Abschied eines Waldgeistes. von abgemeldet (Mido auf Reisen!) ================================================================================ Kapitel 20: Abreise ------------------- „Morgen.“ Es waren erlösende Worte gewesen, die mir den Schlaf gebracht hatten und tatsächlich hatten wir schon am nächsten Abend begonnen, zu lernen. Es war eigentlich nicht schwer, denn das System unserer Schrift war leicht zu begreifen. Trotzdem war es für mich ähnlich dem Lernen von Vokabeln und Floskeln. Das Schreiben war schwieriger, denn Zeichnen lag mir schon nicht – wie also sollte ich säuberlich Worte verfassen können die ich gerade erst gelernt hatte? Es war alles sehr verwirrend für mich, doch am Ende des Tages konnte ich zumindest unsere Namen auf das Blatt Papier schmieren. Das kratzende Geräusch unter dem Federkiel animierte mich dazu, weiter zu schreiben und mein Schriftbild im Allgemeinen zu verbessern. Die Ergebnisse von zwei Tagen waren meiner Meinung nach schon herausragend. Gwen hingegen sagte, es wäre nichts Besonderes dabei. Beim ersten Zusammenfinden der Familie am dritten Tag, welches das Frühstück war, wurden nach dem Essen ernsthaftere Themen besprochen. Ernsthaft im Sinne davon, dass ich mich wahrscheinlich am liebsten sofort wieder verkriechen wollte, denn irgendwo tat es schon weh. „Mido, du musst uns bald verlassen.“ Hubos Stimme füllte den Raum. Er lehnte sich vor, die Ellebogen auf den Tisch und sah mich ernst an. Auch, wenn er ein sehr ernster Mensch war hatte ich noch nie solch eine Ernsthaftigkeit in der kurzen Zeit, die wir uns kannten, in seinem Blick gesehen. Das dunkle Blau in seinen Augen war noch dunkler und matter als sonst. Ich rutschte etwas zurück und erbleichte, wobei mir klar war, dass ich diesen Ort schon bald hätte verlassen müssen. Ein Problem war nur, dass mich niemand bei sich aufnehmen konnte, denn von der meisten Arbeit verstand ich nicht viel. Vor allen Dingen, wenn es darum ging, dass man Grips haben musste. Nervös spielte ich mit meinen Händen, die auf meinem Schoß lagen und nickte kraftlos. „Hast du schon etwas Neues gefunden?“ Ich schüttelte den Kopf. Es wurde seltsam still. Jenna erhob sich vom Tisch, ohne bisher ein Wort gesagt zu haben oder etwas gegessen zu haben, und ging. Gwen blickte betreten zu Boden. Während mein Blick durch den Raum schweifte, weil ich den Hausherren nicht länger ansehen konnte, fielen mir einige Dinge auf, die ich bald wohl nicht mehr sehen würde. Ich rutschte im Stuhl herunter, nur ein Stück. Es war meine Pflicht gewesen einen Ort zu finden, an dem ich leben konnte. Aber ich hatte es verbockt. Ich hatte so vieles verbockt. Und das nur, weil ich meine eigenen kindischen Wünsche verfolgen wollte, statt mich einzufügen in die Gesellschaft. „… Aber mich will ja niemand…“, murmelte ich, als ich das Gefühl hatte dass Hubo darauf wartete, dass ich mich rechtfertigte. Ein weiterer Augenblick der Stille, als Gwen aufschnellte und mit den Fäusten auf den Tisch schlug, mich anschrie. „Das bist du doch selber Schuld! Du bist so dämlich! Warum hast du dich nicht noch mehr bemüht!? Du bist ein fauler, kleiner Junge! Werd erwachsen.“ Das sagte mir jemand, der jünger als ich war. „Es tut mir Leid.“ „Ich hab genug gehört!