Dark Circle von Darklover ================================================================================ Kapitel 32: 32. Kapitel ----------------------- "Hier können Sie sehen, dass der Schatten nicht das Ende der Erzählung an der Wand darstellt, sondern gleichzeitig am Anfang steht." Paige beugte sich weiter über den Tisch, auf dem sehr gut ausgeleuchtete, große Aufnahmen des unterirdischen Raumes in Ägypten verstreut lagen. Es stimmte. Wenn man die Bilder aneinander reihte, ergab sich zwar auf der einen Seite eine Geschichte, wie man sie erwarten würde: kleine, einfach gestaltete Menschen liefen schnell vor dem Schatten davon. Doch der Raum war vollkommen rund gewesen. Daher liefen sie nicht nur davon, sondern gleichzeitig, je weiter sie rannten, auch genau in ihr Verderben. Oder war es das vielleicht gar nicht? Die Frau neben Paige hatte schon fast zu typische, raspelkurze rote Haare, ein Meer von Sommersprossen im Gesicht und trug ein eng geschnittenes moosgrünes Kostüm, das ihre Augen geradezu zum Leuchten brachte. "Gibt es denn einen Hinweis darauf, was die Bilder zu bedeuten haben?" Paige konzentrierte sich sofort darauf die folgenden Worte zu verstehen. Es fiel ihr nicht gerade leicht, auch wenn sich die Doktorin redlich bemühte den breiten Dubliner Akzent für sie abzustellen. "Wir hatten zuerst an eine allgemeine Bedrohung gedacht. Etwas in der Art wie die Babylonier für die Griechen oder die Hunnen für alle westlichen Reiche." Paige nickte. An etwas Derartiges hätte sie auch gedacht. Eine Gefahr, die man als so mächtig erachtete, dass man sie nicht in jedem Detail darstellen konnte oder wollte. "Aber im Fall der Kelten ist eine solche Bedrohung nicht wirklich auszumachen. Sie waren diejenigen, die in fremde Länder gereist sind. Einige mochten sie sogar selbst als Gefahr ansehen." "Wurden sie nicht von den Angelsachsen in gewissen Sinne bedroht, da man sie ihnen ihre mythische Kultur und Religion aberziehen wollten?", fragte Paige neugierig ob ihrer eigenen Idee. Denn vorerst hatte ihr Dr. Brukes ihre eigenen Worte auf einem Silbertablett serviert. "Könnte man ebenfalls annehmen." Das Lächeln der Frau war so breit, dass es selbst dem von Paige Konkurrenz machen konnte. Und das wollte Einiges heißen. "Aber dann kann ich persönlich mir noch nicht erklären, was es bedeutet, dass sie auf die Bedrohung zulaufen." Das war richtig. Zwar ließ sich diese Tatsache ganz leicht damit erklären, dass es einfach kein Entkommen für die Kelten gegeben hatte ... aber warum sollten sie so etwas in einem Raum festhalten, der so etwas wie ein Schloss enthielt. Paige schob ein großes Bild näher zur Tischkante heran und deutete auf den aufgenommenen Altar. "Was ist Ihre Theorie hierzu?" „Ich sagte Ihnen doch schon: Meine Tochter lebt mit ihrem Freund in Australien! Diana ist vor sieben Jahren dorthin ausgewandert. Wie oft wollen Sie es denn noch hören?“ So oft es nötig ist, dachte Ryon finster. Er glaubte dem untersetzten Mann mit dem schütteren Haar vor sich kein einziges Wort, obwohl dieser selbst zu glauben schien, dass Diana Jefferson – einst ein Mitglied von Marlenes Zirkel und seit sieben Jahren spurlos verschwunden – noch immer am Leben war. „Wann haben Sie das letzte Mal mit Ihrer Tochter gesprochen? Haben Sie vielleicht eine Adresse oder Telefonnummer wo ich Sie erreichen kann?“ Obwohl er hier mitten im Regen stand, vor sich hin tröpfelte und alles andere als gut gelaunt war, weil der Mann noch nicht einmal den Anstand hatte, ihn herein zu bitten, sondern Ryon stattdessen auf dem Fußabstreifer verharren ließ, blieb er dennoch ruhig und auf seine Weise charmant. Es hätte nichts gebracht, einen zwielichtigen Auftritt hinzulegen, der seine Chancen auf ein paar Antworten nur deutlich gesenkt hätte. „Wieso wollen Sie das wissen?“, fragte Mr. Jefferson nur knapp zurück, während er sich ein Stück zurück ins Haus zog, um nicht auf der Türschwelle zu erfrieren. Aber weichen würde er auch nicht. Dazu war dieser Mann einfach viel zu stur. Ryon musste härtere Geschütze auffahren. Das hatte er leider auch schon bei den letzten drei Besuchen feststellen müssen, die er gemacht hatte. Aber obwohl er nichts bei dieser Art von Lüge empfand, so stellten sich ihm doch jedes Mal die Nackenhärchen dabei auf und die Kopfschmerzen wurden immer schlimmer. Kein Wunder. Er war nass bis auf die Knochen und das würde sich bei dem strömenden Regen auch nicht so schnell wieder ändern. „Ihre Tochter, Diana, war eine gute Freundin meiner Frau Marlene Larson, über deren Tod ich sie gerne informieren möchte. Es ist mir ein persönliches Anliegen, es den engsten Freunden meiner Frau persönlich mitzuteilen.“ Das Lügen nicht gesund sein konnte, spürte er gerade am eigenen Leib. Es schüttelte ihn regelrecht vor Widerwillen, auch wenn es noch nicht einmal wirklich gelogen war. Marlene war tatsächlich tot, allerdings nicht erst seit Kurzem. Vermutlich hatte sie ihre Freundinnen sogar noch überlebt. Doch das war es nicht, was Ryons Aufmerksamkeit gerade besonders in Anspruch nahm, sondern die Augen von Mr. Jefferson, die bei Erwähnung von Marlenes Namen seltsam reagiert hatten. Genau wie bei den drei anderen Elternteilen, die er hatte ausfindig machen können, schien auch hier irgendetwas in der Person vor ihm vorzugehen, als diese Marlenes Namen hörte. Doch wie auch schon bei den anderen, zeigte sich sonst keinerlei Erkennen in dem Gesicht. Er kannte den Namen vielleicht nur noch vage, aber es war inzwischen so lange her, dass selbst das wohl schon auszuschließen war. So eng, wie Ryon behauptete, waren seine Frau und diese vermissten Frauen nun auch nicht befreundet gewesen. „Nun, wenn das so ist… Haben Sie etwas zu schreiben dabei?