Dark Circle von Darklover ================================================================================ Kapitel 5: 5. Kapitel --------------------- Obwohl er sich im ersten Stock befand, krachte er einfach durch die Fensterscheibe und kam sanft mit seinen Füßen in einem Regen aus Glasscherben mitten auf der Straße auf, womit er die gesammelte Aufmerksamkeit von diesem zwielichtigen Haufen hatte. Der entsetzte Schrei einer Frau ließ sofort hohe Mengen von Adrenalin durch seinen Organismus pumpen, während sein Puls rasend in die Höhe schnellte. Das Gefühl war Ryon nicht fremd. Er hatte Angst. Früher hätte es ihn gelähmt und handlungsunfähig gemacht, doch jetzt machte es ihn stärker. Er schoss voran, dabei die Männer ignorierend, die nun doch ihren Spähposten verlassen hatten, um ihn aufzuhalten. Ohne sich mit den Treppen aufzuhalten, schwang er sich mit einem Satz über das Geländer und bügelte den Kerl mit der Waffe wie eine Dampflok nieder, der es gerade einmal bis kurz über die Türschwelle geschafft hatte, bis Ryon dessen Gesicht so hart den Fußboden küssen ließ, dass man es deutlich vernehmlich knacken hören konnte. Der Blick der asiatischen Frau traf für einen Moment den seinen, als er sich nach ihr umsah. Sie war vollkommen erschrocken und drückte sich in eine Ecke hinter eines der schmalen Betten, schützend die Hände vor ihrem Bauch, während sie am ganzen Leib zitterte. Noch bevor Ryon etwas sagen konnte, spürte er ein Brennen in seinem linken Oberarm und wirbelte herum. Sie waren nicht mehr alleine. Kurzerhand schnappte er sich die Waffe, die der Bewusstlose am Boden noch immer in den schlaffen Fingern hielt und feuerte, bis das Magazin und zugleich auch der Hauseingang leer war. Ryon war sich sicher, zwei der Männer ausgeschalten zu haben, zumal einer von ihnen blutend und regungslos auf der Türmatte lag, aber es bedeutete, dass dort draußen immer noch drei gefährliche Schützen lauern mussten. Mit der Fußspitze schaffte er es, die Tür wieder zufallen zu lassen, nachdem er den Bewusstlosen als lebendes Schutzschild gegen mögliche Geschosse benutzt und diesen zugleich ebenfalls vor die Tür gesetzt hatte, um sie schließen zu können. Zwar wurde das Holz bereits kurz darauf siebartig durchlöchert, aber so konnten die Angreifer wenigstens nicht mehr sehen, wo sie sich im Raum aufhielten. Sofort war Ryon bei der schwangeren Frau, die ihn total panisch anblickte und zugleich so heftig nach Luft schnappte, als würde sie gleich hyperventilieren. „Ganz ruhig, ich bin hier um Ihnen zu helfen.“, versuchte er sie etwas zu beruhigen. Da er sich aber so anhörte, als würde er sich gerade über die Vor- und Nachteile einer Mikrowelle unterhalten, erzielten seine Worte natürlich absolut keine Wirkung. Trotzdem griff er nach ihr, obwohl sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehrte. Gerade als die Tür wieder aufflog, hatte er es geschafft, sie auf eine Weise fest zu halten, die sie davor schützte, sich selbst zu verletzen, während sie sich auch weiterhin gegen ihn zu wehren versuchte. „Kopf einziehen.“, befahl er ihr leise, was sie auch sofort tat, als er mit ihr im Arm einen Satz durchs Zimmer machte und in einem viel zu kleinen Raum landete, der sich als Küche heraus stellte. Dort setzte er die Frau wieder vorsichtig auf dem Boden ab. „Bleiben Sie unten und verhalten Sie sich ruhig.“ Ryon wartete keinerlei Reaktionen ab, stattdessen schnappte er sich das Nächstbeste, was er finden konnte und warf es nach den Angreifern, ehe er wieder in der Küche in Deckung ging. Das laute Plong sagte ihm, dass der Kochtopf ins Schwarze getroffen hatte und ein weiterer Körper schwer zu Boden ging. Rasch blickte sich Ryon nach weiteren Möglichkeiten um, immerhin waren noch zwei bewaffnete Kerle übrig und er war alles andere als Kugelsicher. Dabei bemerkte er auch, dass sich die Frau in einen weiteren Raum zurückgezogen hatte. Von dort aus ging es nicht weiter, aber es war gut, dass sie nicht direkt in der Gefahrenzone blieb. Noch immer waren Schüsse zu hören, Querschläger zerstörten die ohnehin schon angeschlagene Kücheneinrichtung und Ryon bekam statt Kugeln, Besteck, Teebeutel, Holz- und Glassplitter ab, bis eine kurze Ruhepause zwischen den Schüssen folgte. Schritte bewegten sich durchs Zimmer und leere Magazine fielen zu Boden. Das war Ryons einzige Chance, die er auch nutzte. Mit zwei Sätzen war er nicht nur