Dark Circle von Darklover ================================================================================ Kapitel 16: 16. Kapitel ----------------------- Paige lugte um die letzte Tür, die sie von ihrem Ziel trennte und erkannte nichts, was darauf hindeutete, dass sie hier jemand sehen könnte. Eine einzige Überwachungskamera drehte sich mit einem leisen Summen ab und an von einer Seite zur anderen und fuhr einen Großteil des Daches ab. Aber ein Großteil hieß zum Glück nicht alles. Als die Linse von der Tür weg schwenkte, stahl sich Paige durch die Tür auf das flache Betondach des Hotels und lief bis zu der Stelle an der sie selbst ungesehen über die Stadt blicken konnte. Von ihrem Zimmer aus konnte sie nur ein Stück der Allee vor dem Hotel und hübsche Häuserfronten sehen. Von hier oben breitete sich die Stadt in einem Lichtermeer vor ihren nackten Füßen aus. Ryons Verhalten nagte an ihr. Sie würde es vor ihm niemals zugeben, aber er hatte einen sehr offen liegenden Nerv bei ihr getroffen. Und das lag weniger daran, dass er sie zurückgestoßen hatte. Damit hätte sie leben können. Jeder musste mal damit zurecht kommen, dass nicht jeder auf der Welt ihn sympathisch fand oder näher mit ihm zu tun haben wollte. Das war es auch nicht, was sie so wütend machte, dass sie es in ihrem Zimmer nicht mehr ausgehalten hatte. Sie hatte mehrere Minuten mitten in dem sauberen, hübsch gestalteten Raum gestanden und die Sprinkleranlage an der Decke angestarrt. Keine Chance sich unbemerkt auch nur ein wenig Luft zu machen. Also war sie hierher gekommen. Hier, wo sie den weichen, weißen Bademantel kurz von ihrem nackten und mit roten und schwarzen Schuppen übersähten Körper gleiten lassen konnte. Noch einmal vergewisserte sie sich mit einem Blick über die Schulter, dass man den Nachtwächter am nächsten Tag nicht für verrückt halten würde, weil er eine brennende Frau auf dem Überwachungsmonitor gesehen zu haben glaubte. Als sie sicher war, schloss sie die Augen. Ihre Wut leuchtete weit, für eine Weile stand sie am Rande des Daches und schrie ihren verletzten Stolz mit einer lodernden Flamme hinaus über die Stadt, ohne dass es jemand gehört hätte. Doch mit ihrem Feuer verging auch der Ärger. Es hatte nicht den richtigen getroffen und würde es auch nicht. Aber Paige hatte sich Luft gemacht und war zumindest mit sich selbst wieder im Reinen. Das war alles, was sie brauchte um ruhig und in den Bademantel gehüllt wieder auf ihre Etage und in ihre Zimmer zurück zu gehen. Selbst als sie an Ryons Zimmertür vorbeikam, fühlte sie kein giftiges Stechen in ihrem Inneren. Mit einem winzigen Lächeln atmete sie tief durch und ging schließlich in ihrem eigenen Bad unter die Dusche, gönnte sich einen alten Cartoon auf dem riesigen Fernseher und schlief dann in dem riesigen Bett, alle Viere zufrieden von sich gestreckt ein. Von Eisschrank würde sie sich nicht zu lange die Laune verderben lassen. Dafür war er viel zu unwichtig. Nackt und nur mit einem viel zu kleinen Handtuch bekleidet, saß er auf seinem Bett. Die Füße im Lotussitz verschränkt, mit aufgerichtetem Oberkörper und geschlossenen Augen hatte er seinen Geist so weit beruhigt, dass er sich auf den heutigen Vorfall konzentrieren konnte, ohne wieder in unkontrolliertes Zittern auszubrechen. Sein Körper fühlte sich im Augenblick weit von ihm entfernt an, was auch gut so war, sonst wäre seine Konzentration auf der Stelle dahin gewesen. Er hatte viel zu viel Energie in sich, die er nicht heraus lassen konnte. Nicht, ohne dafür das Zimmer verlassen zu müssen. Im Augenblick beschäftigte er sich allerdings mehr damit, Schicht für Schicht seiner Barrikaden zu reparieren, neue aufzubauen und die Fehler der alten zu beheben. Dass eine einzige Geste ihn heute so lahmgelegt hatte, dass sogar das Tier in ihm sich selbstständig machen konnte, durfte nie wieder vorkommen. Selbst Überraschung hätte er nicht fühlen dürfen. Eigentlich sollte er aus nichts bestehen. Nur scharfe, eiskalte Logik ohne emotionaler Anbindung daran. Hätte er das heute beherzigt, wäre seine Hilfe für Paige keine große Sache gewesen. Er hätte sie aufgewärmt und sie wären ohne großartig einen weiteren Gedanken darüber zu verschwenden zurück gekehrt. Allerdings war alles schief gegangen, was schiefgehen hatte können. Verdammt noch mal, er hatte geschnurrt! Vor wie vielen Urzeiten das letzte Mal gewesen war, musste er sich noch nicht einmal vorstellen, um diese Tatsache als erschreckend real und zugleich gefährlich zu