“ Mr. Jefferson schien mit einem Mal besänftigt. Obwohl irgendetwas an diesem Mann nicht stimmte, so wie an den anderen Personen vor ihm auch schon, war er doch auch wieder vollkommen normal und reagierte so, wie man es in den meisten Fällen erwarten würde. Ryon spürte förmlich, dass da etwas im Busch war, das er noch immer nicht sehen konnte, aber er kam einfach nicht darauf, was es sein könnte. Zehn Minuten später saß Ryon wieder im Trockenen seines anderen Wagens – ein unauffälliger Audi A5 in schwarz – und war auf dem Weg zurück in den Stützpunkt, wie er das Haus mitten im Wald inzwischen insgeheim nannte. Dort wollte er die ihm übermittelten Adressen und Daten durchgehen und nach ihrer Echtheit prüfen. So seltsam es vielleicht klingen mochte, aber er glaubte von keiner einzigen Adresse, dass sie irgendwohin führen würde als in eine Sackgasse. Sein Handy läutete, also setzte er sich sein Headset auf und hob ab. Eine Weile hörte er der weiblichen Stimme am anderen Ende der Leitung zu, bis er plötzlich abrupt mitten auf der Landstraße abbremste und das Quietschen der Reifen seinen Ohren weh tat. Der Wagen drohte auszubrechen, aber dank der modernen Technik kam er nur etwas aus der Spur, ehe das Fahrzeug mitten auf der Fahrbahn zum Stehen kam. „Ich bin schon auf den Weg.“, antwortete er nach einer kurzen Pause der Fassungslosigkeit und legte auf, noch ehe die Frau nachfragen konnte, weshalb er überhaupt vorhatte deshalb vorbei zu kommen. Ryon wendete den Wagen mit ebenso unsanfter Art, wie er ihn gestoppt hatte und raste mit durchdrehenden Reifen los. Sein Puls so hoch, wie schon lange nicht mehr und mit den heftigsten Kopfschmerzen, die er seit dem Hitzekollaps nicht mehr erlebt hatte. Er musste sich beeilen! Eigentlich war es von Anfang an klar gewesen, dass die Theorien einer menschlichen Doktorin der Archäologie zu kurz reichen würden. Aberglaube, Religion... Das mochte alles richtig sein, aber in einem Maße, das sich Dr. Brukes nicht vorstellen konnte. Würde sie herausfinden, dass sie den Nachmittag und frühen Abend mit einer Halbdämonin verbracht hatte, würde ihr analytischer, wissenschaftlicher Verstand wahrscheinlich einfach abschalten. Oder – noch schlimmer – Interesse an Paige bekommen, das diese ganz sicher nicht befriedigen wollte. Ein Schauer lief Paiges Rückgrad hinunter, als sie seit Paris das erste Mal wieder an die Essenz dachte. In Ägypten hatte sie das 'Stärkungsmittel', wie es ihr Vater zu Anfang genannt hatte, nicht gebraucht. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, denn wenn man es recht bedachte, waren sie dort keiner greifbaren Gefahr begegnet. Auch wenn Ryon das nach seinem Zusammenbruch bestimmt anders sah. Paige dachte ab und zu an ihn. Nicht so häufig, wie sie erwartet hatte und deutlich weniger gefühlsbetont, als es normalerweise ihr Art war. Als er ihr die Kreditkarte mitsamt wichtiger Daten auf den Tisch gelegt und sie somit weggeschickt hatte, war sie seltsam ruhig geworden. Es nützte nichts, sich aufzuregen, sich Hoffnungen zu machen oder auch nur irgendetwas Anderes. Wenn sie länger darüber nachdachte, war es vor allem der krasse Wechsel gewesen, der sie so kalt erwischt hatte. Ryon hatte ihr gesagt, dass er sie als Freund betrachtete, hatte sie umarmt, sogar als sie ihn sehr deutlich und direkt an den Tod seiner Gefährtin und seiner Tochter erinnert hatte. Und dann war er noch kälter geworden, als sie ihn je gesehen hatte. Er hatte vor ihren Augen ihre gerade beginnende Freundschaft zerschlagen, als wäre sie nicht mehr wert als irgendein Teil der Hoteleinrichtung, die er mit seinem Vermögen leicht wieder ersetzen konnte. Aber so war er einfach. Paige hatte nach den Momenten, in denen er auf ihre Hilfe angewiesen gewesen war, angenommen, er würde sich ein wenig öffnen. Sogar so viel, dass Freundschaft nicht nur ein hohles Wort zwischen ihnen sein würde. Sie hatte sich wohl mit ihm gefühlt und hätte sogar damit leben können, dass er seine Gefühle ein klein bisschen zurück zog. Aber völlig... Entschlossen schlang sie ihren Schal fester um ihren Hals und steckte die kalten Hände in die Manteltaschen, bevor sie vom Archäologischen Institut aus in Richtung Innenstadt ging. Bei dem eisigen Wind hätte sie auch ein Taxi nehmen können. Aber nur, weil sie jetzt Ryons Kreditkarte hatte, hieß das nicht, dass sie diese bis zum Limit ausschöpfen würde. Auch wenn ihr das Gefühl echtes Geld in der Tasche zu haben, durchaus gefiel. Deshalb machte sie sich auch nicht direkt auf den Weg zurück in das kleine Hotel, in dem sie untergekommen war, sondern suchte nach ihrem ausgiebigen Spaziergang eins der Pubs auf, die sich die Haupt- und Nebenstraßen entlang zogen. Als sie in das Kellergewölbe hinunter stieg, schlug ihr Wärme, der Duft von Holz und fröhliches Stimmengewirr entgegen. Sofort hoben sich Paiges Mundwinkel und sie zog begeistert ihren Mantel und Schal aus, als sich ein Gastraum mit Holzbänken, üppig dekorierten Wänden und einer Bar vor ihr öffnete. Genau das, was sie brauchte. Gesellschaft. Eine Stunde später saß sie mit Ian, Garry und Rebecca an einem kleinen Ecktisch und konnte sich vor Lachen kaum auf dem wackeligen Holzstuhl halten. „Nein, ehrlich. Wärst du nicht so nett, würde ich dich wegen deines Akzents für den totalen Snob halten.