Twice the Pride von mystique (Double the fall (X-Men: First Class)) ================================================================================ Kapitel 1: Twice the Pride -------------------------- Titel: Twice the Pride, Double the Fall Fandom: X-Men: Fist Class Genre: Slash, One-Shot Pairing: CharlesxErik Twice the Pride Der Moment, in dem Charles Xaviers Geist zum ersten Mal Erik Lehnsherr berührt, ist verbunden mit dem Geschmack von Meersalz und einem bis dahin vollkommen unbekannten, unterschwelligen Geräusch von ungebeugtem, widerspenstigem Metall. Es ist das erste Mal, dass Charles einen derart einzigartigen Geist wahrnimmt. Er ist wie ein blendendes Licht, das plötzlich und unerwartet vor seinem inneren Auge erscheint, nachdem sein Verstand von Shaws Telepathin schmerzhaft abgewehrt wurde und im ersten Moment orientierungslos nach Halt sucht. Er findet ihn in Erik. Erik, der sich wie ein Besessener an einen einzigen Gedanken klammert, so wie seine Mutation sich an das U-Boot heftet – nichts von beidem bereit, auch nur einen Millimeter nachzugeben. Für Charles ist es wie Schlag ins Gesicht. In einem Moment noch auf der Suche nach dem Mann, den der CIA sucht, Sebastian Shaw – in Begleitung von Mutanten, von einer Telepathin, von jemandem, der Charles so ähnlich in seiner Fähigkeit ist und gleichzeitig doch wieder nicht. Und im nächsten Moment ist es, als überwältigten ihn ungezügelte, nicht kontrollierte Gedanken, wie er sie im Leben nicht erwartet hätte. Nicht hier. Töteihntöteihntöteihnjetzt. Er erkennt, dass dort unten im Meer ein Mann zu ertrinken droht, den er nicht sterben lassen darf. Also springt er. Wartet nicht auf die Marinesoldaten, auf Taucher oder Sanitäter, sondern handelt reflexartig und tut das einzige, was Erik vor einem viel zu frühen Tod bewahrt: Er dringt in seinen Geist ein. Er denkt – er weiß – dass es nicht länger als einen Momentbruchteil gedauert haben kann, doch dieser Augeblick voller Erinnerungen, voller Schmerzhassqualmamamussihntötenhöraufestutwehbitte ist wie eine nicht enden wollende Ewigkeit, die ihn zerreißt und zu übermannen droht. Dann ist er wieder in der Realität, umgeben von Wasser. Seine Hände ertasten etwas – jemandem – und Charles zieht, zieht, physisch und psychisch und hofft inständig, dass Erik ihn hört. Lass los, Erik. Ich weiß, dass dir das wichtig ist, aber du musst loslassen. Du wirst ertrinken, wenn du es nicht tust. Etwas um sie herum verändert sich. Es ist eine für Charles unbekannte Veränderung, denn bis zu diesem Augenblick hat er Magnetismus nie körperlich spüren können, doch mit Erik in seinen Armen fühlt er, wie der tödliche Zug verebbt und schließlich zum Stillstand kommt. Sie durchbrechen die Wasseroberfläche und nach dem ersten Widerstand begegnet er einem Blick voller Fassungslosigkeit und schmerzhafter Verletzlichkeit. oOo „Ich dachte, ich wäre der einzige.“ „Das bist du nicht.“ Erleichterung. Ein Grinsen. „Du bist nicht der einzige, Erik.“ oOo Es ist die gleiche Nacht, nur etliche Kilometer entfernt von der Küste und der Caspartina und Charles kann nicht schlafen, obwohl das Hotelbett bequem ist und sein Körper vor Erschöpfung ächzt. Es ist viel zu spät geworden, nachdem sie den Vorgesetzten Moiras Rede und Antwort zum Entkommen Shaws hatten stehen müssen und Charles weiß, dass in wenigen Stunden die Sonne aufgehen wird. Weiß, dass sein Zeitfenster für etwas Erholung immer schmaler wird. Doch wann immer er die Augen schließt, sieht er die Bilder. Die Erinnerungen. Nicht seine eigenen. Eriks. Eriks Erinnerungen an seine Kindheit. An die Nazis. An Shaw. Obwohl es nicht das erste Mal ist, dass Charles unbeabsichtigt viel zu viel aus einem anderen Geist mitgenommen hat, ist es doch etwas Anderes, den Holocaust nachträglich selbst zu erleben. Hinzu kommt das, was Shaw Erik angetan hat. Charles spürt die Galle in seiner Kehle aufsteigen und setzt sich ruckartig auf. Kopfschmerzen bilden sich immer penetranter hinter seinen Schläfen und resigniert akzeptiert er, dass er keinen Schlaf mehr finden wird. Um wieder Herr seines Sinne zu werden, tut er das einzige, was seinen Geist in einer solchen Situation beruhigt: Er tastet um sich. Verweilt einen Moment bei dem Rezeptionisten des Hotels, der alle paar Sekunden die Uhrzeit prüft, da in wenigen Minuten seine Schicht vorbei ist. Lauscht den beruhigenden, regelrecht leise summenden Gedanken des Zimmermädchens, das die frische Wäsche zusammenlegt und streift dann weiter, immer weiter, bis sich Ruhe in seinem Geist ausbreitet und der Schmerz etwas nachlässt. Bis er wieder auf Erik trifft. Eriks Verstand hebt sich auch jetzt unmissverständlich von allen um ihn herum ab. Er ist wie ein scharfkantiger Stein inmitten eines flachen Kiesbettes. Charles zuckt im ersten Moment zurück – ein Reflex, der verhindern soll, dass er sich daran schneidet. Aber die Neugier, die Faszination, siegt. Er hat bisher nur ein Mal in diesen Geist geblickt und hat schreckliche Bilder gesehen, doch gleichzeitig auch das Bild eines starken, unbeugsamen Mannes, der sich gegen seine Peiniger erhoben hat. Erik ist ein Kämpfer, wie Charles ihm noch nie begegnet ist. Ein mächtiger Mutant noch dazu und er zweifelt keinen Moment daran, dass Erik viel stärker sein kann als er selbst, wenn er es nur richtig versucht. Wie sehr reizt es ihn jetzt, wieder in diesen Geist vorzudringen, mehr zu erfahren, herauszufinden, wer Erik Lehnsherr ganz genau ist. Er hat schon viel gesehen, wahrscheinlich sogar alles, aber in einem viel zu kurzen Moment. Es ist das erste Mal, dass dieser Moment Charles nicht reicht. Er spürt eine Regung und dann hört er Erik: Spionierst du immer alle um dich herum aus? Ein etwas unbeholfener Gedanke, zerstreut, als wüsste Erik nicht genau, in welche Richtung er in lenken muss, damit Charles ihn hört. Und er hätte nicht mit der puren Freude gerechnet, die ihn bei diesen Worten erfüllt. Erik hat ihn von sich aus angesprochen! Erik hat den Kontakt gesucht. Nur diejenigen, die heute beinahe ertrunken wären, antwortet er. Stille. Charles befürchtet beinahe, Erik hätte sich zurückgezogen. Bis er ihn wieder hört: Ich war bereit, zu sterben. Ich weiß, Erik. Und es ist kein Stolz, den Charles empfindet, weil er Erik aus dem Wasser gezogen und gerettet hat. Auch kein Triumph. Lediglich bodenlose Erleichterung. oOo „Was weißt du über mich?