Der Rabe und die Rose von Night_Baroness (Shiho x Gin) ================================================================================ Kapitel 1: Die erste Begegnung ------------------------------ Der Wind strich wie eine riesige Hand, drohend mit eiskalten Fingern durch meine kurzen Haare und brachte meine Frisur in Unordnung. Fröstelnd verschränkte ich die Arme vor der Brust und rieb mir die Oberarme, um wenigstens ein bisschen Wärme zu erzeugen. Wo blieb sie nur? Suchend ließ ich meine Augen durch die weitläufige Flughafenalle wandern, doch ich konnte meine Schwester nirgends entdecken. Hatte sie etwa vergessen, dass ich heute ankommen würde? Dabei hatten wir kurz vor meinem Abflug in L.A. noch telefoniert und vereinbart, dass sie mich hier abholen und zum Hauptsitz der Organisation bringen würde. Ungeduldig blickte ich auf meine Armbanduhr. Viertel nach Vier. Nun wartete ich schon fast eine Stunde lang. Toll. Zu allem Überfluss war auch noch mein Handy-Akku leer, sodass ich sie nicht einmal anrufen konnte. Seufzend beschloss ich mich auf die Suche nach einem Telefon zu machen, irgendwo musste es hier ja eines geben. Während ich mich auf die Suche machte, betrachtete ich nachdenklich den grauen Himmel, der mich durch die großen Fenster düster anstarrte. Grau. Ja, alles war hier grau. Der Himmel, das Gebäude, die Flugzeuge, wenn es nicht die bunten Reklametafeln gegeben hätte, hätte man meinen können, dass es in der Welt keine andere Farbe mehr gäbe. Nicht einmal schwarz. Ich lächelte. Schließlich entdeckte ich ganz in der Nähe, direkt neben einem kleinen Fast-Food Restaurant, ein Münztelefon, das in die Wand eingelassen war. Zielstrebig ging ich darauf zu und warf ein paar Yen ein. „Hallo?“ Meldete sich Akemi mit verschlafender Stimme. „Was gibt’s?“ „Wo bist du? Ich dachte, du wolltest mich abholen.“ Schweigen. „Oh mein Gott!“ Akemis Stimme war fast schon schrill. „Shiho? Es tut mir ja so leid! Ich hab in letzter Zeit viel gearbeitet und war so müde, dass ich eingeschlafen sein muss." „Schon in Ordnung.“ Bei Akemi hätte ich mir das eigentlich denken können. Sie war immer so schusselig und lebte in den Tag hinein. Für eine Traumtänzerin wie sie, war es nichts Ungewöhnliches mal einen Termin zu vergessen. „Es tut mir wirklich leid. Ich hab dich einfach hängen lassen! Warte, ich setz mich sofort ins Auto und fahr los in circa einer halben Stunde bin ich da, also rühr dich bloß nicht von der Stelle!“ Mit einem Grinsen auf den Lippen legte ich den Hörer wieder auf. Ach, Akemi. Wenigstens du hast dich kein bisschen verändert. „Ein Jammer wenn man einfach so vergessen wird, nicht wahr?“ Überrascht sah ich auf und blickte direkt in die kleinen dunklen Augen eines runzligen alten Mannes, der sich auf einen Gehstock stütze. „Meine Enkelin sagte, sie würde mich abholen, aber anscheinend hat sie schon wieder Wichtigeres zu tun. Die Jungend heutzutage, läuft ziellos durch die Welt, den Kopf stets in den Wolken verborgen.“ Der Alte lächelte traurig und hielt sich den scheinbar schmerzenden, stark gebeugten Rücken. „Meine Schwester hat mich nicht vergessen, sie ist nur eingeschlafen. Ich bin sicher, ihre Enkelin erinnert sich auch daran, dass sie sie abholen soll. Vielleicht steht sie ja im Stau, oder sie findet den Weg nicht.“ „Das kann sein. Aber es kann genauso sein, dass sie mich vergessen hat. Woran man glauben will ist rein subjektiv, es liegt im Auge des Betrachters.“ Ich studierte nachdenklich sein faltiges Gesicht, das so hart und verbittert wirkte, als wäre es aus grobem Holz geschnitzt. „Ich glaube daran.“ Er runzelte die Stirn. „Ihre Enkelin kommt ganz sicher.