Einsamkeit des Helden von Blackwolf ================================================================================ Kapitel 1: Nichts sehen - Mizaru -------------------------------- They'll never know how tough it is to be the one who isn't chosen, to live so near the spotlight and never step in it. But I know. I see more than anybody realizes because nobody's watching me. I saw you last night, and I see you working here today. You're not special; you're extraordinary. - Joss Whedon Ihre von Müdigkeit geschwollenen Augen blinzelten wie die einer geblendeten Eule durch den schmalen Spalt zwischen der weiß getünchten Haustür und dem gleichfarbigen Türrahmen in den gleißenden Sonnenaufgang, der sich in der verglasten Fassade des schräg gegenüber liegenden Hochhauses spiegelte wie ein gigantischer archimedischer Brennspiegel. Draußen im offenen Treppenhaus stand ein genauso hoher wie breiter, kahlköpfiger Mann von der Poststelle. Er balancierte in den kurzen, dunkel behaarten Armen ein Paket und das unaufhörlich piepsende Elektrogerät, auf dem man bei Entgegennahme unterschreiben musste. Seine glänzende Glatze wurde von einem Kranz aus goldenen Morgenstrahlen eingerahmt, als wäre er irgendein Heiliger, doch Sakura Haruno erriet natürlich schnell, dass der Postmann nichts Gutes verhieß, seine Absichten niemals nur den geringsten Funken an Heiligkeit besaßen. Nicht wenn er zweimal klingelte, wie er es getan hatte, und erst recht nicht, wenn er es so früh am Morgen tat. „Guten Morgen.“ Er schenkte ihr, wie auch die sie verspottende Morgensonne, ein strahlendes Lächeln, das seine windschiefen, gelblich verfärbten Zähne entblößte. „Ist ihr Mann Rock Lee da?“ Seine hohe Stirn, die, wie sie zufrieden bemerkte, die Größe ihrer eigenen Stirn um Längen schlug, legte sich in fragende Falten, während sich kleine, glitzernde Schweißperlen der Anstrengung bildeten und sich anschickten an seinen behaarten Schläfen hinunter zu tropfen. Sakura öffnete die Haustür ihrer modernen Dreizimmerwohnung etwas weiter, um dem Mann vom Kurierdienst einen finsteren, verachtenden Blick aus ihren nun mehr giftgrünen Augen zu schenken, der jeden das Weite hätte suchen lassen. Dass es sich um den wohl unübertroffen grauenvollsten Morgen des Monats handelte, und dass das etwas heißen musste – war dieser Oktober doch schon von Tag eins an eine einzige Schandtat – überlegte Sakura Haruno beiläufig, während sie damit fortfuhr, den unschuldigen Paketzusteller mit ihren Blicken zu töten. Dieser Morgen, der abrupt mit dem zweimaligen Läuten ihrer Klingel begonnen hatte, bescherte ihr bisher nur Ärger. Während sie hastig aus ihrem Bett gekrochen war und erschrocken bemerkte, dass sie verschlafen hatte, einen obligatorischen Blick in ihren Spiegel über dem sorgfältig aufgeräumten Kosmetiktischchen warf, um entsetzt festzustellen, dass ihre Haare fettig und strähnig waren, und dass an ihrem Hals ein dicker, häßlicher und juckender Pickel sproß. Und wäre ihre optische Erscheinung nicht schon unzumutbar genug, hatte sich auch ihr sonst so leistungsfähiges Gehirn dazu entschieden, sie zu hassen – heimtückische, schmerzhafte, alkoholbedingte Morgenmigräne, plagte sie. Die hatte sie seit Jahren schon nicht mehr in diesem Ausmaß gehabt. Sie fasste sich mit der schlanken Hand an das scheinbar windgebeutelte Vogelnest auf ihrem Kopf, lehnte sich vor Müdigkeit aufseufzend an den kalten Türrahmen und atmete die kühle, erfrischende Morgenluft ein. „Nein, Rock Lee ist nicht hier“, sagte sie schließlich mit müder Stimme, sich vorstellend, wie sie zurück in ihr warmes Bett sank, die weiche Decke bis über die Ohren ziehend und in eine migränefreie