“ Paige nahm einen großen Schluck Guinness und grinste Rebecca herausfordernd an, die ihr dieses halbe Kompliment an den Kopf geworfen hatte. „Na, immerhin versteht mich der Großteil der Menschheit.“ Sie hoben die Gläser und prosteten sich mit einem Lachen zu. Es war nicht der erste Witz gewesen und würde in dieser Nacht nicht der Letzte sein. Auch wenn Paiges Stimme schon leicht rau war, weil sie über die laute Musik und den immer wieder einsetzenden Gesang hinweg rufen musste, um sich zu unterhalten. Garry lehnte sich genau in dem Moment zu ihr hinüber, als ein neues Lied angestimmt wurde. Etwas Fröhliches, das viele dazu nutzten, sich zwischen den Tischen und Stühlen in dem engen Raum eine noch engere Tanzfläche zu schaffen und sich zumindest im Takt zu bewegen – auch wenn man es bei Einigen, deren Nasen bereits vom Alkohol rot leuchteten, nicht mehr recht tanzen nennen konnte. „Schenkst du mir einen Tanz, Mylady?“, meinte der Schwarzhaarige mit den großen blauen Augen, die Paige wie ein Hundewelpe anflehten. „Awww, aber klar, Kleiner.“ Ob er nun sie, oder sie ihn auf die Tanzfläche zog, konnte Paige danach nicht mehr sagen. Auf jeden Fall merkte auch sie sofort das Bier, das sich beim Herumwirbeln bloß noch schneller in ihrem Blut verteilte und sie ein wenig unsicher auf den Beinen machte. Und ihren Verstand endlich ein wenig von den Sorgen um die Hexen, das Amulett und diesen eigensinnigen Gestaltwandler befreite. Die Runde ging über drei Tänze und Paige merkte erst beim Zweiten, dass sie nicht nur mitsang, sondern Garry sich unnötig fest an sie klammerte. Solange er seine Hände nirgendwo hinbewegte, wo sie selbst sie nicht haben wollte, störte sie das nicht. Er war nicht aufdringlich und wenn sie ihn sich so ansah ... auch nicht hässlich. Paige war noch lange nicht so betrunken, dass ihr entging, worauf das hier hinauslaufen konnte, wenn sie es denn wollte. Aber noch war der Abend nicht zu Ende und sie wollte sich keine Gedanken darüber machen, ob sie nun knutschend im Pubeingang oder eben wo anders landen würde. Bloß an eins versuchte sie mit aller Gewalt, die sie aufbringen konnte, nicht zu denken. Um genauer zu sein – an jemanden. „Und du willst sicher nur ein paar Tage hier bleiben? Ich meine, sieh es dir an, Dublin muss man in allen Einzelheiten erleben!“ Der Ire hatte sich mit hoch erhobenen Armen um die eigene Achse gedreht, um Paige mit einer großen Geste zu zeigen, was er meinte. Und sie konnte ihm mit einem kleinen, beschwipsten Kichern eigentlich nur zustimmen. Die Stadt und auch die Leute gefielen ihr. So herzlich war sie selten aufgenommen worden, auch wenn Paige normalerweise keine Probleme hatte, irgendwo Anschluss zu finden. Wieder legte Garry seinen Arm um ihre Schultern, was Paiges Meinung nach das manövrieren ihrer schwankenden Schritte nicht unbedingt einfacher machte. Andererseits... ihr war kalt, er war nett, gutaussehend und charmant... Noch blieben alle Optionen offen. Der Spaziergang zu ihrem Hotel dauerte nur deswegen so lange, weil sie immer wieder stehen bleiben mussten. Entweder, weil sie mit großen Gesten miteinander sprachen, sich totlachten oder beides. Paige hatte das Gefühl, so würde sie in dieser Nacht niemals nach Hause kommen. Und es war ihr egal. Es tat so verdammt gut, ein wenig ausgelassen zu sein. Ihre Aufgabe und alles, was damit zusammen hing, würde sie schnell genug wieder finden. Deshalb war sie auch fast enttäuscht, als sie eine halbe Ewigkeit später doch den Eingang zu dem kleinen Drei-Sterne-Hotel fanden und dort vor der Tür stehen blieben. Garrys Lächeln war klein, verschmitzt und abwartend. Paige hatte das Gefühl diesbezüglich in einen Spiegel zu sehen. Was die Sache noch schwerer machte, war die Tatsache, dass er sich nicht aufdrängte. Er überließ ihr die Entscheidung darüber, was noch passieren würde. Sein Daumen streichelte über ihren Handrücken, während sie sich eine Weile schweigend in die Augen sahen und sich anlächelten. Paige war so hin und her gerissen, dass sie am liebsten gesagt hätte, er solle tun, was er wollte. Dabei war sonnenklar, warum er sie bis zum Hotel begleitet hatte und nun immer noch wie festgewurzelt hier stand, obwohl ihnen beiden der kalte Wind um die Ohren pfiff. An der Strecke, für die er normalerweise fast eine dreiviertel Stunde gebraucht hätte, die er nun aber in weniger als zwanzig Minuten hinter sich gebracht hatte, konnte man seine Fahrgeschwindigkeit ausrechnen. Aber selbst das war nicht schnell genug gewesen, als er die Nachricht aus dem Waisenhaus gehört hatte. Mit dem Gedanken, dass jemand mit dem Namen Alice Wood die kleine Mia adoptiert hatte, rammte er förmlich die Flügeltüren zu dem schon leicht renovierungsbedürftigem Gebäude und scherte sich einen Dreck um den Aufseher am Eingang, der sich bei seinem Anblick ohnehin wieder entspannte. Selbst wenn Ryon ein paar Flügel und Hörner gewachsen wären, wäre es Jimmy egal gewesen. Der alte Kriegsveteran hatte hautnah miterlebt, was er alles für das Waisenhaus getan hatte. Wenn es sein müsste, würde er sogar für Ryon eine Kugel abfangen, nur um dafür zu sorgen, dass ihnen ihr größter Gönner auch weiterhin erhalten blieb. Amelia wartete bereits mit hochgezogener Augenbraue an der zerkratzten Bürotür mit einer Tasse. Ohne ein Wort drückte sie ihm den Becher in die Hand und machte eine einladende Geste ins Büro hinein. „Bevor du hier einen Kopfstand aufführst, komm erst einmal herein. Du hast mich am Telefon nicht einmal richtig ausreden lassen.