aus der winzigen Küche, sondern auch schon auf dem nächsten Kerl, der gerade nachladen wollte. Ein Hieb reichte, um dessen Kehlkopf zu zerschmettern und ihn unschädlich zu machen. Gerade wollte er sich auf den letzten Angreifer stürzen, als es ihn überraschend und mit der Wucht eines Unwetters traf. Ryons massiger Körper wurde zur Seite und auf das zweite schmale Bett geschleudert, das unter der Wucht seiner Körpermasse zusammenbrach. Sein Körper begann unter heftigen Schmerzen unkontrolliert zu zucken, während ihn von allen Seiten Messer zu durchbohren schienen. Es dauerte schier ewig, bis es ihm unter dieser Qual gelang, sich zu seinem Peiniger herum zu drehen. Es war der Kerl mit der Zigarette und jetzt, da er sich nicht mehr im Schatten aufhielt, konnte man auch erkennen, dass er wesentlich besser gekleidet war als die anderen. Er trug einen schwarzen Umhang und teuer wirkenden Schmuck um seinen Hals, aber keine Waffen. Welche er auch gar nicht brauchte; seine erhobenen Hände reichten vollkommen dazu aus, ihn zu foltern. Während Ryons Nervenenden schmerzhaft gepeinigt wurden, versuchte er sich trotz seines wild zuckenden Körpers, wieder hoch zu kämpfen, aber seine Muskeln wollten ihm kaum gehorchen, so sehr durchfuhren ihn unsichtbare Blitzschläge. Zu seinem eigenen Entsetzten konnte er auch spüren, wie nicht nur das Leder auf seiner Haut zu kokeln anfing, sondern auch seine Haut selbst und zwar an den Stellen, an denen die Blitze seinen Körper durchfuhren. Doch das wirklich Schlimmste an diesem Angriff war die Tatsache, dass sein Herz immer unregelmäßiger zu Schlagen begann und Ryon nicht wusste, wie lange es dieser Folter noch standhalten konnte. Dennoch war er unfähig, etwas dagegen zu unternehmen, obwohl er gleich sterben würde. So schnell wie der Angriff über ihn gekommen war, endete er auch und die Zuckungen ließen nach, während sein Herz sich wieder um einen gleichmäßigen Rhythmus bemühte. Die asiatische Frau stand hinter dem benommen am Boden kniehenden Magier und hatte einen Baseballschläger in der Hand, den sie ihm offenbar über die Rübe gezogen hatte. Allerdings war ihr Schlag nicht fest genug gewesen. Der Kerl raffte sich schneller wieder auf als Ryon es vermochte und schlug seiner Retterin so fest ins Gesicht, dass diese bewusstlos zu Boden ging. Bei diesem Anblick brannten bei Ryon sämtliche Sicherungen durch, die nicht ohnehin schon von der Blitzfolter angestachelt worden waren. Mit vor Hass lodernden Augen stürzte er sich auf den Magier und wetzte so lange seine Krallen an ihm, bis jeder Versuch zwecklos wäre, diesen selbst für eine Beerdigung wieder zusammen zu flicken. Es war kein schneller Tod gewesen. Noch immer rasend vor unterdrückter Wut ließ er schließlich von dem zerfetzten Körper ab, um nach der schwangeren Frau zu sehen. Bis auf die rasch anschwellende Wange, schien ihr nichts zu fehlen, dennoch würde er sich nicht einfach so darauf verlassen. Zudem war es hier nicht mehr sicher für sie. *** Als sie mit dem Rücken über den rauen Asphalt schlitterte, war Paige kurz davor Sternchen zu sehen und einfach k.o. zu gehen. Sie wusste für Sekundenbruchteile gar nicht, was sie getroffen und diesen hämmernden Schmerz unter ihrem Auge verursacht hatte. Doch als ein Männergesicht über ihr auftauchte und sie am T-Shirt hochgezerrt wurde, reagierte ihr Körper reflexartig für sie, wo der Verstand noch nicht ganz mitkam. Mit einem erschrockenen Schrei sprang der Kerl zurück und sah auf seine völlig verbrannte Hand hinunter, bevor er in die Knie sank und sie wimmern irgendwie zu kühlen versuchte. Paiges Kleidung fiel von ihr ab, als sie sich hastig nach allen Seiten umsah. Immerhin waren es nicht viele. Drei. Einer Frau traute man wohl nicht allzu viel Gegenwehr zu. Wütend presste Paige die Lippen zusammen. Sie würden gleich sehen, wie schwer sie sich da getäuscht hatten. Der zweite Mann, breit wie ein Ochse und mit ähnlichen Hörnern seitlich am Kopf kam auf sie zugerannt und schien sich von den Flammen nicht abschrecken zu lassen. Die lange Metallstange, die er auf Paige zusausen ließ, sollte ihn wohl vor direktem Kontakt schützen. Sie nutzte seine geballte Körperkraft und den Schwung aus, mit dem er auf sie zu stürmte und drehte sich an der Stange entlang auf ihn zu, bis sie sich auf seinen Rücken schwingen konnten. Sein Augenlicht hätte er auch nicht wieder erlangt, wenn Paige ihm