Welt der Träume eintreten würde, bis sie irgendwann im Frühjahr wieder erwachen könnte. „Wenn ihr Mann nicht da ist, können sie das Paket auch für ihn empfangen“, bot der Paketzusteller ihr großzügig an, während seine kleinen, käferschwarzen Augen hin und her huschten um sie von oben bis unten zu mustern. Zweifelsohne war ihre morgendliche Erscheinung das bittere Sahnehäubchen auf ihrem finsteren Blick. Ein gräßlicher, an Armen und Beinen zu klein gewordener Schlafanzug, Plüschhausschuhe, bei deren einem Exemplar das Hasenohr abgerissen war und natürlich ihre fettige, aschfahle Haut komplettierten das Bild des Grauens – wahrscheinlich erblasste Frankensteins Monster vor Neid. „Er ist nicht mehr mein Mann.“ Pause. „Wir sind geschieden.“ Und mit einer, durch morgendlichen Frust gestärkte, schnelle Bewegung warf sie die Tür direkt vor der Nase des Postbotens knallend zu. Er hatte es verdient. Wer seine Mitmenschen um gottlose Zeiten belästigte, hatte, wenn sie es sich recht überlegte, eigentlich noch viel Schrecklicheres verdient. Schimpfworte, Tritte, hysterische Schreie – sie war noch nett gewesen. Man hatte so seine erwartungsvollen Vorstellungen von dem Hauptquartier der Keishicho, der Tokyo Metropolitan Police. Verglaste Gebäudefront, mindesten hundert Stockwerke voll mit den verschiedensten, hochmodernen Laboratorien, Abteilungen und einem unterirdischen Schießplatz auf dem perfekt aussehende, einem Actionfilm entsprungene Polizeibeamten breitbeinig da standen und ihre großen, einschüchternden Barettas treffsicher auf die viele Meter entfernten kleinen Zielscheiben abfeuerten. Die Realität, die sich weigerte einem utopischen Klischee zu folgen, sah natürlich ganz anders aus. Das Gebäude konkurrierte, was den Einfallsreichtum des Architekten anging, mit einem großen, hellbraunen Spielklotz aus dem Reportoirs eines Kleinkindes, dem der Versuch modern zu erscheinen, kläglich misslungen war. Zwar befand sich das ein oder andere klinisch reine Labor dort, aber man hatte so seine Probleme mit dem verringerten Geldzuschuß des Staates, was die Neuankömmlinge, an Japans elitären Universitäten studierte Experten, angesichts der veralteten Gerätschaften, die man ihnen mit einem jovialen Lächeln bereit stellte, kollektiv aufstöhnen ließ. Die Laborratten waren nicht die einzigen, die Grund zum Aufstöhnen hatten, wie eine der vielversprechenden Fallanalytikerinnen hörbar und ungeniert bewies. Der Grund für diese lautmalerische Gefühlsäußerung saß unbeirrt dessen am breiten Kopfende des eckigen Bürotisches, wies mit den säuberlich knallrot lackierten Fingernägeln mit ausladender Bewegung auf eine der vier mit Bildern und Dokumenten voll gehängten Stellwände und predigte ihr Mantra herunter: „Systematische Zusammenhänge herzustellen zwischen Charakteristika von Kriminellen und von ihnen begangenen Taten mit dem Ziel polizeiliche Ermittlungen zu unterstützen, dies ist die Essenz des ,Profiling‘.“ Die hellen Augenbrauen der Mentorin hoben sich leicht, ihre Hand sank zurück auf den Fallordner und sie starrte die Verursacherin des Stöhnens an. „Langeweile, Yamanaka?“ Ein viel zu gutmütiger Augenaufschlag folgte. Ino Yamanaka zuckte zusammen, ließ ihren wasserblauen Blick beschämt auf ihre manikürten Fingernägel sinken und schüttelte den blonden Schopf. „Nein? Dann hören Sie auf an die wohlgeformten Waden unserer männlichen Officer zu denken, bevor sie in Ihrer Phantasie bis zur Gürtellinie kommen, und lassen sie uns über den Fall nachdenken.