Love Hospital von LisanimeBluehawk ================================================================================ Kapitel 2: Ninja, Butler & Teddy -------------------------------- Anni sog genüsslich den Duft von frischen Hackbällchen ein. „Hmmmm, himmlisch.“ Nachdem sie zusammen mit Dr. Nyles endlich das Sekretariat gefunden hatte, hatte sie sich auch gleich einen Lageplan des Hospitals mitgenommen, wo alle Stationen und die dazugehörigen Stockwerke angegeben waren. Als sie gegen halb zwei mit der ihr zugeteilten Aufgabe fertig geworden war – im Keller die Wäsche der Patienten aufzuhängen und das war eine ganze Menge Wäsche – hatte sie sich auf ihrem Plan über den Standort der Cafeteria schlau gemacht. Diese befand sich im zweiten Stock und Anni stellte erfreut fest, dass dort noch einige andere Ärzte und Pfleger und Krankenschwestern saßen, die offenbar von anderen Stationen kamen. Sie hatte sich ein Tablett geschnappt und sich in die Schlange der Wartenden eingereiht, die allerdings hauptsächlich von Patienten besetzt war. So langsam spürte sie ihren Magen rebellieren und beim Anblick des frischen Essens lief ihr das Wasser im Munde zusammen. Endlich war sie an der Reihe und bediente sich großzügig am Buffet. Sie war ganz überrascht, was für eine große Auswahl es gab: In einem riesigen Topf wurde Erbsensuppe angeboten, daneben Spagetti Bolognese, verschiedene bunte Salate, Bratkartoffeln, Frikadellen und mehrere Sorten Obst und Gemüse. Anni bediente sich gerade an den Hackbällchen, als eine wohlbekannte Stimme direkt neben ihr erklang. „Wie ich gehört habe, haben Sie sich heute Morgen ganz schön verlaufen, nicht wahr?“ Vor Schreck ließ Anni die Kelle in den Topf fallen und die rötliche Soße spritzte in hohem Bogen auf ihre Schwesternuniform und in ihr Gesicht. Sofort schoss ihr sämtliches Blut in den Kopf und sie begann zu schwitzen. Scheiße!, dachte sie und biss die Zähne zusammen. Verdammter, vertrottelter, blöder Mist! Ängstlich wandte sie sich zu dem Sprecher um. Direkt neben ihr stand Dr. Anderson. Auf seinem Tablett befand sich bis jetzt ein großes Schnitzel und ein sehr gesund aussehender Salat. Außerdem war sein Teller jetzt mit roten Soßenspritzern gesprenkelt und auch Dr. Andersons Hände und Gesicht hatten ein wenig Farbe abbekommen. Als Anni das sah, wurde ihr Kopf gleich noch um zwei Farbschattierungen röter, aber sie bezweifelte das das besonders stark auffiel. „E-entschuldigung“, stammelte sie, „Ich -“ Aber zu ihrer Überraschung ließ Dr. Anderson sie nicht ausreden. Stattdessen zückte er ein strahlend weißes Taschentuch aus einer Tasche seines weißen Arztkittels und begann schlicht sich die Spritzer von Gesicht und Händen zu tupfen. „Es tut mir wirklich leid, dass Sie sich meinetwegen in der Station geirrt haben. Ich hätte mich wirklich etwas deutlicher ausdrücken können. Ich hoffe doch, Sie hatten dort oben kein unangenehmes Erlebnis?“ Anni, deren Gesicht immer noch vor Scham brannte, schüttelte nur lahm den Kopf, während sie zusah wie Dr. Anderson auch die letzten Soßenspritzer von seinem Tablett wischte. „Dann bin ich ja erleichtert“, sagte er und er schien es ehrlich zu meinen. Anni glaubte sogar den Anflug eines Lächelns in seinen Augen erkennen zu können und hätte prompt beinahe ihr Tablett fallen gelassen, wenn dieses nicht vom Tisch gestützt worden wäre. Eine Weile sagte keiner von beiden etwas, dann öffnete Dr. Anderson den Mund und Annis Herz klopfte schneller. „Sie haben da noch Soße im Gesicht“, sagte Dr. Anderson. Anni wäre am liebsten gestorben. Da griff er ein weiteres Mal in seine Arztkitteltasche und zog ein zweites blütenweißes Taschentuch heraus. „Bitte sehr“, sagte er und hielt es ihr hin, „das bin ich Ihnen schuldig.