Kakao von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Der Großvater im Flügel ---------------------------------- Guten "Morgen" :)! Hier kommt das zweite Kapitel von Kakao. Ich hoffe, Ihr habt Freude am Lesen und ein schönes Wochenende! Liebste Grüße ____________________ Vukan hob die Pfeife. „So, das wär’s. Hast du zufällig ein Feuerzeug?“ „Nee. Ich bin Nichtraucher.“ „Ich glaub, irgendwo vorne liegen Streichhölzer. Halt mal kurz.“ Tim nahm die gestopfte Pfeife entgegen und, während Vukan zum Ladentisch eilte, um die Streichhölzer zu holen, schnupperte er am Pfeifenkopf, der nach irgendetwas Fruchtigem roch. Irgendwie war das komisch. Eigentlich wollte er schon längst zu Hause sein, um zu lernen. Stattdessen fläzte er sich jetzt in einem Ohrensessel, trank Kakao und war im Begriff, mit einem völlig Fremden Pfeife zu rauchen. Und irgendwie…fühlte sich das gar nicht komisch an. Sondern genau richtig. Es dauerte keine Minute, dann war Vukan lächelnd mit einer Packung Streichhölzer und einem Aschenbecher zurück. Er setzte sich wieder auf den Hocker und entzündete die Pfeife. Tim leerte seinen Becher und beobachtete ihn beim Paffen. Er musste lachen. „Was würde dein Opa sagen, wenn er dich jetzt sehen könnte?“ Vukans Mundwinkel verzogen sich zu einem Grinsen. „Er würde sich freuen, dass ich die Traditionen weitergebe.“ „An einen Fremden?“ „Mein Großvater hat immer gesagt, dass Fremde nichts anderes sind, als Freunde, denen man zum ersten Mal begegnet.“ „Er war wohl ganz schön cool, dein Opa?“ „Von ihm hab ich alles gelernt, was ich weiß.“ „Vermisst du ihn?“ „Sehr.“ Vukan rauchte und ließ Wölkchen aus seinem Mund steigen. Er bot Tim die Pfeife an. „Willst du?“ Tim nickte und ließ sich die Pfeife geben. Gespannt steckte er das Mundstück zwischen die Lippen und zog. Es war gar nicht so schwer. Und es schmeckte gar nicht so übel. „Schieb sie mal in deinen Mundwinkel und knabbere daran,“ sagte Vukan, „Genau so!“, er lachte, „Das sieht so was von dämlich aus!“ Tim kicherte. „Also, Vukan…,“ begann er und lehnte sich mitsamt der Pfeife zufrieden in dem wunderbaren Sessel zurück, „Wie viele kleine Geschwister hast du?“ Der Antiquitätenjunge sah verblüfft aus. „Woher weißt du, dass ich kleine Geschwister habe?“ Tim zuckte die Achseln. „Du machst auf mich den Eindruck eines großen Bruders.“ „Was du nicht sagst,“ Vukan schmunzelte und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Kakaobecher, „Drei kleine Geschwister habe ich.“ Tim zog die Augenbrauen hoch und reichte Vukan die Pfeife zurück. „Drei?“ „Jap. Drei Brüder.“ „Ihr seid echt fünf Männer zu Hause?“, Tim lachte, „Deine arme Mutter.“ „Du sagst es. Darauf weist sie auch immer hin, wenn wir ihr auf die Nerven gehen.“ „Wie alt sind deine Brüder?“ „Fünfzehn, elf und vierdreiviertel.“ „Wie kommt‘s, dass du so viel älter als deine Brüder bist?“ Vukan pustete Rauch aus und grinste. „Auf wie alt schätzt du mich denn?“ „So zweiundzwanzig?“ Vukan lächelte. Draußen regnete es inzwischen nicht mehr so stark. „Gut geraten. Ich war damals nicht ganz so geplant. Meine Eltern waren noch jung und erst kurz zusammen. Noch unverheiratet. Meine Großeltern mütterlicherseits fanden das gar nicht gut und haben sie dann zur Hochzeit gedrängt. Mit jedem Jahr wird die Geschichte dramatischer.