“ Das Lächeln der übermächtigen Vorgesetzen, die mit allergrößter Hingabe ihre Schützlinge rügt, huschte über Tsunades Gesicht. Ihr Blick wanderte von Yamanaka zu Hyuga, die sich irgendwo beim Über die Straße Dirigieren von Kindern viel wohler gefühlt hätte, was ihre schüchtern auf die mit einer zierlichen Handschrift bekritzelten Unterlagen gerichteten taubengrauen Augen bewiesen. Schließlich blieb ihr strenger Blick an Sakura Haruno, hängen, die zu Beginn ihrer Ausbildung getönt hatte, sie wolle „maßgeblich zum Aufklärungserfolg beitragen“. Ihre Zielstrebigkeit, ihr ungebändigter Feuereifer, ging mit der Tatsache einher, dass sie ihre Mitmenschen mit ihrer Besserwisserei nervte. Doch ein allen bekanntes Ereignis, Tsunade hatte es sich als Scheidung des Jahrhunderts eingeprägt, hatte die Besserwisserei und das laute Dazwischenreden verschwinden lassen. Einzig zurückgeblieben war ein Ehrgeiz, der die junge Frau zu zerfressen schien. Andererseits, wen wunderte es? Haruno war ein junges Ding, hatte viel zu früh geheiratet, und dann auch noch den falschen. Zwar war sie, was Ehen anging, nicht unbedingt ein schillerndes Vorbild, dennoch hätte sie ihr sagen können, dass eine Hochzeit mit Rock Lee sicherlich der schlechteste Weg war, um einen anderen, wohlgemerkt nicht nur von ihr umschwärmten Herrn zu erobern. Harunos seltsam abwesender Blick ließ darauf schließen, dass sie, wie auch die beiden anderen, nicht ganz auf der Höhe war, was angesichts des Ernstes der Lage nicht unbedingt wünschenswert war. Wann lernten diese jungen Kollegen nur, dass man Sake nur in geringen Mengen ohne Nachwirkungen genießen konnte? Sakura starrte erst auf die Tür, sich innerlich predigend, nicht auf der Stelle einzuschlafen. Es klappte ganz gut, man durfte nur nicht blinzeln. Für Abwechslung sorgend starrte sie auf ihre Fingernägel. Abgeknabbert bis zum Nagelbett, das an ihrem Daumen bereits von einer braunen, getrockneten Kruste aus Blut geziert war. Beschämt angesichts der perfekten Finger, die Ino neben ihr betrachtete, zog sie ihre Hände vom Tisch und legte sie in den Schoß. Da kam ihr auch die Erkenntnis über die Ursache ihrer Kopfschmerzen. Fünf Sake und mehrere Schlucke von irgendeinem ominösen Getränk, die sie mit Arbeitskollegen am Ichiraku-Ramen-Stand geleert hatte. Wahrscheinlich war es keine gute Idee gewesen Naruto Uzumakis Vorschlag, ihm und seinen trinkfesten Kollegen von der Streife mit ihren beiden Kolleginnen Gesellschaft beim abendlichen Feierabendbesäufnis zu leisten. Nicht, dass dies das erste Mal gewesen wäre. Es war nur das erste Mal nach ihrer Scheidung gewesen und wie sie feststellen musste, war sie noch nicht bereit für so etwas. Der Frust ließ es einfach noch nicht zu, dass sie genügend Verantwortung für sich selbst übernehmen konnte. Wenn sie sich recht erinnerte, stellte sie fest, dass sie sich noch nicht einmal richtig erinnern konnte. Das einzige, dass sie wusste, war, dass sie, als Sasuke Uchiha, ebenso wie Naruto Uzumaki, ein ehemaliger Kollege von der Polizeiakademie, und ganz nebenbei auch noch die Liebe ihres Lebens, aufgetaucht war, sich eingeredet hatte, sie müsste allen beweisen, dass sie die Scheidung von Rock Lee überwunden hätte. Überwindung war wahrscheinlich die falsche Bezeichnung, denn es gab nichts, was sie vergessen musste. An sich war die Scheidung kein Rosenkrieg gewesen. Eher etwas, dass sie als Er heulte und ich wusste nicht, was ich tun sollte bezeichnete. Rock Lee hatte sie, wie er sagte, seit dem Augenblick da er sie zum ersten Mal gesehen hatte, geliebt. Gestanden hatte er ihr diese Liebe an dem Abend der ersten Kursfeier, die sie auf der Akademie erlebt hatte. Sie war 23 Jahre alt, hatte ihre ersten vier Monate Training hinter sich, hatte sich unsterblich in ihren Schwarzhaarigen Klassenkameraden verliebt und sich natürlich ein romantisches Liebesgeständnis erhofft. Das Liebesgeständnis kam, und es war sogar in gewisser Weise romantisch. Nur kam es vom Falschen. „Ich liebe dich“, hörte sie sich sagen, während ihre Hand immer noch den Stoff seines Jackets umklammerte. Verdammt, was war nur los? Panisch über ihr Bekenntnis, ließ sie von ihm ab und schob sich durch eine Lücke, die sich zwischen einigen der anderen Anwesenden öffnete und wieder schloss. „Oh Gott, Haruno, warum hast du das getan?