“ In der Stimme der blonden Frau lag so etwas wie eine Mischung aus leichtem Vorwurf und zugleich Verständnis. Sie wusste natürlich wie viel Ryon an Mia lag und das beruhte garantiert auch auf Gegenseitigkeit. Dass sie jetzt adoptiert worden war, war für keinen der beteiligten eine leichte Angelegenheit. Doch was Amelia nicht wissen konnte, war das Grauen, das Ryon dabei empfand. Er zitterte wie Espenlaub und das garantiert nicht wegen der Kälte oder der rasenden Kopfschmerzen. Gefühlsmäßig mochte er nicht einmal so etwas wie ein schwaches Bedauern über die Nachricht empfinden, aber sein ganzer Leib war der reinste Ausdruck für seine fehlenden Gefühle. Wenn Ryon nicht so mit Adrenalin vollgepumpt gewesen wäre, er hätte vermutlich ein Nickerchen auf dem Boden gehalten. Immerhin versuchte er noch immer zu verstehen, was er da gehört hatte. Da ihn seine Beine ohnehin nicht mehr zuverlässig tragen konnte, setzte er sich auf den ausrangierten Stuhl dem Schreibtisch gegenüber und hielt mit zittrigen Fingern die Tasse umklammert, ohne allerdings davon zu trinken. Amelia setzte sich ebenfalls in den Bürosessel, nachdem sie die Tür geschlossen hatte und betrachtete ihn eine ganze Weile nur schweigend. „Ich weiß nicht, was mich mehr erschreckt. Deine äußere Erscheinung oder deine Reaktion. Eigentlich hätte ich gedacht, du würdest dich freuen, dass die kleine Mia endlich ein Zuhause und richtige Eltern bekommt. Außerdem müsstest du doch wissen, dass ich mir jedes Heim der Kinder gründlich ansehe, bevor ich sie tatsächlich an Eltern vermittle. Ich versichere dir, Alice Wood ist eine unglaublich gutherzige Frau mit einem ebenso freundlichen Mann und das Haus der beiden kann es locker mit denen aus Hochglanzmagazinen aufnehmen. Hast du denn wirklich kein Vertrauen mehr in mein Urteilsvermögen?“ Ryon starrte Löcher in seinen Kaffee. Seine Gedanken überschlugen sich so dermaßen in seinem Kopf, dass er keinen richtig fassen konnte. Doch je häufiger er den Namen Alice Wood hörte, je schlimmer wurde das Hämmern in seinem Schädel. Fakt war, die Alice Wood, die in einer romantischen Kleinstadt außerhalb Londons gelebt hatte und einmal die beste Freundin von Marlene gewesen war, ehe man sie brutal in ihrer Wohnung ermordet hatte, schien gestern Mittag offenbar die kleine zweijährige Mia Stone adoptiert zu haben. Natürlich gab es da immer noch die Möglichkeit, dass die Übereinstimmung der Namen immer noch purer Zufall sein könnte, aber nach allem was passiert war, glaubte Ryon einfach nicht mehr an Zufälle. Allerdings glaubte er nur zu stark daran, dass diese verdammte Hexe ihre Finger überall im Spiel hatte. „Den Mann von Alice Wood… Kannst du ihn mir beschreiben?“ Wie absurd sich diese Frage anhörte, war ihm natürlich deutlich bewusst, aber er konnte sich jetzt auf keine gepflegte Konversation konzentrieren. Nicht, wenn Mia inzwischen schon tot sein könnte und wieder einmal würde es seine Schuld sein! Amelia starrte ihn verwirrt an, sah aber offenbar ein, dass Ryon im Moment nicht in der Stimmung war, all ihre Fragen zu beantworten, die ihr so augenscheinlich auf der Zunge lagen. „Hmmm… Ich muss zugeben, er sah ein bisschen ungewöhnlich aus. Ungewöhnlich gutaussehend, mit sehr viel Schmuck für einen Mann… Oh und ich war sogar schon versucht, ihn zu fragen, welches Aftershave er benutzt. Der Mann duftete einfach göttlich! Schade, dass ich dann doch nicht dazu gekommen bin. Als Weihnachtsgeschenk für meinen Freund wäre das sicher gut angekommen.“ Amelia zuckte gelassen mit den Schultern, während Ryons Magen zu Eis gefror, da er sich in seiner Vermutung bestätigt fühlte. - Der Magier! So langsam wie möglich, um nichts zu verschütten, stellte Ryon die Kaffeetasse auf den Tisch ab und lehnte sich nach vor, um Amelia tief und beschwörend in die Augen sehen zu können. „Ich will sämtliche Unterlagen haben, die dir vorliegen. Alle, verstehst du!?“ Seine Stimme war ruhig, unnatürlich gelassen, genauso wie seine Gesichtszüge, aber das alles täuschte nur über die Panik hinweg, die in seinem Körper wütete. „Ryon, du weißt, dass die Daten streng vertraulich sind. Ich darf sie dir nicht zeigen.“ Mit einem traurigen Gesichtsausdruck begann Amelia an ihrer Unterlippe zu nagen, während sie offenbar mit sich selbst rang. Aber sie hatte hier große Verantwortung und das konnte sie nicht so leicht bei Seite legen. Auch nicht für ihn. Mit aller Gewalt zwang er sich dazu, ruhig zu bleiben, nicht aufzuspringen und eigenhändig nach den Unterlagen zu suchen. Stattdessen blickte er der blonden Frau noch tiefer in die Augen. „Amelia, bitte. Ich vertraue natürlich deinem Urteilsvermögen, aber ist es mir nicht einmal vergönnt, mich noch einmal von ihr zu verabschieden? Willst du mir auch das verwehren?