“ „Alles, Erik.“ „Genug, um zu wissen, dass du dich aus meinem Kopf raushalten sollst.“ oOo Charles hat in seinem Leben schon viel erreicht. Er hat seinen Abschluss mit Bravour bestanden, ist anerkannter Professor und bildet sich ein, schon viel von der Welt gesehen zu haben. Cerebro zeigt ihm, wie wenig er eigentlich weiß. Hank ist zweifelsohne ein Genie - schüchtern aber genial. Und Cerebro ist ein Meisterwerk aus Kabeln und Elektroden. Charles wappnet sich für vieles, während er den Helm aufsetzt. Er begegnet Eriks Blick und plötzlich kann er an nichts anderes denken, als an die ungezügelte, aufrichtige Faszination, die darin und auf ihn gerichtet ist. Erik starrt ihn an und Charles muss sich zwingen, nicht nach seinem Verstand zu tasten, um herauszufinden, was genau er gerade denkt. Die Versuchung ist viel zu groß, also verschränkt er die Arme hinter seinem Rücken und sieht an die gegenüberliegende, gewölbte Wand des Gebäudes, prägt sich die Muster ein und versucht, nicht an Erik zu denken, der sich verflucht noch mal vorgebeugt hat, um ihn besser beobachten zu können! Als würde er es darauf anlegen, Charles Selbstbeherrschung herauszufordern! Dann schaltet Hank Cerebro an und Charles vergisst, an Erik zu denken. Oder vielmehr denkt er an alles und an Erik. Es ist eine völlig neue Erfahrung des Sehens, des Fühlens und des Tastens. Zum allerersten Mal fühlt es sich an, als wäre er frei, als müsste er sich nicht länger zurückhalten, nicht mehr beherrschen, denn Cerebro braucht das volle Ausmaß seiner Fähigkeiten, um richtig zu funktionieren. Es ist viel zu schnell vorbei, auch wenn Raven ihm später sagen wird, dass er beinahe eine halbe Stunde an Cerebro angeschlossen war. Er kann das nicht glauben, denn ihm kam es vor wie eine Sekunde und eine Ewigkeit zugleich. oOo Die erste Schachpartie, die sie je führen werden, verbindet Charles mit dem Geschmack von Scotch. Es ist der zweite Abend im CIA-Geheimquartier und der erste ihrer Rekrutierung. Einen Abend vorher wäre Erik beinahe gegangen. Charles ist nicht so naiv zu glauben, er wäre seinetwegen geblieben, auch wenn er sich das vielleicht ein bisschen wünscht. (Dass Erik ihn genauso faszinierend findet, wie er ihn. Dass Erik den gleichen Wunsch empfindet, wie Charles: Ihn kennen zu lernen. Und selbst wenn Erik nur geblieben ist, weil es zweifellos ein klügerer Zug war, als Shaw alleine zu verfolgen, wäre es Charles nur recht, weil es bedeutete, dass er auch morgen noch die Chance hat, mehr über ihn zu erfahren.) Es wäre ein leichtes, seine Fühler auszustrecken und herauszufinden, ob seine Wünsche Bestätigung finden. Aber noch ist das Band, das sie verbindet, zu schwach, um ihm das zuzugestehen. Er will Erik nicht abschrecken. Wenn Erik wüsste, wozu er mit seiner Telepathie in der Lage ist, würde er keinesfalls so entspannt vor ihm sitzen und seinen Alkohol in ruhigen Zügen trinken. Charles hat ihm bereits einen Vorgeschmack gegeben. Ich könnte dich zwar zum Bleiben bewegen. Aber das werde ich nicht. Shaw hat Freunde. Du könntest auch welche gebrauchen. „Dein Zug“, sagt Erik und greift erneut nach seinem Glas. Charles beugt sich vor und schlägt den Turm mit der Dame, auch wenn er weiß, dass dieser nur ein Köder war. Er schummelt nicht beim Schach, setzt seine Fähigkeiten nicht ein, wenngleich es ein leichtes wäre - aber es ist das erste Mal seit langem, dass er einen ebenbürtigen Gegner hat, der ihn so herausfordert. Sie haben heute ihren ersten Mitstreiter rekrutiert. Angel. Eine Mädchen mit Flügeln. Eine von ihnen. Charles kann die Zufriedenheit, die von Erik ausgeht, regelrecht greifen. Er wäre am liebsten sofort weiter gezogen, um den nächsten zu finden. Er wäre die ganze Nacht durchgefahren, um weitere Mutanten zu rekrutieren. Sie sind erst am Anfang. Und doch weiß Charles, dass Erik es kaum noch erwarten kann. Aber er versteht es, versteht, warum Erik so versessen darauf ist, weiteren Mutanten zu begegnen. Warum er einen Beweis dafür will, dass es sie da draußen gibt und nicht nur hunderte oder tausende, sondern Millionen. Ich dachte, ich wäre der einzige. Du bist nicht der einzige. Erik. Du bist nicht der einzige! Erik, gerade im Begriff das Glas beiseite zu stellen, hält inne. Er zögert. „Warst du das?“ Charles realisiert, dass er projiziert hat. Dass er einen Moment unachtsam gewesen ist. Etwas, das ihm in den letzten achtundvierzig Stunden häufiger als sonst passiert ist. Er stellt den Springer auf das nächste Feld („Schach“, sagt er leise, doch das ist jetzt unwichtig) und atmet langsam aus. „Es tut mir leid, ich muss unachtsam gewesen sein. Ich wollte dich nicht erschrecken. Wenn ich müde oder ...“ aufgeregt bin „Wenn ich müde bin, dann kann es vorkommen, dass meine Kontrolle kurzzeitig etwas nachlässt und ich unbewusst projiziere. Es wird nicht wieder vorkommen, Erik.“ Er lächelt und hofft, dass er mit seinem Ausrutscher nicht alles zunichte gemacht hat. Für ihn ins es nur ein kleiner Kontrollverlust, aber er weiß, dass es für andere beängstigend ist, wenn sie realisieren, was Telepathie, neben der Fähigkeit, Gedanken einfach zu lesen, wirklich bedeutet. „Projizieren?“, wiederholt Erik und streicht abwesend über das beschlagene Glas in seiner Hand. Dann sieht er Charles direkt an und es ist der gleiche Blick, der ihn bei Cerebro schon so aus dem Konzept gebracht hat. „Was kannst du noch?“ Sie haben vorher noch nicht wirklich über ihre Mutationen gesprochen. Charles weiß, dass Erik Metall beherrscht – er hat es an dem Abend vor zwei Tagen selbst gesehen, hat atemlos beobachtet, wie der tonnenschwere Anker sich aus dem Wasser erhoben und das Schiff beinahe entzwei gespaltet hat. Und er hat es in Eriks Erinnerungen gesehen: Wie Shaw seine Kräfte entfaltet und „gefördert“ hat. Wieder spürt Charles die kalte Übelkeit, doch er drängt sie zurück. „Vorrangig bin ich in der Lage, Gedanken zu lesen.“ Erik weiß das, er muss es wissen, immerhin hat Charles mental bereits mit ihm kommuniziert und dennoch zuckt er zurück. Dabei hat Charles ihm doch deutlich gemacht, dass er die Erinnerungen, die Erik in diesem Moment vor ihm zurückhalten will, schon gesehen hat. Was weißt du über mich? Alles, Erik. „Oh“, entweicht es Erik und Charles wird bewusst, dass er wieder projiziert hat. Vielleicht dieses Mal aber nicht ganz so unbewusst. „Es tut mir leid, Erik“, sagt er wieder und senkt den Blick. Damit meint er nicht das, was Erik angetan wurde. Dafür gibt es keine Worte, keine Rechtfertigungen und keine Entschuldigungen. Aber es tut ihm leid, dass er Eriks Geheimnisse kennt, seine dunkelsten und abscheulichsten. „Als Telepath bin ich ...