“, fauchte sie und stampfte die Treppe hinauf. Mein Blick folgte ihr und ich bemerkte, dass sie Recht hatte. Ich war nutzlos. Ich ließ meinen Kopf auf den Tisch sinken und lehnte meine Stirn an das Holz, ließ die Arme hängen. Ich hatte so wenig geholfen! Ich hätte mehr tun können. Stattdessen wollte ich lesen und schreiben lernen. Wozu? Ich war sowieso dumm wie zehn Schritte hylianische Steppe. Es hatte keinen Sinn, hier länger zu bleiben, da ich sowieso mehr Last als Hilfe war, ganz realistisch betrachtet. Schließlich schob ich meine Arme doch unter meinen Kopf, schluckte schwer. „… Da kann man wohl nichts machen…“, hörte ich Hubo mit tiefer Stimme sagen. Er seufzte auf und erhob sich, schob den Stuhl wieder an den Tisch und ging an mir vorbei, hinaus. Allerdings nicht, ohne mir vorher einmal durch das Haar zu wuscheln. Ich fühlte mich gedemütigt. Nicht von ihm, sondern von mir selber. Ich hätte so viel aus mir machen können und verschloss mich einfach vor alles und jedem. Wie hatten die Kokiri mich leiden können? Mochten sie mich überhaupt? Immer, wenn etwas diskutiert wurde, wurde zuerst Salias Meinung eingeholt. Dann erst meine. Wenn sie nicht vorher Link fragten. Das lag wohl daran, dass man mir nicht vertrauen konnte. Zumindest ging ich jetzt mit mir ins Gericht. Ich war schon immer nutzlos und feige gewesen! Es war schon ganz gut, dass ich nicht mehr da war. Ich hatte weinen mögen, aber nicht eine Träne verließ mein Auge. Ja, ich war es selber Schuld. Da war nichts dran zu rütteln. Ich hätte es besser machen können. Also hatte ich kein Recht dazu, mich zu bemitleiden. So schnell wie möglich sollte ich wahrscheinlich meine Sachen packen und dann einfach verschwinden – einen Termin dafür hatte man mir ja nicht genannt. Daher sollte ich jetzt alles vorbereiten. Alles, was ich hatte. So in etwa nichts? Was für eine Ironie. Gerade, wo ich dachte, etwas gefunden zu haben, entriss man es mir wieder. Und als ich damals dachte, bei den Kokiri alles zu haben, hatte ich doch eigentlich nichts. Trotz der ganzen Tragik war das doch irgendwo belustigend. Aber so lief es doch mein ganzes Leben lang. Dort, wo ich vermutet hatte meinen schlimmsten Feind zu finden, fand ich jemanden, der genau so litt, wie ich. Und dort, wo ich dachte, eine gute Freundin zu haben… Ich schüttelte den Kopf. Es wäre besser, ich würde es vergessen. Ich atmete tief ein und rang nach Fassung, die ich erfolgreich bewahrte, bevor ich ebenfalls die Treppen hinaufging. Aufbruchsstimmung machte sich in mir breit. Damals hatte ich mich gar nicht so erlebt. Eigentlich hasste ich es, mich zu verabschieden. Ich sah zu meiner Linken. Die Schlafzimmertür stand einen Spalt weit offen. Dann zu meiner Rechten. Gwens Zimmer war geschlossen. Zuerst wollte ich nach Jenna sehen. Es war ihr nicht wohl in letzter Zeit und heute hatte sie nichts gegessen. Bevor ich ging wollte ich zumindest wissen, dass bei ihr alles in Ordnung war, immerhin war sie immer so freundlich und verständnisvoll zu mir gewesen. Mit der üblichen Zurückhaltung ging ich zur Tür. „Komm rein, Mido. Ich hab dich kommen hören.“ Nach kurzem Zögern schob ich mich durch den Spalt, wollte die Tür nicht unbedingt öffnen. Im Schlafzimmer war es etwas schummrig, die Vorhänge waren vor die Fenster gezogen und eine Öllampe erleuchtete gerade einmal die Seite des Betts, auf welcher die zierliche Frau saß. Sie hatte die weiße Tagesdecke über ihren Schoß gezogen und saß aufrecht, blickte mich mit einem nicht ganz eindeutigen Blick an, klopfte neben sich auf das Polster. Ich ging auf sie zu und nahm neben ihr Platz. Sie legte ihre Hand auf meine Schulter. Die Haut war warm, doch trotzdem jagte sie mir einen kalten Schauer über den Rücken und ich senkte den Blick. Es tat mir alles so Leid. Von unten hinauf blickte ich sie an und nahm erst einen Moment später Notiz davon, wie erbärmlich ich wohl aussehen musste. Und dass sie mich das erste Mal nicht anlächelte oder mit sich selbst im Reinen war. Ihre Mundwinkel sanken hinab und sie zog mich an sich heran, umarmte mich fest. Ich legte meine