“ Tim musste erneut lachen. „Und dein kleinster Bruder?“ „Ja… Dejan war auch nicht so geplant, wenn du das meinst.“ „Meine ich.“ Sie sahen sich an und grinsten. Vukan gab Tim die Pfeife zurück. „Und du? Tim?“ „Ich habe nur eine große Schwester,“ erzählte Tim und nuckelte an der Pfeife, „Nadine. Sie ist zweieinhalb Jahre älter als ich und macht ihr Anerkennungsjahr in einem Jugendzentrum in Köln. Ich seh sie nicht mehr so oft, was wohl auch ganz gut so ist.“ „Wieso? Versteht ihr euch nicht?“ „Doch, schon. Sogar ziemlich gut. Aber halt nur, weil wir uns nicht mehr so oft sehen. Wenn wir länger aufeinander hocken, streiten wir uns schnell wieder.“ Vukan lächelte und nippte an seiner Tasse. „Verstehe.“ Tim reichte die Pfeife weiter und betrachtete Vukan beim Rauchen. Er hielt den Rücken sehr gerade, sackte nicht so in sich zusammen, wie Tim es beim Sitzen zu tun pflegte. Und er hob die Pfeife so elegant und lässig. Als wäre sie ein Taktstock oder so. „Bist du Musiker?“, fragte Tim aus einem plötzlichen Impuls heraus. Erneut wirkte Vukan erstaunt. „Also langsam wirst du mir unheimlich. Woher weißt du all diese Dinge über mich? Hast du mir nachspioniert?“ Tim lachte und schüttelte den Kopf. „Nein, ich…ich rate wohl nur gut.“ „Offensichtlich.“ Vukan sah ihn scharf an und Tim grinste. „Ja, ich spiele Klavier. Leider finde ich nicht mehr so oft Zeit dazu.“ „Wieso nicht?“ Der Antiquitätenjunge zuckte die Schultern. „Naja, Uni halt. Freunde, Familie. Und dann der Job hier im Geschäft. Obwohl hier ein Flügel steht. Ein ganz toller sogar.“ „Cool. Warum spielst du nicht darauf? Darfst du nicht?“ „Doch, schon. Aber ich mach mir immer Sorgen, dass ich dann die Kunden nicht reinkommen höre. Und wenn sie dann wieder gehen, weil sie nicht bedient werden, wäre das blöd.“ „Quatsch. Da ist doch ne Glocke an der Tür. Und ich wette, die meisten Kunden freuen sich über gute Livemusik.“ Vukan grinste und reichte Tim die Pfeife. „Würdest du dich denn über Livemusik freuen?“, wollte er wissen. „Aber klar!“, antwortete Tim leidenschaftlich. „Soll ich dir was vorspielen?“ „Ich bitte darum!“ Vukan strahlte. „Okay. Ich zeige dir meinen Liebling. Aber lass uns vorher die Pfeife ausmachen. Oder willst du noch weiterrauchen?“ Tim schüttelte den Kopf und händigte Vukan umgehend die Pfeife aus. Irgendwie war er richtig scharf darauf, Vukan beim Klavierspielen zu zusehen. Ob er den Rücken dabei auch so streckte? Vukan klopfte die Pfeife am Aschenbecher aus. Dann leerte er seine Tasse und stand auf. Als Tim ihm folgte, trat er beinahe auf die dicke, graue Katze vom Ladentisch. „Huch!“, sagte er erschrocken, „Wo kommst du denn auf einmal her?“ Die Katze starrte ihn vorwurfsvoll an. „Amor wundert sich, dass du immer noch hier bist,“ erwiderte Vukan schmunzelnd, „Normalerweise kommen und gehen die Leute in regelmäßigen Abständen. Tim ist ein Gast, Amor. Bitte sei nett zu ihm.“ Amor schien Vukans Worten keinerlei Bedeutung zukommen zu lassen. Seine gelben Augen waren nach wie vor auf Tim gerichtet. So misstrauisch und abweisend, dass Tim sich unwillkürlich wie ein krimineller Eindringling fühlte. „Er hasst mich,“ klagte Tim. Vukan lachte leise. „Wie gesagt, Amor mag niemanden gut leiden. Mich toleriert er auch nur, weil ich seine Futterdosen öffne. Ignorier ihn einfach. Komm.