“, murmelte sie sich selbst zu, während sich in ihrem Hinterkopf die hoffnungsvolle Vorstellung anbahnte, dass Sasuke ihr gerade folgte. Und tatsächlich, jemand packte sie am Arm. Ihr Herz machte einen Sprung. Sasuke. Sie drehte sich mit einem Lächeln um, doch vor ihr stand zwar ein junger Mann mit schwarzen Haaren, aber es war nicht Sasuke. „Lee?“, sagte sie überrascht. Doch Lee lächelte sie nur treuselig an und zog sie schon mit sich, während er überflüssiger hinzufügte: „Komm bitte mit.“ Sie fand sich schließlich auf der kleinen Karaokebühne wieder, leicht geblendet von den heißglühenden Scheinwerfern. Sie blinzelte irritiert. „Sakura“, begann Lee feierlich, während sich Schweißperlen auf seiner Stirn bildeten - sein kleiner Auftritt erweckte bereits die Aufmerksamkeit fast aller anderen Anwesenden, viele neugierige Augenpaare hatten sich bereits auf sie gerichtet. „Ich muss dir sagen: Ich liebe dich! Schon seit dem ich dich das erste Mal gesehen habe. Du bist die wunderschönste Frau der Welt!“ Irgendwo zauberte er eine rote Rose her und drückte sie ihr in die Hände, während sich ihre Hände mechanisch um den zerbrechlichen Stiel schloßen. Dieser dumme, naive, bemitleidenswerte Idiot, dachte Sakura, als sie vor Scham rot anlief. Himmel, wie konnte er nur? Irritiert bemerkte sie, dass ihr Lees Lippen immer näher kamen. Er konnte doch wohl nicht? Bei Gott, er tat es! Sakura zuckte instinktiv zurück und starrte in die Menschenmenge, die begeistert und alkoholisiert johlte. Und ganz hinten sah sie Sasukes matt glänzenden Haarschopf, der durch die breite Flügeltür verschwand. Nichts sehen – Mizaru Die Wege aller trennten sich. Während Sakura Haruno wie viele anderen weiblichen Kollegen den Weg nach Chiba, Kashiwa-City zum Nationalen Forschungsinstitut für Polizeiwissenschaften einschlug, eroberten Naruto, Sasuke und all die anderen die Straßen Tokyos – erst waren sie unbedeutende Sergeants, dann Lieutnants und schließlich Captains geworden. Sechs Jahre. Sie kam als beste Fallanalytikerin ihres Jahrgangs nach Tokyo zurück um dort auf all ihre Bekannten von der Akademie zutreffen. Der einzige Kerl, der nicht da war, hieß Sasuke Uchiha. Der hatte sich anstatt ein sittsamer durchschnittlicher Polizist zu werden, dafür entschieden dem Special Assault Team, kurz SAT, beizutreten, was zur Folge hatte, dass er gänzlich von der Bildfläche verschwand, so als hätte er nie existiert. Und so ging sie mit Rock Lee aus und nahm dessen Heiratsantrag an. Einen Monat nach der Hochzeit tauchte Sasuke Uchiha schließlich wieder aus der Versenkung auf – als hoch dekorierter SAT-Veteran – und trat mit all seiner kühlen Distanziertheit, mit der er Frauen wie ein Magnet anzog, zurück in ihr Leben. Dann ließ sie sich von Lee scheiden und schließlich landete sie am Ende eines durch und durch anstrengenden Arbeitstag am Ramenstand von Ichiraku. Mit Ino und Hinata, Naruto, Shino und Tenten. Und Sasuke. Sie wusste nicht mehr ganz genau, wie und wann sie nach Hause gekommen war – nur dass Naruto verkündet hatte, er würde fahren, was sie extrem beunruhigt hatte, allerdings nicht genug, um wieder nüchtern zu werden. Sasuke befand sich, wie jeden Morgen, dort, wo