“ Er sucht nach Worten und hofft, dass Erik ihn nicht unterbricht oder einfach aufsteht und geht. „Wenn ich Menschen erreichen will, muss ich nach ihrem Verstand tasten. Oftmals bemerken sie das nicht und ich sehe lediglich ihre Emotionen in dem Augenblick, in dem ich sie berühre, aber manchmal, bei manchen Menschen. Bei dir“, fügt er hinzu, als würde das irgendwas rechtfertigen. „War es, als würde ich einen Moment lang mit dir ertrinken. Nur dass es nicht das Wasser war, sondern deine Erinnerungen. Sämtliche Erinnerungen. Du wirst es gespürt haben, nur konntest du es nicht zuordnen, weil du vorher keinen Kontakt mit einem Telepathen hattest. Ich würde es wieder tun, wenn ich dadurch verhindern könnte, ...“ Er schüttelt den Kopf. „Ich hoffe, du verstehst, was ich dir damit sagen will. Ich will nicht, dass du mir misstraust oder vielleicht noch mehr misstraust, als ohnehin schon.“ „Charles.“ Es ist wahrscheinlich das erste Mal, dass Erik ihn direkt mit seinem Namen angesprochen hat. Und es ist viel beunruhigender, dass Charles es mit ziemlicher Sicherheit weiß. „Es ist für mich selbst unverständlich, aber dich in meinem Kopf, in meinen Gedanken zu haben, hat mich bis jetzt nicht so sehr gestört, wie ich es erwartet habe.“ Ich kenne das nicht, aber vielleicht lieg es daran, dass es mir zeigt, nicht der einzige zu sein. Dieser Gedanke, unmissverständlich an ihn gerichtet und die damit verbundene Erlaubnis bringen Charles zum Lächeln. Du bist nicht der einzige, Erik, wiederholt er die Worte von vor zwei Nächten und beobachtet, wie Eriks Züge etwas von ihrer Härte verlieren. Also, greift Erik das Gespräch schließlich wieder auf und scheint erst einen Moment später zu realisieren, dass es seine Gedanken waren, die er an Charles gerichtet hat und keine direkten Worte. Es ist ungewohnt für ihn, neu und anders. Charles weiß noch genau, wie Raven sich am Anfang dabei gefühlt hat. Heute unterhalten sie sich regelmäßig mental, auch wenn Charles sich dabei immer an das Versprechen erinnern muss, das er ihr gegeben hat. Er würde niemals gezielt ihre Gedanken lesen. Er nimmt nur das auf, was sie ihm anbietet. Was kannst du sonst noch, abgesehen davon, unerlaubt in fremden Gedanken zu stöbern? Charles hätte Schuldgefühle bei diesen Gedanken verspürt, wären sie nicht begleitet von einem frotzelnden Beiklang. Keinen Moment denkt er daran, etwas seiner Fähigkeit vor Erik zu verbergen. Er ist es ihm schuldig, aufrichtig zu sein. Ich kann Menschen ‚einfrieren’. Das bedeutet, dass sie erstarren und sich später nicht mehr daran erinnern. Ich kann sie ‚schlafen’ lassen und ihren Verstand kurzzeitig abschalten. Es hinterlässt keine Schäden, sie werden sich nachher lediglich an plötzliche Müdigkeit erinnern. Und ich kann Erinnerungen löschen. Er rechnet mit einer Reaktion bei seinen letzten Worten, doch kein Zucken verrät etwas in Eriks Haltung. Und als Charles vorsichtig nach ihm fühlt und auf keinen Widerstand stößt, zeigt ihm Erik, dass er nicht das Verlangen verspürt, irgendwas zu vergessen. Diese Dinge haben mich stark gemacht, echot es in seinem Kopf nach, als Charles sich langsam zurückzieht. Sie haben mich zu dem gemacht, der ich bin. Charles stimmt ihm zu. Er weiß, dass heute ein anderer Mensch vor ihm sitzen würde, wenn es diese Erinnerungen nicht gäbe. Und er ist sich nicht sicher, ob dieser Mensch eine ebensolche Faszination auf ihn ausüben würde. oOo Es ist Donnerstag. Es ist heiß und stickig draußen. Die Luft schmeckt nach Sand, als sie auf dem Parkplatz des Gefängnisses halten. Charles hat bereits den ganzen Tag Kopfschmerzen, darum ist Erik den Weg gefahren. Die vergangene Nacht hat er Cerebro zum ersten Mal drei Stunden lang benutzt. Die Euphorie zu dem Zeitpunkt war grenzenlos, doch heute fühlt er sich wie nach einer durchfeierten Nacht. Nur, dass das Unwohlsein in erster Linie seinen Geist betrifft und erst später auf seinen Körper übergeschlagen ist. Psychischer Kater, hört er Raven noch jetzt in seiner Erinnerung scherzen, aber die sanfte Berührung ihrer Hand an seiner Schläfe hat ihn milde gestimmt. Sie weiß, wie sie ihn um den Finger wickeln kann. Und auch, wenn er nach wie vor nicht immer ein gutes Gefühl hat, sie alleine im CIA-Geheimquertier zu lassen, weiß er doch, dass diese Sorge unbegründet ist. Hank ist da, ebenso Angel und Moira und zahlreiche Agenten. Und nicht zuletzt kann Raven gut auf sich selbst aufpassen. Sie ist eine Überlebenskünstlerin. Sorge ist unbegründet. Aber wann ist sie schon rational? „Charles.“ Er schreckt auf und bemerkt erst jetzt, dass Erik ihm die Beifahrertür geöffnet hat. „Wenn du dich immer noch nicht gut fühlst, kannst du auch hierbleiben. Du musst nicht mitkommen.“ Charles zieht diesen Gedanken tatsächlich einen Augenblick lang in Erwägung, schüttelt dann jedoch den Kopf. „Ein Kater ist kein Grund, sich zu verkriechen.“ Er sieht trotz des Gegenlichts der Sonne, die ihm von seiner Position aus direkt ins Gesicht scheint, wie sich Eriks Mundwinkel heben. Dann steigt er ebenfalls aus und sie überquerten den Parkplatz. Minuten später wünscht Charles sich, er hätte weniger auf seinen Stolz gehört und Eriks Vorschlag einfach angenommen. Der Weg vom Eingangstor zum Hauptgebäude hat es bereits angekündigt, denn sie passierten die Hofanlage, auf der sich etliche Sträflinge befinden. Es ist das erste Mal, dass Charles einer derartigen Fülle ungezügelter, verschlingender Gedanken ausgesetzt ist. Normalerweise hat er kein Problem damit, sich innerhalb einer Menschenmasse zu bewegen. Er hat gelernt, Gedanken auszublenden - zu filtern. Es funktioniert, weil in einer Menschmasse nur wenige Personen derart starke Gefühle haben, dass sie seinen mentalen Schirm umgehen und ihn unbewusst erreichen. Personen mit Traumata, mit schrecklichen Erinnerungen oder, umgekehrt, im Taumel der Liebe, euphorisch im höchsten Maße. Starke Emotionen von einem besonderen Ausmaß kann Charles nicht abblocken. Doch sie stören ihn auch nicht, solange er einen gesunden Ausgleich hat. Die Menschen auf dem Gefängnishof sind erfüllt von Reue, Wut, Verzweiflung, Hass, Pein und so viel mehr, das Charles unmöglich in Worte zu fassen vermag. Er muss seine Schläfen nicht berühren, um all dies zu spüren. Die Emotionen prasseln auf ihn ein wie schwerer Regen. Sie passieren den Eingang und Charles hofft auf Linderung. Es ist bloß so, dass das Gebäude bis oben hin mit Emotionen gefüllt ist, die keinen Weg nach draußen finden. Als Charles die Eingangshalle betritt, ist es, als würde er in einem Morast aus Hoffnungslosigkeit versinken. Einen Moment lang überwältigt, sucht er nach Halt und taumelt. „Charles?