“ Sie wich seinem Blick aus. Schluckte hart und verschlang willkürlich ihre Finger miteinander. Einen Moment lang sah es so aus, als würde sie standhaft bleiben, bis sie schließlich seufzte. „Nein. Du hast natürlich recht. Vielleicht ist es auch besser so, damit du sehen kannst, dass es ihr gut geht. Du hättest Mia sehen sollen, sie hat sofort Zutrauen zu den beiden gewonnen. Hat nicht einmal geweint, als sie sich von den anderen Kindern verabschieden musste. Ganz im Gegenteil, so zufrieden hab ich sie bisher immer nur mit dir gesehen. Ich dachte, besser hätte sie es nicht treffen können. Außerdem…“ Amelia sah wieder hoch, Tränen in den Augen, da ihr das Ganze offenbar näher ging, als Ryon bisher gedacht hatte. „Darum habe ich dich auch angerufen. Ich hätte es nicht übers Herz gebracht, dir nächstes Mal, wenn wir in den Park gegangen wären, zu erklären, weshalb Mia nicht mehr dabei ist. Ich wollte dir so früh wie möglich Bescheid geben. Das fand ich nur richtig.“ Verstohlen wischte sie sich übers Gesicht, ehe sie in geschäftiges Kramen verfiel, offenbar auf der Suche nach den Unterlagen. Obwohl es nicht lange dauerte, schien es für Ryon eine Ewigkeit zu sein, die sie brauchte, um den Ordner mit Mias Unterlagen zu finden. Währenddessen hatte er die Gelegenheit, darüber nachzudenken, weshalb Mia sich so anders verhalten hatte. Kein Wunder, wenn der Magier in der Nähe war, dann war kein weibliches Wesen vor diesem Gestank sicher. Vermutlich hatte er sogar Amelia geblendet, um zu erreichen, dass die Adoption so schnell abgewickelt wurde. Denn normalerweise dauerte das wesentlich länger. Aber das hatte sie noch nicht einmal mit einem Wort erwähnt. Vermutlich, weil sie sich daran gar nicht in dieser Weise erinnern sollte. „Hab sie!“, verkündete die Blondine triumphierend, zog einen Notizzettel hervor und begann für ihn alles nötige nieder zu schreiben. Inzwischen saß er bereits wie auf Kohlen, weshalb er ihr den Zettel sogar beinahe aus der Hand riss, als Amelia ihn ihm gab. „Danke, Amelia. Das ist mir eine große Hilfe.“ Er sprang fast von seinem Stuhl auf und war auch schon bei der Tür, ehe sich die Frau überhaupt von ihrem Sessel erheben konnte. „Ich werde gleich bei ihr vorbei schauen und sehen wie es ihr geht. Ich lass von mir hören. Bis dann.“ Auf Amelias verdutztes ‚Okay‘ reagierte er gar nicht mehr, sondern war auch schon mit wenigen Sätzen aus dem Gebäude und in seinem Wagen. Mit wenigen Fingergriffen hatte er die Adresse auch schon in sein Navigationssystem eingegeben und raste auch schon davon. Dabei ließ er keinen einzigen Gedanken mehr zu, außer den einen, diese Adresse so schnell wie möglich zu erreichen. Er wollte sich nicht ausmalen, was er vorfinden würde. Paige wachte mit einem dröhnenden Schädel zu einer Uhrzeit auf, zu der es draußen noch stockdunkel war. Der Raum schien sich unter ihr in eine andere Richtung zu drehen, als es das Bett tat und ihr wurde schlecht. Die Decke, die schwer wie Blei auf ihr lag, zur Seite zu schlagen und auf ihre Füße zu kommen, bedurfte aller Kraft die sie aufbringen konnte. Da war die Reise bis zum Badezimmer, wo sie Kopfschmerztabletten vermutete – nein, herbeisehnte – eine echte Herausforderung. Aber das Ergebnis lockte und ohne das Mittel würde sie ohnehin nicht mehr einschlafen können oder die Nacht im schlimmsten Fall auf den Fliesen vor der Kloschüssel verbringen. Es würde ihr nach den vielen Guinness zwar recht geschehen, aber wenn es sich verhindern ließ, dann wollte sie dafür alles tun. Sie kämpfte sich hoch, versuchte den Nachttisch nicht zu rammen oder über den Stuhl zu fallen, auf und neben dem ihre Klamotten gelandet waren und schaffte es mit Zwischenstation am Türrahmen unfallfrei bis zum Bad. Dort prallte sie allerdings fast wieder zurück, als sie das Licht anknipste und es ihr so stark in den Augen brannte, als hätte sie sich Alkohol direkt hinein geschüttet. Mit leicht zittrigen Fingern wühlte sie in dem Spiegelschränkchen und fand schließlich eine Doppelpackung Aspirin, die sie mit einem erleichterten Seufzer aufriss und sich eine von den Tabletten genehmigte. Natürlich ließ der Schmerz nicht so schnell nach, wie sie es gern gehabt hätte, aber immerhin schaffte sie es die Augen offen zu halten und noch ein paar Schlucke Wasser zu trinken, während sie auf das Einsetzen der Wirkung wartete. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihr zerzauste dunkle Haare, dunkle Schlieren, die das Augenmakeup unter ihren Wimpern hinterlassen hatte und blasse Haut. Mehr als ein deutliches Zeichen dafür, dass sie ihren Wecker ausschalten und am nächsten Morgen ausschlafen sollte. So leise wie möglich ging sie ins Zimmer zurück und ließ das Licht im Bad einfach brennen. So konnte sie ohne Probleme den Weg zum Bett wieder finden und sobald sie in der Waagrechten war und die Decke um sich geschlungen hatte, war ihr sowieso alles egal. Der Schlaf legte sich wie eine warme, weiche Wolke um Paiges Körper, während sich ihre Lippen zu einem kleinen Lächeln kräuselten. Erst gegen Mittag war sie innerlich bereits aufzustehen und duschen zu gehen. Wäre da nicht der Termin mit Dr. Brukes gewesen, sie hätte wahrscheinlich auch das sein lassen und den ganzen Tag im Bett verbracht. Das erste Mal, seit sie in diesem ganzen Schlamassel ein wenig zur Ruhe kommen konnte, vermisste sie Ai so sehr, dass sie sogar hätte in dieses Haus zurück gehen wollen. Paige liebte es nach einer langen Schicht im Fass aufzuwachen und mit Ai einfach noch über einer Tasse Tee im Bett zu sitzen und sich zu unterhalten. Im Moment hätte sie auch eine Menge zu erzählen gehabt. Verträumt strich sie sich mit dem Zeigefinger über die leicht lächelnden Lippen. Es war nur ein Abschiedskuss gewesen. Völlig harmlos und nebensächlich. Und trotzdem hatte