumute und es sah plötzlich finster drein. Dann jedoch setzte es ein falsches Lächeln auf, als es sich zu dem Ankömmling umdrehte. »Lucemon, wie nett.« Auch das gefallene Lucemon grinste breit, allerdings war hier über die Belustigung unklar, ob sie aufgesetzt oder tatsächlich echt war. Es saß auf einem Stein mit übereinander geschlagenen Beinen, seinen Kopf auf einer Hand gestützt. Sein Blick schwankte zwischen Langeweile und Hochmut. Die himmlischen Flügel schauten zur rechten Seite hervor, die teuflischen waren auf der anderen Seite zu sehen. Fast schon neugierig musterte es das freche Digimon, welches leicht schwitzend einen halben Schritt zurückwich. »Guten Morgen, mein alter Freund«, brachte es übertrieben freundlich heraus, seine Körperhaltung hatte sich jedoch nicht im Geringsten geändert und es machte auch keine Anstalten, seinen „alten Freund“ zu begrüßen oder gar in Empfang zu nehmen. Unsicher trat Impmon von einem Bein auf das andere. »Nun … was treibt dich her?« Wieder trat es einen halben Schritt rückwärts an. Lucemon entging dies nicht und es zeigte seine spitzen Zähne beim Lachen. Diesmal war schon eher anzunehmen, dass es echt und nicht gespielt war. »Nur keine Scheu, ich beiße nicht … Zumindest habe ich es nicht vor«, sagte es ruhig mit seiner schmeichelnden Stimme. Impmon kannte es aber zu gut und wusste genau, dass es gerade bei solch einer Versicherung besonders gut Acht geben musste. »So, so.« »Ja …« Lucemon stand gemächlich auf. Auch wenn Impmon diesmal eisern stehen blieb, spannte es sich doch etwas an. »Weißt du, ich war gerade in der Nähe und da dachte ich … tja, was dachte ich denn…? Sagen wir mal so; ich dachte mir, ich könnte dich doch einfach mal besuchen, wo ich doch in der Nähe bin. Nun – hier bin ich also!« Freudig breitete es seine Arme aus. Dies war keineswegs eine Einladung für Impmon an dessen Brust zu springen, jedoch war es eine Art Test für Impmons Reaktion. Es verhielt sich zu Lucemons Erstaunen etwas anders, als gedacht. »Gerade in der Nähe?«, lachte Impmon kühl auf. »Woher willst du denn bitte gewusst haben, wo ich mich aufhalte? Schließlich bin ich immer auf der Durchreise«, vollendete es in eiskaltem Ton und einer gewissen Arroganz in der Stimme. Leider hatte es sich etwas zu viel herausgenommen, denn binnen eines Augenaufschlages war Lucemon vor Impmon erschienen und hatte sich auf dessen Augenhöhe hinab gebeugt. Drohend hob es einen Finger und stach dem Child Level Digimon damit in die Brust und durchbohrte es dabei mit seinem eisigen Blick. »Vorsicht, Kleiner. Du solltest nicht vergessen, mit wem du sprichst«, fauchte es. Nun war keine Spur von Freundlichkeit – ob echt oder nicht – in seiner tiefen Stimme zu hören. Wimmernd fiel Impmon auf seine Knie; Schweißperlen bildeten sich in seinem Nacken, als ihm bewusst wurde, was es soeben getan hatte. »Bitte verzeih mir, ehrenwertes Lucemon!« Es verbeugte sich tief und seine Stirn berührte den Boden. Lucemon fand sein hämisches Grinsen wieder und kämmte sich mit einem langen Finger eine blonde Strähne aus der Stirn. »So ist es recht, Freund, küsse den Dreck, auf dem ich laufe … Aber eigentlich will ich kein böses Blut, jedenfalls nicht heute.« Impmon zuckte bei der letzten Bemerkung auf, als ihm einfiel, dass Masaru einen Abend zuvor fast dasselbe sagte. »Aber ich will böses Blut!« hatte es noch gerufen und nun, wo es so war, wollte es seinen Wunsch sogleich ungeschehen machen. Immer noch kniend schaute es rasch zu Masaru und Agumon hinüber. Sie schliefen noch tief und fest. Lucemon hatte sich derweil wieder auf seinem thronähnlichen Stein gesetzt. Ihm entging der Blick Impmons nicht. »Freunde von dir? Ich muss schon sagen; du bist einer der letzten, von denen ich jemals gedacht hätte, dass sie sich mit Menschen abgeben.« Es bekam ein gefährliches Glitzern in die Augen. »Aber jedem das seine, nicht wahr?« Sofort war Impmon aufgesprungen und fand seinen Mut wieder. »Das sind nicht meine Freunde!«, rief es hysterisch aus. »Das stimmt ja auch«, fügte es im Geiste hinzu. »Ach nein?« Der gefallene Engel neigte den Kopf leicht. »Nun, wie auch immer, das geht mich nichts an.« Impmons grüne Augen funkelten wütend. »Sieh doch, was ich ihnen angetan habe!« Entschlossen zeigte es auf die angemalten Gesichter Masarus und Agumons. Sein Gegenüber lachte leise. »Oh ja, ein ganz Schlimmer bist du. Und das, obwohl du die Nacht mit ihnen verbracht hast.« Schlagartig verstummte Impmon und riss entsetzt die Augen auf. »W-woher weißt du …?«, setzte es an, unterbrach sich aber selbst. Lucemon zuckte vergnügt die Schultern. »Ich habe da so meine Quellen«, winkte es ab. »Aber deswegen bin ich nicht hier. Eigentlich bin ich gekommen, um dich abzuholen.« »Ich denke, du warst in der Nähe?«, hallte es in Impmons Kopf. Als es seine Fassung wiedererlangt hatte, fragte es: »Und warum soll ich bitte abgeholt werden? Wo willst du mich denn hinbringen?« Ein gefährlicher Ausdruck trat in Lucemons Augen. »Es ist soweit.« Impmon verstand sofort und sagte nichts mehr. Noch einmal sah es zu seinen Nachtgefährten. Masaru hatte Agumons Fuß mittlerweile losgelassen und sich halb auf seinen kleinen Bruder draufgerollt. »Na gut, gehen wir«, meinte Impmon nach einem kurzen Augenblick. »Nichts anderes wollte ich hören. Was ist mit denen? Willst du sie vernichten? Ich könnte dir meine Macht leihen.« Impmon konnte Lucemon nicht in die Augen sehen. »… Nein, ich denke nicht, dass dies notwendig ist.« Lächelnd fügte es noch hinzu: »Schließlich sind die beiden schon genug mit sich selbst bestraft.« »Du bist einfach zu weich. Noch nie hast du die Schwachen und Wehrlosen angegriffen … Nun gut, aber es obliegt deiner Verantwortung, wenn die Straßenpatrouille außer Kontrolle gerät.« »Keine Sorge, diese Vollpfosten kriegen eh nichts auf die Reihe.« »…« Als Lucemon mit schnellen Schritten voranschritt, konnte Impmon mit seinen kurzen Beinen kaum Schritt halten. »Hey, geht das auch langsamer?« »Nein«, antwortete Lucemon kühl, ohne stehen zu bleiben. »Ich habe genug gewartet.« Ein irrer Ausdruck trat auf sein Gesicht und Impmon wagte nicht, noch einmal den Mund aufzumachen, während sie auf der Reise waren. Viele Stunden waren sie unterwegs, doch Impmons Gedanken machten solch wirren Kreise, da bekam es kaum mit, wie lange sie tatsächlich unterwegs waren. Letztendlich kamen sie gegen Nachmittag an eine Höhle, vor der eine Quelle sprudelte und entlang lief. Das Wasser sah tiefblau aus. »Endlich angekommen!«, rief Lucemon euphorisch aus und schritt zielstrebig auf das Innere der Höhle zu. Als es außer Sichtweite war, seufzte Impmon tief. »Ich könnte immer noch weglaufen …« Doch es entschied sich gegen seine Gedankengänge, denn Lucemon und die anderen würden es garantiert schnell einholen. Außerdem war es doch ein klein wenig neugierig geworden, was es mit den anderen besprechen wollte. Schließlich waren sie alle eher Einzelgänger und es war höchst selten, dass alle sieben beieinander waren. Nun – eigentlich waren sie ja nur noch zu fünft, denn Belphemon war noch immer ein Digitama und Impmon hatte Dank Igudorashiru seine Kräfte verloren und war nur noch auf dem Child Level. »Na dann los«, sprach es sich leise selbst Mut zu und atmete noch einmal tief durch. Dann lief es Lucemon in die Höhle hinterher. Es musste nicht lange warten, da hatte es den dunklen Engel auch schon eingeholt. Wieder saß es auf einem Stein, der diesmal mittig mit Blick zum Eingang gerichtet war. Um es herum standen vier Gestalten – zwei links, zwei rechts von ihm. Leviamon, Demon, Barbamon und Lilithmon. Lilithmon hielt Belphemons Digitama in den zierlichen Händen. »Impmon«, zischte Demon beim Anblick des kleinen Teufels. Das kleine Digimon setzte ein Grinsen auf. »Tagchen, allerseits«, grüßte es die Dämonenkönige mit fester Stimme und warf allen einen kurzen Blick zu. Als es bei dem schönen Lilithmon angelangt war, verneigte es sich kurz. »Hm«, gab dieses nur missbilligend zurück und wendete den Blick ab. »Sei nicht so erbärmlich und erhebe dich.« »Wie du wünschst.« »Es ist kaum zu fassen, wie viel du von deiner einstigen Größe eingebüßt hast. Sieh dich an, du bist nur noch ein Schatten deiner selbst und gehörst nicht hierher«, fügte Lilithmon noch hinzu. »Wieso zur Hölle ist es hier? Kannst du mir mal verraten, was du dir dabei gedacht hast, Lucemon?«, fragte Leviamon ungeduldig. Der schwarze Engel lachte düster auf. »Es ist immer noch einer von uns, nicht wahr?« »Das mag sein und auch wieder nicht«, fügte nun auch Barbamon hinzu. »Hey, ihr müsst nicht darauf herumreiten, dass ich schwächer bin als ihr …«, verteidigte Impmon sich selbst, bereute seine Worte aber gleich. »Schweig! Niemand hat dir erlaubt zu sprechen!«, bellte Demon. Wieder lachte Lucemon. »Andererseits ist Belphemon auch anwesend«, sprach Lilithmon und blickte auf das Digitama in ihren Händen. »Nun … und auch wieder nicht.« »Ist das denn alles von Bedeutung, meine lieben Freunde?«, fragte Lucemon in die Runde. Doch eigentlich war es eine rhetorische Frage und es duldete sowieso keinen Widerspruch. »Ihr tut gerade so, als würde Impmon euch euren Platz streitig machen und euch eure Macht berauben. Als ob es das könnte …«, schnaubte Lucemon hochmütig. Als Barbamon zum Widerspruch ansetzen wollte, schnitt Lucemon ihm das Wort ab. »Wir sollten uns lieber über jede Hilfe zur Umsetzung unseres finsteren Planes erfreuen und nicht mit aller Macht entgegen wirken.« »Ha!«, lachte Lilithmon auf. »Du warst schon immer ein großer Redner. Nun denn, komm zum eigentlichen Punkt.« »Ja! Sag uns, weshalb wir überhaupt hier sind«, rief Demon ungeduldig aus. »Na, das, was wir schon immer wollten«, grinste Lucemon vielsagend. Leviamon zog eine Augenbraue empor. Den Moment genießend machte Lucemon eine demonstrative Pause und lehnte sich langsam hervor. »Mir schwant Übles«, dachte sich Impmon. »Wo bin ich hier nur hereingeraten?« »Nun sag schon!«, schrie Demon, dass es nicht mehr aushalten konnte. »Macht. Das ist es, was ich will – und ihr auch, nehme ich stark an«, verkündete Lucemon endlich. »Ich hab‘s geahnt.« Impmon schloss kurz die Augen, um sein schnell schlagendes Herz zu beruhigen. »Macht?«, fragte Demon leicht verdutzt. »Ja, Macht. Wir Dämonenkönige sind seit jeher sehr mächtige und starke Digimon, das steht außer Frage. Aber was nützt uns dies, wenn wir sie nicht anwenden können? Und ich rede hier nicht von der Unterdrückung schwächerer Digimon. Was ich will, ist die Digiwelt in all ihrer Größe beherrschen und führen. Lasst uns eine neue Welt erschaffen, meine Mitdämonen!« Nach seiner nahezu epischen Rede war Lucemon die Erregung noch deutlich anzusehen. Es war wahrhaftig Feuer und Flamme für seinen Plan. Impmon wurde schlecht. Barbamon räusperte sich und sein langes graues Haar bebte. »Wie stellst du dir das vor? Kannst du mir mal verraten, wie du deinen ach so ausgereiften Plan in die Tat umsetzen willst? Ich glaube kaum, dass du genug Macht besitzt Igudorashiru zu bezwingen. Falls du es vergessen hast, erinnere ich dich gern: Er ist der Herrscher der Digiwelt. Auch wenn er sich für den Augenblick zurückgezogen hat.« Diese Erklärung klang plausibel und Lilithmon und Leviamon nickten zustimmend. »Erklär uns das«, sagte einer von ihnen. Lucemon schnaubte aufgebracht. »Igudorashiru …« Hektisch stand es auf. Instinktiv wich Impmon in alter Manier einen Schritt zurück. »Igudorashiru hat sich Jahre lang nicht in die Angelegenheiten der digitalen Welt eingemischt.« »Dies heißt aber nicht, dass er überhaupt nicht mehr einschreitet«, warf Lilithmon ein. »Es heißt aber auch nicht das Gegenteil. Ich habe herausgefunden, dass Igudorashiru im Standby-Modus ist. Nachdem die Menschen ihn vor fünf Jahren vernichtend geschlagen haben, zog er sich zurück. Einer meiner Späher allerdings hat herausgefunden, dass er sich wirklich zurückzog – er hat sich nahezu abgeschaltet und ist in den Standby-Modus gewechselt.« »…« Lilithmon wusste nicht, was es sagen sollte. Aber ihm erging es nicht anders, als den anderen Dämonenkönigen – die Versuchung war groß, sehr groß. Endlich die Herrschaft erlangen … Das war mehr als nur verlockend. Demon fing zu grinsen an und auch Barbamon nickte nun. »Das sind in der Tat beeindruckende Neuigkeiten«, sagte Leviamon. »Doch sag, was machen wir mit der sogenannten Straßenpatrouille der Digiwelt? Man sagt, der Mensch war einer von denen, die den Sieg über Igudorashiru erlangt haben.« Lucemon lachte schallend auf und Impmon wurde es ganz mulmig zumute. »Oh, oh …« »Dieser Mensch und sein jämmerliches Digimon … Keine Sorge, sie sind keine Bedrohung. Und Impmon hat es selbst bestätigt!« Leviamon drehte sich zu dem Child Level Digimon. »Ist das wahr?« Impmon versuchte zu lächeln. »Aber ja! Das sind … die reinsten Idioten, keine Angst.« Das war genau das, was Leviamon hören wollte und auch es nickte nun. Das kleine Teufelsdigimon seufzte lautlos. Gerade, als es sich in Sicherheit wiegen wollte, erhob Lilithmon das Wort. »Und was spielt Impmon hier für eine Rolle?« »Wie gesagt, es ist eines von uns. Und wenn es seine Stärke zurückerhält, wird es ein wertvoller Verbündeter sein. Vergesst nicht, welche Dämonendigimon es unter seiner Kontrolle hatte.« »Mehr Stärke … Dass ich nicht lache!«, lachte Demon. »Schon vergessen? Igudorashiru hat ihm seine Stärke genommen, so dass es auf das Child Level zurückdigitiert ist.« Gekonnt verschränkte Lucemon die Arme. »Das mag ja sein, aber selbst Impmon wird eines Tages wieder digitieren können. Und auch Belphemon wird wieder an unserer Seite stehen.« »Ja … Und dann sind sie besser an unserer Seite.« »So ist es!«, fauchte Lucemon angsteinflößend. Dem armen Impmon war es so gar nicht recht, dass hier über seinen Kopf hinweg über dessen Schicksal entschieden wurde. Also konnte es nichts weiter tun, als zögerlich zu grinsen. Kapitel 4: Kazuki ----------------- Nachdem Rina geschlagene zwanzig Minuten versucht hatte, mit Rikyu zu reden, war sie wieder zu sich in die Wohnung gegangen. Er hatte auf ihr drängendes Klopfen nicht geantwortet. Tatsächlich jedoch wusste Rina, dass er Zuhause war, denn es dröhnte leise Musik an ihr Ohr, als sie dieses gegen die Tür gepresst hatte. Nun; und sie hatte ihn ja auch schließlich motzend nach oben gehen sehen. Seufzend schloss sie hinter sich die Tür und verharrte dort einen Moment an dieser gelehnt. »Touma Norstein …«, murmelte sie gedankenversunken und sah von weitem aus dem Fenster. Sie konnte es immer noch nicht fassen, dass er derjenige war, der gegenüber einzog. Touma Norstein – die Berühmtheit! Aber doch waren die Geräusche der Umzugsleute so laut und real, als sie aus dem Treppenhaus drangen, also musste es doch stimmen. Langsam fasste sie sich wieder und lief zu ihrem Sessel und ihrer liegengebliebenen Hausarbeit. »Also dafür habe ich nun wirklich keinen Kopf.« Immer noch ganz durcheinander, schlug sie das Buch zu und ließ sich in besagten Sessel fallen. »Und was mache ich jetzt mit dieser Tee-Einladung? Ich kann doch schlecht …« Weiter konnte sie ihre Gedanken nicht spinnen, denn auf einmal klingelte es an der Tür und sie schrak auf. »Das muss Rikyu sein …«, entschied sie und erhob sich wieder. Rina lief zur Türe und öffnete diese einen Spalt weit. »Hey, Rikyu. Da bist du j-!« Doch es war nicht Rikyu, wie sie angenommen hatte. Es war sein fünfzehnjähriger Bruder Kazuki, der ihr schüchtern entgegen blickte. Seine blauen Augen huschten unter seinem dichten Pony nervös umher, dann deutete er eine leichte Verbeugung zur Begrüßung an. »Ähm, h-hallo, Rina-san.« »Kazuki-kun, hallo!« Nachdem die junge Frau festgestellt hat, dass ihr keinerlei Gefahr droht, öffnete Rina die Tür ein Stück weiter. »Komm doch bitte herein«, sagte sie freundlich mit einer einladenden Handbewegung. Kazuki jedoch warf noch einen ängstlichen Blick zu Toumas Wohnung, in die die Möbelpacker gerade eine Waschmaschine hievten. Er war wohl der einzige Mensch, den Rina kannte, der noch scheuer Fremden gegenüber war, als sie selbst. Zögerlich sah er Rina an. »Ähm, ja, gern.« Auch Rina konnte nicht umhin noch einmal in Toumas Wohnung zu schauen. Kazuki folgte ihren Augen und runzelte die Stirn, auch wenn dies nicht wegen seiner Haare zu erkennen war, so hörte man die leichte Skepsis doch in seiner Stimme. »Weißt du schon, wer einzieht? Ich hoffe, er ist ansatzweise okay … So wie Akemi zum Beispiel.« Rina war wieder bei sich und zog Kazuki am Ärmel in ihre Wohnung. »… Komm doch erst mal herein.« Rikyus Bruder zog sofort die Schuhe aus. Auch die Jacke seiner Schuluniform öffnete er, behielt sie allerdings an. Es war doch recht frisch an diesem Nachmittag. »Setz dich. Darf ich dir einen Tee bringen?« Wieder musste Rina an Touma und dessen Einladung denken. »Verdammt, ich weiß immer noch nicht, was ich machen soll.« »Ja, gern.« Kazuki trat unruhig von einem Fuß auf den anderen, als er an seiner Nachbarin vorbei eilte und sich auf ihre Couch setzte. Seine Schultasche stellte er neben sich auf den Boden, nur um diese dann doch auf den Schoß zu nehmen und in seinen Schulsachen planlos zu wühlen. Da Rina immer noch etwas verloren und geistesabwesend an der Tür stand, erhob Kazuki seine Stimme. »R-rina-san..? Alles in Ordnung?« Sie schüttelte kurz den Kopf und lächelte dem Jungen liebevoll entgegen. »Ja, entschuldige bitte. Ich mache rasch den Tee.« Kazuki wunderte sich noch kurz und widmete sich dann wieder seiner Schultasche samt Inhalt. »Ich glaub, ich mache schon mal meine Hausaufgaben ...« Nach weniger als zehn Minuten kam die Gastgeberin mit einem kleinen Tablett aus ihrer Küche, auf der eine zierliche Kanne und zwei Tassen standen. Sie schenkte Kazuki eine Tasse Tee ein und reichte ihm diese, die er dankbar entgegen nahm. Rina nahm sich die andere Tasse und setzte sich in ihren Sessel. »Sag, Kazuki-kun, was führt dich her? Wobei ich es mir fast schon denken kann …« Rina sah für eine Millisekunde gestresst aus. »Nun, ähm, ich … ich komme nicht in unsere Wohnung. Rikyu-niichan öffnet einfach nicht und ausgerechnet heute habe ich meinen Schlüssel vergessen.« Er seufzte langgezogen und ließ den Kopf hängen. »…« »Hast du eine Ahnung, was mit meinem Bruder los ist? Ich weiß, dass er da ist, da dröhnt leise Musik aus unserer Wohnung.« Auch Rina seufzte nun. »Ja, mehr oder weniger weiß ich das. Wobei ich diesen Mann manchmal wirklich nicht verstehe … Lass mich mal so sagen … Du wolltest doch vorhin wissen, ob ich wüsste, wer mir gegenüber einzieht.« Kazuki nickte vorsichtig. »Rikyu und ich haben ihn kennengelernt und dein Bruder ist wohl nicht sehr von ihm angetan.« »Oje …« Wehleidig guckte der braunhaarige Junge auf sein Mathebuch. »Der kann jetzt aber tagelang schmollen, was mache ich denn jetzt?« Rina konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen. »Keine Angst, ich werde dich schon nicht auf die Straße setzen.« Auch Kazuki grinste zögerlich. »Danke, Rina-san.« »Ach, gerne doch. Schließlich kennen wir uns doch schon so lange, nicht wahr?« »Ja.« Rina und Rikyu waren bereits zusammen in den Kindergarten gegangen und waren größtenteils zusammen aufgewachsen. Da war es nur selbstverständlich, dass sie seinen vier Jahre jüngeren Bruder ebenfalls gut kannte. Rina mochte Kazuki sehr gern, er war das komplette Gegenteil von Rikyu – nett, schüchtern, sehr zuvorkommend. Das sollte nicht heißen, dass Rina Rikyu gänzlich unausstehlich fand. Tatsächlich war er einer ihrer wenigen engsten Freunde. Doch seit er die Pubertät erreicht hatte, benahm er sich für ihren Geschmack viel zu frauenorientiert und hing ihr auch zu sehr auf der Pelle. Daher entschied sie sich für einen gesunden Abstand. Dass sie vor zwei Jahren hier in dasselbe Haus wie Rikyu eingezogen war, war Ironie des Schicksals. »Wenn Rikyu meint schmollen zu müssen, haben wir eben ohne ihn Spaß.« »Solange er mich irgendwann wieder hineinlässt, damit ich meine Kleidung wechseln kann, ist das auch okay.« Verlegen lächelte Rina. Sie hatte ganz vergessen, dass sie Kazuki schlecht eines ihrer Tops hätte anbieten können. »Wie gesagt, bekommen wir hin.« Eifrig nickte der Junge. »Vielen Dank. Ich denke, ich mache mich jetzt an meine Hausaufgaben.« »Ja … tu das.« Und wieder war Rina alleine mit ihren Gedanken. Ein kurzer Blick auf die Teetasse genügte ihr, um wieder eine Wohnung weiter zu landen. Kurz kam ihr sogar der nahezu absurde Gedanke, dass sie notfalls Touma um Ersatzkleidung für Kazuki bitten könnten. Wie töricht! Eher würde sie wütend gegen Rikyus Tür hämmern und wenn es die ganze Nacht dauerte, bis er sie öffnete. Als es bereits dämmerte, hatte Kazuki seine Hausaufgaben beendet. Beschwichtigend stand er hinter Rina in der Küche, die verzweifelt mit einem scheppernden Kochtopf und einer heftig diskutierenden Pfanne kämpfte. »Ähm, Rina-san, also wegen mir musst du wirklich nicht … Also … ich meine … Bitte keine Umstände …« Hilflos blickte er sie mit seinen azurblauen Augen an. »Halt dich hier raus«, versuchte Rina ruhig zu sagen, konnte aber ein leichtes wutentbranntes Zittern in der Stimme nicht unterdrücken, als sie versuchte, die angebrannten Nudeln im überschäumenden Topf zu wenden. Nun gänzlich mit Angst gefüllt, wich Kazuki mit erhobenen Händen rückwärts aus der Küche. Dass Rina leise fluchte und Worte in den Mund nahm, die so gar nicht zu ihrem hübschen Gesicht passten, fand Kazuki mehr als nur merkwürdig. Er hätte nie gedacht, dass er sowas mit ihrer Stimme mal hören würde! Nachdem er also seinen Rückzug angetreten hatte, setzte sich Kazuki wieder brav auf das Sofa. Nun, da der Versuch Rina vom Kochen – oder wie man das bei ihr auch immer nennen mochte – abzuhalten, gescheitert war, entschloss er sich einen weiteren Versuch zu wagen. Todesmutig und entschlossen schritt er strammen Schrittes auf die Tür zu, um Rina zu fragen, ob er ihr wenigstens helfen könne. Doch bevor er überhaupt ordentlich zu Worte kommen konnte, herrschte ihn die junge Frau auch schon an. »Rina-san, kann ich.!« »Nein!«, rief sie hysterisch und der arme Kazuki war kurz vor den Tränen. »O-okay …« Rina drehte sich kurz zu ihm um und erkannte, dass sie sich gerade eben wie eine Furie aufgeführt haben musste. »Ach du liebe Güte! Das wollte ich nicht, Kazuki-kun. Ich …« Kazuki schniefte kurz und schüttelte dann den Kopf. »Ist okay. Ich weiß doch, dass du sonst … eher nicht so bist. Kochen stresst dich.« Rina lachte verlegen auf. »Ähm, ja … Das Zeugs will nicht so wie ich …« Kazuki zuckte mit den Schultern. »Ich kann wirklich nicht verstehen, warum Niichan das lustig findet.« »Mir macht das große Angst«, fügte er noch im Geiste hinzu. Rina machte einen Schmollmund. »Ganz einfach, weil er ein Blödmann ist, deshalb.« »Glaubst du, ich werde auch mal so?« Besorgt sah er sie an und knetete nervös mit seinen Händen. »Ich will es nicht hoffen«, flüsterte Rina, doch er hatte es gehört. Entsetzt sah er sie an. »Also ehrlich gesagt kann ich mir das nur schwer vorstellen. Du bist schließlich anders als dein Bruder, zum Glück!« Kazuki lächelte erleichtert. »Danke.« Plötzlich verschwand das Lächeln jedoch sofort aus seinem Gesicht und er schnupperte verdächtig in der Luft. »Riechst du das auch? Es riecht irgendwie angebrannt …« »Oh mein Gott, mein Fleisch!« Und dann war das Essen ganz verloren. Die Nudeln waren sehr eng mit dem Topf verbunden und ohne Kreissäge eigentlich nicht mehr davon zu trennen. Das Fleisch hingegen hätte locker als Briketts durchgehen können. Mal ganz zu schweigen von der eingesauten Einrichtung. Niedergeschlagen ließ Rina den Kopf hängen, den sie in ihre Hände vergraben hatte und seufzte traurig auf. Dann sank sie zu Boden und wippte leicht hin und her. »Das darf nicht wahr sein …«, murmelte sie immer wieder in einem merkwürdigem Singsang. Kazuki wusste nicht so recht, was er jetzt machen sollte. Wenn er die Küche ansprechen würde oder gar anfänge, sie langsam zu putzen, bekäme Rina bestimmt wieder einen halben Tobsuchtsanfall und würde ihm in ihrer blinden Zerstörungswut vielleicht noch den ramponierten Topf überhauen. Also blieb ihm nur, Rina irgendwie zu trösten – allerdings ohne die Worte Küche, Kochen, Essen oder Schuld -, auch wenn er nie ein besonders guter Tröster war. Sein Bruder war derjenige von beiden, der das Talent mit Worten zu jonglieren geerbt hatte. »Ach, Rina-san …« Behände tätschelte er ihren Rücken. Rina seufzte erneut lautstark auf und hob wieder ihren Kopf an. »Tut mir echt leid, Kazuki-kun.« »Ach was … Ist ja nicht deine …« Dann brach er je ab. Also irgendwie war es doch Rinas Schuld. Aber er wollte ihr immer noch keinen Vorwurf machen. Leider konnte Rina seine Gedanken lesen. »Ich bin eine miserable Köchin. Und jetzt musst du verhungern und das nur wegen mir.« Verdutzt sah Kazuki an sich hinab. Gut, er war recht schlank, aber verhungern würde er wegen einem ausgefallenen Abendessen dennoch nicht. Schließlich gab ihm Rikyu ja doch regelmäßig etwas zu essen. »Ist schon gut … Ich habe sowieso keinen Hunger«, lächelte Kazuki aufmunternd. Just in diesem Moment röhrte ein schallendes Geräusch durch Rinas jetzt fast schwarzer Küche, welches von den Wänden beinahe wiederhallte. »Ähm …«, stammele er verlegen und wurde puterrot im Gesicht. »Du bist doch am Verhungern!«, rief Rina verzweifelt aus und umklammerte den Kochlöffel, der neben ihr auf dem Boden lag. Dann stand sie auf und wischte sich ein paar aufkommende Tränchen aus den Augenwinkeln. »Ich habe noch ein paar Kekse.« Ohne seine Antwort abzuwarten, lief sie schleunigst zu ihrer Keksdose und drückte Kazuki ein großes Bündel verschweißte Schokoladenkekse entgegen. »Äh …« Kazuki war so dürr und ausgehungert, dass er beinahe unter dem Gewicht der Kekse schwankte, so viele waren es. »Ich bin zwar keine gute Hausfrau«, Rina schloss die Augen und hob vielsagend ihren Kochlöffel zum Gestikulieren an, «aber hungern muss hier keiner!« Als dann noch ihr eigener Magen in Kazukis Geknurre mit einzustimmen, schnappte sie sich mit geröteten Wangen ein paar von den Keksen in seinen Händen. Nachdem sie fünf Stück in einer gewissen Geschwindigkeit verputzt hatte (es waren Riesenkekse und Kazuki fragte sich, wie Rina ihre Figur halten konnte, wenn sie solche Cookies öfter aß), machte sie ein säuerliches Gesicht und ihre grauen Augen funkelten auf. Der arme Kazuki hätte schwören können, dass kleine Blitze in ihren Augen aufblinkten. Entschlossen umklammerte sie den Kochlöffel. Der Braunhaarige, der diesen Gesichtsausdruck kannte, ahnte nichts Gutes. »Rina-san?« Ohne zu antworten, stürmte Rina, nur mit Hausschuhen, hinunter zu Rikyu und klopfte an dessen Tür. Natürlich machte er nicht auf. Rina bildete sich sogar ein, dass die Musik nun noch lauter war. Also lief sie wieder nach oben, wo Kazuki noch immer verdutzt in ihrer Küche mit einem Haufen Kekse stand. »Was hast du nun vor?« »Nun, wenn Rikyu meint, sich hinter seiner Tür verschanzen zu müssen, dann stürmen wir eben eure Wohnung!« »Bitte was?« Kazuki verstand die Welt nicht mehr und ließ einen Beutel Kekse fallen. In der Zwischenzeit war Rina zielsicher auf ihren Balkon zugelaufen. »Ähm, was hast du …? Du willst doch nicht etwa…? Bitte sag mir, dass du das nicht willst!« Und noch zwei Tüten purzelten hinab. »Oh doch! Mein Balkon ist direkt über dem von Rikyu. Wenn er dir nicht öffnen will, dann mache ich es eben!« Kazuki fand, dass Rinas Augen mittlerweile irre leuchteten. Vielleicht lag es an den Keksen? Rasch entledigte er sich diesen unauffällig und stürmte hinter Rina her. »Bitte, warte!« Doch Rina dachte gar nicht erst, auf den jüngeren Kazuki zu hören. Kurz warf sie einen Blick über das Geländer. Der Abstand der beiden Balkons betrug einige Meter, aber Rina befand, dass sie es locker schaffen konnte. Zugegeben, sie war nie besonders sportlich gewesen, aber so ein bisschen Rumklettern im fünften Stock sollte doch jeder schaffen, oder? »Rina-san, bitte!« Flehentlich warf er seiner Nachbarin einen letzten Blick zu. »Ach, jetzt brüll hier nicht rum«, versuchte ihn Rina aufheiternd zu beruhigen. »Sie ist ohne Verstand«, dachte Kazuki fiebrig und kaute an einem Nagel herum. Die Braunhaarige schwang sich mit einem Ruck zur Hälfte über das Geländer und baumelte so halb in der Luft herum. Sie machte den Fehler einen Blick nach unten zu werfen und ihr wurde auf einmal schummrig. »Ach je…«, sagte sie leise und verkrampfte sich. »Du liebe Güte, wenn ich gewusst hätte, dass meine Einladung zum Tee Sie auf solche Gedanken bringt, hätte ich das Ganze selbstverständlich anders ausgedrückt!«, hörte Rina die Stimme Touma Norsteins neben sich, der auf seinem eigenen Balkon stand und sie beobachtete. »Norstein-san …« Rinas Knie wurden sofort weich und sie sah an sich hinab. Dann mit einem Schlag kam ihr die ganze Szenerie in ihren Kopf, wie sie halb über ihrem Geländer hing, eingekleidet mit einer angekokelten Kochschürze und einem Kochlöffel in der Hand. Nicht zu vergessen Kazuki Kusanagi, der sie flehend versuchte, von ihrem Vorhaben abzubringen. Zehn Minuten später saßen Kazuki und Rina verlegen auf Toumas Couch, dem neuen Nachbar gegenüber und vor ihnen eine dampfende Tasse Tee. »Ich … ich habe nicht versucht mich umzubringen«, brachte Rina nun zum etwa siebenunddreißigsten Mal hervor. Ein feiner Rosaschimmer zeichnete sich noch immer auf den Wangen ab. Touma lachte leise auf. »Das habe ich auch nicht wirklich angenommen, es war nur ein Scherz meinerseits. Wobei ich doch zugeben muss, dass ich es schade finde, dass sie meine Einladung nicht eher angenommen haben.« Am liebsten wäre Rina in ihrem Sessel versunken. »Entschuldigen Sie, bitte …« Plötzlich erhob Kazuki das Wort. »Ähm, ich glaube, das war meine Schuld. Mein Bruder hat mich mehr oder minder ausgesperrt, daher war ich bei Rina-san und sie konnte nicht …« Auch er verstummte gerötet. Vorhin, als Touma ihnen die Teetassen holte, hatte er Rina ganz sachte angestupst und sie gefragt, ob dies wirklich Touma Norstein war. Zögerlich hatte sie genickt. »Ach, so war das? Nun denn, keine bösen Gedanken mehr«, lachte Touma. Gerade wollte er ihnen ein paar Kekse reichen, da schüttelten die beiden Gäste synchron die Köpfe. »Nein, danke«, sagten sie sogar gleichzeitig. Nachdem Touma zunächst verdutzt drein geschaut hatte, musste er daraufhin lachen und die anderen beiden stimmten mit ein, als sie sich noch einen kurzen gegenseitigen Blick zugeworfen hatten. Und so lernte auch Kazuki Touma Norstein kennen. Anders als sein Bruder, mochte er ihn eigentlich gleich vom ersten Moment an. Kapitel 5: Sayonara, Digiwelt! ------------------------------ >>Wenn ich ganz leise bin …« Langsam und aufs Äußerste darauf bedacht, bemühte Impmon sich von der Gruppe der wiedervereinten digitalen Dämonenkönige zu entfernen und dabei bloß keine Geräusche zu machen. Schließlich musste seine Abwesenheit ja nicht sofort auffallen. Außerdem hatte das Child Level Digimon auch überhaupt keine Lust sich vor Lucemon und den anderen zu rechtfertigen, weshalb der Ausgang dieser dunklen Höhle plötzlich allzu verlockend war. Denn gerade jetzt hatten die Dämonenkönige beschlossen, dass sie die Herrschaft über die digitale Welt übernehmen werden. Außerdem stand ihnen Igudorashiru auch nicht mehr im Weg und wer sollte sie jetzt noch aufhalten können? Dass über Impmon sowie Belphemons Kopf jeweils hinweg entschieden wurde, stand außer Frage nicht zur Debatte. Schließlich waren sie nur auf dem Child Level, beziehungsweise ein Digitama. Wo ihr Platz in dieser Schlacht war, stand von vornherein fest, da wurde gar nicht erst nachgefragt. Und das passte dem kleinen Teufelsdigimon so überhaupt nicht. »Gleich geschafft …«, flüsterte es und drehte sich kurz zu den anderen um. Diese waren immer noch in einer hitzigen Diskussion und besprachen das weitere Vorgehen. Ein kleines Grinsen stahl sich auf seine Lippen. Diese Dummköpfe! Diese ach so erhabenen selbst ernannten Herrscher konnten noch so mächtig sein; das flinke und kluge Impmon würden sie nicht schnappen können, sobald es auf und davon war. Plötzlich erstarb sein Lächeln. Gerade noch wollte es seinen Kopf wieder umdrehen, damit es seine fast gelungene Flucht fortsetzen und letztendlich vollenden konnte. Doch dann bemerkte Impmon den Fehler in seiner Gleichung. »Wo ist denn jetzt dieses verdammte-!« »Ja? Was hast du denn gleich geschafft?«, fragte Lucemon kühl. Lautlos war es hinter Impmon erschienen. Als sich das kleinere Digimon erschrocken umdrehte und anfing verlegen mit den Armen zu rudern, setzte der gefallene Engel ein kaltes Lächeln auf. Amüsiert setzte es sich auf einen der niederen Felsen und verschränkte die Arme vor der Brust, während es die Beine übereinander schlug. Ein tadelnder und hochmütiger Blick fiel auf das fliehende Digimon. »Ähm, erhabenes Lucemon!!« Sofort verneigte sich Impmon kurz. Lucemon hingegen winkte lustlos ab. »Langweile mich nicht mit diesen Speichelleckereien. Obwohl es manchmal doch erheiternd ist. Überlege mal, was du kleiner Wicht einst für eine Position inne hattest!« Impmon musste sich wegdrehen, damit das Ultimate Level Digimon seinen Ärger und Zorn nicht von seinem Gesicht ablesen konnte. So ganz entging dies Lucemon natürlich nicht. »Ach, lass dich doch nicht immer ärgern. Hm, wo waren wir doch gleich? Ach ja, richtig. Du wolltest mir gerade erzählen, was du vorhast und wohin du dich verkrümeln wolltest.« Das lilafarbene Digimon fing an, an seiner Unterlippe herum zu kauen. »Verdammter Mist! Was mache ich denn nun?« Ja, was sollte es denn nur tun? Schließlich konnte Impmon schlecht erzählen, dass es mit Lucemons tollen Welteroberungsplänen im Grunde genommen gar nichts zu tun haben wollte. Dann konnte es sich genauso gut gleich selbst einsperren. »Also, ehrlich gesagt …«, begann Impmon und hielt im Satz inne, da ihm keine schöne Ausrede einfallen wollte. Verlegen kicherte es leise und kratzte sich am Kopf. »Jaaa? Ich bin ganz Ohr«, stellte Lucemon klar und beäugte Impmon noch immer belustigt. »I-ich wollte …« Nachdenkend schabte es mit den Füßen auf dem Boden herum. »Ich hab’s, das ist es!« »Das ist mir ein wenig peinlich, großer Meister«, nuschelte das kleine Digimon und drehte sich weg, damit das Größere von beiden sein aufkommendes Grinsen nicht sehen konnte. Seine Ausrede war einfach zu perfekt, das würde selbst Lucemon nicht durchschauen können. »Nun ja, ich wollte Blumen für Lilithmon pflücken gehen. Hatte ich doch ganz vergessen, wie schön es ist!« Um nicht los zu prusten, biss sich Impmon kurz auf die Lippe. Nachdem es sich sicher war, dass es nicht in einem albernen Lachanfall würde ausbrechen müssen, drehte es sich wieder so, dass Lucemon ihm ins Gesicht schauen konnte. »… So ist das also …«, entgegnete Lucemon und stützte seinen Kopf auf einem Arm ab. Eine lange blonde Strähne fiel nach vorn. Sein Gesichtsausdruck war ohne Emotion - wie eine Puppe - und Impmon konnte die Mimik nicht ganz einordnen. Vielleicht war sein Plan doch nicht aufgegangen …? »Ääähm …«, begann Impmon bereits, da es mittlerweile damit rechnete, dass Lucemon ihm seine Story doch nicht so ganz abnahm. Also setzte es noch nach, dass es auch mal frische Luft benötigte, da es in dieser Höhle doch arg stickig war und dieser Stinker Demon die Luft verpeste. Jedoch war dies alles gar nicht nötig gewesen, denn der gefallene Engel hörte dem kleinen Teufel schon gar nicht mehr zu. Ganz gedankenversunken regte es sich kurz und blickte das kleine Digimon nach einer Weile wieder an. »So ein Ärger«, ging es Impmon durch den Kopf, da es gerade einen erneuten Versuch sich aus dem Staub zu machen unternehmen wollte. Majestätisch erhob sich Lucemon und blickte verachtungsvoll auf das lilafarbene Digimon hinab. Impmon rechnete bereits damit, dass sein letztes Stündlein würde geschlagen haben. »Nun denn, dann viel Erfolg«, verkündete es und stemmte noch immer nachdenkend die Hände in die Hüften. Dann warf es einen Blick hinüber zu seinen Kameraden. Impmon blieb der Mund offen stehen und packte sich an das rasende Herz. »Wie jetzt?!« »Du hast mich schon verstanden«, antwortete Lucemon und grinste tückisch. Sein Blick ruhte allerdings noch immer auf den anderen dämonischen Digimon. Impmon hatte sein Glück kaum fassen können – seine Freiheit war nur noch ein paar Schritte entfernt. Es musste nur noch rasch aus der Höhle hinaus und alles würde gut gehen. Zumindest würde es für eine Weile seine Ruhe haben. Schließlich würde den Dämonenkönigen schon irgendwann auffallen, dass sie einer weniger waren. Wenn da nur nicht dieses verschlagene Lächeln seitens Lucemon gewesen wäre. Dieses machte sich nun wieder auf den Weg zu seinen Kameraden. Skeptisch blickte das Child Level Digimon dem höher Digitiertem hinterher, schüttelte letztendlich aber den Kopf. »Ach Quark, der peilt nie und nimmer was.« Nach einem weiteren letzten Rückblick auf seine ehemaligen Kollegen, eilte es aus der Höhle raus. »Freiheit..!«, murmelte es leise. Dabei hatte es einen zarten Hauch von Euphorie in der Stimme. Plötzlich hörte es hinter sich ein Geräusch. Panisch hüpfte es gut drei Meter in die Luft, fühlte es sich doch irgendwie ertappt. Ein kleiner Stein rollte vor Impmons Füße und es stieß die angehaltene Luft erleichtert aus. Als Impmon dann zu lachen anfing, endete dies in einem kleinen mittelschweren Anfall von Hysterie. »Für einen kurzen Moment dachte ich echt-! Iiieeks!!«, piepste es panisch, als es etwas Eiskaltes an seiner Schulter spürte. Es war eine Hand. Lucemons Hand. »Lu-lu-lucemon! Was…? Wieso…? Blumenpflücken?!«, stammelte es und guckte dabei wie ein Auto. Wild gestikulierte Impmon mit seinen Gliedmaßen. Genüsslich legte Lucemon den Kopf in den Nacken. »Ach, mir war entfallen, dass es da eine wunderschöne Blume gibt – eine blaue Lunaris-Blüte. Sie blüht nur bei Mondschein, aber das ist der Anblick auf jeden Fall wert. Du musst dich nach dem Pflücken jedoch beeilen, da sie schnell vergeht und ich glaube kaum, dass du Lilithmon eine welke Blüte bringen willst.« Bei den letzten Worten warf es Impmon einen vielsagenden Blick zu, welchen das kleine Digimon nicht so recht zu deuten vermag. Impmon, das nie ernsthaft die Absicht pflegte irgend so eine bescheuerte Blume zu suchen, grinste gezwungenermaßen. »Oh, wirklich? Das ist ja …«, es überlegte kurz und fügte „beschissen“ in Gedanken hinzu, »super! Wo kann man diese Lulu-Blume denn finden?« Lucemon seufzte und kämmte sich eine helle Strähne hinter das Ohr. »Lunaris-Blüte. Du findest sie in einer Höhle des vergessenen Tals. Wie gesagt blüht sie nur im Schein des Mondes, doch wenn du jetzt losgehst, solltest du im Tal ankommen, bevor sie den vollen Blütenstand erreicht hat.« »Wow, klingt das kitschig.« »Wow, klingt das toll! Ich mache mich sofort auf den Weg!«, rief Impmon aus und wollte schon auf dem Absatz kehrtmachen. Zögerlich blieb es dann allerdings stehen und schaute nochmal über die Schulter zurück zu Lucemon. »Ähm, ich will ja nicht anmaßend klingen oder dergleichen, aber warum sagst du mir das?« Der gefallene Engel zuckte mit den Schultern. »Ach, ich weiß auch nicht. Mir war einfach danach.« Dann senkte es ein wenig Kopf und Stimme und fügte leiser hinzu: »Und vielleicht wollte ich dir einfach diesen ganz besonderen Ort näher bringen.« »…« Mit einem eisigen Lachen kehrte Lucemon dem kleinen Teufel den Rücken und verschwand wieder in seinem schurkischen Unterschlupf. »Was war das denn jetzt?«, fragte sich Impmon mit hochgezogenen Augenbrauen. Missmutig verzog es eine Miene, da ihm gerade klar wurde, dass es vielleicht mehr oder weniger von Lucemon und den anderen beobachtet wurde. Impmon seufzte. »Großartig. Wenn ich nicht morgen mit dieser bescheuerten Blume hier auftauche, wird Lucemon skeptisch und zieht mir die Ohren lang … oder noch schlimmer … Warum ist mir auch nichts Besseres eingefallen?!« Mit einem großem Schmollmund sah es noch einmal zur Höhle zurück. »Ich sollte da rein marschieren und denen mal verklickern, dass die ihren Scheiß gefälligst ohne mich durchziehen sollen!« Plötzlich jedoch hörte es ein donnerndes, grollendes Geräusch – das Lachen Demons. Entmutigt schluckte Impmon. »Andererseits … Das hat auch so lange Zeit, bis ich Lilithmon die Blume gebracht habe. Vielleicht ist sie ja dann so verzückt, dass es die anderen davon überzeugt, mich gehen zu lassen…?« Kaum hörbar fügte es noch hinzu: »Oder mich vor den anderen zu beschützen …« Lustlos trottete es also von dannen in Richtung des vergessenen Tals. »Hm … Vergessenes Tal … Warum hieß das doch gleich nochmal so?«, fragte es sich selbst. Schon bald war nichts mehr von Impmon zu sehen. Lucemon sah ihm von einer düsteren Ecke der Höhle aus zu. Es kicherte leise. »Was ist so lustig, Lucemon?«, fragte Barbamon, das soeben neben ihm erschienen war. »Warum zieht der kleine Dummkopf ab?« Der inoffizielle Anführer der Dämonenkönige warf einen kecken Blick auf Barbamon, wobei seine Augen voller Vergnügen kurz aufleuchteten. »Ach, sagen wir einfach, ich habe gerade den letzten Schritt unserer Operation eingeleitet.« Das sonst so weise Barbamon verstand nicht sofort. »Hm, ist das so?« Es schaute in die Richtung, in die Impmon verschwunden war. »Glaubst du denn, es kommt wieder?« »Nein, das wird es nicht.« Barbamon runzelte die Stirn. »Nein? Und darüber freust du dich? Ich denke, du wolltest, dass wir alle sieben zusammenarbeiten.« Verwirrt warf es nun einen prüfenden Blick auf das andere Digimon. Lucemon verschränkte die Arme vor der Brust, wendete den Blick allerdings noch immer nicht vom Horizont ab. Die Sonne stand im Zenit. »Gemach, Gemach, mein alter Freund. Ich versichere dir, dass alles nach Plan läuft. Impmon ist schon lange kein Teil mehr von uns. Seit es seine Kräfte als Beelzebumon eingebüßt hat, ist es mehr als unnütz.« Barbamon sah aus, als ob es dem anderen Digimon noch immer nicht folgen konnte. Lucemon seufzte. »Aber unnütz ist nicht gleich unbrauchbar und so wird auch Impmon seine Rolle in diesem Stück spielen. Es weiß es nur noch nicht.« Langsam verstehend runzelte Barbamon seine Stirn. »Nun denn. Wo hast du es hingeschickt?« Endlich löste Lucemon seinen Blick und drehte sich zum Gehen um. »In das vergessene Tal.« Überrascht riss Barbamon die Augen auf. »Das vergessene Tal?! Aber das ist Igudorashirus Reich!« Lucemon brach in ein diabolisches Gelächter aus und als es geendet hatte, sagte es nur: »Exakt.« Nun grinste auch Barbamon. »Interessant.« Nach anderthalb Tagen kam Impmon endlich im bereits dämmernden vergessenen Tal an. Es hatte es nicht allzu eilig dort anzukommen und erstrecht nicht einen eiligen Rückweg anzutreten. Also war es nicht besonders flink gelaufen und hatte etliche Pausen und Rasten eingelegt. Enttäuscht, dass es schon da war, stöhnte es kurz auf und legte den Kopf in den Nacken, um das riesige Gebilde vor seinen Augen zu betrachten. »So, da wären wir. Mann, ist das hier hässlich; Einöde lässt grüßen oder wie.« Skeptisch beäugte es das Gebilde noch einmal. »Woher kenne ich-!« Plötzlich zuckte es zusammen und hielt sich den nun schmerzenden Kopf. Dieser drohte ihm zu zerplatzen; dieses Gefühl durchlief das kleine Child Level Digimon und es sackte fast reglos zu Boden, wo es sich zusammenkauerte »Schluss damit!