Love Hospital von LisanimeBluehawk ================================================================================ Kapitel 8: Confusing Relationships ---------------------------------- Der Samstag war Annis freier Tag und sie genoss es endlich mal wieder so richtig schön ausschlafen zu können. Bis halb elf blieb sie im Bett liegen und ließ sich von den Sonnenstrahlen in der Nase kitzeln. Bis ihr Magenknurren sie schließlich dazu bewegen konnte, aufzustehen, sich anzuziehen und in die Cafeteria hinunter-zugehen. Dort war es erstaunlicher Weise nur halb so leer, wie Anni gedacht hatte. Offenbar gab es eine ganze Menge Langschläfer unter den Patienten. Sie zählte Mindestens vierzehn Männer und Frauen in Bademänteln und Jogginganzügen, die sich am Buffet tummelten oder Zeitung lesend ihr Frühstück verdrückten. Von ihren Kollegen war allerdings keiner zu sehen. Wahrscheinlich waren die jetzt alle längst an der Arbeit. Anni grinste in sich hinein, während sie sich eine Schale mit Milch und Honig-Pops füllte. Wie schön mal wieder einfach in den Tag hinein leben zu können. Mal sehen, was er noch so für sie bereit halten würde. Gedankenverloren beobachtete sie die anderen Spätfrühstücker und entdeckte die Familie von Jerry, dem Jungen, dem sie gestern den Blinddarm herausgenommen hatten. Sie saßen nicht weit von ihr entfernt an einem Tisch. Ob sie die Nacht hier verbracht hatten? Sie konnte sich nicht vorstellen, dass noch so viele Betten frei gewesen waren. Zwar waren sie nicht direkt überfüllt, aber sie behielten immer extra ein paar freie Betten, falls es nicht doch einmal zu einem Unfall kam. Wer konnte schließlich ahnen, wann der nächste schlaftrunkene Busfahrer eine Massenkarambolage verursachte oder ob nicht in nächster Zeit eine Epidemie ausbrach. „Allzeit bereit“ schien hier die Devise zu sein, wie der Chef ihr schon an dem Tag ihrer Ankunft versichert hatte. Gute Einstellung für ein so gefragtes Krankenhaus. Hier im Norden Schwedens, wo ein Großteil des Landes von Wäldern bedeckt war, gab es nur wenige große Städte und daher auch nur wenige Krankenhäuser. Das Sir Lazlo Hospital war aber ohne Frage das beste unter ihnen. So weit Anni es inzwischen herausgefunden hatte, gab es hier nicht mehr als fünf Ärzte. Dr. Knox, den Chefarzt und Dr. Anderson hatte sie ja bereits kennengelernt. Außer den beiden waren da noch Dr. Melf, ein etwa drei-ßigjähriger Mann, der sich nur selten ohne seinen pechschwarzen Ärztemantel zeigte und auch im OP-Saal seine Piercings nicht herausnahm. Dann war da noch Dr. Loreley, eine rothaarige Schönheit mit wasserblauen Augen und natürlich der Chef des Krankenhauses Dr. Wilhelmson, der allerdings schon seit einigen Jahren nicht mehr operierte. Alle diese Ärzte waren in ganz Schweden für ihre Genialität bekannt. Jeder von ihnen hatte sein Studium in einem sehr jungen Alter beendet und war für seine oder ihre besondere Kompetenz in Fragen Heilpraxis mehr als berühmt. Die wenigen Ärzte waren auch ein Grund dafür, warum ein Großteil des Personals im Hospital wohnte. Auch wenn es eher Zufall war, dass gerade Anni ein Einzel-zimmer erwischt hatte, denn wie sie von Coons und Kinley erfahren hatte, teilten sich die beiden ein Doppelzimmer – mit getrennten Betten versteht sich. Anni nahm ihr Tablett mitsamt Schale und Becher. Was sollte sie jetzt machen? Über das, was sie nach dem Frühstück machen wollte, hatte sie noch gar nicht nachgedacht. So stand sie eine Weile ratlos auf dem Gang vor der Tür der Cafeteria, die hinter ihr ins Schloss gefallen war. Sollte sie in die Stadt gehen? Aber was konnte sie dort groß machen, was hier nicht auch ging? Im Park spazieren zu gehen, war ungefähr genauso wie im Garten über die verschnörkelten Wege zu streifen. Ja, selbst einen Friseur- und einen Wellnesssalon gab es hier. Aber anstatt sich im einen oder anderen zu amüsieren, trat sie den Rückweg in ihr Zimmer an. Ihr war gerade eine Idee gekommen... Für schwedische Verhältnisse war es eindeutig zu warm. Anni hatte einen kleinen Hitzeschock erlitten, als sie das Gebäude verlassen hatte. Erst da hatte sie