er sich am wohlsten fühlte, wo niemand ihm etwas anhaben konnte und all seine Gedanken sich wie durch Zauberhand ordneten: Auf dem Schießstand mit seiner Glock 19. Die Waffe schien zu einer Erweiterung seines Körpers zu werden, und jeder Schuss saß, zu mindestens immer in dem kleinen, gelben Kreis, aber hauptsächlich mitten ins Schwarze. Doch heute schien irgendetwas nicht so zu laufen, wie er es gewohnt war – nur sieben seiner zehn Schüsse landeten im gelben Bereich, die drei anderen gingen in die weiße Peripherie, als wäre er ein aus der Übung gekommener Streifenpolizist, der im Höchstfall mal einen kleinen Jungen für das Stibitzen eines Kaugummis auf die Finger haut. „Hey, Sasuke!“ Kakashi Hatake, seines Zeichens Sasukes Vorgesetzter, tippte ihm mit einem wohlwollenden Lächeln auf die Schulter. Kakashi nahm seine Nanbu M60 in Anschlag und ließ Sasuke noch dämlicher darstehen, als dieser sich schon längst fühlte, als alle seiner fünf abgefeuerten Schüsse ins Schwarze trafen. Mit einem innerlichen Seufzer nahm Sasuke die Ohrschützer ab und steckte seine Pistole in das Holster an seiner Hüfte. Sein Gegenüber tat es ihm nach und nickte zufrieden. „Was sagst du, Sasuke. Würde mich das SAT wiederhaben wollen?“ Ein belustigtes Grinsen stahl sich in das Gesicht des Älteren. Sasuke ignorierte es und versuchte Haltung zu wahren. Immerhin waren sie beide SAT-Veteranen und dass Hatake sich hin und wieder mit ihm Maß, war nur natürliches Gebaren, so wie Hunde hin und wieder die Laternen ihrer Reviere markierten. Also setze er ein nachdenkliches Gesicht auf. „Schon besseres gesehen.“ Nicht unbedingt diplomatisch, aber angesichts seines Versagens, ließ seine angekratzte Ehre keine reifere Erwiederung zu. „Wow, Sasuke, dazu zählst du dich nicht etwa?“ In Hatakes Gesicht spiegelte sich die blanke Ironie wieder. Ja, das tat er. Und er war es. Wenn ihn nichts und niemand ablenkte. Statt Hatake das zu sagen, was er dachte, zuckte er nur, dankbar über seine antrainierte Beherrschung, mit den Schultern, setzte sich die Ohrschützer wieder auf, nahm seine Waffe aus dem Holster, lud nach und atmete tief durch. Fünf Schüsse. Vier ins Schwarze. Einer daneben. „Ich habe vorhin mit Maito Gai gesprochen“, ließ ihn Hatake wissen, als Sasuke, der beschäftigt mit seiner Resignation über den Verlust seines Talents und dem Grund dafür war, sich nicht weiter rührte. „Du weißt von den Serienmorden?“ „Serienmorde?“, echote Sasuke, bemüht um ein überraschtes Gesicht. Ja, er wusste Bescheid. Und er wusste auch, welche Abteilung sich nun darum bemühte ein wenig Licht ins Dunkle zu tragen… Kakashi Hatake nickte kaum merklich mit dem Kopf. Uchiha mochte wohl denken, dass er dies zur Bestätigung seiner Rückfrage tat, doch in Wirklichkeit nickte er zur Bestätigung eines anderen Umstands, einer anderen höchst brisanten, aber dennoch nicht ganz unerwarteten Tatsache. Uchiha hatte keinerlei Lust über sie zu reden. Nicht, dass dies Kakashi daran hindern würde ihn dennoch dreist damit zu konfrontieren. „Die Fallanalyse hat sich jetzt dran gesetzt. Arbeiten schon eine geschlagene Woche an dem verzwickten Fall.“ Pause, um erneut Uchihas Gesicht aufmerksam zu examinieren. Der Schwarzhaarige sah ihn mit einem neutralen Gesichtsausdruck an. Zu neutral. „Tsunade und ihr Team, Hyuuga, Yamanaka und – wie heißt noch mal die Kleine? Die Exfrau von Lee?“ Uchiha versuchte ihn erfolglos mit nachtschwarzen Blicken zu töten. „Haruno. Sakura Haruno“, brummte er mürrisch. „Ah, Haruno, genau. Hübsches Ding, nicht?“ „Hm.