Tödliches Spiel: Auftakt von UrrSharrador (Das Leben ist kein Spiel. Der Tod schon ...) ================================================================================ Kapitel 7: Nadelstiche ---------------------- Da es vom Erdgeschoss aus nur zu dem Raum ohne Boden und zu dem Wohnzimmer mit dem Safe ging, stiegen Haku, Kankurou und Hinata in den ersten Stock hinauf. Dort gabelte sich der Flur. „Nach rechts oder nach links?“, fragte Haku. Ohne zu antworten schlug Kankurou den Weg nach rechts ein. Hinata bat um eine Pause, doch Haku konnte ihr den Gefallen nicht tun. „Es ist wichtig, dass wir weitersuchen“, sagte er beschwichtigend. „O…kay“, meinte sie schwach. „Ist alles … in Ordnung mit dir?“, fragte er zaghaft. Die Frage war mehr als überflüssig: Sie sah furchtbar aus. Das lange, dunkle Haar klebte ihr nass im Gesicht, ihr Atem ging stoßweise und die Lider über ihren hellen Augen flatterten, als wäre sie gar nicht wach, sondern würde träumen. „Ich hätte … es nie tun sollen“, hauchte sie kraftlos. „Was tun sollen?“, fragte Haku. „Wir müssen weiter“, drängelte Kankurou. „Nur eine Sekunde!“, rief er ihm zu und ließ Hinata gegen die Wand sinken. War es das Gift, das sie so sehr mitnahm? Wieso hatte sie nicht schon vorher gesagt, dass es ihr so schlecht ging? Hatte sie sich nicht getraut? Sie wären sofort aus dem Keller gelaufen. „Jede Sekunde ist kostbar“, sagte Kankurou und hustete seinerseits, wischte sich über den Mund. Seine violetten Gesichtsbemalungen wurden von roten Schmierspuren durchkreuzt. „Ich hätte nicht dorthin gehen sollen“, wisperte sie und schien mit sich selbst zu reden. „Da war dieses Event, und dieser Junge … Ich wollte doch nur Naruto beeindrucken, und jetzt … Das Feuer … Ich wollte nur einmal mutig und cool sein, nur einmal …“ Tränen liefen aus ihren Augen. „Es sollte nur ein Feuerwerk werden, ich wusste, dass die Feuerwerkskörper selbstgebastelt waren, aber ich … ich …“ Ihre Stimme versagte. „Ist schon gut“, murmelte Haku mitfühlend. „Wir kommen hier raus, ja?“ In dem Moment wurden Schritte laut. Kiba bog um die Ecke und prallte zurück, als er sie sah. „Scheiße, habt ihr mich erschreckt“, keuchte er. Haku konnte sehen, dass auch er gar nicht gut aussah. Sein Gesicht war eingefallen und grau. „Etwas gefunden?“, fragte Kankurou. „Nein“, brummte Kiba verdrossen. „Da ist so eine beschissene Tür, aber sie geht nicht auf. Da sind ein paar Schlitze, als ob man was reinstecken müsste, und der Spinner hat einen Krähenkopf davorgelegt. Keine Ahnung, was das bedeuten soll.“ „Augenblick – einen Krähenkopf?“, fragte Kankurou hellhörig. „Ja. Total krank. Ich hab versucht, die Tür mit meinem Tsuuga aufzubrechen, aber die ist mit Chakra verstärkt, genau wie die Wände.“ Kankurou hörte ihm schon nicht mehr zu. Er schien es plötzlich eilig zu haben. „Haltet noch ein wenig durch“, sagte er zu Haku und Hinata. „Ich glaube, ich weiß, wie man da reinkommt. Ich bringe ihr die Spritze.“ Hinatas Lippen bewegten sich, doch sie konnte kaum noch ihre Augen offenhalten, geschweige denn sprechen. „Danke“, sagte Haku an ihrer Stelle. Kiba schnaubte. „Pass nur auf, dass du bei deinem Benefizwahn auch noch eine Spritze abbekommst.“ Kankurou maß ihn mit einem abfälligen Blick und eilte dann davon. Während Kiba schimpfend dem Flur nach links folgte, spürte Haku etwas an seiner Oberlippe kitzeln. Er wischte es fort und merkte, dass er begonnen hatte, aus der Nase zu bluten.   