«, rief es aus und blinzelte ein paarmal. Nach und nach ebbte der pochende Schmerz ab und Impmon kam wieder auf die Beine. »Was war das denn?«, fragte es sich selbst, als es sich wieder aufrichtete. Allerdings fiel es sofort wieder auf den Hintern, als es zwei grüne, leuchtende Kugeln vor sich erblickte, die es neugierig beäugten. Impmon wurde rot und erlangte seine Fassung rasch wieder. Hastig sprang es auf die Füße und schwang bedrohlich seine Faust. »Sag mal, geht’s noch?! Glotz mich gefälligst nicht so an!!« Gomamon seufzte enttäuscht. »Ach, schade, es lebt noch. Wie langweilig«, sagte es betrübt. Impmon wusste nicht so ganz, ob es das Digimon ernst meinte oder ob die harte Schale nur aufgesetzt war. Wie auch immer – es entschied sich erst mal, einen auf beleidigt zu machen. »Oh, das tut mir aber leid, dass ich dich da enttäuschen muss«, rief es sarkastisch aus. Gomamon jedoch schüttelte nur den Kopf und setzte ein riesiges Grinsen auf. »Ach was, halb so wild.« Es zuckte mit den Schultern. »Hab nur gedacht, dass hier endlich mal was los sei.« Impmon zückte eine Augenbraue. »Ah ja …« »I-i-i-ist a-a-a-alles in O-o-ordnung?«, ertönte es zögerlich hinter einer riesigen Wurzel. Impmon folgte der Stimme, um sie zu lokalisieren und erkannte, dass diese gigantische Wurzel zu dem Gebilde führte. Grundgütiger! Das war ein riesengroßer Baum! Dieser sah ganz schön mitgenommen aus und Impmon weitete sichtbar die Augen im Sekundentakt, als er das Gebiet langsam wiedererkannte. »Oh Scheiße! Das ist …!« »Ja, ja, alles klärchen!«, posaunte Gomamon fröhlich und hüpfte vergnügt auf der Stelle. Sein Freund Gabumon trat vorsichtig hinter der Wurzel hervor und sah sich prüfend um, ob auch wirklich keinerlei Gefahr drohte. »Na, wenn d-das so ist …« »Sei nicht so ein schrecklicher Feigling! Hier gibt es nichts zu befürchten!« Gomamon setzte ein strahlendes Grinsen auf, um seinen Freund endgültig zu beruhigen. »Da wär ich mir nicht so sicher«, murmelte Impmon missmutig und trat ein paar Schritte nach vorn. Gomamon neigte seinen Kopf schief. »Ach, nein? Warum denn?«, fragte es neugierig. »Weißt du denn nicht, was das hier für ein Ort ist?« »Doch, natürlich«, meinte es altklug und machte eine abwertende Handbewegung. »Dies ist das vergessene Tal.« »Ja, schon. Aber es ist auch als Igudorashirus Reich bekannt.« Impmon verzog eine finstere Miene. Plötzlich schossen ihm all die schlechten Erinnerungen an diesen Ort durch den Kopf. Damals war es hier mit seinen Truppen eingezogen, um Igudorashiru seiner Macht zu unterwerfen. Doch es kam ganz anders … Und letztendlich wurde es seiner Kräfte als Ultimate Level Digimon beraubt und digitierte zurück. Lautlos war Gomamon neben Impmon erschienen und erschreckte dieses mit seiner Stimme zu Tode. »Ach, der alte Käse. Ja, stimmt schon. Aber seit damals dieser Ultimate Level Trottel hierher kam und gewaltig eines auf die Mütze kassiert hat, ist es hier eigentlich ganz friedlich. Igudorashiru hat eine Barriere errichtet, so dass diese hoch digitierten Digimon hier nicht mehr herkönnen. Danach hat es sich selbst in den Standby-Modus versetzt und seitdem ist es hier eigentlich ganz friedlich. Hey, alles okay? Du zitterst ja auf einmal so arg …« Bevor Gomamon Impmon eine Flosse auf die Schulter legen konnte, haute es diese beiseite. Wütend knirschte es mit den Zähnen und ballte die Hände zu Fäusten. Sein Blick war hart auf den Boden gerichtet. »Standby-Modus? So ist das also. Dann schläft Igudorashiru also schon seit längerer Zeit.« »Jap«, bestätigte Gomamon, das den Ernst der Lage nicht ganz erkannte. Nicht so Gabumon, das nun panisch zu den beiden trat und versuchte, seinen Freund von dem fremden Digimon weg zu zerren. »L-lass uns gehen, wir wollen keinen Ärger!«, rief es und zog eifrig an Gomamons Flosse. Dieses jedoch machte keinerlei Anstalten, sich auch nur einen Zentimeter fortzubewegen. »Du vielleicht nicht, mir ist langweilig. Und wieso überhaupt Ärg-!« Weiter kam es nicht, denn Impmon stürmte plötzlich voller Wut in die Öffnung des Baumes und ließ die anderen beiden verwirrt zurück. Diese brauchten einen Moment um zu verstehen, was soeben geschehen war. »Ja, was denn..?« Gomamon blinzelte überrascht. »Oh nein! Es ist hineingegangen!« Gabumon begann an seinen Klauen zu knabbern. »Na und? Endlich mal Action!!« »Bist du i-i-irre? Wir dürfen nicht in den Baum! Wer weiß, was passiert …« Gomamon überlegte kurz. »Keine Bange. Ich hol den Dummkopf zurück.« Gabumon sah seinen Freund geschockt an. »W-was?! Nein, das kannst du nicht! Halt!!« Doch zu spät – Gomamon war schon in das Reich Igudorashirus gehoppelt. Fasziniert blickte es sich wie ein Tourist um. »Wow! Echt stark. Aber wo ist jetzt der andere hin? Der andere indes war nach schier endlosen Abzweigungen, Gängen und Kristallen an der Wand bei dem Schöpfer persönlich angelangt. Was es sah, war ein gigantisches Wesen, das Ähnlichkeit mit einem dieser Kristalle in etwas größer hatte. »So sehen wir uns wieder«, murmelte Impmon und trat noch ein paar Schritte nach vorn. Lucemon, dieser Mistkerl! Er musste das alles geplant und Impmon ganz bewusst an diesen Ort geschickt haben. Was hatten die anderen doch gleich gesagt? Nach seinem letzten Einfall, hatte der Schöpfer eine Barriere errichtet und damit alle Digimon über dem Child Level ausgesperrt. Folglich konnte Lucemon nicht selbst hierher. Doch was nun, war sein eigentliches Vorhaben? Es konnte ihm nicht mehr allein um die Blume gehen. Und was die Barriere betrat … Das war es wohl, was Impmon zuvor Schmerzen bereitet hatte. Es schlüpfte zwar hindurch, aber der Ort erinnerte sich an es – und auch Impmons Erinnerungen kamen schließlich wieder. Aber dies alles war Impmon im Moment sichtlich egal. Ob aus Zufall, Absicht oder was auch immer – es würde nun endlich seine Rache bekommen und vielleicht – ja, ganz vielleicht – würde es dann seine Kraft als Beelzebumon zurückerlangen? Impmons Augen fixierten den Herrscher, der an vielen, vielen Kabeln hing. Eines dieser Kabel sprang ihm besonders ins Auge und ehe es sich versah, war es bereits an diesem angelangt und umfasste dieses feste. Der kleine Teufel lächelte fast traurig. »Wer ist denn nun der Schwächling, he?« Es zögerte einen Moment, schließlich war es zwar schon immer auf seinen eigenen Vorteil aus, doch es griff nie die Wehrlosen und Schwachen an. Um seine aufkommenden Schuldgefühle zu vertreiben, schüttelte es hastig den Kopf. »Der hat angefangen! Und schwach ist er auch nicht. Nur etwas … wehrlos im Moment.« Es spannte seinen Körper an, um an dem Kabel zu ziehen, doch zu spät – es wurde bereits von irgendwas in den Rücken gerammt und flog gut vier Meter nach vorn. Krachend fiel es gegen das Podest, auf dem Igudorashiru verkabelt lag. »Spinnst du? Du kannst doch nicht so einfach hier was anfass-! Boah, ist das cool!« Gomamons Augen glitten schnell über die neue Umgebung und es war fasziniert von dem Anblick. In der Zwischenzeit hatte sich Impmon von dem kleinen Schlag erholt und rieb sich unsanft die Stelle, an der es getroffen wurde. »Wer hier spinnt, bist du!«, zischte es und warf einen hasserfüllten Blick auf Gomamon. »Was sollte das denn? Misch dich gefälligst nicht ein!« »Das können wir doch später besprechen, wir dürfen hier nicht sein. Also lass uns schnell hier raus, bevor irgendwas Schlimmes passiert. Hm, wobei … Ach nein.« Wieder schüttelte es seinen Kopf mit den großen neugierigen grünen Augen. »Gabumon bekommt noch einen Nervenkoller, wenn wir nicht bald wieder zurück sind. Also komm jetzt!« Während es redete, war es zu Impmon geglitten. Dieses jedoch zeigte immer noch keine Mühe, des Schöpfers Behausung alsbald zu verlassen. »Lass mich in Ruhe! Du weißt doch gar nichts! Igudorashiru wird meine Rache zu spüren bekommen und das wird keiner verhindern. Auch du nicht!« »Hey, mach mal halblang …« »Night of Fire!«, rief Impmon aus. Kleine schwarze Feuerbälle erschienen in seinen Handflächen, welche es auf das überraschte Gomamon schleuderte. »Aua!«, schrie es noch, ehe es in ein besonders dickes Kabel Igudorashirus hineinflog und sich nicht mehr regte. Funken stoben auf und Impmon grinste zufrieden. »Das ist doch schon mal ein Anfang«, sagte es und griff wieder nach dem Kabel von eben. Als es nochmal zu Gomamon schaute, erstarrte es kurz. Hinter diesem war ein kleines Loch in der Wand erschienen, durch welches nun ein zarter Strahl des Mondscheins fiel – und zwar genau auf eine blaue Blume; die Lunaris-Blüte. Impmon lief zu der Blume, beäugte sie kurz und pflückte sie schließlich. »Hm, wer hat, der hat.« Dann trat er mit dem Fuß gegen einen Kabelwulst, aus diesem nun noch mehr Funken sprühten. Auch Gomamon verpasste es einen Tritt, so dass dieses aus der Gefahrzone flog. Ohne weiter zu überlegen, zog Impmon nun endlich an einem der Kabel. »Wollen doch mal sehen, wie es dir schmeckt, wenn man einen Teil seiner Kraft einbüßt!« Was dann allerdings geschah, hätte niemand vorhersehen können. Statt dass Igudorashiru einen Kurzschluss bekam, so wie Impmon es sich erhofft hatte, öffnete sich plötzlich an der Wand neben ihm ein Digitor. »Das ist …« Fasziniert und geängstigt zugleich, sah Impmon das Tor an. Vor fünf Jahren gab es häufiger Tore in die Menschenwelt, hatte es gehört. Doch es hieß auch, dass Igudorashiru dafür gesorgt hatte, dass keine Tore mehr geöffnet werden konnten. Und dennoch hatte sich nun eines direkt neben Impmon geöffnet. Vorsichtig trat Impmon einen Schritt näher und beäugte das Tor. Und dann kam ihm ein Gedanke. »Au, nein, tu das nicht! Du weißt immer noch nicht, was passiert!«, rief Gomamon, das nun aus seiner kleinen Ohnmacht wieder erwacht war. Zapplig kam es wieder auf die Beine. Dies gab Impmon den Antrieb. Ja, das Tor war eine mögliche Gefahr – doch auch ein kleiner Hoffnungsschimmer. Schließlich hatte es die Macht ihn ganz weit fort von Lucemon und den anderen zu bringen – und dabei den finsteren Plänen der Dämonenkönige zu entkommen. Das Tor löste sich bereits an den Rändern wieder auf und drohte, sich zu schließen. Es zuckte mit den Schultern. »Was soll’s. Überall ist es besser als hier. Und wenn es mir nicht gefällt, kann ich ja wieder zurück.« Es warf noch einen letzten Blick auf die blaue Blume in seiner Hand und hüpfte dann durch das Tor. »Nein!«, schrie Gomamon. Schnell sprang es nach vorn und erhoffte, Impmon noch zu erwischen, doch zu spät. Es war bereits hindurch und das Tor war verschlossen. »So ein Ärger«, murmelte es. Plötzlich donnerte es in der ganzen Höhle und wieder brachen elektrische Leitungen auf. »Oje, das ist nicht gut. Das ist gar nicht gut! Aber … jetzt ist hier endlich mal was los.« Kapitel 6: Impmon allein in Yokohama ------------------------------------ >>Aua!«, rief Impmon aus, als es aus dem Digitor sprang und prompt unsanft auf dem Allerwertesten landete. Das Digitor war gut drei Meter in der Luft erschienen und so war es ganz schnell vorbei mit einer spektakulären – und vor allem sanften! – Landung mit cooler Pose. Geniert rieb sich Impmon am Hintern und blickte sich um. »Hm, das ist also die Menschenwelt? Komisch, hier es ja taghell.« Erstaunt über den plötzlichen Tageszeitenwechsel sah es sich interessiert um und drehte sich dabei um die eigene Achse. Um das kleine Teufelsdigimon war eine große Grünfläche und einige Bänke standen herum. Es befand sich in einem Park. Aber diesen Ausdruck kannte das Digimon natürlich nicht und beschloss, dass es sich in einer „zum sitzen geeigneten Grünanlage“ befand. »Ha!«, lachte es aus und ließ sich entspannt nach hinten fallen. Tatsächlich war es in seinen ersten Minuten in der realen Welt doch arg verkrampft gewesen, wusste es doch nicht, was es erwartete. Doch nun, wo es sichergestellt hatte, dass ihm hier keine Gefahr drohte, lockerte es sichtlich auf. »Das ist hier nun wirklich nicht viel anders, als in der Digiwelt!«, freute sich Impmon lautstark. Jedoch verging ihm das Lachen schlagartig wieder, denn es hörte plötzlich ein ohrenbetäubendes Geräusch und der Boden schien zu vibrieren. Erschrocken sprang Impmon auf seine Füße und schaute sich panisch um. »Ich hab nichts gemacht!«, schrie es aus, ballte vor Angst die Hände zu Fäusten und kauerte sich auf dem Boden zusammen. Nun fiel ihm auch auf, dass es in der linken Hand noch immer die blaue Lunaris-Blüte festhielt. »Blöde Blume …«, nuschelte das Digimon und verstaute die Blüte so in seinem Halstuch, dass sie weder zu sehen war, noch herausfallen konnte. Hektisch nahm es eine Kampfhaltung ein und schaute in alle Himmelsrichtungen – bis es auch endlich auf die Idee kam, nach oben zu schauen. Das Flugzeug, welches Impmon dort erblickte, interpretierte es als ziemlich lauten Vogel. »Verdammt! Was macht der so einen Krach? Hab ja bald einen Herzkasper bekomm-! Ich meine …«, es räusperte sich kurz, »ich dachte, es wäre vielleicht ein großes Digimon. Aber nicht Lucemon, das ist ausgeschlossen!« Noch einmal guckte es in den Himmel hinauf. Das Flugzeug war indes natürlich weitergeflogen. Es zog lange weiße Rauchwolken hinter sich her. Die Sonne blendete das lilafarbene Impmon. »Und Dreck macht der auch noch im Himmel. Na ja, solange es mir nicht auf den Kopf fällt …« Den letzten Staub von sich klopfend, richtete es sich wieder zu voller Größe auf. »Dann wollen wir doch mal auf Erkundungstour gehen!«, entschloss es sich und hüpfte freudig von dannen. An jeder zweiten Blume, Gebüsch oder sonstiger Pflanze, blieb es stehen, begutachtete sie und stellte fest, dass diese zugleich ähnlich, aber doch vollkommen anders als die Pflanzen der digitalen Welt waren. Impmons Alleingang wurde jäh unterbrochen, als es alsbald auf Menschen traf. Eine junge Mutter, vielleicht Mitte zwanzig, rief ihrem kleinen Sohn hinterher, dass er doch nicht ständig fortlaufen sollte. Der Kleine hingegen fand es allerdings viel amüsanter, jedes Mal genau dann vor seiner Mutter weg zu sprinten, wenn diese nur einen Hauch davon entfernt, war, ihn zu erwischen. »Takeo, komm sofort zurück!« Als der Knirps in Impmons Richtung gehopst kam, sprang das Digimon eiligst hinter den nächstbesten Baum, schließlich wollte es nicht sofort entdeckt werden und alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Impmon schaffte es noch rechtzeitig und Takeo freute sich riesig, dass er seiner Mutter erneut entkommen konnte. »Was für ein ungezogener Bengel«, dachte sich Impmon und rechtfertigte sich selbst gegenüber im Geiste, dass es selbst nie so schlimm war. »Ausgeschlossen.« »Takeo!«, rief die Mutter wieder und stemmte schon recht bald die Hände in die Hüften. Wie konnte der kleiner Racker nur so verdammt flink sein? Nun ja; vielleicht hätte sie sich heute Morgen doch nicht für die roten Pumps mit extra hohen Absätzen entscheiden sollen. »Den kleinen Furz sollte mal jemand zurechtweisen!«, beschloss Impmon und setzte ein diabolisches Grinsen auf. Sobald das Kind hinter einem Busch verschwunden und sein Vormund außer Sichtweite war, lief Impmon vergnügt aus seinem Versteck und schlich dem Jungen nach. »Na, dem werde ich Manieren beibringen! Und ein kleines bisschen Spaß kommt für mich bestimmt auch bei rum!« Takeo war mittlerweile zu dem Entschluss gekommen, dass er nun genug Distanz zwischen sich und seiner Mutter gebracht hatte und beschloss, dass sie ihn genauso gut hier suchen könnte, wo er sich doch gemütlich in das grüne Gras setzen und auf sie warten könnte. Vergnügt kicherte der kleine Junge lautstark vor sich her und strampelte dabei mit seinen Füßen auf dem Boden herum. Derweil hatte Impmon etwas Matsch aufgesammelt und ihn zu einem handlichen Schlammball geformt, welchen es nun hinter seinem Rücken versteckte. Wie auf Samtpfoten schlich es sich an den Jungen heran und achtete peinlichst genau darauf, dass es keine Laute von sich gab. Gerade war Impmon an dem frechen, kleinen Takeo angelangt und wollte ihm von ganzem Herzen den Schlammball überziehen, da wurde ihm auch sogleich ein Strich durch seine Rechnung gemacht, denn das Kind drehte sich just in diesem Moment um. Im ersten Augenblick sahen sie sich stumm und mit aufgerissenen Mündern und Augen an. »Waaaahhhh …«, begann der junge Takeo und zeigte mit zittrigem Zeigefinger in Richtung des lilafarbenen Teufelsdigimons. Impmon hingegen war genauso verwirrt, da es sich still und klammheimlich an das Kind anschleichen, es mit Matsch bewerfen und sich ungesehen wieder aus dem Staub machen wollte. Schließlich hatte Impmon bis auf Masaru noch nie Kontakt zu menschlichen Wesen und es konnte nur sehr grob einschätzen, wie sie auf es reagieren würden. Nur eines war ihm sonnenklar: Sie hatten wohl mindestens so sehr Angst vor ihm, wie Impmon vor ihnen. Letztendlich konnte das Child Level Digimon genau dies in den aufgerissenen Augen Takeos erkennen. Da stand Impmon also; einen Fuß in der Luft und eine Matschkugel wurfbereit über seinem Kopf. Es war nur ein wenig größer als der sitzende Junge. »Hoppla …«, meinte es verlegen, weil es sich stark begafft vorkam. Außerdem wollte es die eisig schneidende Stille durchbrechen. »D-d-d-d-du …« Takeos Augen wurden immer größer. »Ähm, tja … Tagchen!«, rief Impmon aus, allerdings war das dann doch zu viel für Takeo. »D-d-du k-k-ka-kannst ja sp-sp-sp-sprechen…!« Jetzt wurde es Impmon langsam zu viel und es zog seinen berühmten Schmollmund. So eine Frechheit! Schließlich war es doch kein dummes Tier! »Na, was hast du denn bitte gedacht? Und sowas muss ich mir von einem kleinwüchsigen Frechdachs bieten lassen, der auch noch so doof zum korrekten Artikulieren ist. Digitier erst mal auf ein höheres Level, dann können wir weiterreden.« Stolz auf seine kleine Rede, machte Impmon kehrt und warf beim Laufen die Matschkugel lässig auf und ab. Endlich taute Takeo aus seiner Starre auf. »Woah, Kaa-chan, ein Monster!!«, schrie er hysterisch aus und fing schallend an zu weinen. Vom klirrenden Lärm in die Höhe fahrend, warf sich Impmon den Matschball selbst ins Gesicht. »Ihhhhhhh!! Guck mal, was du gemacht hast, du Gör!«, schrie es zurück und wischte sich den gröbsten Dreck aus den Augen. Als es wieder halbwegs klar sehen konnte, seufzte es niedergeschlagen auf. »Na toll, immer ich … Jetzt hör doch mal endlich auf mit dem Krach!« Vorwurfsvoll sah Impmon mit schräg geneigtem Kopf und hervor geschobener Unterlippe zu dem Menschenkind, dass heulend vor ihm auf dem Boden saß. Plötzlich wurde ihm bewusst, dass das Kind, wenn es so weitermachen würde – und aus irgendeinem Grund ging Impmon stark davon aus -, schon recht bald seine Mutter und womöglich noch weitere Zuschauer anlocken würde. Und dann hätte Impmon ein Problem. Hektisch wedelte es also mit seinen Armen umher und stürzte zu Takeo. »Sei ruhig! Du lockst noch sonst wen an … Ich tu dir doch gar nichts und – hey! Hast du etwa gerade versucht mich zu beißen?!« Hastig konnte das Digimon gerade noch seinen Arm zurückziehen und atmete erleichtert aus. »Puh, das war knapp. Der ist ja gemeingefährlich! Und überhaupt … Was brüllt der so rum? Ich hab ja bald mehr Grund zum Angst haben, als der da!«, dachte es. Doch lange hatte Impmon keine Atempause, da Takeo bereits aufgestanden war und boxend in Impmons Richtung lief. Mit einem glorreichen Hechtsprung wich es Takeos fliegenden Fäusten noch rechtzeitig aus. Wut keimte in dem Digimon auf, doch dann besann es sich wieder. »Er ist noch jung und nicht hoch entwickelt, angreifen sollte ich ihn nicht.« Nachdem Takeo bemerkte, dass er daneben geschlagen hatte, stolperte er in Richtung Büsche, bis er darin verschwand. Nur ein leises Dong war zu hören und Takeo verstummte kurz. »Hm, den bin ich wohl los. Und wieder einmal erringt Impmon den Sieg!«, freute es sich und lachte erleichtert. Das war also sein erster menschlicher Kontakt in der realen Welt gewesen. Innig hoffte das Digimon, dass nicht alle Menschen so waren. Gerade als es sich aus dem Staub machen wollte, hielt es mit einem Male inne, da Impmon es doch arg merkwürdig fand, dass plötzlich so gar keine Geräusche mehr zu hören waren. Also seufzte es einmal niedergeschlagen auf und nahm all seinen Mut zusammen, um nach dem Menschenkind zu sehen. Schließlich schadete ein kurzer Blick nicht und sein Gewissen würde beruhigt sein. »Also schön. Ich sehe nur mal kurz nach und dann mach ich den Abflug. Der sollte sich wirklich dankbar schätzen, einem solch gnädigem Digimon wie mir gegenüber zu stehen!« Vorsichtig ging Impmon in Richtung des Gebüsches, in welchem Takeo verschwunden war. Sobald es an seinem Zielort angelangt war, schob es einige der grünen Blätter beiseite, um sachte hindurchschauen zu können. Jedoch zeigte sich ein ganz anderes Bild, als Impmon befürchtet hatte. In seinem Kopf hatte es sich die wüstesten Bilder ausgemalt, doch hier saß der kleine Takeo schon wieder munter und hatte aufgehört zu weinen. Seine Mutter kniete neben ihm und auch eine weitere Frau mit braunem, schulterlangem Haar beugte sich zu ihm hinab. »Puh und ich Depp mache mir auch noch Sorgen. Dabei geht es dem Knirps blendend! Ich sollte schleunigst verschwinden.« Bevor es sein Vorhaben in die Tat umsetzte, hörte es noch kurz den Menschen zu. »Ach, Takeo, erzähl doch nicht immer so einen Unsinn. Es gibt keine Monster!«, beruhigte ihn seine Mutter mit einem sanften Lächeln, aber das Kind schüttelte vehement den Kopf. »Doch, doch, doch, doch, dooooooch!!«, rief Takeo und strampelte dabei wieder mit den Füßen auf dem Boden. »Monster … Fragt sich nur, wer hier das Monster ist. Irgendwie kann ich das Kind immer weniger leiden«, dachte Impmon kleinlaut und blies beleidigt die Backen auf. »Takeo!« Nun wurde die Mutter doch etwas lauter in ihrem Tonfall. »Wie oft habe ich dir gesagt, dass du nicht lügen sollst? Deinetwegen haben wir die Frau Polizistin aufgehalten!« Die andere Dame errötete etwas und winkte sofort mit der rechten Hand ab. »Ach was, das ist doch nicht schlimm! Es ist mein Job all denen zu helfen, die Hilfe benötigen. Ich bin nur froh, dass wir Ihren Jungen gefunden haben, schließlich geht die Sonne schon bald unter.« Die Mutter nickte. »Ja, Sie haben recht. Vielen Dank nochmal.« Sie verneigte sich höflich und nahm Takeo auf den Arm. »Aber Kaa-chan, ich lüge wirklich nicht!«, schrie Takeo noch lange, bis sie letztendlich verschwanden. »Eieiei … Was für ein Fall«, stöhnte die Polizistin und ließ etwas den Kopf hängen. Dann massierte sie ihre Schläfen. »Ist ein anstrengendes Kind, oder?« Impmon konnte sich mit seiner Aussage einfach nicht zurückhalten und sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, bereute es sie auch schon. »Wem sagst du das … Moment mal, wer hat das gesagt?« Sofort war sie in Alarmbereitschaft und ehe das kleine Impmon sich versah, hatte sie in allen Blickwinkeln nachgesehen und war letztendlich an seinen großen grünen Augen im Busch haften geblieben. »Iiieeks!!« »Weia … Ähm … Hallöle …«, meinte Impmon scheu und kratzte sich am Kopf. Dann zog es sich langsam wieder zurück. »Das ist doch nicht möglich …« Die pinkfarbenen Augen der Polizistin wurden immer größer, bis sie letztendlich ein hoffnungsvolles Schimmern bekamen. Impmon war verwirrt. »Also, ich muss dann mal, tüdelüüüü!« Und schon hechtete es von dannen. »Warte doch! Du bist doch ein Digimon, nicht wahr?« Schlitternd kam Impmon nach einigen Metern zum Stehen. Als es sich umdrehte, bemerkte es, dass die Frau ihm gar nicht gefolgt war. Stattdessen sah sie es erwartungsvoll an. Aufgeregt und verwirrt zugleich, dass hier andere Menschen als Masaru von seiner Existenz wussten, versuchte es möglichst lässig zu klingen. »Ja und weiter?« »Was … was machst du hier? Ich meine, das ist doch nicht möglich … Die Tore wurden doch vor fünf Jahren geschlossen. Seit wann kommen wieder Digimon in unsere Welt?« Plötzlich fühlte sich Impmon verärgert. Warum konnte es gar nicht genau sagen. Vielleicht war es das merkwürdige Interesse, das diese junge Frau an ihm hegte. Eventuell lag es aber auch daran, dass es sich ausgestoßen vorkam. Diese Frage, was es denn in dieser Welt mache … Das klang für es danach, dass es doch hier eigentlich gar nichts zu suchen hatte. Und sowas wollte es natürlich nicht hören. »Was geht dich das an!«, blaffte es beleidigt. Auf einmal durchzuckte den Himmel ein gleißender blauer Blitz und es donnerte kurz. Sowohl das Digimon als auch die Polizistin erschraken kurz. Nachdem Impmon sich wieder gefasst hatte, rannte es davon. »Halt, bleib stehen! Bitte sag mir doch, kennst du Lalamon?« Die Polizistin lief ihm ein Stück nach, aber es war sinnlos. Sie hatte dem Digimon am Anfang zu viel Vorsprung gelassen und jetzt würde sie es nicht mehr einholen. Allein hatte sie keine Chance. Enttäuscht blieb sie also stehen und holte ihr Handy aus der Tasche. Schnell wählte sie die ihr allzu vertraute Nummer – natürlich, er war ja auch ihr Chef. »Satsuma-taichou? Hier Officer Fujieda. Ich glaube mir fast selbst nicht, aber … wir haben Digimonalarm.« Schon nach einigen Metern hatte der kleine Teufel den Park hinter sich gelassen und war den ersten Passanten begegnet. Sie reagierten ganz unterschiedlich. Manche schrien kurz auf, andere sprangen aufgeregt zur Seite und andere schauten nur verwundert. Ein junger Mann rief Impmon sogar fragend hinterher, zu welcher Cosplay-Convention es denn unterwegs sei. Doch so verschieden die Reaktionen der Menschen auch waren, Impmon benahm sich stets gleich – es rannte immer weiter und weiter, bis ihm langsam die Puste ausging. »Das ist doch sinnlos. Ich weiß ja noch nicht einmal, wovor ich weglaufe, geschweige denn, wohin ich laufen soll! Vielleicht war es doch keine so gute Idee, in die reale Welt zu türmen …«, dachte es, schüttelte die wirren Gedanken jedoch fast im selben Moment wieder fort. »So ein Unsinn. Ich kann nicht zurück. Da warten Lucemon und die anderen auf mich und überhaupt … was soll ich denn da? Mit Gomamon plaudern? Nein, danke.« Während es so in Gedanken versunken war, bemerkte es nicht, wie es an einem kleinen Jungen vorbei lief, der gerade mit seinen neuen Murmeln spielte. Leider war Fortuna dem armen Impmon an diesem Tage keinesfalls hold, denn prompt trat es auf eine der Glaskugeln, fing zu stolpern an und sauste die Straße hinab. »Nanu? Was ist denn jetzt kaputt?! Aaaaanhaaaaalteeeeennnn!« Im Geiste betete das Digimon, dass es doch bitte sanft landen würde. »Heiliges Digitama! Bitte, bitte, bitte – ich mach auch nie wieder Unfuuug!« »Hey, gib mir meine Murmel zurück!« Natürlich war Impmon schneller als der Schrei des verärgerten Kindes. Mit gefühlter Schallgeschwindigkeit kam das Child Level Digimon unten an, doch nicht, ohne in das nächste Hindernis zu krachen. »Aua!« »Selber aua …«, röchelte Impmon und rieb sich den heute sehr mitgenommenen und demolierten Po. Auch die angerempelte Rina rieb sich dort, denn das Digimon war ihr genau an dieselbe Stelle gekracht. Auf dem Boden sitzend, drehte sie sich um, damit sie sehen konnte, wer so unhöflich war. Doch da lag ja gar kein Mensch ihr gegenüber. »Du meine Güte …!«, hauchte sie und hielt sich mit zittriger Hand den Mund zu, um einen stummen Schrei von sich zu geben. Währenddessen war Impmon wieder bei Sinnen und warf einen prüfenden Blick zu Rina. »Himmel, noch ein Mensch …«, stellte es unnötigerweise fest und errötete kurz. »Na ja, ist wohl nicht gänzlich auszuschließen in der Menschenwelt.« Als ob nichts gewesen wäre, stand es auf und klopfte sich den Staub vom Körper. Dabei stellte es wieder fest, dass noch immer Matsch an ihm klebte. Es würde möglichst bald eine Wasserstelle suchen müssen. Rina indes fand ihre Sprache wieder und krabbelte behutsam auf Impmon zu, das ihr den Rücken gekehrt hatte. Dann tippte sie es an der Schulter an, bis es knapp darüber zurücksah. »E-entschuldige bitte …« Sie blinzelte zweimal, weil sie noch immer nicht glaubte, was sie da sah. »Ja, was denn?«, antwortete Impmon unhöflich. Es war mal wieder voll in seinem Element. »Beeil dich bitte, ich hab’s eilig.« Fragend runzelte Rina die Stirn. »Wer oder was bist du eigentlich?« Sie sah sich Impmon noch einmal genauer an und hielt sich schützend eine Hand an den Hals. »Bist du etwa ein Dämon?« »Ein Dä-was?« Jetzt schaute Impmon verwundert drein. Konnte es diesem Menschen sagen, was es war? Letztendlich schüttelte es nur den Kopf und zuckte mit den Schultern. Schließlich gab es hier schon Menschen, die von der Existenz von Digimon wussten. »Ich bin ein Digimon, damit das klar ist!« »Ein … Digimon?« Diesen Ausdruck hatte die junge Frau noch nie gehört. »Jawoll. Na ja, ich muss jetzt weiter, werde nämlich gesucht oder so ähnlich. Also halt mich nicht weiter auf.« Als es sich plötzlich auf den Weg machte, verärgerte dies Rina doch ein wenig. »Du bist ganz schön unhöflich. Schließlich hast du mich angerempelt und nicht umgekehrt.« Impmon – in seiner Ehre berührt – blieb dann doch stehen und drehte sich um. Als es kurz in seinem Halstuch wühlte, vermutete Rina das Allerschlimmste, doch hervor kam eine blaue Blume, deren Blüte geschlossen war. »Da – fang!« Rina fing die Blume und begutachtete sie. Solch eine Blüte hatte sie noch nie gesehen. Obwohl die Blume in dem Halstuch des Digimons war, sah sie dennoch so aus, als sei sie gerade erst gepflückt. »Danke ..! Huch, es ist ja schon weg.« Noch einen kurzen Moment sah sie zu der Stelle, an der Impmon eben noch verweilte und versank in Gedanken. Digimon? Dies hatte sie wirklich noch niemals gehört. Es handelte sich wohl eher um einen kleinen Geist oder gar einen Shikigami. Rina war sehr abergläubisch. Sie keuchte kurz auf, als sie etwas an der Schulter spürte und drehte sich erschrocken um. Sie erblickte die purpurnen Augen Rikyus. »Was sitzt du denn da auf dem Boden herum, Rina-chan? Ist ja schon gut, ich bin ja brav, brauchst also nicht mehr weglaufen … Aber wegen dieser Touma-Sache werd ich mich definitiv nicht entschuldigen, hörst du?« Verlegen kratzte sich der Schwarzhaarige am Kopf. Als er bemerkte, dass Rina überhaupt nicht auf ihn reagierte, beugte er sich zu ihr hinab und sah über ihre Schulter hinweg zu der Stelle, wo auch ihr Blick hinfiel. »Hm, gibt’s da was zu sehen?« Endlich fasste sich die Braunhaarige wieder und schüttelte leicht den Kopf. »Nein, nein, alles in Ordnung. Nur ein … eine Katze.« »Na dann … Na komm, ich helf dir auf.« »Ja …« Rina umklammerte fest die Blume. »Puh, nennt mich doch tatsächlich eine Katze … Was das wohl sein mag?« Der kleine Lauscher war noch weiter in der Gasse verschwunden und kam letztendlich an einer Mülltonne an. Hier ließ es sich nieder und atmete erst einmal tief durch. »Mannometer. Hier lebt es sich echt nicht leicht als Digimon.« »Hm, wem sagst du das?!«, hörte Impmon auf einmal und war sofort wieder auf den Beinen. Als die Mülltonne dann auch noch zu schwanken anfing und plötzlich umfiel, war der skeptische Blick dann endgültig da. »Was zum …?« Neben diversem Müll und Abfall kam ein Tentomon herausgepurzelt und beäugte Impmon neugierig. »So ein Zufall, endlich ein Kamerad!« Statt zu antworten, glubschte Impmon immer noch verwirrt drein. Tentomon hingegen raffte sich langsam auf und streckte ein wenig seine Flügel, damit der Müll dazwischen herunterfallen konnte. »Hast du etwa deine Sprache verloren?« So viel zu dem Thema, dass Impmon das einzige Digimon in der Menschenwelt sein würde. »Was machst du denn hier? Und seit wann bist du überhaupt hier?« Es machte keinen Hehl daraus, seine Verärgerung zu verbergen. »Seit wann? Ganz frisch. Bin gerade eben angekommen.« »Gerade eb-!« Der blaue Blitz! Impmon hatte es gesehen. Aber was hatte das zu bedeuten? Hatte es mit dem Kurzschluss etwa die Weltengrenze wieder geöffnet? Und was noch wichtiger war: Wenn sowohl Tentomon als auch Impmon selbst hier waren, bedeutete dies etwa, dass es noch mehr Digimon in der realen Welt gab? Dieser Gedanke verstimmte Impmon arg. »Du schaust ulkig aus und bist voller Matsch. Lass uns Freunde sein, Kamerad!« Vergnügt surrte das Insektendigimon um den kleinen Teufel. Eine fette Zornfalte erschien auf seiner Stirn. »Du nervst, schwirr ab, Mann! Und außerdem … hast du selbst überall Müll kleben!« Kapitel 7: Ein Held kehrt zurück -------------------------------- Funken stoben von überall her auf und die Luft vibrierte von der starken Aufladung. Man traute sich kaum einen Fuß vor den anderen zu setzen – ja, geschweige denn zu atmen! Lässig schlenderte Gomamon also aus Igudorashirus Baum heraus. »Was um Himmels Willen war denn das?!«, fragte Gabumon sofort wie aus der Pistole geschossen. Natürlich freute es sich, dass seinem Freund Gomamon nichts passiert war – zumindest mehr oder weniger. Viel Staub und Dreck und sogar eine kleine Wunde hatte es davon getragen, aber ansonsten ging es dem Digimon blendend, wie es schien. Zumindest grinste es frech und fröhlich wie immer. Das reichte dann wieder, um Gabumon noch mehr auf die Palme zu bringen. Das kleine Gomamon war sich sicher, dass sein Freund eines Tages einen Herzschrittmacher brauchte, wenn die Paniknudel so weiter machen würde. »Was war was?«, fragte Gomamon cool und begann, sich langsam zu säubern. Exakt sechsmal tippte Gabumon mit dem Fuß auf den Boden, dann verschränkte es die Arme vor der Brust und blies letztendlich die Backen auf. Langsam senkte es die Stimme. »Du weißt genau, was ich meine.« Gomamon folgte augenklimpernd dem Blick seines Freundes, der überraschenderweise zu Igudorashirus Baum führte, welcher aus sämtlichen Öffnungen qualmte. Teilweise waren selbst hier draußen die vielen gelben und blauen Blitze zu sehen. »Ach das«, meinte es locker. »Bleib mal flockig, ich war das nicht.« Nervös zuckte nun Gabumons Augenbraue. »Das hab ich nicht gemeint!« »Dann spuck‘s doch endlich aus, kann ja auch nicht in deinen dollen Kopf reingucken«, erwiderte es und ging ein paar Schritte von dannen. Gabumon seufzte niedergeschlagen und lief zu seinem Freund. Gerade als es das Digimon an der Schulter packen wollte damit sie Augenkontakt hatten, hielt Gabumon inne, denn es entdeckte die Wunde an Gomamons Schulter. Gomamon wiederum bemerkte, dass da jemand hinter ihm stand und zu zögern schien. Also drehte es sich um. »Was guckst du denn so?« »… Deine Schulter …« »…« Gomamon sah kurz zu Boden. Die Verletzung hatte es sich zugetragen, als es seinen kleinen Disput mit Impmon austrug. Doch aus irgendeinem Grund wollte es das andere Digimon nicht verpetzen und schlecht dastehen lassen. Zumindest jetzt nicht. »Guck doch nicht so betrübt. Erstens ist es meine Schulter und zweitens ist es gar nicht so schlimm, wie es aussieht!« »… Aber …« »Was aber?« »Wenn ich dabei gewesen wäre …«, setzte Gabumon an, doch sein felliger Freund unterbrach es sogleich. »Dann wär’s genauso gekommen oder du hättest es selbst abgekriegt.« Gomamon zwinkerte Gabumon zu. »Bist du sicher?« Gabumon fühlte sich nicht wirklich erleichterter, aber es tat gut zu sehen, dass es Gomamon doch ganz gut zu gehen schien. »Ja, natürlich. Schließlich warst du noch nie ein großer Kämpfer!«, kicherte es frech. »D-du bist so gemein! Und über dich habe ich mir Sorgen gemacht!« Motzend wand es seinen Blick ab. »Hehe, selbst schuld .. Hey, guck mal, da kommt was.« Neugierig sah es in den Himmel, wo es eine herannahende Gestalt entdeckte. Auch Gabumon drehte sich zunächst skeptisch um, schließlich konnte es sich hier auch um einen der vielen Streiche Gomamons handeln. »Tatsache, da kommt was … Oh nein, bitte kein starkes Digimon. Dafür habe ich jetzt wirklich keinen Nerv.« »Du hast doch nie einen Nerv für irgendwas.« Gomamon hopste kurz auf und ab, um eine bessere Sicht zu erlangen. Der Ankömmling näherte sich zwar schnell, doch noch war nicht zu erkennen, um wen es sich handelte. »Und außerdem kann das gar kein starkes Digimon sein. Schließlich gibt es hier doch die Barriere.« Gabumon kaute auf der Unterlippe. »Auch Child Level können stark sein. Neulich war da so ein V-mon …« »Jetzt sag mir bitte nicht, du hast dich von einem popeligen V-mon verhauen lassen!« »… Es war zwei Zentimeter größer als ich!«, verteidigte sich Gabumon, doch zu spät. Der Spott war schon in Gomamons Augen und es schüttelte den Kopf, als würde es sich für seinen Freund schämen. »Kann ja nicht jeder so ein Draufgänger sein, wie du.« Gomamon grinste schief. »Du findest echt ich sei ein Draufgänger? Hehe, cool!« »Das ist vielleicht cool, aber auch gefährlich!« »Ja, ja«, winkte Gomamon ab und starrte wieder in den Himmel hinauf. »Ah, es ist … ich glaube …« »Das ist Falcomon!«, stellte Gabumon fest und sein Begleiter nickte, als es dies auch erkannte. Die beiden konnten gerade noch zur Seite hüpfen, sonst wären sie als Landebahn für das Vogeldigimon geendet. »Woah!« Angespannt sah sich Falcomon um und seine Augen verweilten letztendlich auf Igudorashirus Baum. Ohne den Blick abzuwenden, fragte es mit leiser, heiseren Stimme: »Grundgütiger … Was ist denn hier passiert?« Durch das Entsetzen in seinem Gesicht sahen seine Augen noch größer aus als sonst. Zunächst fühlte sich Gomamon nicht angesprochen und daher nicht zuständig für eine Antwort. Dieses Digimon hatte es beinahe angeflogen! Und unhöflich war es auch noch, schaute es die beiden anderen noch nicht einmal an. Da Gabumon seinen Mund schier nicht aufbekam, zuckte Gomamon letztendlich mit den Schultern und schritt dann doch zu Falcomon hinüber. »Ist ne lange Geschichte … um es kurz zu fassen: Es gab so ne Art Stromschlag und dann war irgendwie der ganze Schuppen lahmgelegt.« Plötzlich erwachte Falcomon aus seiner Starre und drehte sich blitzschnell um. Hastig packte es Gomamon an den Schultern und schüttelte es ein wenig. Gabumon hingegen stieß einen spitzen Schrei aus. »Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig! Ihr zwei habt Igudorashiru kurzgeschlossen?!« Diese Vorstellung war beängstigend und beeindruckend zugleich. Sofort erinnerte es sich an seine Abenteuer mit Ikuto und den anderen vor fünf Jahren. Sie hatten große Mühe und Not, den Herrscher der digitalen Welt zu besiegen. Wie konnten diese zwei Child Level..? Sogleich schüttelte Gomamon den Kopf, nachdem es sich von der Schüttelei erholt hatte. »Nicht wir waren das … Also ich war indirekt beteiligt, aber ...« Es grübelte angestrengt nach den passenden Worten. Endlich passierte mal etwas! Aber warum eigentlich sollte es sein jüngstes Erlebnis diesem Fremden erzählen? »Wie bitte?« Schlagartig ließ Falcomon das andere Digimon los und verengte die Augen zu kleinen Schlitzen. Wieder spannte es sich an. »Erzähl mir sofort, was passiert ist!« »Wa-warum sollte es das tun? Das geht dich doch gar nichts an!«, verteidigte Gabumon seinen Freund. Sofort winkte Gomamon jedoch ab. »Lass gut sein, ich kann mich selbst verteidigen. Und was dich angeht, Falcomon … Ich finde Gabumon hat recht. Das geht dich eigentlich nicht wirklich was an, oder?« »Da bin ich anderer Meinung. Wenn es um Igudorashiru geht, geht uns das doch wohl alle was an, oder?« »Hm, wo es recht hat …«, setzte Gabumon an, wurde jedoch sofort durch einen Blick Gomamons zum Schweigen gebracht. »Iieks!« »Hey, auf wessen Seite stehst du eigentlich?« Es seufzte. »Aber na ja, vielleicht ist es doch nicht so verkehrt … Meinst du echt, das ist schlimm, was hier passiert ist, Falcomon?« Das Vogeldigimon zuckte mit den Schultern und schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Du hast mir ja nicht alles erzählt, von daher kann ich die Lage nur grob einschätzen. Hör zu, ich mache dir einen Vorschlag.« Gomamon ließ sich auf den Boden plumpsen und spitzte die Ohren. »Ich höre.« »Ich kann verstehen, wenn du mir nicht traust, aber was wäre, wenn ich dir jemanden herbringe, auf den das nicht zutrifft?« »Wer soll denn das sein?« »Die Straßenpatrouille.« »Was, wer?« Gabumon neigte den Kopf ein wenig schief. »Die kennen wir doch auch ni-!« »Boah, du kennst die Straßenpatrouille?! Ich hab von den Jungs gehört, sie sind absolut cool und taff!« Seine großen grünen Augen begannen zu leuchten und Gabumon hätte schwören können, dass es kleine Sternchen darin hatte wahrnehmen können. Falcomon nickte. »Ich wusste gar nicht, dass Masaru und Agumon so beliebt sind.« »Beliebt ist gar kein Ausdruck. Die Patrouille ist mein Idol! So ein spannendes Leben hätte ich auch gern. Jetzt beeil dich schon und flieg los! Hach, vielleicht nehmen sie mich sogar auf..?« Während Gomamon sich seinen Tagträumen hingab, erhob Gabumon wieder das Wort. »Aber das wird doch bestimmt dauern, bis du sie gefunden und hierher gebracht hast. Wir können hier doch nicht ewig warten.« »Nun, das glaube ich nicht.« Es lief ein paar Schritte auf und ab. »Die Blitze sind meilenweit zu sehen. Ich habe sie ja auch bemerkt und ich war wirklich nicht in der Nähe. Ich bin mir ziemlich sicher, dass Masaru sie auch bemerkt hat und sich schon auf den Weg hierher befindet. Ich muss ihn also nur noch unterwegs einsammeln.« »Na, dann los!« Sofort machte sich Falcomon auf den Weg. Masaru und Agumon indes hatten ihre ganz eigenen Probleme. »Mensch, Aniki, das Zeugs geht echt schwer ab. Kannst du mir nicht helfen?« Mit einem Dackelblick der Kategorie neun beäugte Agumon seinen großen Bruder. »Stell dich nicht so an und sei ein Mann! Ich hab das Zeugs ja auch wegbekommen.« Masaru schwang eine Faust in der Luft herum. »Oh Mann, wenn ich diesen Sack in die Finger bekomm, dann gnade ihm Gott!« Agumon schnalzte mit der Zunge. »Ich habe dir doch gleich gesagt, dass Impmon ein ganz Schlimmer ist.« »…« »Und außerdem …« Es gestikulierte einmal mit seiner großen Pranke in seinem Gesicht herum. »Hast du da auch noch was von dem schwarzen Schmodder. Genau daaaa!« »Argh, Maaaaaannnnnn!« Nachdem die beiden sich noch säuberten was das Zeug hielt, beschlossen sie nach einer Weile, dass es nun genug war und sie sowieso nicht auf einen Schönheitswettbewerb gehen würden. Schließlich würde Vater Zeit den Rest auch noch erledigen und nach einer Weile war der Dreck ab. »So, das muss reichen. Wäre echt einfacher, wenn wir etwas Seife hätten …« Betrübt blickte Masaru in die Ferne. »Aniki …« Als Masaru bemerkte, dass sein Partner ihn wehleidig ansah, setzte er sofort wieder ein Lächeln auf. »Ach, guck nicht so, Gelbfuß.« Bevor Agumon etwas erwidern konnte, war plötzlich ein Rascheln hinter ihm zu hören. Erschrocken hüpfte es auf. »Woah, was war das?« Masaru sah skeptisch auf den Busch. »Sei doch nicht so ein Hasenfuß. War bestimmt nur der Wind.« »Ähm, okay … Da, schon wieder!« Sofort nahm es seine Kampfhaltung ein und war drauf und dran eine Baby Flame auf den Busch abzufeuern. Bevor es das Gebüsch jedoch flambieren konnte, hielt Masaru das Dinodigimon auf. »Hm, wart noch einen Moment.« Er lief zu dem Busch und schob ein paar Blätter beiseite. Erkennen konnte er zunächst allerdings nichts. »Merkwürdig …« Er schob noch mehr Gebüsch beiseite und beugte sich ein wenig hinein. »Air Shot!« »Argh!!« Auf einmal wurde Masaru von einem heftigen Luftschuss getroffen und knallte rückwärts purzelnd an den nächsten Baum. »Aniki!« Besorgt trat Agumon neben Masaru. »Was ist passiert? Darf ich den Busch jetzt abfackeln?« Auf dem Kopf am Baum lehnend verzog der 19-jährige das Gesicht. Eine Zornfalte pulsierte auf seiner Stirn. »Wart noch einen Augenblick.