“ Tim machte einen möglichst großen Bogen um den grantigen Kater und folgte Vukan durch eine enge Schneise in einen anderen Teil des Ladens, den er bisher noch nicht gesehen hatte. Dort, von weiteren Schränkchen und Regalen umgeben, stand ein schwarzer Flügel. Er war groß und ausladend und absolut wunderschön. „Ohhh…,“ machte Tim erneut, „Er ist…,“ „Wundervoll, nicht wahr?“, seufzte Vukan und strich mit den Fingerspitzen über das glänzende Holz, „Ich liebe ihn auch total. Ein Steinway, Modell A-188, Baujahr 1915. 188 cm lang, 148 cm breit und 315 kg schwer. Schwarz poliert und mit original Elfenbeintastatur. Klingt, als würde ein Engel singen. Ein Traum für jeden Pianisten.“ „Wieso habt ihr ihn dann noch? Müsste so ein Goldstück nicht sofort verkauft sein?“ Vukan schnaubte. „Allerdings. Aber…der Gedanke, dass ihn ein anderer spielt, bricht mir das Herz. Also…spare ich auf ihn. Seit fünf Jahren schon.“ Tim machte große Augen. „Fünf Jahre? Aber… Doch ja, er kostet sicher ein Vermögen, oder?“ „25.500.“ „Boah!“, stieß Tim hervor, „Echt? Das ist ja… Kriegst du das hin?“ Vukan biss sich auf die Unterlippe und wirkte plötzlich verlegen, störrisch und bedrückt zugleich. Liebevoll streichelte er das wertvolle Instrument. „Nicht wirklich. Mein Vater hat ihn erworben, da war ich siebzehn. Ich hab ihn gesehen und war verliebt. Ich wollte ihn unbedingt haben. Ich hab meinen Vater angefleht, mir die Chance zu geben, das Geld zusammen zu kriegen. Mein Großvater hat ein gutes Wort für mich eingelegt – er hat mir auch das Spielen auf unserem alten Klavier beigebracht – und schließlich hat mein Vater eingewilligt, den Flügel bis zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag vom Verkauf auszuschließen. Wenn ich das Geld bis dahin nicht zusammen hätte…,“ „Aber du bist jetzt zweiundzwanzig!“, warf Tim ein, der von der Geschichte richtig berührt war, „Wieso hat ihn dein Vater nicht schon verkauft?“ Vukan holte tief Luft. „Weil ich…den Verkauf boykottiere. Und vielleicht ist das der eigentliche Grund, weshalb ich ihn nicht gerne spiele. In diese Ecke des Ladens kommt so gut wie nie jemand und wenn ich spiele, könnte ich die Kunden anlocken. Immer, wenn jemand Interesse für ihn zeigt, behaupte ich, er wäre schon verkauft, damit ich noch mehr Zeit habe, das Geld zusammen zu kriegen. Ich habe noch einen Job und spare alles, was ich verdiene. Aber es ist so schwer. Das Studium und Essen und Bücher und so. Ich werde immer wieder zurückgeworfen. Aber ich hab schon weit über die Hälfte und ich schwöre dir, ich werde es schaffen! Auch, wenn ich dafür eine meiner Nieren verkaufen muss.“ „Das…ist irgendwie richtig romantisch…,“ sagte Tim schwach und lächelte, „Was würde dein Vater sagen, wenn er es wüsste?“ „Ich glaube, er weiß es. Oder wenigstens ahnt er es. Er weiß ja, wie sehr ich an dem Flügel hänge und er hat noch keine Schritte eingeleitet, um es an den Mann zu bringen. Ich glaube, er will mir helfen. Er hat auch meinen Lohn für die Aushilfe hier aufgestockt. Er weiß, dass…der Flügel mich an meinen Großvater erinnert.“ Tim schluckte. „Wann…ist dein Großvater denn gestorben?