Seine Wange war eiskalt, als Kakashi zu sich kam. Er brauchte eine Weile, um sich zu erinnern, wo er war. Mit klammen Gliedern rappelte er sich auf. Die nackte Glühbirne war nach wie vor das Einzige, was diesem düsteren Kellerraum Licht spendete. Immer noch trug er die Reste des eisernen Kragens um den Hals, unter der geschlossenen Schale juckte sein Hinterkopf. Er sah sich um, und zum ersten Mal hatte er Zeit dazu. Es schien tatsächlich ein Kellerraum zu sein, in den er gesperrt war, und bis auf den Stuhl mit dem Spiegel, den Fernsehapparat, die vorsintflutlichen Badewanne und die Toilettenschüssel war er leer. Es gab eine Tür, allerdings hatte diese weder eine richtige Klinke noch irgendeine Art von Schloss. Es sah so aus, als müsste man sie aufschieben, doch auf dieser Seite gab es keinen Griff dazu. Er saß also immer noch in der Falle. Kakashi überlegte, ob er rufen sollte, entschied sich aber dagegen. Er suchte nahe der Decke nach Kameralinsen oder etwas Ähnlichem und wurde fast sofort fündig: Ein kleiner roter Lichtpunkt verriet, dass jemand sämtliche seiner Bewegungen aufzeichnete. Orochimaru musste also längst wissen, dass er seinen Test bestanden hatte. Dass er noch immer nicht hier herausgelassen wurde, konnte nur bedeuten, dass der Schlangenmann noch etwas mit ihm vorhatte. Und das gefiel Kakashi ganz und gar nicht.   Die Kaffeemaschine schien mit jeder Kanne, die er sich zubereitete, länger zu brauchen. Da Sasori sich selbst einen fast perfekten Puppenkörper zusammengebastelt hatte, funktionierten seine Glieder mit Chakra statt mit Muskeln, und Koffein hatte auf den Chakrafluss nur geringe Auswirkungen. Daher brauchte es riesige Mengen des schwarzen Gesöffs, um das Herzstück in seiner Brust ausreichend zu stimulieren, Chakra durch seinen Körper zu pumpen – mit dem Nebeneffekt, dass der Chakrastrom unstet und nervös wurde und sich Sasori nach der zehnten Tasse oft wie ein Junkie auf Entzug fühlte. Aber etwas Besseres gab es im Polizeihauptquartier nicht, und wenn es mehr zu tun gäbe als heute, wäre er auch motivierter und hätte das Zeug gar nicht nötig gehabt. Übellaunig nahm er die Kanne, goss sich den starken Kaffee in seine Tasse und kehrte zu seinem Bürosessel zurück. Konan saß ihm gegenüber und rief wiederholt ihre Mailbox ab, neben ihr hatte sich Kisame breitgemacht. Der Special Agent hatte ebenfalls Überstunden gemacht und war mit seiner Arbeit nun eigentlich fertig – dennoch war er noch auf einen Sprung herübergekommen, um zu sehen, welche Fortschritte sie im Fall Orochimaru machten. Sasori erinnerte sich daran, dass Kisame das erste Opfer des Serienkillers gefunden hatte. Selbst nach all den Jahren zeigte er immer noch reges Interesse an dem Fall. „Hier ist sie“, sagte Konan plötzlich, als Sasori sich eben setzen und seine Zeit mit weiterem Nichtstun vergeuden wollte. Sofort umrundete er den Schreibtisch und sah seiner Kollegin über die Schulter. Konan deutete auf die Mail, die eben eingetrudelt war. Sie enthielt die angeforderte Liste der Hubschraubereinsätze. Sasori versprach sich nicht allzu viel von der Sache, aber es war die einzige Spur, die sie hatten. Konan las sich die Tabelle durch und mahlte mit den Lippen, sodass ihr Piercing munter hüpfte. „Es sind sogar weniger, als ich befürchtet habe.“ „Ja“, murmelte Sasori. „Die Frage ist nur, wann Orochimaru das Band besprochen hat.“ Vor vier Wochen etwa war es erstmals von Gatou abgespielt worden. Streng genommen konnte es aber auch schon sieben Jahre alt sein. „Die Kollegen waren ja ganz schön schnell“, stellte Kisame fest. „Wenn ich das richtig verstanden habe, haben Sie sie erst vor einer viertel Stunde angerufen, oder?“ Sasori kam es viel länger vor, aber er sagte nichts, sondern deutete auf eine Zeile in dem Tabellenblatt. „Stellen Sie sich vor, das war der Helikopter.