Arme um ihren Körper und vergrub mein Gesicht in ihrem Oberteil. Es war eine Situation, in der Worte unnötig waren. Ob sie sich mit Hubo darüber gestritten hatte, wann ich abreisen musste? Ich wollte keinesfalls einen Keil in die Familie treiben. Das wollte ich vor allem Gwen nicht antun. Sie sollte sich glücklich schätzen, dass sie Eltern hatte. Meine Kehle war wie zugeschnürt und ich bemerkte, dass sich eine Woge von Schmerz in meinem Brustkorb ausbreitete, ich versuchte die Wehmut zu unterdrücken, presste die Lippen aufeinander. Es war der Beginn eines Ticks den ich später viel exzessiver ausleben sollte: Ich biss mir auf die Unterlippe und krallte mich beinahe in ihren Rücken. Dann brach es aus mir heraus. Ich schluchzte auf. Warme Tränen benetzten den Stoff, den sie am Körper trug. Beruhigend streichelte sie mir über den Rücken und löste einen Arm aus der Umarmung, streichelte mir über das Haar. Sie war so eine gute Mutter. Erneut beneidete ich Gwen. Ich würde alles dafür tun, nur um eine Mutter wie Jenna zu haben. Um überhaupt eine Mutter zu haben! „Ich wünschte auch, du könntest bleiben.“, sagte sie leise und löste die Umarmung schließlich ganz, lehnte ihre Stirn an meine und sah mir in die verheulten Augen, nahm meine Hände in ihre. „Glaub mir, das wünschte ich wirklich.“ Ich musste stärker weinen, jaulte auf, japste nach Luft. Nicht nur sie wünschte sich das! „Aber wir kennen dich kaum… Und wir wüssten nicht, ob ein weiteres Kind in unser Budget passt… Geschweige denn, ob du und Gwen harmonieren würdet. Wir hätten nicht einmal ein Zimmer für dich. Und Jungs und Mädchen auf einem Zimmer, das funktioniert nicht.“ Sie löste sich komplett von mir. „Ihr wart immer so gut zu mir.“, murmelte ich gebrochen unter Tränen und fasste wieder nach ihren Händen. „Danke, danke für alles. Ich hab so wenig getan. Und du, du bist so eine gute Mutter. Ich will gar nicht mehr gehen. Ich mag euch alle so gern.“ Es fiel mehr schwer, zu kontrollieren was ich sagte. Aber es war die Wahrheit. Dabei war ich ja eigentlich nicht so sehr der Freund der Wahrheit, vor allem damals nicht, was Link anging. Ich hatte ihm Unrecht getan. Jenna rang nach einem Lächeln, sah mich aus glasigen Augen an und streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken. Zumindest war nun alles gesagt, was gesagt werden musste. Ich beruhigte mich nicht sonderlich schnell, aber schaffte es doch irgendwie, mit dem Weinen aufzuhören. Wir sprachen nicht mehr viel. Ich teilte ihr nur noch mit, dass ich am Folgetag gehen würde. Sie nickte. Danach lagen wir uns noch eine Weile in den Armen, nicht sonderlich lange, aber lange genug, dass ich das Gefühl hatte, stark genug zu sein, um mit Gwen zu reden. Langsam hatte ich mich erhoben, mich verabschiedet und das Zimmer verlassen. Auf dem Weg zur Tür, die nur einige Schritte entfernt war, machte ich mich auf alles gefasst: Schläge, Tritte, Spucken, Schimpfen, Schreien, Haareziehen und andere schmerzhafte Dinge. Zu guter Letzt sah ich vor meinem inneren Auge schon, wie sie mich die Treppe hinunterstoßen würde und schließlich mit einem Tritt in meinen Hintern aus dem Haus befördern wurde. Aber dazu hatte sie das Recht. Ich hielt inne, als ich vor der Tür stand und nahm mich zusammen. Zaghaft legte ich meine Hand an die Klinke, drückte sie hinunter, lehnte mich gegen die Tür. Sie war zugesperrt. Darauf war ich nicht gefasst gewesen. „Bleib weg! Ich will dich nicht sehen!“, hörte ich sie mit wackeliger Stimme schreien. „Du kannst mir gestohlen bleiben! Ich mag dich nicht!“ „Aber… ich will mich doch nur entschuldigen.