« Nachdem er sich abgerollt hatte, trat er erneut an die teuflische Pflanze und langte einmal hinein. Er musste nicht lange suchen, bis er etwas Kleines, Rundes erwischte. Als er seine Hand wieder herauszog, heilt er ein Patamon darin fest. Es war nur ein wenig größer als seine Hand. Unschuldig sah es zu Masaru und kicherte liebevoll. »Hihi, erwischt!« »Ein Patamon … Normalerweise sind die nicht so frech, Aniki«, sagte Agumon und trat zu seinem großen Bruder. »Was für eine Wonne, da bin ich ja beruhigt. Und du Zwerg«, mürrisch sah er zu dem Digimon in seiner Hand, »kannst du mir mal verraten, was das sollte?« »Ach, ich hab nur zielen geübt.« Eine Augenbraue Masarus begann zu zucken. »Sehe ich aus wie ne Zielscheibe oder wie?!« »Hihi, tut mir leid.« »Hm, schon gut. Aber mach das nie wieder.« Er setzte das Child Level Digimon wieder ab. »Okay. Air Shot!« Erneut purzelte Masaru von dannen. »Du Penner!« Bevor Agumon seinen Bruder hatte rächen können, war der Frechdachs schon auf den nächsten Baum geflogen und in dessen Krone verschwunden. »Komm da sofort runter, damit ich dich verprügeln kann!« Dies und noch ein paar diverse Beleidigungen brüllte Masaru gegen den Baum. »Ah, da seid ihr ja, endlich habe ich euch gefunden.« Falcomon war soeben neben Agumon gelandet und wurde sofort von dem kleinen Dino begrüßt. »Hey! Lange nicht gesehen.« »Hal-! Was um Himmels Willen habt ihr denn da im Gesicht?« »Ach, frag nicht … Falcomon, gut, dass du da bist.« Masaru zeigte freudig nach oben. »Würdest du mal schnell da rauffliegen und mir ein kleines Digimon herunterholen?« »Für sowas ist keine Zeit, wir müssen schnell zu Igudorashirus Baum. Ich bin hier, um euch abzuholen.« »Was sollen wir denn da?« »Was ihr da sollt..?« Überrascht riss das Vogeldigimon die Augen auf. »Jetzt sag mir nicht, du hast noch nicht in den Himmel geschaut?« Synchron drehten Agumon und Masaru die Köpfe in den Himmel und entdeckten die vielen Blitze. Erschrocken rissen sie die Augen auf. »Was ist das, ein Sturm?«, fragte Masaru. »Nein, es gab einen Vorfall. Ach, das dauert jetzt zu lange. Kommt einfach mit, vor Ort erfahrt ihr es.« »Warum hast du das nicht gleich gesagt?« Rasch waren die beiden bei Falcomon angelangt und hielten sich an ihm fest. Dummerweise stellte sich beim Start des Fluges ein Problem heraus … »Huh, ihr … ihr zwei seid mir zu schwer …« »Wie bitte?« Agumon fühlte sich gekränkt. »Aniki, bin ich dick?« »Quatsch mit Soße. Falcomon hat in letzter Zeit nur nicht trainiert. Hm, dann müssen wir wohl selber schnell hin, allzu weit ist es ja Gott sei Dank nickt.« Falcomon wurde wieder skeptisch. »Und wie willst du das so schnell anstellen? Willst du etwa hinlaufen?« Masaru grinste breit. »Nicht ich, aber Agumon. Oder sollte ich besser sagen Geogreymon?« »Was, du willst Agumon digitieren lassen? Aber für dein Digisoul musst du doch ...?« »Aniki?« Wieder ein diabolisches Lächeln seitens Masaru. »Tut mir ja leid, aber das tut jetzt mal ganz kurz weh …« »H-halt, was hast du vor?« So schnell konnte Falcomon gar nicht rennen, da hatte Masaru ihm auch schon eine gesemmelt. Eine fette Beule zeigte sich auf Falcomons Kopf. »Digisoul Charge!« Rasch war Agumon zu Geogreymon digitiert. Nach kurzer Zeit waren sie bei Igudorashirus Baum angelangt. Falcomon flog problemlos durch die Barriere hindurch, nahm sie noch nicht einmal wahr. Leider erging es Geogreymon nicht so, denn mit einem lauten Plong war es volle Lotte gegen diese geknallt und digitierte auf das Child Level zurück. »Aua … wartet auf mich.« Mit kleinen Sternen vor Augen torkelte es los. Schnell holte es die beiden anderen ein und auch Gomamon und Gabumon traten zu ihnen heran. Falcomon erhob das Wort. »Das sind die beiden, die etwas Klarheit in die Sache bringen können.« »Hi!«, begrüßte sie Masaru freundlich und auch Agumon winkte fröhlich zu. »H-hallo«, erwiderte das schüchterne Gabumon. Gomamon strahlte die beiden Neuankömmlinge glücklich an. »Hi, ich bin ein Riesenfan von euch. Ich hätte nie gedacht, euch mal persönlich zu treffen. Wollt ihr mich nicht aufnehmen? Und ach ja, was habt ihr da im Gesicht? Ist das eine Art abschreckende Gesichtskriegerbemalung oder sowas?« »Ähm, weißt du …« Verlegen kratzte sich Masaru am Kopf. Falcomon schaltete sich rasch ein. »Das ist doch jetzt alles nicht wichtig. Bitte erzähle uns lieber endlich, was mit Igudorashirus Baum vorgefallen ist!« »Hm, also … na gut. Geht uns alle wohl doch was an.« Und es begann zu berichten. Natürlich konnte es Impmon aus der Geschichte nicht auslassen, versuchte aber, das Digimon nicht allzu schlecht dastehen zu lassen. »Tja und so war das.« Masaru legte eine Hand ans Kinn zum Nachdenken. »Impmon also …« »Dieser kleine Schuft! Immer hat man nur Ärger mit dem!« Wütend kaute Agumon auf seiner Unterlippe herum. »So schlimm ist es gar nicht … Glaub ich jedenfalls …«, fing Gomamon an, wusste aber nicht, wie es seinen eigenen Satz beenden sollte. »Nicht so schlimm? Dieses Digimon hat es geschafft ein Digitor zu öffnen! Und das ist schließlich seit fünf Jahren nicht mehr passiert! Nicht auszudenken, wenn die Tore wieder geöffnet werden und wilde Digimon in die Menschenwelt eindringen!« Falcomon verzog eine Miene. »Ikuto und die anderen haben schließlich keine Digimon mehr, um sich zu verteidigen!« »Hm, Aniki? Du heckst doch was aus.« Masaru beobachtete Falcomon und Gomamon eine Weile, ehe er das Wort ergriff. »jetzt mach dir mal nicht ins Hemd, Falcomon. Ikuto ist schließlich kein Weichei und kann schon ganz gut auf sich selbst aufpassen. Und vergiss Touma und die DATS nicht! Die werden das Kind im Notfall schon Schaukeln. Aber trotzdem …« Er ging kurz in die Hocke und nickte letztendlich. »Trotzdem werden Agumon und ich losziehen und den Ausreißer zurückholen.« Gabumon war sofort hellhörig. »Wie bitte? Ich höre wohl nicht richtig. Ihr könnt doch nicht so einfach in die Menschenwelt losziehen!« »Und warum nicht? Ich bin schließlich ein Mensch, falls das untergegangen sein sollte.« Er vollführte eine nahezu epische Pose. »Ich, der große Daimon Masaru-sama, Mitbegründer der Straßenpatrouille der Digiwelt, erkläre hiermit, dass wir Impmon zurückbringen werden!« »Toll, Aniki!« »Abgefahren!«, rief Gomamon freudig aus. Falcomon jedoch seufzte. »Das klingt ja alles schön und gut, aber wie willst du in die reale Welt kommen? Wir wissen nicht hundertprozentig, ob es mehrere Digitore gibt und wenn doch, wissen wir immer noch nicht, wo sich eines befindet.« »Miesepeter! Mein großer Bruder hat auch sicherlich dafür einen Plan. Stimmt’s?« Hoffnungsvoll drehte sich der kleine Gelbfuß zu Masaru. Dieser hingegen kratzte sich verdutzt am Kopf. »Na ja, ich war eigentlich für die Suchvariante.« »Sag, dass das nicht wahr ist!«, riefen Gabumon und Falcomon zugleich aus. »Hehe, Jetzt guckt doch nicht so. Wir werden schon eins finden, ich bin mir sich-! Nanu?« Plötzlich hielt er inne, denn die Luft neben Gabumon fing zu schimmern an und aus heiterem Himmel erschien ein Digitor neben ihm. »Ach herrje!«, sagte es erschrocken. »Na, guck mal, da ist ja eins!« »Toll, das ging ja fix, großer Bruder!« »Tja-ha, wer kann, der kann!« »Also das nenne ich wirklich mehr Glück als Verstand …«, meinte Falcomon kleinlaut. »Und jetzt, wollt ihr zwei sofort los?« Masaru nickte. »Na klar, wir haben schließlich keine Zeit zu verlieren!« Falcomon schien einen Moment zu zögern, dann nickte es jedoch entschlossen. »Also gut, dann nehmt mich mit!« Masaru und Agumon waren schon fast durch das Tor getreten. Ein Fuß des 19-jährigen hing in der Luft. »Was? Aber … Wir wissen nicht, wann wir zurückkommen!« »Das ist mir klar, aber … Ich möchte Ikuto wiedersehen …« »Hm … in Ordnung. Aber mach ja keinen Ärger!« »Geh nicht immer von dir selbst aus!« Gomamon machte große Augen, als auch Falcomon auf das Tor zuschritt. »Und was ist mit uns?« Gabumon fiel bei dieser Äußerung alles aus dem Gesicht. »Hä?!« »Ihr zwei«, Masaru lief nochmal zu den beiden Digimon und legte jedem eine Hand auf den Kopf, »habt eine ganz wichtige Aufgabe. So lange der Gelbfuß dahinten und ich weg sind, müsst ihr uns vertreten.« Gomamon strahlte und salutierte kurz darauf. »Aye, Aye, Captain!« Halb war er wieder beim Tor angelangt, da drehte er sich noch einmal kurz um. »Ach ja, und ich hätte da noch eine Bitte. Könnt ihr nach einem Gaomon und einem Lalamon Ausschau halten? Sagt ihnen, sie sollen uns folgen. Wir könnten Verstärkung gebrauchen.« Gabumon fiel nun endgültig aus allen Wolken. »Waaas?! Wir können doch nicht in der ganzen Digiwelt nach diesen beiden suchen! Es gibt zig Gaomons! Und von Lalamons will ich gar nicht erst anfangen! Wie sollen wir denn da das richtige finden?« »Keine Sorge, die beiden werden wahrscheinlich früher oder später sowieso hier auftauchen. Sagt ihnen einfach, Masaru schickt nach ihnen.« »Beeil, dich Masaru«, sagte Falcomon. »Das Tor löst sich schon wieder an den Rändern auf.« »Aye, Aye, Captain!« Wieder ein Salut seitens Gomamon. »Mir schwant Übles …« Geknickt senkte Gabumon den Kopf. »Also dann, Freunde!«, rief Masaru aus und nickte allen zu. Dann sprang er durch das Tor. Hastig folgte ihm Agumon und auch Falcomon flog hindurch. »Und weg sind sie … Na ja, keine Zeit für Trübsal, wir haben eine Mission zu erfüllen!« Plötzlich, so schnell konnten die beiden verbliebenen Digimon gar nicht schauen, flog etwas kleines Orangefarbenes in das Tor, welches sich gerade schloss. Die beiden Digimon blickten sich verdutzt an. »Sag mal«, fragte Gomamon. »Hast du auch gerade diese fliegende Orange gesehen?« Gabumon nickte. »Sagte ich schon, dass mir Übles schwant?« Kapitel 8: Die Party -------------------- Eine große Zornader pulsierte auf Rikyus Stirn. Selbst sein schwarzer Pony konnte dies nicht verdecken. »… Sag mir doch nochmal, was ich da soll, Rina-chan.« Rina seufzte. »Weil Touma so nett war, dir zu verzeihen, erweist du ihm den Dienst seine Einladung anzunehmen.« Sie sah ein letztes Mal in den Spiegel und rückte eine Haarsträhne zurecht. Kleinlaut fügte sie hinzu: »Und weil ich nicht alleine hingehen möchte …« Rikyu vergrub die Hände in den Hosentaschen. »Argh, das war noch nicht mal ne richtige Entschuldigung und er hat genau gesehen, dass ich es nicht ernst gemeint habe! Ich kann den Kerl einfach nicht ausstehen. Und überhaupt … Wieso duzt ihr euch jetzt schon? Ihr kennt euch noch nicht einmal lange!« »Du magst ihn doch nur nicht, weil er erfolgreicher ist als du, Onii-chan«, meinte Kazuki, als er aus Rinas Bad trat und sich zu den beiden gesellte. Verlegen hielt sich Rina eine Hand vor dem Mund, bevor sie zu lachen anfing. »D-das ist doch gar nicht wahr!«, verteidigte sich der große Bruder. »Erzähl nicht so einen Dünnpfiff, Knirps!« Prompt hatte Rikyu Kazuki im Schwitzkasten gepackt und drangsalierte den Jüngeren. »Jetzt hört aber auf!«, rief Rina aus und pikste Rikyu in die Seite, da sie wusste, dass er da kitzelig war. Zuckend musste er seinen Bruder also wieder loslassen. Der kleine Bruder sah im Spiegel seine verwuschelten Haare und zog erschrocken die Luft ein. »Ah, Moment, noch nicht losgehen!«, rief Kazuki erschrocken aus und eilte nochmal ins Bad. »Wer hätte gedacht, dass Kazuki auch einen eitlen Punkt hat?«, fragte Rina kichernd und sah ihm nach. Dabei fiel ihr Blick auf die Vase auf ihrem Wohnzimmertisch, in der sie diese merkwürdige blaue Blume gestellt hatte. Plötzlich merkte sie auf, als sie sah, dass die Blüte in voller Pracht erblüht war. Verlegen kratzte sich Rikyu am Kopf. »Hehe, na irgendwas muss er ja mit mir gemein haben!« »Aber das ist doch nicht … möglich …«, flüsterte sie. »Findest du? Na ja, ich dachte …« Als Rina bemerkte, dass Rikyu noch bei seinem Bruder war, drehte sie sich rasch wieder um und lächelte beschämt. »Ähm, so war das nicht gemeint.« »Ach so«, antwortete der 19-jährige und benutzte nun auch den Wandspiegel seiner Nachbarin, um sein zerzaustes Haar wieder ein wenig zu richten. Der Blick des Mädchens verlor sich kurz in der Ferne. Digimon … »Du, Rikyu, sag mal … glaubst du an …?« Sie hielt inne, als sie feststellte, dass sie nicht wusste, wie sie den Satz beenden sollte. »Hm?« Er sah kurz auf und registrierte Rinas verwirrten Ausdruck. »Alles klar?« Sie wollte erst den Kopf schütteln, nickte dann aber doch. »J-ja, alles klar …« Digimon … was ist ein Digimon? »So, da bin ich wieder!«, verkündete Kazuki stolz und mit einem Hauch Verlegenheit in der Stimme. Rikyu prustete beim Anblick seines jüngeren Bruders los. »Oh Gott, was ist denn mit dir los? Willst du so gestriegelt etwa Eindruck schinden? Oder vielleicht ein Mädchen aufreißen« »…« Kazuki blies wehleidig die Backen auf. »D-du bist so fies, weißt du das?« Das braunhaarige Mädchen fasste sich wieder und konnte nicht umhin beim Anblick der beiden sanft zu lächeln. Es war alles in Ordnung. »Lasst uns losgehen, sonst kommen wir zu spät zu der Party.« »Ach … na gut. Aber damit du eins weißt: Ich komme nur mit, um dir einen Gefallen zu tun und auf Kazuki aufzupassen.« »Danke, das weiß ich sehr zu schätzen. Habe ich schon erwähnt, dass es ein Buffet geben wird?«, sagte Rina grinsend, als sie Rikyu aus ihrer Tür schob. »Ei-ein Buffet? Ein richtiges Buffet mit Essen und so?« Plötzlich zeigte sich doch eine Spur von Glückseligkeit in Rikyus Gesicht und die anderen beiden konnten sich verstohlen zuzwinkern. »Dann auf geht’s, worauf warten wir eigentlich noch?!« Ehe er wusste, was er da eigentlich getan hatte, war der Schwarzhaarige bereits stürmisch am Klingeln. »Äh ….« Nicht lange und der Gastgeber öffnete die Tür. »Ah, guten Abend, ihr drei«, begrüßte sie Touma freundlich mit einer leichten Verbeugung. Kazuki und Rina taten es ihm sogleich nach, nur Rikyu verzog eine Miene. »Ja, ja … Wo ist das Essen?«, fragte er dreist wie er war und schob sich an Touma vorbei durch die Türe.« »Rikyu!« Wieder einmal errötete Rina aufgrund ihres Sandkastenfreundes, doch Touma lächelte beschwichtigend. »Kein Problem. Kommt doch rein.« »Ja, gern.« Zögerlich betrat Rina die Wohnung, gefolgt von Kazuki, der hinter ihr lief und sich an ihrem Shirt festhielt. Es war unglaublich, wie sehr sich die Wohnung innerhalb eines Tages verändert hatte. Fast alle Kartons waren verschwunden. Toumas Einrichtung war elegant und bescheiden zugleich. Obwohl die Wohnung genauso geschnitten war, wie die anderen auch im Haus, kam sie Rina doch gleich viel größer vor, als ihre eigene. Es waren schon einige Leute da; manche erkannten Kazuki und Rina als Nachbarn wieder, andere mussten wohl Freunde und Kollegen von Touma sein. Verlegen fragte Rina den blonden Gastgeber, ob sie denn schon zu spät seien. »Aber nein! Fühlt euch wie zu Hause, ich bin gleich wieder bei euch.« Und schon war er von dannen. Schüchtern blickten die beiden sich um. »Ich fühle mich wirklich ein bisschen fehl am Platz, Kazuki-kun.« »Ja, ich auch … Sag mal, tu ich dir nicht weh?« Verwirrt ließ Kazuki Rina endlich los und errötete. Sofort verneigte er sich entschuldigend. »Tut mir leid!« »Ach was, schon in Ordnung. Hey, sieh mal! Da drüben ist Ikuto-kun! Ihr seid doch in einer Klasse, oder?« »Ähm, ja schon, aber … Warte doch auf mich, Rina-san!« Auf halbem Weg holte er sie ein. Leider stolperte er über seine eigenen Füße und machte mit Rina zusammen Bekanntschaft mit Toumas Fußboden. »Au …« Rasch richtete Rina ihre Kleidung zurecht und rieb sich den Kopf. »Was war das denn? Bist du von allen guten Geistern verlassen?« »E-entschuldige, bitte … Aber ich bin nicht so gut mit Ikuto befreundet und … und da ist …« »Mensch, Rina-san, Kazuki, was macht ihr denn da unten?« Lächelnd war Ikuto zu den beiden getreten und beäugte sie neugierig. Rina fiel auf, dass noch mehr Menschen ihre Aufmerksamkeit auf sie und Kazuki gerichtet hatten und stand schleunigst vom Boden wieder auf. »Hallo, Ikuto-kun.« Sie warf einen kleinen Blick zu Kazuki. Er verstand sich nicht so gut mit Ikuto? Aber warum? »Nun, ähm … ich bin gestolpert und habe Kazuki-kun irgendwie mit mir gerissen.« Peinlich berührt kicherte sie kleinlaut. »… Rina-san …« Zögerlich stand Kazuki nun auf. »Hi …« »Rina-san, du kannst ganz schön tollpatschig sein, weißt du das.« »… Ja, das höre ich öfter. Wie geht es Yuka-chan und deinen Eltern? Sind sie auch hier?« »Ihnen geht’s gut. Leider sind sie heute Abend nicht hier, weil sie zu einem anderen Termin mussten.« »Hey! Ikuto, wo bleibst du de-? Huch!« Ein junges braunhaariges Mädchen lief auf Ikuto und die anderen zu und machte dabei einen Schmollmund. Sie verpasste Ikuto eine Kopfnuss und Rina musste unweigerlich an Rikyu denken. Die Szene kam ihr doch allzu bekannt vor. »Aua …« »Das war dafür, dass du mich so plötzlich alleine gelassen hast! So und nun zu dir, Kazuki!« »Chi-Chika-chan ..!« Innerhalb von Millisekunden wurde der Junge feuerrot im Gesicht und knetete am Saum seines Hemdes herum. »Du bist also auch auf Toumas Party und hast mich noch nicht einmal begrüßt! Und wieso hast du nie erzählt, dass ihr beiden euch überhaupt kennt, heeee?« Nahezu beleidigt neigte sie den Kopf hervor und beäugte Kazuki mit Adleraugen. »Ähm … ich … a-also …« Seufzend verschränkte Ikuto die Arme hinter dem Kopf. »Also erstens erzählt Kazuki doch nie besonders viel und zweitens kann er doch nicht wissen, dass du Touma kennst!« Das ließ Chika hellhörig werden. »Oh, da ist was dran …« Erleichtert stieß Kazuki die Luft aus und ließ ein wenig den Kopf hängen. Warum musste sie immer das glauben, was dieser vermaledeite Ikuto sagte? Plötzlich erschrak sich Chika und stieß einen schrillen Schrei aus. Die drei anderen zuckten zusammen. »Ah, tut mir leid! Wie unhöflich von mir … Was soll nur Touma denken?!«, murmelte sie zerstreut und verneigte sich unaufhörlich in Rinas Richtung. »Ich bin Daimon Chika!« Erschrocken wich Rina ein paar Schritte zurück und hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut, kein Problem. Sakurai Rina ist mein Na-a-a-a! Oh Gott, entschuldigt mich!« Als Chika sich geduckt hatte, konnte sie nun erkennen, was hinter dem Mädchen passierte. Hinter ihr stand nämlich das Buffet und was die 18-jährige da sah, gefiel ihr gar nicht. Pikiert verabschiedete sie sich also schnell und eilte von dannen. »Huch, was hat sie denn?«, fragte Chika verwundert und war im Inbegriff sich umzudrehen. »Ni-nichts, gar nichts!«, antwortete Kazuki wie aus der Pistole geschossen und packte seine beiden Klassenkameraden rasch am Handgelenk, um sie wegzuziehen. Nur schnell weg von Rikyu. Ikuto schaffte es einen Blick über seine Schulter zu werfen. »Nanu? Ist das nicht dein Bru-?!« »Nein, nie gesehen, kommt mit!« Verärgert stapfte Rina zu Rikyu, der gerade von fünf verschiedenen Snacks gleichzeitig probierte. Es war fast schon beeindruckend zu sehen, wie viele Probierteller er gleichzeitig mit der einen Hand halten konnte, während er in der anderen ein großes Glas hielt. Angestrengt bemühte sich die junge Frau nicht allzu laut zu werden. In einem wütenden Flüsterton pikste sie Rikyu ihren Zeigefinger an die Brust. »Um Himmels Willen, du kannst dich auch gar nicht benehmen, oder? Musst du denn gleich alles in dich reinstopfen, als ob du tagelang nichts bekommen hast?« Rikyu versuchte ihr zu antworten, doch sein Mund war zu voll. In letzter Sekunde konnte Rina einigen Krümeln noch ausweichen. In einer weiteren peinlichen Aktion, die stark nach Erstickungsanfall aussah und die beiden plötzlich wild gestikulieren ließ, erinnerte Rina ihren Freund daran, etwas zu trinken, welcher diesen Vorschlag dankend wahrnahm und ausführte. »Puh, das war knapp. Und was heißt hier überhaupt tagelang nichts gegessen? Ich bin groß und brauche ausreichend Nahrung.« »Ausreichend Nahrung? Du futterst Touma die Haare vom Kopf!« »Hey, was kann ich denn dafür, dass das Essen gratis ist? Und außerdem ist hier doch genug vorhanden.« Rina seufzte niedergeschlagen. Warum musste der Kerl nur so verdammt peinlich sein? Heimlich erinnerte sie sich daran, warum sie doch gleich nochmal mit ihm befreundet war. Immerhin war dies ihre erste Party in … nun ja … gehobener Gesellschaft sozusagen. Und Rikyu machte alles kaputt. Was sollte das Idol Touma Norstein nur denken? »Ich bitte dich lediglich, dich ein klein wenig zu benehmen. Wir müssen ja nicht gleich gänzlich auffallen.« »Hm, also für einen Abend sind das ganz schön viele Gefallen, die ich dir da erfüllen soll. Das sind eine Menge Dates, die du mir da schuldest.« Statt einer Antwort, entgegnete Rina ihm nur einen giftigen Blick über die Schulter. Als sie sich umdrehte, rutschte sie leider auf etwas Glitschigem aus, was vermutlich Dank Rikyus Essensorgie vom Tisch gefallen war. »Iieks!« Bevor Rikyu sie hatte festhalten konnte, fiel sie volle Kanne nach vorn, direkt in die Arme von … von Touma. »Nanu, Rina, alles in Ordnung?« Behutsam hielt er das Mädchen fest, welches sich an seine Brust gekrallt hatte. Er warf ihr einen besorgten Blick zu. Nach der kurzen Benommenheit registrierte nun auch die 18-jährige, dass sie sich in Toumas Armen befand. Mit einem erstickten Schrei riss sie sich los und hielt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. Mit hochrotem Kopf rannte sie davon auf Toumas Balkon. »Was hat sie denn?«, fragte Touma mit schräg geneigtem Kopf. Rikyu indes zuckte nur die Schultern. Da er einen großen Shrimp im Mund hatte, der noch halb herausschaute, konnte er nicht antworten. »Oh Gott, wie peinlich …«, flüsterte Rina den Tränen nahe an der frischen Luft. »Was soll denn Touma denn nun vor mir denken? Und die anderen, die den Schlamassel mitbekommen haben? Das ist alles Rikyus Schuld …« »Du glaubst, du hast Probleme? Was meinst du, wie anstrengend es war an der Häuserfront heraufzuklettern?« Plötzlich zuckte Rina auf, als sie eine Stimme von ihrem eigenen Balkon hörte. »Die Stimme kenne ich doch!« Und tatsächlich; als sie sich nach links umdrehte, sah sie das lilafarbene Impmon, welches sich mit voller Inbrunst über ihr eigenes Balkongeländer schwang! Zu verdutzt, um sofort zu reagieren, bestaunte sie das Digimon erst einen Augenblick, bevor sie die Sprache wiedererlangte. »Was zum Henker...? Du bist doch dieses Digimon …« »Impmon mein Name, ich dachte, wir hätten das schon gehabt«, meinte es genervt, ohne Rina anzusehen. Rina blinzelte zweimal, dann wurde sie etwas lauter und verzog eine kleine Miene. »Was gedenkst du da zu tun? Das ist meine Wohnung, in die du da eindringst!« »Heul nicht rum, bin ja gleich wieder weg. Ich brauch nur kurz etwas Proviant.« »Proviant ..?« Ehe Rina sich versah, hatte das Digimon ihre Balkontür schon mit der Kralle aufgebrochen und schlupfte in ihr Zuhause. Als wäre das nicht genug, kam nun auch noch ein großer Käfer das Geländer empor geflogen und glubschte neugierig zu dem braunhaarigen Mädchen hinüber. »Halli-hallo! Tut mir sehr leid für die Umstände, wir sind auch gleich wieder weg. Mein Kamerad braucht nur unbedingt etwas Proviant, sagt er.« Nach einem erneuten Blinzeln, flog nun auch das andere Digimon in ihre Wohnung. »Ah, da bist du ja. Sag mal, ist alles klar? Du siehst ein wenig blass aus.« Behutsam lief Touma zu Rina hinüber, die immer noch geisterstarr auf den anderen Balkon sah. Dann drehte sie sich langsam zu Touma. »Ähm …«, begann sie, brach jedoch ab. Zittrig wollte sie ihren Zeigefinger heben, um hinüber zu zeigen, doch es wollte nicht gelingen. Touma hingegen schien das Treiben gar nicht zu bemerken und setzte seine Brille ab, um diese zu putzen. »Du machst dir immer Sorgen um alles, oder? Aber keine Angst, ich gebe dir keine Schuld an Rikyus Verhalten.« Rina hörte nur halb zu. »Ach nein?« Touma schüttelte den Kopf und zog die Brille wieder an. »Nein, nein.« Er setzte ein sanftes Lächeln auf. »Weißt du, er erinnert mich an jemanden …« Auf einmal waren Impmon und Tentomon wieder zu sehen. Selig ruhig spazierten sie aus der Wohnung. Nachdem Impmon auf Tentomons Rücken gehopst war, winkte es Rina nochmal kurz zu und schnappte sich dann einen Keks aus einem Beutel in seiner anderen Hand. Dann flogen die beiden davon. »Touma, ich glaube, ich werde verrückt …«, flüsterte sie nüchtern und starr. »Wie bitte?« Endlich folgte er ihrem Blick und drehte sich um. Natürlich war von den beiden Digimon nichts mehr zu sehen. »E-entschuldige mich bitte kurz«, rief Rina kurzangebunden und eilte an Touma vorbei aus dessen Wohnung. Schnell war sie an ihrer angelangt und schloss diese auf. Doch die Wohnung war leer und außer den Keksen in Impmons Hand schien nichts zu fehlen. »Hab ich mir das etwa nur eingebildet?« Betrübt fiel sie auf ihre Knie und schüttelte den Kopf. Nein, das glaube ich nicht, sagte sie sich in Gedanken. Digimon … Impmon … Wie hat es mich gefunden? Bevor sie diesen Gedankengang zu Ende spinnen konnte, war Touma bereits in ihrer Tür. »Hier bist du. Was machst du denn für Sachen?«, fragte er vorsichtig und kniete sich neben sie. »Ich …« Nicht recht wissend, was sie sagen sollte, schaute sie Touma kurz in die blauen Augen, musste den Blick aber kurz darauf wieder senken. »Ich weiß nicht.« Sie wusste nicht warum, aber aus irgendeinem Grund wollte sie mit Touma nicht über Digimon reden. Vielleicht bildete sie sich ja doch alles ein und er hielt sie am Ende für verrückt? Sie schüttelte den Kopf. Nein, das würde er vermutlich nicht. Aber dennoch … »Lass uns zurückgehen, ja?« Er stand wieder auf und bot ihr eine Hand an, die sie zögerlich annahm. Als sie wieder auf den Beinen war, lächelte er beruhigend. »Na also.« Auch Rina lächelte schwach. Dann fiel ihr ein, dass Touma ihre Wohnung ja noch gar nicht kannte. »Oh, da fällt mir ein..! Möchtest du eine kleine Führung durch meine Wohnung? Du warst schließlich noch nie hier …« »Ja, das wäre-!« Auf einmal hielt er inne und lief zu Rinas Wohnzimmertisch. Zunächst wusste das Mädchen nicht, was er da gesehen haben könnte, doch dann fiel es ihr wie Schuppen vor den Augen und sie versteifte sich. Touma runzelte die Stirn und nahm die blaue Blume in die Hand und drehte sie zwischen den Fingern. Über den Rand seiner Brille schauend fixierte er seine Nachbarin. »Rina, woher hast du diese Blume?« Sie war sich nicht sicher, was sie nun sagen sollte. Aber eines war klar; es war doch gut, dass sie Impmon zuvor nicht erwähnt hatte. »D-das … Also, die … die habe ich gefunden. Im Park.« Toumas Augen verrieten weiterhin Skepsis. »Im Park..?« Was soll ich denn jetzt machen? Der Blonde war bereits im Begriff die Lippen zu öffnen, doch dann klingelte sein Handy. Man sah ihm an, dass er am liebsten nicht rangehen würde, doch als er die Nummer auf dem Schirm erkannte, änderte sich sein Gesichtsausdruck schlagartig. »Yoshino? Dein Anruf kommt wie gerufen.« Kapitel 9: Der Waldmensch ------------------------- Was soll ich denn nun machen?, fragte sich Rina und lief unruhig neben Touma her. Sie hatten das Gebäude unauffällig verlassen, damit die anderen Partygäste nichts mitbekamen. Touma warf ihr lange, schweigsame Blicke zu, die unmissverständlich besagten, sie solle heraus mit der Sprache rücken. Da Rina den Saum ihres Oberteils allerdings wesentlich interessanter fand, bat Touma sie mit ihm zu kommen. Und so waren die beiden losgegangen. Nach einer Weile hielt es Rina nicht mehr aus und erhob das Wort. »Ähm, Touma-san, wo gehen wir denn hin?« Nervös warf sie ihm einen Seitenblick zu und wusste insgeheim nicht, ob die Aufregung daher ruhte, dass sie nicht wusste, wo es hinging oder aber, dass sie mit dem werten Idol allein einen Sparziergang im Mondschein machte. Beides erschien ihr durchaus plausibel. Touma antwortete nicht sofort und als er dies tat, war sein Blick stur geradeaus gerichtet, als würde er etwas suchen … nein, nicht ganz. Als würde er auf etwas warten. Sein Körper war angespannt. »Wir gehen zu einer Freundin von mir. Vielleicht magst du ja mit ihr reden«, sagte er leise. »Wir treffen sie im Mitsuike Park nicht weit von ihr.« »Mit ihr reden?«, fragte Rina verwirrt und neigte den Kopf ein wenig schräg. Das konnte doch nicht alles nur wegen dieser Blume sein. Oder vielleicht doch? War sie etwa sehr selten und Impmon hatte sie irgendwo unerlaubt gepflückt? Das war möglich, denn das braunhaarige Mädchen hatte solch eine Pflanze noch nie gesehen. Aber auch nicht auszuschließen war, dass Touma tatsächlich etwas über Digimon wusste. Aber das war doch nicht möglich, oder? »… Ich weiß ja, dass wir uns noch nicht lange kennen, aber ich finde es definitiv nicht in Ordnung, dass du mich anlügst, was die Blume betrifft.« »Bitte was?« Verwirrung zeichnete sich auf ihrem schmalen Gesicht ab und sie schüttelte leicht den Kopf. »Was meinst du?« Plötzlich war ihr die ganze Aufregung um eine dämliche Pflanze doch zu viel. »Mensch, Touma, das ist doch nur eine Blume!« Der 19-jährige ballte die Hände zu Fäusten. »Eben nicht! Verdammt, du könntest in Gefahr sein und weißt es noch nicht einmal!« »Gefahr …?« So viele Gedanken schwirrten in ihrem Kopf. Sollte sie Touma etwa doch von Impmon erzählen? Doch diese Entscheidung wurde ihr abgenommen. Auf einmal zerbarst die Stille der ruhigen Nacht durch ein ohrenbetäubendes Geräusch und die beiden zuckten erschrocken zusammen. »W-was war das?«, fragte Rina ängstlich und blickte hinüber zu Touma. »… Das kam aus dem Mitsuike Park. Yoshino …« Der blonde junge Mann biss sich auf die Unterlippe und überlegte kurz. »Rina, du bleibst hier, verstanden?« Ehe sie hatte antworten können, rannte er auch schon in Richtung Park, aus der das Geräusch kam. »Touma!« Sie lief ihm ein paar Schritte nach, doch dann hielt sie inne. Was war das nur? Das klang fast wie ein brüllendes Tier!, dachte sie. Touma … Ihre Gedanken kreisten wie wild. Ihr war klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Auch wenn er es nicht direkt gesagt hatte, Touma wusste etwas über die Blume. Dass er sie so skeptisch beäugt hatte, war der beste Beweis dafür. Und wie war das eben bei dem Gebrüll? Er zuckte zwar auch zusammen, doch er war wesentlich ruhiger geblieben als sie. Fast so, als wüsste er … Rina hatte im ersten Moment angenommen, dass das daran lag, dass er ein Mann war, aber das war nicht der Punkt gewesen. Touma war so gelassen, weil er gewusst haben musste, was ihn im Park erwartete. »Ich hab ein mulmiges Gefühl bei der Sache!« Prompt missachtete sie den Befehl des Älteren und sputete ihm hinterher in den Park. Sie lief rasch und ihr langes braunes Haar wehte wirr umher. Als sie am Mitsuike Park ankam, keuchte sie kurz aufgrund der Anstrengung und setzte nur noch zögerlich einen Fuß vor den anderen. Obwohl es Nacht war, erstrahlten die pinkfarbenen Kirschblüten und ersetzten fast schon die spärliche Beleuchtung. Wäre der Grund für ihr Erscheinen nicht ein solch bizarrer wie das Gebrüll eines Tieres, so hätte Rina den Anblick als romantisch empfunden. Von dem blonden Touma war nirgends eine Spur. »Touma-san?«, fragte sie zögerlich in die Stille, doch natürlich erhielt sie keine Antwort. Zögerlich lief sie also weiter und mit jedem weiteren Schritt kam ihr der Mitsuike Park immer unschöner vor. »Grundgütiger … Wie kann ein Kirschblütenpark nur so unheimlich sei-! Aua!« Mit einem filmreifen Fall mit Gesicht nach vorn, war das braunhaarige Mädchen über einen Ast gestolpert und lag jetzt mit ausgebreiteten Armen auf dem Boden. Langsam setzte sie sich wieder auf und rieb sich die Stirn. Sie hatte Glück gehabt, denn Blut konnte sie keines an ihrer Hand, die ihre Stirn rieb, sehen, doch es fühlte sich doch stark nach Beule oder blauem Fleck an. »Na toll, immer ich …« »Du fällst gerne hin, oder?«, sagte eine ihr mittlerweile bekannte Stimme. Rina hob sofort den Kopf und suchte die Gegend nach Impmon ab und fand es schließlich über ihr auf einem Baum sitzen. Neben ihm schwirrte dieser merkwürdige Käfer in der Luft. Rina blies etwas beleidigt die Backen auf. »Was weißt du schon … Und überhaupt, was machst du hier?« Mittlerweile war sie wieder auf den Beinen und klopfte sich den Staub von den Kleidern. Plötzlich hatte sie das Bedürfnis, Impmon mitzuteilen, dass es doch eigentlich erst Schuld an der ganzen Misere um sie herum hatte. Also stemmte sie die Hände in die Hüften und fixierte das Digimon. »Weißt du eigentlich, wie viel Ärger ich wegen dir hatte? Touma hält mich wegen dir sicherlich für verrückt oder sogar Schlimmeres und ich bekomme dich einfach nicht aus dem Kopf!« »Du bekommst mich nicht aus dem Kopf? Hey, ich kann auch nichts dafür, dass wir uns dauernd über den Weg laufen!«, wiederholte Impmon verdattert und Tentomon brachte ein »Oh-ho« hinzu und hielt sich nahezu schockiert die Hand vor den Mund. Doch Rina hörte ihm gar nicht zu. »Ständig sehe ich dich und denke, ich werde verrückt!« »Du hysterische Kuh bist verrückt«, murmelte Impmon leise zu Tentomon. »Das hab ich gehört!« Empört schimpfte sie das Digimon mit ihrem Zeigefinger aus. Wehleidig fügte sie hinzu: »Und Touma kann ich auch nicht finden.« »Ich weiß zwar nicht, was ein Touma ist, aber … Sag mal, wie heißt du eigentlich?« Seufzend ließ sie sich wieder auf die Knie senken und saß auf traditionelle japanische Weise auf dem Boden. Die Hände hatte sie im Schoß sachte übereinander gelegt. »Ich heiße Sakurai Rina, nenn mich einfach Rina.« »Und ich bin Tentomon!«, warf das Insektendigimon vergnügt ein. Sielächelte ihm zu. Dann zögerte sie einen Moment, bevor sie die Frage stellte, die ihr schon so lange auf den Lippen brannte. »Impmon, warum bist du hier? Also, ich meine nicht genau hier …« Sie zeigte auf den Boden neben sich. Wieder hielt sie inne, als sie nach einer Formulierung suchte. Impmon neigte den Kopf schräg. »Du gehörst nicht hierher, oder? Ich meine in diese Welt.« Sofort wurde das Teufelsdigimon hellhörig. »Was soll das denn bitte heißen?! Ich habe ebenso ein Recht hier zu sein, wie der Stinkekäfer neben mir!« Rina sah wieder auf und hob die Hände beschwichtigend. »So hab ich das doch nicht gemeint! Es ist nur, ich glaube, es gibt Leute, die nach Wesen wie du … also nach Digimon … suchen.« Sie dachte an Touma und dessen Reaktion. Doch war es wirklich schlecht, dass er an der Blume und dem, was dahinter steckte, solch ein Interesse zeigte? Sie war sich noch immer unsicher, aber ihr war es wichtig Impmon vorzuwarnen. »Spar dir die Luft, Prinzessin! Ich rausch ab!«, blaffte Impmon und hüpfte rasch vom Ast. Dann lief es schnurstracks in die Nacht hinein. »Warte auf mich, mein Kamerad!« Tentomon machte eine kurze Bewegung zu Rina, als würde es einen unsichtbaren Zylinder anheben und flog zu Impmon. Dieses war ein paar Schritte entfernt stehen geblieben. »So hatte ich das eigentlich nicht beabsichtigt. Das wollte ich doch gar nicht«, meinte Rina leise zu sich selbst und stand wieder auf. Fast wäre sie wieder hingefallen, als sie wieder das ohrenbetäubende Gebrüll von vorhin hörte. »Iieks!« Impmon, hin und her gerissen, warf einen Blick zurück. Tentomon konnte sehen, wie es mit sich haderte und sprach auf seinen Freund ein. »Willst du ihr nicht helfen? Mammothmon ist schließlich wegen dir erschienen.« Das lilafarbene Digimon warf ihm einen vernichtenden Blick zu. »Was soll das denn bitte heißen? Wer fragt dich überhaupt? Lauf mir nicht ständig nach!« Ohne auf die letzte Bemerkung einzugehen, schwirrte Tentomon wieder um das Digimon herum. »Du weißt, was ich meine. Mammothmon ist ganz plötzlich neben dir erschienen, irgendwas musst du ja gemacht haben.« »Ich hab gar nichts gemacht«, motzte Impmon und sah wieder zu Rina. Diese stand immer noch wie angewurzelt an ihrer Ausgangsstelle und machte keinerlei Anstalten, sich da wegzubewegen. Als dann unmittelbar vor ihr – es waren nur wenige Meter – ein Kirschbaum vor ihr zu Boden stürzte, erwachte sie aus ihrer Starre. »Um Gottes Willen«, hauchte sie und presste eine Hand vor den Mund. Im Nu wurde ihr auch bewusst, dass der vermeintliche Ast über den sie gestürzt war, gar kein Ast, sondern ein halber Baumstamm war. Irgendetwas wütete in diesem Park und stürzte lauter Bäume wahllos um. »Rina, lauf weg!«, schrie ihr Impmon zu und machte sich dann mit Tentomon auf und davon. Gerade als sie den Kopf zu dem Digimon drehte, musste sie ihn auch schon wieder umdrehen, denn da erschien ein großes, mammutähnliches Wesen zwischen den Bäumen und Büschen. Es war riesig und hatte seinen Rüssel bereits um einen weiteren Kirschbaum geschlungen. Und was noch schlimmer war, war, dass es soeben die zitternde Rina entdeckt hatte. »Oje«, flüsterte sie ängstlich und machte einen Schritt rückwärts. Natürlich fiel sie wieder über den umgestürzten Baum und kauerte nun auf dem Boden. Vorsichtig kroch sie etwas fort, doch sobald sie sich zu ruckartig bewegte, brüllte das fremde Digimon auf. Schließlich zerbarst ein kleiner Zweig unter ihren Fingern und das Digimon fing zu toben an. Sie duckte sich bereits in der Erwartung, dass sie von dem gigantischen Wesen niedergetrampelt werde, doch in allerletzter Sekunde wurde sie beiseite gerissen und flog ein paar Meter in das weiche, taunasse Gras. Angestrengt blinzelte sie, ehe sie wieder etwas sehen konnte. Neben ihr auf dem Boden lag Touma; er schien verletzt und hatte ein paar Kratzer im Gesicht. Erschrocken berührte sie ihn am Arm und fragte, ob alles in Ordnung sei. Touma seufzte. »Ja … Hab ich dir nicht gesagt, dass du auf mich warten sollst?« Empört warf er Rina wütende Blicke zu. »Ich …« Und plötzlich fühlte sie sich so schlecht. Sie hatte sich doch nur Sorgen gemacht und jetzt … jetzt war Touma vermutlich ihretwegen verwundet. Wehmütig senkte sie den Blick, um ihn kurz darauf wieder anzuheben. »Ich wollte doch nicht, dass du verletzt wirst. Ich habe nur-!« »Ich habe doch gesagt, es ist gefährlich.« Er bemerkte ihren schuldbewussten Ausdruck. »Aber keine Bange, die paar Kratzer und Schürfwunden sind nicht schlimm. Ich hatte sie schon vor der kleinen Rettungsaktion. Verdammt, Mammothmon ist einfach zu stark! Wenn doch nur Gaomon hier wäre …« Mammothmon? Gaomon? Rina schaute verwirrt zu dem Blonden herüber, bis ihr dann langsam dämmerte, dass das wohl auch Digimon waren. Wieder beobachtete sie Touma genau und beantwortete ihre stummen Fragen. »Das Riesenvieh da hinten, das ist Mammothmon. Es ist ein Digimon. Du kennst Digimon, nicht wahr?« Ein zarter Rotschimmer zeichnete sich auf ihren Wangen ab und sie nickte letztendlich reumütig. Wenn sie von Anfang an etwas gesagt hätte … nein, das hätte auch nichts geändert. »Ich weiß nicht viel über Digimon, eigentlich gar nichts. Aber da ist dieses eine Digimon … Impmon. Es läuft mir seit gestern stets über den Weg und von ihm habe ich diese blaue Blume geschenkt bekommen. Touma-san, ich verstehe das alles nicht!« »Verstehe … Wir sollten das auf später verschieben. Unser Freund da hinten sieht nämlich so aus, als wolle er uns angreifen!« Sobald die Worte seinen Mund verlassen hatten, mussten er und Rina zur Seite ausweichen, bevor sie von Mammothmon zertrampelt worden wären. Einer sprang nach links, der andere nach rechts und das Perfect Level Digimon war für einen Moment verdutzt. »Was sollen wir jetzt machen, Touma?«, rief Rina auf die andere Seite herüber. Touma knirschte mit den Zähnen und schlug einmal auf den Boden ein. »Ich habe keine Ahnung … Ohne Digimonpartner kann ich nicht kämpfen.« Mammothmon indes hatte sich einen Gegner von den beiden ausgesucht und wand sich Rina zu. »Oh Gott, Rina, pass auf, es greift dich an!« »Tundra Breath!« Rina hob schon die Hände zum Schutz vor ihr Gesicht, als Mammothmon plötzlich aufschrie. »Baby Flame!« »Was …?«, fragte sie zittrig, als ihr bewusst wurde, dass sie doch nicht eingefroren war. »Das ist doch nicht …«, murmelte Touma und rannte zu seiner Nachbarin hinüber. »Hat hier jemand nach Hilfe gerufen? Der große Daimon Masaru-sama schreitet zur Tat!« »… Angeber«, meinte Touma, doch seine Lippen umspielte ein erleichtertes Lächeln. Rina sah verwundert von dem 19-jährigen zu der Gestalt, die mit dreifachem Salto soeben von einem Baum gesprungen war. Neben ihm erschien ein gelber Dino und als eine dunkle Wolke das schimmernde Mondlicht wieder frei gab, konnte Rina die Gestalt erkennen. Sie hatte langes, zerzaustes braunes Haar, zerrissene Klamotten und trug einen irgendwie ungepflegten Bart. Erschrocken sprang sie fünf Schritte zurück und versteckte sich hinter Touma. »Uwahh, ein Waldmensch!« Masaru war sofort entsetzt und blickte sich hektisch um. »Was? Wo?« Touma trat ein paar Schritte nach vorn und stemmte eine Hand in die Seite. »Sie meint dich, du Dussel.« Er ging noch weiter auf ihn zu. »Seit wann seid ihr wieder hier?« Als er vor Masaru angekommen war, reichten die beiden sich mit kräftigem Handschlag die Hand. »Gerade angekommen … Sag mal, seh ich echt so schlimm aus? Menno, warum hast du nichts gesagt, Gelbfuß?«, fragte er Agumon, wartete aber auf keine Antwort. Sofort hagelte es eine saftige Kopfnuss. »Aua!«, rief Agumon mit Tränchen in den Augen aus. »Du siehst für mich aus, wie immer, Aniki.« Rina war noch immer verblüfft. Waren das Freunde von Touma? Offensichtlich. »Na ja, wie auch immer. Wir sollten uns erst mal um den da hinten kümmern«, sagte Masaru vergnügt und ließ seine Knöchel knacken. Dann lief er rasch zu dem Digimon und verpasste ihm mit seiner Rechten einen ordentlichen Hieb. Orangefarbenes Digisoul wurde in seiner Faust sichtbar. »Los, jetzt Agumon, Digisoul Full Charge!« Plötzlich glühte der kleine Dino in hellem Licht und binnen Sekunden war er angewachsen und erreichte seine neue Stufe. Rina war beeindruckt und geängstigt zugleich. Rize Greymon konnte es von der Größe her nun locker mit Mammothmon aufnehmen. »Unglaublich …«, flüsterte das Mädchen. Sowas hatte sie nie gesehen – ja, gar sich nie erträumen lassen - und es faszinierte sie ungemein. Das war eine ganz neue Welt, die sich da vor ihr zeigte. Sie lief hinüber zu Touma. »Touma, was passiert hier? Was ist mit dem kleinen Dino passiert?« Er lächelte sanft. »Keine Sorge, dem geht’s gut. Ich erklär es dir später.< Die beiden sahen, wir Masaru und Rize Greymon auf Mammothmon einschlugen und es langsam zurückdrängten. Dann zog der große Dinosaurier seinen Arm hervor und rief: »Trident Revolver!« Mammothmon verwandelte sich schreiend in ein Ei und landete sanft in Masarus Armen. »Yeah, geschafft!«, rief er grinsend aus und ging zu Touma und Rina zurück. Sein Partner digitierte indessen zurück zu Agumon. »Gratuliere«, sagte Touma und beäugte das Digitama in Masarus Armen. Dann nahm sein Gesicht einen nachdenklicheren Ausdruck an. »Meinst du, es hat wieder angefangen? Und du bist auch plötzlich hier … wir sollten mit Satsuma-taichou in Verbindung treten.« »Ach, das hat doch Zeit. Lass mich doch erst mal ankommen«, meinte Masaru und ließ sich auf einen Stein fallen. Touma beäugte seinen Freund skeptisch. »Zeit lassen? Wow, was ist denn mit dir passiert? Sonst warst du doch immer so hitzköpfig.« Agumon kicherte. »Hehe, mein großer Bruder ist eben erwachsen geworden!« »Red nicht so einen Quatsch, Gelbfuß. Und überhaupt, fass dir an deine eigene Nase«, schmollte er in Toumas Richtung. »Du trägst auf einmal ne Brille und hast sogar ne Freundin!« Schlagartig wurden Rina und Touma puterrot im Gesicht und schüttelten gleichzeitig die Köpfe. »Wir sind nicht zusammen!«, riefen sie synchron aus. Natürlich machte dies es nicht besser und war die nächste Peinlichkeit. Rina schlug beschämt die Hände vor ihr Gesicht und auch der blonde, junge Mann drehte sich beschämt weg. Masaru hingegen lachte laut auf und sprang zwischen die beiden. Dann legte er jeweils einen Arm um die beiden und sagte: »Bleibt cool, das war doch nur ein Scherz!