“ „Egal, also die Mädels sollen angeblich heute Mittag fertig werden mit ihrer Analyse. Und wir wurden nun dazu beauftragt den Kollegen mit der Fahndung unter die unfähigen Arme zu greifen, was also für dich bedeutet, dass du den Auftrag hast in Konferenzraum C205 Tsunade zu fragen, wann wir mit der vollständigen Analyse rechnen können.“ Kakashi blinzelte Uchiha mit einem freundlichen Lächeln an. „Laufburschenarbeit?“ Uchihas Augenbrauen hoben sich leicht und in seiner Stimme schwang Ungläubigkeit mit. Der Ältere grinste nun leicht. „Ich würde ja einen Sergeant schicken, aber ich befürchte, er würde Konferenzraum C205 nicht mehr in einem Stück verlassen. Ich bin mir für solche Laufarbeit zu schade, und du genießt als ehemaliger SAT-Mitglied doch ein wenig Respekt, so dass du wahrscheinlich gerade noch mit einem ohrenbetäubenden Kampfschrei davon kommst.“ Uchihas Gesichtszüge entgleisten zwar nicht, aber er schien dennoch für einen kurzen Moment, getrieben von dem instinktiven Fluchtwunsch, der dem Menschen trotz all seiner Überlegenheit gegenüber anderen Lebewesen ebenso innewohnte, den Ausgang der Schießhalle zu fixieren. Dann wippte das unordentliche schwarze Haar in einem kleinen Nicken auf und ab, während sich Uchiha noch in der Bewegung mit einem innerlichen Seufzer seinem Schicksal hinzugeben schien. Braver Junge! Er schob seine Glock in das Schulterhalfter, hob das stolze Kinn an und eilte förmlich an Kakashi, der sich einbildete ein leise gemurmeltes „Idiot...“ in Sasukes Fahrtwind zu hören, vorbei. Sasuke übersprang beim Gehen immer zwei Stufen, während er überlegte, ob er Kakashi das nächste mal nicht einfach mit einem harten Handkantenschlag in die ewigen Jagdgründe schicken sollte. Da er so sehr mit seiner mörderischen Überlegung beschäftigt war, bemerkte er nicht, dass sich am Treppenabsatz die Tür zum Treppenhaus schwungvoll öffnete – er bretterte ungehalten in Rock Lee, der seinerseits gegen die kalte Metalltür taumelte. „Uchiha“, erkannte Sakuras Exmann richtig und sah den Schwarzhaarigen verwirrt an. „Keine Schießübungen heute morgen?“ Ja, so war er, der Idiot, dachte Sasuke mißbilligend. Immer neugierig, immer unachtsam und so nervtötend höflich, dass ihm davon schlecht wurde. Er nickte nur kurz und fügte hinzu: „Muss hoch zur Fallanalyse.“ „Die Serienmorde?“ „Hm“, bestätigte Sasuke. Lee nickte wissend. „Wir sind als Verstärkung abgeordnet worden. Weißt du, wann die Besprechung statt findet?“ „Gerade auf dem Weg, um es in Erfahrung zu bringen.“ Sasuke wand sich ohne weitere Worte zu verschwenden einfach ab und eilte erneut die Treppen nach oben. Natürlich gab es auch Aufzüge, aber er bevorzugte nun mal körperliche Ertüchtigung. Sport allgemein war gut. Man kam in Schwung, konnte sich auspowern. Man konnte sich ablenken von so trivialen Gedanken wie „Wie konnte Haruno nur so einen Idiot heiraten?“ oder „Was läuft falsch in meinem Leben?“... Im vierten Stockwerk angekommen stieß er die Tür zum Flur auf, nickte einigen geschäftigen Arbeitsbienen zu und warf sich in das Getümmel, das in dem riesigen Büroraum der Verkehrsabteilung herrschte. Wo war noch mal Konferenzraum C205? Nach links oder rechts? Richtung Tox-Labor oder doch eher Richtung Ballistik? Er ging nach links und landete dank einer mehr oder weniger glücklichen Fügung schließlich vor der dunklen Tür, auf der in weißen Lettern „C205“ stand. Es war ganz einfach. Hand anheben, zweimal Klopfen, warten. „Ja, bitte?“, tönte eine angenehme Frauenstimme honigsüß. Sasuke stellte sich auf einen todbringenden Blick seitens Tsunade ein, doch als er die Tür öffnete und eintrat, schien sie keinerlei Anstalten machen zu wollen, ihn irgendwie zu töten. „Captain Uchiha!