betrachten. Ryon schnurrte nicht. Er lächelte noch nicht einmal, was unter den gegebenen Umständen weit aus weniger besorgniserregend gewesen wäre. Aber selbst dann hätte er sich fragen müssen, wie weit er vor dem absoluten Zusammenbruch stand. Noch war er nicht nahe daran, einfach durchzudrehen, aber wenn diese Reise mit Paige weiterhin so verlief, würde es irgendwann unweigerlich darauf zu steuern. Sein größter Fehler im Laufe der Jahre war es gewesen, sich darauf zu verlassen, dass er seine Bestie für immer und ewig bezwingen konnte und somit auch die damit einhergehenden Gefühle. Doch die bittere Wahrheit sah leider so aus, dass er am Ende doch nicht immer die Kontrolle über das Tier behalten konnte. Wenn sein Verstand nicht ständig aufpasste, könnte es so einen Vorfall wie heute wieder geben. Er konnte eben nicht rund um die Uhr ständig wachsam sein. Irgendwann einmal musste er immerhin schlafen und nur allein der Tatsache, dass dann auch sein Körper ruhte, war es zu verdanken, dass er noch keinen Schaden angerichtet hatte. Ob an sich selbst oder anderen, in beiden Fällen wäre es auf keinen Fall entschuldbar. Also blieb ihm nichts weiter übrig, als dickere Mauern, undurchdringlichere Palisaden und Wälle zu errichten, auch wenn etwas bei jedem weiteren Schild, dass er geistig um sein Herz und seine Seele zog, tiefes Bedauern empfand. Es war der kleine Teil, der dem Tier bei seiner Tat heute absolut Recht gegeben hatte. Der winzige Teil, der es früher einmal geliebt hatte, Wärme, Geborgenheit, Vertrauen und Fürsorge zu verdienen. Aber dieser Teil musste still schweigend weiterhin leiden, denn die nackte Wahrheit sah nun einmal so aus, dass er es nicht mehr verdiente. Er hatte in voller Länge versagt und damit das nicht noch einmal passierte, ließ er es ganz bleiben. Lieber ein Leben als ungeliebter, emotionsloser und verkrüppelter Gestaltwandler fristen, als sich dem zu stellen, das sich da so viele Jahre lang in seiner Brust hatte ansammeln können. Nach zwei vollen Stunden schlug Ryon seine nachtschwarzen Augen auf und fühlte sich dabei so hohl und leer, wie die bauchige Nachttischlampe sich wohl fühlen musste. Er war auf der Welt, aber nur insofern von Bedeutung, dass er irgendeinem Zweck diente, um anderen nützlich zu sein. Ob er das wirklich sein wollte oder nicht, stand außer Frage. Er hatte sich entschieden. Von weit her, hörte er das ersterbende Brüllen einer sich im Todeskampf windenden Raubkatze, die man in ein unendlich tiefes Verließ für immer vom Leben in Freiheit abgeschnitten hatte. Ungerührt stand er vom Bett auf, zog seine Joggingsachen an und verließ das Zimmer, um sich nun seinem Körper zu widmen. Vielleicht würde ihm Laufen bis zur Erschöpfung von den auf gestauten Aggressionen, verdrängten Leidenschaften und nie genutzten sexuellen Energien befreien, die eigentlich seinem Wesen im Übermaß zur Verfügung standen. Er wäre schon froh, wenn er es bis zum Frühstück schaffte, den ständigen Drang zu kämpfen, etwas zu mildern. Paige schlief tief und fest, wachte nur ab und zu auf, um sich wieder wohlig und mit zufriedenem Schmunzeln in die weiche Decke zu kuscheln. Sie träumte von Dingen, die sie sich wünschte. Dinge, die sie mit einem Lächeln aufwachen ließen, das selbst die Realität nicht aus ihrem Gesicht wischen konnte. Wie so oft fand sie, dass sie sich trotz allem wirklich nicht beschweren konnte. Es ging ihr gut. Sehr gut sogar. Aber sie hatte das große Bedürfnis mit Ai zu telefonieren, was sich nicht so leicht machen ließ. Erstens wusste sie die Nummer von Ryons Haus nicht und zweitens wäre es nicht schlau gewesen, dort von ihrem Hotel aus anzuklingeln. Sie waren wegen des Hexenzirkels hier. Das durfte sie trotz ihrer schönen Träume nicht vergessen. Sie war verfolgt und ihr Leben war bedroht worden. Wegen des Amuletts um Ryons Hals hatte man schon mehrere Leben bedroht. Also keine besonders gute Idee eine Fährte zu dem Ort zu legen, an den man Ai zurückverfolgen und sie in Gefahr bringen konnte. Dabei hätte es Paige einfach brennend interessiert, wie es ihrer Freundin und dem Baby ging. Sie waren nicht einmal zwei Tage weg, aber das beruhigte Paiges Neugier kein Stück. In zwei Tagen konnte verdammt viel passieren. Wenn sie darüber nachdachte, hatte sich das gestern nur zu deutlich gezeigt. "Naja, neuer Tag, neues Glück...", sagte sie leise, während sie ihren Koffer auf das Bett warf, ihn öffnete und sich Klamotten für den Tag heraus suchte. Heute sicher etwas Wärmeres. Ein Rollkragenpullover