« Er zwinkerte in Rinas Richtung. »Ich bin übrigens Masaru. Oh Mann, ich glaub, ich brauche etwas zu essen. Ich hab vielleicht einen Kohldampf!« »Rührei!«, tänzelte Agumon und hatte kleine Sternchen in den Augen. »Ja, ja, du und dein Rührei …« »Magst du mit zu mir kommen?«, fragte Touma. »Bei mir steigt eigentlich eine Party und deine Schwester ist auch da.« Masarus Blick fiel in die Ferne und er grinste schief. »Chika, he? Sie ist bestimmt sehr gewachsen. Ich denke aber, ich werde erst mal nach Hause gehen.« »Und Sayuri macht uns bestimmt Rührei«, fügte Agumon siegessicher hinzu. »Na logo!« »Nicht so hastig!«, rief eine weibliche Stimme auf einmal und die vier drehten sich gespannt um. Über einen Baum gebeugt, stand da Yoshino keuchend und stemmte die Hände in den Rücken, um zu Atem zu kommen. »Sorry, Touma, ging nicht früher. Stell dir vor, es gab Digimonala-! Aber das sind doch..!« Immer noch außer Puste lief sie zu Agumon und hob seine Pranke an. »Agumon und Masa-! Himmel, du siehst ja aus wie ein Waldmensch!« Masaru verrollte die Augen und lief rot an. Er konnte nicht umhin, dass eine große Zornfalte auf seiner Stirn pulsierte. »Ist gerade Mode in der Digiwelt, weißt du … Können wir vielleicht mal das Thema wechseln!« »Gute Idee. Ihr kommt mit mir mit aufs Revier. Ihr alle.« Ihr Blick fiel auf Rina. »Satsuma-taichou will mit euch reden.« Kapitel 10: Wiederauferstehung der DATS --------------------------------------- Während der Autofahrt zum Polizeihauptgebäude passierte nicht viel. Rina knetete nervös am Saum ihres Oberteils herum und fragte sich die ganze Zeit insgeheim, wie es passieren konnte, dass sie als brave Bürgerin nun in einem Streifenwagen auf dem Weg zur Polizei war. Sie saß auf der Rückbank zwischen Masaru – der neben ihr schnarchend eingeschlafen war – und Agumon, das ihr zwischenzeitlich immer wieder neugierige Blicke zuwarf, wenn es nicht gerade gespannt aus dem Fenster schaute. Nach nicht allzu langer Zeit kamen sie an der Polizeiwache an. Touma stieg als erstes aus und öffnete die hintere Fahrertür, um Masaru zu wecken. Dieser gähnte zunächst herzhaft, bis er sich gemächlich aus dem Wagen hob. Als er draußen war, krabbelte ihm Rina hinterher. Diese warf einen fragenden Blick zu Touma, der diesen Gott sei Dank beantworten konnte. »Keine Sorge. Du bist nicht hier, weil du irgendetwas angestellt hast. Es wird einfach Zeit, dass du ein paar Leute kennenlernst«, sagte er in einem beruhigendem Tonfall. Rina nickte und kam tatsächlich ein wenig zur Ruhe. Dies sollte allerdings nicht lange anhalten. »Keine Sorge sagst du; du hast gut reden!«, rief Masaru aus und verschränkte die Arme hinter der Kopf. »Satsuma-taichou kann ganz schön gemein sein und ich darf mir bestimmt auch noch was anhören …« Missmutig sah er zu seinem Digimonpartner herüber. Wieder an Missmut gewinnend, riss Rina etwas die Augen auf und sah wieder zu Touma, der nur seufzte und seine Brille zurechtrückte. »Du bist doch selbst schuld. Gehst einfach mit in die Digiwelt … Dir ist schon klar, dass du nie hättest zurückkommen können?« »Ja, ja …«, winkte Masaru schmollend ab. Das braunhaarige Mädchen konnte nicht umhin ihn neugierig zu beobachten. Digiwelt? Das klang alles unheimlich spannend und auch schien ihr der ungepflegte Fremde ein interessanter Mensch zu sein, der … nun ja, der einfach anders war. Touma stemmte die Hände in die Hüften und setzte einen tadelnden Blick auf. »Du bist einfach verantwortungslos! Und du denkst nie weiter als bis drei. Wenn du schon einen Weg hierher gefunden hast, hättest du auch Gaomon und die anderen mitbringen können.« Rina und Agumon warfen sich besorgte Blicke zu, da der kleine Disput langsam ganz andere Richtungen einschlug. »Aniki …« Agumon hob beschwichtigend die Arme in Richtung Masarus und auch Rina legte eine Hand auf Toumas Schulter. Auf Masarus Stirn pulsierte jetzt eine kleine Zornader und er baute sich feindselig vor Touma auf. »Du bist derjenige, der keine Ahnung hat! Ich hatte keine Zeit dazu und außerdem -« Doch das Wort wurde ihm von Yoshino abgeschnitten. »Wollt ihr da ewig wie die Ölgötzen rumstehen? Kommt lieber mit rein«, sagte sie lässig in der Tür stehend und mit verschränkten Armen vor der Brust. Die beiden Jungs stierten sich noch einmal böse an, bis sie dann fast zeitgleich durch die Tür gingen. Agumon trottete ihnen langsam hinterher. Die 18-jährige folgte ihm nach einem kurzen Blick in die klare Sternennacht. Als sie an Yoshino vorbeischritt, hatte sie das Bedürfnis sich kurz zu verneigen. »Sie scheinen die beiden schon länger zu kennen, Fujieda-san. Sind die immer so?« Yoshino indes winkte seufzend ab. »Das ist bei denen Routine, hab sie gar nicht anders kennengelernt. Und da will man meinen, die beiden seien erwachsen!« Rina konnte sich ein kleines Kichern nicht verkneifen. »Ach und außerdem«, Yoshino funkelte das Mädchen beleidigt und mit nach vorn gestrecktem Kopf an, so dass Rina schlucken musste, »nenn mich einfach Yoshino, bei Fujieda-san komme ich mir immer so alt vor!« Mit ein paar raschen Schritten hatten die beiden Mädels die werten Herrschaften und das orangefarbene Dinodigimon eingeholt. »Du kennst dich aber gut hier aus, Touma«, meinte Yoshino, als sie fasziniert den Blonden beobachtete, wie dieser die Gänge durchschritt. »Ich will ja nicht sagen, dass ich dich hier allzu oft sehe – ganz im Gegenteil –, aber verdammt, ich hatte gut drei Wochen gebraucht, bis ich mich hier zurecht gefunden hatte!« Yoshino kam um einen kleinen Schmoller nicht herum. »Ja, genau. Hast du die Gebäudepläne irgendwie runtergeladen oder so?«, fragte Masaru. Touma beachtete die Frage seines Freundes gar nicht weiter und sagte: »Ach Unsinn. Ich habe nur gesehen, wie das Haus von außen aussieht und konnte mir den Rest denken. Außerdem kenne ich auch Satsuma-taichou, ich kann mir also gut vorstellen, wie er das hier alles eingerichtet hat. Mal ganz abgesehen davon«, er zeigte auf ein kleines Schild an der Wand, »ist hier doch alles ausgeschildert.« Yoshino und Masaru wurden rot. »Das tut gar nichts zur Sache!«, hatten die beiden wie aus einem Munde gesagt. Endlich kamen sie an einem großen Büro an. Es war hell erleuchtet durch die vielen Glühbirnen und auch die Einrichtung war in eher weichen Tönen gehalten. Und da saßen sie an ihren Schreibtischen und vor ihren Computern. Megumi und Miki und selbst da hinten war Herr Yushima zu sehen – gleich neben Satsuma Rentarou. »Hi«, rief Yoshino als sie zu ihrem Platz schlenderte und sich auf ihren Stuhl fallen ließ. Miki und Megumi sahen sofort zur Tür und als sie Touma erblickten, hellten ihre Mienen sichtbar auf. »Touma, du bist wieder da!«, freute sich Miki und lief zu ihm herüber, um ihn zu umarmen. Megumi tat es ihr gleich, auch wenn sich der Blonde etwas überrumpelt vorkam. Masaru vergrub die Hände in den Hosentaschen und schabte verlegen mit den Füßen auf dem Boden herum. »Und was ist mit mir?«, fragte er ein klein wenig beleidigt. Immerhin war er derjenige, der nach fünf Jahren zurückgekehrt war. Gut, Touma war bis vor kurzem in Österreich gewesen, aber er war in einer anderen Welt. Da war ein klein wenig Bewunderung doch wohl nicht zu viel verlangt, oder? »Kopf hoch, Aniki, ich bin froh, dass du hier bist!«, versuchte Agumon seinen Partner aufzuheitern, doch es fing sich nur einen leicht säuerlichen Blick ein, was es einen guten Meter zurückhüpfen ließ. Doch Masarus Gebete wurden mehr oder weniger erhört, als Megumi noch aufmerksam auf ihn wurde. Zunächst verwirrt, schrie sie alsbald sehr schrill auf und zeigte mit ihrem Zeigefinger auf den 19-jährigen. »Hilfe, ein Waldmensch!« »Oah, jetzt kommt schon!«, motzte Masaru verärgert und warf die Hände in die Luft. Heimlich war Rina erleichtert, dass ihr diese Peinlichkeit nicht allein unterlaufen war. Miki kicherte. »Ach, Megumi, das ist doch unser Masaru! Also keine Angst. Und was dich angeht«, sie stolzierte zu ihm herüber, »herzlich willkommen daheim!« Auch Megumi und Yushima kamen auf die kleine Gruppe zu. Rina kam sich sehr überflüssig und unpassend vor, aber einfach gehen konnte sie auch nicht. Also erfreute sie sich an all den lachenden Gesichtern. Herzlichkeiten und Begrüßungen wurden ausgetauscht und man stellte gegenseitig fest, wie sehr sich der andere in den letzten Jahren doch verändert hatte. »Nur Masaru hat sich nicht verändert!«, meinte Touma mit einem leicht sarkastischen Tonfall und handelte sich dafür eine wedelnde Faust seitens Masaru ein. Die Plaudereien verstummten jäh, als Satsuma sich nun endlich von seinem Schreibtisch erhob und gemächlich zu den beiden Reisenden aus der Digiwelt ging. »Masaru, Agumon, auch von mir ein herzliches Willkommen. Ich hoffe, ihr werdet uns bald von eurem Aufenthalt in der Digiwelt ausführlich berichten, doch dazu bleibt uns keine Zeit … Es herrscht wieder Digimonalarm«, er warf einen kurzen Blick zu Rina, die leicht errötete – warum hatte er das getan? Fiel das den anderen nicht auf? -, »und ich hoffe, ihr zwei könnt etwas Licht ins Dunkel bringen.« Yoshino stöhnte auf und hob eine Hand an die Stirn. »Bitte sagt mir nicht, dass ihr daran erst schuld seid! Dabei war heute mein freier Tag und ich wollte eigentlich mit Neon essen gehen … Und plötzlich höre ich von etwas, mit dem ich nie wieder gerechnet hatte – Digimonalarm! Wehe, Masaru, wenn du etwas damit zu tun haben solltest..!« Sie funkelte ihn böse an, doch er zuckte nur lässig mit den Schultern. »Reg dich ab, wir sind nur hier, weil wir ein Digimon auf Abwegen verfolgen.« Er runzelte die Stirn und lehnte sich gegen die Wand. »Ein gewisses Impmon hat es irgendwie geschafft, Igudorashiru lahmzulegen und hat dadurch ein paar Tore geöffnet.« Was, Impmon? Rina wurde auf einmal ganz blass. Sie verstand nicht viel von dem, was gerade gesprochen wurde, doch es war unmissverständlich, dass es hier um jenes Impmon ging, dass sie getroffen hatte. Warum sie plötzlich so ein mulmiges Gefühl in der Magengegend verspürte, konnte sie nicht sagen. Als sie bemerkte, dass Touma einen kurzen Blick auf sie geworfen hatte, wurde ihr nur noch mulmiger. »Und ein ganz fieser Kerl ist das, dieses Impmon! Es hat uns angeschmiert! Also mit Farbe …«, steuerte Agumon herbei. Masaru nickte gedankenverloren. »Ja, man sieht da noch die Reste«, pflichtete Megumi bei und deutete auf eine leicht schwärzliche Stelle an Agumons Wange. »Ein Impmon? Aber das ist nur auf dem Child Level, wie kann uns ein solch schwaches Digimon nur so einen Ärger einhandeln?«, fragte Miki in den Raum. »Die Entwicklungsstufe tut nichts zur Sache. Fakt ist, dass die Tore wieder geöffnet wurden.« Nachdenklich strich sich Yushima über das Kinn. Yoshino schloss kurz die Augen. »Vielleicht interessiert es euch, dass ich neulich auch ein Impmon traf.« »…« Was kümmert mich dieses Digimon? Aber Tatsache ist, dass es wohl irgendetwas Erhebliches angestellt hat, dachte Rina. Sie konnte nicht erklären warum, aber sie hatte das Gefühl das Digimon beschützen zu müssen, obwohl ihr mittlerweile klar war, dass ihm diese Leute hier niemals etwas tun würden. Und dennoch … Das Digimon faszinierte sie auf eine gewisse Weise und sie wollte es wenigstens noch einmal treffen. Nun, bei der jüngsten Durchschnittsquote lag dies durchaus im Bereich des Möglichen, schließlich tauchte Impmon immer wieder von allein auf, ohne dass sie hätte nach dem Teufelsdigimon suchen müssen. »Jede Wette, dass das unser Impmon war, Aniki!«, rief Agumon aus, als es sich mit einer Pranke noch über die Wange wischte. Masarus Augen verengten sich zu kleinen Schlitzen. »Ja.« Wieder spürte Rina Toumas Blick – er durchbohrte sie nahezu. Was genau wollte er? Sie hatte ihm im Grunde genommen schon alles gesagt, was sie wusste, mehr konnte sie nicht hinzufügen. Doch diese Frage sollte ihr schnell beantwortet werden. »Rina hier trifft in letzter Zeit auch häufiger auf Impmon, es besteht definitiv eine Verbindung.« »Touma!«, rief sie empört aus, da sie sich bloßgestellt fühlte. Plötzlich vernahm sie, dass ausschließlich alle Blicke im Raum auf sie gerichtet waren. Sie schluckte verlegen. »Verstehe«, sagte Yushima ruhig und lächelte leise. Satsuma runzelte die Stirn. »Du meinst doch nicht …?« Touma nickte. »Doch, das glaube ich sehr wohl.« »Was meinst du?«, fragte Rina verängstigt. Sie konnte das schwache Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen. »Was bedeutet das, Aniki?« Masaru seufzte tief. »Das bedeutet, dass wir Impmon nicht einfach so vermöbeln können, sollte Touma mit seiner Theorie rechtbehalten.« Rina ballte die Hände zu Fäusten, so sehr hielt sie die Spannung nicht mehr aus. »Würde mich bitte endlich jemand aufklären?« Verärgert sein war normalerweise so gar nicht ihr Ding und so entschuldigte sie sich daraufhin rasch wieder und setzte sich auf einen Schreibtisch. Leider stieß sie mit ihrer zittrigen Hand gegen ein Glas, das mit Wasser gefüllt war. Das Wasser benetzte nur allzu schnell eine Tastatur und Megumis Arbeitsplatz zischte und brutzelte in einem nicht sehr angenehmen Tonfall. »Tut mir leid!«, rief sie sofort aus und verneigte sich beschämt. »Meine Arbeit!!« Megumi hetzte zu dem Rechner, um so viel wie möglich zu retten. Masaru lief zu Rina hin und legte ihr aufmunternd eine Hand auf die Schulter. »Keine Sorge, ich kann mich an jemanden erinnern, dem mal etwas … äh, Ähnliches passiert ist. Was Touma dir versucht zu sagen, ist, dass er glaubt, du und Impmon seien Partner.« Rina sah ihn verdutzt an. »Pa-partner?« Was sollte das denn bedeuten? Doch nicht etwa..? Touma nickte und auch Satsuma stimmte mit ein. »Das wäre eine Möglichkeit«, sagte er. Touma erhob erneut das Wort. »Nicht nur eine Möglichkeit, es würde auch Einiges erklären. Zumindest den Teil, warum es ständig auf Rina trifft. Rina, lass mich dich etwas fragen. Als wir auf Mammothmon trafen, hast du da vorher irgendwo Impmon gesehen?« Sie fühlte sich durchschaut. Es war, als lese er in ihr wie in einem offenen Buch. »Ja«, flüsterte sie letztendlich. Ihr verehrtes Idol nickte selbstzufrieden. »Ich weiß nicht, weshalb, aber dieses Impmon zieht andere Digimon an. Vermutlich liegt es irgendwie damit zusammen, dass es die Tore geöffnet hat.« »Und was hat das alles mit mir zu tun?« »Ich fände es keine schlechte Idee, wenn du dich mal näher mit diesem Impmon unterhalten würdest. Natürlich nicht alleine.« Näher unterhalten? Nochmal? Rina sah darin keinen Sinn, aber dies war ja eigentlich genau das, was sie wollte. Plötzlich fiel ihr noch etwas ein. »Ach, entschuldigt, wenn ich erst jetzt damit rausrücke, aber Impmon ist jetzt nicht mehr allein, da ist jetzt noch ein … ein Tentomon hieß das glaub ich, dabei.« Touma hatte auf einmal ein irres Funkeln in den Augen, wie es Wissenschaftler manchmal bekamen. »Das bestätigt die Prämisse, dass Impmon andere Digimon anzieht.« »Schön, es zieht sie an – ob gewollt oder nicht -, hier in die reale Welt, das haben wir jetzt erläutert.« Yoshinos Blick verdüsterte sich. »Aber habt ihr mal überlegt, was wir dagegen tun können? Wir können uns doch nicht ausschließlich auf Masaru und Agumon verlassen!« »Ach, überlasst das erst mal uns!« Masaru nahm eine heldengleiche Pose ein. »Außerdem haben wir Gomamon und Gabumon darum gebeten, dass sie noch euren Digipartnern suchen. Wenn alles klappt, dürften sie hier bald eintreffen.« »Mein großer Bruder denkt eben an alles!« »Genau!« »Das wäre natürlich der Idealfall«, sagte Touma. »Außerdem spekuliere ich darauf, dass Rina und Impmon uns irgendwie helfen können.« »Hä?« Diese Frage war natürlich nicht sehr intelligent, aber das vernünftige Denken hatte sich vor einigen Minuten von dem Mädchen verabschiedet. »Aber sie hat kein Digivice!«, protestierte Yoshino. »Nun mal langsam«, meldete sich Satsuma. »Fürs erste dürfte es genügen, dass wir die DATS wieder aufbauen, damit wir wieder vorbereitet sind, wenn unsere Partner eintreffen.« Begeisterung brach bei den Mädchen aus und alle anderen freuten sich sichtlich. Nur Rina hatte wieder dieses außenstehende Gefühl. »Ich muss das alles nicht verstehen, oder?« Wenig später waren alle ihre Wege gegangen – allen voran Masaru und Agumon, die sich beide wahnsinnig auf ein heißes Bad mit einem Riesenteller Rührei freuten. Auf dem Heimweg versuchte Touma Rina ein wenig was von der digitalen Welt näherzubringen und so erzählte er ihr von Gaomon und was sie und die anderen vor fünf Jahren alles erlebt hatten. »Dann wart ihr das also. Ich hatte damals nicht viel von den Turbulenzen mitbekommen, weil ich in Kyoto war, aber … das ist einfach unglaublich!« Touma lachte. »Ich denke, so lässt sich das auch beschreiben.« Bald waren sie wieder vor ihrem Haus und warteten schon auf den Aufzug. Plötzlich wurde Rina nachdenklich. »Touma, ich muss das immer noch nicht alles verstehen, oder? Ich weiß nicht so ganz, was ihr alle von Impmon oder sogar mir wollt. Natürlich möchte ich helfen, aber … aber ich hab Angst, dass ich euren Erwartungen nicht gerecht werde.« Er schüttelte nur besänftigend den Kopf. »Du musst doch nicht alles sofort verstehen oder gar alle Erwartungen erfüllen, wie du es sagst. Es reicht vorerst, wenn du über die wesentlichen Dinge im Bilde bist.« »…« Sie war sich nicht sicher, ob er es wirklich so meinte, doch sie beließ es dabei. »Und vergiss bitte nicht; von diesem Abend erzählst du am besten niemandem. Je weniger Leute Bescheid wissen, desto besser. Und es vermeidet lästige Störenfriede.« »Damit meinst du Rikyu, oder?« Touma kam um ein Grinsen nicht herum. »Er erinnert mich an ihn … an Masaru.« Auf diesen Vergleich war Rina noch gar nicht gekommen, doch erschreckenderweise musste sie feststellen, dass dies tatsächlich berechtigt war. Merkwürdigerweise war Masaru im Vergleich zu Rikyu jedoch irgendwie cool. Aber vermutlich lag das einfach an der Situation, wie sie diesen kennengelernt hatte. Auf einmal seufzte er wieder auf. »Verdammt, ich hab ja ganz vergessen, dass bei mir die Party steigt!« Sobald der Aufzug hielt und die Tür klingelnd aufgegangen war, stürmte Touma in seine Wohnung. Rina hörte ihn mehr oder weniger Schreien und malte sich im Kopf die Szenerie aus, wie Toumas einst so ordentliche Wohnung nun aussah. Um ein leises Kichern kam sie nicht hinweg, bis sie selbst leise aufschrie. Vor ihrer Tür saß eine Gestalt mit verschränkten Armen im Schneidersitz und warf ihr vorwurfsvolle Blicke zu. »Rikyu, verdammt, du hast mich erschreckt! Was machst du denn da?« »Was ich hier mache?«, antwortete er schmollend. »Du bist doch diejenige, die mit Touma für ein paar Stündchen abgezogen ist!« Rina errötete und winkte rasch ab. »Das ist anders, als du denkst.« Aber Rikyu hatte nicht im Geringsten vor, damit aufzuhören. »Und wie denke ich? Der Kerl hätte über dich herfallen können, wenn er es nicht sogar getan hat! Das ist meine Aufga -« Weiter kam er nicht, denn Kazuki war verschlafen die Treppe hochgewandert und zog seinen Bruder an einem Ohr wieder herunter. »Mensch, wenn wir wegen dir noch eine Abmahnung von den Nachbarn bekommen, zieh ich aus. Nacht, Rina-san.« »Gute Nacht, ihr beiden.« Im Stillen dachte sie noch, was Kazuki doch für ein hervorragender Retter in der Not war. Kapitel 11: Angriff in der Schule --------------------------------- >>Ist das denn zu fassen?! Ich meine, ich hab euch ja mehr oder weniger in flagranti erwischt!« Rikyu rümpfte siegesgewiss die Nase, er war sich sicher, Rina mit dieser Aussage zu überführen. Zu seinem Leidwesen verrollte sie aber nur die Augen und seufzte tief. »Du bist doch wirklich ein Idiot! Was glaubst du eigentlich, was für eine Sorte Mädchen ich bin?« Sie waren jetzt im zweiten Stock angekommen, der Aufzug war mal wieder außer Betrieb. Kazuki trottete den beiden wehleidig hinterher und war fast schon froh, gleich in der Schule zu sein. Der schwarzhaarige Rikyu schnaubte. »Eine Sorte Mädchen, die nix von mir will und lieber mit Wildfremden ausgeht …« Rina musste kurz die Augen schließen, um die Nerven nicht zu verlieren. Es war klar, das Rikyu eifersüchtig auf … na ja … auf was auch immer war. Aber dass er gleich mit solchen Unterstellungen kam, das fand die 18-jährige doch sehr hart. Zumal ihr die ganze Sache mit den Digimon allein schon genug zu schaffen machte. Da brauchte sie einen beleidigten Sandkastenfreund schon gar nicht. »Ich habe dir schon zig mal gesagt, dass es ganz anders war.« »Und wie genau? Oh, stimmt ja!« Rikyu setzte einen sarkastischen Blick auf und warf die Hände in die Luft. »Das ist ja ein Geheimnis!« »…« Platsch. Und schon hatte er Rinas Fingerabdrücke im Gesicht. Sie biss sich auf die Lippen und Rikyu hätte schwören können, da etwas Feuchtes in ihren Augenwinkeln zu sehen. »Ich geh dann mal studieren, immerhin machen manche Leute aus ihrem Leben noch etwas«, nuschelte sie kleinlaut und stolzierte davon. Rikyu strich zunächst kurz über seine Wange, dann legte er die Hand in die Stirn und schüttelte den Kopf. Kazuki war indes zu seinem Bruder aufgeholt. »Onii-chan, du bist ein Idiot.« »Denkst du, das weiß ich nicht?«, fauchte der große Bruder zurück. Er schulterte seine Tasche und verließ ebenfalls das Haus. »Steh da nicht so blöd rum, ab in die Schule!«, rief er seinem Bruder noch hinterher ohne sich umzudrehen. Kazuki schlenderte langsam los. Auf dem Weg zur Schule gingen ihm Rinas Worte von wegen »aus ihrem Leben etwas machen« durch den Kopf. Er hatte nie verstanden, warum sein Bruder das Sportstudium aufgegeben hatte und sich plötzlich mit Aushilfsjobs durchschlug. Kazuki schüttelte letztendlich den Kopf. »Bringt alles nichts drüber nachzudenken.« Als ihm auffiel, dass sein Schuh aufgegangen war, beugte er sich hinunter, um den heimtückischen Schnürsenkel wieder zu verknoten. Diese blöden Schuhe gingen einfach zu oft auf und waren eigentlich schon durchgelatscht und dennoch … Er brach es nicht über sich, diese fortzuwerfen. Die Schuhe hatten ihm seine Eltern geschenkt, als alles noch besser war. Als sie noch eine richtige Familie waren. Kazuki war recht früh in die Höhe geschossen und seitdem nur sehr spärlich gewachsen. Daher hatte er lange das Vergnügen mit den Turnschuhen teilen können. Aber nun würde er Rikyu so langsam mal darum bitten müssen, dass dieser ihm neue kaufte. Nun ja, er musste die alten Schuhe ja nicht fortwerfen. Er neigte sich also hinab und verschnürte rasch die Bändel seines linken Fußes. »So, das wäre geschafft.« Auf einmal jedoch schepperte etwas so laut neben ihm, dass er erschrocken zusammenzuckte und rasch wieder auf den Beinen war. »Was war das?«, fragte er leise. Das Blut rauschte in seinen Ohren und das Herz schlug ihm bis zur Kehle. Letztendlich erblickte er, dass neben dem Gemüsestand, vor dem er war, ein kleines Gässchen lag. Er schluckte einmal kurz und sah sich um. Niemand war zu sehen, also wagte er einen Blick hinein. Als erstes fiel ihm ein Mülleimerdeckel auf, der wie wild auf dem Boden kreiste. Das erklärte zumindest schon einmal das Geräusch. Die Ursache ließ auch nicht lange auf sich warten, denn blitzschnell raste eine kleine graugetigerte Katze durch seine Beine und suchte flink das Weite. Kazuki kratzte sich verlegen am Kopf. Und davor hatte er Angst gehabt! »Was die wohl hatte …?« Schließlich kam er zu dem Entschluss, dass ihm das egal war und er befand, dass er den Deckel ruhig wieder auf die Tonne legen konnte. Der braunhaarige Junge machte nur einen minimalen Fehler, denn er schaute noch einmal kurz in die Tonne. Wieder bekam er einen halben Herzinfarkt und konnte sich einen kleinen, spitzen Schrei nicht verkneifen. Ergo stolperte er zurück und landete unsanft auf seinem Hinterteil. Denn dort in der Tonne hatte er zwei riesige blaue Augen gesehen, die ihm neugierig entgegen stierten. Kazuki atmete einen Moment durch und rappelte sich wieder auf – was blieb ihm auch anderes übrig. Schließlich konnte er hier ja nicht den ganzen Tag herumsitzen. »Das muss nur noch eine Katze gewesen sein … Ja, genau …« So ganz überzeugt schien er nicht von seinen eigenen Worten, doch es klang nach der einzig richtigen Lösung. Das würde erklären, warum die andere Katze so schnell weggerannt war – sie war in das Territorium dieser Mülleimerkitty gelangt. Aber hatten Katzen wirklich so riesige, blau-glubschige Augen? All seinen Mut zusammennehmend, riskierte Kazuki noch einen Blick. Zumindest wollte er dies, denn als er der Tonne zu nahe trat, schoss plötzlich etwas Fußballgroßes in die Luft und flog davon. Kazuki legte eine Hand in die Stirn und versuchte etwas zu erkennen, doch vergeblich. »Vielleicht war es ja doch eher ein Vogel?« Bevor er darüber nachdenken konnte, dass Vögel doch eigentlich noch kleinere Augen als Katzen hatten, legte er den Deckel an seinen rechtmäßigen Platz und sprintete los zur Schule, ehe er noch zu spät kam. Die Schule war verdammt langweilig. Wie konnte ein wissenschaftliches Fach nur dermaßen ermüdend sein? Sie untersuchten in Chemie gerade die vier Elemente und er war mit Chika (juhu) und Ikuto (oh nein) in einer Arbeitsgruppe. »Das ist so spannend, wie dem Gras beim Wachsen zu zusehen«, zeterte Ikuto, als er eine Schale mit Wasser füllte und sie gleich neben dem Topf mit Erde stellte. »Maul nicht rum, wir sollen eben alle Elemente zusammentragen und dazu gehört das eben«, pflichtete ihm Chika bei. Kazuki nickte. Er räusperte sich einmal kurz, ehe er das Wort erhob. »Chika-chan hat recht. Wobei ich dich auch verstehen kann, Ikuto-kun. Schließlich sind das Versuche für 10-jährige.« Während Ikuto abwesend nickte, setzte Chika einen bösen Blick auf. Sie war ganz schön bestimmend in den letzten Jahren geworden und konnte manchmal sehr zickig sein. Da hieß es besser nicht widersprechen. »Du kannst doch nicht auf unser beider Seiten stehen, Kazuki!« Sie stampfte einmal mit ihrem Fuß auf dem Boden, als würde dies das nur noch mehr untermauern. »‘Tsch-tschuldigung …« Kazuki war ganz verlegen. Er fand, dass Chika irgendwie niedlich war, wenn sie wütend war. Ihre Zöpfe baumelten dann immer hin und her. Niedlich. Und irgendwie beängstigend zugleich. Daimon Chika seufzte. »Und wenn ich wegen dir eine schlechte Note bekomme, Ikuto, dann rede ich nie wieder ein Wort mit dir und denk dran: Ich habe dir heute Morgen noch gesagt, dass ich etwas echt Tolles zu erzählen habe!« Sie grinste verschlagen und plötzlich fühlte Kazuki sich unsagbar traurig, dass Ikuto sie so viel besser kannte, als er. Warum nur musste er auch so schüchtern sein? Wäre er nur ein bisschen mehr wie sein Bruder … dann hätte ihm das vermutlich genauso wenig etwas gebracht. Das Ganze war doch zum Mäuse melken. »Dein sagenumworbenes Geheimnis? Das hatte ich fast schon wieder vergessen. Ich hoffe, es ist besser als das von letzter Woche, wo es um einen 500 Yen Coupon für Sukiyaki ging.« Chika wurde rot und blies beleidigt die Backen auf. »Natürlich ist es besser. Und überhaupt: Bei Keisuke gibt es nun mal das beste Sukiyaki der ganzen Stadt!« Kazuki überlegte, ob er erzählen sollte, dass er auch wahnsinnig gern bei Keisuke aß. Er konnte vielleicht ja mal mit Chika zusammen dort essen …? Natürlich waren Ikutos Lippen wieder schneller und Kazuki verpasste seine Chance. Er überlegte einfach zu lange. »Warum muss ich dann bis nach der Schule warten? Rück doch jetzt mit der Sprache raus.« »Du bist ganz schön ungeduldig, weißt du das?« Tadelnd hob das Mädchen einen Zeigefinger. Dann jedoch sagte sie: »Also schön, weil du es bist.« Sie legte eine Pause ein und ein leises Lächeln umspielte ihre Lippen. »Mein Bruder ist wieder da!« Schlagartig schien alles um die drei zu verblassen. Ikuto riss erstaunt Augen sowie Mund auf und Kazuki hätte beinahe das Reagenzglas fallen lassen. »Du … du hast einen Bruder?«, fragte er verstört. Davon hatte Chika niemals etwas erzählt. Sie winkte ab, gerade so, als habe sie Kazuki kaum gehört. »Ja, ja … Oh, Ikuto, ist das nicht toll? Nach fünf langen Jahren! Ich habe leider noch nicht viel von ihnen gehabt, weil sie gestern Abend so spät kamen und ich ja auch nach der Party rasch ins Bett musste … Hach, ich bin so gespannt, was Masaru-niichan und Agu-chan erzählen werden!« Sie strahlte über das ganze Gesicht. Ikuto nickte nun auch. »Das ist wirklich unglaublich! Ich darf doch nach der Schule mit zu euch kommen?« »Ja, klar. Deshalb erzähle ich es dir ja auch!« Kazuki hatte nun genug gehört. Nicht nur, dass er sich vorkam, wie das fünfte Rad am Wagen … Es tat einfach nur so entsetzlich weh, dass Ikuto … Kazuki seufzte. »Ich schnapp mal kurz Luft«, nuschelte er leise vor sich hin und schlenderte zu einem Fenster. Die anderen beiden schienen ohnehin nicht zu bemerken, dass er sich rarmachte. Geknickt öffnete der Junge das Fenster und lehnte sich kurz hinaus. Tief sog er den blumig, würzigen Duft ein und für einen Moment ging es ihm besser. Vielleicht sah er das Ganze auch einfach viel zu engstirnig. Und Ikuto kannte Chika auch länger als er, da war es doch einfach nur selbstverständlich, dass es Dinge in ihrem gemeinsamen Leben gab, von denen Kazuki keine Ahnung hatte. Nur die Tatsache, dass sie einen Bruder hatte … Kazuki musste schnell den Kopf schütteln. Er benahm sich schon allzu sehr wie Rikyu und diese Erkenntnis war nicht sehr berauschend. Er war schon drauf und dran seinen gekränkten Stolz runterzuschlucken und zu seiner Arbeitsgruppe zurückzugehen, als binnen Millisekunden etwas Azurblaues vor ihm aufleuchtete und ehe er sich versah, flog er gut zwei Meter rückwärts durchs Klassenzimmer. Schreie und zerklirrende Reagenzgläser waren zu hören und Kazuki spürte, dass er mit dem Rücken gegen irgendetwas geprallt war. Stöhnend richtete er sich auf und drehte sich langsam um. Eine dunkle Vorahnung beschlich den Jungen und er schluckte kurz. »Wa-warum hast du das getan?«, fragte Chika mit zittriger Stimme und schob Kazuki endgültig von sich herunter. Sofort rutschte er weg und errötete. Sie war gegen einen Bunsenbrenner gefallen und ein Teil ihres Ärmels war verbrannt. Das war vermutlich das geringere Problem, denn das Feuer musste ihr auch den Arm angesengt haben. »Ich … ich …« Der arme Kazuki schüttelte nur bestürzt den Kopf, hatte er das doch nicht mit Absicht gemacht. Sofort blickte er zu dem Fenster, doch was auch immer da passiert war; es war nichts mehr zu sehen. Also war nun alles seine Schuld und er fühlte sich schrecklich deswegen. Chika war doch die Letzte, der er jemals wehtun wollte. »Bitte entschuldige, ich wollte nicht …« Er hörte auf mit dem Rumgestammel, denn er bemerkte nun, dass er sich doch arg dämlich anhörte. Wer sollte ihm denn glauben? Und was sollten sie ihm glauben? Dass ihm ein ziemlich heftiger Windstoß umgenietet und quer durchs Klassenzimmer geworfen hatte? »Chika-chan …« Plötzlich nahm er all seinen Mut zusammen und wollte einen Arm zu ihr ausstrecken, doch sie schlug ihn fort. »…« Ohne ein weiteres Wort stürmte sie aus dem Klassenzimmer und ließ viele verdutzte Gesichter hinter sich zurück. Am meisten verwirrt schien der Lehrer, denn der stand geradezu hochgradig verwirrt in einer Ecke und warf fragende Blicke zu Kazuki. Kazuki indes sah kurz zu Ikuto. Was ihn verwunderte: Ikuto starrte zurück. Aber nicht wütend oder arrogant oder wie sonst … Es war mehr ein … ein »Geh ihr nach, Mann«. So zumindest deutete es Kazuki, denn Ikuto machte auch keinerlei Anstalten Chika hinterher zu rennen. Obwohl seine Beine kurz aufgezuckt waren, als sie hinausgerannt war. Kazuki zögerte nicht mehr und rannte hinaus. Er hatte gar nicht über die Folgen nachgedacht und auf einmal musste er sogar unwillkürlich grinsen. Ja, er wurde seinem Bruder immer ähnlicher, doch dies war ein Moment, in dem er dies keineswegs bereute. Kazuki hatte keinen blassen Schimmer, wo er nach dem Mädchen hatte suchen können, dich schnell wurde ihm diese Entscheidung abgenommen, da er einen schrillen Schrei Chikas vernahm. Der 15-jährige hechtete in Richtung Schulhof und tatsächlich, dort auf dem Boden kniete Chika, sie hielt sich den Knöchel und starrte mit angstgeweiteten Augen in den Himmel. Ohne eine Sekunde weiter nachzudenken, war er einen Augenaufschlag später auch schon neben ihr hockte sich neben sie. »Chika-chan, ich … Hör zu, es tut mir echt leid. Ich war das nicht, also ich wollte nicht …« Geistesabwesend schüttelte sie nur den Kopf, nahm seine Hand und drückte sie. Währenddessen sah sie ihn immer noch nicht an und weiter nach oben. Kazuki, sein Glück kaum fassend, entzog seine Hand wieder schweren Herzens und besah sich Chikas Knöchel. Er war geschwollen, das er durch den weißen Strumpf, doch er war sich auch sicher, dass er rot sein würde. Auch ihr Handgelenk betrachtete er noch einmal. Gott sei Dank war es nicht stark verbrannt, das Feuer schien sie nur gestreift zu haben. »Tut es noch weh?« Unsicher wanderten seine blauen Augen zwischen Hand und Knöchel hin und her. Chika schüttelte den Kopf und endlich – endlich sah sie ihn an. Doch sie sah so furchtbar verstört aus. »Das warst vorhin gar nicht du, oder?« Verblüfft öffnete er den Mund, um etwas zu sagen, doch sie ließ ihn nicht zu Worte kommen. »Ich war so dumm, es tut mir leid! Ich weiß doch, das du eigentlich sowas nicht machst … Ich war nur so geschockt und … ich weiß auch nicht, ich habe wohl überreagiert.« Kazuki, nun wieder puterrot im Gesicht, winkte verlegen ab. »Ich bin dir doch nicht böse, ganz im Gegenteil, ich verstehe dich! Ich bin dir nur hinterher, weil … weil … ich …« Er hatte sich Sorgen gemacht. Aber aus irgendeinem Grunde wollten ihm diese Worte nicht über die Lippen kommen. »Vorsicht!« Sie sprang gegen ihn und dies war Kazukis Glück, denn sonst hätte ihn das Stingmon voll erwischt. Ehe er sich versah, lag das Mädchen also auf ihm und ein großes insektenähnliches Vieh flog dicht über ihnen hinweg. Kazuki richtete sich ein wenig auf und umschlang Chika unbewusst ein wenig. Sanft schob er sie hinter sich und richtete sich vor ihr auf. »Was zum Henker ist das denn?« So etwas hatte er nun wirklich noch nie gesehen, aber dieses Wesen faszinierte und ängstigte ihn zugleich. Was ein verrückter Tag das doch war. Hoffentlich würde er nicht noch gleich durch ein Kaninchenloch fallen. Chika war mittlerweile auch wieder auf den Beinen und umklammerte Kazuki an den Schultern. Er war etwas größer als sie. »Bleib weg von ihm, das ist ein Digimon, dagegen kommst du nicht an!« »Ein Digi…mon?«, fragte er verwirrt, doch lange blieb ihm nicht darüber nachzudenken, denn das Stingmon setzte zum nächsten Sturzflug an. Es blieb einfach keine Zeit. Kazuki schaffte es noch, Chika beiseite zu schubsen, doch er selbst würde es nicht mehr schaffen. Doch dann … Kazuki hatte bereits die Augen geschlossen, um den Schlag zu erwarten, doch er blieb aus. Stattdessen hörte er nur, wie jemand »Air Shot!« rief und der befürchtete Zusammenprall mit dem Rieseninsekt blieb aus. Als der Junge wieder einen schrillen Schrei Chikas hörte, hatte er sofort wieder die Augen geöffnet und sah zu ihr. Sie zeigte nach oben, also folgte er ihrem Finger. Er musste sich anstrengen, um das kleine orangefarbene Wesen zu erkennen, das da vor Stingmon wegflog. Kazuki fielen sofort die azurblauen Augen des neuen Wesens auf und schlagartig dämmerte es ihm. »Du warst das … Du bist schuld an all dem!« Der kleine orangene Ball - als habe es ihn gehört und verstanden – flog knapp über Kazuki hinweg, so dass sich dieser ducken musste, um nicht von Stingmon umgeflogen zu werden. Dann wandte er sich an Chika. »Verdammt, was ist hier los?« Das Mädchen antwortete nicht sofort. Stattdessen wurde sofort deutlich, dass für sie dieser Anblick gar nicht so sehr befremdlich schien, wie für den Jungen. »Das sind Digimon, das sagte ich doch … Oh, wenn nur mein Bruder und Agu-chan hier wären … Oder Ikuto …! Genau, das ist es. Kazuki-kun, wir sollten Ikuto holen!« Unwillkürlich verzog der 15-jährige das Gesicht. Was sollte das? Fühlte sich Chika jetzt nicht mehr sicher bei ihm? Dabei tat er doch alles … »Vielleicht hast du recht.« Natürlich konnte er sich nicht vorstellen, dass Ikuto den Tag gegen zwei Digimon retten konnte. Aber das konnte er Chika nicht sagen. Außerdem bekam er sie somit aus der Gefahrenzone. »Komm mit!«, rief sie panisch aus, doch er schüttelte nur den Kopf. »Nein, geh du. Ich hab ein Auge auf sie.« Chika öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch sie schloss ihn rasch wieder. Es hatte keinen Sinn. »Ich bin schnell wieder zurück.« Nachdem sie weg war, suchte er den Himmel nach den beiden Digimon ab und wurde rasch fündig. Patamon zog wirre Kreise in der Luft, doch es war nur allzu offensichtlich, dass es Stingmon nicht mehr lange entkommen konnte. Plötzlich bemerkte Patamon Kazukis Blick und setzte ein fieses Grinsen auf. Dann flog es genau in seine Richtung. »Oh nein …«, hauchte Kazuki. Er war bereits im Inbegriff sich umzudrehen und doch das Weite zu suchen, aber er schaffte es nicht. Blitzschnell war Patamon in seine Arme geflogen und purzelte mit ihm gegen die Schulmauer. Einen Augenaufschlag später krachte es neben ihm in der Wand und ihm wurde bewusst, dass Stingmon sie mit seiner Attacke knapp verfehlt hatte. Benebelt versuchte er sich aufzurichten, aber es gelang ihm nicht. Er fühlte sich unsagbar müde. Auf einmal regte sich das orangene Bündel in seinen Armen und er zuckte kurz. Dann kam ihm alles wieder. »Das ist alles nur deine schuld! Was hast du dir dabei gedacht?« Patamon stöhnte kurz. »ich hab mir eigentlich gedacht, ich rette dich, aber ich habe wohl einen gravierenden Fehler gemacht!«, schmollte es zurück. Kazuki erschrak. Das orangene Ding konnte ja reden! »Hast du … hast du gerade … gesprochen?« Patamon kniff die strahlend blauen Augen zusammen. »Ja, natürlich. Oder siehst du hier noch jemanden? Mann, bist du blöd.« Kazuki ließ das Digimon unsanft los und es purzelte von seinen Beinen hinunter. »Bist ganz schön frech. Und was meinst du mit gerettet? Wegen dir bin ich gegen Chika geknallt! Sie hat sich wehgetan. Und das mit der Katze heute Morgen warst bestimmt auch du!« Wütend hopste Patamon auf der Stelle. »Aber ich habe dich gerettet! Sonst wärst du doch gar nicht erst auf den Hof gekommen, wäre das alles nicht passiert! Und was ist mit eben? Stingmon hätte dich als Landebahn benutzt, wenn ich ihn nicht attackiert hätte!« Das konnte selbst Kazuki nicht bestreiten. Erschöpft strich er sich über die Nasenwurzel und lehnte den Kopf gegen die Mauer. »Du hast recht. Danke.« Patamon, im ersten Moment zu verdutzt, um zu antworten, nickte letztendlich nur. »Natürlich«, sagte es schließlich. »Und was sollen wir jetzt machen? Was willst du eigentlich von mir?« Patamon blies die Bäckchen auf. »Keine Ahnung … Du erschienst mir interessant, deswegen bin ich dir nachgeflogen. Aber ich hab mich wohl getäuscht.« Kazuki schloss müde die Augen. Hatte er doch mehr abbekommen? Patamon war etwas verunsichert und stupste den Jungen am Bein mit der Nase an. »Hey, nicht pennen! Du hast interessantes Digisoul, benutz es auch!« Kazuki öffnete wieder die Augen. »Digisoul? Was ist das nun wieder?« »Kann ich dir nicht erklären, aber es fühlt sich ganz gut an …« »…« Und dann leuchtete es gelblich neben den beiden. Hell erstrahlte eine sternenförmige Kugel neben Kazukis Kopf. Es funkelte und er verspürte unmittelbar das Bedürfnis dort hinein zu greifen. Als er die Hand in der Leuchtkugel hatte, spürte er einen festen Gegenstand, den er umschloss. Sofort erlosch das Licht und in seiner Hand hielt er ein schwarzes Gerät, das fast als Handy hätte durchgehen können. An der Seite verlief ein blitzförmiger gelber Strich und oben über dem Display war ein kleines Loch, das so aussah, als könnte man etwas hineinstecken. »Was zum Teufel …?« Patamon war nun ganz aufgeregt. »Oh, wow, ein Digivice!« Kapitel 12: Digisoul Charge! ---------------------------- >>Ein … Digivice?« Was war das denn nun wieder? War er vielleicht doch mit dem Kopf irgendwo hart dagegen gekommen? Ganz sicher. Sonst würde es hier in seiner Schule bestimmt keine Monster geben. Oder er träumte noch. Genau, Rikyu musste heute Morgen einfach vergessen haben, ihn für die Schule zu wecken. »Pass doch auf!« Wieder wurde Kazuki hektisch und in letzter Sekunde durch einen Air Shot seitens Patamon beiseite gestoßen und entkam nur knapp einer Attacke. »Puh, also du wirst bald als Stingmonfutter enden, wenn du so weitermachst. Ein Glück, dass der Gute nicht genug Zielwasser getrunken hat. Muskeln sind eben nicht alles.« Patamon schwirrte neben Kazukis Kopf und plusterte sich leicht auf. Wie ein Tier, das Eindruck schinden will, dachte Kazuki. »Was sollen wir jetzt machen?«, fragte der Junge nahezu verzweifelt. Immer weniger freute er sich über seine heldenmutige Tat, alleine bei den Digimon zu bleiben. »Woher soll ich das denn wissen? Du bist hier der mit Digisoul und Digivice.« »…« Das half dem 15-jährigen leider so gar nicht. Plötzlich stieß Stingmon einen markerschütternden, lauten Schrei aus. Am liebsten wäre Kazuki auf der Stelle ohnmächtig zusammengebrochen, dann wäre das alles nicht mehr sein Problem gewesen. Aber aus irgendeinem Grunde wollten seine Beine einfach nicht nachgeben, als klammere sich da etwas Verborgenes in ihm genau an diese Situation. Also machte er das einzige, was ihm zurzeit möglich war; er rannte und sprang zur Seite und entkam jedes Mal knapper den Angriffen Stingmons. Dieses feuerte seine Attacken mittlerweile wahllos auf dem Schulhof herum. Kazuki war verwundert, dass noch keine lästigen Zuschauer angekommen waren. Vielleicht versteckten sie sich auch einfach nur extrem gut. Bei seinem letzten Sprung zur Seite stolperte er ungeschickt über seine eigenen Füße und flog vorn über. »Au …«, keuchte er aus der Puste. »Hast du dir wehgetan? Du bist auch zu ungeschickt!«, höhnte Patamon neben ihm. »Scher dich zum Teufel«, erwiderte Kazuki frustriert. Zur Hölle, warum hatte ihn sein Bruder nie auf sowas hier vorbereitet? Er wusste doch angeblich sonst immer alles. »Tja, das war‘s dann wohl, ich weiß nicht mehr, was ich machen soll und ewig wegrennen kann ich auch nicht mehr.« Plötzlich überkam ihn eine Welle von unbändigem Zorn – Zorn auf dieses vermaledeite Stingmon, Zorn auf Ikuto, der Chika besser kannte, Zorn auf Rikyu, der nicht hier war, um ihn als sein großer Bruder zu schützen; aber den größten Zorn spürte er von sich selbst ausgehend, dass er einfach so hilflos war und hier im Dreck lag. Und dabei wollte ich Chika beschützen … Ich kann mich ja noch nicht einmal selbst beschützen!, dachte er wütend. Dann glühte das Digivice, das er immer noch in der Hand hielt, in einem strahlenden Gelb kurz auf. Fasziniert hielt Patamon sein Gesicht daran. »Beeindruckend …«, sagte es mit einem Hauch von Ehrfurcht in der Stimme. »Kazuki!«, rief auf einmal Ikuto von irgend her, dicht gefolgt von Chika kam er dort hinten angelaufen. »Ikuto«, sagte Kazuki und richtete sich wieder auf. Das gelbe Glimmen des Digivices hatte wieder aufgehört. »Geht’s dir gut?