es gut getan. Es war ein schöner Abend gewesen, sie hatte sich amüsiert und endlich einmal wieder von ganzem Herzen gelacht und gescherzt. Mit einem Kuss von einem netten Iren hätte sie nicht gerechnet und sie hatte es auch nicht darauf angelegt. Aber leid tat es ihr auch nicht. Immerhin war da niemand, der etwas dagegen haben könnte. Je weiter er fuhr, umso größer war das Misstrauen seinem Navi gegenüber. Entweder stimmte etwas mit der Adresse, der Technik oder seiner Fähigkeit den Angaben zu folgen, nicht, oder die Lage sah düsterer aus, als bisher angenommen. Obwohl das kaum noch zu glauben war. Als der Wagen schließlich zum Stehen kam, regnete es inzwischen so heftig, dass man das verlassene Bürogebäude und die Lager- und Industriehallen nur noch als düsteren Schatten erkennen konnte. Ryon beugte sich leicht vor, um durch die Windschutzscheibe in das Unwetter hinaus zu blicken. Sein Navi gab an, dass er sein Ziel erreicht hatte. „Noch nicht.“, murmelte er unheilverkündend. Aber wenn sie Mia auch nur ein Haar gekrümmt hatten, dann würde er dafür sorgen, dass er es erreichte. Wut war nicht umsonst ein äußerst interessantes Gefühl. Es wirkte sich so stark körperlich aus, dass man erst mitbekam, wie stark, wenn man es anders gar nicht mehr realisieren konnte. Jeder Muskel in Ryons Leib bebte voller Anspannung und Energie. Das Hämmern in seinem Kopf machte alles nur noch einfacher. Es schien ihn aufzustacheln, wie es seine eigenen Gedanken nicht besser vermocht hätten. Ohne noch weitere kostbare Sekunden zu verschwenden, stieg Ryon aus den Wagen und marschierte schnurgerade auf die Betonruine zu, die einst wohl einmal ein belebtes Office gewesen war, inzwischen aber nur noch ein Bild der Verwüstung darstellte. In den obersten Stockwerken schien es einmal gebrannt zu haben, was man anhand der dunklen Schatten um die glaslosen Fenster erraten könnte. Kein Ort für ein zweijähriges Mädchen… Seine Fingerknöchel knackten, als er seine Hände zu Fäusten ballte. Der Regen klatschte ihm seine Haare ins Gesicht, ließ es eiskalt seinen Rücken hinab laufen, bis sich das Wasser sogar in seinen Stiefeln sammelte. Jeder seiner Schritte ging im Prasseln der Wassermassen unter und verstärkte den Eindruck dieser verlassenen Gegend nur noch mehr. Nirgends brannte Licht oder war eine Menschenseele zu sehen. Alles war wie ausgestorben. Fast schon hoffte Ryon hier falsch zu sein, aber wie um seine klägliche Hoffnung zu verhöhnen, stieß seine Schuhspitze gegen etwas Weiches. Als er nach unten sah, erkannte er pinkes Fell, lange Schlappohren, schwarze Knopfaugen und herausquellende Eingeweide in Form von aufgeweichter Watte. Seine Kiefer krachten aufeinander, als er tief die Luft einsog und sie ruckartig wieder ausstieß. Ryon begann zu Laufen. Die ohnehin schon schief in den Angeln hängende Eingangstür wurde so hart aufgetreten, dass sie an die Wand krachte. Das Holz zerbarst unter der Gewalteinwirkung und landete in einem Häufchen aus Holzgerippe und gutem Brennmaterial auf dem schmutzigen, mit Glassplittern übersäten Linoleumboden. Mit hämmernden Schritten stieg er einfach darüber hinweg. Sein Blick schweifte in die vorüber ziehenden und leer stehenden Räume. Sobald eine Tür ihm die Sicht verhinderte, wurde mit dieser nicht anders verfahren, als der am Eingang. Doch im Erdgeschoss war nichts und niemand. Auch der erste und zweite Stock brachten nur ausrangierte Büromöbel, Kistenweise leerer Bierflaschen, unzählige aufgerauchter Zigarettenpackungen und Spritzen zum Vorschein. Keine Hexe. Kein kleines Mädchen. Als Ryon sich gerade zu dem ausgebrannten Stockwerken hoch arbeiten wollte, stieß er auf einen weiteren Hinweis. Die schwere Tür zum Treppenhaus stand leicht offen und dahinter, im Schatten verborgen lag ein kleiner geblümter Kinderschuh. Ryon war auf der richtigen Spur, obwohl sich alles in seinem Innersten dagegen wehren wollte, diese Tatsache auch zu akzeptieren. Doch er verlor keine Zeit, stieß auch diese Tür auf und lief die rußgeschwärzten Treppen hoch. Der Gestank von verbranntem Stein, Asche und Kohle lag in der Luft, doch auch ganz leicht der Duft von Blumen, Kräutern und … etwas Süßlichem. Mia! Wenn er an Mias Haar schnupperte, erinnerte ihn das stets an heißes Karamell. Seine Schritte beschleunigten sich, als er ihren Geruch deutlich erkannte. Sie war ganz nahe. Im nächsten Stock riss er die schwere Feuertür so heftig auf, dass es ihm einen schmerzhaften Stich in der Schulter verpasste. Als er hindurch trat, blieb er wie angewurzelt stehen. Im großen Raum ihm gegenüber stand eine große schlanke Frau, die so große Ähnlichkeit mit dem Magier hatte, dass sie eigentlich tatsächlich nur seine Schwester sein konnte. Denn weder hatte der Kerl so alt ausgesehen, um ihr Vater sein zu können, noch war diese Frau im angemessenen Alter um seine Mutter darstellen zu können. Sie war vielleicht sogar noch jünger als Paige. „Ich habe bereits auf dich gewartet, Ryon.“ Sie hatte eine Stimme so geschmeidig und fließend, wie die dunklen Gewänder die sie am Leib trug. Äußerst charismatisch, sympathisch und so vertrauenswürdig, dass es einem bis ins Mark und Bein ging. „Komm doch näher, damit ich dich besser betrachten kann.