“ Und diesmal lächelte er wirklich. Anni, ganz hypnotisiert von diesem Anblick griff zuerst an dem Taschentuch vorbei und nach dem dritten erfolglosen Versuch gelang es ihr schließlich, ihren Blick von Dr. Andersons Gesicht loszureißen und ihn auf das Taschentuch zu richten. Mit einem gestotterten „Dankeschön“ nahm sie es entgegen. Dr. Anderson nickte ihr zu und wandte sich zum gehen, blieb jedoch noch einmal stehen und drehte sich halb zu ihr um. „Der Tisch für Ärzte, Pfleger und Schwestern steht dort hinten“, dann drehte er sich um und ging. Anni starrte ihm noch eine Weile hinterher, bis ihr wieder einfiel, wo sie sich befand – die anderen Leute in ihrer näheren Umgebung begannen schon zu murren und einige räusperten sich sogar. So schnell sie konnte stellte sie sich eine Mahlzeit aus Hackbällchen, Bratkartoffeln und einem bunten Salat zusammen und verließ das Buffet. Bevor sie sich jedoch zu den anderen Ärzten an den Tisch setzte, suchte sie sich ein ruhiges Plätzchen weit von allen bekannten Gesichtern entfernt, und rieb sich das Gesicht ab. Anschließend überprüfte sie in ihrem Löffel, ob noch irgendwelche Soßenspuren in ihrem Gesicht zu finden waren und als sie mit dem Ergebnis zufrieden war, ging sie sicheren Schrittes zum Tisch mit ihren Kollegen hinüber. Zu ihrer Freude sah sie dort auch Coons und Kinley, die sich gerade angeregt darüber unterhielten, wie man Blutflecken am besten wieder aus der Kleidung herausbekam. „Hey, da ist ja Anni!“, rief Coons, als sie sich gerade einen Stuhl zurechtrücken wollte. „Und sie sieht aus, als käme sie gerade frisch aus der OP“, bemerkte Kinley, der auf dem Tisch saß, wie immer grinsend und zwinkerte Anni zu. „Du solltest es mal mit einem Fleckenteufel versuchen, damit geht das ganz schnell wieder raus.“ „Quatsch! Dalglesh ist das einzige Mittel, mit dem -“ - „Jetzt lasst sie doch wenigstens in Ruhe essen“, fuhr die Krankenschwester dazwischen, die an dem Platz gegenüber von Anni saß und nickte ihr freundlich zu. Anni lächelte und setzte sich erleichtert hin. „Du bist die Neue hier, oder?“, fragte die sehr dünne Brünette. Sie trug die Haare in einem langen Zopf auf dem Rücken. Anni schluckte und nickte dann. „Ja, das ist mein erster Tag hier.“ „Und schon hast du dir deinen Kittel versaut“, lachte Coons. Die beiden Frauen ignorierten ihn. „Ich bin Marcy“, sagte die Brünette und reichte Anni die Hand. „Schön, dich kennen zu lernen.“ „Die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Anni und gleichzeitig dachte sie: Was? Wie rede ich denn auf einmal? Und nicht nur sie schien sich über ihre Ausdrucksweise zu wundern. „Hey, was ist denn mit dir los? Hast du zu viel Zeit mit Dr. Anderson verbracht?“, fragte Kinley und beugte sich neckisch zu Anni herab. Die wurde sofort knallrot – irgendwie war das heute wohl der Tag dafür... „Davon kann keine Rede sein“, erhob jetzt Dr. Anderson die Stimme. Er saß rechts von Marcy, Anni schräg gegenüber und warf Coons und Kinley jetzt einen strengen Blick zu. „Abgesehen davon, geht es Sie absolut nichts an, wie viel Zeit ich mit Anni oder einer anderen Schwester verbringe.“ „Oho“, machte Coons und stieß Kinley in die Rippen, der wiederum Anni anstupste. „Sie scheinen ja richtig aktiv zu sein, was die holde Weiblichkeit angeht...“ Dr. Andersons Augen wurden zu zwei schmalen Schlitzen in denen es gefährlich glühte, doch bevor er noch etwas sagen oder sich auf die beiden Nervensägen stürzen konnte, wurde die Tür zur Cafeteria weit aufgestoßen und ein Mann stürmte herein. „Robert! Ein Notfall!“, der grauhaarige Arzt trug eine Brille mit rechteckigen Gläsern, die in schwarz glänzenden Fassungen steckten. Er war geradewegs zu dem Tisch seiner Kollegen getreten. Naja, nicht wirklich getreten. Viel eher war er gerannt. Seine Augen blitzten vor Spannung und sein Kittel schien sich immer noch vom Fahrtwind zu blähen. Chefarzt Dr. Jeffrey Knox, las Anni auf seinem Namensschildchen. „Was gibt es denn?