«, fragte Chika besorgt, als sie bei ihrem Klassenkameraden ankamen. Am liebsten hätte Kazuki die Frage zurückgestellt, denn er hatte gesehen, wie sie beim Laufen ein wenig das Gesicht verzogen hatte. Aber statt zu antworten, nickte er nur bedächtig. »Das ist tatsächlich ein Digimon«, meinte Ikuto mir runzelnder Stirn, als er zu Stingmon in die Luft sah. Dort oben schwirrte es mit verschränkten Armen vor der Brust, als verhöhne es die drei Kinder und Patamon. »Hey, ich bin auch noch da!«, motzte Patamon sogleich, doch als es Ikutos Blick sah, versteckte es sich sofort wieder hinter Kazukis Rücken. »Guck nicht so böse …« Ikutos Blick fiel erst auf Kazuki, dann auf sein Digivice in der Hand. »Ist das ein Digivice? Woher hast du es?« Müde zuckte Kazuki mit den Schultern. »Ich weiß nicht, plötzlich war da in der Luft dieses Licht und als ich meine Hand hinein und wieder herausgesteckt hatte, war es in meiner Hand.« »Zeigst du es mir mal?« Ohne eine Antwort abzuwarten, nahm er es Kazuki ab. Dieser wehrte sich nicht, ganz im Gegenteil, denn im Gegensatz zu ihm, schien sein blauhaariger Klassenkamerad mit dem schwarz-gelben Gerät etwas anfangen zu können. Ikuto holte aus seiner Hosentasche nun sein eigenes Digivice. Feststellend, dass es seinem eigenen sehr ähnlich war, kam er zunächst nicht auf den Gedanken, woher Ikuto dieses Ding wohl haben möge. »Hm, sieht ein wenig anders aus, die gelbe Linie verläuft auf deinem blitzförmig und ich frage mich, was das da oben für ein Loch ist …« Der Junge schien ganz in Gedanken. »Ikuto, was sollen wir tun? Ich glaube, es greift gleich wieder an!«, rief Chika und deutete mit dem Zeigefinger gen Himmel. Und tatsächlich – Stingmon zog immer wildere Kreise, als setze es jeden Moment zum Sturzflug an. »Immer mit der Ruhe, Chika«, versuchte sie Ikuto zu beruhigen. Woher nimmt er nur seine Ruhe?, fragte sich Kazuki. Ikuto schien der einzige von ihnen Vieren (er zählte Patamon zu seiner Seite), der nicht gleich einen Panikanfall erleiden würde. »So wie das Teil hier aufgebaut ist, müsste es genauso funktionieren wie meines hier.« Er warf es Kazuki lässig zu, der es überhaupt nicht lässig und nur so gerade eben auffing, ehe es zu Boden gefallen wäre. »Uncool, uncool!«, rief Patamon aus und warf pikierende Blicke auf Kazuki. Dieser ignorierte es getrost. »Und jetzt?«, fragte Kazuki schüchtern. Er fühlte sich verloren. »Und jetzt bringst du dieses Patamon da zum digitieren«, antwortete Ikuto locker, als sei es das Normalste der Welt. »Digi … tieren?« Und schon wieder ein Wort, das der arme Kazuki nicht verstand. »Das ist das Vernünftigste, was ich heute gehört habe!«, jubelte Patamon und hüpfte aufgeregt auf und ab. »Was?« Chika riss erstaunt die Augen auf. »Das meinst du doch nicht im Ernst! Glaubst du etwa, dass dieses Patamon …?« Unausgesprochen hing ihre Frage in der Luft. Ikuto hatte den Rest des Satzes trotzdem verstanden. »Ja, genau das glaube ich. Dieses Patamon ist Kazukis Partner. Keine Ahnung wieso, aber anders kann ich es mir nicht erklären. Dein Bruder scheint mit seiner Rückkehr eine Menge Veränderungen mitgebracht zu haben.« »…« So langsam hatte Kazuki echt genug. Dauernd kam er sich als Außenseiter vor, wenn sich die beiden unterhielten. Am schlimmsten war aber, dass wirklich jeder hier Bescheid zu wissen schien. Jeder – außer er selbst. Dabei schien es doch um ihn zu gehen, wenn er Ikuto richtig verstanden hatte. Selbst dieses Patamon wusste mehr. Chika bemerkte Kazukis wirren Blick und legte ihm tröstend eine Hand auf seine Schulter. »Entschuldigung, du blickst überhaupt nicht mehr durch, oder?« »… Nicht wirklich«, antwortete Kazuki wahrheitsgetreu. Aber wenigstens wurde er verstanden. »Kannst du ihm nicht helfen, Ikuto?« Ikuto schloss die Augen und legte eine Hand ans Kinn. »Ich kann es versuchen, aber der eigentliche Held dieses Kapitels ist Kazuki.« Der Braunhaarige traute seinen Ohren nicht. Stimmte das, was er da gerade gehört hatte? Ikuto räumte freiwillig das Feld? Nun, in diesem Falle hier wusste Kazuki nicht, ob er weinen oder lachen sollte. Er schluckte. Doch als er in die entschlossenen Augen seines Klassenkameraden blickte, spürte er auch er ein klein wenig Zuversicht und das Wissen, dass er jetzt nicht kneifen konnte. Dass Ikuto gerade machtlos war. »Also schön, was muss ich machen?« Kazukis Stimme bebte ein wenig, aber das war ihm egal. Ikuto lächelte leise. »Sammle deine Energie und frag mich jetzt bloß nicht, welche! Du wirst wissen, welche, wenn du sie gesammelt hast. Konzentrier dich und dann, wenn du spürst, dass du soweit bist, rufst du Digisoul Charge und lädst mit deiner Energie dein Digivice auf. Verstanden?« Kazuki nickte. Von den Worten her hatte er verstanden, klar. Aber von der Praxis … Aber dafür blieb keine Zeit, denn plötzlich ging alles recht schnell. Stingmon hatte zum neuen Sturzflug angesetzt und brachte das kleine Grüppchen auseinander. Chika schrie auf und Patamon versuchte indes verzweifelt das größere Digimon mit seinen kleinen Luftschüssen zu bearbeiten. Und als Kazuki seine verletzten und erschöpften Freunde so sah, geschah es von ganz alleine. Ich will Chika beschützen, erklang es in seinen Gedanken und er spürte eine ihm unbekannte Kraft, von der er nicht wusste, dass sie überhaupt in ihm lebte. In seiner Faust leuchteten jetzt gelbe Pixel und er konzentrierte sich, so wie Ikuto es ihm gesagt hatte. Entschlossen atmete er tief durch und rief: »Digisoul Charge!« und das kleine Patamon zog neben ihm immer wirrerer und schnellere Kreise, bis es genauso gelb erstrahlte, wie Kazukis Hand. »Patamon digitiert zu … Angemon!« Kazuki musste eine Hand schützend vor seine Augen legen, damit er von Angemons Licht nicht geblendet wurde. Als das Licht wieder abnahm und er endlich wieder etwas erkennen konnte, hauchte er ein kleines »Wow«. Hatte er das geschafft? Nach einem kurzen Moment des Zögerns konnte er sich die Frage selbst beantworten. Ja, das hatte er, Patamon war mit seiner ureigenen Hilfe digitiert. »Ja, wow trifft es wohl ziemlich gut«, sagte Angemon hochmütig. Wie um seine neue Kraft zu testen schloss und öffnete es ein paarmal die Hand zur Faust. »Worauf wartet ihr noch? Greift es an!«, rief Ikuto von der anderen Seite herüber. In seinem Arm hatte er Chika, die beim letzten Hechtsprung umgeknickt war. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn, die Anstrengung war wohl doch etwas zu viel für sie und ihren angeknacksten Knöchel. Kazuki war erst etwas verängstigt – was war mit Chika? –, aber dann fing er sich wieder. Ikuto hatte recht; sie mussten etwas gegen dieses widerliche Stingmon unternehmen. Nur leider hatte er die Rechnung ohne seinen neuen Partner gemacht. »Angemon, bitte, greife dieses Digimon an!«, schrie er, doch keine Reaktion. Er war so im Eifer des Gefechts, dass er einen Moment brauchte, um zu registrieren, dass sein Partner nicht auf ihn hörte und stattdessen den Kopf und einen Finger schüttelte, als wolle es den Jungen tadeln. »Angemon …?« Endlich hatte sich Kazuki zu ihm umgedreht. Im Millisekundentakt schien er zu verstehen, dass Angemon nun nicht mehr auf ihn hörte. Nein, das stimmte nicht. Schon als Patamon hatte es gemacht, was es wollte. Höhnisch schien es den 15-jährigen unter seinem Helm heraus anzusehen. »Kazuki? Was …? Oh nein …« Ikuto verstand schneller als Kazuki, was hier abging und dabei war alles nun sehr schnell. Ein Glück, dass der junge Digikrieger so rasch war. »Was ist denn los?, fragte Chika noch im einen Moment, als sie im nächsten bereits von Ikuto etwas abseits der Fläche abgelegt wurde und dem davon sprintenden Jungen nur noch nachsehen konnte. Das darf nicht wahr sein, es gehorcht ihm nicht!, dachte Ikuto und biss die Zähne zusammen. Er musste schneller laufen. Es war fast wie früher, als er in der Digiwelt noch von Baum zu Baum und von Stein zu Stein sprang, so flink war er zwischen Stingmons Attacken hindurch geschlupft. Schließlich war das nicht mehr die eigentliche Gefahr. »Aber was …?« Der arme Kazuki verstand die Welt nicht mehr. Es dämmerte ihm nur spärlich, dass Angemon ihn nur für die Digitation benutzt hatte. »Warum tust du das? Du weißt genau, dass wir deine Hilfe brauchen!«, rief er verzweifelt. Angemon hingegen zuckte nur die Schultern. »Sieh es ein, du bist nur Mittel zum Zweck!« Kazuki biss sich auf die Lippen und schüttelte den Kopf, so dass sein Haar wild umher flog. »Nein, du lügst! Du hast mich doch vorhin sogar beschützt!« »Natürlich, bewusstlos hättest du die Digitation nicht bewirken können, oder?« Angemon bewunderte eitel seine langen Finger. »Nein«, stellte Kazuki betreten fest. Was hatte er sich nur dabei gedacht? Dass er als Held aus der Sache herausgehen würde? Wie töricht er doch war. Und nun musste er für diesen gravierenden Fehler bezahlen. Angemon lächelte ein grausames Lächeln. »Holy Rod!«, rief es aus und zielte mit seinem Stab direkt auf Kazuki. Dieser wendete sich schon beschämt ab, nicht die Kraft aufbringend beiseite zu hüpfen. Doch da kam der eigentliche Held – nein halt, es war nur Ikuto. In letzter Sekunde schaffte er es Kazukis Arm zu erwischen und purzelte mit ihm fünf Meter voraus. Keuchend kam er auf Kazuki zum Stehen. »Verdammt!«, zischte er und ballte die Fäuste neben Kazukis Kopf im Sand zu Fäusten. Wütend sprang er von Kazuki herunter und schaute ihn mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung an. »Wie konntest du das zulassen?« Wehleidig senkte der Blauäugige den Blick. »Was hätte ich denn machen sollen?«, nuschelte er kleinlaut. Er wusste es wirklich nicht. »Was weiß ich, jedenfalls nicht das!« Ikuto schloss kurz die Augen und atmete tief durch. Kazuki hatte ja recht. Anders als er selbst war dieser nie in der Digiwelt gewesen, hatte bis dato ja noch nicht einmal etwas von deren Existenz gewusst. Es war falsch dem Jungen dafür einen Vorwurf zu machen. »Tut mir leid, Mann.« »… Ist okay.« Aber gar nichts war in Ordnung, denn sogleich schossen Stingmon und Angemon gemeinsam auf die beiden Jungen zu. Angemon war einen Tick schneller als das Insekt. Es schien es auf Kazuki abgesehen zu haben. »Was willst du, geh weg!«, schrie er und hob schützend die Arme vor das Gesicht. In seiner linken Hand war noch immer das Digivice und genau dieses entwendete ihm Angemon jetzt. »Endlich! Damit ist die Macht für immer mein!«, rief es triumphierend aus und flog einfach davon. Mit offenem Mund sah Kazuki seinen Partner davonfliegen. »Hey!«, sprach ihn Ikuto an, doch Kazuki schien taub. Er zog ihn am Arm hinter sich her. »Uns muss echt was einfallen …« Nur was? Mehr als ducken und ausweichen stand nicht in seinem Repertoire. Wenn nur Masaru hier wäre … oder Falcomon … »Falcomooooon!«, rief er verzweifelt aus, nicht ahnend, dass ihm sein Wunsch so schnell erfüllt werden würde. »Ikuto! Da bist du ja endlich!« »Äh, was?« Zu perplex um sofort zu verstehen, brauchte Ikuto einen Moment, um seinen Partner, der da pfeilschnell angeflogen kam, zu erkennen. Doch es war wirklich Falcomon und ein großes Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Blauhaarigen aus. »Falcomon! Pass auf!« Kazuki bekam das alles nur am Rande mit. Hatte jetzt jeder so ein Vieh? Nun, er wohl nicht mehr, denn er hatte versagt. »Fuujin no Jutsu!«, verteidigte sich der kleine Ninjavogel geschickt und landete elegant neben Ikuto. Sofort fielen sich die beiden um den Hals. »Oh, Ikuto, ich habe dich so vermisst!« »Und ich dich erst!« »Es tut mir so leid, ich habe eine Weile gebraucht, um dich zu finden. Ich hätte mich nicht von Masaru und Agumon trennen sollen, als wir hier ankamen. Nur, ich wollte so schnell zu dir … Da hatte ich mich ganz vergessen.« »Tut mir leid, wir waren in den letzten Jahren umgezogen, das konntest du natürlich nicht wissen. Falcomon, wir brauchen deine Hilfe gegen den da. Bist du bereit?« Das Vogeldigimon nahm eine aufrechte Haltung ein. »Bereit wie seit Jahren nicht mehr!« »Digisoul Charge!«, rief Ikuto aus und Falcomon digitierte blitzschnell zu Peckmon. »Oh, wie habe ich das vermisst!« Ikuto lächelte so breit, wie seit Ewigkeiten nicht mehr. Dies fiel Chika sofort auf, als sie neben ihn gehumpelt war. Auch fiel ihr Kazukis gekränkte Haltung ein und sie fasste ihn aufmunternd an der Hand. »Es wird schon wieder gut werden«, tröstete sie ihn sanft, doch er schüttelte nur den Kopf. Gar nichts war gut. Sein Partner war mit dem Digivice abgehauen und Ikuto stahl ihm die Show. Wie lange hatte er das durchgehalten? Keine halbe Stunde und er war schon wieder ohne Partner. Ob das ein Rekord war? »Mach es jetzt fertig, Peckmon!« »Spiral Claw!« Mit dieser einzelnen schnellen Attacke erledigte es das Stingmon, das sich daraufhin in ein Digitama zurückverwandelte. Ikuto fing es auf und Peckmon digitierte zurück. »Geschafft!« »Kazuki …« Wehleidig sah Chika ihren Freund an und umklammerte ihre Brust. Hilflos warf sie einen Blick zu Ikuto. Dieser legte nun Kazuki eine Hand auf die Schultern. »Mach dir keinen Kopf, wir finden Angemon schon. Es brauchst dich, allein kann es gar nicht digitieren, da kann es das Digivice zehnmal klauen. Es wird bald keine Energie mehr haben und zurückdigitieren und dann wird es schon angekrochen kommen.« Das war nicht unbedingt das, was Kazuki hören wollte, aber er nickte. »Ja, vielleicht hast du recht.« Er schaute schüchtern zu Falcomon, das auch einen fragenden Blick auf ihn geworfen hatte. Dann jedoch guckte es zu dem Mädchen. »Du bist Chika, oder? Ich hätte dich fast nicht wieder erkannt.« Chika lächelte liebevoll. »Geht’s dir gut? Wie geht es Piyomon?« Falcomon schüttelte den Kopf. »Ich habe es länger nicht mehr gesehen, tut mir leid.« »Macht nichts. Ich weiß einfach, dass es ihm gut gehen muss.« »Leute, lasst uns gehen. Das mit der Schule hat sich für heute wohl erledigt und ich finde, wir sollten Kazuki ein bisschen was erzählen.« Einerseits wollte er zwar nichts hören, doch andererseits freute er sich auch, denn er hatte das Gefühl, dass er nach diesem Gespräch kein Außenseiter mehr war. Und noch etwas spürte er; irgendetwas zwischen ihm und Ikuto hatte sich verändert. Aber was genau, konnte er nicht beschreiben. Auch nicht, ob es gut oder schlecht war. »Dann lasst uns doch zu mir gehen, Masaru und Agu-chan werden sich freuen!« »Gute Idee«, stimmte Ikuto ein und die Vier liefen los. Als sie bei den Daimons ankamen, hörten sie schon Schreie bis nach draußen und Chika seufzte. »Bitte sag mir nicht, dass die sich wieder streiten.« Ikuto grinste. »Das wird bestimmt lustig.« Wehleidig öffnete Chika die Tür, nur um fast in ihren Bruder und dessen Partner hineinzufliegen. Masaru war beim Friseur gewesen, dass sah das Mädchen sofort. Der Bart war ab und seine Haare waren wild, doch sie sahen keineswegs ungepflegt aus. Eher wie eine coole Rockermähne. Er sah richtig gut aus. Masaru diskutierte gerade mit Agumon. »Du musst es aber verschlampt haben! Too-san wird sauer, wenn er nach Hause kommt und das Digivice weg ist. Er hat die ganze Nacht drangesessen … Gib doch endlich zu, dass du es verlegt hast!« »Ich hab gar nichts gemacht!« Wütend beugte sich Masaru vor. Er hatte immer noch nicht die Zuschauer bemerkt. »Ach ja? Und du willst es wohl auch nicht gewesen sein, der mir heute Morgen meine Portion Rührei weg gemampft hat, ja?« »Ähm, Nii-chan?« Chika, feuerrot im Gesicht, wedelte mit einer Hand vor dem Gesicht ihres Bruders. »Was denn?«, motzte er, bis ihm plötzlich der Besuch auffiel. »Oh – hallo!« Kazuki erwachte etwas aus seiner Lethargie und betrachtete Masaru. So ähnlich er Chika auch sah, genauso unterschiedlich waren die beiden. War das bei ihm und seinem Bruder auch so? Dann sah er Agumon und sofort wurde sein Blick wieder betrübter. Wirklich jeder hatte so ein Digimon. Was er doch zuvor in seinem Leben verpasst hatte! Als Masaru Kazuki sah, stellte er sich sofort schützend vor Agumon. So als könne er so dessen Anblick verbergen. Agumon hingegen tat so, als verdecke es seine Blöße. Chika winkte ab. »Keine Sorge, der gehört jetzt zu uns.« »Ach ja?«, fraget Masaru und erkannte erst jetzt den anderen Jungen. »Mensch, Ikuto, bist du das?« »Hallo, Masaru!« Freundschaftlich klopften sie sich auf die Schulter. Kazuki kam sich wieder ausgestoßen vor, doch es sollte nicht lange dauern. Masaru war eben offen. Als er den Jungen sah, lief er zu ihm hin, beäugte ihn skeptisch und hob dann sein Kinn an, so dass Kazuki gezwungen war, ihm in die Augen zu sehen. Nach einem finsteren Blick, der Kazuki schlucken ließ, setzte Masaru ein strahlendes Lächeln auf. »Hi, ich bin Masaru!« »Ähm, Ka-kazuki …« »Ka-kazuki? Das ist aber ein komischer Name«, sagte Agumon mit schief geneigtem Kopf. Falcomon fing hinter hervor gehaltenem Flügel zu lachen an. »Ihr kommt genau richtig. Ich habe – ich meine, Agumon hat Too-sans neues Digivice verloren.« »Neues Digivice?«, fragte Chika. Masaru nickte. »Ja, wegen der neuen DATS … Nicht so wichtig. Es ist schwarz-gelb und lag hier auf dem Tisch. Er hat die ganze Nacht daran gesessen! Aber jetzt ist es weg und ich finde es nicht mehr.« Kazuki wurde sofort hellhörig. Ikuto ebenfalls. »Dann habe ich schlechte Neuigkeiten für dich. Wir haben es gefunden …«, sagte Ikuto. »Was ehrlich?«, fragten Masaru und Agumon wie aus einem Munde. »… und wieder verloren«, fügte Kazuki geknickt hinzu. Kapitel 13: Und die Nase läuft! ------------------------------- >>Oh … Diese Schmerzen!«, stöhnte Rikyu und wälzte sich dabei angestrengt von links nach rechts in seinem Bett. »Stell dich nicht so an, Onii-chan. Es ist nur eine Erkältung«, sagte Kazuki, der seinen Kopf in das Zimmer seines Bruders gesteckt hatte. Rikyu hob den Kopf, damit sein Bruder auch ja wahrnahm, wie er die Backen aufblies. »Nicht so anstellen? Ich bin hier schwer am Leiden und du wirst mich gleich alleine lassen! Ein schöner Bruder bist du! Und überhaupt … Wer zieht denn seit Tagen hier ein Gesicht?« Er hievte sich hoch und kniff seinem kleinen Bruder in die Wange. Kazuki war seit Angemons Verschwinden immer noch sehr geknickt. Da halfen auch nicht all die Geschichten von Masaru, Ikuto und den Digimon. Obwohl es schon unheimlich spannend gewesen war. Und Kazuki stellte fest, dass Masaru echt unheimlich nett war. Er mochte ihn gern und wollte auch mal so cool werden. Chikas und Masarus Eltern waren ebenfalls sehr lieb und als Daimon Suguru von dem verschwundenen Digivice erfuhr, war er nicht wütend oder dergleichen. Ganz im Gegenteil – er fand das Ganze spannend und hörte aufgeregt zu. Masaru wollte Kazuki mit zur neugegründeten DATS mitnehmen, doch dies war dem Jungen zu viel. Er fürchtete sich davor, was die Fremden von ihm denken konnten und so vermied er diesen Ort. Wenn er gewusst hätte, dass er dort auf Rina und Touma getroffen hätte, lautete seine Entscheidung bestimmt anders. Jedenfalls versprach er seinen neuen Freunden keinem etwas von den Digimon zu erzählen, schon gar nicht seinem Bruder, und das sollte ihm nur recht sein. Und dennoch spürte Rikyu, dass mit seinem kleinen Bruder etwas nicht stimmte. »Ich dachte eigentlich, dass wir uns alles sagen können«, meinte Rikyu mit einem schiefen Lächeln. Er war etwas geknickt, dass seit neuestem alle Geheimnisse vor ihm hatten, aber er versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Ja, er war doch ganz anders als sein Bruder und zumindest emotional etwas stärker. Kazuki riss sich pampig von seinem Bruder los und kaute auf der Unterlippe. Rikyu beobachtete ihn genau und wusste, dass der Kleine etwas vor ihm verbarg. Was soll’s, dachte er. Zwingen würde er ihn nicht. Dass Kazuki mit allem zu ihm kommen konnte, hatte er ihm oft genug vermittelt. Und wenn dem nicht so war … auch gut. Schließlich war der Junge langsam alt genug. »Es …«, begann Kazuki, doch er schüttelte sofort den Kopf und brach ab. »Ich kann nicht drüber reden, sorry.« Rikyu zuckte teilnahmslos mit den Schultern. »Von mir aus«, meinte er, zog die Nase hoch und hustete kurz. Diese vermaledeite Erkältung. »Sag mir wenigstens, wo du schon wieder hinwillst.« »Ich treffe mich wieder mit Chika-chan und Ikuto.« »Schon wieder? Du solltest dich mal alleine mit dem Mädchen treffen und die Sache dingfest machen«, sagte Rikyu. Ein kühles Lächeln umspielte seine schmalen Lippen und er verschränkte seine Arme hinter dem Kopf, damit er sich auf ihnen niederlassen konnte. Kazuki und Mädchen! Das würde niemals etwas werden, wenn der Junge so weitermachte! Rikyus Worte verfehlten ihre Wirkung nicht und er wurde sofort rot an den Wangen. »Du bist echt blöd, weißt du das! Du weißt doch gar nicht, worum es geht!« Dann lief er schleunigst aus dem Zimmer und knallte Rikyus Tür zu. Der kranke Schwarzhaarige seufzte. »Mimose.« Wieder musste er husten und er wälzte sich hin und her. Das war doch zum Verrücktwerden! Er wusste, dass er ruhig liegen bleiben sollte. Als das Fieber die Nacht zuvor ausbrach, versuchten er und Kazuki alles, damit es wieder zurückging. Aber es wurde immer schlimmer. Es ging sogar soweit, dass Kazuki schon einen Krankenwagen hatte rufen wollen, doch Rikyu hielt ihn davon ab. Stattdessen holte Kazuki dann Rina, die sich etwas um den kranken Nachbarn kümmerte. Tatsächlich ging es dem 19-jährigen darauf etwas besser, bis er sich zwei Stunden später nur noch erbrach. Wieder stand das Krankenhaus zur Debatte, aber Rikyu, fast vorm Heulkrampf, hielt die beiden davon ab. Rina holte Touma, der ja Medizin studiert hatte, und damit konnte Rikyu dann leben. Touma gab dem Patienten ein fiebersenkendes Mittel, das bis jetzt funktionierte. Nur die Erkältung selbst konnte der junge Halbösterreicher natürlich nicht wegzaubern. Rina und Kazuki bedankten sich herzlichst bei Touma, während Rikyu so getan hatte, als wäre er eingeschlafen. Touma hatte abgewinkt, dass das doch selbstverständlich sei und verabschiedete sich wieder, da er nächsten Tags früh raus müsse. Für Rikyu hätte er immer noch zur Hölle fahren können. Da fragte sich doch, wer in der Familie eigentlich die Mimose war. Okay, das reichte. Liegen war Rikyu jetzt definitiv zu langweilig. Also setzte er sich auf, nur um kurz darauf wieder schwankend in sein Kissen zu fallen. Einen Moment blieb er liegen, bis er es erneut versuchte. Diesmal schaffte er es tatsächlich nicht umzukippen, aber ganz klar im Kopf kam er sich trotzdem nicht vor. Dann war ihm plötzlich eiskalt und er schlang seine Decke wie ein Cape um seine Schultern. In seine blauen Hausschuhe geschlüpft (»wie unmännlich«, hatte er protestiert, als Rina sie ihm gekauft hatte, doch er trug sie dennoch) verließ er sein Zimmer, nur um daraufhin fast von seinem Bruder umgenietet zu werden. »Vorsicht, ich bin schwach und krank!« Er hustete nochmal demonstrativ aufgesetzt, bis er wirklich husten musste. Kazuki hingegen zog sich schon die Schuhe an. »Und vergiss nicht alt.« »Ich geb dir gleich alt«, keuchte Rikyu und ließ sich in seinen schwarzen Ledersessel fallen. Er beobachtete seinen Bruder, wie er sich fertig machte. »Wann kommst du wieder?« »Weiß ich nicht.« »… Danke für die Auskunft.« Rikyu stützte seinen Kopf in eine Hand. Kurz vergas er im Selbstmitleid zu versinken und fand es ganz schrecklich, dass sein Bruder aus welchem Grund auch immer so litt. »Zieh dir was Warmes über«, neckte er den Jüngeren. »… Sehr witzig.« Kazuki sah auf. Sein großer Bruder sah wirklich sehr fahl und blass aus. Seine Wangen schienen ganz eingefallen zu sein. Er zögerte einen Augenblick. Konnte er ihn wirklich alleine lassen? Was war, wenn er umkippte? Ach was, der simulierte doch größtenteils. »Bin bald wieder da«, sagte er, schnappte sich seine Jacke und ging. »Und er lässt mich allein … Tja, ich hab wohl sturmfrei.« Für ein paar Minuten regte er sich nicht auf seinem Sessel, dann jedoch drehte er diesen in Richtung Balkon, stand auf, öffnete die Tür, damit die frische Luft hereinkommen konnte und schlurfte zurück in seinen Sessel. Als nächstes schnappte er sich seine Gitarre, die neben ihm an der Wand lehnte und spielte ein paar Takte. Aber so ganz zufrieden stellte ihn das auch nicht. »Mann, das macht keinen Spaß, wenn sich keiner daran stört.« Tatsächlich spielte er am liebsten mit Verstärker, wenn Kazuki da war oder die Nachbarn wieder auf dem Balkon herumturtelten. Dann schlug er immer mit Gitarrenklängen zurück. Lustlos sah er aus dem Fenster. Fast wäre er daraufhin aus seinem Sessel gefallen, denn da klebte ein riesiger marienkäferähnlicher Käfer am Fenster, dessen große grüne Augen auf Rikyu ruhten. Cool starrte Rikyu zurück, klemmte sich eine Strähne hinters Ohr und sagte: »Wow, entweder sind die Insekten dieses Jahr besonders groß oder ich leide wohl an Fieberwahn.« Dann schwirrte der Käfer davon. Bevor er wieder kommen konnte, schloss Rikyu rasch die Balkontür und beschloss, Rina einen Besuch abzustatten. Müde ging er die Stufen zu ihr nach oben und setzte auf dem Weg dorthin ein besonders gequältes Gesicht auf. Bestimmt würde die süße Rina Mitleid mit ihm haben und sich den ganzen Tag liebevoll um ihn kümmern. »Nur hoffentlich kocht sie mir nichts.« Oben angelangt, klopfte er sofort wie ein besessener, nur um dann einen schwächelnden Blick aufzusetzen, als Rina endlich öffnete. »Gute Güte, Rikyu-kun, bist du des Wahnsinns?« »Wenn sich Wahnsinn so anfühlt, dann ja«, antwortete der Schwarzhaarige und lehnte sich sehr ungalant an ihrem Türrahmen an. Fast hätte er danebengegriffen. Ein Lächeln breitete sich daraufhin auf Rinas Lippen aus. »Du solltest das Bett hüten, wenn du so schwach bist. Das hat übrigens auch Touma gesagt.« Augenblicklich verzog der junge Mann das Gesicht. »Der kann mich mal. Wer weiß, was der mir gegeben hat, vielleicht bin ich jetzt verseucht!« Rina verrollte die Augen. »Du bist ein Spinner.« »Mag sein, Rina-chan, aber nur, weil sich keiner um mich kümmert! Ich bin im Fieberwahn.« »… Dann leg dich ins Bett. Ich habe keine Zeit mich um dich zu kümmern. Ich muss gleich rüber zu den Noguchis und auf Yuka aufpassen.« »Soll das heißen, du ziehst mir kleine Mädchen vor?« Die Brünette seufzte tief. Dann legte sie ihre zierliche Hand auf Rikyus Stirn. »Du hast kein Fieber mehr. Ruh dich aus, trinke Tee. Du wirst sehen, morgen sieht die Welt schon ganz anders aus.« Sie kam sich vor, als spreche sie mit einem kleinen Kind. Nun ja, genau genommen war das der große Rikyu ja auch. Ein kleines Kind im Körper eines jungen Mannes. »Kannst du dich nicht wenigstens ein bisschen zu mir ans Bett setzten? Mir ist so langweilig.« »Ich habe dir doch gesagt, dass ich verhindert bin. Was ist denn mit Kazuki?« »Der ist auch weg und lässt mich sterben.« »…« Rina legte eine Hand an ihr Kinn. »Ich finde, er sieht sehr betrübt aus in letzter Zeit.« »Ja, das ist mir auch schon aufgefallen. Aber er redet nicht mit mir darüber. Ich wollte dich deswegen auch fragen, ob du nicht mal mit ihm reden kannst. So von Frau zu Mimo- zu Kazuki.« »… Also schön. Wenn ich nachher wiederkomme, werde ich mal nach dir sehen. Und wenn Kazuki bis dahin wieder Zuhause ist, spreche ich auch mit ihm. Einverstanden?« »Nein.« »Etwas anderes wirst du nicht erreichen. Einen schönen Tag noch, Rikyu-kun. Gute Besserung.« Und damit hatte sie ihm die Tür vor der Nase zugeknallt. »Wie kann sie nur so herzlos sein?«, rief er lauthals und putzte sich die Nase. Als er wieder unten angekommen war, entschied er ein Erkältungsbad zu nehmen. Während er das Wasser einließ, verlangte es ihn wieder nach frischer Luft, also lief er zu dem Balkon. Lustigerweise hing da schon wieder dieser Marienkäfer, alle Viere von sich gestreckt klebte er an der Scheibe. Rikyu schnaubte und öffnete die Tür. »Kusch, weg mit dir. Rina sagt, ich habe kein Fieber, also verzieh dich.« »Rina? Ich kenne auch eine Rina«, antwortete der Käfer. Rikyus Augen wurden groß. »Sag mal, warst du das grad oder bin ich jetzt ganz Banane?« »Jawohl, ich war das, wie ich leib und lebe!«, sagte der Käfer und löste sich von der Scheibe. »Tentomon mein Name!« Der 19-jährige hatte sich wieder gefasst und zog sein Deckencape enger um seine Schultern. Es fröstelte ihn. »Ich hoffe für dich, du hast keine Fettflecken hinterlassen.« Tentomon neigte den Kopf schief. »Was sind Fettflecken?« Rikyu stöhnte genervt. »Hast du auch einen Namen?« »Kusanagi Rikyu.« »Freut mich, dich kennenzulernen, Kusanagi Rikyu!«, quiekte Tentomon fröhlich und trat einen Schritt näher. Rikyu beäugte das Käfergetüm noch einen Moment, ehe ihm einfiel, dass er sich ja Badewasser eingelassen hatte. »Oh Mist!« hastig flitzte er ins Bad und drehte den Wasserhahn ab. Die Wanne war leider ein wenig übergelaufen. »Och nein, ausgerechnet heute! Ich hab echt keinen Nerv fürs Aufwischen!« Währenddessen war Tentomon an seiner Seite erschienen. »Gibt es ein Problem, Kusanagi Rikyu?« »Du bist mein Problem, wenn du so weitermachst!« Angestrengt bückte sich Rikyu und begann den nassen Boden mit einem Handtuch trocken zu reiben. »Das sieht lustig aus, kann ich dir helfen?« »… Es ist nicht lustig. Ich bin krank und das ist echt anstrengend.« »Oh, okay. Das wusste ich nicht.« »Also echt. Das sieht man doch. Ich bin doch ganz blass und verrotzt.« Tentomon zuckte die schmalen Schultern. »Ich dachte, du siehst immer so aus, Kusanagi Rikyu.« Der junge Mann klatschte sich eine Hand ins Gesicht. Dann atmete er tief durch. »Einfach Rikyu tut es auch.« »Aber du hast doch gesagt, dass -« »Ja, ich weiß, aber sag bitte einfach nur Rikyu. Wenn ich noch einmal meinen Nachnamen hör, vergess ich mich.« »Das wäre aber nicht schön. Wo ich dir doch sagen würde, wie du hießest.« Ungläubig starrte der 19-jährige auf das Käferdigimon. Meinte der das ernst? Was war das denn für ein Scherzbold? »Hör zu, dafür, dass ich mich dich zusammenspinn, gehst du mir ganz schön auf den Keks.« »Oh, toll. Kann ich auch ein paar Kekse haben? Am liebsten die von Rina!« Rikyu zuckte. Aber natürlich. Wenn er sich das Vieh ausgedacht hatte, kannte es auch Rina. Und hatte es nicht auch vorhin bereits sowas erwähnt? »Nein, du kannst keinen Keks haben«, meinte Rikyu ruhig und wrang das nasse Handtuch über dem Waschbecken aus. »Na gut. Sag, wenn du krank bist, warum kümmert sich dann keiner um dich?« »Weil alle beschäftigt sind.« »Darf ich mich um dich kümmern?« »Nein.« »Warum nicht?« »Weil ich dich nicht leiden kann.« »Okay.« Aber selbst mit diesen Worten löste sich dieses Tentomon nicht in Luft auf. Rikyu gab es auf. »Also ich für meinen Teil gehe jetzt baden.« Dann zog er sich aus und stieg rasch ins heiße Wasser. Er zuckte kurz, als die wohltuende Wärme seine Haut berührte. »Oh, darf ich auch mit rein?«, fragte Tentomon. »Seh ich etwa so aus?«, antwortete der Schwarzhaarige geistesabwesend. Dummerweise verstand das naive Tentomon das als Einladung und sprang zu Rikyu in die Wanne. Binnen Sekunden waren die Wände mit heißem Badewasser und Schaum überzogen. »Sag mal, geht’s noch?!« »Aber du hast doch gesagt ...?« Tentomon war wieder aufgetaucht und trug eine weiße Schaumkrone auf dem Kopf. Treudoof und etwas verstört sah es Rikyu mit seinen riesigen grünen Augen an. Stöhnend ergab er sich und winkte müde ab. »Schon gut, schon gut, hast ja recht. Alles mein Fehler.« Erschöpft lehnte er sich zurück und hustete hinter hervorgehaltener Hand. »Soll ich dir den Rücken schrubben?« »Tu, was du nicht lassen kannst«, erwiderte Rikyu mit geschlossenen Augen. Tentomon war einfach sehr glücklich, dass es nicht sofort von dem Jungen verscheucht wurde, wie es das sonst gewohnt war. Zu oft waren andere Digimon von ihm genervt, so wie auch jüngstens sein Kamerad Impmon, und schickten es fort. Dass Rikyu ihn eigentlich auch fortgeschickt hatte, nahm es nicht ganz wahr und freute sich, dass es sich nützlich machen konnte. Schwirrend flog es hinüber und zwängte sich hinter Rikyu. »Du musst schon ein Stück hervorrutschen, wenn ich dir den Rückenschrubben soll!« Wieder stöhnte er und ergab sich seinem Schicksal. Er drückte Tentomon eine Bürste in die Hand. »Hier, versuch‘s mal damit!« »Okey-dokey.« Überraschenderweise fühlte sich das gar nicht mal so verkehrt an und der 19-jährige schaltete sogar einen Moment ab. Als Tentomon seiner Meinung nach genug geschrubbt hatte, flog es an seinen alten Platz Rikyu gegenüber zurück. Er hingegen lehnte sich wieder an. »Danke.« »Keine Ursache, Freund.« »Du kannst nicht zufällig auch kochen?« »Koch … en?« So wie Tentomon bei diesem Wort schaute, wohl eher nicht. »Ach, vergiss es. Wäre auch zu schön gewesen. Dann mach ich eben selber was.« »Darf ich dir helfen?« »Von mir aus, Nintendomon.« »Tentomon.« »Sag ich ja.« Gemächlich erhob sich Rikyu wieder und wickelte sich in einem schwarzen Bademantel ein. Tatsächlich ging es ihm nach dem Erkältungsbad ein wenig besser. Er ging in die Küche, dicht gefolgt von Tentomon. »Willst du mitessen?« »Oh ja!« »… Dacht ich es mir doch.« Er lehnte sich hinunter zum kleinen Kühlschrank und haute ein paar Eier in die Pfanne. »Was bist du eigentlich?« »Ein Digimon. Und du?« »Der heilige Geist … Was ist ein Digimon?«, fragte er abwesend, als er die Eier in der Pfanne verrührte. »Ich weiß nicht. Einer wie ich eben.« »Oh, ja sicher.« Rikyu kam sich anfangs dämlich vor, dass er mit einem Produkt seiner Phantasie sprach, doch mittlerweile hatte er sogar ein wenig Spaß daran und er war froh, die Einsamkeit nicht mehr so arg zu spüren. Als das Essen fertig war, gingen beide ins Wohnzimmer. Rikyu trug die beiden Teller mit Rührei, während Tentomon eine Flasche Cola und zwei Gläser balancierte und auf den Tisch abstellte. »Also dann … itadakimasu!«, sagte Rikyu, klatschte in die Hände und begann zu essen. Nur sehr spärlich, aber immerhin. Er war doch ganz schön platt nach all dem Tag. »Ähm ja, akimasu!«, versuchte Tentomon zu wiederholen und aß. »Wow, das schmeckt ja toll! Du bist ja ein richtiger Meisterkoch!« Rikyu grinste schief und antwortete mit vollem Mund: »Ich weiß.« »Du, Rikyu, kann ich für immer bei dir bleiben?« »… Von mir aus. Aber nerv nicht.« »Ganz bestimmt nicht!«, freute dich Tentomon. Auf einmal begann es neben Rikyus Kopf rot zu leuchten und er wäre fast verschluckt. »Scheiße, was ist das denn?«, fragte er verwirrt und lehnte sich von der Leuchtkugel weg. Tentomon hob neugierig den Kopf. »Ich glaube, da ist etwas drinnen.« »Ach ja?« Todesmutig griff er also hinein und holte etwas schwarz-rotes heraus. »Was ist das denn? Ein Tamagotchi oder was?!« »Keine Ahnung, aber es sieht lustig aus.« Rikyu zuckte mit den Schultern, warf das Digivice hinter sich, so dass es in den Weiten des Wohnzimmers zwischen Zeitschriften und Unaufgeräumtheiten verschwand und begann wieder zu essen. Er schaffte kaum den halben Teller, da lehnte er sich schon satt zurück. »Hm, wenn du nicht mehr magst, kann ich dann den Rest haben?« »Klar, bedien dich«, gab sich Rikyu großzügig. Wäre er gesund gewesen, wäre keiner lebend an sein Essen herangekommen. Aber so hätte er es ja ohnehin nur weggeworfen. Plötzlich ging die Tür auf. »Ich bin wieder da, Onii-chan. Hab mir doch Sorgen um dich gema -« Die Worte blieben Kazuki im Hals stecken, als er seinen Bruder mit Tentomon auf der Couch sitzen sah. »Hey, hallo«, grüßte Tentomon freundlich. Rikyu tat beleidigt und wandte den Blick ab. »Ach, der feine Herr hat sich Sorgen gemacht, ja?« Kazuki schüttelte zunächst nur verwirrt den Kopf. »Er ist nicht sehr gesprächig«, stellte Tentomon nüchtern fest. »Verdammt, Rikyu, warum sitzt da ein Digimon neben dir auf der Couch?«, fragte Kazuki, als er seine Sprache wiedergefunden hatte. Rikyu legte die Hand auf Tentomons Kopf. »Na, wenigstens der hier hat sich um mich gesor – Moment mal.« Mit einem Schlag saß Rikyu kerzengerade auf. »Heißt das, du kannst den hier«, er drückte Tentomons Kopf, »etwa auch sehen? Ich dachte, er sei Teil meines Fieberwahns!« Kazuki nickte nur stumm und konnte erkennen, wie bruchstückhaft sie Fassung seines großes Bruders flöten ging. »Oh, scheiße!« »Was ist denn nun kaputt, Freund Rikyu?« Rikyu sprang auf die Couch, wie eine alte Frau, die eine Maus gesehen hatte, und stammelte mit Zeigefinger deutend auf Tentomon. »D-d-du hast mich nackt gesehen!« Kazuki seufzte, ob dies die einzige Sorge seines Bruders war. Kapitel 14: Ein neues Problem ----------------------------- >>Aha, also das war das Geheimnis deiner Trübsal«, sagte Rikyu, während er sich zurücklehnte und einen Schluck Cola nahm. Kazuki nickte gemächlich und schaute betrübt zu Boden. Auch Rikyu nickte, setzte ab und meinte letztendlich: »Oh Mann und ich dachte, es wäre etwas dramatischeres.« »Onii-chan!« Kazuki sprang empört auf. Warum nur musste sein großer Bruder immer so gemein sein? Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern. »Hey, hab halt gedacht, es hat was mit der kleinen Chika zu tun. Aber eigentlich hätte ich es mir ja denken können, dass es bei dir nicht wirklich um ein Mädchen gehen kann.« Tentomon neigte den Kopf schräg. Während Kazukis ganzen Ausführungen über Digimon und seinen letzten Tagen und jüngsten Erlebnissen mit Chika, Ikuto und letztendlich Patamon, hatte es die meiste Zeit still und brav neben Rikyu auf dem Sofa verbracht. Der 19-jährige hatte dem gesprächigen Digimon nämlich den Mund verboten, wenn es nicht unbedingt sein musste. Rikyu war ganz schön böse, dass Tentomon nun doch nicht ein Produkt seiner Fantasie war, obwohl das arme Käferdigimon ja gar nichts dafür konnte. Wie auch immer … Letztendlich hielt es Tentomon nicht mehr aus und fragte eine seiner brennenden Fragen. »Rikyu, was sind Mädchen?« »Sowas wie Kazuki nur mit Brü -!« »Rikyu!«, fuhr der jüngere Bruder dazwischen. Tentomons Augen begannen zu leuchten. »Das verstehe ich nicht.« Kazuki seufzte. »Bring ihm keinen Unsinn bei … Du weißt ja gar nicht, wie gut du es hast, dass es so brav ist.« »Brav?« Rikyu schnaubte. »Ein hinterhältiger Spanner ist das. Willst du ihn haben?« Der Braunhaarige streckte dem Älteren die Zunge heraus und beachtete ihn daraufhin nicht mehr. »Hey, Tentomon, du kennst nicht zufällig, jenes Patamon … oder Angemon …, von dem ich berichtet habe, oder?« »Das weiß ich nicht, es gibt einfach zu viele von denen.« »Ja, das dachte ich mir, trotzdem danke.« Er versuchte ein kleines Lächeln zustande zu bringen, doch es wollte nicht so recht gelingen und stattdessen kam eine verzogene Grimasse heraus. »Frag es doch gleich nach der Nadel im Heuhaufen«, zeterte Rikyu. Als sein kleiner Bruder ihn daraufhin giftversprühend ansah, hob er die Hände grinsend zum Schutz und drehte sich weg, ehe ein neuer Hustenanfall über ihn kam. Kazuki runzelte die Stirn. »Du hörst dich wieder schlechter an. Vielleicht solltest du dich mal hinlegen.« »Ja, vielleicht …« Tentomon hüpfte vergnügt auf und ab, bis es sich dann doch dazu entschied in der Luft zu schwirren, und zwar direkt vor der blassen Nase seines neuen Partners. »Hey, hey, kann ich mitkommen? Wir beide sind doch jetzt ein Team für immer und immer und ewig!« Der schwarzhaarige Rikyu konnte nicht umhin, dass seine linke Augenbraue plötzlich heftig zu zucken anfing. »Sag das nicht, wir sind gar nichts, verstanden?!« »Aber du hast doch selbst gesagt, dass ich für immer bei dir bleiben kann.« Tentomons große grüne Augen blinkten verwirrt auf. Der junge Erwachsene stöhnte auf. »Ich weiß, was ich gesagt habe, aber … das war bevor … ach, zum Teufel, ich nehme meine Entscheidung eben zurück.« »Bist du sicher? Ich kann Eins A Schlaflieder summen!« »Danke, kein Bedarf.« »Und äh … und Rückenschruppen!« »…« Rikyus Blick fiel auf seinen Bruder. »Hey, Nii-chan, du suchst doch ein Digimon«, er schnappte Tentomon im Nacken wie ein junger Kätzchen und hielt es vor den Jüngeren, »da hast du!« Natürlich wusste er, dass sein Bruder es eigentlich gut gemeint hatte. Irgendwo da drin, ganz tief verborgen, war auch die fürsorgliche Seite seines Bruders, die er in jüngeren Jahren so sehr verehrt hatte. Aber Kazuki konnte dennoch nicht umhin, auf Rikyu wütend zu sein. Verdammt, was wollte er? Er hatte einen netten neuen Freund gefunden, der ihn nicht bestahl und immer treu zur Seite stehen wollte und er schickte ihn fort. War das denn gerecht? Auch wenn er Tentomon als nett empfand (aber etwas zu gesprächig), wollte er dennoch Patamon wiedersehen. Mittlerweile war er sich sicher, dass es seine eigene Schuld gewesen sein musste, dass Patamon mit diesem Digivice durchgebrannt war. War es nicht immer so gewesen? Es war immer seine Schuld; die Schuld von Kazuki. »Du bist echt blöd, weißt du das? Und der schlimmste Bruder aller Zeiten obendrein!« Der 15-jährige spürte plötzlich einen schieren Zorn auf den Älteren, aber er konnte noch nicht einmal sagen warum. Rikyu hatte ihm doch eigentlich gar nichts getan. Tief in seinem Inneren wusste er das auch, aber er konnte seine Gefühle trotz allem nicht kontrollieren. »Hey, mal ganz cool, Knirps, ja? Fragt sich wohl, wer hier ein erhitztes Gemüt hat.« Kazuki schnalzte mit der Zunge. »Du bist so undankbar! Manchmal wünschte ich echt, die Erde würde sich auftun und dich verschlingen!« »Ich wünsch mir auch so einiges und krieg es nicht, Pech gehabt, Klein- « Zu Ende bringen konnte er seinen Satz nicht, denn auf einmal begann das Wohnzimmer zu schwanken. Hastig klammerte er sich an die Lehne seines Sofas. »Nanu, was ist denn jetzt kaputt? Beginne ich wieder zu fiebern oder spürt ihr das auch?« Für einen kurzen Augenblick war der arme Kazuki so perplex, dass er dachte, seine barschen Worte hätten das Erdbeben bewirkt. Doch schnell besann er sich wieder eines Besseren. »Du fieberst nicht, ich merk’s auch.« Seine Stimme zitterte ein wenig. »Da hast du’s! Du und deine komischen Wünsche. Aber na ja, wird bestimmt gleich aufhören. Erdbeben sind für Japan schließlich nichts Weltfremdes.« »Das glaube ich nicht, seht nur!«, fiepte Tentomon und zeigte in Richtung des Balkons der Kusanagis. Es schien beunruhigt und als die beiden Geschwister in besagte Richtung blickten, erkannten sie auch warum. Dort draußen schwebte eine ziemlich hässliche Fledermaus mit einem Totenkopf auf der Stirn. »Ihh, was ist das denn?! Kusch, mach, dass du wegkommst!«, blökte Rikyu und schwang seine Faust. Jedoch musste er sich rasch wieder festhalten, weil er sonst gestolpert wäre. »Das ist Pico Devimon, du solltest es besser nicht reizen«, meinte Tentomon, während es neben seinem Partner wild umherflog. »Und wenn es der Papst wäre … Ist mir doch latte. Das Viech soll die Biege machen, ich hab schon genug Freaks um mich.« Als Tentomon ihn aus seinen riesigen Augen heraus anschaute, fügte er noch seufzend hinzu: »Nichts für ungut.« Endlich hörte das Beben auf und auch das Fledermausdigimon verzog sich wieder. »Es ist weg …« Kazukis Blick wurde glasig. »Onii-chan, wir müssen etwas tun!« »Woah, mal langsam. Das einzige, was ich tun werde, ist meinen hübschen Kopf in mein weiches Kissen zu hauen. Für einen Tag habe ich genug Aufregung gehabt.« Der Kleine schüttelte den Kopf. »Nein, aber …« Er dachte an Patamon. Vielleicht würde er es ja wiedertreffen, wenn er diesem Pico Devimon nachlief? Einen Versuch war es doch wert, oder? Dann kam ihm die Idee. »Aber ja doch! Das Digivice!« Hoffnungsvoll sah er zu seinem Bruder. »Hast du nicht gesagt, dass es dir entwendet wurde?« Wieder ein heftiges Kopfschütteln. »Doch nicht meins, ich meine deins!« Langsam wurde er ungeduldig. Er wollte nicht noch mehr Zeit verschwenden. Rikyu legte seine sonst so glatte Stirn in Falten. »Wie kommst du auf die Idee, dass ich eines habe? Ich hab nur das da.