“ Ich hörte einen Knall an der Tür und vermutete, dass sie einen ihrer Schuhe dagegen geworfen hatte. Gut. Ich glaube, sie wollte mich tatsächlich nicht sehen. „… Kann ich später mit dir reden?“ Eine Antwort bekam ich nicht. Zögerlich schob ich die Hände in die Hosentaschen und senkte den Blick, verweilte noch einige Augenblicke in der Hoffnung, dass sie mir vielleicht nachträglich aufmachen würde. Tat sie aber nicht. Auch sonst traten keine Geräusche aus dem Zimmer oder andere Lebenszeichen. Nun, dann nicht. Auf den Absätzen wandte ich mich ab und ging zum Treppenabsatz. Was tat ich denn nun? Hubo hatte mich nicht nach Hilfe gefragt, Jenna wollte nun wahrscheinlich ihre Ruhe und Gwen hatte mich ausgesperrt. Ich erinnerte mich daran, dass heute der Einkaufstag war. Es war gut möglich, dass Hubo gegangen war und nicht mehr anzufinden war. Vielleicht hatte er auch Parr mitgenommen. Es war sicherlich leichter, mit Satteltaschen einzukaufen. Spontan fiel mir nur noch ein, dass ich mich etwas um die Tiere kümmern könnte, die noch hier waren, damit ich das Gefühl hatte zu etwas nütze zu sein. Ich schlurfte die Treppen hinunter, zog die Schuhe vor der Haustür an und ging hinter das Haus und hörte die Ziegen schon meckern, betrat auch schließlich den Stall. Hubo traf ich nicht an, allerdings war Parr noch hier. Die Tatsache verwirrte mich ein wenig, doch ich tat das, was wir jeden Tag taten. Ich ließ die Ziegen heraus und kümmerte mich dann um den Hengst. Ich öffnete die Tür und sah den Rappen vor mir stehen. Treu sah er mich aus dunklen Augen heraus an, woraufhin ich den Blick erwiderte. Er scharrte mit dem linken vorderen Huf über den Boden – es war der einzige weißgezeichnete Fuß, den er hatte. Hubo hatte mir erklärt, dass es eine Art Bauernweisheit gab, die über die Färbung der Füße sprach und dass ein weißer Fuß davon zeugte, dass das Tier außerordentlich treu war. Ich hoffte, dass er nicht wirklich an so etwas glaubte, aber ich hatte das Gefühl, dass es bei Parr der Wahrheit entsprach. Der Hengst erinnerte mich sehr an seinen Halter. Auch er war unglaublich ruhig und machte einen weisen Eindruck. Meine Hand wanderte in seine lange, weiße Mähne und ich musste lächeln. Ja, wir standen uns gut, auch, wenn wir nur selten miteinander zu tun hatten. Ich holte die Bürste, ging dann zurück zu dem Kaltblüter und wies ihn an, die Kabine zu verlassen. Er tat, wie ich es ihm sagte, denn er war wohlerzogen. So nahm ich die Bürste und begann, dem Tier das Fell zu striegeln. „Dich werde ich auch vermissen.“, meinte ich. Parr schnaubte. Dumm war das Tier immerhin nicht. Ich war mir fast sicher, dass es merkte, dass etwas falsch lief. Alleine schon, weil ich mich alleine um ihn kümmerte. Der Hengst neigte den Kopf und schien mich anzusehen, dann ging er in die Knie, lag aufrecht. Ich erschrak zuerst, und wusste dann, dass ich meine Arbeit so zwar leichter fortsetzen konnte, aber irgendwie gefiel es mir nicht. „Hey! Ich hab nichts von Hinlegen gesagt! Schlafen kannst du nachts.“, beschwerte ich mich. Das Pferd schnaubte erneut und harrte aus. „Na, schön. Wie du willst. Irgendwann leg ich mich auch einfach hin. Dann werden wir sehen, wer hier machen kann, was er will.“ Ich striegelte ihn weiter, bis er unruhig wurde, und sich wieder erhob. Liegen tat er wohl nur ungern, aber wahrscheinlich hatte Hubo ihn so abgerichtet, dass er sich beim Striegeln sofort hinlegte. Na, wem es denn gefiel. „Du bist ein komisches Tier.“ „Du auch.“ Ich zuckte schwer zusammen, fuhr herum. Zuerst hatte ich tatsächlich gedacht, Parr würde mir antworten, doch dann nahm ich im Türrahmen eine Person wahr, mit der ich ohnehin noch reden wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)