ihre brennenden Finger nicht zusätzlich noch so tief in den Rachen gesteckt hätte, wie sie konnte. Mitten im Lauf bracht er zusammen und schrie und biss noch eine Weile, bis sein Körper endlich aufgab. Der Gestank von verbranntem Fleisch und Haaren widerte auch Paige an und sie kam ob ihrer Tat wacklig auf die Beine. Mit geweiteten Augen sah sie auf den Mann herab und ihr wäre schlecht geworden, wenn sie Zeit dazu gehabt hätte. Stattdessen hörte sie das seltsame Ploppen zur gleichen Zeit, zu der ein stechender Schmerz von ihrer Seite aus durch ihren gesamten Oberkörper fuhr. Das Blut sprudelte kochend heiß aus der Wunde, welche die Kugel in ihre leichte Schuppenpanzerung gerissen hatte. Weitere Geschosse schlugen nur wenige Zentimeter neben oder hinter ihr in Hauswände und Eingangstüren. Selbst wenn Paige laut um Hilfe geschrien hätte, wäre niemand so dumm gewesen, jetzt auch nur ein Haar auf der Straße sehen zu lassen. Hier brachte sich niemand selbst in Gefahr. Denn selbst bei der kleinsten Keilerei, geschweige denn einer Auseinandersetzung mit Schusswaffen, konnte es sofort um das eigene Leben gehen. Da sie das wusste, prallte Paige beinahe überrascht zurück, als ein weiterer Mann sich aus einem Hauseingang löste und auf die Straße vor ihr hinaustrat. Schliddernd kam sie mit nackten Füßen zum Stehen und sah sich wie ein Tier in der Falle nach allen Seiten um. Zwei waren außer Gefecht und der Dritte hatte beim Auftritt des Unbekannten aufgehört wie wild hinter Paige her zu ballern. Und dabei wäre sie nie davon ausgegangen, dass dieser Neue zur Gruppe der Angreifer gehören könnte. Sein Outfit entsprach schon allein gar nicht dem seiner Kumpanen. Paiges dunkle Augen huschten auf der Suche nach einer weiteren Waffe über seinen Körper, während sie gleichzeitig versuchte den Mann mit dem Revolver hinter sich nicht außer Acht zu lassen. Sie sah fließenden Stoff in dunklen Farben. Einen langen Stoffmantel mit weiten Ärmeln, der vorn Knöpfe hatten, die so aussahen, als hätten sie auf dem Markt genug Geld für einen Monat gutes Leben eingebracht. Genau das Gleiche schätzte Paige für den Schmuck, den der Mann an seinen Finger und Ohren trug. Eigentlich wunderte sie sich, dass er nicht bei jedem Schritt klimperte, so wie er mit Kostbarkeiten bestückt war. Sein Haar war lang und von einem glänzenden Schwarz. Vorn fiel es ihm in zwei Zöpfen über die Ohren, während es vom Hinterkopf bis zu seinem Hinter den Rücken hinunter wallte. Manch einer, der nicht spürte, dass ihm dieser Mann ans Leder wollte, hätte ihn vielleicht als schön bezeichnet. Paiges gespaltene Zunge fing einen seltsamen Geruch auf, der den Unbekannten wie eine Aura umgab. Da sie es nicht zuordnen konnte, kostete sie noch einmal davon. Und wieder. Da war so etwas wie Lotus... Lavendel... und etwas Schweres, das so gut zu seinen roten, vollen Lippen passte. Weder bemerkte Paige, wie ihre Flammen langsam erstarben, noch wie sich ihr die in sanfte Töne und wallende Stoffe gekleidete Gestalt ruhig immer weiter näherte. Immer wieder schüttelte sie den Kopf, als würde sie etwas loswerden wollen. Einen Nebel oder einen unangenehmen Ton in den Ohren, der sie daran hinderte etwas Bestimmtes zu tun. Er war ein ganzes Stück größer als sie selbst und Paige konnte sehen, dass er ihr in den Nacken greifen wollte, um sie bei dem Schwindelgefühl, dass sie ergriffen hatte davon abzuhalten, einfach umzufallen. Er war also ein höflicher Mensch. Darauf bedacht, dass sie sich nicht wehtat. Dabei hätte sie sich in den Nebeln und wabernden Geruchsspuren, die sie umgaben doch gar nicht wehtun können. Ihre Zunge hätte so gern seine dunkle Haut berührt, so gern noch mehr von dem geschmeckt, was bis jetzt nur intensivster Geruch war. Selbst die gebogene Klinge, die direkt neben ihrem Gesicht auftauchte und sich in ihrem kalten Glanz mit dem goldenen Schmuck des Mannes nicht vertragen wollte, konnte Paige nicht verunsichern. Er würde ihr doch nichts tun. Er wollte sie nur beschützen. Sie einhüllen in duftenden Nebel. „Du bist schön.