“ Er zuckte die Schultern und wandte das Gesicht ab, doch ich glaubte, trotzdem ein Lächeln auf seinen schmalen Lippen zu erkennen. „Ja, vielleicht.“ Er ging ohne ein weiteres Wort zu sagen. Während ich ihm dabei zusah, wie er zu einer Bank in der Mitte der Halle humpelte, spürte ich auf einmal ein Stechen im Magen. So ein ungewöhnliches, bedrohliches Gefühl keimte in mir auf, wie eine düstere Vorahnung, ein hecktischer Blick, den man immer wieder hinter sich wirft, wenn man allein eine dunkle Allee entlang geht. Ich hatte schon immer einen sechsten Sinn für Gefahren besessen, meistens hatte er mich auch nicht in die Irre geführt, nur diesmal schien mein Gefühl mich zu täuschen, denn ich sah weder in dem alten Mann, noch in irgendjemand anderem der sich hier befand eine Bedrohung. Vielleicht war ich einfach nur nervös wegen der ungewissen Zukunft, die wie ein Zug mit defekten Bremsen auf mich zuraste und mich unweigerlich zu erfassen drohte. „Shiho-chan! Da bist du ja.“ Eine freudestrahlende Akemi lief winkend auf mich zu und fiel mir wenige Augenblicke später um den Hals, wobei sie es wiedermal nicht lassen konnte mich so fest zu drücken, dass ich nach Luft schnappen musste. „Hallo Schwesterchen.“ Sagte ich, als mir wieder genug Atem zu sprechen zur Verfügung stand. Einen Moment lang sahen wir uns einfach nur an. Überraschung und Freude ließen Akemis dunkelbraune Augen strahlen. „Wow. Du bist echt hübsch geworden. Es kommt mir wie eine Ewigkeit her vor, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben.“ Ich erwiderte ihr Lächeln. „Und du bist ebenso bezaubern und verpeilt wie eh und je. Ich glaube, es ist schon fast fünf Jahre her, also kein Wunder, dass ich mich verändert habe.“ Akemi machte ein zerknirschtes Gesicht. „Es tut mir so…“ Setzte sie an. „Schon okay.“ Unterbrach ich sie. „Ich bin dir nicht böse. Lass uns einfach zu dir nach Hause fahren. Ich habe einen langen Flug hinter mir und bin furchtbar müde.“ Sie nickte und nahm mir meinen Koffer ab. „Na dann los.“ Wir durchquerten die Halle und gingen zu den Parkplätzen wo Akemi irgendwo ihren blauen Toyota geparkt hatte. Natürlich fand sie ihn erst nachdem wir dreimal über den ganzen Parkplatz gelaufen waren, aber dass machte mir momentan nichts aus. Zum einen, weil ich einfach glücklich war, sie wiederzusehen, zum anderen, weil ich mich ohne die schwere Last meines Koffers seltsam leicht und frei fühlte. „Na endlich.“ Triumphierend hob sie ihren Autoschlüssel in die Höhe und drückte den Knopf der das Auto entriegelte. Der Toyota neben uns blinkte. „Wie konnte ich dich nur übersehen?“ Ja, wie konntest du nur. Ich musste unweigerlich grinsen, wofür Akemi mich mit einem gespielt abschätzigen Blick strafte. Während der Fahrt blickte ich die meiste Zeit aus dem Fenster. Tokyo war eine völlig neue Stadt für mich, so vollkommen anders als L.A. oder jede andere Stadt in der ich bisher gewesen war. Riesige Hochhäuser mit bunten Plakaten und Anzeigetafeln, voller Schriftzeichen und fremder Gesichter. Die Atmosphäre gefiel mir. Es hatte irgendwie etwas von einem Bienenstock, alles schien chaotisch zu sein, doch wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass alles einem Plan, einer bestimmten Struktur zu folgen schien. Der Charme einer Großstadt. Alles hat seine Ordnung. Alle Wege verlaufen gerade. Zumindest wenn man nicht nachsieht, was in den engen Gassen, den dunklen Ecken und Kellern passiert. „Ich weiß, du würdest dich lieber sofort eine Weile ausruhen, aber ich fürchte, wir müssen vorher nur zur Organisation.