“ Ein Rettungseinsatz in einem Einkaufsviertel in der Innenstadt. „Der ist über die halbe Stadt geflogen. Man könnte ihn überall gehört haben.“ „Nicht ganz“, murmelte Konan, stand auf und nahm einen Filzstift in die Hand. Hinter ihr an der Wand hing ein großer Stadtplan, auf den sie eine Linie zeichnete. „Orochimaru braucht eine Werkstatt oder ein Lager für seine ganzen Spielereien. So etwas ist für gewöhnlich unterirdisch, in Kellern, oder am Stadtrand, oder in Industriegebieten – nach meinem Bauchgefühl zumindest. Von der Station zum Einsatzort muss der Helikopter etwa so geflogen sein.“ Sie zeichnete eine rote Linie auf den Plan. „Und dann so, um schnellstmöglich zum Krankenhaus zu kommen.“ „Da bewegen wir uns aber auf dünnem Eis“, merkte Kisame an. „Er könnte auch ein wenig davon abgewichen sein. Wollen Sie jetzt alle mutmaßlichen Flüge dort einzeichnen?“ Konan tat wirklich genau das. Sie warf wiederholt einen kurzen Blick auf ihren Computerbildschirm, um die Flugstrecke dann auf die Karte zu malen. Heraus kam kein so komplexes Spinnennetz, wie Sasori erwartet hatte; natürlich starteten die Rettungshubschrauber für gewöhnlich an ihren Stationen und flogen nach dem Auflesen des Patienten eines der Krankenhäuser an. Die Einsätze, die weiter zurücklagen, zeichnete Konan strichliert ein. „Selbst wenn wir alle Keller und Industriegebäude und Lager auf den Strecken herausfinden, ist die Auswahl immer noch zu groß“, meinte Sasori. „Es ist besser als nichts. Und wir haben ja Zeit“, meinte Konan. „Es sei denn, Orochimaru plant wirklich eine große Sache“, sagte Sasori. „Dann zählt jede Minute.“ „Glauben Sie?“ Er zuckte mit den Schultern. „Das war jetzt mein Bauchgefühl.“   Kiba hatte die Wahrheit gesagt. Die große Tür nach der Biegung am Ende des kahlen Flurs lenkte alle Blicke auf sich. Vier senkrechte Schlitze waren darin eingearbeitet, fast kunstvoll. Der halb verweste Krähenkopf, den Kiba erwähnt hatte, lag seitlich an der Wand. Kiba musste ihm einen Tritt verpasst haben. Mit flinken Fingern tastete Kankurou über das Holz. Es gab einen Türknauf, doch der ließ sich nicht bewegen. Wahrscheinlich fungierten die Schnitte als Schlüssellöcher … und er glaubte zu wissen, was der Schlüssel dazu war. Er wuchtete den Rucksack, in den er seine Puppe wieder verstaut hatte, von seinem Rücken. Binnen Sekunde hatte er sie mit Chakrafäden aus seinen Fingern verknüpft und ließ sie aus ihrem Gefängnis steigen. Karasu, die Krähe. Die Marionette, die sein Markenzeichen geworden war – zumindest in der Unterwelt. Einige schnelle Fingerbewegungen, und das Kunstwerk klappte auseinander. Seine Gliedmaßen offenbarten scharfe Klingen, die Kankurou mit einem Scharren in die Schnitte in der Tür gleiten ließ. Ein sanftes Klicken begleitete jede davon, dann hörte er auch ein leises, elektrisches Surren. Zögerlich berührte er den Knauf erneut, darauf gefasst, einen Stromschlag zu erhalten. Als das nicht geschah, drehte er ihn, und die Tür glitt widerstandslos und mit gut geölten Angeln auf. In dem Zimmer war es stockdunkel. Das Licht aus dem Flur riss nur rohe Bodenbretter aus der Finsternis. Kankurou schluckte. Irgendwie glaubte er nicht, dass Orochimaru ihn zu töten versuchte, ohne ihm vorher eine konkrete Aufgabe zu stellen. Dennoch schob er sich mit äußerster Vorsicht in den Raum, den Torso von Karasu neben sich, und tastete nach einem Lichtschalter. Er fühlte eine Plastikplatte unter seinen Fingerspitzen, trat noch ein wenig weiter nach rechts, bekam einen Schalter zu fassen