« Er tätschelte unsanft Tentomons Kopf. Dieses allerdings löste sich aus seinem Griff und gesellte sich mit leuchtenden Augen zu Kazuki hinüber. »Aber nein, du hast auch eines. Weißt du noch dieses rote Ding?« Der 19-jährige überlegte kurz, ehe ihm alles zu dem sogenannten Ding wieder einfiel. »Oh, du meinst das Tamagotchi!« »Tama … Ach, egal. Ja, das. Wo ist es?« Kazukis blaue Augen leuchteten nun mindestens so sehr wie die von Tentomon. Verlegen kratzte sich Rikyu sich an der Wange und vermied tunlichst den Blick seines jüngeren Bruders. »Ähm, möglicherweise habe ich es weggeworfen ….« Dem Braunhaarigen fiel die Kinnlade hinunter. »Du hast was?« Er stöhnte auf. »Mensch, Rikyu!« Angesprochener zuckte mit den Schultern und hustete leise. »Woher hätte ich denn wissen sollen, dass das Teil wichtig ist?« »Es ist aus dem Nichts aufgetaucht, es konnte jawohl doch nicht unwichtig sein!« »Ein iPhone wär mir halt lieber gewesen.« Statt ihm zu antworten, besah der Kleine ihn mit einem bösen Blick. »Schon gut, schon gut, ich such’s ja … aber wenn ich sterbe, mache ich dich dafür verantwortlich und suche dich heim.« Gemächlich schleppte er sich zu dem Müllhaufen hinter seinem Sofa und begann die Sachen zu durchwühlen. »Wirst du mir wenigstens helfen?« »Den Teufel werd ich tun, ist doch dein Kram. Ich suche lieber dieses Digimon!« Und schon machte er sich auf den Weg zur Tür und war schneller in seine Schuhe geschlüpft, als Rikyu schauen konnte. »Hey, verflucht, das war ein Scherz, oder?« »Sehe ich so aus, als würde ich scherzen?«, meinte Kazuki leise, ehe die Tür hinter sich zufiel. Der Schwarzhaarige legte den Kopf in die Handfläche. »Das glaub ich doch alles nicht …« Tatsächlich hatte er seinen Bruder noch niemals so entschlossen gesehen. Aber musste er ausgerechnet in dieser Situation solch eine Entschlossenheit an den Tag legen? Es war, als hatte diese ganze Digimongeschichte einen ganz anderen Menschen aus seinem Bruder gemacht. Einerseits war er froh, dass er jetzt – zumindest ansatzweise – verstand, warum sich Kazuki in den letzten Tagen so seltsam benahm. Doch andererseits wäre es ihm wesentlich lieber gewesen, als hätte er niemals etwas von dieser anderen Welt erfahren. Das Ganze war ihm doch einfach zuwider. »Hey, Tentomon«, sagte er, ohne den Kopf zu heben. Ohne wirklich etwas zu sehen, wühlte er weiterhin in dem Häufchen Müll. »Ja, mein Freund?« »Dieses Vieh ist gefährlich, oder?« »Hm … ja und nein. Pico Devimon an sich ist kein Gegner, zumindest nicht für mich. Aber ich bin mir eigentlich ziemlich sicher, dass es nicht alleine ist. Pico Devimon sind keine Einzelgänger, sie hängen sich lieber an andere Digimon.« Endlich sah Rikyu auf. Der Blick seiner purpurnen Augen war glasig. »Dann tu mir den Gefallen und pass auf Kazuki auf, bis ich dieses Tama- … dieses was auch immer gefunden habe.« Tentomons Blick ruhte einen Augenblick auf Rikyu. Dann sagte es: »Okay. Aber lass uns nicht zu lange warten.« Rikyu lächelte dünn. »Keine Sorge, Helden kommen vielleicht etwas später, aber niemals zu spät.« Das Käferdigimon nickte zuversichtlich und flog eilig über den Balkon hinaus. Kazukis Suche nach dem Pico Devimon sollte nicht lange auf sich warten lassen. Schon bald hatte er das Fledermausdigimon in einem Baum in der Nähe ihres Hauses gefunden. Eigentlich hätte es den Jungen wundern müssen, dass das Digimon nicht wieder die Flucht ergriff, als es ihn anrennen sah, doch soweit dachte der 15-jährige in jenem Moment nicht. Stattdessen freute er sich, als er keuchend vor dem Digimon zum Stehen kam. Skeptisch beäugte ihn Pico Devimon, welches kopfüber hing. Als Kazuki sich kurz nach vorn beugte, um zu verschnaufen, zeichnete sich ein dünnes Lächeln auf den Lippen des Digimons ab, sobald der Junge sich allerdings danach wieder aufrichtete, setzte es rasch eine kühle und teilnahmslose Maske auf. Ja; dieser junge Knabe war genau das richtige Opfer für seinen Meister. Aber es durfte sich nichts anmerken lassen. Zunächst tat es so, als würde es Kazuki überhaupt nicht wahrnehmen, als es die Unsicherheit des Menschen jedoch zunehmend spürte, meinte es gelangweilt: »Ja, was ist? Was willst du?« Erst war Kazuki aufgrund des barschen Tons des Digimons verunsichert, doch dann entschied er dazu, nicht wegzulaufen und fasste all seinen Mut zusammen. »E-entschuldige, bitte, aber … hast du vielleicht ein Angemon oder ein Patamon gesehen?« Pico Devimon zog eine Augenbraue empor. »Bitte was?!« Wieder verlor der Braunhaarige an Sicherheit und schluckte erst einmal, bevor er wieder den Mund öffnete. Dieses Digimon sah ganz schön fies aus. Und was hatte Tentomon doch gleich gesagt? Man sollte dieses Digimon lieber nicht reizen. Doch konnte an seiner klitzekleinen Frage ja nicht allzu viel verkehrt sein oder etwa doch? »Ähm … also ….« Er schabte mit den Füßen auf dem Boden herum. Die kleine Fledermaus schaukelte vergnügt umher. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass es dem Jungen unheimlich wichtig war, ihm Informationen zu entlocken. »Weißt du, ich habe es nicht so mit Angemons. Diese heiligen Wesen sind mir einfach zuwider.« »Heilig?« Kazuki neigte etwas den Kopf. Wenn er an Patamon oder auch Angemon dachte, kam ihm da überhaupt nichts heilig vor. Andererseits … bevor es digitiert war, hatte es ihn doch gerettet, zumindest mehr oder weniger. Ach, er drehte sich im Kreis. Er musste das Digimon unbedingt wiedertreffen. »Jawohl, heilig.« Noch immer schaukelte es wild umher und warf immer wieder interessierte Blicke zu dem Teenager. Seufzend schüttelte Kazuki den Kopf. Dieses Pico Devimon wusste anscheinend nichts und wenn doch, dann würde es ihm sicherlich nichts verraten, so viel war sicher. Also drehte er sich bereits um und sagte verdrießlich: »Okay, danke trotzdem. Ich werd dann mal wieder ge -« »Hey, nicht so hastig!«, rief Pico Devimon gehetzt aus, als er rapide vor Kazuki flog und diesen somit in Richtung des Baumes drängte, an dem es zuvor selbst gehangen hatte. Kazuki hob sofort zur Verteidigung die Arme schützend vor sein Gesicht und als das Digimon den erschrockenen Ausdruck des Jungen sah, knirschte es kurz mit den Zähnen und säuselte schnell: »Sorry, wollte dich nicht erschrecken. Ich meinte nur … na ja, vielleicht habe ich ja doch ein Patamon oder Angemon gesehen.« Pico Devimon musste sich anstrengen. Es musste den Jungen festhalten, bis sein Meister ankam. Es wusste nicht warum es ausgerechnet hier aus einem der Digitore herausgekommen war, es wusste nur, dass es einen Auftrag zu erfüllen hatte. Und als er den Kleinen durch das Fenster gesehen hatte, war ihm sofort klar, dass er der Richtige war. Jetzt hieß es nur noch keinen Fehler mehr zu machen. »Sch-schon gut«, erwiderte Kazuki, als er sich wieder gefasst hatte. Himmel! Für einen Moment hatte er doch tatsächlich geglaubt, dieses Digimon würde ihn angreifen. Wie dumm er doch war, fand er. »Aaalso«, sagte Pico Devimon gedehnt und neigte sich noch weiter nach vorn zu Kazuki. »Verrat mir doch erst mal deinen Namen, Menschlein.« »Ich bin -« »Petit Thunder!«, rief Tentomon aus und verpasste dem Fledermausdigimon eine saftige Ladung Elektrizität. Schnell flog es hinüber zu Rikyus Bruder, packte diesem am Handgelenk und zog ihn wie ein kleines Kind hinter sich her. »Hier steckst du also, Kusanagi Kazuki.« Kazuki, zunächst verwirrt, befreite sich schließlich aus der Klaue des Käfers und stolperte zwei Schritte rückwärts. »Verdammt, Tentomon, was sollte das?« Verdutzt neigte Tentomon den Kopf wie eine neugierige Katze. »Was meinst du?« Es folgte Kazukis Blick auf das Pico Devimon, welches nun ziemlich angebrutzelt aussah und kleine Rauchwölkchen hustete. »Ach, das meinst du. Du darfst ihm nicht trauen, es ist böse! Ich weiß nicht, was es dir erzählt hat, aber was Gutes kann es auf keinen Fall sein. Und jetzt komm, Freund Rikyu macht sich Sorgen um dich.« Entschlossen schüttelte Kazuki den Kopf. »Das kann doch nicht dein Ernst sein. Und überhaupt …« Er biss sich verbittert auf die Lippen und fuhr leiser fort: »Mein Bruder macht sich doch nie Sorgen um mich!« »Kazuki, warte!« Sobald der 15-jährige bei dem Fledermausdigimon angekommen war, kniete es neben ihm nieder und fragte es, ob es in Ordnung sei. »Ja, ja«, hustete Pico Devimon und musste den aufkommenden Hysterieanfall stark unterdrücken. »Entschuldige bitte, Tentomon hatte es bestimmt nicht böse gemeint.« »…« »Kazuki, geh weg von ihm!« Tentomon schwirrte wieder zu ihm herüber, doch er beachtete es nicht. »Was wolltest du mir eben erzählen?«, fragte Kazuki. »Ach.« Pico Devimons Augen blitzten kurz auf. Plötzlich flackerte hinter ihm die Luft und ein feiner violetter Nebel bildete sich. »Nur, dass du ziemlich blöd bist.« »W-was?« Nicht sofort verstehend, schüttelte Kazuki irritiert den Kopf. Wieder umschloss Tentomon das dünne Handgelenk des 15-jährigen. »Können wir jetzt gehen?«, drängte es und es sollte nicht lange auf eine Antwort warten, da nickte Kazuki bereits zustimmend und stumm. Allerdings hatten die beiden die Rechnung ohne Pico Devimon gemacht. »Nichts da, hiergeblieben. Wir wollen Meister Demon doch nicht erzürnen, oder?« Fest packte es Kazuki am anderen Handgelenk und lächelte finster. »Hier, fresst meine Pico Darts!« Kapitel 15: Ein neuer alter Verbündeter --------------------------------------- >>Au, au, au, au, au, au, au!!«, rief Tentomon quiekend aus, während es mit Kazuki zusammen wild im Kreis herum lief und den Pico Darts von Pico Devimon auswich. »Verdammt, Tentomon, mach was!«, meinte Kazuki, der ebenfalls hektisch vor den Angriffen des Fledermausdigimons fortlief. »Ich habe doch gesagt, dass wir verschwinden sollten, aber du wolltest ja nicht hören!« »…« Dazu fiel Kazuki nichts mehr ein. Er wusste ja, dass Tentomon damit recht hatte, aber es musste ihm das ja nicht noch auf die Nase binden, oder? Alles, was er wollte, war doch nur eventuell an ein paar Informationen über Patamon heranzukommen. Aber so wie die Situation gerade aussah, war das anscheinend bereits zu viel verlangt. Er schämte sich dafür, dass er diesem fremden Digimon zunächst vertraut hatte und Tentomon sowie letztendlich ihn selbst in solch eine blöde Situation gebracht hatte. Plötzlich dachte Kazuki darüber nach, warum ihn das Digimon wohl festgehalten hatte und nicht wollte, dass er mit Tentomon verschwand. Und was hatte er noch gesagt …? Irgendetwas von einem … »Warum tust du uns das an? Und was war das vorhin mit diesem Dämon?« Auf einmal hielt Tentomon inne. »Nicht Dämon, sondern Demon! Wenn das war ist … nein, das kann nicht sein!« Wieder verstand der junge Kazuki nur Bahnhof, aber sei es drum. Doch Pico Devimon kicherte nur. »Na, gehe ich euch so richtig schön auf den Keks, hihi?« Die beiden Gepeinigten antworteten nicht, aber ihre Blicke sprachen ohnehin Bände. Die kleine Fledermaus freute sich. »Haha, das macht Spaß!« »Oh Mann, so langsam nervt es«, beschwerte sich Kazuki. Er spürte, wie ihm Pico Devimons Blicke im Nacken hingen, doch er versuchte es auszublenden. Er brauchte all seine Aufmerksamkeit für die kleinen Pfeile, die auf ihn und Tentomon abgefeuert wurden. »Tentomon, kannst du nicht was machen? Es ist schließlich kleiner als du!« »Das ausgerechnet du sowas sagst, schockiert mich!« Der Braunhaarige wurde rot um die Nasenspitze herum. »S-so meinte ich das nicht … Ich dachte nur … Woah!« Es kam ihm so vor, als würden die Pico Darts immer zielgenauer werden. So als würde Pico Devimon sie zuvor nicht hatte treffen wollen, aber mittlerweile … »Greif doch einfach an!«, schrie er mit zusammengekniffenen Augen. »Okay«, entgegnete Tentomon und wappnete sich innerlich bereits für einen besonders aufgeladenen Petit Thunder. Immerhin hatte er Rikyu ja auch versprochen, dass es auf dessen kleinen Bruder aufpassen würde und es hatte nicht vor, sein Versprechen zu brechen. Zu groß war die Angst, dass der 19-jährige ihn dann doch noch fortschicken würde und es am Ende wieder alleine dastehen würde. Es wollte endlich ein festes Zuhause haben und die Idee mit den beiden Kusanagi Brüdern zusammen zu wohnen, gefiel dem Insektendigimon von Minute zu Minute besser. Er sammelte sich und machte sich bereit. »Petit Th-« »Double Backhand!« Ohrenbetäubend jaulte Pico Devimon auf, als es krachend gegen den nächstbesten Baum geschleudert wurde und fiepend daran herunterrutschte. »Wow, gut gemacht, Tentomon, aber du hättest nicht so übertreiben müssen.« Verwirrt blinzelte Tentomon zweimal mit seinen großen grünen Augen. »Aber das war ich gar nicht.« Die statische Luft zitterte noch ein wenig um es herum, ließ letztendlich allerdings nach, da der aufkommende Donner wohl nicht mehr gebraucht wurde. »Was soll das heißen, dass du das nicht warst?« Auch Kazuki war zunächst verdutzt, doch es sollte nicht lange so bleiben. Vor ihnen landete abrupt ein blauer Hund mit einem Salto. Aufrecht und mit ernstem Blick besah er sich den Baum an, an dem das betäubte Pico Devimon lag. »Ein Hund?«, fragte Kazuki mit schräg geneigtem Kopf. Jedoch hätte er es besser wissen müssen, nachdem, was er die letzten Tage so erlebt hatte. Tentomon hingegen machte Luftsprünge vor Freude. »Das ist nicht einfach ein Hund, das ist Gaomon!« Freudig flog es zu ihrem Retter und schüttelte diesem überschwänglich die behandschuhte Hand. »Danke, Freund, vielen Dank für deine Hilfe!« Gaomon nickte. »Kein Problem. Aber mit dem wärst du doch eigentlich auch allein fertig geworden, oder?« »Na ja, vielleicht …« Und wieder war da ein neues Digimon. Warum tauchten diese nur alle auf seit neuestem? Die aufkommenden Gedanken waren einfach zu verwirrend, als dass er sie hätte ordnen können auf die Schnelle. Also tat er alles rasch mit einem Schulterzucken ab und trat zu Gaomon und Tentomon hinüber. »Danke, dass du uns geholfen hast.« Wieder nickte Gaomon, besah sich jedoch seinen Gegner, der sich vorsichtig wieder aufrichtete. »Sag mal, spinnst du? Das hat verdammt nochmal wehgetan!«, blökte Pico Devimon sogleich in Gaomons Richtung. Dieses jedoch zuckte mit den schmalen Schultern und meinte, dass es doch angefangen hatte. Kleine Zornfältchen bildeten sich auf der Stirn der Fledermaus. »Ja, aber das ist doch etwas ganz anderes!« Hochmütig zückte Gaomon eine Augenbraue. »Und das wäre?« Wehleidig biss sich Pico Devimon auf die Lippen. »Das geht dich gar nichts an! Und jetzt verzieh dich und nimm den Riesenkäfer da mit! Schließlich will ich nichts von euch, es geht mir nur um den Jungen!« »Meint der mich?«, fragte Tentomon an Kazuki gewandt, aber dieser hörte ihm kaum zu. Hatte er das richtig verstanden? Es ging um ihn selbst; aber warum? Was hatte er denn an sich oder nur getan, dass Pico Devimon nur solch ein Interesse an einem schmächtigen fünfzehnjährigen Schüler haben könnte? Gaomon nahm Kampfhaltung ein. »Den Teufel werde ich tun und einen Hilflosen zurücklassen!« Als er Kazukis entsetztes Gesicht bei diesen Worten vernahm, entschuldige es sich sogleich. »Nichts für ungut.« »Schon okay …« »Los jetzt, Tentomon, nehmen wir uns den kleinen Unruhestifter mal vor!« »Äh, alles klar!« Tentomon schwirrte an die Seite des kleinen, befellten Boxers. Innerlich fragte sich Kazuki, ob das wirklich notwendig war. Klar, Pico Devimon hatte ja angefangen, aber trotzdem … zwei gegen einen erschien ihm doch irgendwie unfair und es erinnerte ihn schmerzlich daran, dass es ihm nur allzu oft genauso ergangen war. Das regte ihn ein wenig auf, aber den Mund machte er dennoch nicht auf. Er konnte ohnehin nicht Partei für das gemeine Digimon ergreifen und selbst, wenn er dies doch täte, würden sie danach garantiert wieder angegriffen werden, da war der Junge sich sicher. Unbedacht fiel Kazukis Blick auf einmal hinter Pico Devimon und er schluckte. Dort um den Baum war noch immer dieser feine violette Nebel, der sich immer mehr verdichtete und allmählich zu kleinen Wölkchen formierte. In all dem Trubel eben war ihm das gar nicht weiter aufgefallen und auch seinen beiden verbündeten Digimon schien dies im Kampfesrausch zu entgehen. Doch gerade, als er sie vorwarnen wollte, sprangen die Digimon auch schon aufeinander los und bekämpften sich gegenseitig. »Hier, fresst die!«, rief Pico Devimon wütend aus und schleuderte wieder seine Pico Darts. Aber das war natürlich nicht seine einzige Attacke. Als Gaomon sowie Tentomon den teuflischen Pfeilen spielend ausgewichen waren, setzte die flinke Fledermaus sogleich mit der nächsten Attacke nach und sonderte eine Art hypnotische Wellen von seinen Augen heraus aus. »Akuma no Sasayaki!« Benommen fing Tentomon zu wanken an, Gaomon hatte es nicht ganz so arg erwischt, da es noch knapp zur Seite gesprungen war. »Jetzt reicht es aber«, rief es aus. »Gao Rush!« Flott wie der Wind hieb es mit seinen Fäusten auf Pico Devimon ein, bis dieses letztendlich keuchend zu Boden ging und dort erst einmal liegen blieb. »Puh«, sagte es und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Der fliegende Gegner war doch anstrengender gewesen, als es dachte. »I-ist es vorbei?«, fragte Kazuki vorsichtig und trat zu seinen digitalen Freunden. Ansehen tat er sie allerdings nicht, denn seine Augen ruhten noch immer auf Pico Devimon, das so furchtbar leblos am Boden lag. Plötzlich tat es ihm unheimlich leid um das arme Wesen und er schämte sich, dass er nichts unternommen hatte, um dem Digimon zu helfen. Fort waren sodann die Erinnerungen daran, dass er zuvor selbst von jenem Wesen attackiert worden war. Kazuki verspürte eine große Wut auf sich selbst, den anderen beiden konnte er kaum Vorwürfe machen, schließlich hatten sie ihn nur beschützt. Ja, es war doch alles nur seine Schuld, weil er selbst zu schwach gewesen war. Dem Hundedigimon entging der traurige Blick des Teenagers nicht. »Keine Sorge, es ist nicht tot. Sonst hätte es sich in ein Digitama zurückverwandelt.« Das stimmt, dachte sich Kazuki. Das hatte er sich schon einmal bei Stingmon gesehen. Aber dennoch … Dann hielt er inne mit seinen wirren und selbstvorwerfenden Gedanken. Soeben hatte Pico Devimons linker Flügel gezuckt. Wieder fiel Kazuki der lilafarbene Nebel in die Augen, der nun sehr dicht war. Plötzlich war ihm, als würde er beobachtet und tatsächlich; dort in den Wolken besah ihn ein großes Auge. Der Braunhaarige zuckte zusammen und als er erneut an die Stelle sah, war es verschwunden. Bestimmt hatte er sich das nur eingebildet. Weitere Zeit, um darüber nachzudenken blieb ihm nicht, denn Pico Devimon erhob sich nun wieder und setzte ein unheimliches Grinsen auf. »Worüber freut der sich denn so?«, fragte Tentomon in die kleine Runde hinein. »Ich habe ein ungutes Gefühl«, erwiderte Gaomon. »…« Kazuki antwortete nicht. Er glaubte zu spüren was nun kam und er sollte recht behalten, zumindest teilweise. Ohne jegliche Vorwarnung schoss eine große lilafarbene Hand aus dem Nebel und umschloss das Fledermausdigimon. Die roten Krallen an der Pranke leuchteten fast wie Blut, so kam es Kazuki vor. Schützend sprangen Tentomon und Gaomon vor den Menschenjungen, doch das kommende Geschehen konnten sie nicht verhindern. Als sich die große Hand wieder in die dichten Wolken zurückgezogen hatte, begann Pico Devimon zu leuchten, nur um daraufhin zu digitieren. »Pico Devimon digitiert zu Devimon!« Nun war das Adult Level Digimon natürlich überhaupt nicht mehr klein. Hoch über ihnen lachte das dämonische Wesen laut auf. »Oh, ich danke dir, mein Meister Demon, für dieser vorzügliche Kraft! Ich werde dich nicht enttäuschen.« Rapid wandte es seinen Kopf zu der kleinen Widerstandsgruppe und kicherte finster. »Wollen doch mal sehen, ob ihr mich jetzt immer noch fertig macht.« Kazuki schluckte schwer. »Das ist übel, oder?« Tentomon stieß zischend die Luft aus. »Das ist richtig übel.« Auch wenn er glaubte, die Antwort bereits zu wissen, fragte Kazuki trotzdem. »Aber ihr kommt doch immer noch gegen es an, oder?« Als die beiden Digimon nichts sagten, begann Kazuki zu verstehen. »Aber … dann digitiert doch! Gaomon, du kannst doch sicherlich auch digitieren?« Betrübt biss sich Angesprochener auf die Lippen. »Nein, nicht ohne meinen Meister.« Meister? Hieß das etwa, dass dieses Digimon auch einen Partner hatte? Fragend sah er zu Tentomon. »Tja und ich kann vermutlich nur mit Rikyus Hilfe digitieren.« Sofort wurde Gaomon hellhörig. »Soll das etwa heißen, du hast auch einen Meis- … einen Partner?« »Ja, also das glaube ich jedenfalls …« »Und wo ist dieser?«, drängte Gaomon zur Antwort, doch auf diese würde er noch ein wenig warten müssen. Tentomon kam nämlich gar nicht mehr dazu zu erwidern, dass Rikyu (hoffentlich) händeringend nach dem Digivice suchte und sodann auf dem Weg hierher war. Devimon hob nun zum Angriff. Seit Arm verlängerte sich und schoss rasend auf das kleine Grüppchen zu. »Death Claw!« Tentomon schaffte es irgendwie zu Kazuki hinüber zu fliegen und diesen noch gerade so aus der Schussbahn zu zerren. Allerdings verlor er bei dem Ausweichmanöver das Gleichgewicht und prallte mit dem Teenager hart auf dem Boden auf. Gaomon hingegen hatte weniger Glück gehabt und wurde von der vollen Kraft Devimons getroffen. Sobald Kazuki wieder einen klaren Kopf hatte und wusste, wo er war, sah er zu dem Hundedigimon und war sichtlich erleichtert, dass dieses die Aktion eben überstanden hatte. Es ist kein Digitama, beruhigte er sich immer wieder. Er wusste nicht viel über Digimon, doch da Gaomon dies eben nochmals erwähnt hatte, erinnerte er sich daran, dass Digimon erst endgültig besiegt waren, wenn diese zu einem Ei wurden. Und diesen Leitsatz sagte er sich selbst immer wieder auf wie ein Credo. »So und jetzt«, mit langen Schritten lief Devimon schnurstracks auf Kazuki zu, »wirst du mit mir kommen und keine Mätzchen, kapiert?« Intuitiv wich Kazuki natürlich zurück. »Wa-warum sollte ich? Was willst du von mir?« Keck warf Devimon die Hände in die Hüfte beim Laufen. »Oh, ich will überhaupt nichts von dir, aber bei Demon sieht es da anders aus. Es glaubt wohl, dass du ihm helfen kannst, was ich bezweifle, aber na ja … Dein Zorn jedenfalls ist beachtlich.« Verwirrt schüttelte Kazuki den Kopf. Tentomon hingegen sprang vor den Bruder seines Partners. »Höre ich richtig, Demon? Was will denn einer der finsteren Dämonenlords von unserem Kazuki?« »Hörst du nicht zu, du Schmeißfliege? Der Knabe soll angeblich helfen.« »Hm …« Tentomon dachte nach. Devimon hatte etwas von Zorn gesagt. Alles was ihm dazu einfiel, war, dass Demons Sünde doch der Zorn war, aber was genau sollte ihm das jetzt sagen? »Hey, weich zurück!« Schallend lachte Devimon auf. »Sei still, du Gewürm und amüsiere dich ein wenig mit meiner Death Claw!« Krachend flog das arme Tentomon an die Seite Gaomons, das sich nun wieder am Aufrappeln war. »Tentomon!« Kazuki war verzweifelt. Wenn doch nur Patamon hier wäre … Die heilige Kraft Angemons würde sie bestimmt retten können. Er wandte sich an Devimon. »Hör auf damit! Du willst doch mich, oder? Also lass die anderen in Frieden und …« Er schluckte. »Und ich komme mit dir.« Ein schauriges Grinsen breitete sich auf Devimons düsterem Gesicht aus. »Meinetwegen.« Kazuki seufzte. Zögerlich schritt er auf Devimon zu, welches eine einladende Geste machte, an dessen Seite zu treten. Gerade, als Kazuki so nahe an dem Teufelsdigimon war, als dass dieses nach ihm greifen konnte, trat Rikyu auf den Plan, schlug Devimons Pranke hart zurück und zerrte seinen Bruder unsanft hinter sich, so dass dieser auf seinem Hintern landete. Wütend funkelte er das überraschte Devimon an, seine purpurnen Augen fixierten das Digimon. »Pfoten weg von meinem Bruder«, sagte er kühl und kehrte damit dem Digimon den Rücken. »Nii-san …« Kazuki starrte zu seinem Bruder empor. Plötzlich fand er ihn unheimlich cool, wie selbstsicher er dort stand und es ohne weiteres mit dem Adult Level Digimon aufnahm. Seine Erkältung schien wie weggeblasen. Doch der alte Rikyu sollte schnell zurück sein. »Sag mal, spinnst du?«, fragte er den Jüngeren, während er sie Hände in die Seiten stemmte und an seinen Bruder hochmütig von oben herab ansah. »Wer hat dir erlaubt, dich in die Nähe dieses Bastards zu begeben? Siehst du nicht viel Flügel?! Der schreit doch schon nach evil!« Ja, das war Rikyu, wie er leibt und lebte. Immer alle nach Stereotypen beurteilen. »Hallo?«, rief Devimon empört aus. »Hör auf, über mich zu sprechen, als sei ich gar nicht da!« »Pff«, schnalzte Rikyu nur mit der Zunge und zog seinen Bruder an einem Arm wieder hoch. Tentomon flog auf Rikyu zu und auch Gaomon war ihm dicht auf den Fersen. »Freund Rikyu!«, quiekte es fröhlich. Der Schwarzhaarige hielt eine Hand vor Tentomons Gesicht, ehe dieses ihn umarmen konnte. Verlegen kratzte sich Tentomon am Kopf. »Nennst du das vielleicht auf meinen Bruder aufpassen? Den kannst du nicht alleine hier stehen lassen, der macht nur Unsinn.« Er wuschelte durch Kazukis Haar. Dieser riss sich sofort empört los und musste stark aufpassen sich zu beherrschen. Er durfte schließlich nicht wütend werden, wenn es das war, was Devimon unbedingt wollte. Wieder einmal neigte Tentomon den Kopf. »Aber ich wurde angegriffen.« »Ja, ja ..«, winkte Rikyu ab. Er besah sich das schwarz-rote Digivice in seiner Hand. »Und jetzt?« »Ein Digivice …«, hauchte Gaomon, doch Rikyu tat so, als habe er das nicht gehört. »Du musst das Digivice benutzen!«, strahlte Tentomon. Der 19-jährige zuckte mit den Schultern und nickte. Dann holte er einmal kräftig aus und warf das kleine Gerät in Devimons Richtung, genau auf dessen Kopf. »Aua!«, schrie dieses erbost auf. »Und jetzt?«, fragte Rikyu treudoof. »So war das nicht gemeint!«, erwiderten die drei anderen sauer, so dass dieses Mal der Schwarzhaarige derjenige war, der zurückweichen musste. »Hey, okay, okay, konnte ich doch nicht wissen.« Glücklicherweise war das Digivice von Devimons Kopf abgeprallt und landete greifbar in Tentomons Nähe, so dass dieses es aufhob und seinem Partner überreichte. »Und jetzt richtig.« Als es die Fragezeichen über Rikyu praktisch sehen konnte, seufzte es. »Lade dein Digisoul auf und konzentrier dich. Und wenn du soweit bist, gibst du all deine Energie in das Digisoul und rufst Digisoul Charge. Ist doch ganz einfach, oder?« Der junge Erwachsene wusste nicht, ob er lachen sollte oder nicht, aber als er sich das zornige Devimon besah, kam er zu dem Entschluss, dass er es wenigstens mal ausprobieren konnte. »Also schön …« Er konzentrierte sich, wie befohlen und plötzlich leuchtete seine Faust mit rötlichen Pixeln auf. »Digisoul Charge!« Tatsächlich schien es zu funktionieren. Auch Tentomon glühte auf und binnen Millisekunden stand da plötzlich ein viel größerer Käfer. »Danke, Rikyu«, sagte Kabuterimon mit dunkler Stimme. »Iih, ist das eklig!«, antwortete Rikyu und schüttelte sich wie ein kleines Mädchen, das eine Spinne gesehen hatte. »Und nun zu dir.« Kazuki fand Kabuterimon alles andere als eklig und war beeindruckt. Wieder empfand er diese Entschlossenheit, dass er Patamon suchen und finden würde, damit sie auch so ein tolles Team werden konnten. »Glaubst du etwa, ich lasse mich so einfach besiegen?«, posaunte Devimon und setzte bereits zur Death Claw an. »Ich glaube es nicht nur, sondern ich weiß es! Schließlich habe ich Rikyu auf meiner Seite.« Jeder Anwesende spürte, dass Kabuterimons Stolz auf seinen Partner echt war und alle schluckte ehrfürchtig. »Sei bereit für dein Ende, Devimon, Mega Blaster!« »Neeeeeeiiiinnn!« Schallend schrie Devimon noch einmal auf, bevor es sich in ein Digitama zurückverwandelte. Sofort lief Kazuki zu dem Ei, damit er es aufheben und nachher Ikuto geben konnte. Langsam verzog sich auch wieder der violette Nebel und das Gefühl beobachtet zu werden verließ Kazuki. »Wow, wer hätte gedacht, dass wir das wirklich schaffen?«, fragte Rikyu. »Das ist alles dein Verdienst, Freund Rikyu, danke!«, sagte Kabuterimon. Der schwarzhaarige Rikyu errötete und sah beschämt zur Seite. »Ja, ja … Aber glaub nicht, dass das jetzt zur Gewohnheit wird. Und jetzt fände ich es toll, wenn du wieder klein wirst, ehe dich noch jemand sieht. Zeit nach Hause zu gehen.« Rasch war Kabuterimon wieder zurückdigitiert und schwang sich in Rikyus Arme. »Nach Hause klingt gut!« Tentomon kicherte und auch Kazuki musste mit einstimmen. Selbst das ernst dreinblickende Gaomon musste schmunzeln. Nur der coole 19-jährige fand das Ganze natürlich weniger lustig und plötzlich fiel ihm sogar wieder ein, dass er ja eigentlich erkältet war und hustete demonstrativ. Auf dem Heimweg unterhielten sie sich noch ein wenig und als sie durch die Haustüre gegangen waren und Rikyus Blick auf die Treppen fiel, schüttelte er sofort den Kopf. »Nix da, wir fahren Aufzug!« »Aber, was, wenn jemand uns sieht? Du warst schließlich derjenige, der sagte, dass keiner die Digimon sehen sollte«, warf Kazuki ein. Er umklammerte das Digitama. »Ach was, wär ja ein ziemlich blöder Zufall, wenn ausgerechnet jetzt jemand aus dem Aufzug tritt.« Dummerweise öffnete sich gerade die Aufzugtür, als der kränkliche Jungerwachsene auf den Knopf drücken wollte. »Was zum …?« Doch es war gar kein Fremder, der dort herausschritt – es war Touma. Und als er die Kusanagis mit den beiden Digimon sah, riss er überrascht die blauen Augen auf. Gaomons Augen wurden ebenfalls groß. Natürlich war Touma gewachsen und er hatte eine Brille auf, aber er war es unverkennbar. Kurz ließ seine seriöse Haltung nach und er schmiss sich in Toumas Arme. »Meister!« »Gaomon!« Die aufkommende Szene war so rührend, dass sogar Rikyu sich beschämt zur Seite drehte. Verlegen kratzte er sich an der Schläfe. »Kein Wunder, dass ich den Kerl so merkwürdig fand, wenn der Digimon schon kennt.« »…« Kazuki erwiderte nichts. Zu schön war der Anblick über Touma und Gaomon, die nun endlich wieder vereint waren. Er konnte sich sogar keinen besseren Partner an Toumas Seite vorstellen. Zur selben Zeit in der Digiwelt: »Tja, dein Plan scheint wohl fehlgeschlagen zu sein«, neckte Lilithmon Demon, dass mit verschränkten Armen in der Ecke stand. »Trauerst du deinem kleinen Diener, den du Beelzebumon abgenommen hast, etwa nach?« Lilithmon kicherte und strich behutsam über das Digitama von Belphemon. »…« Demon grunzte irgendetwas Unverständliches. Während die anderen Dämonenkönige wild diskutierten, war Lucemon gelassen. Es lächelte sogar und warf sein blondes Haar zurück. »Sei nicht niedergeschlagen, Demon, es war nur ein erster Test und es ist ja nicht so, als hätten wir zuvor nicht geahnt, dass wir Ultimate Level nicht durchkommen. Zumindest hat sich die andere These bestätigt.« Außen war Lucemons Fassade lässig und cool, doch innerlich kochte es, dass Igudorashiru ihm immer noch einen Schritt voraus war, obwohl es kurzgeschlossen war. Barbamon wurde hellhörig. »Du meinst, dass die Gefühle der Menschen die Grenzen der Welten aufheben können?« »Ja, zumindest teilweise. Der Zorn des Jungen hat Demon ja quasi gerufen, das war nicht zu übersehen.« »Dann sollten wir also all unsere Hoffnungen in unsere Sündenfälle setzen, ja?« Lucemon lächelte düster. Eine Haarsträhne fiel ihm vor das Auge. »Ja.« »…« Während die anderen Dämonenkönige lachten, strich Lilithmon wieder über das Digitama in ihren Armen. Kapitel 16: Mädchenpower ------------------------ >>Nee, oder?«, fragte Rina ungefähr zum gefühlten dreißigsten Mal, als sie mit Rikyu und Kazuki an einem der weißen Tische in der kleinen Zentrale der neugegründeten DATS saß. Die beiden Jungen saßen ihr gegenüber und nickten nur immer wieder auf ihre Fragen. Natürlich war Kazuki von Anfang an klar gewesen, dass er sein (beziehungsweise mittlerweile auch Rikyus) Geheimnis mit den Digimonbegegnungen nicht ewig vor Rina würde geheim halten können, doch dass sie es so schnell erfahren sollte; damit hatte er nun wirklich nicht gerechnet. Zumal war es äußerst erstaunlich, dass dem Mädchen doch so ziemlich dasselbe passiert war. »Vielleicht ist ja das Haus verflucht«, versuchte Kazuki mit einem Lächeln die Stimmung zu heben. Rikyu hingegen winkte ab. »Klar und ich kann dir auch sagen, seit wann und warum: Der Grund heißt Touma Nor -« »Fang nicht wieder damit an«, redete ihm Rina dazwischen. »Touma kann nun wirklich nichts dafür.« »Aber du kannst nicht abstreiten, dass es äußerst verdächtig ist, dass auch er eines dieser merkwürdigen Digimon besitzt.« Der Schwarzhaarige plusterte die Backen auf. Rina seufzte. Da war tatsächlich etwas dran, aber sie glaubte trotzdem nicht, dass das Auftauchen der Digimon in Yokohama etwas mit dem Einzug Toumas zu tun hatte. Viel mehr gab es da wohl eine Verbindung zu Impmon, so wie es Tentomon mal erwähnt hatte. Sie sah auf und hinüber zu dem Käferdigimon, welches große Kreise über seinen neuen Partner zog. »Du, Tentomon?« »Ja, Rina?« »Du hast nicht zufällig wieder mal etwas von Impmon gehört?« Tentomon schien kurz zu überlegen, ehe es antwortete. »Nein, leider nicht, tut mir leid.« Sie schloss kurz die Augen. »Du brauchst dich doch nicht zu entschuldigen.« Sie schlug die silbrig grauen Augen wieder auf und ihr Blick fiel unwillkürlich auf Kazuki. Er schien ganz in Gedanken versunken zu sein und die junge Frau bemerkte, dass er seine Hände leicht zu Fäusten geballt hatte. In all dem Chaos, dass ihre beiden Sandkastenfreunde nun auch zu dem Digimonbekanntenkreis zählten, hatte sie ganz vergessen, dass auch Kazuki seinen Partner verloren hatte. Nun, es stand natürlich noch nicht hundertprozentig fest, dass Impmon und sie Partner waren, schließlich war dies nur eine Vermutung seitens Touma, aber dennoch … Wie konnte sie nur so egoistisch sein und vergessen, dass es Kazuki ebenfalls nicht gut ging? Sie fühlte sich schlecht deswegen und legte dem schüchternen Jungen aufmunternd eine Hand auf seine schmale Schulter. »Hey, Kopf hoch, ja?« Kazuki antwortete nicht, aber er lächelte dünn. Mehr konnte sie wohl nicht erwarten. Rinas Blick schweifte einmal durch den doch recht kleinen Raum. Es standen einige Computer herum und zwei große Monitore waren an den Wänden links und rechts, doch trotz allem wirkte die Einrichtung recht spärlich. Von Touma hatte Rina erfahren, dass diese neue Zentrale nur ein Schatten seiner selbst von vor fünf Jahren war, aber es war das Beste, was sie in der kurzen Zeit hatten aufbauen können. Die 18-jährige erschrak, als ihr plötzlich jemand auf die Schulter klopfte und sich zu ihnen an den Tisch setzte. Es war Masaru gewesen. »Tag, allerseits!« »Mensch, erschreck mich nicht so!«, erwiderte Rina mit geröteten Wangen. Rikyu kicherte leise. Verdammt, er und Masaru waren sich wirklich unheimlich ähnlich so manches Mal. »Hehe!«, grinste auch Masaru. Dicht hinter seinem Sohn war auch Daimon Suguru gewesen, der sich zu den Jugendlichen an den Tisch gesellte und Rikyu sein Digivice zurückgab. »Faszinierend«, sagte er nur und nahm sich einen Stuhl. Kazuki dachte sich, dass es allmählich voll am Tisch wurde und zog sich unauffällig ein paar Zentimeter in Richtung seines großen Bruders zurück. Skeptisch besah Rikyu sein wiedererlangtes Digivice. Auch Tentomon neigte sich über dessen Schulter und starrte das kleine Gerät an. »Was genau ist denn so faszinierend?« »Haben wirklich Sie dieses Digivice entworfen, Daimon-san?«, fragte Rina neugierig. Suguru nickte. »Ja, das habe ich. Aber viel faszinierender ist es, dass es sich auf einmal verselbständigt hat und auf wundersame Weise zu Kazuki und Rikyu gelangt ist.« Statt hochgradig verwirrt zu sein, strahlte er bis über beide Ohren. Für ihn war das Ganze einfach unheimlich spannend. »Ja, das ist wirklich merkwürdig«, meinte Masaru. Er warf noch einen Blick hinüber zu Rikyus schwarz-rotem Digivice. Plötzlich fiel ihm das kleine Loch oben in der Mitte über dem Bildschirm auf und er fragte sich, wofür es wohl gut war. Zumindest konnte er sich nicht daran erinnern es gesehen zu haben, als sein Vater an dem Gerät herumgebastelt hatte. »Hey, wofür ist denn das Loch da gut?« Wieder lächelte Suguru. »Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Ich habe es auf jeden Fall nicht da hinein gebohrt.« Masaru grummelte irgendetwas Unverständliches. Dann sagte er: »Wieso bekommen wir eigentlich kein neues Digivice?« Schmollend sah er zu seinem Erzeuger hinüber. Dieser zuckte nur die Schultern. »Aber warum denn? Gefällt dir das Digivice Burst nicht mehr?« Nur ein Schulterzucken seitens seines Sohnes. »Stell dich nicht so an. Ich habe schließlich nur das Digivice iC entworfen, es hat sich selbst zu dem Digivice Burst entwickelt. Ich habe alles gegeben, aber ich kann es nicht nachbauen. Das Digivice Zero hier ist also nur eine Kopie.« Mit dieser Erklärung gab sich Masaru soweit ab. Zumindest sagte er nichts mehr. Rikyu rümpfte die Nase. Toll, jetzt war sein Gerät auch noch nur an das Original angelehnt, wie gemein. Zwischenzeitlich war Touma zu dem geselligen Tisch hinüber geschritten und stellte sich mit verschränkten Armen zwischen Masaru und Rina. »Ich habe stark den Verdacht, dass die Digivices sich aufgrund der öffnenden Tore selbständig machen.« Er legte eine Hand nachdenklich an sein Kinn. Masaru knallte eine Faust in seine eigene Handfläche. »Dann steckt wohl Igudorashiru dahinter.« »Sei dir da mal nicht ganz so sicher, schließlich wissen wir noch nicht viel. Aber ausschließen können wir das auch nicht«, entgegnete Touma. Rina, Rikyu und Kazuki sahen sich gleichzeitig gegenseitig an. Alle drei verstanden sie nur Bahnhof und Rina wie auch Kazuki waren froh, dass sie mit ihrer jeweiligen Unwissenheit nun nicht mehr alleine dastanden. Daimon Suguru verabschiedete sich wieder von der Gruppe. Stattdessen kam nun Yoshino zu ihnen hinüber und begrüßte alle fröhlich. Vor allem Gaomon, welches Touma mittlerweile an die Seite geschritten war, nickte sie fröhlich zu. Dass das Hundedigimon nun in Yokohama angekommen war, steigerte ihre Hoffnung Lalamon rasch wiedersehen zu können nur noch mehr. Sofort lehnte sich Rikyu cool und breitbeinig auf dem Stuhl zurück, schob sich eine längere Haarsträhne seiner schwarzen Rockermähne keck hinter die Ohren und rief ihr anzüglich zu: »Hallo, Fräulein Polizistin!« Yoshino lächelte verlegen, doch Rina verzog sofort eine Miene. Schwungvoll holte sie mit einem Bein aus und trat ihrem Freund herzhaft gegen sein Schienbein. »Au!«, stöhnte er verwirrt auf und rieb sich die schmerzende Stelle. Rina sah beleidigt zur Seite. Yoshino versuchte schnell zu beschwichtigen. »Rina, was hältst du davon, wenn wir mal etwas zusammen unternehmen?« Sie 23-jährige war wirklich froh, nun endlich jemanden in der Gruppe zu haben, mit der sie sich über Frauensachen unterhalten konnte. Natürlich, da waren auch Miki und Megumi und auch irgendwie Chika-chan, aber die beiden ersteren hatten selten Zeit und die Schülerin war für manches einfach zu jung. Außerdem mochte Yoshino Rina gleich von Anfang an. »Ähm, ja, gern, wieso nicht«, antwortete Rina freundlich. »Okay, wir wäre es wenn -« Sofort war Rikyu aufgesprungen und stellte sich zwischen die beiden Mädels. Touma schon er dabei unsanft beiseite. »Okay, wie wäre es, wenn wir drei Hübschen in ein Maid Café gehen? Ich würde euch wirklich unheimlich gern in einem Maid-Kostüm sehen!« Er grinste breit. Kazuki hingegen schämte sich so sehr für seinen Bruder und wäre am liebsten auf der Stelle im Boden versunken. Yoshino, nun puterrot, winkte nur irritiert ab, doch Rina biss sich einmal kurz auf die Lippen und trat Rikyu mit aller Kraft erneut gegen das Bein, genau an die Stelle von zuvor. Jaulend ließ Rikyu die beiden Mädels los und hüpfte schmerzverzerrt durch die Zentrale auf seinem heilen Bein. »Blöder Weiberheld«, dachte Rina wütend und zog Yoshino an einem Arm hinter sich her. »Lass uns gehen.« »Äh, okay.« Als sie draußen angelangt waren, atmete die Brünette einmal tief durch. »Du kannst ihn nicht zufällig wegen Belästigung einbuchten?« Yoshino aber nahm das alles gelassen. »Das wäre wohl etwas zu viel des Guten.« Die jungen Frauen liefen los. Sie waren in der Nähe des Mitsuike Parks und schlenderten in dessen Richtung. Lässig vergrub Yoshino ihre Hände in ihren Hosentaschen. »Sag mal«, Rina sah auf, »wie genau stehst du denn zu Rikyu?« »Hä?« Schlagartig errötete die 18-jährige. »W-wie meinst du das?« Verlegen fing sie an am Saum ihres Shirts zu spielen. Yoshino sah stur geradeaus und lächelte. Sie zuckte mit den Schultern. »Na ja, du weißt schon. Seid ihr zusammen?« »Nein!«, dementierte Rina heftig. Die Polizistin nickte. »Okay, okay, war ja nur eine Frage. Ich dachte nur …« »Rikyu und ich sind nur Freunde. Wir kennen uns schon seit unserer Kindheit.« Sie hielt kurz inne, um ihre Worte genau zu bedenken. »Er ist einfach ein Möchtegerncasanova und baggert alles an, was nicht bei Drei auf dem Baum ist. Sowas brauche ich echt nicht.« Verständlich nickte Yoshino. »Also stehst du mehr auf Typen wie Touma?« Rina musste wirklich stark aufpassen, dass sie sich nicht verschluckte oder gar, dass ihr Kopf platzte, vor all der Röte und Scham. »Nein! Und jetzt hör auf, Yoshi-chan!« Sie legte die Hände an ihre glühenden Wangen und schüttelte ihren Kopf. »Hehe, na gut, verzeih, dass ich dich ein wenig aufgezogen habe.« Eine warme, windige Brise wehte und vereinzelte Kirschblüten lösten sich von den Bäumen. Einige von ihnen fielen in Rinas langes Haar. Yoshino lächelte. Rina war wirklich ein süßes Mädchen. »Wusstest du, dass die Kirschblüte für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit steht?« Verdutzt neigte die Jüngere den Kopf ein wenig schräg und kämmte sich die rosafarbenen Blüten aus dem Haar. »Wie meinst du das?« Wieder umspielte ein zartes Lächeln Yoshinos Lippen. »Das wirst du schon noch herausfinden.« Statt zu antworteten, blinzelte Rina verwirrt und nickte nur. »Also, was wollen wir nun machen? Hast du Lust, in eine Karaokebar zu gehen?«, fragte Yoshino. Dieser Vorschlag klang ganz akzeptabel, daher nickte die Angesprochene. »Ja, wieso nicht.« Die zwei Mädchen strahlten sich an. Es war unglaublich, wie sehr die beiden doch auf einer Wellenlänge waren. Teilweise waren sie sich so ähnlich und dann auch wieder nicht. Rina spürte durchaus, dass Yoshino mehr Lebenserfahrung hatte und auch reifer als sie selbst zu sein schien, aber das störte sie nicht weiter. Ganz im Gegenteil – sie würde bestimmt noch eine Menge von ihr lernen können. Ja, es bestand doch kaum ein Zweifel, dass die beiden nicht auf dem besten Weg waren, sehr gute Freundinnen zu werden. »Hm, ich hatte noch nie eine beste Freundin«, ging es Rina plötzlich durch den Kopf. Doch sie vertrieb den Gedankengang rasch wieder. »Dann hätten wir ja das geklär -« Plötzlich hörten sie ein krachendes Geräusch. Es hatte sich angehört, als wäre irgendetwas gegen den nächstbesten Baum gestoßen. Die beiden frisch gebackenen Freundinnen sahen sich kurz an. »Also das mit dem Karaoke müssen wir wohl nochmal verschieben«, meinte Yoshino. Rina nickte und musste sich dann schon beeilen, mit der sportlichen Polizistin mithalten zu können. Diese raste nämlich flink in das grüne Feld und steuerte die Richtung an, aus der das Geräusch ertönt war. »Impmon«, ging es Rina durch den Kopf. Sollte sie Glück haben und das kleine Digimon etwa hier wiedertreffen? Andererseits – da war ein Geräusch gewesen, dass sich eher so anhörte, als wäre da ein Kampf im Gange und sie musste unwiderruflich an Mammothmon denken. Gegen so einen Schlag Digimon würde das kleine Impmon doch niemals eine Chance haben. Dann war es vielleicht doch besser, wenn sie das ersehnte Wesen nicht traf. Es sollte nicht lange dauern, da hatte sie Yoshino eingeholt. Deren Gesichtsausdruck war hart und gespannt, als bereite sie sich auf das Allerschlimmste vor. Was war nur, wenn da wirklich ein Digimonkampf war? Konnten die beiden Mädchen überhaupt ohne die Hilfe der Jungs mit ihren Digipartnern etwas ausrichten? Lieber wollte Rina das alles nicht laut aussprechen. »Verdammt!