“ Sie lächelte honigsüß und schien dabei noch mehr dieses blumigen Dufts zu verströmen, der sich auf seine klatschnasse Haut wie warmer Sommerregen legte. Ryon trat durch die offen stehende Tür direkt auf die Frau zu, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Mhmm…“, schnurrte sie genüsslich. „Ich habe schon gehört, dass du ein stattliches Exemplar deiner Spezies sein sollst. Wie gut, dass mich meine Interessen direkt zu dir geführt haben. Das dürfte ausnahmsweise vielleicht sogar einmal Spaß machen.“ Die Hexe, denn als nichts anderes konnte man sie bezeichnen, lächelte kokett, während sie sich ihr langes Haar nach hinten warf, was erneut eine Duftwelle durch den Raum fluten ließ. „Wo ist das Mädchen?“ Ryon ließ sich nicht von seinem Ziel abbringen. Erst recht nicht, da er sich seltsam leicht zu entspannen begann. Seine Fäuste lösten sich, seine Muskeln begannen sich zu lockern und er nahm eine bequemere Haltung ein, die seine Deckung zunichtemachte. „Nebenan und schläft friedlich. Also lass dich bitte nicht davon abhalten, dein Hemd zu öffnen. Ich will sehen, was sich darunter verbirgt.“ Einen gefühlt langen Moment starrte er regungslos in diese unergründlichen Augen. Inzwischen war der Gestank nach Verbranntem vollkommen verschwunden. Überdeckt von dem aromatischen Düften dieser Frau mit dem lieblichen Lächeln, die geduldig darauf wartete, dass er ihrer Aufforderung nach kam. Er hob die Hände und begann sein Hemd aufzuknöpfen, um ihren Wünschen nachzukommen. Beschwingt lief sie durch die Straßen, die sie auch in der vergangenen Nacht entlang gegangen war. Immer wieder fehlten ihr gedanklich Fetzen des Weges. Aber das wurde durch andere Bilder ausgeglichen. Immer wieder musste sie breit lächeln oder sogar grinsen, wenn sie an die Unterhaltung mit Garry und einige Scherze dachte. Schon immer hatte Paige es seltsam gefunden, dass ihre Seiten sich auf ihre jeweilige Umgebung einstellten. Gestern hatte sie nicht ein einziges Mal daran gedacht, dass sie eine Feuerdämonin war. Die ganze Zeit über war es nicht wichtig gewesen, dass sie sich von Garry, einem ganz normalen Menschen sehr deutlich unterschied. In einer fast unsicheren Geste klappte Paige den Kragen ihres Mantels hoch und ließ die Hände kurz an ihrem Kinn, während sie sich vorstellte, wann es garantiert zu Fragen gekommen wäre. In gewissen Situationen konnte kein Dämon oder irgendeine andere nicht-menschliche Person ihr Wesen zurück halten. Jetzt biss sie sich grinsend auf die Unterlippe und sah Garrys blaue Augen bildlich vor sich. Sie hätten sich bestimmt geweitet... Vor Schreck zuerst... Mit einem Kopfschütteln vertrieb Paige die Gedanken. Sie hatte es nicht so weit kommen lassen. Dass er süß gewesen war und ihr ein wenig nachhing, war nicht zu leugnen. Aber es wäre nicht fair gewesen. Ihre Schritte knirschten auf dem Bürgersteig, als sie langsam weiter ging und sich Gedanken darüber machte, warum sie nicht gesagt hatte. Seine Wärme hatte nach Getreide geschmeckt, ein wenig süß und nach Zimt. Mit ihrer dämonischen Seite hätte sie davon noch mehr aufnehmen können. Sie schmeckte Männer, die ihr so nah kamen sehr gern. Jeder hinterließ einen anderen Eindruck. Ihre Schritte verlangsamten sich nur unmerklich, als Paige in den trüben Himmel mit den tief hängenden Regenwolken hinauf sah. Nur bei den wenigsten Männern hinterließ deren Körperwärme einen Eindruck von Substanz auf Paiges Zunge. Körnig und schmelzend, kurz bevor man die Blüte des Geschmacks richtig erhaschen konnte... Entschlossen zog sie das Handy aus der Tasche und war schon im Nachrichtenmenü, bevor sie innehielt. Was sollte sie denn schreiben? 'Wie geht es dir?' Mit einem schweren Seufzen stellte Paige fest, dass sie nichts schreiben konnte, das ihr eine sichere Antwort garantiert hätte. Er hatte sie bestimmt schon vergessen. Der Schmerz in seinem Kopf war zunächst mehr und mehr schwächer geworden, verblasste zusehends, bis er mit einem Mal ganz verschwunden war. Dafür prickelte seine Haut heiß und es war ihm, als könne er jeden Wassertropfen einzeln auf seinem Körper spüren. Während er langsam einen Knopf nach dem anderen öffnete und sein Hemd immer mehr Teile seines Oberkörpers freigab, blieben seine Augen starr auf das fein geschnittene Gesicht der Hexe gerichtet. Sie hingegen sah ihn mit unverhohlener Offenheit an. Ließ ihre Augen über die Konturen seiner Haut gleiten, als wolle sie ihn selbst von dieser Entfernung streicheln. Doch beim Anblick des Amuletts über seinem Brustbein sog sie erschaudernd die Luft ein. „Wunderschön.“, hauchte sie in erhabenem Tonfall, ehe sie mit ausgestreckter Hand näher trat, um nach dem Schmuckstück zu greifen. Doch obwohl sie mit einem Selbstbewusstsein an ihn heran getreten war, das zeigte, wie deutlich sie sich ihrer Macht über ihn bewusst sein musste, wagte sie es dennoch nicht, das Schmuckstück zu berühren. Stattdessen blickte sie mit einem zufriedenen Lächeln zu ihm auf. „Ich kann verstehen, warum sie dich lebend haben will. Keiner der die Macht dieses Amuletts spüren kann, würde es unterschätzen. Kleinen verdorbenen Mädchen wie ich eines bin, würde dieses Schmuckstück gar nicht gut bekommen. Dir hingegen scheint es ganz und gar nicht zu schaden. Du siehst…“ Ihre Augen schweiften kurz über seine gut ausdefinierten Bauchmuskeln, ehe sie weiter sprach. „…kern gesund aus. Aber ich denke, das trifft auf die meisten Wandler zu. Wie ich hörte, läufst du mit den Tigern. Ich persönlich fand Raubkatzen immer schon sehr anziehend. Sie sind so wild und stolz. Ungezähmt und unberechenbar. Aber vor allem sind männliche Raubkatzen