“ Eine Hand packt ihn am Arm und bewahrt ihn vor einem uneleganten Sturz. „Alles in Ordnung?“ „Zu viel“, antwortet er atemlos und greift mit seiner Hand nach Eriks Oberarm, um zu verhindern, dass seine Beine unter ihm nachgeben. „Zu ... stark! Ich kann nicht ...“ Wie soll er es Erik begreiflich machen? Er überlegt, ob er es ihm zeigen soll, erinnert sich jedoch rechzeitig daran, dass es unmenschlich wäre, Erik noch mehr Leid aufzubürden. So egoistisch ist selbst er nicht. Stattdessen hebt er eine Hand an seine Schläfe (denn wenn er sich nicht wehrt, wird es nie ein Ende haben) und wappnet sich gegen den Ansturm an Gefühlen, der nun kommen wird. Die Realität lässt ihn beinahe aufschreien und ruckartig reißt er die Hand nach unten. Erik versucht ihn aufrecht zu halten und sucht in seinem Gesicht nach einer Antwort. Aber Charles kann ihm jetzt keine Antwort geben. Er hört die verzweifelten Schreie der Opfer aus den Erinnerungen der Gefangenen. Er hört Gebete, Mantras und Hasschöre. Er hört Tod und Verzweiflung. Nach einer Ewigkeit lässt alles nach. Charles öffnet die Augen und findet sich im Wagen wieder. Auf einem Highway. „Was ...?“ Zögernd tastet er um sich, doch es liegen bereits Kilometer zwischen ihnen und dem Gefängnis. Er muss weggetreten sein, sonst hätte er bemerkt, wie Erik ihn von dort weggebracht hat. Er spürt, wie sie langsamer werden und am staubigen Straßenrand halten. Erik schaltet den Wagen ab und wendet sich ihm zu. Sein Blick ist aufgewühlt. „Was war das?“, fragt er und Charles möchte es ihm zeigen, möchte es ihm zu gerne deutlich machen, aber er kann nicht, darf nicht, denn das will er Erik nicht antun. Also muss er es ihm erklären und selten hat er mehr Schwierigkeiten gehabt, die richtigen Worte zu finden. „All diese Gedanken ... diese negativen Emotionen. So viele an einem Ort. Ich hätte mich darauf vorbereiten sollen, ich war töricht, anzunehmen, meine bisherigen Übungen hätten dafür ausgereicht. Als Telepath kann ich meine Umgebung filtern, damit ich nicht von den Gedanken der Menschen um mich herum verschlungen werde. Und bis vorhin dachte ich, ich besäße einen guten Schild. Aber ich habe mich geirrt.“ Er vermutet, dass Erik den nächsten Gedanken nicht an ihn gerichtet hat, sondern vielmehr selbst zu einer Erkenntnis gekommen ist, aber er vernimmt ihn trotzdem: Arrogant. Er schmunzelt, auch wenn es wehtut. „Ja, vermutlich. Und närrisch. Ich muss wohl noch weiter üben.“ Es gibt so viel Leid auf dieser Welt. So viel Unrecht. Wenn du nicht wahnsinnig werden willst, musst du dich dagegen wappnen, Charles. Es gibt ebensoviel Gutes, Erik. Und wenn ich das nicht vergesse, wird mich das Leid nicht verschlingen. Wenn ich mich daran erinnere, dass es da draußen gute Menschen gibt, dann werden meine Schilde halten. Sie haben eben nicht gehalten. Weil ich unachtsam war und vergessen habe, dass Orte wie ein Gefängnis, gebündeltes Leid beherbergen. Und warum gibt es dann keine Orte mit gebündeltem Glück, Charles? Du kannst danach suchen, aber letztendlich wird immer die Ungerechtigkeit dominieren. Es ist das erste Mal, dass ihre Ansichten so kollidieren. Charles hofft, dass es nicht noch öfter passieren wird. Er hat eine Antwort für Erik, doch er weiß, dass es dafür noch zu früh ist. Später, wenn es angebracht ist, wird er es ihm sagen. Jetzt will er hingegen nur die Augen schließen und den Kopfschmerz vergessen. Und schlafen. Erik tut ihm den Gefallen und lässt ihn, während sie zurück fahren. oOo Später am Abend, zurück im Geheimquartier, sucht Erik seine Gesellschaft. Das Schachbrett steht zwischen ihnen, doch niemand macht den ersten Zug. Charles ist noch immer müde, noch immer ausgelaugt. Er hat Raven von dem Gefängnis erzählt und sie hat seine Hand gehalten, während er um sich getastet und mit schönen Erinnerungen die Kopfschmerzen gelindert hat. „Wir müssen morgen zurück zum Gefängnis“, sagt Charles und öffnet die Augen. Ihn überrascht, was er in Eriks Blick findet: Schuldgefühle. Doch so unerwartet wie sie aufgetaucht sind, werden sie ersetzt von Überraschung. Dann ziehen sich Eriks Augenbrauen zusammen. „Ich hatte angenommen, ich fahre allein.“ „Welchen Sinn hätte es dann, dass wir als Team reisen?“ „Wir können den nächsten Mutanten wieder gemeinsam aufsuchen.“ Gemeinsam. Es ist erstaunlich, wie gut ein einziges Wort tun kann, findet Charles, und hätte über die Lächerlichkeit des Gedankens am liebsten laut gelacht. „Erik, ich muss damit zurecht kommen. Und jetzt, wo ich gewappnet bin, wird es mich nicht so schnell wieder übermannen und –“ Er kommt nicht dazu, den Satz zu beenden, da überwältigen ihn Bilder. Grauenvolle Bilder. Bilder von Leid und Elend, von Schmerz und Qual. Bilder eines Genozids, wie er in der Menschheitsgeschichte einzigartig ist an Abscheulichkeit und Menschenverachtung. Charles spürt für einen Moment den Schmerz eines ganzen Volkes durch die Augen eines Kindes. Dann ist es vorbei, so plötzlich wie es gekommen ist, und Charles findet sich schwer atmend und zitternd in dem Sessel vor dem noch immer unberührten Schachbrett wieder. Das Glas ist seinen tauben Fingern entglitten und auf den Fliesen zerschellt. Erik zieht seine Hand zurück und betrachtet ihn mit kalkulierter Selbstgefälligkeit. Es ist ein Blick, den Charles, wenn er ihn später wiedersehen wird, mehr als alles andere in diesem Gesicht verabscheut. Gewappnet, höhnt Erik in seinen Gedanken und streicht sich abwesend über den Unterarm. Dort, wo sechs Nummern auf ewig eingebrannt sein werden. Der Beweis für das Unvorstellbarste, was Menschen einander antun können. Charles atmet einen wackeligen Zug ein. Noch immer zittert er unkontrolliert. Seine Wangen sind feucht und er traut seiner Stimme nicht. Erik, ich ... Niemand kann sich gegen so etwas wappnen, Charles. Niemand. Nicht