und schnippte ihn um. Im selben Moment, in dem die Lampe über ihm knackend zum Leben erwachte, schwang die Tür mit einem Knall ins Schloss. Er fuhr herum, hörte die Gliedmaßen und Klingen seiner Puppe am Boden klimpern, als die Wucht sie aus den Öffnungen schleuderte. Instinktiv rüttelte er an dem Türknauf auf dieser Seite. Das chakraverstärkte Holzmonster ließ sich nicht öffnen. Natürlich. Er stöhnte innerlich auf und drehte sich wieder in den Raum zurück. Was er sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er war froh, vorhin keinen Schritt nach vorn getan zu haben. Direkt vor ihm gähnte eine klaffende Öffnung im Boden, die mit spitzen Kanülen gefüllt war, blitzende, fiese Nadeln reckten sich ihm in allen Winkeln entgegen, und der bloße Anblick reichte, um ihm eine Gänsehaut zu bescheren. Jenseits der Spritzengrube befand sich ein Safe in der Wand, auf dem ein digitaler Timer ablief. Hundertachtzig Sekunden. Kankurou fluchte, sprang mit einem Satz über die Grube hinweg und pflückte die Kassette von der Schnur, die vor dem Safe baumelte. Mit schweißnassen Fingern gelang es ihm kaum, den Kassettenplayer zu öffnen, den er noch bei sich trug. Verdammt, er musste die Spielregeln erfahren! Endlich bekam er die Kunststoffhülle auf, schmiss Zabusas Kassette davon und legte die neue ein. Orochimarus Stimme ließ ihn wieder einmal frösteln, und in dieser Umgebung war es besonders schlimm. „Hallo, Kankurou. Sie befinden sich in einer Situation, die Ihnen bekannt vorkommen sollte. Ein ums andere Mal haben verzweifelte Ninjas in einer schmutzigen, winzigen Arena gegen spitze Tödlichkeiten gekämpft, die Sie gebaut haben. Viele brauchten das Geld dringend zum Überleben und waren deshalb bereit, dafür in den Tod zu gehen. Sie selbst haben es meist nicht einmal für nötig gehalten, von den sicheren Rängen aus zuzusehen. Heute dürfen Sie am eigenen Leib erfahren, wozu Sie diese Menschen getrieben haben. Die Arena, in der Sie kämpfen werden, befindet sich unter Ihnen. Die Nadeln darin sind Ihr Gegner. Auch Ihr Ziel ist es, als Sieger wieder emporzusteigen und zu überleben. Finden Sie den Schlüssel, der in dem Nadelhaufen versteckt ist, und können Sie damit den Safe vor Ihnen aufschließen, so winkt Ihnen eine Dosis mit dem Gegenmittel als Belohnung. Auf zwei Dinge sollten Sie jedoch achtgeben. Erstens waren die Ninjas in der Arena ihren Gegnern oftmals weit unterlegen. Um diesen Sachverhalt nachzustellen, ist Ihre geliebte Puppe nun außer Betrieb gesetzt, und Sie müssen sich selbst die Hände schmutzig machen. Zweitens haben Sie mit vergifteten Klingen oft für einen Überraschungseffekt in der Arena gesorgt. Passen Sie also gut auf, denn einige der Nadeln unter Ihnen sind ebenfalls vergiftet, und es ist kein langsam wirkendes Gift wie das, welches Sie eingeatmet haben. Doch Sie kennen sich bestimmt mit Pfeilgiftfröschen aus und wissen, worauf Sie zu achten haben. Das Spiel ist eröffnet.“ Kankurou sprach der Schweiß aus. Ihm schien, als hätte Orochimaru extra langsam gesprochen, damit ihm die Zeit knapp wurde – nur achtzig Sekunden blieben ihm noch! Dennoch brauchte er eine schiere Ewigkeit, ehe er sich überwinden konnte, in die Nadelgrube hinunterzusehen. Quer durcheinander lagen dort Spritzen, wie Junkies sie verwendeten … Und die gelbliche Farbe und das schmierige Licht ließen sie definitiv schmutzig wirken. Irgendwo dort war der Schlüssel, der ihm das Leben retten konnte? Mir oder Hinata, dachte er und biss die Zähne zusammen. Sollte er sich tatsächlich für eine Fremde diese Nadeln unter die Haut jagen, bei dem Versuch, das Gegenmittel zu erbeuten? Sie sah nicht so aus, als könnte sie ihr eigenes Spiel bestehen, wenn sie darauf stieß … Er könnte sagen, er hätte nichts gefunden oder es nicht geschafft … Hinata und Haku verließen sich auf ihn, aber der Junge war eindeutig kriminell, und das Mädchen hatte sicher auch etwas auf dem Kerbholz, sonst wäre sie nicht hier … „Verflucht!