“, Dr. Anderson legte sein Besteck ordentlich neben den Teller und stand auf. „Das können wir noch auf dem Weg besprechen! Komm jetzt und nimm eine Schwester mit! Wir sind gerade ziemlich unterbesetzt!“, Dr. Knox Stimme war noch forscher als die Dr. Andersons und seine Schritte ebenso größer, als er jetzt der Tür entgegenstrebte. Auch Dr. Anderson wandte sich zum gehen. „Marcy, folgen Sie mir bitte“, sagte er noch im Gehen. „Aber ich hab noch nicht mal mit dem Essen angefangen!“, protestierte Marcy und deutete auf ihren in der Tat unangerührten Salat. „Nehmen Sie doch Anni mit.“ Dr. Anderson war stehen geblieben, sichtlich widerwillig. Jetzt drehte er sich um und funkelte sie an. „Das ist ein Notfall, verdammt noch mal und Anni hat zu wenig Erfahrung! Es ist schließlich ihr erster Tag hier!“ „Das schon“, sagte Anni, „aber ich habe schon früher in einem anderen Kranken-haus assistiert.“ „Da hörst du's“, sagte Marcy und schob sich eine Gabel voller Salatblätter in den Mund. Dr. Anderson runzelte die Stirn, scheinbar nachdenklich. Dann wurde ihm offenbar klar, dass er hier wertvolle Zeit vertrödelte, die womöglich Leben retten konnte und er winkte Anni, ihm zu folgen. „Kommen Sie. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“ Anni hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten, während sie gemeinsam den Gang Richtung Notaufnahme hinunterrannten. Als sie den Raum schließlich erreichten, war sie ziemlich erschöpft, doch sie hatte keine Zeit zu verschnaufen. In dem Raum waren außer ihr und Dr. Anderson noch der Chefarzt, Dr. Knox, den sie so eben kennengelernt hatte und Kelly. Alle waren schwer beschäftigt damit, Platz zu machen und die sterilen Arbeitsutensilien auf silbern schimmernden Tabletts auszubreiten, während sie sich himmelblaue Kittel überstreiften und sich Gummihandschuhe über die Hände zogen. „Hier, ziehen Sie das an“, Dr. Anderson hielt Anni einen der Kittel entgegen und wandte sich dann der Tür zu, durch die gerade von zwei Pflegern eine Liege geschoben wurde. „Oh, nein! Will! Bitte beeilen sie sich! Er verblutet! Will, nein!“ Hinter den Pflegern, die die Liege nun in der Mitte des Raumes abstellten, kam eine junge Frau in den Raum gestürmt. Kelly hielt sie auf. „Ich muss Sie bitten draußen zu warten, Miss. Diesen Raum darf niemand betreten, der...“ „Aber Will! Will, hörst du mich? Will!“, weinte die Frau und versuchte sich an Kelly vorbei zu drängen. Sie war schrecklich hysterisch und so mussten die beiden Pfleger mithelfen die Frau behutsam und unter sanften Worten wieder nach draußen zu bringen. Unterdessen widmeten sich die Ärzte dem Mann auf der Liege. Er war nicht älter als neunzehn, das sah Anni sofort, also hatte er sein ganzes Leben noch vor sich. Allerdings war wohl nicht sicher, ob er davon noch viel haben würde, wenn man ihm nicht bald half. Sein rechtes Hosenbein war von Blut durchtränkt und völlig zerfetzt und auf seiner Stirn prangte eine große Platzwunde aus der es nur noch schwach blutete. Sein Gesicht war schweiß-überströmt, doch offenbar hatte er das Bewusstsein verloren. Anni beobachtete wie in Trance, wie Dr. Knox einen Tropf am Arm des Mannes befestigte, während Dr. Anderson begann, die ohnehin ruinierte Hose des jungen Mannes mit einer OP-Schere aufzuschneiden. Da erst fiel Anni auf, dass sie nun allein mit den beiden Männern und dem Verletzten war. Wahrscheinlich hatte Kelly alle Hände voll zu tun, die Freundin zu besänftigen. Da sie nicht wusste, was sie sonst tun konnte, schnappte sie sich mit Wasser und Desinfektionsmittel getränkte Wattebäusche und fing damit an, Wills Gesicht abzutupfen und zu säubern. „Das muss genäht werden“, Anni zuckte leicht, als sie Dr. Knox raue Stimme so nah an ihrem Ohr hörte. Sie schaute zu ihm auf und blickte in sein ernstes Gesicht, auf dem nun ebenfalls Schweißperlen glitzerten. Er hatte sich neben ihr über Wills Kopf gebeugt und begutachtete seine Wunde. „Können Sie das?