und eine dunkle Stoffhose. Dem Frühstück hier im Hotel hoffentlich angemessen. Sogar ein paar Ohrringe hatte sie dabei, die sie für heute anlegte. Darüber, dass sie die Form von kleinen Libellen hatten, mussten die Snobs eben hinweg sehen. Oder sie machte diesen Leuten sogar eine Freude, da sie sich über Paiges Geschmack beim Nachmittagstee so richtig auslassen konnten. Nachdem sie sich fertig gemacht hatte, schnappte sie sich die Schlüsselkarte und verließ ihr Zimmer in Richtung Aufzug. Man hatte ihnen schon beim Einchecken gesagt, dass der Speiseraum ganz oben neben dem Panorama-Restaurant lag. Paige war bei ihrem kleinen Ausflug in der letzten Nacht daran vorbei gekommen. Und doch rief der Anblick dieses schieren Luxus großes Staunen in ihr hervor, als sie den großen Raum mit den riesigen Fenstern betrat. Es war relativ voll, aber der zuvorkommende Kellner, der sie nach ihrer Zimmernummer fragte, führte sie anschließend zu einem kleinen Tisch, der in der Nähe des Buffets war und auf dem zwei Gedecke lagen. Beide waren noch unberührt. Ohne auf Ryon zu warten, von dem sie nicht wusste, ob er überhaupt hier erscheinen würde, bestellte sie Kakao und schaffte es sogar dem netten Kellner, der gebrochen ihre Sprache sprach, zu sagen, dass sie kein gekochtes Ei wollte. Kaum dass der hilfsbereite Herr verschwunden war, stand sie mit ihrem blendend weißen Teller in der Hand auf und ging um das schwer beladene Buffet herum. Paige konnte nicht verstehen, wie all diese Menschen - denn das waren die meisten von ihnen - diese Speisen einfach auf ihren Teller schaufeln konnte, ohne sie vorher zumindest einen Moment lang bewundert und gewürdigt zu haben. Es gab so viel frisches, genüßlich aussehendes Obst, so dass Paige über das Schwärmen fast vergaß, dass sie es auch essen durfte. Dann noch verschiedene Müslisorten und Croissant mit Marmelade. Sogar welche, die mit Schokolade gefüllt waren. Da konnte sie nun wirklich nicht widerstehen. Mit einem völlig überladenen Teller kehrte sie fast tänzelnd zu ihrem Tisch zurück und setzte sich zu ihrer dampfenden Tasse Kakao. Kauend sah sie auf die Stadt hinaus, die sich heute zumindest wettertechnisch von einer besseren Seite zeigte als am Tag zuvor. Erst jetzt fiel ihr ein, dass sie gern etwas von den Touristenorten besucht hätte. Als er vorbei kam, fragte sie den Kellner, ob er ihr sagen könne, wie weit es zum Eiffelturm war. Er verstand ihre Erklärung nicht gleich und versuchte mit Händen und Füßen zu erklären, dass er jemanden holen konnte, der ihre Sprache besser beherrschte. Paige winkte lachend ab. "Nein, ist gut. Danke." Sie deutete die Form des Turms mit den Fingern in der Luft an, was den Kellner und dann auch sie zum Lachen brachte. Er hatte sie offensichtlich verstanden, denn er zückte Block und Stift und kritzelte irgendetwas vor sich hin, während er versuchte halb auf Französisch eine kleine Unterhaltung zu starte. Da der Mann ungefähr sieben oder acht Jahre jünder sein musste, als sie selbst, fand Paige das einfach nur nett. Er brachte sie zum Lachen und zeigte ihr eine recht grobe Zeichnung des Weges, der sie zum Eiffelturm bringen würde. Er lief, bis ihm die Lungen brannten, seine Beine so sehr schmerzten, dass sie beinahe schon taub waren und trotzdem verlangsamte er sein Tempo erst, als er kurz vor dem Hotel ankam. Inzwischen war schon längst die Sonne aufgegangen, was ihm zusätzlich noch mehr Schweiß ins Gesicht getrieben hatte, aber dafür war die anschließend kühle Dusche eine wahre Wohltat. Genauso wie die sanfte Erschöpfung seines Körpers. Allzu lange würde es nicht anhalten, das wusste er. Nicht nur sein Stoffwechsel und Kalorienverbrauch waren sehr hoch, auch seine leeren Batterien ladeten sich viel zu schnell wieder auf, um stets für optimale Bedingungen zu sorgen, wenn es um seinen Selbsterhaltungstrieb ging, gegen den auch er nichts ausrichten konnte. Immerhin war es eine rein körperliche Reaktion und hatte mit seinem Verstand nicht sehr viel zu tun. Aber zumindest würde er jetzt einige Stunden lang nicht mehr der lästigen Spannung in sich drin ausgesetzt sein, weshalb er sich auch schnell abtrocknete und sich frische Sachen anzog. Eine dunkelblaue Hose, kombiniert mit einem weißen Hemd, dass seinen goldbraunen Teint unterstrich und ihm zusätzlich den Eindruck von Frische verlieh. Nach der ganzen Schwitzerei ein sehr angenehmes Körperempfinden. In dem gut besuchten Frühstückssaal musste Ryon sich erst einmal gründlich umsehen, um Paige