“, schrie er und kratzte sich die Kopfhaut durch seine Kapuze. Er musste verrückt sein, jetzt über die Katze im Sack nachzudenken! Erst das Mittel besorgen, dann darüber nachdenken, wie es weiterging! Er zuckte mit den Fingern; Rumpf und Kopf von Karasu flogen über die Grube zu ihm. „Außer Betrieb, ja?“, rief er höhnisch. „Du kennst mich schlecht!“ Er würde den Teufel tun und in diesen höllischen Nadelhaufen springen! Karasus Gliedmaßen waren vielleicht draußen auf dem Flur, aber er konnte den Rest der Puppe immer noch steuern, und Orochimaru hatte offenbar keine Ahnung, wie viel Feinmechanik in ihrem Kopf steckte! Wie einen Greifvogel ließ Kankurou seine Krähe in die Grube stürzen. Kunststoff knirschte, teuflisches Metall schrammte über Holz. Es raschelte, als er Karasu einmal quer durch die Grube pflügen ließ, mit Argusaugen darauf achtend, ob irgendwo ein Schlüssel zum Vorschein kam. Die Zeit lief unerbittlich gegen ihn. Ein Blick über die Schulter sagte ihm, dass er noch vierzig Sekunden hatte. Schweiß trat ihm auf die Stirn, in seinem Ganzkörperanzug war es plötzlich unglaublich stickig. Komm schon! Komm schon, komm schon, komm schon! Ein weiteres Mal durchwühlte seine Puppe die Nadeln für ihn. Er ließ ihren Kopf ruckartig kreisen, sodass die Spritzen wie Wellen über den Rand der Grube schwappten. Je weniger dort drin waren, desto eher würde er den Schlüssel finden … Oder sollte er doch selbst hineinsteigen? Von hier aus war ein kleines Metallding sicher nicht leicht auszumachen … „Komm schon, bitte!“, stöhnte er. Wo war er? Wo war der Schlüssel? Noch dreißig Sekunden! Plötzlich verschwamm die Welt vor seinen Augen, kurz nur, aber es reichte aus, um ihm bittere Galle auf die Zunge zu schicken. Er würgte, hustete bei dem Versuch, sie hinunterzuschlucken, sah Blutspritzer auf die Spritzen regnen. Halt durch! Die Chakraverbindung drohte abzubrechen, der untere Teil von Karasu machte sich plötzlich selbstständig und wurde nur noch vom Kopf durch die Grube geschleift. Keuchend konzentrierte Kankurou all sein Chakra auf seine linke Hand. Keine Zeit, die Verbindung neu aufzubauen – es muss reichen, den Kopf zu steuern! Dann kam der Schwindelanfall, und für einen kurzen Moment wurde Kankurou schwarz vor Augen. Als er wieder etwas von seiner Umgebung erkennen konnte, befand er sich im freien Fall. Es fühlte sich an wie ein buchstäblicher Sturz in ein Nadelkissen. Unter ihm klirrte und raschelte es, als sich hunderte spitzer Nadeln in jeden Zoll seines Körpers bohrten. Kankurous Schrei zerfetzte ihm fast die Kehle, und er war sicher, dass sich gleichzeitig ein Schwall Blut seinen Weg ins Freie bahnte. Er war unfähig sich zu bewegen. Seine Glieder waren wie erstarrt, die Finger hatte er zu Klauen gekrümmt, alle Muskeln angespannt, um den Schmerz abzuwehren. Die Chakraverbindung zu Karasu war weg, seine Puppe war irgendwo unweit von ihm ins Nadelbett gesunken. Die Uhr! Er meinte die roten Leuchtziffern auf seiner Netzhaut weiterticken zu sehen. Er konnte nicht mehr viel Zeit haben. Kankurou biss stöhnend die Zähne zusammen. Tränen verschleierten seinen Blick. Mühsam drehte er sich auf die Seite; jeder Nerv in seinem Körper schien durchbohrt. Als er sich bewegte, spürte er, wie