“ Seine Stimme war ein angenehmes, leises Singen, das direkt unter ihre Haut zu dringen schien. Verwundert sah Paige an sich hinunter, um zu überprüfen, was er gesagt hatte. War sie denn schön? So wie sie jetzt war? Mit ihren Schuppen und der Haut der Menschen, die an einigen Stellen noch zu sehen war? Was war er denn? Was musste sie denn für ihn sein, damit sie schön war? Ihre Stirn kräuselte sich angestrengt und endlich spürte sie die Spitze des Messers, die gerade die Kontur ihres Halses hintern zeichnete. Der Puls sprang ihr so schnell in die Höhe, dass die Schleier in ihrem Hirn in winzige Fetzen zerrissen wurden. Mit einem Wutschrei riss sie sich los und schlug dem Mann mit flammenden Fingern das Messer aus der Hand. Sie hatte mit einem Fluch gerechnet, vielleicht einem unüberlegten Angriff, wie von dem zweiten Kerl, aber nichts dergleichen passierte. Lachen drang an ihre Ohren. Klirrendes, kaltes Lachen, das ihr einen Eiszapfen durchs Herz jagen wollte. Ein Zittern ging durch ihren Körper und Paige merkte, wie sie drohte, die Kontrolle über ihre Flammen zu verlieren. Erst jetzt sah sie die Augen des Mannes. Sie waren von einem so durchsichtigen blau, dass sie fast weiß wirkten. Allein der Kontrast zu der braunen Haut, ließ den Kerl maskenhaft erscheinen. Eine Fratze des Grauens für Paige, der jetzt ganz andere Gerüche von ihm entgegen schlugen. Aber noch einmal würde sie sich nicht das Hirn vernebeln lassen. Von ihren Gegnern unerwartet schnellte sie herum und warf sich beinahe blau lodernd auf den Mann, der immer noch den Revolver in der Hand hielt. Da sein Kollege sich anscheinend um die härteren Fälle wie Paige kümmerte, hatte er nicht aufgepasst und versuchte nun sich schreiend im Dreck zu wälzen, um das Feuer zu ersticken, das sich über seinen gesamten Körper ausbreitete. Natürlich vergebens. Paige rannte. Sie rannte um ihr Leben. Weg von dem Lachen und weg von der Bedrohung. Bloß weg von dem Mann der ihr ihren Verstand rauben konnte. Sie hatte sich durch Lücken zwischen alten Häusern gequetscht, war über Dächer geklettert und hatte sich doch auf den Weg gemacht, der ihr so viel mehr Panik versprach als jener, von dem sie gerade erst geflohen war. Sie musste zu Ai und jeder Schlag ihres Herzens glich bloß einem Schrei. „Lass' mich nicht zu spät kommen!“ *** Endlich öffnete sich die honigfarbene Holztür und ein älterer Mann Mitte Fünfzig kam heraus. Er trug einen leicht zerknitterten grauen Anzug, der zu den grauen Strähnen in dem noch immer dichten schwarzen Haar passte. Er strich sich gerade die hoch gekrempelten Hemdsärmel wieder bis zum Handgelenk hinunter, ehe sich seine sanften grauen Augen an Ryon richteten, der noch genauso da stand, wie schon vor einer Stunde. „Wie geht’s ihr, Tennessey?“ Seine Stimme war noch ausdrucksloser als sonst, aber das konnte man ihm nicht übel nehmen. Er war wieder hier. Obwohl er in einem hellen Flur mit großen Fenstern, weißen Leinenvorhängen, vielen Grünpflanzen und sorgsam dekorierten Wänden auf hellem Parkett stand, fühlte er sich so fehl am Platze, als wäre ihm das alles nicht vertraut. Als stünde er in einer anderen Welt und nicht in dem Haus, bei dem er geholfen hatte, es mit eigenen Händen zu bauen. Er wollte hier weg. Sofort auf der Stelle. Jede Sekunde die er hier länger blieb, fühlte sich so an, als würde in ihm drin etwas qualvoll sterben und doch nie endgültig tot sein. Trotzdem war er geblieben. Die Sorge um diese unbekannte Frau hatte ihn an Ort und Stelle festgehalten. Der Arzt und ein langjähriger Freund den er schon lange nicht mehr aufgesucht hatte, lächelte ihn beruhigend an. Auf genau die Art, wie Ärzte immer aussahen, wenn sie eine gute Nachricht hatten und zugleich Angehörige beruhigen wollten. Aber es lag noch etwas in dem Blick des älteren Mannes – Sorge. Nicht wegen der Frau, sondern wegen Ryon. Es war nur zu berechtigt und dennoch schwieg er darüber. Tennessey wusste, dass es Dinge gab, bei denen die beste Medizin nicht weiter half. „Ich habe ihr ein leicht verträgliches Beruhigungsmittel gegeben, damit sie noch etwas schläft. Ihr und dem Kind geht es gut. Auch wenn ich mir Sorgen darüber mache, dass sie so dünn ist. Weißt du, ob sie sich ausgewogen ernährt?“ Ryon schüttelte nur den Kopf. Bis vor wenigen Stunden hatte er die Frau noch nie in seinem Leben gesehen. Aber wenn sie in so einer Gegend wohnte, konnte man durchaus davon ausgehen, dass sie nicht genug zu essen bekam. Zumindest nicht das, was eine schwangere Frau brauchte. „Ich habe bereits veranlasst, dass alles vorbereitet wird. Du kannst Tyler aber auch noch eine Liste der Lebensmittel mitgeben, die er besorgen soll und was sie sonst noch so brauchen wird. Ich will ohnehin, dass du solange bei ihr bleibst, bis ich wieder da bin.