dagegen. Und beide Parteien waren Menschen. Was glaubst du, hätten sie Mutanten angetan? Charles weiß nicht, ob es Eriks tatsächliche Gedanken sind oder ob sie nur die von seinem Verstand geschlussfolgerte Konsequenz aus Eriks letzten Worten darstellen: Was glaubst du, haben sie mir angetan? Sie sitzen diese Nacht noch lange da. Charles im Versuch, das Gesehene zu verarbeiten und Erik, den Blick unabwendbar und unlesbar auf ihn gerichtet, ihm gegenüber. Stunden vergehen. Der Mond passiert das Fenster hinter ihnen und schließlich fallen Charles die Augen zu. Er träumt von endlosen Nachthimmeln und Freiheit, lang ersehnten Freiheit, und folgt einer Stimme, die immer wieder nach Mama ruft. oOo Am nächsten Tag fahren sie wieder zu dem Gefängnis. Charles hat darauf bestanden, mitzukommen. Die ganze Zeit spürt er Eriks Anspannung, als wäre er es, der beim Betreten des Gebäudes gestern zusammen gebrochen ist. Sie parken auf dem gleichen Platz wie am Tag zuvor und je näher sie dem Gebäude kommen, desto unruhiger werden Eriks Gedanken. Schließlich bleibt Charles stehen. „Erik, bitte.“ „Was?!“ „Es ist keinem von uns geholfen, wenn du so weiter machst.“ Misstrauen zeichnet sich auf Eriks Zügen ab, denn er kann sich nicht daran erinnern, dass Charles ihn um Erlaubnis gefragt hat, seine Gedanken zu lesen. „Hast du - ?“ „Nein, habe ich nicht. Ich brauche es nicht, um zu wissen, was mit dir los ist. Deine Gedanken schreien es mir regelrecht ins Gesicht. Es geht mir gut. Vielleicht bin ich nicht ganz abgeschirmt, aber ich bin vorbereitet auf das, was gleich kommt. Ich werde damit klarkommen.“ „Niemand kommt mit dem Leid anderer klar.“ „Wohl wahr.“ Er zwingt sich, nicht an die Bilder zu denken, die Erik ihm vergangene Nacht übermittelt hat. Sie schüren etwas in ihm, das Charles vorher so nicht verspürt hat und von dem er sich weigert, es genau zu benennen. Doch es schmeckt entfernt wie Hass. „Aber ich werde es aushalten. Dort drinnen ist ein Mutant, der unsere Hilfe braucht. Und ich werde ihn nicht deswegen im Stich lassen.“ Eriks Blick scheint ihn zu durchbohren, ihm bis aufs Mark zu gehen. Schließlich wendet er sich ab. „Du musst es wissen.“ Charles ist sich sicher, dass er das aushalten kann. Er hat gesehen, was Erik aushalten musste, hat einen Bruchteil dessen gekostet, was ihm angetan wurde und will ihm beweisen, dass er nicht schwach ist. Er will beweisen, dass er würdig genug ist, um gemeinsam mit Erik loszuziehen. Sie rekrutieren Alex Summer – viel zu jung, um sich und seine Kräfte schon so zu verabscheuen. Charles hat es nie bereut, an diesem Tag das Gefängnis wieder betreten zu haben. oOo Ihre Freundschaft wird in Russland zum ersten Mal auf eine harte Probe gestellt. Charles kann es noch immer spüren – Eriks Stolz, seine Begeisterung über die Demonstration von Charles Fähigkeiten, als er die sowjetischen Soldaten davon überzeugen konnte, das Innere des Transporters sei leer. Und im nächsten Moment schlingt sich Stacheldraht um die Wachmänner des Hauses vor ihnen, reißt sie zu Boden, und Erik rennt über die Wiese, direkt auf sie zu. Charles hat nur Sekunden, um sich zu entscheiden und obwohl er weiß, wie irrsinnig es ist, zögert er doch eigentlich keinen Moment und folgt Erik. Er muss, denn er kann ihn unmöglich alleine lassen. Nicht mit Shaws Telepathin, die Erik schon das letzte Mal nicht alleine überwältigen konnte (er weiß es aus Eriks Erinnerungen). Er spürt Moiras Entrüstung, als er sie hinter sich lässt, doch viel größer ist die Erleichterung, dass er es geschafft hat und Erik ohne hinderlichen Zweifel folgen kann. Er holt ihn schließlich auf den Fluren der Villa ein – es ist nicht schwer, denn die Spur, die Erik hinterlassen hat, ist ebenso eindeutig wie zerstörerisch. Viele Erinnerungen muss Charles löschen, aber die freudige Überraschung Eriks darüber, ihn an seiner Seite zu sehen, macht es das wert. Sie überwältigen Frost (nicht so, wie Charles es präferiert hätte, aber wann handelt Erik schon berechenbar?) was Charles die Möglichkeit gibt, Shaws perfiden Plan zu ergründen. Er muss erkennen, dass die Lage viel ernster ist, als befürchtet. Wir sind die Kinder des Atoms. Was den Menschen schadet, macht uns stärker. Erik zeigt kaum eine Reaktion, als er ihm davon berichtet. Charles schiebt es auf den Schock. Vielleicht auch darauf, dass sie Shaw allmählich näher kommen und Erik derzeit viel zu sehr auf ihn fixiert ist, um die globalen Folgen zu begreifen. Er hofft, dass es daran liegt. Er will nicht sehen, dass ein Teil von Eriks Verstand, verborgen von Hass und dem Drang nach Rache, Zustimmung verspürt, im Angesicht von Shaws Plan. oOo Am Flughafen von Washington erfahren sie von dem Angriff auf das Geheimquartier. Charles verliert den Boden unter den Füßen. Raven! Ein Schatten huscht über Eriks Gesichtszüge. Er muss ihn gehört haben, denn er lässt ihn während der Fahrt mit dem Taxi keinen Moment aus den Augen. Charles will ihn da nicht mit hineinziehen, aber alles, woran er denken kann, ist seine Schwester. Ravenravenravenraven Er hätte für sie da sein, hätte sie beschützen müssen. Stattdessen war er tausende Kilometer von ihr entfernt, am anderen Ende der Welt. Fort. Von dir habe ich mehr erwartet. Die letzten Worte, die er ihr gesagt hat. Kein Du weißt, dass ich dich liebe, Raven?, oder Ich bin froh, dass du richtige Freunde gefunden hast. Nicht einmal Ich wollte immer nur, dass du glücklich bist. Lediglich Enttäuschung. Abweisung. Er war die billige Entschuldigung eines großen Bruders. Sie hatten sich vor Jahren versprochen, niemand würde ihnen je etwas antun. Dass sie aufeinander achtgeben würden. Raven hat sich immer an das Versprechen gehalten. Nun hat er es gebrochen. Dummer, närrischer Charles! „Hör auf damit.