«, rief Yoshino aus, als sie an dem Ort des Geschehens ankam. Natürlich sollten beide rechthaben; hier fand in der Tat ein Digimonkampf statt. Doch die 23-jährige hätte sich nie träumen lassen, wen sie da erblickte. Auch Rina fand sich ein und erschrak. Da stand ein Angemon. Touma und Kazuki hatten ihr ein Bild aus der Datenbank der DATS gezeigt und sie war sich sicher, dass es das Angemon von Kazuki war. Sie hatte da einfach so ein Gefühl. »Lalamon!«, rief Yoshino aus und lief zu dem kleinen rosafarbenen Wesen, welches erschöpft an dem Baum lag. Es sah ein ziemlich mitgenommen aus, doch es schien ihm nicht weiter etwas zu fehlen. »Lalamon, geht es dir gut?« Behutsam nahm Yoshino ihren Partner auf den Arm. »Yoshi, bist du das?« »Ach, mein Lalamon!«, schluchzte Yoshino und drückte das kleine Digimon fest an ihren Körper. Angemon hingegen stemmte kokett eine Hand in die Seite. »Ach, wie niedlich.« Das genügte. Yoshino war nun so wütend, dass sie mit Lalamon auf den Armen sich wieder aufrichtete und erbost zu Angemon aufsah. »Wenn du Ärger willst, kannst du den gern haben.« Ihre pinkfarbenen Augen blitzten bedrohlich auf. Rina war sich sicher, dass Yoshino es absolut ernst meinte. Aber wenn es doch Kazukis … »Yoshi-chan, warte!« Sie lief zu den beiden hinüber. »Tu ihm nichts, ich glaube, das ist Kazukis Partner!« »Und wenn es das Digimon vom Papst wäre!« Lalamon glubschte seine Yoshino verdutzt an. So raue Töne hätten doch wohl eher zu Masaru gepasst. Rina jedoch ging nicht weiter auf ihre Freundin ein. Sie konnte sie ja verstehen, aber sie wusste auch, dass Yoshino gerade nicht objektiv urteilte. Also beschloss sie, die Sache selbst aufzuklären. »Du bist doch Kazukis Partner, nicht wahr?« Angemon verharrte einen Moment. »Irgendwann habe ich diesen Namen schon einmal gehört, ja.« Die 18-jährige schluckte. »Also doch … Warum hast du ...?« »Es hat mich angegriffen, weil ich wollte, dass es mir dieses Digivice in seinen Händen gibt!«, schrie Lalamon aus und deutete auf die rechte Hand des Engeldigimons. »Digivice?« Yoshino nickte und zückte indes das ihre. »Also, wenn du auf einen Kampf aus bist, kannst du den gerne haben!« Angemon, eben noch cool und lässig, trat auf einmal zwei Schritte zurück und breitete die Flügel aus. »Nein, heute lieber nicht.« Es salutierte nochmal kurz und flog dann auf und davon. »Hey, warte!«, rief Rina noch aus und wollte ihm nachlaufen, doch natürlich konnte sie ein fliegendes Digimon nicht einholen, also ging sie zu Yoshino und Lalamon zurück. Betrübt biss sie sich auf die Lippe. Das war also Kazukis Partner gewesen. Kein Wunder, dass der zart besaitete Junge solch ein Problem mit diesem Digimon hatte. »Bist du sicher? Dir fehlt nichts weiter?« Yoshinos Stimme zitterte besorgt. Lalamon hingegen lachte bereits wieder und munterte seine Partnerin auf. »Aber ja, es hat mich auch nicht so hart erwischt. Und da war ja noch dieses andere Digimon.« »Ein anderes Digimon?«, fragte Yoshino. Rina sah auf. »Ja, da war ein Impmon, es war noch bei mir, bis kurz vor eurer Ankunft.« »Impmon …«, dachte Rina und schloss die Augen. Sie hörte, wie Yoshino seufzte und zu ihr hinüber trat. »Na komm, ich glaube, das war genug Aufregung für heute. Die Karaokebar ruft.« Sie versuchte Rina aufzubauen. »Du wirst überrascht sein, was Lalamon für ein guter Sänger ist!« »Ja«, sagte Rina leise. Sie sah auf den Kirschbaum hinter Lalamon, das vor diesem wie eine Kirschblüte im Winde hin und her tanzte. »Die Kirschblüte steht für Schönheit, Aufbruch und Vergänglichkeit«, schoss es ihr durch den Kopf. Sie lächelte sanft. Kapitel 17: Angemons Pein ------------------------- Impmon seufzte, während es langsam einen Fuß vor den andren setzte und sich dabei den grummelnden Magen festhielt. »Also, so langsam werde ich wahnsinnig. Was ist das denn für eine verrückte Welt, wo man noch nicht mal an was zu essen herankommt?« Natürlich war es dem Digimon überhaupt nicht verständlich, dass es hier in Yokohama weder riesige Felder oder gar Bäume mit Früchten gab. Wenn es sich durch die Gassen innerhalb der Stadt schlich und dabei an den Marktständen vorbeikam, traf es nur immer wieder auf wild hysterisch schreiende Frauen, die entweder seines Anblicks wegen verrücktspielten oder es aber ansprachen, ob der feine Cosplayer denn auch genug Yen zum Bezahlen dabei hatte. Mit diesen merkwürdigen Worten konnte Impmon natürlich noch weniger anfangen und so kam es, wie kommen musste; wenn der Hunger allzu sehr nagte, stibitzte es sich in einem unbeobachteten Moment einen Apfel, nur um kurz darauf mit noch mehr Äpfeln der verrückten Frauen beworfen zu werden. Eine wirklich, wirklich seltsame Welt. Schließlich lief es ziellos umher, nur um bald festzustellen, dass es diese Gegend hier doch schon einmal irgendwo gesehen hatte. Das Digimon kam nicht sofort darauf. Als es dann auch noch die Stimmen von Menschen vernahm, sprang es rasch in die nächste Nische zwischen zwei Häuserwänden. Vorsichtig lubschte es um die Ecke. Aus seinem sicheren Versteck erkannte es, dass dort zwei männliche Menschen (ja, flink musste es doch tatsächlich feststellen, dass es unterschiedliche Menschen gab!) auf das Hochhaus zuliefen. Der Größere von beiden hatte schwarzes Haar und trug zwei ziemlich schwer aussehende Tüten, während der Kleinere mit einer weiteren Tragetasche langsam hinterherlief. Er kam kaum mit dem anderen mit, da dieser fiel schneller lief. Hm, der Zwerg sieht irgendwie geknickt aus, dachte sich Impmon. »Verdammt, Nii-san, renn doch nicht so!« Der Schwarzhaarige schnalzte mit der Zunge. »Verdammt, Kazuki! Erstens ist es schwer und zweitens hab ich keinen Bock wegen dir den Anfang von Takeshi’s Castle zu verpassen, hörst du?« Der Junge, der auf den Namen Kazuki hörte, verrollte daraufhin die Augen. »Du und deine blöden Fernsehsendungen …« Impmon kicherte. Das waren ganz schöne Dödel, befand es. Der Ältere errötete leicht um die Nasenspitze herum. »Na und? Du hast doch überhaupt keine Ahnung von Kultur!« »Aha … und warum darf Rina-san dann nichts von deiner „Kultur“ erfahren?« »Weil ich dich sonst kastrieren werde, haben wir uns verstanden?« »...« Impmon lehnte sich zurück. Wenn alle Menschen so waren, wie die, die es da sah, na dann Prost Mahlzeit. Und es hatte schon gedacht, dass es an diesem Daimon Masaru persönlich liegen würde. Aber als das kleine Teufelsdigimon die beiden Jungs so ansah, kam es letztendlich zu dem Entschluss, dass die doch alle einen an der Waffel haben mussten. Gerade als es sich dazu entschlossen hatte, sich klammheimlich aus dem Staub zu machen, passierte etwas, womit es überhaupt nicht gerechnet hatte. Denn auf einmal leuchtete es neben dem Schwarzhaarigen kurz rötlich auf und Tentomon tauchte neben diesem auf. »Was macht der denn hier? Das kann doch nicht …?!« Nicht, dass es besonders scharf darauf gewesen wäre, mal wieder etwas mit seinem Käferfreund zu unternehmen. Ganz im Gegenteil; Impmon war heilfroh, dass es den Schwätzer endlich los war. Aber dennoch … »Hallihallo!«, grüßte Tentomon die zwei Menschlein. Während der Kleinere der beiden panisch anfing mit den Armen zu rudern, fletschte der andere seine makellosen weißen Zähne. »Sag mal, bist du deppert? Mach, dass du wieder in das Teil da rein kommst!« Schnell hatte er die beiden Tüten fallen lassen und war an Tentomons Seite gestürmt, damit er diesem ein kleines schwarz-rotes Gerät unter die Nase hielt, welches er bedrohlich in dessen Richtung hielt. »Brüderchen, ich glaube nicht, dass das so funktioniert …«, fing Kazuki kleinlaut an, doch es ging unter. »Freund Rikyu, sag, was bedeutet kastrieren?« Neugierig neigte das fliegende Digimon seinen Kopf ein wenig schräg. Rikyus Augenbraue zuckte kurz. »Mach so weiter und du findest es heraus!« Tentomon konnte gar keine Antwort mehr erwidern, da warf sich der 19-jährige auch schon auf das Digimon, gerade so, als würde er es damit wieder in das Digivice bekommen. Wie die Geschichte weiterging, bekam Impmon gar nicht mehr mit, denn es hatte genug gesehen und wendete sich ab. »So ist das also, die beiden sind Partner …« Ein durchdringender Schmerz durchzuckte Impmon, als er plötzlich an Masaru und Agumon denken musste. Eigentlich waren die beiden ja ganz nett gewesen und sie schienen echt Spaß miteinander zu haben. Und trotzdem spürte es, wie es Tentomon innerlich anfing zu verachten. Es hatte sich mit Menschen eingelassen, wie töricht. Als Impmon die Augen schloss, erinnerte es sich auch sogleich, weshalb ihm diese Gegend hier so bekannt vorkam. Hier hatte es Rina getroffen. Gar nicht weit von hier, in einer Gasse, die so ähnlich gewesen war wie diese, hatte es sie getroffen und ihr die Lunaris-Blüte gegeben. Die Blume, die doch eigentlich für Lilithmon gedacht war. Aber das war nun ohnehin alles gleichgültig. Es hatte den Weg eines Feiglings genommen und war entflohen und hatte sich Lucemons Befehl damit entsagt. Bei diesem Gedanken durchlief es ein Schauer und es zuckte kurz zusammen. Hastig schüttelte es den Kopf. Nein, es war kein Feigling, davon war es überzeugt, zumindest versuchte Impmon dies inständig zu glauben. Plötzlich erschrak es, denn als es den Kopf wieder anhob, konnte es das andere Digimon sehen, wessen Anwesenheit es zuvor noch gar nicht bemerkt hatte. »Was zum Henker machst du denn hier?«, blaffte Impmon sein Gegenüber an. Das kleine Digimon nahm eine Kampfhaltung ein, auch wenn ihm eigentlich klar war, dass es nur bedingt Chancen gegen das Adult Level Digimon haben würde. Andererseits … Angemon sah doch ungewöhnlich blass aus, als es so stur geradeaus zu den beiden Menschen sah. Endlich erwachte es aus seiner Starre und wandte sich dem kleinen Teufel zu. Hochmütig verschränkte es die Arme vor dem Oberkörper und bedachte Impmon mit einem herablassenden Lächeln auf den Lippen. »Nichts, ich war nur zufällig hier.« »Ah ja …« Impmon entspannte sich wieder ein wenig. Erst kürzlich war es an Angemon geraten, als dieses sich mit diesem Lalamon beschäftigt hatte. Normalerweise war ihm so etwas ja egal, doch in jenem Moment konnte es nicht anders, als einzugreifen. Dies war wohl auf einen seiner alten Charakterzüge von Beelzebumon zurückzuführen, welches solch arge Ungerechtigkeit doch verabscheut hatte. Impmon seufzte ob seiner eigenen törichten Handlung. Während Impmon gelangweilt zu dem größeren Digimon sah, fiel ihm auf, dass Angemon entfernt Ähnlichkeit mit Lucemon hatte, wenn auch nur in abgeschwächter Variante. »Ich könnte dich übrigens genauso fragen, was du hier machst«, sagte Angemon auf einmal in die aufgetretene Stille hinein. Lässig zuckte das Child Level Digimon mit den schmächtigen Schultern. »Meine Beine haben mich einfach vorwärts getragen. Und als ich die beiden Deppen da drüben gesehen habe, habe ich mich ganz spontan dazu entschlossen nicht weiter in diese Richtung zu gehen, so einfach ist das.« »Verstehe …« Angemons Stimme klang eher gepresst. Auch fiel Impmon auf, dass das Digimon doch ungewöhnlich blass aussah und das, obwohl es nicht aus einem Kampf zu kommen schien. Und was war das? Zitterte es etwa ein wenig? Nein, das musste Einbildung sein. »Dir ist nicht zufällig aufgefallen, dass dieses Haus … nun sagen wir mal – besonders – ist?« Mit runzelnder Stirn schüttelte Impmon den Kopf ein wenig. »Was geht denn mit dir ab? Bist du jetzt in die Esoterikbranche eingestiegen?« Angemon schnalzte abfällig mit der Zunge und lehnte sich gegen die nächstbeste Wand. »Nein, du Genie. Ich rede auch nicht von dem Haus selbst, sondern von seinen Bewohnern. In dem Gebäude wohnen unnatürlich viele Menschen, die einen Digimonpartner haben, komischer Zufall, was?« Das Teufelsdigimon verstand nur Bahnhof. Was meinte Angemon? Das einzige Digimon, was es hier jemals gesehen hatte, war doch Tentomon. Oder wohnte dieser Daimon Masaru etwa auch hier? Und dann kam Impmon ein ganz anderer Gedanke. Vielleicht spürte der rüde Engel auch einfach die Macht der Lunaris-Blume, die Impmon Rina gegeben hatte. Rina … »Ach, ist ja auch egal«, schnaubte Angemon und löste sich wieder von der Mauer. Es warf einen letzten Blick in Richtung der beiden Menschen. Impmon folgte diesem Blick und konnte gerade noch erkennen, wie der Schwarzhaarige den Käfer buchstäblich in das Haus tritt und der Kleinere der beiden schnaufend und hechelnd mit den drei Tüten hinter ihm her trottete. Dann schloss sich die Haustüre. Als es den Blick wieder abwand, konnte es gerade noch erkennen, wie intensiv Angemon den braunhaarigen Jungen beobachtete. Und dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Natürlich, es war so offensichtlich gewesen. Dass es nicht gleich daran gedacht hatte! Tentomon hatte doch mal diese Theorie aufgestellt, dass all die Digimon, die hier in der realen Welt auftauchten, irgendetwas mit Impmon zu tun hatten. Und tatsächlich – seitdem hatte es versucht genauer darauf zu achten und leider festgestellt, dass da etwas dran war. Schließlich war Tentomon buchstäblich neben ihm erschienen. Nur Angemons Erscheinen hatte es nicht bemerkt, aber vielleicht war es auch gar nicht wegen ihm, Impmon, erschienen …? »Der Zwerg da ist dein Partner«, meinte Impmon kühl. Es konnte nicht umhin sich ein leises Grinsen zu verkneifen. »W-was?« Angemon schien noch etwas verwirrt und auch neben der Spur. Schimmernde Schweißperlen sammelten sich auf seiner Stirn und perlten sich langsam an seiner blassen Wange hinab. Impmon hatte seine Bestätigung. »Du verstehst mich schon. Der Knirps da drüben ist dein Partner. Irgendwie hat es dich zum Digitieren gebracht – vermutlich mit dem Digivice, das du die ganze Zeit mit dir rumschleppst. Aber so langsam verlässt dich deine Kraft.« Verärgert ballte der Engel die Hände zu Fäusten und sprang Impmon an den Hals. »Schweig, du Narr.« Ein bitteres Lachen löste sich aus Impmons Kehle. »Was kann ich denn dafür, dass du von der Schnapsidee ausgehst, dass du mit dem Teil alleine digitieren kannst?« Ihm war durchaus klar, dass es keine Chance gegen ein wütendes Adult Level Digimon haben würde. Allerdings war ihm mindestens genauso klar, dass Angemon wohl kaum seine letzten Kraftreserven darauf verwenden würde, um Impmon eins auszuwischen. Das war Impmons persönliche Retourkutsche für den kleinen Fight neulich. »Sei still, ich brauche den Jungen nicht«, schrie Angemon erbost, doch er merkte selbst, wie zittrig seine Stimme klang. Nicht mehr lange und es würde sein Dasein wieder als Patamon fristen müssen. Es sammelte sich kurz, damit es das Chaos in seinem Kopf ordnen konnte. Dann sprach es: »Hör zu, bring mich in die Digiwelt!« Jetzt war es wieder an Impmon verblüfft zu sein. »Bitte?« »Keine Mätzchen, ich habe keine Zeit zu verlieren!« Geschickt löste Impmon den Griff um seinen Hals, der mittlerweile ohnehin nur noch sehr locker war. »Also erstens wird das dein Level auch nicht halten können – eher im Gegenteil, da bricht bald die Hölle aus, glaub mir - und zweitens kriegen mich keine zehn Seadramons dahin zurück«, konterte es gelassen. Ja, in solchen Situationen zeigte sich wieder Beelzebumons alter Charakter, für das es von vielen Digimon mal angehimmelt wurde. Aber die Hinterwäldler hatten sich ja alle als Verräter herausgestellt. Behände klopfte es sich den Staub von den Armen. Gerade wollte es noch hinzufügen, dass es doch zu dem Jungen gehen sollte, aber es entschied sich im letzten Moment dagegen. Angemons Laune erschien ihm doch gerade sehr instabil und der Knirps sah nicht so aus, als würde er damit in nächster Zeit damit klarkommen. Andererseits dachte es über Angemons Worte nach. So wie es sich angehört hatte, ließ sich darauf schließen, dass es das Haus und den Jungen schon öfter im Auge hatte. Irgendwie gefiel Impmon diese Erkenntnis so gar nicht, obwohl es sich sicher war, dass Tentomon und dessen Partner bestimmt mit der Lage klargekommen wären. Aber dennoch … »Also schön«, sagte Angemon letztendlich. »Dann eben nicht, ich komm schon allein dahin, du Feigling!« »Hey, ich bin kein Feigling!«, rief Impmon verteidigend, aber Angemon hörte ihm schon gar nicht mehr richtig zu. Stattdessen war es bereits drauf und dran sich aus dem Staub zu machen und lief eilig an Impmon vorbei. Rasch flitzte es über die Straße und rannte eine Treppe auf der anderen Seite hinab. Impmon stöhnte auf. Es hatte nicht wirklich Lust sich mit dem Ganzen zu befassen, aber das alles ließ es doch nicht kalt. Angemon würde seine Digitation höchstens noch ein paar Minuten halten können und wenn es sich dann zurückverwandelte vor all den Menschen, wer weiß, was dann passieren würde. Also überlegte es nicht weiter und lief raschen Schrittes denselben Weg. Während es über die Straße flitzte, kamen gleich drei Autos auf einmal auf es zu, denen es mit Leichtigkeit auswich, in dem es gekonnt über diese drüber hüpfte. Allerdings mussten die Autos eine Vollbremsung machen und einer der Fahrer stieg sogar verwirrt aus. Als Impmon die Straße überquert hatte, hechtete es die Treppen hinab, die auch Angemon zuvor heruntergelaufen war. »Verdammt, was hat es vor? Eigentlich dachte ich, dass es zu dem Jungen will … Aber vielleicht geht Angemon auch davon aus, dass es hier unter der Erde irgendwann in das Haus gelangt?« Wenn Impmon zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, dass das genau der Plan von Angemon war, dann hätte es sich diese Hetzjagd auch fast sparen können. Jedoch lag ihm ja auch etwas daran, dass das geschwächte Patamon nicht unbedingt in die Hände neugieriger Menschen fiel. Mist, ich werde zu weich, dachte Impmon resigniert, als es angestrengt die Gänge entlang lief. Zum Glück führten die Treppen bislang nur in eine Richtung. Zwischendurch kam es immer mal wieder an Passanten vorbei, doch größtenteils beachteten diese das Digimon gar nicht oder aber fingen erst viel zu spät mit dem Schreien an, wenn es bereits um die nächste Ecke gelaufen war. »Heiliges Azulongmon, wie lange muss ich denn noch laufen?«, beschwerte es sich lauthals, als es tatsächlich um die letzte Ecke gebogen war und an einem Bahnsteig ankam. Die allgemeine Aufmerksamkeit ruhte aber nicht auf ihm, denn die hier versammelten Menschen blickten alle nach rechts und als auch das erschöpfte Impmon in besagte Richtung blickte, konnte es nicht anders als aufzuseufzen. Dort hinten in der Ecke stand Angemon und es blickte in die düsteren Tunnel hinein. Es wollte doch nicht …? »Hey!«, rief Impmon lautstark aus, nur um kurz darauf festzustellen, was für eine blöde Idee das gewesen war. Denn jetzt drehte sich etwa gut die Hälfte aller versammelten Menschen um und bedachten es mit einem seltsamen Blick. »Spielen die hier ein Theaterstück auf oder so etwas?«, hörte es jemanden fragen. »Bestimmt stehen hier irgendwo Kameras versteckt«, gab ein anderer von sich. Endlich drehte Angemon seinen Kopf in Impmons Richtung, doch als es soweit war, wünschte sich das Digimon, das andere hätte dies nicht getan. Sogar aus dieser Entfernung konnte es sehen, wie Angemon der nackte Schweiß im Gesicht funkelte. Es würde jeden Moment zurückdigitieren. Doch soweit sollte es noch nicht kommen. Ohne weiter zu überlegen, sprang Angemon die Stufe hinab und lief in den dunklen Tunnel hinein. »Hey, du Freak, bist du irre?«, schrie einer der anwesenden Menschen. Und so wie die Menge anfing zu raunen, hatte Impmon das Gefühl, dass gleich etwas ganz Schreckliches passieren musste. Es wusste nicht, was dort in den Tunneln lauerte, aber die Menschen hatten solch eine schier sichtbare Angst, als Angemon dort hineinlief … Es musste einfach etwas unternehmen. »Verdammt!«, schrie es wie einen Kampfschrei aus und sprintete dem anderen Digimon hinterher. Es mobilisierte seine letzten Kraftreserven und konnte dank der kleinen Leuchten an den Wänden Angemon schon bald erkennen. Dieses rannte mittlerweile nicht mehr, sondern flog die Gänge entlang, was es auch um einiges schneller gemacht hätte, wenn es nicht selbst zu erschöpft gewesen wäre. »Bleib doch mal stehen«, stöhnte Impmon müde aus. »Verzieh dich, Kleiner«, antwortete Angemon barsch. »Hey, du bist gleich viel kleiner als ich, wenn du so weitermachst … Ach Mann, das war doch nicht so gemeint, jetzt warte mal!« Als Angemon immer noch nicht reagierte, fügte es noch hinzu: »Ich weiß nicht, wo wir hier gelandet sind, aber die Menschen scheinen aus irgendeinem Grund Angst vor den Tunneln zu haben und das wohl mit gutem Grund. Lass uns von hier verschwinden, bitte!« Impmon spürte, wie es um die Nasenspitze errötete, als es sogar angefangen hatte zu flehen. Warum gab es sich solche Mühe? Doch auch für diese Frage blieb keine Zeit, denn plötzlich fühlte es, wie die Gleise unter seinen Füßen, die es erst jetzt wahrnahm, zu erbeben begannen und ihm rutschte das Herz in die Hose, als es ein ratterndes Geräusch vernahm. »Bitte sag mir, dass du das auch gehört hast.« »…« Impmon rannte immer noch weiter, schaffte es jedoch dabei seinen Kopf nach hinten zu drehen und zwei leuchtende Scheinwerfer zu erblicken. »Oh mein Gott! Ich glaube da kommt ein Locomon!« »Ein Locomon …?«, fragte Angemon gedehnt. Natürlich, das würde einiges erklären. Aber vielleicht würde dieses ihn dann auch zurück in die Digiwelt bringen können. Andererseits, so wie es sich anhörte, raste es mit einer irren Geschwindigkeit auf die beiden Digimon zu und sie hatten kaum Platz zum Ausweichen. Nun ja, es selbst, Angemon, würde vermutlich hoch genug an die Decke fliegen, wenn es sich schmal machte. Aber Impmon … aber eigentlich war es doch selbst schuld. »Es kommt näher«, schrie Impmon nahezu hysterisch. Angemon hörte an dessen Stimme, dass es ziemlich erschöpft war. Als Beelzebumon hätte es mit der Lage spielend klarkommen können, aber als Impmon … Und plötzlich kam dem Engel der Gedanke, dass Impmon und es selbst doch gar nicht so verschieden waren. Ohne weiter darüber nachzudenken, machte es einen eleganten Loop und packte Impmon um die Taille. »Was zum …?!« »Nicht jetzt, muss mich konzentrieren«, presste Angemon zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervor. Ich hab keine Kraft mehr, dachte es noch, als es auf einmal einen markerschütternden Schmerz im Rücken spürte und nach oben geschleudert wurde. Das Letzte, was es noch versuchte, war Impmon festzuhalten, was es auch noch schaffte, bis sie auf dem Zug angekommen waren. Es verlor sofort das Bewusstsein und digitierte zurück. »Patamon!«, schrie Impmon aus und stürzte zu dem Digimon, welches drohte von dem fahrenden Zug zu rollen. Dann fiel Impmons Blick auf das Digivice, welches das andere hatte fallen lassen, und sicherte auch dieses, ehe es den Zug hinabfallen konnte. Erschöpft stellte es fest, dass ihm nichts weiter fehlte, außer vielleicht der paar Schrammen und Schürfwunden. Behutsam nahm es das schlafende Patamon auf den Schoß. »Verflucht, wer hat dir erlaubt mich zu retten?« Impmon wusste gar nicht, wie es mit der Situation klarkommen sollte. Lange Zeit sagte es nichts und als das Locomon, was vermutlich gar kein richtiges Locomon war, sondern irgendeine billige Kopie von Menschenhand, endlich anhielt, konnte es sich nicht mehr oben halten und rutschte mit dem Digimon auf den Armen hinab. Blöderweise stolperte es dabei über seine eigenen Füße und konnte nicht sofort wegrennen, ehe es die Menschen wahrnahm. »Au«, murmelte es leise, als es Patamon losgelassen hatte und sich am Allerwertesten rieb. Dann hörte es einen spitzen Schrei und es musste nicht den Kopf heben, um zu wissen, dass es schon wieder von irgendwelchen Menschen umringt war. »Oh mein Gott, Nii-chan, ich glaube, sie sind verletzt«, hörte Impmon eine behutsame Stimme flüstern und als es den Kopf hob, erkannte es zwei strahlend grüne Augen. Als es den Kopf nach links wandte, hätte es jedoch am liebsten losgefaucht wie ein streunender Kater. Masaru zog eine Augenbraue empor und stemmte die Hände in die Hüften. Dann neigte er sich neugierig nach vorn. »Na, sieh mal einer an und ich frag mich immer, warum die U-Bahn zu spät kommt, aber das ist wohl nicht im Fahrplan inbegriffen.« Kapitel 18: Familie ------------------- >>Keine Sorge, es ist nur erschöpft«, sagte Suguru liebevoll, als er die Tür des Nebenzimmers leise schloss und zu den anderen ins Wohnzimmer zurücktrat. Chika atmete erleichtert aus und ließ sich zurück in die Sofalehne sinken. »Was ein Glück, ich habe wirklich Angst bekommen.« Suguru setzte sich neben seine Tochter und legte ihr eine Hand auf den Kopf. Dann strubbelte er ihr einmal durch das Haar, so dass dieses in sämtliche Richtungen abstand. »Hey«, rief sie empört aus und riss sich beleidigt los. Schließlich wuchs sie langsam zu einer richtigen Frau heran, da sollte ihr Vater doch nicht solch alberne Sachen mit ihr machen. Zumal sie sich nun wieder die Haare würde kämmen müssen. Chikas Blick fiel auf Impmon, welches stumm und mit verschränkten Armen am Fenster des geräumigen Wohnzimmers stand. Wortlos blickte es hinaus, mittlerweile war es bereits dunkel draußen und die Sterne funkelten hell und klar. »Impmon …«, sagte sie leise und schaute daraufhin zu ihrem Bruder, der – ebenso wie Agumon – ziemlich fies zu dem armen Teufelsdigimon hinüberschaute. Chika hätte sogar schwören können, dass Masaru und dessen Partner versuchten so wenig wie möglich zu blinzeln, damit sie das Digimon auch ja keine Sekunde aus den Augen lassen mussten. Wie albern, fand das Mädchen. »Hey, Masaru!« Sie tippte ihren großen Bruder an der Schulter an. Allerdings war dieser so in der Impmonspionage vertieft, dass er sie nicht hat kommen sehen und folglich wie von der Tarantel gestochen gut vier Meter in die Luft sprang. »Verdammt, Chika!«, blaffte er seine Schwester böse an. Die 15-jährige allerdings musste kichern, da ihrem supercoolen Bruder buchstäblich alle Haare zu Berge standen und er um die Nasenspitze herum errötete. »Was sollte das denn?« »Aniki?«, fragte Agumon mit schräg geneigtem Kopf und einem Finger am Mund. Dann nahm es die freie Pranke und begann damit in Masarus Haar herumzufummeln. »Sag mal, geht’s noch? Lass das gefälligst!« Mit einer ruckartigen Handbewegung schlug er Agumons Arm weg. »Ihr habt doch alle einen an der Waffel …« Als Chika sah, wie Agumon beleidigt auf der Unterlippe kaute und das Digimon so etwas wie »wollte doch nur helfen« murmeln hörte, beugte sie sich zu ihm herüber und tätschelte ihm den Kopf. »Kopf hoch, Agu-chan, Masaru-niichan ist einfach blöd.« Da grinste das Digimon wieder und nickte entschlossen. »Bäh«, winkte Masaru ab und stand auf. Die Backen aufblasend vertiefte er die Hände in den Hosentaschen und schritt zu Impmon hinüber. Kurz beobachtete er es genau, bis er sich dazu entschied das Digimon anzusprechen. »Hey, du.« »… Mit dir rede ich nicht, du Stalker«, gab Impmon lässig zurück, ohne seinen Blick von der Scheibe abzuwenden. »Was, Stalker?!« Während Masaru entsetzt die Kinnlade herunterfiel, ließ sich Impmon endlich dazu herab, sich umzudrehen. Zunächst war seine Miene ausdruckslos, doch als er vernahm, dass Masaru – alias die Straßenpatrouille der Digiwelt – buchstäblich die Fassung verloren zu haben schien, entschloss das Digimon sich ein hochmütiges Grinsen aufzusetzen. »Ja, Stalker. Oder willst du etwa abstreiten, dass du und diese gelbe Eidechse da drüben mich bis hierher in die reale Welt verfolgt haben?« »Ähm, na ja …« Masaru kratzte sich etwas verlegen am Kopf. »Eidechse?«, fügte nun auch Agumon hinzu und trat zu seinem menschlichen Bruder heran. »Jawohl«, antwortete Impmon. Wie ein fieser Wissenschaftler begann es nun auf und ab zu schreiten und beäugte seine zwei Angeklagten dabei äußerst kritisch. Natürlich war dem Digimon klar, dass es von Masaru und Chika hierher gebracht wurde, damit es Fragen beantworten konnte. Tatsächlich jedoch hatte Impmon vor den Spieß noch umzudrehen, solange es dies noch konnte. »Das grenzt ja schon an Verfolgungswahn. Wo bleibt da die freie Entscheidungswahl?« Während sich über der selbsternannten Straßenpatrouille bereits die Fragezeichen über den Köpfen sammelten, warf das kleine Teufelsdigimon einen raschen Blick zu Chika und Suguru. Das Mädchen sah etwas müde von ihrem Bruder zu dessen Partner immer wieder hin und her. Daimon Suguru hingegen verfolgte das ganze Spektakel mit einer gewissen Belustigung in den Augen. Ui, vor dem muss ich mich in Acht nehmen, der hat mehr als sein Sohn drauf, dachte Impmon. »Hey, jetzt hör mir mal zu.« Der 19-jährige war aus seiner perplexen Starre erwacht. »Ich bin dir nicht hinterher, weil ich ja sonst nichts zu tun gehabt hätte.« Impmon zückte eine Augenbraue. »Das heißt also, du streitest es nicht ab, du wahnsinniger Verfolger?« »Verf- hey! Hör auf, mir die Worte im Munde umzudrehen!« »Genau, hör auf, Aniki wie einen Deppen aussehen zu lassen!«, erwiderte auch Agumon. Masaru verrollte die braunen Augen. »Das ist nicht sehr hilfreich, Gelbfuß.« »Ich verdrehe hier gar nichts«, meinte Impmon schließlich. »Ehrlich gesagt weiß ich noch nicht einmal, was ich hier eigentlich soll.« Der hitzköpfige Masaru biss sich auf die Unterlippe und neigte sich zu dem Digimon hinab. Dann packte er es am Kragen und zog es dicht vor sein Gesicht, so dass sie sich direkt in die Augen schauen mussten. »Ach, das weißt du nicht? Dann helf ich dir mal auf die Sprünge.« »Nur zu. Ach, übrigens; was ist mit deiner Rapunzelmatte passiert? So erkennt man dich ja kaum wieder.« Spitzbübisch setzte Impmon ein feines Grinsen auf. Unweigerlich wurde Masarus Griff ein wenig strenger. »Warum bist du -« »Masaru«, sagte Suguru sanft und legte seinem Sohn eine Hand auf die Schultern. Als sich der 19-jährige mit finsterem Blick umdrehte, schüttelte der Ältere nur langsam den Kopf. »Sei nicht immer so ungeduldig. Lasst uns doch erst mal etwas essen.« Zunächst verwirrt ließ Masaru Impmon wieder los und runzelte die Stirn. »Aber …« Als er sah, wie sein Vater kaum merklich zu der Türe schaute, hinter der das erschöpfte Patamon lag, und dann kurz zu Impmon, verstand er letztendlich und seufzte. »Also schön.« »Oh ja, Hunger«, trällerte Chika fröhlich und sprang auf. Sie drehte sich zu Impmon und lächelte es an. »Na, komm, Kaa-chan kann ganz toll kochen!« Sie hielt dem Digimon ihre zierliche Hand hin, die es allerdings nicht ergriff. »Pah, den Teufel wird ich tun … Ist bestimmt eh vergiftet oder so …«, gab es kleinlaut von sich und hoffte, dass sein Magen es nicht mal wieder verraten würde. Auch Masaru erinnerte sich an das kleine Déjà-vu und schnalzte mit der Zunge. »Hatten wir das nicht schon mal? Jetzt beweg deinen Hintern oder ich trete dich in die Küche.« Sehr zu Ungunsten des Teufelsdigimon wartete dieser aber keine Antwort, geschweige denn eine Reaktion ab und trat direkt zu. Bei dieser gemeinen Aktion konnte er sich das hinterhältige Lachen nicht verkneifen. »Oh Mann, ich hoffe es gibt Rührei!«, sang Agumon mit kleinen Herzchen in den Augen, als es mit großen Sprüngen in die Küche hüpfte. Als sie alle in der Küche waren, konnten sie sehen, wie hübsch Sayuri den Tisch gedeckt hatte. »Oh, da seid ihr ja alle schon«, grüßte sie liebevoll in die Runde und wies mit einer einladenden Geste auf den Tisch, dass alle Platz nehmen sollten. Natürlich ließen sich Masaru und dessen Partner das nicht zweimal sagen und sie stürmten zu den Stühlen. Als sich Agumon neben seinen großen Bruder setzen wollte, zog dieser ihm den Stuhl unter dem Allerwertesten weg. Der gelbe Dino strauchelte, konnte sich aber gerade noch so halten. »Hey, Aniki, warum machst du das?« Masaru stellte den Stuhl wieder an seinen vorherigen Platz. »Warum? Damit ich Impmon besser im Griff habe, was für eine Frage natürlich.« Plötzlich traten Agumon Tränen in die großen grünen Augen. »Aber … aber ich wollte neben dir sitzen.« Der 19-jährige schreckte ein wenig zurück. »Was bist du? Ein Mann oder eine Maus? Jetzt setz dich einen Stuhl weiter, verdammt nochmal, und behalte Impmon mit mir im Auge!« »Ach ja, richtig«, sagte Agumon nun etwas motivierter und tat wie ihm geheißen. Mittlerweile hatte sich auch Chika an die andere äußere Ecke des Tisches neben Masaru niedergelassen, damit ihre Eltern sich auf die andere Seite setzen konnten. Nur Impmon stand noch etwas verloren in der Türangel. Trotzig hatte es die Backen aufgeblasen und schüttelte vehement den Kopf. Wütend warf ihm Masaru böse Blicke zu, denn das ganze Theater hielt ihn selbst vom Essen ab und Agumon würde sich bestimmt nicht deswegen zurückhalten – eher im Gegenteil. Also drohte er Impmon schließlich mit einer schwenkenden Faust und das Digimon gab endlich nach. »Na schön. Aber Essen werde ich trotzdem nichts.« Als Sayuri es neugierig beobachtete, versuchte Impmon nicht allzu verlegen auszusehen. »Nichts für ungut, Ma’am.« Sie lachte glockenhell. »Aber das macht doch nichts! Hier vergeht sowieso nichts«, sagte sie noch vergnügt, ehe sie die Essstäbchen wieder in die Hand nahm. Wieder setzte Impmon ein hochmütiges Lächeln auf. »Nun ja, ich muss ohnehin auf meine schlanke Linie achten«, posaunte es aus und strich sich dabei einmal über den Bauch. Nun war es wieder an Masaru zu seufzen und er schüttelte kurz den Kopf. »Solange du nicht so einen Wanst wie Agumon kriegst, ist alles paletti.« Dann packte er Impmon im Genick und stopfte ihm mit der anderen Hand den halben Teller in den Mund. »So … und jetzt schön kauen und schlucken!« »Masaru!« Empört sprangen Sayuri und Suguru gleichzeitig auf, weil sie beide in jenem Moment dachten, ihr Sohn würde das fremde Digimon umbringen. Als Impmons Gesicht jedoch wieder eine normale Farbe annahm, atmeten sie synchron aus und sanken wieder auf ihre jeweiligen Stühle zurück. Auch Impmon hatte als erstes gedacht, es müsste jeden Augenblick ersticken. Nun spielte es keine Rolle mehr, ob das Essen vergiftet war oder nicht, denn der dämonische Masaru hatte ihm den Teller so weit in den Mund gerammt, dass es ohnehin sehr viel Nahrung aufgenommen hatte und weil es die gutmütige Sayuri mit den lieben Augen nicht verletzen und alles wieder ausspucken wollte, dachte es sich, dass es nun auch auf dem Essen drauf herumkauen konnte. Konterminiert war es ja sowieso schon. Auf einmal hielt es in der Bewegung inne, seine Augen weiteten sich und seine Wangen nahmen einen zartrosa Farbton an. »Hehe«, lachte Masaru und nahm selbst einen großen Bissen. »Schmeckt ziemlich gut, ne?«, fragte nun auch Chika sehr zuversichtlich. »Das ist ein Gedicht«, wollte Impmon gerade rufen, doch es verkniff es sich im allerletzten Moment, zu groß würde diese Schmach doch sein. Auch wenn es sich ziemlich sicher war, dass es schon bereits enttarnt genug war. Den letzten Funken Würde wollte es dennoch behalten. »Na ja, man kann es zumindest essen.« Das Abendessen verlief ohne weitere große Zwischenfälle. Impmon musste feststellen, dass diese Gruppe Menschen samt Agumon so innig miteinander agierten, dass sie sehr zusammenhielten und sich auch für einander interessierten. So fragten sie die anderen, wie deren Tag verlaufen sei und wie es ihm gerade ging. Auch Impmon wurde von Suguru und Chika befragt, doch es gab nur patzige Antworten, für die es von Masaru unter dem Tisch getreten wurde. Als Suguru daraufhin einmal seinen Sohn zurücktrat, war nicht nur dieser sprachlos, auch Impmon war hochgradig überrascht deswegen. Alles in allem lernte es hier eine Harmonie kennen, die es nie zuvor gekannt hatte. Und es wusste absolut nicht, wie es damit hatte umgehen sollen. Später, als die Familie noch gemeinsam Zeit vor dem Fernseher verbrachte, fand sich Impmon letztendlich gänzlich fehl am Platze. Zunächst war da diese merkwürdige Gerätschaft, in der sich winzige Menschen zu befinden schienen. Als dann eine Serie anlief, die sich Takeshi’s Castle nannte, musste Impmon sofort an seine zwei Trottel von heute Mittag denken und dieser Gedanke wiederrum führte es unweigerlich zu Patamon. Wie es ihm wohl ging? Kaum merklich neigte es den Kopf in Richtung der Türe, hinter der das orangefarbene Digimon untergebracht war. Plötzlich spürte Impmon einen kleinen Widerstand auf seinen Kopf, als dieser sanft nach unten gedrückt wurde. »Hey, Kopf hoch, Kleiner. Dem geht’s bald wieder gut«, sagte Masaru leise, ohne dass er den Blick vom Fernseher abgewandt hatte. Impmon sog die Wangen ein, damit er an diesen knabbern konnte. Wie hatte dieser Mensch das nur gemerkt? Dabei hatte es doch so aufgepasst. »Fahr zur Hölle, du Querulant.« Statt zu antworten, lächelte Masaru nur leise. So saßen sie noch ein wenig beisammen und letztendlich entschieden sich alle, zu Bett zu gehen. Impmon wollte sich schon eines der besonders flauschig aussehenden Sofakissen schnappen, doch Masaru hatte ihn mal wieder im Genick gepackt – wie ein kleines, wehrloses Kätzchen. »Oh nein, du kommst mit mir.« »Ganz bestimmt nicht, mit dir schlaf ich nicht in einem Zimmer und mit dem da«, es zeigte auf Agumon, dem es die Zunge herausstreckte, »mit dem da auch nicht. Der pupst doch alles voll!« »Tja, damit musst du wohl leben. Nacht allerseits!«, winkte Masaru noch einmal und ging mit Impmon im Schlepptau nach oben. »Wie gemein«, murmelte Agumon sichtlich verletzt und trottete den beiden hinterher. Als sie im Zimmer angelangt waren, warf Masaru das Digimon mit einem kleinen Ruck auf dessen Bett, auf dem es kurz auf und ab wippte. »Hey, das ist doch kein Service«, beschwerte sich der Teufel sofort, hielt aber inne, als es die weiche Decke unter seinen Händen spüren konnte. Also sowas hatte er ja noch nie als Schlaflager gehabt. »Mach’s dir nicht zu bequem, du schläfst mit Agumon auf dem Boden in einem Schlafsack«, sagte Masaru leicht vergnügt, während er sich auszog und ein altes Shirt zum Schlafen anzog. »Was?« Agumon wurde ein wenig blass um die Nase. »Ich will nicht mit dem da meinen Schlafsack teilen.« »Aha und warum nicht?«, fragte der 19-jährige teilnahmslos und warf seine alten Klamotten in eine Ecke. »Na weil …« Agumons Blick fiel auf Impmon. Als dieses bemerkte, dass es von dem Dino angestarrt wurde, setzte es ein diabolisches Grinsen auf und Agumon hatte sogar das Gefühl, dass dessen grüne Augen dämonisch aufblitzen. Rasch trat es an Masarus Seite und flüsterte diesem ins Ohr: »Weil ich dann bestimmt Alpträume bekomme!« Agumons Unterlippe bebte ein wenig. »Weia, wenn’s weiter nichts ist … Und jetzt aus dem Weg, du hältst den Betrieb auf.« Mehr oder minder galant schob er sich an seinem Partner vorbei und ließ sich neben Impmon auf das Bett plumpsen. Himmel! Die Decke war wirklich extrem weich. »Was hast du denn, Agu-chan?«, spottete Impmon gleich los, als es das bibbernde Agumon ansah. »Hast du Angst, das böse, teuflische Digimon kommt dich holen?« »Gar ni-« Doch weiter kam es nicht, denn auf einmal ging die Tür knirschend auf und Chika erschien in einem hellblauen Pyjama. Sie hatte sich jedoch so sehr vor Agumon erschreckt, das sie angeschrien hatte, dass auch sie schrie und dem Dinodigimon ihr großes, weißes Kissen um die Ohren schlug. »Hey, jetzt mal Gemach ihr beiden«, sagte Masaru in üblicher Großer-Bruder-Manier. Fast sofort sprangen Chika und das Digimon wieder auseinander. »Tut mir echt leid, Agu-chan«, sagte sie aufrichtig. Agumon nickte. »Verdammt, Nee-chan, was willst du hier? Das ist eine Männerrunde.« Chika zuckte mit den Schultern. »Komm schon, das ist doch Kindergartenkram«, meinte sie und rollte ihren mitgebrachten Schlafsack auf dem Boden aus. Sie ließ sich darauf im Schneidersitz nieder. »Außerdem bin ich hier, damit du das arme Impmon nicht fertigmachen kannst, Nii-chan.« »Pah, eher mache ich ihn fertig«, sagte das Digimon und nickte andächtig. Masaru grunzte. »Träum weiter. Also schön, von mir aus, aber wehe du nervst.« Chika nickte. So cool sie ihren Bruder auch manchmal fand … umso postpubertärer kam er ihr in jenem Moment vor. »Also, Impmon«, sie klopfte auf den Platz neben sich, damit Agumon sich dort niederließ, »erzähl mal. Warum bist du hier in unserer Welt?« Impmon riss die Augen auf. Wie konnte dieses Gör es wagen …? Doch so wie es in die strahlend grünen Augen des jungen Mädchens blickte, fand es nur auf große Güte und Verständlichkeit. Vielleicht war es gar nicht so verkehrt sich jemandem anzuvertrauen? »Ich hatte einfach mal Lust auf etwas Neues.« Es schaute zur Seite. So arg gelogen war das ja gar nicht gewesen. Da die Digiwelt unerträglich zu werden drohte, hatte es sich für einen Tapetenwechsel entschieden. »Ach, einfach so?« Skeptisch zückte der junge Mann eine Augenbraue. »Ist doch egal, oder?«, blaffte Chika ihren Bruder an. »Wenn Impmon nicht drüber reden will, ist das doch in Ordnung.« Impmons Blick wurde glasig. Wieso setzte sich dieses Menschenmädchen so sehr für es ein? Plötzlich erinnerte sie es an Rina, die ihm den gleichen aufrichtigen Blick geschenkt hatte. »…« Masaru stieß die Luft aus und ließ sich auf sein Kissen fallen. »Also schön … Impmon, ich glaube nicht, dass du so böse bist, wie du tust. Aber lass mich dir eines sagen; irgendwie bist du in all die Zwischenfälle mit den Digimon, die hier erscheinen, verwickelt.« Er richtete sich wieder auf und umklammerte sein rechtes Bein. Dann guckte er zu Impmon, welches begann auf der Unterlippe zu nagen. »Und ich weiß von der Sache mit Gomamon.« Entsetzt riss Impmon die Augen auf. Aber natürlich. Das würde erklären, warum ihm die Straßenpatrouille gefolgt war. Chika spürte die Anspannung der beiden und warf einmal ihr Kissen in die Luft, damit sie es wieder auffangen konnte. »Es ist okay«, sagte sie leise. »Morgen sieht die Welt schon anders aus, vielleicht magst du ja dann reden?« Impmon sagte nichts, doch es wirkte sichtlich erleichtert. Und es wägte sogar ernsthaft diesen Gedanken ab. »Also schön«, rief Masaru enthusiastisch aus und klatschte zweimal in die Hände. »Du, Impmon, nimmst Chikas Schlafsack, damit der Angstfuß da drüben seinen eigenen hat. Und du, Chika-chan, schläfst bei mir im Bett.« »Was? Du spinnst wohl, wie peinlich ist das denn! Außerdem machst du dich immer voll fett und du bist ein chronischer Deckendieb!