an einem Zweiertisch direkt am Fenster zu entdecken. Da sie sich gerade mit einem Mann zu unterhalten schien, mit dem sie sich offenbar gut verstand, schnappte er sich zwei große Teller und lud sie voll mit sowohl gesundem Essen, wie auch absoluten Kalorienbomben, bei denen so manche Frau allein beim Gedanken daran, auch nur einen Bissen davon zu essen, in Ohnmacht gefallen wäre. Dabei gab es wohl kaum etwas Köstlicheres als französische Schokoladensorten in einem Spitzenhotel. Dagegen war das, was man in ihrem eigenen Land bekam, der reinste Müll. Nur zu leicht, konnte man sich mit diesen Süßigkeiten für immer verderben, was den Geschmack anderer Schokoladenmarken anging. Es war einfach kein Vergleich. Paiges Sorge von gestern, dass sie hier gezwungen waren Schnecken oder so etwas in der Art zu essen, war vollkommen unbegründet. Immerhin gab es noch genügend andere leckere Spezialitäten. Als Ryon schließlich an den Tisch heran trat und seine Teller abstellte, wünschte er beiden auf französisch ein völlig gelassenes guten Morgen und setzte sich. Er tat nicht einmal so, als wäre gestern nichts geschehen, sondern viel mehr, hatte er die Sache zu den Akten gelegt. Punkt. Da er die Zwei nicht in ihrer Unterhaltung stören wollte und Paige ohnehin schon mit dem Essen angefangen hatte, machte er sich selbst auch daran, angemessen zivilisiert aber äußerst gründlich seinen monströsen Hunger zu stillen, während er den Ausblick betrachtete. Paris war eine schöne Stadt. Ohne Zweifel bei Tag und bei Nacht. Sie hatte seinen Auftritt gar nicht übersehen können. Ryon fiel auch hier auf wie der Wolf unter den Schafen, als er durch den Speisesaal ging und sie nicht einmal eines Blickes oder kurzen Nickens würdigte. Stattdessen steuerte er direkt auf das Buffet zu und ließ sie und den Kellner, der inzwischen fast am Ende seiner Erläuterung angekommen schien, links liegen. Erst als er sich anscheinen die Portion für ungefähr fünf Menschen auf die beiden Teller geladen hatte, bequemte er sich doch dazu, ihnen einen guten Morgen zu wünschen und sich mit an den Tisch zu setzen. Das Gesicht des Kellners verriet Verwirrung. Er verstand offensichtlich nicht, wie Paige mit diesem Riesen zusammen gehörte. Sie konnte es ihm nicht verdenken und schenkte ihm ein warmes Lächeln, das aber genauso wenig aussagte wie ihre derzeitige Nichtreaktion auf Ryons Anwesenheit. Etwa vier Sätze später musste sich der junge Mann wieder seinem Job widmen, wünschte den beiden Gästen einen schönen Tag und war dann auf leisen Sohlen verschwunden. Das Stück Papier, auf dem er Paige den Weg zum Eiffelturm skizziert hatte, lag neben ihrem Teller. "Dir auch einen guten Morgen." In ihrer Stimme lag kein Ärger. Aber auch ihre gute Laune ging keineswegs daraus hervor, als sie ruhig weitersprach und dabei das Schokocroissant vorsichtig mit den Fingerspitzen in mundgerechte Stückchen zerpflückte. Ihr Blick ruhte auf einer kleinen, weißen Praline, die in ihrer perfekten halbrunden Form so göttlich auf Ryons Teller thronte, dass Paige gar nicht anders konnte... Als sie nach ihrer Tasse mit dem Kakao griff, stellte sie sich etwas ungeschickt an und das Wasserglas mit dem langen Stil kam bedenklich ins Schwanken. Gerade noch vor dem klirrenden Sturz konnte sie es auffangen und eine Überschwemmung verhindern. Als Ryon seinen Blick, den er für wenige Augenblicke auf die Szene gerichtete hatte, wieder über Paris schweifen ließ, fehlte die kleine weiße Halbkugel mit den dunklen Schokoladenfäden auf seinem Teller. Paige schmunzelte in sich hinein und nahm einen großen Schluck Kakao, bevor sie sich doch dazu durchrang ein Gespräch zu eröffnen. "Wann willst du's wieder versuchen? Heute gegen Abend? Tagsüber herrscht dort sicher ziemlicher Betrieb. Für Touristen ist es bei diesem Wetter bestimmt ein beliebtes Ziel." Sie wollte so gern auf das Wahrzeichen der Stadt, dass sie ihm sogar vorschlagen würde, sich bis zum Abend zu trennen. An einen derart mit romantischen Assoziationen behafteten Ort mit Ryon zu gehen, widerstrebte Paige zutiefst. Vor allem seit gestern. Da gab Ryon ihr Recht. Er würde aber trotzdem wieder zum Friedhof gehen und das tun, was er nun einmal auch sehr gut konnte. Sich auf die Lauer legen, beobachten, abwarten, geduldig sein. Dass Paige da mit machen würde, hielt er eher für unwahrscheinlich. Außerdem … um ehrlich zu sein … er wollte eine Weile alleine sein. Im Augenblick machte es ihm nichts aus, hier mit ihr am Frühstückstisch zu sitzen, aber je weniger Zeit er in ihrer Nähe verbrachte, umso unwahrscheinlicher war es, dass sie wieder an seinem Innersten kratzte, ob sie es nun wollte oder nicht. Zudem war ihm nicht die Zeichnung entgangen, die neben ihrem Gedeck lag. Es war der Weg zum Eifelturm. Wenn sie nicht daran interessiert wäre, hätte sie sich wohl kaum danach erkundigt. Weshalb er ihr die Mühe abnahm, eine Ausrede zu suchen, stattdessen nahm er ein Schluck von dem Wasser und sah sie über den Tisch hinweg an. „Ich schlage vor, wir schonen uns bis zum Abend und treffen uns dann wieder so um acht Uhr hier beim Essen. Was hältst du davon?