“ Er schreckt zusammen, als Eriks Hand seine Stirn berührt und kann dem Drang nicht mehr widerstehen. Er dringt in seinen Verstand ein und diese fürchterlich vernarbte, vertraute Umgebung, dieser einzigartige Geist, erfüllt ihn einen Augenblick lang mit Ruhe. Wunderbare, unbeschreibliche Ruhe. Die Stimme in seinem Kopf, die immer wieder nach Raven ruft und keine Antwort bekommt, wird leiser und er lauscht Eriks Gedanken, die ihm versprechen, dass alles in Ordnung ist. Die ihn mit tröstenden Nichtigkeiten den Weg zum Geheimquartier der CIA überstehen lassen. Und noch bevor er das Auto verlässt, spürt er sie. Raven. Wundervolle, starke Raven. Er weiß, dass seine Erleichterung in dem Lächeln zu sehen ist, das er Erik zeigt, denn jetzt entspannt auch er sich und Charles hatte gar nicht bemerkt, dass das Metall um sie herum bis zu diesem Zeitpunkt leise gesummt hat, doch nun verstummt es. Jetzt, wo er weiß, dass Charles Schwester wohlauf ist. Sie ist unversehrt. Alle, bis auf Armando. Getötet durch Shaw, der Alex Kräfte als Werkzeug missbraucht hat. Darwin hatten die Kinder ihn genannt und mit seinem Tod beschlossen, jetzt nicht aufzugeben. Nicht, nachdem Armando tot und Angel fort ist. „Sie sind noch Kinder, Erik.“ „Sie waren Kinder.“ Ging es wirklich so schnell? Wurden von einem Moment auf den anderen aus diesen Kindern Erwachsene? Müssen sie so brutal altern? Es hätte schlimmer kommen können, ermahnt ihn Erik und er schließt hilflos die Augen. Ja, es hätte noch so viel schlimmer sein können. Aber war es denn nicht schon schlimm genug? Er spürt Eriks Blick auf sich und weiß, dass er etwas sagen muss. Die Kinder sehen sie an, warten auf eine Antwort. Darauf, dass Erik und er zu einem Schluss kommen. Und er spürt, hört, wie bereit sie für den Kampf sind. Darum dreht er sich um und sagt: „Wir müssen trainieren“, auch, wenn er denkt: Es hätte nicht soweit kommen dürfen. Er versucht zu ignorieren, wie seine gesprochenen Worte Erik mit Stolz erfüllen. oOo Kaum einer von ihnen hat viel mitgebracht. Die Kinder haben nicht mehr als eine Tasche, vielleicht einen Koffer. Hank dagegen benötigt einen ganzen Laster. Kabel, Laborgeräte und so viele Kleinigkeiten. Er plant, Cerebro neu zu bauen. Schneller und besser. Charles wäre der letzte, ihn daran zu hindern. Raven und er haben nur wenig dabei. Die Villa ist im Grunde ihr Zuhause. Erinnerungen erfüllen die Flure und Zimmer. Gute und Schlechte. Erik bringt kaum mehr als das, was er am Körper trägt. Er hat eine kleine Tasche, in der er, wie Charles sicher weiß, einige Kleidungsstücke verstaut hat – darunter eine verhältnismäßig hohe Anzahl von Rollkragenpullovern. Persönliche Gegenstände besitzt er so gut wie gar nicht. Es existiert ein Bild – ein Foto – das Charles bisher nur flüchtig gesehen hat. Es ist abgenutzt und an einer Ecke eingerissen und zeigt eine Frau und einen Jungen. Erik und seine Mutter. Manchmal wünscht Charles sich, er besäße etwas, das annähernd so viel persönliche Bedeutung hat, wie das Bild für Erik. Zu diesem Zeitpunkt weiß Charles noch nichts von der Münze. Er wird noch früh genug schmerzhaft von ihr erfahren. oOo „Professor?“ Er weiß nicht, wann die Kinder begonnen haben, ihn so zu nennen. So viel ist jedoch sicher: Es sorgt dafür, dass er sich alt fühlt. Viel zu alt. Er hat noch keine grauen Haare, kaum Falten und wird Professor genannt. Alex und Sean hat er oft genug gesagt, wie viel er von dieser Anrede hält, doch sein Widerstand scheint sie nur noch mehr anzuspornen. „Ja, Sean?“ Leider weiß er nicht, wie er sich an ihnen rächen soll. Vielleicht hat Erik eine Idee. Vor ihm haben die Kinder ehrfürchtigen Respekt. Vielleicht sogar etwas Angst. Dabei gibt es keinen Grund, Angst vor Erik zu haben. Nicht vor einem so faszinierenden, einzigartigen – Er unterbricht diesen beunruhigenden Gedankengang und konzentriert sich auf Sean. „Wie werden wir in Zukunft trainieren?“ Diese Frage hat er sich in den letzten Stunden schon oft gestellt. „Heute Abend werden wir noch nichts tun. Wir beginnen morgen. Wir werden die Kontrolle über eure Mutationen optimieren. Jeder von euch hat seine ganz eigene Fähigkeit, aber wir haben bisher viel zu engsichtig gearbeitet. Mutationen sind vielfältiger als sie auf den ersten Blick erscheinen.“ „Und mit simplen Worten heißt das?“, fragt Alex. „Charles weiß es selbst noch nicht“, wirft Raven dazwischen und öffnet neue Colaflaschen. Charles lächelt gequält. „Wirklich, Raven, ich dachte, du hältst mehr von mir.“ „Oh, ich halte viel von dir, Charles. Wir alle halten viel von dir. Aber ich kenne dich lange genug, um zu wissen, wann du einfach nur leeres Geschwafel von dir gibst.“ „Tatsächlich? Ich wusste nicht, dass Charles das kann.“ Erik lehnt am Rahmen der Küchentür. Charles hat bereits vor Minuten bemerkt, dass er sich ihnen genähert hat. Wie könnte er Eriks Geist ignorieren? „Oh, Charles kann noch viel mehr.“ Raven setzt sich neben ihn und reicht Hank eine der Flaschen. Sein Gesicht erhellt sich für einen Moment. Raven lächelt jetzt unheilvoll. Charles weiß, was kommen wird: Peinliche Geschichten aus dem Studium. Und er kann von allen Anwesenden das wachsende Interesse spüren. „Ich erinnere mich an einen Vortrag in seinem zweiten Semester, den er – ausgerechnet er – beinahe vergessen hätte, weil er die Nacht zuvor an einer ausgelassenen Party der Erstsemester teilgenommen hat. Er war sehr betrunken – natürlich durfte ich ihn abholen, denn ich war ja viel zu jung für die Feier und durfte in unserem Appartement auf den Anruf seiner Kommilitonen warten.“ Raven hatte keinen Grund, es so anklagend klingen zu lassen. Sie war viel zu jung gewesen und die Typen hätten sie nur genervt und das hätte Charles vielleicht fünf Sekunden lang toleriert, bevor er eingeschritten wäre. „Ich bringe ihn also um drei Uhr morgens nach Hause – Charles singt dabei ununterbrochen Songs von den Beatles - und lasse ihn seinen Rausch ausschlafen. Um sieben Uhr schreckt er hoch – noch immer halb betrunken – weil ihm einfällt, dass sein Vortrag um neun beginnt. Charles Xavier verbringt also geschlagene eineinhalb Stunden damit, sein Thema auszuarbeiten und einen dreiseitigen Vortrag aufzuschreiben, der eigentlich fünfmal so lang sein sollte. Ich habe ihn zur Uni begleitet und mich mit in die Vorlesung gesetzt. Charles hat kein einziges Mal auf seine Unterlagen gesehen. Er hat die ganze Zeit Halsbonbons gegen den Alkoholgeruch gelutscht und eine Stunde lang mit Alkohol im Blut über Genmutationen gesprochen. Im Anschluss hat er sogar noch Fragen beantwortet. Verglichen mit dem, was er sonst an Arbeit abliefert, war dieser Vortrag das reinste Desaster. Inhaltlich lag er aber immer noch über dem Durchschnitt. Soetwas schafft nur Charles.“ Am Ende der Geschichte hat Raven es tatsächlich geschafft, ihm ein Kompliment zu machen. Charles legt einen Arm um sie und zieht sie an sich. Dann presst er seine Lippen kurz gegen ihre Schläfe und spürt, wie sie sich an ihn lehnt. „Das hätte ich alles nie ohne dich geschafft.