“, begrüßte sie ihn mit einem Lächeln. Auch ihre drei Schützlinge hatten die Köpfe zur Tür gedreht. Ino grinste ihn mit ihrem unnatürlich weißen Gebiß an, Hinata wirkte einfach nur verwirrt angesichts seiner Erscheinung und Sakura schien den Punkt einen halben Meter neben seiner breiten Schulter viel interessanter zu finden. „Ich wurde geschickt um die Uhrzeit für das Meeting zu klären.“ Langsam fühlte er sich unwohl. Drei hübsche Frauen starrten ihn als wäre er ein saftiges Porterhouse Steak, eine wunderhübsche ignorierte ihn wie ein angegammeltes Sandwich, das auf dem Tablette liegen geblieben war. Hallo? Falscher Film, oder was? „Hatake schickt Sie als Laufburschen? Steht es wirklich schon so schlecht um die Keishicho?“, hauchte Tsunade gespielt entsetzt. Auch das noch. Er musste begründen warum es jedermann gefährlich hielt sich Tsunade unangemeldet zu nähren. „Hat sich ergeben.“ „Jaah?“ Ein süßliches Lächeln von Tsunade, gackerndes Gekicher von Ino. „Wir gehen davon aus, dass wir uns nach der Mittagspause in Konferenzraum A106 treffen können.“ Die älteste der Frauen starrte ihn offenkundig interessiert an. Er war es gewohnt, angestarrt zu werden. Frauen mochten ihn aus irgendeinem Grund. Vielleicht weil sie seine Lebensgeschichte so verwegen fanden. Oder weil er einfach nur mies drauf war und sie alle schlecht behandelte – diese offenkundige Abneigung schien auf die Damenwelt auf unerklärliche Weise so anziehend zu sein, wie das Licht für die Motten. Nicken!, überlegte er, und tat das dann auch, bevor er sich zum Gehen abwand. „Haben Sie nicht etwas vergessen?“, pfiff ihn Tsunade mit spitzer Stimme zurück. Er hielt inne und drehte sich langsam um. Nein, eigentlich nicht... „Sehen Sie sich meine Mädchen an“, forderte Tsunade und gestikulierte in Richtung der müden Gesichter. „Sie waren gestern auch im Ichiraku, wurde mir aus zuverlässigen Quellen berichtet. Hätten Sie nicht darauf achten können, dass die drei am nächsten Tag noch arbeitsfähig sind?“ Sollte er jetzt verwirrt schauen? Oder sich entschuldigen? Rot werden? Im Erdboden versinken? Ihm gingen viele Optionen durch den Kopf, doch keine davon erschien ihm als angebracht. Also schwieg er und sah Tsunade, die zufrieden grinste, unerschrocken an – sie war bekannt als dominante Harpyie, als trinkfeste Spielerin und höchst erfolgreiche Verhaltensanalystin, aber er hatte immerhin auch einen Ruf zu verlieren. „Na, Süßer?“, forderte sie ihn mit hochgezogenen, perfekt gezupften Augenbrauen auf und blickte ihn an, als wäre er so herzallerliebst wie ein überzüchteter Mops mit roter Schleife. Aha, das war er also, der berühmt berüchtigte Tsunade-Vergeltungsschlag für dreistes Stören... merci beaucoup, Kakashi. Hätte er ihn nicht warnen können, dass Tsunade seinen Ruf als antarktischer Eisklotz bei den Eiern packen würde um ihn ohne mit der getuschten Wimper zu zucken zwischen ihren manikürten Fingern zu zermalmen? Wo war die berüchtigte SAT-Loyalität geblieben? Es würde sicher nicht lange dauern, bis jeder wusste, dass er nun Tsunades süßer Sasuke-chan war… all der Respekt, das ehrfürchtige Raunen und das hastige Platz machen, wenn er durch die Flure ging: Aus und vorbei. „Hat es Ihnen die Sprache verschlagen?“, hakte das personifizierte Böse zynisch nach. Stille. Ach ja. Antworten... „Ich bin erst später ins Ichiraku gekommen und zu dem Zeitpunkt waren die drei schon an ihr Limit gekommen.“ Er merkte, dass er kerzengerade vor ihr stand, wie damals vor seinem Ausbilder, was ihn faszinierte und gleichzeitig etwas anwiderte. Was würde Tsunade nur mit den drei jungen Frauen heranzüchten? Fiese Xanthippen, die in ihre Fußstapfen treten um das von Männern dominierte tokioter Hauptquartier auch nach ihrem Scheiden aus dem Dienst zu tyrannisieren und mit blumigen Akzenten in den Konferenzräumen verzierten? „Wenn Sie also etwaige Beschwerden an meine Kollegen haben, werde ich diese überbringen.