“, fragte er. Anni nickte mechanisch. „Gut“, er drehte sich um und reichte ihr dann Nadel und Faden. „Die Narkose sollte inzwischen das ihre getan haben, sodass er keine Schmerzen spüren wird“, erklärte er mit einem kleinen Schmunzeln, als er sah, wie Anni die Nadel zaghaft an die nun sauberen Wundränder ansetzte. „Sie werden ihm also nicht wehtun.“ Anni schwitzte trotzdem, als sie die Nadel auf der Haut des Mannes ansetzte. Ihr Blick glitt dabei über sein blasses Gesicht, dessen Wangen rötlich glühten und auf dessen Stirn immer noch der Schweiß perlte. Ab und zu zuckten seine Lider als würde er jeden Moment erwachen und sich aufsetzen und sich womöglich noch selbst die Nadel in den Kopf rammen. Anni schüttelte entschieden den Kopf. Es war auf einmal so heiß... Aber sie durfte sich jetzt nicht ablenken lassen! Fest entschlossen biss sie die Zähne zusammen und tat den ersten Stich. Es war ein seltsames Gefühl in die Haut hineinzustechen. Der Widerstand war weit größer als bei dem Stoff einer löchrigen Socke. Nach vierzehn Stichen war die Wunde säuberlich verschlossen, trotzdem tupfte sie den Riss noch einmal mit Desinfektionsmittel ab und wischte dem Mann den Schweiß von der Stirn. Er glühte wie eine Herdplatte. Anni holte schnell ein weißes Handtuch und hielt es unter den kalten Wasserstrahl im Spülbecken, dann wrang sie es aus und legte es Will über die Stirn. „Das sieht übel aus.“ Anni fuhr herum. Die beiden Ärzte standen vornübergebeugt und betrachteten das Bein des Mannes. Sie hatten ihm inzwischen auch die restliche Kleidung vom Körper geschnitten und ihn mit einem himmelblauen Laken zugedeckt. Scheinbar war seine einzige andere Wunde die an seinem Bein und offenbar waren die beiden Männer skeptisch, ob es noch zu retten war. „Was ist denn?“, Anni war neben sie getreten und versuchte einen Blick auf das Bein zu erhaschen. Dr. Knox wich ein wenig zur Seite, damit auch sie etwas sehen konnte und sagte ohne sie anzusehen: „Dieser Mann kann seine Verletzungen keinesfalls von einem Autounfall bekommen haben, wie seine Freundin uns mitgeteilt hat. Es muss etwas anderes mit ihm passiert sein.“ Anni vergaß zu atmen, als sie sah, was mit Wills Bein geschehen war. Die ganze obere Hautschicht fehlte. Sie hatte freie Sicht auf das Gewebe, auf seine Muskeln, verwoben mit Sehnen und Blutgefäßen. Dr. Anderson hob eine Hand und folgte dem Lauf einer besonders stark vorstehenden Vene. Anni glaubte sie sogar pulsieren zu sehen. „Das sieht aus, als hätte ihm jemand etwas abgebissen“, sagte er nachdenklich. „Oder aber abgeschabt. Wie mit einer Käsehobel.“ Anni spürte wie sich auf ihrer Kopfhaut eine Gänsehaut bildete und ihr wurde plötzlich eiskalt. „Heißt das...?“ Dr. Anderson nickte langsam. „Ich glaube, jemand hat versucht, ihn umzubringen.“ Anni holte einmal tief Luft, doch Dr. Knox ließ ihr keine Zeit um ohnmächtig zu werden oder noch eine weitere Frage zu stellen. „Wie auch immer. Wir sind nicht hier nicht bei der Kripo, sondern in der Notauf-nahme, also sollten wir uns schnell darum kümmern, dass der Mann gerettet wird.“ „Wir müssen das schweißen“, murmelte Dr. Anderson. „Was?“ Er drehte sich zu Anni um. „Weißt du nicht, wie mein ein Auto herstellt?“ Was sollte das denn jetzt? Wollte er ihr jetzt etwa eine Lektion im Handwerk eines Mechanikers erteilen? Anni zuckte die Schultern. Dr. Anderson seufzte, drehte sich um und ging zu einem Schrank an der gegenüberliegenden Wand hinüber. „Die Form eines Autos besteht eigentlich aus einer Menge Einzelteile“, erörterte Dr. Knox. „Und um diese Einzelteile miteinander zu verbinden, braucht es einen sehr starken Klebstoff.