die Kanülen in seiner Haut hingen und hin und her baumelten. Er stieß ächzend die Luft aus, schaffte es irgendwie, auf alle Viere zu kriechen. Keuchend stellte er fest, dass unter ihm der Boden der Grube war. Karasu hatte die Spritzen genügend umhergeschaufelt, dass er nicht so viele abbekommen hatte, wie er im ersten Moment geglaubt hatte, dennoch schmerzte es höllisch und – Kankurou sog scharf die Luft ein, als er direkt vor sich eine knallbunt bemalte Kanüle sah. Sie kennen sich bestimmt mit Pfeilgiftfröschen aus und wissen, worauf Sie zu achten haben. Die vergifteten Nadeln! Was sollte Orochimaru sonst gemeint haben, außer dass er auf auffällig gefärbte Spritzen achten sollte? Der Schmerz trat in den Hintergrund, zurückgescheut von purem Adrenalin und dem Brüllen, das Kankurous Kehle verließ. Seine Hände rissen die Nadeln aus seiner Haut, überall an seinem Körper, in den Beinen, an den Armen und schließlich am Rücken. Nur um sicher zu sein, warf er sich rücklings gegen die Wand der Grube. Seine Wunden schmerzten, aber es steckten keine Nadeln mehr in seinem Fleisch. Keine der Spritzen war eingefärbt gewesen. Er hatte noch mal Glück gehabt … Der Sturz hätte ins Auge gehen können. Vielleicht hätte es ihn nicht mal gerettet, wenn er die Nadeln so schnell herausgezogen hätte, wäre eine davon vergiftet gewesen … Und nun? Sollte er in die Grube tauchen, wie Karasu vor ihm? Immer noch tat ihm alles weh, die Nadelstiche waren tief und fies. Atemlos blickte er sich um, auf der Suche nach der Puppe … Und fand den Schlüssel. Kankurou verschenkte weitere kostbare Sekunden damit, das hellgrüne Schildchen anzustarren, an dem ein winziger Messingschlüssel hing, nur zwei Schritte von ihm entfernt. Karasus Körper musste ihn nach oben geackert haben. Er wankte darauf zu und zog ihn unter der obersten Schicht Nadeln hervor, die nur seine Handschuhe kratzten. Auf dem Weg zum Rand der Grube merkte er, wie sein Körper zu versagen begann. Ihm wurde wieder schwindlig, schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen und er fühlte sich so schwach wie noch nie zuvor. Das Nervengift hatte zu lange in seinem Körper gearbeitet, und er hatte zu viel Chakra verbraucht. Mit letzter Kraft zog er sich über die Kante zurück in den Raum. Dort fiel sein Blick auf den Timer. Fünf Sekunden. „Nein!“, keuchte er und kroch auf allen Vieren auf den Tresor zu. Dass sich dabei eine Spritze, die Karasu zuvor aus der Grube geworfen hatte, in seinen Unterschenkel bohrte, spürte er kaum. Er versuchte den Schlüssel richtig in die Finger zu bekommen, doch seine Hände fühlten sich fast taub an. Drei Sekunden. Endlich war das grüne Plättchen aus dem Weg. Nun musste er nur noch den Schlüssel in das Schlüsselloch bringen … Zwei Sekunden. Wieder ein Schwindelanfall. Die Flecken vor seinen Augen mehrten sich und er konnte kaum erkennen, was seine zitternden Finger taten. Eine Sekunde. Endlich fand der Bart ins Schloss. Jetzt musste er ihn nur noch … Ein schrilles Klingeln ließ ihn zurückspringen, und er hörte einen schweren Riegel, der sich im Inneren des Safes vorschob. Der Timer war auf null gesprungen. „Nein“, keuchte Kankurou und tastete fassungslos über die Stahlplatte. Er versuchte den Schlüssel zu drehen, aber es ging nicht. „Nein!“ Zornig schlug er mit der flachen Hand gegen den Safe. Er hatte es doch fast geschafft! Eine Sekunde – eine einzige lächerliche, beschissene Sekunde länger, und er hätte das Gegengift gehabt! Kankurous wütendes Brüllen ging in ein wortloses Heulen über. Er hatte versagt. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)