“ Und sofort verschwinden. Erleichtert schloß er die Tür hinter sich – von Innen ertönte auf einmal ein glockenhelles Lachen, dass von Tsunade stammte, die sich förmlich ausschüttete. Musste er Frauen verstehen? Selbst Frauen in seinem Alter schienen ein unergründliches Mysterium – er sah Sakura vor sich – und was sollte man dann von viel reiferen Ladys halten? Als später der Konferenzraum zum Bersten mit Polizisten gefüllt war, grübelte Sasuke immer noch über den Verlust seines guten Rufes nach. Und über den Verlust seiner Treffsicherheit. Und über die Person, die an allem Schuld hatte. Die Person, die vor der Leinwand stand, und auf ihren Fingernägeln kaute, dabei trotzdem die Blicke aller Männer im Raum auf sich zu ziehen schien. „Da bist du ja, mein Süßer!“, säuselte ihm Naruto plötzlich ins Ohr und sah ihn dabei mitleidig an. „Armer schwarzer Kater!“ „Klappe“, gab Sasuke mehr halbherzig zurück. „Ich hab’s von Shikamaru. Ino hat’s ihm erzählt.“ Naruto ließ sich auf den freien Platz neben ihn rutschen. „Tsunade hat’s drauf, macht sogar deinen Ruf mit einer klitzekleinen Bemerkung futsch. Ein Biest, sag ich dir! Und die Brüste sind sicher nicht echt!“ „Danke, muntert mich auf der Stelle auf“, murrte Sasuke sarkastisch und beobachtete Sakura, die nun Dossiers an die vorderen Reihen verteilte, damit diese sie weiter geben konnten. Lee saß angespannt in seinem Stuhl und starrte seine Exfrau so unverhohlen an, als wäre sie die Hauptstripperin in einer Table Dance Bar. Alleine für das Hinschauen hätte er ihm mit Freuden einen Tritt in den Hintern verpasst…. „…Sasuke?“ „Hm?“ „Was lief da gestern Abend zwischen dir und Sakura-chan?“ Narutos Kopf war neugierig zur Seite geneigt und die blauen Augen examinierten jede Regung in seinem Gesicht. „Nichts“, knurrte Sasuke und sah sein Gegenüber misstrauisch an. „Warum?“ „Es sah nicht aus wie nichts. Und Ino sagte vorhin, dass –“ „Wen interessiert Ino?“, warf Sasuke dazwischen. Er merkte, dass die Aggression langsam die Oberhand über seinen Gemütszustand erlangte. Bevor Naruto weiter auf dem Herumreitete, was Ino anscheinend allseits verbreitete – diese blöde Tratschtante – war Tsunade in den Konferenzraum gestürmt und hatte einen großen Ordner mit lautem Knall auf den Tisch ganz vorne geworfen. Sämtliche Anwesenden zuckten unisono zusammen und verstummten ehrfürchtig angesichts des imposanten Auftretens. Sasuke sah, wie Kakashi sich blinzelnd wie ein Uhu umsah und seinen Kopf einzog, als hätte er Angst, Tsunade könnte ihn jeden Augenblick – aus welch unerfindlichem Grund auch immer – von seinen Schultern reißen. Indessen flüsterte Maito Gai, der halb unter die Tischplatte gerutscht war, seinem grauhaarigen Sitznachbar hastig etwas zu, bevor er das Blatt, dass er erhalten hatte, vor sich hob, um sich dahinter zu verbergen. Verdammt, wie erbärmlich. Sasuke seufzte innerlich auf und legte eine gespielt erwartungsvolle Miene an den Tag. „Guten Tag, meine Lieben!“, begrüßte Tsunade die Anwesenden und schenkte ihnen ein breites Grinsen. „Wir haben unter Hochtouren an der Analyse gearbeitet und haben jetzt endlich erste Ergebnisse.“ Sie drehte sich um und nickte Ino zu. „Yamanaka.“ Die Blonde trat hastig einen Schritt nach vorne und warf sich in Pose. „Der Täter hat zuerst den Journalisten Ichiro Saigo in dessen Appartement in Shibuya erdrosselt und postmortem mit einem Wakazashi verstümmelt; man hat ihm die Augen entfernt und am Tatort zurückgelassen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)