gemerkt, wie lange es her war, dass sie zuletzt draußen gewesen war in der Natur. Sie saß im Schatten eines alten, knorrigen Kirschbaums auf der Wiese. Im Rücken von Rhododendronbüschen gegen neugierige Spaziergänger abgeschirmt, mit dem Blick auf ein großes Blumenbeet voller Rosensträucher, Veilchen und Stiefmütterchen. Der Duft von Blumen hatte sie schon immer inspiriert. Sie schloss die Augen und sog genüsslich die Luft ein. Dann senkte sie ihren Blick auf den Block in ihrem Schoß. Er beinhaltete eine lange Liste von Gedichten, die sie geschrieben hatte, seit sie denken konnte. Angefangen mit einfachen, ungeschickten Kinderreimen, bis zu leidenschaftlichen Liebesgedichten aus ihrer Schülerzeit. Genau genommen war seit damals noch gar nicht so viel Zeit vergang-en. Anni war gerade neunzehn Jahre alt geworden und hatte ihre Schwäche für Liebesromane und romantische Geschichten und Gedichte noch immer nicht verloren. Um genau zu sein: Dr. Knox hatte sie gestern im OP daran erinnert, wie lange es her war, dass sie ihr letztes Gedicht geschrieben hatte. Zu lange. Vor allem, da in letzter Zeit so viel passiert war, dass es bitter nötig machte, ihre Gefühle zu bündeln und sie in hübsche Worte verpackt auf Papier zu bannen. Sie schlug eine leere Seite auf und spielte ein wenig mit dem Füller in ihrer Hand. Normalerweise kamen die Worte selber zu einem, man musste nur ein wenig Geduld haben und seine Gedanken schweifen lassen... „Wilde See überfällt den Strand, Doch du lässt mich nicht gehen“, schrieb sie und sie spürte förmlich, wie ihre Hand über das Papier flog und die Tinte wie ihr eigenes Blut aus ihren Fingern gesaugt zu werden schien, von einer höheren Macht angezogen. „Hältst mich mit deiner starken Hand Ich kann deine Tränen sehen. Die Zeit wird knapp – es ist so weit Ein Kuss, der allen Schmerz verzeiht Tropft süß von deinen Lippen“ „Ah, wie ich sehe, verfügen Sie über ungeahnte Fähigkeiten. Und ich dachte, Sie könnten nichts außer nähen und von einem ins nächste Fettnäpfchen treten.“ Anni fuhr herum. Hinter ihr hockte Dr. Anderson. Sein Mund zu einem unver-schämt frechen Grinsen verzogen und die Augen auf ihr Gedicht gerichtet. „Darf ich fragen, von wem hier die Rede ist?“ Augenblicklich begannen Annis Wangen zu brennen, als würde ihr Kopf mit siedend heißem Fett übergossen und sie klappte das Buch zu und drückte es schützend an ihre Brust. „E-es ist ein abstraktes Gedicht. Damit könnte jeder gemeint sein.“ „Aha. Schade, und ich dachte, es gebe da ein süßes Geheimnis zu ergründen...“, er ließ sich sehr elegant neben sie ins Gras gleiten, streckte seine Beine lang aus und stützte sich nach hinten mit den Armen ab. Was hatte das denn zu bedeuten? War das etwa wieder ein ungeschickter Flirt-versuch? Nun gut. Einen Vorwurf machen konnte sie ihm nicht, schließlich war es seine Frau, die hier fremd ging. Er musste ihren Blick bemerkt haben, denn er legte den Kopf schief und zog eine Augenbraue hoch. „Was ist denn? Habe ich Sie etwa schockiert? Vergessen Sie nicht, dass ich auch nicht viele Jahre älter bin als Sie. Wie alt waren Sie noch gleich...?“ „Ich bin neunzehn“, antwortete sie und versuchte vergeblich den Kloß in ihrem Hals herunterzuschlucken. Wenn er noch größer wurde, würde sie ersticken. „Sag ich ja. Nicht viel jünger als ich.“ Sie sah ihn fragend an. „Diesen Dezember werde ich 23.“ Sie nickte und blickte dann stumm vor sich hin. An seiner Kleidung erkannte sie, dass auch er heute seinen freien Tag zu haben schien. Er trug eine dunkelblaue Jeans und ein dunkelgrünes T-shirt. Offenbar hatte er die seltsame Angewohnheit alle seine Oberteile auf seine Augenfarbe abzustimmen. „Haben Sie etwas Neues aus Mr. Larkson herausbekommen können?