“ „Da war ich neunzehn, also vor drei Jahren. Ich war völlig fertig und hab stundenlang an dem Flügel gesessen und gespielt. Weil ich mir dann immer einbilden konnte, dass mein Großvater mir wieder Unterricht gibt.“ Sie schwiegen einige Sekunden. „Das ist die traurigste Geschichte, die ich seit langer Zeit gehört hab,“ meinte Tim deprimiert, „Jetzt möchte ich dir was spenden, damit du das Geld schneller zusammen hast.“ Vukan lachte. „Du bist süß, ehrlich! Aber das ist nicht nötig. Ich schaff das schon. Komm, setz dich irgendwohin, wo Platz ist. Ich spiel dir was vor.“ Süß. Hatte er ihn gerade süß genannt? „Darf ich mich auch anzüglich dagegen lehnen?“ Hatte er diese Frage gerade wirklich gestellt? Mit diesem Adjektiv? Vukan, der sich bereits auf den Klavierhocker gesetzt hatte, lachte erneut und schüttelte leicht den Kopf. Dann warf er Tim einen vergnügten Blick zu. „Tu dir keinen Zwang an.“ Tim grinste, stützte den Arm auf den Flügel und schmiegte sich an seine glatte Seite. Vukan hatte ihn…süß genannt. So nannten ihn normalerweise nur seine Mutter und seine Schwester. Von ihnen hörte er es nicht besonders gern. Dann begann Vukan zu spielen. Tim kannte die Melodie. Das bedeutete, dass es vermutlich eine von diesen berühmten Melodien war, die irgendein Genie als Fünfjähriger komponiert hatte. Die Töne reihten sich so sanft und weich aneinander wie Rosenblätter, die auf einen Teich fielen. Woher Tim diesen Vergleich hatte, war ihm schleierhaft. Aber es klang wirklich so. Es war die schönste Musik, die er je gehört hatte. Tim legte den Kopf auf den Flügel und seufzte. Seine Ohren schienen vor Wonne zu vibrieren. Sie lauschten so tief wie sie konnten. Als Vukan verstummte, verzog Tim das Gesicht. „Das war schööön…,“ sagte er, „Bitte spiel noch etwas.“ Vukan grinste verlegen. „Was willst du denn hören?“ „Irgendwas schönes, cooles.“ „Was von Beethoven?“ „Yes!“ Vukan fuhr sich mit der Zunge über die lächelnde Unterlippe und legte seine Hände wieder auf die Tastatur. Abermals erklangen helle Töne, die zu einer Melodie verschmolzen. Gebannt musterte Tim den musizierenden Antiquitätenjungen. Er hielt den Rücken tatsächlich auch beim Spielen so gerade. Und er legte den Kopf langsam von einer Seite zur anderen. Seine Finger wanderten elegant über die Tasten und er bewegte die Lippen, als würde er die Klänge auf ihnen spüren. Als er Tims gefesselten Blick bemerkte, schmunzelte er und der letzte Ton erstarb. „Es macht mich nervös, wenn du mich so ansiehst,“ beschwerte er sich. „Tut mir Leid. Du…siehst sehr gut aus, wenn du spielst.“ Tim fragte sich, ob im Pfeifentabak irgendwelche Opiate enthalten gewesen waren. „Danke…,“ diesmal berührte Vukan seine Oberlippe mit der Zunge, „Du siehst beim Comiclesen auch sehr gut aus.“ Verdutzt hob Tim den Kopf. „Woher weißt du das denn? Hast du… Hast du mich gesehen?“ „Ja, hab ich,“ Vukan gluckste über Tims Gesichtsausdruck, „Ich bin direkt an dir vorbei gegangen, als du gelesen hast. Du standst mitten auf dem Fußweg. Du hast noch nicht mal mit der Wimper gezuckt.“ Tim kicherte beschämt. „Tut mir Leid. Wenn ich konzentriert lese, kriege ich gar nix mehr mit. Da könnte neben mir eine Bombe explodieren.“ „Das finde ich cool,“ meinte Vukan. „Ach ja?“ „Ja.“ Sie schauten sich an. Dann miaute es neben Tims Füßen. Ziemlich mürrisch übrigens. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)