“ Der Arzt sah überrascht aus. „Du willst noch einmal weg? Ich hatte noch nicht die Zeit nach deinen Verletzungen zu sehen.“ „Es sind nur Kratzer.“ Ryons Miene zeigte ohnehin keinerlei Regung, obwohl er Schmerzen hatte. Aber sein alter Freund sah auch so, dass es eine Lüge war. Er würde ihn aber nicht weiter aufhalten. Sofern der Hüne nicht mit dem Kopf unterm Arm zu ihm kam, war alles noch nicht so schlimm. „Du wirst doch hier bleiben und auf sie aufpassen, oder?“, wollte Ryon noch einmal wissen, bevor er die Schlüssel für seinen Wagen aus der Tasche zog. „Natürlich. Solange du willst.“ „Gut.“ Er wandte sich zum Gehen. „Und Ryon-“, rief ihn Tennessey noch einmal zurück, woraufhin er stehen blieb, ohne sich umzudrehen. „Pass auf dich auf.“ Stille, dann: „Kein Problem.“ Mit diesen Worten verließ der Hüne das Haus und kurze Zeit später konnte man ihn mit quietschenden Reifen davon fahren hören. Der alte Arzt schüttelte seufzend den Kopf. „Du bist immer noch ein schlechter Lügner.“ Ryons Finger zitterten auf dem Lenkrad, weshalb er es noch fester umschloss. Aber es half nichts. Er hatte gewusst, dass es keine gute Idee gewesen war, zu seinem Haus zurück zu fahren. Doch mitten in unzähligen Hektaren von Wald, der ihm gehörte, war das der sicherste Ort, den er kannte. Vor allem, da alles mit den modernsten Sicherheitsüberwachungsmittel ausgestattet war, die man auf dem Markt bekommen konnte. Selbst der Schwarzmarkt hatte noch nichts Besseres zu bieten. Denn obwohl er diesen Ort schon seit Jahren nicht mehr betreten hatte, sorgte er doch stets dafür, dass das Haus, der Garten und der Wald in Ordnung gehalten wurden. Einmal hatte er sogar kurz davor gestanden, alles zu verkaufen, doch letztendlich war er dafür zu schwach gewesen. Also war ihm nichts anderes übrig geblieben, als es in Stand zu halten, obwohl er sich so weit wie möglich davon fern hielt. Tyler der alte Butler, den er vom Haushalt seiner Eltern übernommen hatte, erledigte diese Aufgabe sehr gewissenhaft und zu Ryons größter Zufriedenheit. Wenigstens ein paar Menschen im Leben, auf die man sich verlassen konnte, auch wenn sie nicht gänzlich menschlich waren. In der Nähe des Eingangs zur World Underneath parkte er den schwarzen Sportwagen und stieg aus. Seine schweren Stiefel knallten förmlich auf dem Asphalt, da er sich nicht damit aufhielt, unauffällig zu bleiben. Es war inzwischen viel Zeit vergangen, seit man die schwangere Frau angegriffen hatte. Doch die Schicht von der Diebin dürfte noch nicht zu Ende sein. Wer weiß, vielleicht war sie inzwischen auch schon tot. Immerhin war es doch sehr unwahrscheinlich, dass man ihr nur zuhause auflauerte. Das waren bestimmt noch nicht alle gewesen. Trotzdem lief er zuerst zu ihrer Wohnung zurück. Allerdings kam er wirklich zu spät. Sie war bereits da. Beim Anblick ihres nackten, teilweise von Schuppen übersäten Körpers, über den immer wieder bläuliche Flämmchen züngelten, blieb er schließlich stehen. Er wusste nicht genau, warum er hier war. Es diente ihm wohl kaum, sich mit der Diebin zusammen zu tun, die es auf sein Amulett abgesehen hatte. Aber vielleicht würde ihr Anblick die schwangere Frau etwas beruhigen, wenn sie in einer völlig fremden Umgebung aufwachte. Immerhin könnte zu viel Stress für eine frühzeitige Geburt sorgen. Das sollte nicht passieren. Paige hatte sich eine Weile nicht von der Stelle gerührt, nachdem sie die Tür zu ihrer Wohnung aufgeschoben und das Chaos entdeckt hatte. Ihre Augen schienen die Bilder, die sich ihr boten gar nicht bis in ihr Gehirn weiter zu leiten. Nur einzelne Aspekte kamen nach und nach an und ließen Paige das Blut in den Adern und die schon gepresste Atmung stocken. Da war Blut und Männer in dunklen Mänteln, bei denen man nicht den Puls fühlen musste, um zu wissen, dass sie nicht wieder aufstehen würden. Wie mechanisch stieg sie über die Körper hinweg, suchte krampfhaft nach einem Zeichen von Leben in diesem Massaker. Ihre Stimme war rau und kaum zu hören, als sie das erste Mal nach Ai rief. Zum ersten Mal erschien Paige ihre Wohnung riesig, als sie nun darin unterwegs war, um nach ihrer Freundin zu suchen. Nirgendwo war etwas zu hören. Keine Antwort, aber auch keine Schmerzenslaute. Paige liefen Tränen übers Gesicht und sie fühlte sich heiser, obwohl ihr nichts als ein paar Mal Ais Name über die Lippen gekommen war. Ihre Mitbewohnerin war