“ „Ich weiß.“ Als Charles den Blick hebt, begegnet er Eriks. Darin liegt etwas, das er nicht deuten kann, aber es ist so intensiv, dass er ihm gerade einmal drei Sekunden lang standhält, bevor er seine Aufmerksamkeit wieder auf Sean richtet. „Lasst euch morgen einfach überraschen. Mir fällt schon etwas ein.“ Sean und Alex wechseln einen Blick. „Vielleicht würde uns allen Alkohol helfen?“, schlagen sie vor. Charles schmunzelt. „Netter Versuch.“ Der Abend endet so, wie die Abende zuvor. Erik und er sitzen sich gegenüber und spielen Schach. Zum ersten Mal spielen sie in dem Zimmer, das Erik für sich ausgewählt hat. Es ist auf dem gleichen Flur wie das von Charles – drei Türen entfernt - und hat die meisten Fenster. Tagsüber ist es einer der hellsten Räume im Haus und nachts hat man immer einen idealen Blick auf den Mond. Charles hätte sich kein passenderes Zimmer für Erik vorstellen können. oOo Die Villa ist erfüllt von Stimmen. Er kann sich nicht an das letzte Mal erinnern, dass so viele Emotionen das Haus gefüllt haben. So viel Betrieblichkeit. So viel Leben. Er genießt es mit jedem Moment, denn er ahnt, befürchtet mehr, dass es so nicht von langer Dauer sein wird. Der Krieg steht kurz bevor und auch wenn es sich für die Kinder in manchen Momenten anfühlt wie eine Schule, so ist es doch eigentlich ein Ausbildungslager. Charles weiß, dass Erik genauso denkt. Er steht auf der Terrasse und blickt in die Ferne. Es ist früher Morgen und die Kinder werden gleich aufstehen. Er trägt bereits seine Trainingskleidung und wartet nur noch auf Hank, um mit ihm zu laufen. Die letzten Tage haben Hank gut getan. Er verbirgt seine Füße nicht mehr so oft, auch wenn Charles spürt, dass er sie noch immer verabscheut. Aber es hilft, dass Hank die Blicke von Raven genießt, die immer wieder zu ihm und dann auf seine Füße wandern und ein Lächeln auslösen, von dem jeder hingerissen wäre. Charles lässt alle trainieren. Er registriert, wie sie besser und selbstsicherer werden und immer mehr reifen. Viel zu häufig beobachtet er Erik dabei, wie er Kleingeld neben sich schweben lässt, immer schneller, ohne dass sich die Münzen dabei berühren. Eine Präzisions-Übung, die Charles ihm vorgeschlagen hat. Er selbst kommt sich faul vor. Ja, er läuft jeden Morgen mit Hank, er kontrolliert sämtliche Fortschritte. Er ermutigt Sean, nach dem misslungenen Fenstersprung noch einmal das Fliegen auszuprobieren und er erklärt Alex, dass es nichts weiter als eine Konzentrationsaufgabe ist, seine Kräfte präzise zu beherrschen. Aber er selbst tut nichts. Er lauscht ihren Gedanken und kann doch selbst nicht trainieren. Dafür bräuchte er einen Partner, aber es wäre zu gefährlich. Früher hat er seine Fähigkeiten mit Ravens Hilfe geschult, aber seit er ihr versprochen hat, ihre Gedanken nicht mehr zu lesen, ist das unmöglich. Danach haben immer wieder unbekannte Passanten für harmlose Experimente herhalten müssen. Aber hier ist niemand, abgesehen von den Kindern und Erik. Erik. Er muss sich nicht umdrehen, um zu sehen, dass Erik an der Terrassentür steht und ihn ansieht. Er hat ihn kommen spüren. Charles streckt sich und sein Verstand sucht Eriks. Zu seiner Freude spürt er keinen Widerstand. Was er jedoch sieht, hätte er nicht erwarte. Sich selbst auf der Terrasse, im blassen Sonnenlicht, ganz anders, als er sich selbst wahrnimmt. Dann ist das Bild verschwunden. Erik räuspert sich. Er dreht sich um und weiß, dass er das nicht hätte sehen sollten. „Wie geht dein Training voran?“, fragt er, um das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken. „Schleppend“, antwortet Erik und nimmt den Themenwechsel dankend an. „Dein Vorschlag war gut, aber wenn es Krieg gibt, wird es mir kaum etwas nützen.“ Nicht falls es Krieg gibt, sondern wenn. Als wäre es lediglich eine Frage der Zeit. Und die Zeit rennt ihnen davon. „Hab etwas Geduld, dann fällt mir sicher eine neue Übung ein.“ „Und was ist mit dir? Trainierst du?“ Was soll er denn trainieren? Er will niemanden von ihnen verletzen, also muss er sich zurückhalten. „Kann ich dir helfen?“, fragt Erik und macht einen Schritt auf ihn zu. Und einen Moment lang zieht er es in Erwägung, doch dann verschließt er sich vor diesem Gedanken. Unmöglich. Ich bin nicht aus Glas, Charles. Das würde ich dir niemals unterstellen, mein Freund. Charles erinnert sich nicht mehr daran, wann er begonnen hat, Erik so anzusprechen. Es muss beim Schachspiel gewesen sein, weil Erik in diesen Momenten am meisten entspannt ist. Er hat nichts gegen diese Anrede gesagt, sein Geist war sogar - zumindest hatte Charles geglaubt, es sich einzubilden – etwas wärmer geworden in diesem Moment und so hatte er diese Floskel beibehalten. Dann sag mir, was ich tun soll. Charles ist so versucht, es zu tun. So nah dran, Eriks Angebot anzunehmen. Ich kann nicht. Dazu müsste ich tiefer in deinen Verstand eindringen, als ich es bisher getan habe. Und ich müsste viel länger bleiben. Du weißt bereits alles über mich, Charles. (Und ich vertraue dir.) Erik hat den letzten Teil nicht gedacht, aber Charles spürt es, oh, wie stark er es in diesem Moment spürt! Bist du dir sicher? Hör auf zu fragen, Charles. Jetzt spürt er die genervte Belustigung und weiß, dass er diese Diskussion verloren hat. Du solltest dich besser festhalten. Er hebt die Hand, während Erik sich gegen das Marmorgeländer lehnt, und berührt seine Schläfe. Dann greift er nach Eriks Geist und taucht ein. Augenblicklich versinkt er in seinen Erinnerungen, seinen Emotionen, doch er schiebt sie beiseite, sucht weiter, viel weiter und findet es schließlich: Eriks Fähigkeit. Es gibt keine Worte, um zu beschreiben, wie sie aussieht, aber es ist so eindeutig für Charles, dass er beinahe gelacht hätte. Er umkreist das Zentrum. Tastet sich langsam vor, weicht zurück, als es nach ihm ausschlägt, denn er ist fremd und unbekannt, gehört hier nicht hin. Charles sendet Impulse, die zeigen sollen, dass er vertrauensvoll ist. Er umschmeichelt es regelrecht, bis es sich von ihm berühren lässt. Charles hat die Welt vorher noch nie so gesehen. Mit einem Mal übt Metall eine ganz andere Wirkung auf ihn aus. Es ist nicht nur ein Element, es ist viel mehr als das. Ein Teil von ihm, von dem, was ihn definiert. Und er denkt, er weiß ganz sicher, dass es ihm gehorcht, wenn er es will. Er gibt dem Zentrum von Eriks Verstand einen Stoß und die Münzen in Eriks Tasche beginnen zu Klirren. Ein nachdrücklicherer Stoß und Charles spürt die Tür- und Fenstergriffe des Hauses vibrieren. Er konzentriert sich auf eine Hantel neben der Terrassentür - vermutlich ein Überbleibsel Ravens spätabendlicher Fitnessübung . und beobachtet voller Staunen, wie sie sich langsam erhebt. Sekundenlang starren sie beide darauf, dann lässt Charles sie sinken und zieht sich zurück. Vorsichtig, ohne Erik weh zu tun. Sie beide atmen schnell, als wären sie eben einmal um die Villa gelaufen. Erik ist der erste, der wieder Worte findet. „Ich konnte dich spüren. In meinem Geist. Aber ganz anders als sonst. Und das Metall hast du bewegt, aber eigentlich ich.