“ Das war genügend Zeit für sie, ein paar Erkundungen zu unternehmen und das in aller Ruhe, während er seinen eigenen Zielen nachstrebte. Ebenfalls in aller Ruhe. Dass sie verloren gehen würde, bezweifelte er. Sie war immerhin eine erwachsene Frau, die nicht auf den Mund gefallen war. Solange sie sich an den Touristenplätzen aufhielt, würde ihr schon nichts passieren. "Ok, gut." Mit einem breiten Lächeln steckte sie sich die Praline in den Mund, die sie ihm ungesehen von seinem Teller gemopst hatte und freute sich innerlich über die Möglichkeit, ein wenig allein die Stadt zu erkunden. Die weiße Schokoladenhülle schmolz auf ihrer Zunge und gab das Aroma von Haselnüssen und Krokant frei. Paiges Mundwinkel hoben sich noch mehr und sie seufzte leise, als sie genüßlich auf den Kern der Praline biss und noch ein größeres Geschmackserlebnis zu spüren bekam. Natürlich hätte sie sich auch selbst ein paar von diesen kleinen Kalorienbomben vom Buffet holen können. Aber gerade die Tatsache, dass sie von Ryons Teller kam, machte sie irgendwie ... besonders lecker. Da Paige inzwischen aufgegessen hatte und nach dem guten Schlaf vor Energie förmlich aufgezogen war, entschuldigte sie sich bei Ryon und stand entschlossen vom Tisch auf. Mit einem erwartungsvollen Glitzern in den Augen schnappte sie sich den kleinen gezeichneten Plan und war schon fast am Verschwinden. "Ich wünsch dir was. Bis später." Damit rauschte sie aus dem Frühstücksraum und in ihr Zimmer zurück, um sich eine Handtasche zu schnappen. Beim Concierge erstand sie sogar noch eine kleine Wegwerfkamera, mit der sie ein paar Schnappschüsse machen wollte, die sie Ai später zeigen konnte. Mit ihrem Ex war die Asiatin zu Anfangszeiten der Beziehung zwar viel in der Welt herum gekommen, aber Paige war sich sicher, dass Ai sich trotzdem über ein paar Bilder ihres Ausflugs freuen würde. Immerhin saß sie mitten im Nirgendwo in einem Stück Wald fest. Ob sich die beiden Männer wenigstens gut um sie kümmerten? Paige grinste wieder und überlegte sich, ob Tyler sich schon in einer Weise um ihre Freundin kümmerte, von der sie selbst lieber doch nichts wissen wollte. Oder am Besten jedes noch so kleine Detail. Je nachdem. Ryons Gabel hielt mitten in der Luft inne, als er sah, wie Paige sich eine rundliche Praline in den Mund schob und man förmlich sehen konnte, wie ihre einzelnen Geschmacksrezeptoren zu arbeiten begannen. Zuerst wurde ihr Lächeln noch breiter, was offenbar daraufhin wies, dass die Schokolade ganz nach ihrem Geschmack war, doch dann kam da dieser absolut verträumte Gesichtsausdruck vermischt mit dem leisen Seufzer der Entzückung. Vermutlich hatte sie in diesem Augenblick keine Ahnung, wie etwas so absolut banales wie Süßigkeiten zu essen bei ihr zu etwas absolut Sinnlichem wurde. Verblüfft über diese neue Erkenntnis und darüber, dass sie einen so schnellen Abgang machte, ließ er die Gabel wieder sinken. Die Frau hatte wirklich Glück, dass sein Gefühlsleben gerade mit dem eines Steins konkurrierte. Seinem Tier hätte die Vorstellung von eben garantiert gefallen. Nach dem er gedankenverloren den Rest seines Essens verdrückt hatte, ohne aber noch etwas richtig zu schmecken, verließ er das Hotel mit einem neuen Plan in seinem Kopf. Er würde heute garantiert noch zu diesem Friedhof gehen, aber vorher wollte er noch etwas anderes erledigen und dabei konnte er auch gleich seinen Mantel abholen, der bestimmt schon sehnsüchtig auf ihn wartete. Als er nach zwei Stunden wieder ins Hotel zurückkehrte, war Paige bestimmt schon weit von ihrem Zimmer entfernt, weshalb Ryon keine Bedenken hatte, dem Concierge eine kleine edel verpackte Schachtel in DIN A 5 Format zusammen mit ordentlich Trinkgeld in die Hände zu drücken. Damit er es in ihr Zimmer legen konnte. Ryon verstaute nur schnell seinen Mantel, ehe er sich auch schon wieder auf den Weg machte, aber in Gedanken