“ Ich schluckte. Den Gedanken an die Organisation hatte ich bis jetzt verdrängt. Ich hatte schon in den USA mit ihr zu tun gehabt, aber es war eben noch einmal etwas anderes ihr an ihrem mächtigsten Punkt, an dem alle hohen Tiere saßen, gegenüber zu treten. „Was ist für heute denn noch geplant?“ Fragte ich nach einem kurzen Zögern. Akemi zuckte die Schultern. „Ich denke, sie werden dich in deine Arbeit einweisen. Wahrscheinlich wird es sie interessieren, wie gut du schon über das Gift seine Herstellung informiert bist und wie viele Informationen sie dir noch geben müssen.“ Ab ins Labor also. Zum einen erfüllte mich dieser Gedanke mit Erleichterung, da ich so in der Lage war alleine zu arbeiten. Ich mochte die Ruhe und die Gelassenheit, die man haben konnte, wenn niemand bei einem war. Es war, als gäbe es auf einmal zwei Welten eine laute, schrille voller Hast und die eigene, die still und geordnet war, in der man außer seinen eigenen Gedanken nichts hören konnte. Andererseits gefiel mir die Vorstellung ganz und gar nicht sofort in irgendeinen dunklen Keller gesperrt zu werden und dort Tag und Nacht an einer Substanz zu arbeiten, die dazu bestimmt war, Menschen das Leben zu rauben. Ein Gift, das schnell töten sollte, ohne irgendeine Spur zu hinterlassen. Die perfekte Mordwaffe. „Ich würde dir das ehrlich gerne ersparen, aber die hochrangigen Mitglieder sind völlig kompromisslos. Die lassen nicht mit sich reden.“ Ich nickte. Das wusste ich nur zu gut. Manchmal, wenn meine Eltern zu Besuch gekommen waren, waren auch andere Männer und Frauen bei ihnen gewesen. Alle in Schwarz gekleidet. Schwarz wie die Nacht. Schwarz wie der Tod. Sie hatten kalt auf mich gewirkt, furchteinflößend und stark, wie fleischgewordene Albträume. Nach diesem kurzen Gespräch herrschte wieder Schweigen zwischen uns. Ich war mich sicher, Akemi hätte am liebsten die ganze Zeit ohne Punkt und Komma geredet, doch sie schien meine Anspannung zu spüren und verkniff es sich deswegen. Als wir in die Tiefgarage eines großen Gebäudes einfuhren, fühlte ich mich, wie ein kleines Mädchen an seinem ersten Schultag. Eine Mischung aus freudiger Erwartung und zittriger Aufregung. Das Hochhaus sah aus wie der Hauptsitz einer Firma, mit einem riesigen Gelände und kleineren Nebengebäuden. Wir waren bereits am Eingang, der von hohen Bäumen gesäumt war, kontrolliert worden. „So, da wären wir.“ Akemi stellte den Motor ab, ließ die Hände aber noch auf dem Lenkrad liegen, so als wollte sie am liebsten gleich wieder wegfahren. Sie stieß einen Seufzer aus. „Ich freue mich wirklich, dass du da bist. Ich habe dich sehr vermisst.“ Ich erwiderte ihr liebevolles Lächeln. „Ich dich auch.“ Zuerst hatte ich mich davor gefürchtet Akemi wiederzusehen. Nach dem Tod meiner Eltern hatte man uns getrennt, da die Organisation von meiner Hochbegabung wusste. Sie ließ mich in den USA über die Arbeit meiner Eltern forschen und an einigen ihrer wissenschaftlichen Projekte weiterarbeiten. Der Kontakt zu Außenstehenden war mir verboten worden, sodass ich nicht die Möglichkeit hatte Akemi, die inzwischen in Japan lebte, zu treffen. Als sie mich vor ein paar Tagen aus heiterem Himmel angerufen hatte und davon sprach, sie wäre meinetwegen der Organisation beigetreten und wir könnten uns jetzt, wo ich nach Japan versetzt werden würde, endlich sehen so oft wir wollten. Ich konnte mich noch gut an diesem Moment erinnern, da ich vor Erleichterung und Vorfreude den Tränen nahe gewesen war. Trotzdem war da auch ein bitterer Nachgeschmack gewesen, eine kleine Stimme im Hinterkopf, die mir zuflüsterte, dass meine Schwester nun in demselben eiskalten, reißenden Strudel gefangen war wie ich und dass es kein Entkommen gab, für keinen von uns. 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