“ „Ich habe deine Fähigkeit genutzt. Ich habe dein Zentrum wie eine Antenne für mich ausgerichtet. Ich hoffe, es war nicht allzu unangenehm.“ „Es hat nicht wehgetan.“ Er weiß nicht, ob er das glauben soll und streckt seinen Geist aus. Erik lässt ihn und er findet keine Spur von Schmerz oder Unbehagen. Es geht mir gut, Charles. Er stößt den angehaltenen Atem aus und lächelt, denn ihm wird bewusst, was er soeben geschafft hat. Erik tut es ihm gleich und lächelt ebenfalls, befreit und aufrichtig und Charles verschlägt es die Sprache, denn zum ersten Mal erreicht das Lächeln Eriks Augen und er kann sich nicht erinnern, Erik jemals so offen gesehen zu haben und so – Attraktiv, flüstern seine Gedanken. Eriks Augen weiten sich und Charles hätte beinahe geflucht. Zu seinem Glück sucht Hank sich diesen Moment aus, um zu ihnen zu stoßen und Charles ist die nächsten Stunden viel zu sehr mit dem Training der Kinder beschäftigt, um sich Gedanken über seinen jüngsten Ausrutscher zu machen. oOo Am selben Tag, nur viel später, sitzen sie in Eriks Zimmer und spielen Schach. Nur ist Charles mit den Gedanken viel zu weit weg, um sich wirklich darauf zu konzentrieren, sodass Erik die erste Partie in auffallend wenigen Zügen gewinnt. Während er die Metallfiguren neu sortiert (eine neue Idee von Charles, um Eriks Koordination zu schulen), ruht sein Blick unablässig auf Charles. Die Stille zwischen ihnen scheint sich unendlich in die Länge zu ziehen, bis Erik die Geduld verliert und mit scharfer Stimme sagt: „Hör auf, dich vor mir zu verschließen.“ Denn genau das hat Charles die letzte Stunde über getan. Kaum auf das Spiel konzentriert, hat er alles darauf verwendet, um bloß keine seiner Emotionen wieder auf Erik zu übertragen. Es geht so weit, dass er nicht nur Erik, sondern alles um sich herum ausblendet, was beinahe körperlich wehtut. Einem Telepathen zu verbieten, um sich zu sehen ist genauso, als würde man einem normalen Menschen verbieten, zu sehen. Oder zu hören. „Ich will nicht wieder unachtsam werden“, gesteht er und Erik verzieht den Mund. Charles versteht nicht warum, bis ihm bewusst wird, dass er laut geredet und die Worte nicht, wie es mittlerweile beinahe zu Gewohnheit geworden ist, gedacht hat. „Unachtsam?“, wiederholt Erik. „Wenn ich nicht darauf achte, projiziere ich wieder. Und damit würde ich dich manipulieren und ich will nicht, dass du denkst, irgendwas von dem, was tut tust, wäre von mir beeinflusst.“ „Wie kommst du darauf, dass ich so was denken würde?“ Weil jeder das irgendwann denkt. Sogar Raven fürchtet sich in gewissem Sinne davor. Sie hat es Charles nie direkt gesagt, aber das Versprechen, ihre Gedanken nie wieder zu lesen, ist das Resultat aus dieser unterschwelligen Angst. Die lebenserhaltende Angst vor einem Telepathen. Vor dem, wozu er in der Lage sein kann, wenn er sich nicht kontrolliert. Ich bin nicht jeder, antwortet Erik, zieht Charles dabei mit seinen Gedanken zu sich. Und er kann sich nicht dagegen wehren, denn Eriks Gedanken sind wie ein vertrauter Raum mit dunklen Ecken, der ihm so viel Sicherheit gibt wie kaum etwas Anderes. Hast du denn keine Angst vor dem, was ich deinem Verstand antun könnte? Was könntest du mir noch antun? Hast du keine Angst davor, was du in meinem Verstand finden könntest? Aber Charles hat bereits so viel gefunden, was er nicht mehr missen möchte. Heute Nachmittag hat er eine Waffe auf Erik gerichtet und war nicht in der Lage gewesen, abzudrücken. Erik hat es nicht laut gesagt, aber hätte er selbst die Waffe auf Charles gerichtet, hätte er ebenso wenig abdrücken können, auch wenn er zu hundert Prozent sicher gewesen wäre, die Kugel aufzuhalten. Charles erfüllt diese Erkenntnis mit so viel Emotionen, dass er gar nicht wahrnimmt, wie die Schachfiguren, eine nach der anderen, zu Boden fallen. Dann spürt er einen festen Griff in seinem Nacken und wird ruckartig nach vorne gezogen. Seine Hände vergraben sich im Stoff von Eriks Rollkragenpullover, während sich ihre Münder in einem hungrigen Kuss finden. Es ist das erste Mal in der Gegenwart eines anderen, dass alle seine eigenen Barrieren fallen und er zieht Erik in seinen eigenen Verstand. Zeigt ihm, was er so lange gezügelt hat. Attraktiv, verloren, einzigartig, faszinierend, gebrochen, stark, begehrenswert All die Gedanken, die er vor Erik zurückgehalten hat, aus Angst, sie unbewusst auf ihn zu übertragen und damit seine Handlung zu beeinflussen, strömen jetzt auf sie beide ein, als wäre ein Damm gebrochen und Erik stöhnt überwältigt in den Kuss und zieht ihn noch enger an sich. Charles, Charles .... Ein Singsang seines Names, atemlos, so voller Erregung, und Charles hat das noch nie auf diese Art erlebt, denn noch nie hat er sich jemandem so geöffnet, wie Erik, und ist niemals einem Geist begegnet, der ihn so vorbehaltlos akzeptiert und hineingelassen hat. Es ist wie ein alles verschlingender Strudel aus Leidenschaft und Neugier. Charles entlockt Erik ein weiteres Stöhnen, als er ihm zeigt, was er gerade fühlt. Was ihn durchströmt. Dann steht Erik auf, zieht ihn mit sich, attackiert seinen Hals und dirigiert ihn dabei in Richtung Bett. Charles lacht atemlos und schiebt eine Hand unter Eriks Oberteil. Sie stolpern, fallen, landen auf der Matratze. Irgendwo, weit entfernt hört Charles das Klicken des Türschlosses und schließlich spürt er nur noch Eriks Lippen, Eriks Mund, Eriks Lust und vergisst alles um sich herum. [tbc] sleeping on a time bomb, staring into space there's an ocean of unpleasantries we are not prepared to face Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)