ging er noch einmal die Notiz auf der mit goldenen Lettern geprägten Grußkarte von „La Maison du Chocolat“ durch: Bessere wirst du nirgendwo finden … nicht einmal auf meinem Teller… Ja, er fand es passend, vor allem da es im Grunde nichtssagend war, aber wenn es schon nicht als Entschuldigung für sein gestriges Benehmen diente, so würde es ihr hoffentlich wenigstens schmecken. Mit den Gedanken daran, was sie wohl gerade trieb, stieg Ryon wieder in die Metro und machte sich auf dem Weg zum Friedhof, um sein eigentliches Vorhaben in die Tat umzusetzen. Paige war überrascht, dass es hier so grün war. Sie hatte nur einmal einen Film gesehen, der in Paris spielte und dort hatte es so gewirkt, als wäre das Wahrzeichen mitten zwischen den Häusern zu finden. Dem war aber nicht so. Mit weit ausholenden Schritten, ihren Blick aber über die Umgebung schweifend, ging sie auf den Turm zu. Es war wie zu erwarten, viel los. Menschen aus aller Herren Ländern saßen auf Bänken oder dem Rasen, der sich in einem Park um den Eiffelturm zog. Paige steuerte direkt auf das Ende der Schlange zu, die sich vor dem Ticketschalter gebildet hatte und stellte sich an. Während sie darauf wartete zu dem kleinen Häuschen mit der Glasscheibe zu gelangen, sah sie den Leuten zu, die an ihr vorbei liefen. Viele waren Pärchen, die Händchen haltend die Stadt der Liebe erobern wollten. Damit hätte sie hier wohl rechnen müssen. Der Eiffelturm war nunmal nicht nur das Wahrzeichen der Stadt, sondern schien das Symbol für Liebe schlechthin zu sein. Wer Paris mit seinem oder seiner Liebsten besuchte, der musste auch hier gewesen sein und sich bei einem Kuss auf oder vor dem Turm fotographieren lassen. So kam es, dass Paige einem kanadischen Paar den Gefallen tat und ein Bild von ihnen vor der Kulisse der Stadt schoss. Sie hatte sich nach Studieren der Preise und des Inhalts ihres Geldbeutels dafür entschieden die Treppe zu nehmen. Zwar hätte sie sich den Aufzug in den zweiten Stock noch leisten können, aber sie hatte vor, später noch etwas zu trinken, während sie in einer großen Runde zum Hotel zurück lief. Also war sie geduldig und mit nicht abreißendem Elan die Metallstufen nach oben geklommen, bis sich der Blick auf Paris vor ihr geöffnet hatte. Wäre sie nachts nicht bereits vor einem entzückenden Lichtermeer gestanden und hätte die Eindrücke in sich aufgesaugt, wäre sie wahrscheinlich vor Ehrfurcht wie angewurzelt an der Treppe stehen geblieben. Paris war von hier oben genauso schön wie von der Straße gesehen. Allerdings konnte man sich auf der Aussichtsplattform sogar noch einem Empfinden von Freiheit und Ruhe hingeben, was einem auf dem Rasen dort unten auf jeden Fall fehlte. Genau in dem Moment, als sie sich an das Geländer stellen und einen direkten Blick nach unten richten wollte, war sie von der Frau angesprochen und um das Bild gebeten worden. Natürlich hatte sie sich dazu bereit erklärt. Was war schon dabei? Die beiden stellten sich an den Rand der Plattform und zogen sich gegenseitig in die Arme, während sie für das Photo und Paige strahlend lächelten. Als der Auslöser ein leises Klicken von sich gab, blinzelte Paige. Ihr Lächeln war zwar freundlich, aber im Innern nicht mehr so überzeugt, wie es noch vor dem Bild gewesen war. Nachdem die beiden Glücklichen abgezogen waren, stellte sie sich doch ans Geländer und sah eine Weile starr vor sich hin, bevor sie den Kopf ein wenig hängen ließ. Manchmal war es wirklich schade allein zu sein. Nach einem langen Spaziergang durch die Stadt, bei dem sie sich zumindest einmal ordentlich verlaufen hatte, kehrte sie noch fast eine Stunde zu früh ins Hotel zurück. Als sie ihr Zimmer erreichte, warf sie ihre Tasche in die Ecke und überlegte sich, wie sie die Zeit bis zum Essen noch überbrücken konnte. Wenn sie so an sich hinunter sah, brauchte sie sich eigentlich nicht noch einmal umzuziehen. Vielleicht später, bevor sie aufbrachen. Dann würde sie sich diesmal ein paar Jeans und einen anderen Pullover überziehen. Die konnte sie ja schonmal aus dem Koffer kramen. Als sie ihre Klamotten auf dem Bett auslegte, fiel ihr Blick auf ein kleines Päckchen auf dem Kopfkissen. Erstaunt legte sie den Pullover weg und griff nach dem Geschenk, das mit einer goldenen Schleife verschlossen war und ziemlich teuer aussah. Eine Aufmerksamkeit des Hotels? Nein. War es nicht. Spätestens als sie den Hinweis mit dem Teller las, brauchte sie die Unterschrift nicht mehr zu entziffern. Paige sah mit einem Lächeln auf die