nicht hier. Die Panik, die sich in immer höher schlagenden Wellen über ihren Körper ausbreitete, war nicht zu beschreiben. Gerade wollte sie aus der Wohnung stürmen, um draußen weiter zu suchen, als sie schwere Schritte auf der Treppe hörte. Schritte, die ihr selbst nach den wenigen Gelegenheiten, bei denen sie sie gehört hatte, bekannt vorkamen. Doch erst als ihre Zunge seinen Geruch wahrnahm, war sie sich sicher. Diesmal war es die Wucht der Verzweiflung, die sie handeln ließ. Völlig unüberlegt sprang sie den Mann an, der sie um Einiges überragte und sicher unter ihrem Fliegengewicht nicht zu Boden gehen würde. Aber die Überraschung ließ ihn zumindest an den Türrahmen taumeln, bevor Paige ihm einmal mit den spitzen und flammend heißen Fingernägeln übers Gesicht kratzen konnte. „WO IST SIE?!“ Unter dem Klammergriff, mit dem sie sich an ihm festhielt, spürte sie die Lederkluft, die er anhatte. Noch leistete das Material Widerstand. Aber Paige konnte noch ganz anders, wenn es drauf ankam. Und da würde ihn das Bisschen Tierhaut nicht lange retten können. Wenn er Ai etwas angetan hatte, würde er sogar sehr viel qualvoller sterben, als er sich in seinen schlimmsten Albträumen ausmalen konnte. Wieder griff sie nach seinem Gesicht, da es das leichteste Ziel und einigermaßen ungeschützt war. Verdammt, sie würde ihm die Augen langsam herausbrennen, wenn es sein musste. Natürlich war er sich bewusst gewesen, dass diese Frau ihn sofort angreifen würde. Aber nun einmal nicht so schnell, weshalb sie bereits an ihm klebte, noch ehe er hatte reagieren können. Glühend heiß fuhren ihre Fingernägel über sein Gesicht und verbrannten die Haut, die sie dort berührt hatte. Zudem klammerte sie sich so sehr an ihm fest, als wäre sie mit ihm verwachsen, was es schwer machte, der Hitze zu entkommen. Vor allem, da sie seinen Schwachpunkt nur zu bewusst auszunutzen versuchte. Sein Gesicht war ihren Attacken schutzlos ausgeliefert und so wie sie sich benahm, würde sie ihn erst grillen bevor sie auf eine Antwort wartete. Sie war völlig außer sich. Nur mit gut Glück konnte er ihrer Hand ausweichen, die erneut nach seinem Kopf fassen wollte, während er zugleich versuchte, sie von sich herunter zu drücken. Seine Hände griffen dabei auf glühend heißen Widerstand, der sich rau und hart anfühlte. Das mussten ihre Schuppen sein. Doch obwohl er an ihr zerrte, würde sie ihm vermutlich eher das Fleisch von den Rippen brennen, als ihn loszulassen. Ryon kam noch nicht einmal dazu, auf ihre Frage zu antworten, da versuchte sie ihm erneut die Haut vom Gesicht zu brennen, weshalb er mit einer freien Hand die ihre schnappte und festhielt, obwohl alles an ihr inzwischen so heiß war, dass es sich anfühlte, als würde er eine riesige Herdplatte auf der Brust sitzen haben. Sehr viel länger, würde er das nicht mehr aushalten. Schon jetzt floss ihm der Schweiß den Rücken hinab, aber noch schlimmer waren die Verbrennungen. Er konnte zwar viel ertragen, aber wenn sie sein Gewebe endgültig zerstörte, konnte auch er sich nicht mehr regenerieren. Während er also darum rang, ihren glühend heißen Körper von ihm runter zu bekommen und dabei versuchte ihre Hand nicht loszulassen, obwohl sie ihm ungeheure Schmerzen verursachte, taumelte er durch die Küche in Richtung Bad. Es schien sogar noch winziger zu sein, als der Rest der Wohnung. Mit der letzten Kraft, die er noch aufbringen konnte, drückte er die Frau gegen die kalten Fliesen der Dusche, ehe er das Wasser aufdrehte. Obwohl es eiskalt auf sie beide niederprasselte, war der Raum schon kurze Zeit später von Dampfschwaden erfüllt, doch die Hitze wurde wenigstens etwas gemildert. „Hör mir zu.“, verlangte er mit zusammen gebissenen Zähnen zu der Diebin durchzukommen, noch immer ruhig, aber seine Fassade würde nicht mehr lange standhalten. Vor Schmerzen wurde ihm bereits schwindlig und schlecht und obwohl er ansonsten goldbraun gebrannt war, war sein Gesicht erschreckend weiß, mal von den roten Spuren ihrer Kratzer abgesehen. „Sie ist in Sicherheit.