“ Anni runzelte die Stirn. Wozu sollte das hier führen? „Genauer gesagt“, fuhr Dr. Anderson fort, „man muss die einzelnen Teile miteinander verschmelzen. Das nennt sich Schweißen.“ Er hielt etwas in der Hand, das wie ein großer, silberner Feuerlöscher aussah. Jetzt hob er den Schlauch, drückte den Hebel daran und oben aus der Öffnung des Schlauchs schoss eine Flamme, die sogleich den gesamten Raum in grelles Licht tauchte und ihre Schatten an den Wänden tanzen ließ. „Und das geht nicht nur mit Metall“, sagte Dr. Knox, während Dr. Anderson sich zu Will auf der Liege hinunterbeugte, „das gilt auch für Haut.“ Anni war froh, als Dr. Anderson seine Arbeit mit dem Schweißgerät beendet hatte, und noch froher darüber, dass Will von dem Ganzen nichts mitgekommen hatte. Sie hatte sich die Schmerzen gar nicht vorstellen können, die seine Nervenbahnen rauf- und wieder hinunter gejagt sein mussten. Erschöpft streifte sie sich die Gummihandschuhe ab und warf sie in den Mülleimer. Dann begann sie die benutzten Werkzeuge zu säubern und ins Spülbecken zu legen. Coons und Kinley waren vorbeigekommen um Will abzuholen und auf ein Zimmer zu bringen und Anni war erleichtert, dass die beiden sich nicht noch damit aufgehalten hatten, Witze über Schweißer, Automechaniker oder Schneider zu machen, oder was ihnen bei einer solchen Gelegenheit eben noch eingefallen wäre. Sie hatten einfach schweigend die Liege entgegen genommen, allen im Raum freundlich zugenickt, und waren dann mit dem Patienten durch die Tür verschwunden. „Sie haben sich wirklich gut geschlagen, an Ihrem ersten Tag.“ Anni sah auf. Neben ihr, keine zwei Meter entfernt, stand Dr. Anderson, mit dem Hinterteil an die frisch gewischte Arbeitsfläche gelehnt und beobachtete sie. „Sie haben wohl doch schon mehr Erfahrungen gesammelt, als ich gedacht habe. Wegen Ihres Alters war ich davon ausgegangen, dass Sie noch nicht viel mehr gemacht haben, als den Blutdruck zu messen, den Puls zu fühlen und den Patienten die Kissen auszuschlagen“, er hob entschuldigend die Schultern. „In den meisten Krankenhäusern ist das sicher auch üblich“, sagte Anni und bemühte sich, ihr Sprechverhalten und ihre Wortwahl den seinen anzupassen. „Aber ich habe mich schon immer sehr für diesen Beruf interessiert. Ich habe sogar als Kind oft Arzt gespielt.“ Sie lächelte ihn an. Dr. Anderson hob eine Augenbraue. „Das ist ja bei Ihnen auch noch nicht allzu lange her.“ Blöder Idiot!, dachte Anni entnervt und warf das letzte Skalpell ins Wasser. Sie versuchte, sich ihre Entrüstung nicht anmerken zu lassen, als sie nach einem Handtuch griff und sich die Hände daran abtrocknete. „Ich habe mich jedenfalls auch in meiner ersten Arbeitsstelle sehr engagiert und deshalb durfte ich auch schon öfter im OP assistieren“, sagte sie mit einem kühlen Augenaufschlag. Dr. Anderson sah sie schräg von der Seite her an. Auf einmal wirkte er sehr jung. Er erinnerte sie an einen Jungen, in den sie in der High School verknallt gewesen war. Carl hatte er geheißen. „Haben Sie da auch das Nähen gelernt, oder hat Ihnen das Ihre Mutter beigebracht?“ Anni beschloss, nicht auf diese Stichelei einzugehen, vor allem, da sie von ihrer guten Arbeit überzeugt war, legte das Handtuch weg und wollte erhobenen Hauptes an ihm vorbei schreiten, doch da spürte sie, dass sie die ganze Sache wohl doch nicht so locker weggesteckt hatte, wie sie gedacht hatte. Ein seltsam taubes Gefühl machte sich plötzlich in ihren Beinen breit und ihr Kopf fühlte sich an als wäre darin nichts als Watte. Sie fühlte, wie die Welle des Schwindels sie überrollte und ihre Knie gaben nach. Anni schloss die Augen und riss die tauben Arme hoch, während sie den Boden immer schneller auf sich zu rasen sah, da wurde ihr Sturz sanft gestoppt und als sie die Augen öffnete, fand sie sich in Dr. Andersons Armen wieder, der sie besorgt musterte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)