Karte, das man vielleicht als melancholisch bezeichnen konnte. Und das Einzige, was ihr dazu einfiel, war, dass Erdmännchen nicht schnurren konnten. Da er dieses Mal Zeit hatte und das Wetter auch mit strahlendem Sonnenschein mit spielte, ließ sich Ryon mit dem Besucherstrom treiben, während er sich die Steinbauten, Grabsteine und Mausoleen in Ruhe ansah. Es war wesentlich freundlicher hier, jetzt, da kein Nebel und Grauton die Gegend zu etwas Unheimlichen machte. Dennoch war er sich sicher, dass hier freiwillig kein einziger Gestaltwandler seine letzte Ruhe finden wollte. Es sei denn, er hatte es schon zu Lebzeiten genossen, ständig angegafft zu werden und sich Seite an Seite inmitten von unzähligen anderen Menschen und Wesen zu befinden. Es war einfach kein Vergleich zu den Friedhöfen, wo nur ein Schlichter Grabstein daraufhin wies, dass hier jemand ruhte. Ein paar Blumen, ja, aber ansonsten überall Gras, Bäume … Stille… Bei einer Steinskulptur, welche die Form einer verschleierten Frau hatte, kamen seine Schritte schließlich zum Erliegen. Ohne auf die Menschen zu achten, die sich an ihm vorbei schlängelten, kam er näher. Das steinerne Gesicht ähnelte ihr überhaupt nicht, dennoch konnte er es nicht verhindern, bei ihrem Anblick an seine Gefährtin zu denken. Bisher hatte er sich nie wirklich Gedanken darüber gemacht, ob Marlene und ihr gemeinsames Kind der Ort, den er für ihre letzte Ruhe erwählt hatte, überhaupt gefiel. Ob sie manchmal einsam waren, da niemand je sie besuchte? Zumindest keine menschlichen Wesen. Aber so wie er Marlene kannte, wäre sie für den Frieden, den er ihnen dadurch ermöglicht hatte, dankbar gewesen. Niemand würde ihre Ruhe stören, keiner glotzte ihr Grab an, ohne überhaupt zu wissen, wer die Menschen waren, die so früh so schnell gestorben waren. Außerdem, er könnte es nicht ertragen, zu wissen, dass noch jemand anderes ihre letzte Ruhestätte besuchte… Ryon ging weiter, reihte sich wieder in den Besucherstrom ein und ließ sich treiben. In seinen Händen spürte er den zerknitterten Flyer, der die Karte des Friedhofs auf der Rückseite hatte und auf dem auch sämtliche berühmten Gräber aufgelistet waren und in welcher Division man sie finden konnte. Der gesuchte General war auch darauf, weshalb er nun nicht mehr blind suchen musste, sondern zielstrebig der Information dieses französischen Charmeurs folgte. Vor dem Eingang eines genauso unauffälligen Mausoleums, wie es sie hier zu Hauf gab, blieb er schließlich stehen. Er stand auf einem weniger besuchten Seitenweg, da es hier nicht sehr viele aufregende Berühmtheiten in der Nähe gab und auch sonst wohl niemanden, der eines der nahegelegenen Gräber besuchen wollte. Hier war es sogar fast vollkommen still, bis auf den Wind, der durch die wenigen Kronen der Bäume wehte. „Hallo, mein Hübscher. Gehst du nun rein, oder nicht?“ Ryon folgte der hellen, fast schon singenden Stimme, die ihn da auf verführerischstem Französisch angesprochen hatte. Einen Moment war er über den Tonfall verwirrt gewesen, doch als er die beiden Top Models erkannte, die hüftschwingend und nur wage bekleidet auf ihn zukamen, war ihm alles klar – zwei Nymphen. „Pardon?“ Er tat einen Moment lang so, als wüsste er nicht, was die Blonde der beiden gemeint hatte. Vielleicht war es ganz nützlich, sich dumm zu stellen. „Ah, französisch mit Akzent, wie reizend!“, trällerte die Rothaarige voller Begeisterung. „Hast du das gehört, Jaqueline? Ein Tourist!“ Die Blonde nickte zustimmend, während sie ihn mit ihren Blicken von oben bis unten musterte. Rotschopf tat es ihr gleich und setzte dabei einen fast schon obszön hungrigen Blick auf. Ryon ignorierte diese offensichtliche Zurschaustellung von Interesse. Sie waren Nymphen. Sie konnten gar nicht anders. Sex war ihr Glaube, ihr Gebet und ihre Nahrung. Jaqueline kam ohne zu zögern mit strahlendem Lächeln näher. Rotschopf folgte. „Können wir dir irgendwie helfen, Süßer? Du siehst so verloren aus. Willst du in die ‚Dark Side of Paris?“ Einmal von den offensichtlichen Avancen abgesehen, die ihn völlig kalt ließen, konnten die beiden Frauen ihm vielleicht wirklich nützlich sein, wenn sie ihn für einen übermenschlichen Touristen hielten. Ryon sprach leiser und gedämpfter, was die Kälte aus seiner Stimme nahm und mit viel Einbildung als etwas hilflos durchgehen könnte. „Ich muss gestehen, ja, das möchte ich. Allerdings gibt es dafür keinen Reiseführer.