“ Damit war die Frage nach dem Grund für seinen Besuch bei ihr wohl geklärt. „Nein“, Anni seufzte und streckte sich nun ebenfalls aus. Das Buch legte sie neben sich, allerdings auf die andere Seite, sodass Dr. Anderson nicht herankam. „Nur, dass ihm offensichtlich aufgefallen ist, dass er sehr „fürsorglich betreut“ wird, wie er es ausgedrückt hat. Und er verdächtigt einen der Ärzte ihm falsche Medikamente zu geben um eine Genesung herauszuzögern -“ Anni verstummte. Mist! Das hätte sie nicht sagen sollen. Wer weiß, ob an der Sache nicht doch etwas dran ist. Und wenn Dr. Anderson etwas damit zu tun hatte, wusste er jetzt, dass Will misstrauisch geworden war und dass auch sie Bescheid wusste. Da bemerkte sie seinen Blick. Es war ihr unmöglich ihn zu deuten. Seine dunkle Augen verrieten wie sooft keine Regung. „Er hat es also gemerkt“, sagte er langsam und Anni machte sich steif. War das etwa ein Geständnis? Doch dann fuhr Dr. Anderson fort: „Vielleicht sollte ich die Sache mit der Beschattung doch ein wenig unauffälliger Gestalten. Aber, wie kommt der Mann nur darauf, dass wir ihm falsche Medikamente geben könnten? Das wäre der reinste Skandal.“ Anni schwieg. „Sagen Sie... haben Sie ihn vielleicht darauf gebracht?“ „Was?“, Annis Stimme war ein paar Oktaven zu hoch. Mist! Das ließ sie doch gleich schuldig aussehen. „Nein! Ich habe gar nichts über irgendwelche mutmaßlichen Fehler in seiner Behandlung gesagt!“ „Sind Sie sicher?“ Dr. Andersons Augen waren jetzt nur noch zwei sehr schmale Schlitze. „Sie haben auch ganz bestimmt nicht aus Versehen, irgendwelche Bedenken geäußert?“ Anni schüttelte vehement den Kopf. Wie war sie hier nur hereingeraten? „Hören Sie“, sagte sie und ärgerte sich über das Zittern in ihrer Stimme, „ich habe weder irgendwelche heiklen Vermutungen über durch Ärzte ausgeführte Angriffe auf Mr. Larkson mit ihm gesprochen, noch habe ich eine Ahnung, warum Sie mich gleich so unter Beschuss setzen. Wissen Sie vielleicht irgendetwas von einer falschen Medikamentenmischung?“ Dr. Anderson antwortete nicht. Er sah sie nur an. In seinem leeren Gesicht war nichts zu sehen. Weder ein Lächeln kräuselte seine Lippen, noch zeigten sich nachdenkliche Falten auf seiner Stirn. Er sah sie nur an. Dann gerieten seine Züge in Bewegung und in seinen Augen glänzte Spott. „Glauben Sie, ich würde Ihnen gegenüber auch nur ein Sterbenswörtchen davon erwähnen, wenn ich tatsächlich an einer solchen Aktion beteiligt wäre? Ich denke, das wäre doch sehr unwahrscheinlich.“ Anni schwieg. Er hatte recht. Verdammt! „Allerdings zeigt mir Ihre Frage, dass Sie kein großes Vertrauen in mich haben. Und ich bin überrascht, dass mich das so sehr trifft...“ Anni bekam große Kulleraugen, als sie in Dr. Andersons Gesicht etwas entdeckte, das sehr stark an Enttäuschung erinnerte. Konnte es wirklich sein, dass er sie mochte? Dr. Anderson sah sie an und jetzt tanzte wirklich ein Lächeln über sein Gesicht. „Warum sehen Sie mich so an, wie ein Kaninchen ein Auto im Scheinwerferlicht? Haben Sie gedacht ich bin so gefühllos wie ein Stein?“ Anni wusste nicht ob oder wie sie darauf antworten sollte und so erwiderte sie einfach nur seinen Blick. „Sie scheinen ja wirklich keine Ahnung zu haben, wie sehr ich mich für Sie interess-iere, Anni.“ „Sie... Sie dürfen mich ruhig duzen“, erwiderte Anni mit heiserer Stimme, aber sie merkte es nicht. Was hatte er eben gesagt? Er fand sie interessant? Ihr Kopf fühlte sich an, als wäre er gerade frisch gewischt und ausgeweidet worden. Wo waren all ihre Fragen geblieben? Wo die vielen Gedanken, die sie in den letzten Nächten bis in den Schlaf begleitet hatten? „Gut, dann wünsche ich dir noch viel Erfolg beim Dichten“, sagte er und diesmal lächelte er sie ohne jeden Spott direkt an. Er stemmte sich hoch und stand auf. Anni blickte zu ihm auf. Unschlüssig, ob sie es ihm gleichtun sollte. „Ich werde dann mal wieder gehen. Da gibt es noch einige Unterlagen, die nicht gerne warten. Wir sehen uns ja dann spätestens Morgen.“ Er wollte sich umdrehen und gehen, hielt aber noch einmal inne. „Ach ja, und nenn mich Nils... oder Robert. Was dir lieber ist.“ Anni saß noch lange da und starrte in die Rosen. Unfähig einen klaren Gedanken zu fassen. Dann durchfuhr es sie wie ein Stromstoß und sie begann wieder zu schreiben. An diesem Abend würde Dr. Anderson – Robert – ein sehr Metaphern-haltiges Gedicht an der Tür zu seinem privaten Büro finden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)