dominant…“ Die Finger, die nicht gewagt hatten, das Amulett zu berühren, schienen offenbar kein Problem damit zu haben, etwas aus seiner Sich betrachtet, weitaus gefährlicheres zu tun. Ihre kühlen Fingerspitzen berührten seine brennend heiße Haut direkt unterhalb des Schmuckstücks und fuhren die natürliche Linie zwischen seinen Muskelsträngen nach in Richtung seines Bauchnabels. Seinem Körper gefiel diese Berührung offenbar, was sich an seinen härter werdenden Brustwarzen nur zu deutlich abzeichnete. Mit einem wissenden Lächeln realisierte auch die Hexe diesen Umstand. „Sag mir, die Dominanz der Raubkatzen trifft nicht zufälligerweise auch auf deine menschliche Seite zu? Ich muss gestehen, ich kann Waschlappen nicht ausstehen. Du hingegen siehst ganz und gar unartig aus, auch wenn du ein gutes Herz hast. Aber das würde uns wohl kaum im Weg stehen, oder?“ Da sie ohnehin keine Antwort auf ihre Worte zu erwarten schien, zumindest keine verbale, blieb er stumm, aber ganz und gar nicht teilnahmslos. Seine Gesichtszüge waren unbewegt, wie immer, selbst als ihre Finger die Grenze seines Bauchnabels bereits weit überschritten hatten. Doch sein hämmernder Puls ließ sich nicht leugnen. Ebenso wenig, wie die aufflammende, regelrecht aggressive Hitze in seinem Leib, die durch diese zierlichen Frauenhände nur noch geschürt wurde. Ryons Muskeln begannen vor gespannter Erwartung und Erregung zu zittern, als sich die Hand der Hexe genau auf jene Stelle legte, die ihn am Meisten verriet. Ihre Augen weiteten sich leicht ungläubig und zugleich verzückt, ehe sie ihm tief in die seinen sah und ihr Duft so stark zu nahm, dass er ihn intensiv auf der Zunge schmecken konnte. Egal wie oft er schluckte. „Ich denke, ich lag mit meiner Entscheidung richtig, meine Meisterin erst später darüber zu informieren, dass ich dich gefangen habe. Wie mir scheint, hätte sie uns sonst noch unnötig gestört.“ „Du bist allein?“, fragte er mit samtig weicher Stimme, der ihren Tonfall zu imitieren schien. Allerdings kam er bei seinem Bariton wesentlich besser zur Geltung. Die Hexe nickte, während sie ihm das Hemd, zusammen mit seinem Mantel von den Schultern streifte, so dass beides zu Boden fiel. „Oh ja. Mein Bruder wollte mir zwar davon abraten, da er meinte, ich könne nicht mit dir fertig werden. Aber was weiß er schon. Er ist ein Mann und wird somit immer die Waffen einer Frau unterschätzen. Immerhin war die List mit der Adoption ziemlich raffiniert, findest du nicht? Ich wusste, dass das kleine Mädchen aus dem Park dich zuverlässig in meine Hände locken wird. Und somit auch das Amulett.“ Ihre Finger strichen über die silberne Kette um seinen Hals, an der das heiß begehrte Schmuckstück hing. Offenbar suchte sie so etwas wie einen Verschluss, denn optisch betrachtet, wäre das die einzige Möglichkeit, wie man es ihm abnehmen konnte. Denn sein Kopf war zu groß, um es ihm einfach darüber ziehen zu können. Wie gesagt, optisch betrachtet. Die Realität sah anders aus. „Ich spüre, dass auch auf der Kette ein Zauber liegt. Wie interessant.“, meinte sie mit sachlichem Interesse, ehe sie wieder zu dem honigsüßen Tonfall zurückkehrte. „Nimm sie ab. Ich will nicht, dass sie uns bei etwas stört.“ Wieder hob er die Hände an. Zum Erstaunen der Hexe ging es ganz einfach, die Kette über seinen Kopf zu streifen und sie samt dem Amulett auf den Kleiderhaufen zu werfen, der zu seinen Füßen lag. Als wäre die Kette lediglich ein Gummiband und nicht aus einem festen, nicht dehnbaren Material. Der Zauber war nicht nur interessant, sondern auch raffiniert. „Einmal von den offensichtlichen Dingen abgesehen, Hexe. Was bringt es dir, mit mir ‚fertig‘ zu werden? Geld?“, wollte er weiter wissen, während er seine eigenen Hände auf die Taille der Hexe legte und dort ihren Körper hoch streichelte, wobei er jede ihrer Konturen unter dem dünnen Stoff ihrer Kleidung ertasten konnte. „Sianna. Nenn mich bitte nicht Hexe. Da komme ich mir so alt und buckelig vor und das bin ich ja wohl nicht.“ Er lächelte und ertastete prüfend ihren festen Hintern. „Nein, das bist du nicht. Also, was bin ich deiner Meisterin wert, dass du dieses Risiko auf dich nimmst?“ Ryon beugte sich über sie, zog sie näher an sich heran, so dass sie sich entzückt an ihn schmiegte, während ihre Hände auf Erkundungstour gingen und das nicht gerade zurückhaltend. „Ich wüsste nicht, wieso dich das interessieren-“ Sianna seufzte auf, als er die empfindsame Stelle unterhalb ihres Ohrläppchens sachte anknabberte, ehe er seine Lippen dicht an ihr Ohr legte und ihr leise seine Antwort zuflüsterte. „Weil ich gerne wüsste, wie wertvoll ich für dich bin.“ Oder sie für ihn. Das würde sich schließlich noch herausstellen. Ihre Hände streichelten seine Seite entlang nach unten, schoben sich unter den Stoff seiner Hose und legten sich um seinen Hintern. Ein entzückter Laut entkam ihr, dicht an seiner Brust. „Einmal von deinem körperlichen Wert abgesehen, bekommt derjenige, der dich lebend fängt 1 Millionen Pfund und dazu noch Kräfte, die weit über das Vorstellungsvermögen einer einfachen kleinen Hexe hinaus gehen. Du siehst also, meine Mühen haben sich ausgezahlt.“ Sie schenkte ihm ein zufriedenes Lächeln, als er ihr Gesicht zwischen seine Hände nahm und auf sie herab sah. „Da bin ich anderer Meinung.“, widersprach er mit eisigem Tonfall und brach ihr das Genick. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)