« Das Gezeter ging noch ein wenig weiter, doch letztendlich nahm jeder seinen Schlafplatz ein. Rasch hörte Impmon das vertraute Schnarchen von Masaru und Agumon und knirschte mit den Zähnen. »Ist ja kaum auszuhalten«, flüsterte es, versuchte dennoch die Augen zu schließen. Plötzlich war ihm, als würde es beobachtet. Sofort saß es kerzengerade auf und sah zu dem Fenster. Davor hing zwar ein Vorhang, doch das Fenster war auf und die Luft verformte den Stoff in gruselige Figuren. Außerdem wurde das lilafarbene Digimon noch immer sein ungutes Gefühl nicht los. Auch wenn es bei diesen Vollpfosten hier eigentlich absolut sicher war. Masaru und Agumon mochten Idioten in seinen Augen sein, aber auf die Leistungen, die es von den beiden gehört hatte, hielt es große Stücke. Und dennoch wollte es sie potentiell nicht in Gefahr bringen. Also stand es leise auf und schlich sich aus dem Zimmer. Als es auf dem Treppenansatz angekommen war atmete es tief aus. Auf einmal spürte es etwas an der Schulter streifen und drehte sich ruckartig um. Ihm gegenüber stand Chika, sie sah nicht so aus, als hätte sie geschlafen gehabt. »Geh nicht weg«, sagte sie leise mit einem Anflug von Trauer in der Stimme. Kapitel 19: Relenas Abenteuer ----------------------------- Relena seufzte, als sie verträumt aus dem Fenster der Villa starrte. Ich bin gespannt, wann sie kommen, dachte das Mädchen, aber eigentlich interessierte es sie nicht wirklich. Ihr Vater Franz Norstein erwartete einen wichtigen Geschäftspartner aus Japan – mehr wusste die blonde 15-jährige allerdings auch nicht. Die Welt von Erwachsenen konnte manchmal so furchtbar langweilig sein und das ihres Vaters und ihrer Großmutter erschien Relena besonders eintönig. Immer nur Geschäftspläne besprechen … wirklich sehr langweilig. Da las sie doch lieber in ihren Büchern oder malte an ihrer Kunststaffel, denn kreative Arbeit war doch viel lustiger. Traurig biss sich das Mädchen auf die Unterlippe. Lesen und Malen – das war eigentlich auch der ganze Inhalt des Alltags von Relena. Sie bekam Privatunter-richt und Rausgehen durfte sie auch nicht ohne Aufsicht; und überhaupt schon gar nicht an Orte, an denen sie andere Jugendliche in ihrem Alter hatte treffen können. Franz war immer der Meinung, Relena könnte durch den Umgang mit anderen in schlechte Gesellschaft kommen, normale Kinder (wie abwertend er das immer betonte!) waren doch nichts für seine Tochter. Sehnsüchtig wandte die 15-jährige den Blick von dem Fenster ab und schritt zu einem ihrer vielen Bücher-regale. Sofort stach ihr ein Bild von ihr und ihrem Bruder ins Auge, welches sie letzten Sommer in Spanien auf-genommen hatten. Das war wirklich ein toller Urlaub gewesen. Relena lächelte und schloss kurz die Augen. Ja, ihr Bruder war kein langweiliger Erwachsener. Er unternahm immer tolle Sachen mit ihr und behandelte sie nicht wie ein Porzellanpüppchen wie der Rest der Familie. Natürlich, sie war früher krank gewesen, aber es war doch alles wieder in Ordnung. Ihr Bruder Touma hatte sie gerettet. Vielleicht konnte er sie ja nochmal retten? Melancholisch schüttelte sie den Kopf. Ihr Vater würde ihr niemals erlauben, zu ihrem Bruder nach Japan zu fliegen und Touma hatte sicherlich keine Zeit hierher zu kommen. Und ohnehin konnte sie sich nicht ständig auf ihren älteren Bruder verlassen oder ihn gar beanspruchen. Auch wenn Relena dies ganz tief in ihrem Inneren wusste – und sie wollte ja auch, dass Touma all denen half, die so krank war, wie sie selbst -, so stimmte sie dieser Gedanke nicht gerade fröhlich. Als jemand plötzlich an die Tür klopfte, erschrak Relena und wirbelte herum. Der mit Spitzen besetzte Saum ihres knielangen Kleides raschelte leise. »J-ja, bitte?«, fragte sie höflich und nahm eine aufrechte Haltung ein. Großmutter legte großen Wert auf so etwas. Die Tür öffnete sich einen Spalt weit und eine der Angestellten der Familie sah hinein. »Wertes Fräulein, Ihr Vater wünscht, dass Ihr Euch Segawa-sama mit vorstellt«, sagte die Bedienstete und neigte ihr Haupt schräg. Relena nickte. »Danke, ich komme hinunter.« Mit eiligen Schritten folgte sie der Dame, die sie bis zur großen Tür des Foyers begleitete. Dann verabschiedete sie sich und ließ Relena allein zurück. Mit mulmigem Gefühl atmete das Mädchen einmal tief durch und betrat dann zögerlich und nach einem kräftigen Anklopfen den Empfangsraum. Sie kam gerade noch rechtzeitig bei ihrem Vater an, der sie kurz kritisch beäugte, als die Eingangstür geöffnet wurde und die Gäste eintraten. Relena runzelte etwas irritiert die Stirn und war froh, dass das dank ihres Ponys kaum jemandem auffallen würde. Sie hatte wieder mit alten, langweiligen Herrschaften gerechnet, doch hier sollte sie eine Enttäuschung erwarten. Denn statt dieser traten zwei Männer in Anzügen und Sonnenbrillen hinein, einer der beiden mit einem Aktenkoffer. Bodyguards, schoss es Relena durch den Kopf, doch auch ehe sie hier ihre Gedanken weiterspinnen konnte, kam der eigentliche Besucher herein, der Relena so sehr verwirrte. Es handelte sich um eine junge Dame mit kurzen, schwarzen Haaren, die zu einem Bob mit Pony geschnitten waren, und grünen Augen, die so eisig drein starrten, dass es Relena durch Mark und Bein ging und sie sich kurz schüttelte. Und der Höhepunkt war, dass diese geschäftige junge Dame in ihrem weißen Kleid nicht älter als ihr Bruder war. »Ich grüße Sie, willkommen in unserem Hause«, sagte Franz ganz formell und trat auf die junge Frau zu. Mit einem feinen Lächeln neigte sie den Kopf und schüttelte die Hand von Franz. Relena war erleichtert, als ihr aufgefallen war, dass auch ihr Vater ein wenig verwirrt schien. Einem Fremden wäre dies selbstverständlich nie aufgefallen, doch Relena hatte die kleine Verunsicherung aus der Stimme ihres Vaters herausgehört. »Verzeihen Sie die Frage, doch ich hatte eigentlich mit Ihrem Herrn Vater Akio gerechnet«, meinte Franz. Die Schwarzhaarige lächelte kühl. »Tut mir leid, Vater kam leider etwas dazwischen, Sie müssen wohl mit mir Vorlieb nehmen.« Kokett strich sie sich durch das Haar und warf dieses nach hinten. Was für eine eingebildete Ziege, dachte sich Relena. Sie fand durchaus, dass die junge Frau hübsch war, aber etwas gefiel ihr an ihren Augen nicht. Sie waren viel zu kalt und gleichgültig. Auf einmal spürte Relena, wie der Blick der Fremden zu ihr glitt und sie zuckte kurz zusammen. Einen Arm in die Hüfte gestemmt, stöckelte die Ältere zu ihr. »Und du musst Relena Norstein sein … Segawa Naru, freut mich.« Die letzten beiden Worte hatte Naru nur gehaucht und auch wenn Relena ein unaussprechliches Problem mit dem Neuankömmling hatte, entschloss sie sich dazu nicht klein bei zu geben und ihrem Vater das zu geben, was er wollte. Vielleicht konnte sie ihn ja doch noch dazu überreden zu Touma zu fliegen, wenn sie ihm nur zeigte, wie sehr sie sich anstrengen konnte. Also knickste Relena nahezu vortrefflich vor Naru und setzte auch ihrerseits ein leises Lächeln auf. Jedoch war das der 15-jährigen warm und einladend. Mit ihren violetten Augen sah sie Naru unverwandt in die Augen und versuchte ihr telepathisch zu vermitteln, dass Naru mit ihr nicht alles machen konnte. Leider zeigte sich diese aber herzlich unbeeindruckt. Noch einen winzigen Moment verweilte sie bei der Tochter des Hauses, ehe sie zu Franz und ihren Bodyguards zurücktrat. Über die Schulter winkte sie Relena noch einmal kurz zu, so als wolle sie ihr damit vermitteln, dass sie nun wegtreten dürfe. »Also dann«, sagte Franz, dem nun deutlich anzumerken war (jedenfalls für Relena), dass er nun zum Ge-schäftlichen kommen wollte. »Ja, natürlich«, erwiderte Naru und gab ihre Handtasche, die der 15-jährigen bislang nicht aufgefallen war, einem ihrer Bodyguards. Dann lief sie Franz hinterher und Relena war allein im Foyer. »Um Himmels Willen, was für eine schreckliche Person«, flüstere Relena. Natürlich war sie allein, aber sie hatte dennoch Angst, dass dieses Weibsbild wie ein Dämon ein übergutes Gehör haben konnte. Was ihr Vater wohl mit so einem Menschen zu besprechen hatte? Nun ja, aber er hatte auch etwas davon gesagt, dass er ur-sprünglich mit Narus Vater gerechnet hatte. Letztendlich zuckte das junge Mädchen mit den schmalen Schultern und beschloss, dass es wohl das Beste war, wenn sie in ihr Zimmer zurückginge. Allerdings änderte sie ihre Meinung doch und entschied sich, dass es auch nicht schaden konnte, wenn sie herausfand, worüber ihr Vater mit dieser arroganten Naru reden wollte. Die Neugier war eben doch stärker. Also schlicht sie auf leisen Sohlen in Richtung Besprechungsraum. Das Haus war unwahrscheinlich groß und hatte massig Zimmer, doch Relena hatte da so eine Ahnung, in welches der vielen Räume die beiden ver-schwunden waren und sie sollte mit ihrer Vermutung nicht enttäuscht werden. Sobald sie an besagtem Zimmer ankam, kauerte sie sich im Korridor in eine dunkle Ecke, damit das Dienstmädchen, welches gerade durch die gigantische Tür trat, sie nicht erblickte. Da das Tablett in ihren Händen leer war, schloss Relena daraus, dass den beiden Geschäftsleuten gerade Tee serviert wurde. Als das Dienstmädchen mit dem kurzen braunen Haar an Relena vorbeischritt, war die junge Blondine jedoch so sehr in Gedanken versunken, dass sie zu spät reagierte und sich in die Schatten zurückziehen konnte. Schlimmer noch – sie stieß sich beim Zurückschrecken den Kopf an einer von Großmutters Vasen, die sie Gott sei es gedankt gerade noch auffangen konnte, ehe diese den Boden berühren und in tausend Teile zerschellen konnte. Erleichtert atmete die 15-jährige durch. Der Schrecken wich Relena zunächst wieder aus den Gliedern, aber er sollte schnell zurückkommen. Etwas verwirrt starrte sie das Dienstmädchen an und errötete. Diese jedoch lächelte gelassen und legte behutsam einen Finger an ihre Lippen und schüttelte den Kopf. Dann zwinkerte sie Relena noch zu und verschwand dann mit schnellen Schritten in dem langen Flur. Auch Relena setzte ein dankbares Lächeln auf. So engstirnig ihr Vater und ihre Großmutter doch sein konnten, umso besser verstand sie sich mit dem Hauspersonal. Zumindest mit dem Großteil. Mit dem Koch jedenfalls wollte sie sich nicht nochmal anlegen. Nachdem sie einmal den Erbseneintopf nach der halben Schüssel zurückgeben lassen hatte, hatte sie daraufhin eine geschlagene Woche das Gefühl, der Koch würde ihr essen mit Absicht versalzen. Jedenfalls wollte sie solch eine Erfahrung nicht noch einmal erleben. Nachdem Relena sich versichert hatte, dass diesmal wirklich niemand in der Nähe war, schlich sie zum Schlüsselloch. Sie konnte sehen, wir Naru gerade an ihrem Tee nippte und kaum merklich die Lippen kräuselte. Ha! Der europäische Tee war wohl nichts für die feine fernöstliche Dame und Relena schämte sich heimlich, dass ihr dieser Gedanke solch eine diabolische Freude bereitete. Der Blick des blonden Mädchens wanderte zu ihrem Vater. Hm, merkwürdig …, dachte sie, denn ihr Vater hatte zwar diesen verhandlungsmäßigen, nicht ganz geschäftsmäßigen Blick drauf, aber … irgendetwas stimmte nicht. Und dann fiel es ihr auf; es war seine Körper-haltung. Diese war viel zu entspannt, als dass er gerade dabei war Geschäfte abzuschließen. »Ich wüsste zu gern, worüber die beiden reden«, wisperte Relena kaum hörbar und presste nun zaghaft ein Ohr an das dunkle Holz der großen Tür. Leider bekam sie nicht mehr allzu viel des Gesprächs mit, denn von ihrem Vater hörte sie so etwas, was sich anhörte, wie „dann ist das ja entschieden“ und lange sagte keiner der beiden mehr etwas. Relena seufzte und wollte ihre kleine Bespitzelungsaktion schon wieder aufgeben, kam sie sich doch zu albern vor. Doch gerade, als sie sich von der Tür entfernen wollte, hörte sie etwas, was ihr durch Mark und Bein ging und das junge Mädchen musste schlucken. Es dauerte einen Augenblick, bis Relena realisierte, dass Naru gerade gelacht hatte. Sie konnte nicht genau sagen, was sie an diesem Geräusch so abschreckte, Tatsache war nur, dass es ihr durch alle Glieder zog. Als sich die 15-jährige wieder gefasst hatte, legte sie ein Ohr wieder an die Tür, um herauszufinden, was Naru denn so fröhlich stimmte. Allerdings hätte Relena niemals mit dem gerechnet, was sie nun hörte. Es war Franz, der diese schrecklichen Worte aussprach. »Dann heiße ich dich hiermit in der Familie willkommen.« Da seine Stimme voll und kräftig war, schloss Relena daraus, dass ihr Vater sich aus seinem Sessel erhoben hatte. Nein, das darf nicht …, ging es der Blondine durch den Kopf. Naru kicherte wieder kühl. »Danke. Nun, ich denke, ich werde Touma die freudige Nachricht wohl selbst überbringen.« Sie machte eine demonstrative Pause und fügte dann leiser – und abwertend, wie Relena emp-fand - »Vater« hinzu. Franz sagte nichts mehr, doch das brauchte er auch gar nicht. Denn Relena hatte genug gehört. Wie betäubt taumelte sie zurück und atmete schwer. Panisch griff sie sich an die Kehle und kämpfte tapfer gegen den Drang zu hyperventilieren an. In einer blitzschnellen Bewegung drehte sie sich um und rannte von diesem Teufels-zimmer davon. Vater hat sie in der Familie willkommen geheißen … Das heißt, sie und Touma … nein, das will ich nicht!, dachte sie sich und blinzelte die aufkommenden Tränen weg. Dies gelang ihr jedoch nur teilweise; vereinzelt perlte die salzige Flüssigkeit ihre blassen Wangen hinab. Relena wusste nicht, wo sie hinlief, also stieß sie die nächstbeste Tür auf, die ihr in den Weg kam und stol-perte dort hinein. Sie brauchte einen winzigen Augenblick um zu registrieren, dass sie in einem der Musiksäle gelandet war. Ihr wirrer Blick fiel auf eines der großen Fenster und sie lief zielstrebig darauf zu. Als sie an dem Fenster angekommen war, wollte sie es öffnen, doch sie rüttelte vergebens an dem Ver-schluss. Natürlich, wie konnte sie das nur vergessen? Ihre Großmutter schloss alle Fenster ab, wenn sie nicht gerade darin war. Schließlich konnte ja ein Einbrecher hinein gelangen. Nicht, dass es ihm tatsächlich möglich gewesen wäre an dem Sicherheitspersonal und den Kampfhunden vorbeizukommen. Oder geschweige denn bei der Menge Angestellter ungesehen blieb. Und bestimmt könnte ja irgendwer auch mal in das oberste Ge-schoss gelangen. Aber theoretisch wäre ja alles möglich. Seufzend wandte sich Relena von dem Fenster ab. Schade eigentlich, dachte sie, denn Luft war genau das, was sie jetzt hätte gebrauchen können. Als sie sich umdrehte, bemerkte sie plötzlich eine schwarze Tasche auf dem Tisch stehen. Relena runzelte leicht ihre sonst so glatte Stirn. »Aber das ist doch die Tasche von Naru …«, stellte sie fest und trat näher. Und dann kam ihr der Gedanke; eine Idee, die so abscheulich und verwerflich war, dass sie sich nicht nur schämen, sondern es auch noch bitter bereuen würde. »Ich werde verhindern, dass sie so schnell zu Touma gelangt …« In einer Kurzschlussreaktion griff sie nach der Handtasche und packte sie fest. Kurz fiel ihr wieder ein, dass Naru ihr ledriges Accessoire doch einem ihrer Bodyguards zugeworfen hatte. Da aber weit und breit keiner der Schränke zu sehen war, verdrängte das Mädchen diesen Gedanken rasch wieder. Mit zittrigen Händen berührte sie den metallenen Knopf, welcher die Tasche versiegelte. Kurz atmete sie einmal durch und öffnete diesen dann, so dass sie den Inhalt durchwühlen und hoffentlich das verheißungsvolle Flugticket finden konnte. »Wo ist nur …« Sie kniff die Augen zusammen. Mit ihren schlanken Fingern spürte sie so etwas, was gut ein Lippenstift sein konnte, dann noch ein seidenes Taschentuch, welches doch bitte unbenutzt sein sollte, sowie eine Sonnenbrille. Als sie nahezu jeden Gegenstand in der Tasche ihrer Ansicht nach abgetastet hatte, wollte sie die Hoffnung schon aufgeben, allerdings entschloss sie sich dazu den gesamten Inhalt vor ihr auf dem Boden auszukippen. Was mache ich hier eigentlich?, schoss es ihr beschämt durch den Kopf, als sie ganz in ihren Verzweiflungsakt versunken wie betäubt die Sachen auf dem Boden durch ihre Finger gleiten ließ. Und auf einmal sah sie es. Sie hatte sich soeben entschlossen, alles wieder einzuräumen, das Zimmer zu verlassen und so zu tun, als sei dies nie geschehen. Aber es sollte alles ja ganz anders kommen. »Aber das ist doch ein …« Relenas violett schimmernde Augen weiteten sich, als sie das kleine weiß-grüne Gerät in die Hand nahm. »Ein Digivice.« Mit zittrigen Händen befühlte sie das Display und strich mit dem Zeigefinger darüber. Kurz leuchtete es auf und ein pflanzenartiges Digimon erschien neben dem zierlichen Mädchen. Erschrocken sog sie die Luft ein und sprang einen Schritt zurück. Der Absatz ihrer Schuhe hallte un-natürlich laut in dem großen Raum. Ängstlich umklammerte die blonde 15-jährige ihre Kehle. »D- du bist doch ein Digimon, oder?« Natürlich kannte Relena diese eigenartigen Wesen, hatte sie doch entfernt etwas von den Abenteuern ihres Bruders mitbekommen und auch Gaomon kennenlernen dürfen. Nicht zu vergessen die ganzen spannenden Geschichten Toumas über die digitalen Lebewesen. Aber neben einem fremden Digimon zu stehen, das auch noch aus einem Digivice gekommen war, welches Relena in der Tasche von Segawa Naru gefunden hatte, war ein nur mehr als merkwürdiges Gefühl. Das Pflanzendigimon starrte zunächst ausdruckslos geradeaus, ehe es Relena zu bemerken schien und sich langsam in ihre Richtung drehte. Die Teenagerin durchlief ein kalter Schauer, als sie den kalten, emotionslosen Blick der riesigen schwarzen Käferaugen des Digimons erkannte. »Ähm, i-ich tu dir nichts«, setzte das Mädchen zögerlich an. Als sie die Worte aussprach, hörte sie selbst, wie albern das klang. Vielmehr sollte sie Angst vor dem digitalen Monster haben und nicht umgekehrt. Vorsichtig machte sie einen halben Schritt nach hinten. Das fremde Wesen ließ sie noch immer nicht aus den Augen und Relena hob beschwichtigend eine Hand. »A-also ich …!« Und ehe die Blondine hatte weiterreden oder gar denken können, schoss eine Ranke aus dem Pflanzendi-gimon und packte Relena am Handgelenk. »Hey, was?!« Zunächst verwirrt und dann panisch zupfte sie mit der freien Hand an der Ranke. Sie wusste, dass sie keine Chance hatte, diese loszubekommen, denn das Digimon stand einfach zu ruhig da – ja, zeigte es noch nicht einmal große Anstrengung. Leicht zittrig und ängstlich schaute sie zu ihrem Angreifer hinüber und sah diesen fragend an. Das Digimon zeigte vorerst keine Regung, bis es plötzlich blitzschnell in Richtung der Tür starrte, welche ge-rade geöffnet wurde. Ich bin gerett-, bildete es sich langsam in Relenas Kopf, aber auch diese Worte sollten ihr im Halse stecken bleiben. Denn da trat kein Hauspersonal oder gar ihr Vater oder Großmutter durch die Tür. Stattdessen stand da Naru in ihrem weißen Kleidchen und warf sich kokett das schulterlange Haar zurück. »Na, sieh an«, trällerte sie mit nur halben Interesse auf die beiden zu. »Du …«, hauchte Relena und war von sich selbst erschrocken, wie viel Hass sie in ihren Blick steckte. »Ja, ich«, entgegnete die Schwarzhaarige knapp und schritt an ihr vorbei. Als sie ihre Sachen auf dem Bo-den verteilt sah, warf sie einen missbilligenden Blick auf das Digimon herab. »Palmon, was soll das?« »Ich war das nicht«, antwortete Palmon steif. Auf einmal konnte Relena auch verstehen, warum das Di-gimon so merkwürdig war. Bei der Partnerin … Naru lachte schrill auf und hielt dabei den Handrücken dicht vor ihre Lippen. Fast wie eine feine Dame, dachte Relena. »Oh, das bezweifle ich noch nicht einmal.« Sie warf erst einen ihrer abwertenden Ausdrucke zu der 15-jährigen. Das Mädchen des Hauses spürte, wie ihre Wangen anfingen zu glühen. Dann fixierte Naru Palmon kühl. »Hättest es ja trotzdem mal aufheben können.« »… Ja.« Seufzend zuckte Naru mit den Schultern. »Na ja, gutes Personal ist heutzutage ohnehin eine Rarität.« Sie drehte sich zu Relena und umfasste deren Kiefer. Relena spürte die manikürten Fingernägel auf ihren Wangen und rechnete jeden Moment damit, dass Naru diese krallenartig daran entlang zog. »Davon kannst du doch bestimmt auch ein Lied singen, oder?« Narus Gesicht war nun sehr dicht vor dem der Jüngeren. Relena überlegte, ob sie Naru nicht einfach ins Auge spucken sollte. Zuletzt entschied sie sich jedoch dage-gen und sagte einfach nichts. Der Gast schüttelte in einer nahezu traurigen Geste den Kopf. »Also, nein. Ich hatte angenommen, du wärst höflicher erzogen, so dass du gleich Antwort gibst, wenn man dich etwas fragt.« »…« Segawa Naru begann in dem Raum herum zu stöckeln. »Palmon, heb das Zeugs auf, aber lass sie nicht los.« Sie stemmte während des Gehens eine Hand in die Hüfte und hätte dabei fast wie ein Supermodel ausgesehen, wenn der scheußliche Charakter das Gesamtbild nicht zerstört hätte. »Ich hatte wirklich gehofft, wir könnten Freundinnen werden.« »…« Relena durchlief ein eisiger Schauer. Dann setzte Naru ein hinterlistiges, schmales Lächeln auf. »Aber verstehe schon, dir passt es nicht, dass ich bald deinen Bruder heiraten werde!« Da verlor die Jüngere die Nerven. »Touma wird dich niemals heiraten, du Hexe!« »Hach, wusste ich doch, dass du uns belauscht hast.« »Verdammt«, flüsterte das Mädchen leise. Dann erhob sie die Stimme ein wenig mehr. »Und was hast du jetzt vor?« »Nun, ich habe noch ein bisschen was zu erledigen, bevor ich mich dem ganzen Hochzeitsquatsch widmen kann …« Sie klang gedankenversunken. »Was willst du überhaupt von meinem Bruder?« Relena beschloss, dass sie nichts mehr zu verlieren hatte. Sollte sich Naru doch woanders einheiraten. »Ich …« Sie schüttelte den Kopf und ihre grünen Augen blitzten einmal kurz auf. »Das geht dich nichts an.« Sie lief wieder zu dem Mädchen hin und umkreiste sie einmal. Nach der Hälfte hielt sie inne und stand nun direkt hinter Relena. »Weißt du, ich konnte neugierige Gören noch nie leiden …« Palmon sah kurz auf. Mittlerweile hatte es den Inhalt wieder in der Tasche verstaut und hielt diese mit der freien Hand fest. Relena sog scharf die Luft ein, als sie Narus kalte Hand an ihrem Hals spürte. »Was hast du vor?«, fragte sie mit erstickter Stimme. »Ach«, sagte sie teilnahmslos, »man kann nie genug Druckmittel haben.« Über Relenas Schulter hinweg winkte sie Palmon zu. »Poison Ivy«, rief dieses daraufhin aus und Relena fühlte sich plötzlich unsagbar müde und schwer. Als Relena das nächste Mal zu sich kam, spürte sie nur träge, wie sie ihre Glieder langsam wieder bewegen konnte. Zögerlich öffnete sie die Augen und setzte sich aufrecht hin. Noch leicht verschlafen blickte sie sich um und erkannte, dass sie in einem großen abgedunkelten Raum war. »Wo bin ich? Unser Haus ist das jedenfalls nicht«, stellte sie unsicher fest und schaute sich ängstlich um. »Keine Sorge, du bist noch in Österreich«, hörte Relena Narus Stimme von der anderen Seite des Raumes. Die 15-jährige zuckte, da sie niemanden bemerkt oder gar erwartet hatte. Als Relena die Stimme lokalisiert hatte, konnte sie auch erkennen, dass Palmon neben Naru stand. Außerdem war da noch jemand. Da saß ein junger Mann am Tisch. Er sah recht blass, doch irgendwie gut aus. Er hatte dunkles Haar und schon fast irre braun leuchtende Augen. Diese strahlten halb Faszination und halb Wahnsinn aus und Relena durchlief es durch Mark und Bein. Irgendetwas stimmt nicht mit dem, dachte sie sich. »Und was soll ich nun mit ihr machen? Fernmündlich hatte ich es nicht so vernommen, dass du Relena Norstein sogleich mit hierher bringst.« Die Blondine erschrak. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass die Stimme des jungen Mannes so sanft und warm klingen würde. Dies war ein zusätzlicher Widerspruch zu seinem merkwürdigen Ausdruck in den Augen. »Hast du gerade tatsächlich fernmündlich gesagt?« Um Narus Mundwinkel bildete sich ein feines Grinsen. »Du bist ganz schön infantil«, antwortete er und lehnte sich entspannt zurück. Kurz richtete er seine schwarze Krawatte, dann verschränkte er die Arme vor dem doch schmächtigen Oberkörper. Relena biss sich auf die Lippen. Der Typ machte sie irgendwie nervös, zumal er sie die ganze Zeit nicht eine Sekunde aus den Augen gelassen hatte! Naru zuckte mal wieder mit den Schultern. »Hey, du hast doch gesagt, du brauchst ein Versuchskaninchen et voilà … darf ich dir Touma Norsteins kleine Schwester vorstellen?« »Hm, ich habe einen Faible für kleine Schwestern …«, sagte er gedankenversunken. Wieder schüttelte sich Relena. Was sollte das denn heißen? War sie etwa bei einem Perversen gelandet? In-ständig hoffte sie, dass das nicht der Fall war. Naru kicherte, trat zu dem jungen Mann hinüber und tätschelte ihm kurz die Schulter. »Stimmt, du hast ja schließlich selbst eine. Wie alt war sie doch gleich?« Er lehnte sich wieder nach vorn und stützte seinen Kopf auf beide Hände. »Das weiß ich nicht mehr, ich habe es einfach vergessen.« Die Schwarzhaarige beugte sich zu ihm hinunter und küsste ihn auf die schmale Wange. »Kai, du bist wirk-lich seltsam.« »Du gehst jetzt besser«, erwiderte Kai und an seinem Ton war herauszuhören, dass er für sich das Ge-spräch nun beendet hatte. »Also schön … Palmon!« Nachdem sie ihr Digimon gerufen und ihr dieses die Tür öffnete, trat sie hinaus und Relena war mit Kai allein. Und plötzlich wünschte dich das Mädchen, dass dieser Kai zu den Erwachsenen gehörte, die doch so ein furchtbar langweiliges Leben führten. Kapitel 20: Retrace I --------------------- Hey~~ Ich nehme Kapitel 20 mal zum feierlichen Anlass, mich für alle Kommis und Favos zu bedanken ^///^ Ich freu mich natürlich über jeden Leser, der so lange dabei geblieben ist und hoffe, dass noch alle dabei bleiben werden ^.~ Zum mehr oder minder großen Jubiläum ist dieses Kapitel mal etwas anders, ich bete mal, dass ihr es genauso spannend findet, wie ich XD Ich mag auch gar nicht weiter groß Reden schwingen, schließlich habt ihr ja lange genug auf das neue Kapitel gewartet. Ich wünsch euch noch viel Spaß; auf dass es nochmal so viele Kapitel werden!! ^___^ Genüsslich schloss ich die Augen und atmete die kühle, würzige Luft ein, welche mich in sanften Brisen um-wogte. Ich breitete die Arme aus – mehr noch, meine dunklen Schwingen – und genoss den Wind, welcher mich hoffentlich bald forttragen würde. Allein bei dem Gedanken mich in den Himmel hinaufzuschwingen, löste in mir wohlige Schauer aus und mein Körper erzitterte vor begieriger Vorfreude. Ich begab mich in Richtung des Abhangs und blickte in die schwere Tiefe hinunter. Auf meinen Lippen entstand ein Grinsen und ich machte mich bereit, mich in die unendliche Weite hinabzustürzen, voller Erwartung, dass der Wind mich auffangen und davon tragen würde. Kurz sah ich mich noch um, dann setzte ich zum Sprung an und…! Ich setzte ab und stieß die Luft aus. Resigniert starrte ich auf den Monitor und auf das, was ich da eben nie-dergeschrieben hatte. Fast schon konnte ich den blinkenden Balken schreien hören, dass ich doch bitte, bitte weiterschreiben solle, gerade so, als sei er erpicht darauf mein Hirngespinst zu Ende zu bringen. Müde schlug ich die Augen nieder und stützte meinen Kopf ab. Die längeren Haarsträhnen meines Sidecuts strich ich zur linken Seite. Ich begann mir die Schläfen zu massieren und zwang mich, mich zusammen zu reißen. Schließlich hatte ich nun wirklich nicht die Zeit meiner Fantasie nachzugeben. Meine ach so blühende Fantasie ... Schon seit einiger Zeit träumte ich von dieser bizarren Welt, in der es von skurrilen Wesen nur so wimmelte. Jene Welt war gar nicht mal so unähnlich der unseren. Die Wesen lebten alle friedlich miteinander in Harmonie. Es schien mir einfach ein wundervoller Ort und ich hatte stark das Bedürfnis meine Gedanken hierzu aufzuschreiben. Nur für den gesetzten Fall, dass ich mal alles vergessen könnte. Denn dies wollte ich auf gar keinen Fall. Als ich meinen Kopf wieder anhob, musste ich beim Anblick meines Laptops kurz aufstöhnen. Mir war durchaus bewusst, dass ich mich meinen Hausaufgaben widmen sollte. Aber ich hatte gerade so einen guten Flow … »Woah, Onii-chan, was machst du denn da? Du tippst ja ganz schön viel in deinen Laptop ein!« Ich zuckte zusammen, da ich sie nicht hatte kommen hören. Leise klirrte die Kette meines Nietengürtels, als sie an das Stuhlbein stieß. Als ich den Ankömmling als meine kleine Schwester identifizieren konnte, entfernte ich die Hand von meinem Brustkorb, welche ich vor Schreck dorthin gelegt hatte, und atmete erleichtert aus. Rasch klappte ich noch den Laptop zu, damit sie nicht sehen konnte, was ich dort fabriziert hatte. Natürlich war dies albern, aber ich fühlte mich eben erwischt. Verwirrt sah sie mich an und ich konnte bei ihren großen, silbrig grauen Augen, die mich irritiert anstrahlten, nicht anders, als ein Lächeln aufzusetzen. Sie erwiderte es natürlich prompt. »Du bist echt gut darin, dich anzuschleichen, weißt du das, Rina-imouto-chan? Du solltest Ninja werden!« Verlegen und möglichst unauffällig wanderten meine Augen zu dem Computer. Ich sah, wie meine Hand, die die Klappe krampfhaft geschlossen hielt, ein wenig zitterte. »Ja-ha!«, sagte sie gespielt hochnäsig, nickte zuversichtlich und lief kurz vor meiner Nase auf und ab. Da-raufhin blieb sie stehen und verschränkte die Arme vor der Brust. Dann sah sie mich an. Ich verstand nicht gleich, was sie wollte, registrierte allerdings schnell, worauf sie hinauswollte. Ich seufzte. »Bist du nicht schon zu alt, um auf meinem Schoß zu sitzen?« Beleidigt blies sie die Backen auf. »Man ist nie zu alt für schlechte Gewohnheiten.« Als sie meine eigenen Worte zitierte, konnte ich nicht anders, als laut zu lachen. Ich tat dies nicht oft, war es mir doch ein wenig un-angenehm, und ich hielt verlegen eine Hand vor den Mund. Immer noch belustigt, wischte ich mir die kleinen Lachtränchen aus den Augenwinkeln. Den Laptop hatte ich mittlerweile losgelassen. »Wie wahr«, meinte ich. Rina-chan verstand dies sogleich als Einladung und krabbelte auf meinen Schoß. Sie war zwar schon zehn Jahre alt, aber da sie so eine schmächtige Figur hatte wie ich selbst, war sie relativ leicht. Und so lange Tou-san dies nicht sah, war es von meiner Seite auch okay. Tou-san … immer hatte er an mir herum zu meckern, setzte mich unter Druck oder kritisierte mich und mein Tun in sonstiger Weise. Nicht zu vergessen meinen leicht ausgefallenen Klamottenstil. Für mich war er ein wirklich schrecklicher Mensch. In-ständig hoffte ich, dass er mit Rina-chan milder umgehen würde. Obwohl ich sagen muss, dass sie mir, trotz dass sie sechs Jahre jünger als ich ist, abgehärteter vorkam, als ich selbst. Ich war einfach zu sensibel. Und genau das war eines der Probleme, die mein Vater mit mir hatte. So arg in Gedanken versunken, bemerkte ich nicht, wie Rina-chan sich nach vorn gebeugt und nach meinem handlichen PC gegriffen hatte. Flink wie sie war, hatte sie ihn sich sofort herangezogen und öffnete die Klappe. »Was hast du denn da geschrieben?«, fragte sie mich, achtete aber gar nicht auf eine Antwort von mir. Sie neigte sich bereits dem Dokument zu. »Hey, lass das!«, rief ich aus und spürte, wie meine sonst so blassen Wangen erröteten. Hastig hatte ich die externe Mouse an mich gerissen und das Fenster minimiert. Zunächst machte sie einen Schmollmund. Aber kurz darauf kicherte sie leise. »Was ist denn so witzig?«, fragte ich sie mit hochgezogener Augenbraue. »Hast du etwa schmutzige Sachen geschrieben?« »Was? Nein!« Mir war klar, dass das enorm unglaubwürdig klang. Die Tatsache, dass ich puterrot gewor-den war und meine Stimme ein wenig zitterte, machte es nicht unbedingt besser, aber ändern konnte ich es eben auch nicht. Und ich hatte ja nichts Verwerfliches geschrieben. Tatsächlich war es eigentlich etwas sehr Schönes … Ich schämte mich nur aufgrund meiner blühenden Fantasie. Diese vermaledeite Fantasie, für die mich mein Vater vermutlich wieder aufziehen würde. »Sag‘s nicht Tou-san«, bat ich Rina-imouto-chan und warf ihr einen flehenden Blick zu. »Es ist nur eine kleine Geschichte … etwas ganz Belangloses. Aber ich möch-te nicht, dass er sie liest, in Ordnung? Lass das unser kleines Geheimnis bleiben.« Sie nickte. »Okay.« In Gedanken fügte ich noch hinzu, dass es ja nicht nur Fantasie war … Ich träumte ja sogar schon davon. Und irgendwo konnte ich mir nicht vorstellen, dass ich mir so etwas hatte ausdenken können. Ich meine, ich war nie besonders kreativ gewesen. Also ich war nicht dumm – das definitiv nicht, eher im Gegenteil -, aber mit der Kreativität haperte es dann doch eigentlich. Vielleicht hatte ich das Ganze einfach mal irgendwo aufgeschnappt und mein Unterbewusstsein fand so sehr Gefallen daran, dass es mich einfach nicht mehr losließ? Dies bezweifelte ich doch arg. »Okay«, wiederholte ich ihre Worte erleichtert, nur um ihr kurz darauf einen misstrauischen Blick zuzu-werfen. »Du willst was dafür haben, oder?« Ein verschlagenes Grinsen bildete sich auf ihren Lippen und ihre weißen Zähne blitzten durch. Dann legte sie mir eine Hand an die Wange und zwinkerte. »Darauf kannst du wetten, Onii-chan!« Genervt verrollte ich die Augen und stützte meinen Kopf am Schreibtisch ab. Danach stieß ich erschöpft die Luft aus. »Also schön … ich höre?« Die kleine Rina lächelte und legte ihre Hand auf meine. »Lies sie mir vor.« »W-was?« Empört über diese Aufforderung geriet ich in Verlegenheit. Aber eigentlich hätte ich mir dies bei meiner Schwester auch denken können, so neugierig wie sie sein konnte. Um mich zu beruhigen, atmete ich einmal tief durch. Dann schob ich Rina-chan sanft von meinem Schoß und drehte mich so, dass ihr der Blick auf meinen Laptop verwehrt blieb. »Ein anderes Mal vielleicht, Imouto-chan. Versprochen.« Ich hatte niemals vor, dieses Versprechen einzuhalten und das wusste auch meine kleine Schwester. Beleidigt senkte sie den Kopf und sah mit ihrem Dackelblick zu mir hinauf. »Das sagst du immer und dann machst du doch nie das, was du mir versprichst … Du bist ein unzuverlässiger Lügner, so!« Sie streckte mir die Zunge heraus, warf das schulterlange Haar zurück und rannte aus dem Zimmer. Wehleidig schaute ich ihr nach und noch einen Moment auf die zugefallene Tür. Ich würde auch einfach gern davon laufen, dachte ich und spielte sogar für einen winzigen Augenblick mit diesem absurden Gedanken. Nachdem ich mich wieder gefangen hatte, wollte ich mich wieder der Arbeit widmen. Ich war sozusagen schon dabei meine Diagramme in Excel zu erstellen, als mir wieder das minimierte Dokument ins Auge stach. Hin- und hergerissen schwankte ich zwischen Pflichtgefühl und Ausleben meiner Fantasie und letztendlich sieg-te das Letztere. »Ach, was soll’s. Auf die paar Minuten kommt es auch nicht mehr an«, rechtfertigte ich mich leise vor mir selbst und versank in meinen Gedanken. Aber ich konnte nicht springen. Irgendetwas hielt mich davon ab. War es der leise Zweifel an meinen eigenen Schwingen, dass sie mein Gewicht nicht würden tragen und mich in den süßen, erlösenden Tod hinabzwängen würden? Nein, eigentlich nicht. Denn tief in meinem Inneren wusste ich, dass ich mich auf meine geheime Kraft würde verlassen können. Aber da war etwas anderes. Ruckartig drehte ich mich um und erblickte zwei eisig blaue Augen, die stur auf mich gerichtet waren. Ich be-trachtete den Neuankömmling und neigte den Kopf, nur um kurz darauf festzustellen, dass es mir dieser ebenso nachtat. In dieser Position verweilten wir noch einen Augenblick, doch als es mir zuwider wurde, wandte ich mich zur Hälfte wieder ab und sah zu dem Canyon. Plötzlich hörte ich ein bizarres, leises Geräusch und drehte meinen Kopf wieder zu dem Blauäugigen um. Ich stellte fest, dass dieser lachte, auch wenn man dies nicht sofort vernehmen konnte, da das Haupt ein wenig nach unten gebeugt war. Aber sein Oberkörper bebte und dies sprach eigentlich für sich. »Was ist denn so lustig?«, wollte ich wissen und stemmte eine Hand in die Seite. Der Andere kicherte noch kurz, ehe er zur Antwort ansetzte. »Ach, nichts. Mir fiel nur gerade … etwas Lustiges ein.« Leicht verwundert legte ich die Stirn in Falten, doch glättete diese schnell wieder. Dieser Fremdling musste ja nicht sehen, dass er mich aus der Fassung gebracht hatte und er mich ein wenig irritierte. Lässig schnaubte ich also und öffnete ein wenig meine Schwingen – wie ein Tier, das sich aufplusterte, um den Feind einzuschüchtern. Der Ankömmling jedoch zeigte sich unbeeindruckt und seufzte nur stattdessen. Erst jetzt fiel mir auf, dass er selbst Schwingen besaß, die zum Teil weiß und teils schwarz waren. Gerade so, als wäre er zur Hälfte Engel, zur Hälfe Dämon – ein Nephilim. Meine inneren Alarmglocken schellten auf und tief in mir drin rief eine Stimme, dass ich mich schleunigst von diesem Wesen entfernen sollte. »Wenn es weiter nichts ist, kannst du ja gehen«, meinte ich unbekümmert und wandte mich gänzlich ab, auch wenn es mir nicht behagte, ihm den Rücken zu kehren. »Nun«, setzte er an und begann zu mir laufen, bis er mich letztlich erreichte und mir seine kalte Hand auf die Schulter legte, »ganz so ist es natürlich auch nicht, mein Freund.« »Wir sind keine Freunde!«, rief ich aus und schlug seine Hand weg. In meiner Brust ergrollte ein tiefes Knurren, welches ich nicht zügeln konnte. Dieser Kerl machte mich schlichtweg nervös. Der Fremde entfernte seine Hand und hob sie zum Schutze. »Gemach, ich will keinen Streit.« Ich entspannte mich wieder ein wenig und beschloss, dass ich wohl tatsächlich ein wenig überreagiert hatte. Der Andere warf sich sein langes, blondes Haar zurück. Dann sah er zu der Schlucht, welche auch mich so sehr faszinierte. Wieder war ich verwirrt, so wie er neben mir stand, und konnte nicht nachvollziehen, was er hier eigentlich suchte. »Verdammt, was willst du hier?«, fragte ich ihn erneut und machte diesmal keinerlei Anstalten das Misstrauen aus meinem Gesicht zu kehren. »Ach«, sagte er, »ich bin nur hier, um den Ausgang deiner Entscheidung mitzuerleben.« »Entscheidung?« »Oh ja.« Er machte einen langen Schritt nach vorn, so dass er nun direkt am Abgrund stand. Seine Fuß-spitzen standen sogar ein wenig darüber. Auch wenn mir durchaus bewusst war, dass dies ein blöder Trick war, um mein Interesse zu wecken und die Konversation am Laufen zu halten, so musste ich gestehen, dass es funktionierte. »Welche Entscheidung meinst du?« Noch in der Sekunde, in der die Worte meine Lippen verließen, wusste ich, was er meinte. »Na, ganz einfach. Ob du springen wirst oder nicht.« Ich setzte ab und lehnte mich zurück. Stirnrunzelnd betrachtete ich das, was ich soeben alles niederge-schrieben hatte und konnte kaum glauben, dass ich mir das alles in wenigen Minuten ausgedacht haben sollte. Schließlich war es so seltsam dies alles durchzulesen und dennoch war es irgendwie vertraut. Fast so, als hatte ich dies alles nicht nur niedergeschrieben, sondern auch tatsächlich aus Sicht des Protagonisten erlebt. Dieser Gedanke manifestierte sich nicht nur in meinem Kopf; ich musste auch schluckend feststellen, dass ich auch nicht wusste, wie es in der Geschichte weitergehen sollte. Mein Gedankengang wurde jäh unterbrochen, als es barsch an der Tür klopfte und die Klinke sofort herun-tergedrückt wurde, ohne dass auf eine Antwort meinerseits gewartet wurde. Obwohl ich wusste, wer da hin-eintrat, durchzuckte es mich dennoch jedes Mal aufs Neue wieder, wenn mein Vater so ruckartig die Tür aufriss. Tou-san trat in mein Zimmer hinein und blieb letztendlich vor mir stehen – einen weiten Gang hatte er nicht gehabt, da mein Zimmer doch recht klein gewesen war. Ich spürte seinen kalten Blick auf mir ruhen und konnte einen leisen Seufzer nicht unterdrücken. Ich schaute zu Boden, denn anzusehen vermochte ich ihn nicht. Ich wusste auch so, dass er wieder einen teuren Anzug trug und er einen missbilligenden Blick aufgesetzt hatte, weil ich noch immer nicht mit meinen Hausaufgaben fertig war und daher am Computer sitzen musste. Für meinen Vater war ich nämlich irgendwas zwischen einem Nerd und einem Versager. »Noch immer nicht fertig?« Ich schüttelte den Kopf. Als er daraufhin nichts erwiderte, sagte ich noch rasch »Nein«, weil mir noch ein-fiel, dass er es nicht mochte, wenn ich nicht verbal mit ihm kommunizierte. Für ihn war ich ohnehin zu wortkarg. Es reichte doch, wenn ich schon in der Schule so war, so sollte ich mich Zuhause wenigstens anständig artikulieren, hieß es stets. Auch Vater seufzte nun. »Es ist immer dasselbe mit dir, Kai.« Als er meinen Namen aussprach, war mir, als spie er diesen förmlich aus – so bedeute er Abscheu und Ekel. »Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst mit der Arbeit nicht trödeln? Wie soll denn so mal was aus dir werden?« Und so ging das noch ein bisschen weiter. »Und ich wette, du hast nicht die ganze Zeit an deinen Aufgaben gesessen, richtig? Vermutlich wieder im Internet gesurft …« Ich antwortete nicht darauf, doch ich spürte, ich meine Wangen wieder anfingen zu glü-hen, denn in dem ganzen Auftritt von Tou-san hatte ich ganz vergessen, dass ich das Worddokument nicht geschlossen hatte. Und natürlich war ihm mein Schweigen mehr als Antwort genug. In meiner Blödheit hatte ich mich mal wieder selbst verraten. Skeptisch beäugte mich Tou-san, dann neigte er sich zum Laptop hinab und zog die Mouse heran, ehe ich hatte danach greifen können. Auch für diese Aktion bekam ich einen missbilligenden Blick. Ich wandte die Au-gen ab, damit ich den enttäuschten Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sehen musste, als er über das Dokument flog. Am liebsten wäre ich auf der Stelle im Boden versunken. »Du weißt, was ich von sowas halte«, sagte er dann recht leise. »…« »Kai, ich bin enttäuscht von dir.« Aus den Augenwinkeln warf ich einen schuldbewussten Blick in seine Richtung. Gerade vernahm ich noch, wie er das Dokument schließen wollte, da fiel mir ein, dass ich es zuvor gar nicht gespeichert hatte. »W-warte, Tou-san, bitte-!«, setzte ich an. Natürlich brachte es herzlich wenig. »Ich wiederhole meine Worte nur sehr ungern«, sagte er. Mit zittrigem Blick sah ich, wie auf dem Monitor das Fenster aufpoppte, in dem man gefragt wird, ob man wirklich ohne zu speichern schließen wolle. Ohne weitere Umwege bestätigte mein Vater und mein schwarzer Desktop mit den wenigen Symbolen war wieder zu sehen. Lediglich Excel war minimiert in der Taskleiste sichtbar. Ein Hauch von Verzweiflung beschlich mich und ich konnte noch nicht mal sagen, warum. Schließlich war es nur eine doofe Geschichte, aber ich fühlte, wie sehr mein Herzblut an ihr hing. Und jetzt würde ich sie nicht mehr durchlesen können. Vater stand auf. »Und jetzt rate ich dir, dich ranzuhalten, ist das klar?« »…« Ich senkte den Kopf. Auch konnte ich nicht verhindern, dass ich meine Hände zu Fäusten ballten. »Kai?« »… Ja, ich habe verstanden.« »Das hoffe ich doch«, gab er von sich und verließ den Raum. Wieder knallte die Tür und ich zuckte er-neut. In mir keimte so viel Wut gegen meinen Erzeuger auf, dass ich erst mal kurz die Augen schließen musste und tief durchatmete. Dann strich ich mir einmal kurz durchs Haar und drehte mich wieder in Richtung Laptop. »Oh, ich hab mehr als verstanden …«, murmelte ich zu mir selbst und griff nach der Mouse. Ich war schon fast dabei in meiner ganzen Demotivation das Excel-Fenster zu maximieren, als mir ein gewisses Symbol auf dem Desktop in die Augen stach. »Aber …« Ich atmete keuchend aus und legte irritiert die Stirn in Falten. Dort auf dem Desktop war ein Worddoku-ment, welches keinen Namen hatte und – ich könnte es schwören – es war eben noch nicht da gewesen. Was heißt schwören; ich wusste ganz genau, dass es zuvor nicht da gewesen war. »Das gibt’s doch nicht«, hauchte ich und klickte wie besessen mit einem Doppelklick darauf und Tatsache – da war meine Geschichte, die ich geschrieben hatte. »Das ist doch nicht möglich«, flüsterte ich kopfschüttelnd. Ich sollte noch schnell lernen, dass nichts unmöglich ist – vor allem nicht für mich, Sakurai Kai. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)