“ Die Rothaarige lachte kokett. „Aber Chéri, du brauchst doch keinen Reiseführer, wenn du uns haben kannst. Wir würden dich mit Freuden in unsere Welt ‚einführen‘ und dir alles zeigen.“ Das konnte sich Ryon lebhaft vorstellen. Vermutlich sah diese kulturelle Einführung in die französische Unterwelt bei ihnen so aus, dass sie alle drei ganz zwanglos auf Seidenlaken herum wälzten. Obwohl er diese Vorstellung kein bisschen verlockend fand und ihm nun nicht mehr nur das dezente Parfum dieser beiden Ladys in die Nase drang, blieb er doch für seine Verhältnisse freundlich und zurück haltend. „Ihr würdet mir schon sehr helfen, wenn ihr mir den Weg beschreiben könntet. Ich habe keinen sehr guten Orientierungssinn.“ Die Rothaarige trat nun näher an ihn heran. Mit ihren halsbrecherisch hohen Absätzen reichte sie ihm bis zur Nasenspitze. Sie senkte ebenfalls die Stimme, was fast schon wie ein leises Schnurren klang. „Ich verspreche dir, Chéri. Uns würdest du nicht verloren gehen. Also, was hältst du davon, wenn wir dir den Weg persönlich zeigen? Jaqueline und ich würden uns schon gut um dich kümmern. Wir haben alle Zeit der Welt.“ „Charlotte hat Recht. Wir kennen da ein paar ganz besondere Sehenswürdigkeiten, die du dir absolut nicht entgehen lassen solltest.“ Bei diesen Worten zupfte die Blondhaarige wie zufällig an ihrem hautengen Strickkleidchen herum, so dass sowohl ihr üppiger Busen, wie auch ihre Beine noch mehr zu sehen waren. „Du wirst es auf keinen Fall bereuen.“, bestätigte die Rothaarige und obwohl sie ihn nicht berührte, sah man ihr an, wie gerne sie es getan hätte. Aber irgendetwas hielt sie davon zurück. Genauso wie Jaqueline. Offensichtlich hatten sie noch keine genaue Vorstellung davon, was seine andere Seite war, oder sie wussten es doch und kannten die Regeln der Gestaltwandler. Was aber absolut nichts an ihrem Interesse änderte. Sie warteten lediglich ab, dass er den ersten Schritt tat, um somit indirekt sein Einverständnis zu geben. Aber darauf konnten sie noch lange warten. Er wollte nicht mit den beiden ins Bett, sondern lediglich den Weg in die Unterwelt finden. Dem galt sein eigenes Interesse. „Ladys, ich bedaure zu tiefst, dass ich dieses reizende Angebot nicht annehmen kann. Durch meine Unfähigkeit zur Orientierung habe ich leider schon zu viel Zeit vergeudet, weshalb ich gleich wieder los muss.“ Man musste den Damen zu Gute halten, dass sie sich überhaupt nicht an seiner emotionslosen Fassade störten. Entweder kam ihnen jemand wie er, des Öfteren unter, oder es war ihnen einfach egal. Mit dem für französischen Frauen nur zu allbekannten Schmollmund gaben die beiden ihr Bedauern kund. Charlotte seufzte sogar traurig, während sie sich eine rotgelockte Haarsträhne hinter ihr Ohr schob. „Da kann man wohl nichts machen. Aber du kommst uns doch einmal besuchen, oder? Wir arbeiten im ‚Passion‘. Das liegt nicht weit vom Ausgang zur ‚Dark Side of Paris‘ entfernt. Wir würden uns sehr freuen.“ „Und wie.“, stimmte Jaqueline mit einem noch immer leicht enttäuschten Lächeln zu. „Bei Gelegenheit gerne, allerdings müsste ich erst einmal dorthin finden.“ Offenbar hatten die Nymphen schon wieder vergessen, weshalb er eigentlich hier in der Gegend herum stand. Kein Wunder, wenn einem das Hirn ins Höschen rutschte, konnte man schon ein paar Details vergessen. „Oh, natürlich. Excuse-moi.“ Rotschopf reagierte als erstes und begann in ihrer Handtasche herum zu kramen. Sie zog ein weißes Seidentaschentuch hervor und begann mit schwarzem Eyeliner etwas darauf zu zeichnen. Danach reichte sie es ihm. „Wenn du dort hinein gehst“ Sie deutete auf das Mausoleum. „Dann einfach die Statue umrunden und danach immer nach links gehen, egal welche Abbiegung kommt. Wenn du wieder zurück willst, einfach bis zur Statue wieder immer nur nach rechts gehen. Auf der Karte findest du das ‚Passion‘. Es ist nicht zu verfehlen.“ Sie zwinkerte ihm mit einem verführerischen Lächeln zu. „Merci, meine Damen. Ihr habt mir wirklich sehr geholfen.“ Jaqueline winkte lächelnd ab. „Keine Ursache, Chéri. Wir helfen doch gerne.“ Noch einmal bedankte sich Ryon, ehe er sich endgültig von den Nymphen verabschiedete und sich schleunigst auf den Weg zurück ins Hotel machte. Denn er hatte nicht gelogen, er würde zu spät kommen! Ohne es zu wissen, hatte er auf dem Friedhof ganz schön viel Zeit verplempert, erst sein Blick auf die Uhr hatte ihm die nackten Tatsachen vor Augen geführt. Hoffentlich würde Paige nicht zu sauer sein. Eigentlich war er der absolut pünktliche Typ. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)