“, presste er mühsam hervor und sank mit der Frau zusammen in die Knie, während das kalte Wasser ihm über den Körper lief und ihn bis auf die Knochen durchnässte. Ryon konnte die Frau nicht mehr von sich wegdrücken. Ihm fehlte inzwischen völlig die Kraft dazu. Sein Atem ging schwer, während er am ganzen Körper zitterte. Verdammt, er konnte noch nicht einmal ihre Hand los lassen. Nicht etwa, weil er es nicht gewollt hätte, sondern weil er es nicht konnte. Seine verbrannte Haut klebte an ihr fest. Paige spürte seine Versuche kaum, mit denen er sie von sich herunter zu zerren versuchte. Seine Krallen rutschten Größtenteils an ihrem Schuppenkleid ab und trafen nur selten auf die wenigen Flecken menschlicher Haut. Als er schließlich ihre Hand ergriff und sie wie ein Schraubzwinge festhielt, loderte in Paige noch mehr Wut hoch. Die Flammen ihres Körpers schlugen über ihrem Kopf zusammen und leckten mit ihren Zungen an der niedrigen Decke der Räume. Ihr Griff lockerte sich kurz, als der Mann sie mit dem Unterarm von seiner Brust wegschob und ihr gleichzeitig die Hand nach hinten bog. Dass er sie in Richtung Bad trug, bemerkte Paige gar nicht. Sie steckte auf dem Weg das Tischtuch in Brand und blieb mit der Schulter schmerzhaft am Türrahmen hängen. Aber erst, als sie die kalten Kacheln in ihrem Rücken spürte, erkannte sie, wo er sie hingebracht hatte. Ihre Versuche ihm Schmerzen zuzufügen wurden noch wilder, als sie sah, dass er mit seiner freien Hand nach der Konsole griff. Das eiskalte Wasser verursachte ein unangenehmes Gefühl auf ihrer Haut, da es gegen das Feuer ankämpfte und gleichzeitig noch heißeren Dampf hervorrief, der selbst auf den stabilen Schuppen empfindlich brannte, die Paige vor ihrer eigenen Fähigkeit schützten. Aber die Flammen wurden unter dem Wasserstrahl unweigerlich kleiner. Auch wenn ihr Gegner das kalte Nass hauptsächlich dazu nutzte, seine Wunden zu kühlen. Paige sah an seinen Augen, dass sie ihm durchaus große Schmerzen zugefügte. Trotzdem gab er noch nicht einmal ein Stöhnen von sich oder ließ sie los. Stattdessen presste sie sein Körpergewicht noch enger an die geflieste Wand, als er in die Knie sank und sie mit sich zog. Die Schuppen auf ihrem Körper blieben immer wieder an den Fugen der Wand hängen und wurden einzeln aus ihrer Haut gerissen. Ohne die Flammen war sie nichts anderes als ein nur leicht gepanzertes Wesen, bei dem man nur wissen musste, wo die empfindlichen Stellen lagen, um es einfach auszuschalten. Der Kerl, den Paige immer noch mit den Beinen umschlungen hielt und dem das eiskalte Wasser über den gesamten Körper lief, wusste allerdings offensichtlich nichts davon, dass er leichtes Spiel dabei hätte sie zu verletzen, wenn er es in diesem Moment wollte. Stattdessen erwischte er sie kalt mit der Aussage, dass Ai in Sicherheit sei. Paige verkrampfte sich für einen Moment so sehr, dass sie an seiner Reaktion sehen konnte, dass er fürchtete, sie könne einen neuen Flammenhagel auf sie starten. Aber das wäre im Moment nicht dienlich gewesen. Immerhin konnte er nichts mehr sagen, wenn sie ihn als verkohltes Häufchen Asche zurückließ. Ihre dunklen Augen waren nur noch Schlitze, mit denen sie ihn fixierte. Da er ihre Hand aus irgendwelchen Gründen immer noch festhielt, bewegte sie sich kaum. Gefasst darauf, dass er sie nur austricksen und mit Krallen oder anderen Waffen schwer verletzen wollte. „Was hast du mit ihr gemacht?“ Die Panik davor, dass er Ai irgendwo gefangen halten und ihr schlimmeres als den Tod angetan haben könnte, ließ erneut blaues Feuer über die Stellen von Paiges Körper glimmen, die nicht von dem Wasserstrahl der Dusche direkt getroffen wurden. Einzelne Tropfen zischten auf ihr, wie auf einer glühend heißen Herdplatte, ehe sie verdampften. Ryons Körper wurde von Krämpfen geschüttelt, die nur indirekt etwas mit den schweren Verbrennungen und den unerträglichen Schmerzen zu tun hatten. Er verlor die Kontrolle über sich und die unkontrollierten Zuckungen seiner Muskeln waren die ersten Anzeichen dafür. Er konnte noch nicht einmal mehr genau die nächste Frage hören. Stattdessen kämpfte er darum, seinen Überlebenstrieb auch weiterhin unterdrückt zu halten. Denn – das stand ganz außer Frage – hätte er ihn einfach zugelassen, die Diebin würde mehr als nur Feuer brauchen, um lebend aus dieser Zwangslage heraus zu kommen. Mit aller Macht kämpfte er dagegen an, sich wieder zu beruhigen. Sogar sein Gesichtsausdruck wirkte inzwischen angespannt, aber selbst das war noch ein starker Kontrast zu der Hölle, die in ihm brannte. Und wie er brannte. Alles an ihm schien zu brennen und ihn zu peinigen. Er hielt es kaum noch aus, trotz des kalten Wassers. Mühsam packte er mit seiner freien Hand die der Frau, von der er nicht mehr die Finger lösen konnte. Noch einmal schnappte Ryon nach Luft, ehe er sich von ihrer schuppigen Haut los riss und darauf einen Teil seiner eigenen verbrannten Haut zurück ließ. Dieses Mal konnte er das Grollen in seinem Brustkorb nicht mehr unterdrücken, als der Schmerz ihn beinahe niederrang. Am liebsten hätte er seinen Schädel so oft gegen die Fliesen gedonnert, bis ein Schmerz den anderen ablöste, aber es würde nichts bringen, also presste er den verletzte Arm einfach nur eng an sich und hielt die Augen für ein paar tiefe Atemzüge lang geschlossen. Obwohl die Diebin immer noch an ihm hing, vergaß er sie wenigstens diesen einen Augenblick lang, während jegliche Gedanken wie ausgelöscht zu sein schienen. Seine wahre Natur wollte aus ihm heraus brechen. Doch weder war das der richtige Zeitpunkt dafür, noch war diese Frau es wert, dass er sich ihr zeigte. Weshalb er nun entschlossener denn je, darum kämpfte, von ihr los zu kommen und somit von diesem unerträglichen Brennen, dass ihn noch immer nur noch mehr zu verletzten versuchte. Dieses Mal kannte er keine Gnade mehr. Er riss sie mit aller Kraft von sich herunter. Kaum dass es ihm gelungen war, auf Händen und Knien aus der Duschkabine zu kriechen und sich an der Mauer neben dem Waschbecken anzulehnen, fiel es ihm schon leichter, sich zu beherrschen. Dennoch grollte seine Stimme vor unterschwelligem Zorn und rasendem Schmerz, als er die Frau auch weiterhin auf Abstand zu halten versuchte. „Fass mich noch einmal an und ich bring dich um, selbst wenn wir beide dabei draufgehen!“ Im Augenblick war es ihm egal, dass sie eigentlich auf derselben Seite standen. Vergessen war das Amulett, das noch immer seltsam kühl auf seiner viel zu heißen Haut lag. Vergessen waren die Leichen im Wohnzimmer und die schwangere Frau. In seinem ganzen Körper pochte nur noch dieser unerträgliche Schmerz und der Drang, die Bestie in sich frei zu lassen. Mit unglaublicher Kraft pflückte der Mann Paige von sich. Ob es Absicht gewesen war oder reine Reaktion, war schwer zu sagen, aber er donnerte sie mit echter Gewalt gegen die Rückwand der Dusche. Ihr Hinterkopf knallte an die Fliesen und irgendetwas an seiner Kleidung kratzte an der Innenseite ihres Oberschenkels entlang. Den Blick nicht nur durch das immer noch prasselnde Wasser vernebelt, massierte sie sich den schmerzenden Hinterkopf. „Es macht überhaupt keinen Sinn, jemandem den Tod anzudrohen, wenn man selbst sterben will...“, murmelte sie laut denkend vor sich hin, während sie versuchte auf die Füße zu kommen. Es gelang ihr nur halbwegs. Ihr rechter Fuß rutschte in der Wanne weg und sie landete ungelenk auf einem Knie, was sie direkt unter das eiskalte, prasselnde Wasser beförderte. Wäre sie nicht schon fuchsteufelswild gewesen, hätte das das Fass zum Überlaufen gebracht. Mit einem Ruck drehte sie die Dusche ab und sah dann zu dem Mann hinüber, der mit seiner riesenhaften Gestalt den gesamten kleinen Raum zu füllen schien. Paige konnte sehen, dass er Schmerzen hatte. Das erste Mal, seit sie ihm begegnet war, zeigte er überhaupt irgendeine Reaktion auf etwas, das mit ihm geschah. In einigermaßen stabiler Position hockte sie sich hin und setzte vorerst nur ihre Hände in Flammen. Immerhin sollte sie mit ihrer Kraft haushalten. Noch wusste sie nicht, was der Typ noch vorhatte. Und das Wichtigste war immer noch nicht geklärt. „Was hast du mit meiner Mitbewohnerin gemacht?“ Erst als sie ihre Arme nach vorn streckte, um ihm zu zeigen, dass sie es durchaus immer noch ernst meinte, trotz seiner angekommenen Drohung, fiel ihr die Haut an ihrem Handgelenk auf. Ihre Augen zuckten blitzschnell zu seiner Hand, die er gegen das Leder seiner Jacke presste. Die Handfläche war bereits jetzt eine Masse aus verletztem Gewebe und dicken Brandblasen. Während ihr Herz ihr bis zum Halse schlug, rasten die Gedanken in Paiges Kopf. Was, wenn er Ai schon längst umgebracht hatte? Dann sollte sie kurzen Prozess mit ihm machen, bevor er wieder auf die Beine kam. Selbst mit den Verletzungen war er ihr an Kraft haushoch überlegen. Davon zeugte die dicke Beule, die sie am Hinterkopf bekommen würde. Aber da war diese winzige Chance, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Die Männer da draußen in der Wohnung waren sicher nicht von Ai zur Strecke gebracht worden. Außerdem hatte er sie nicht verletzt. Mal von dem dröhnenden Schädel abgesehen. Aber wenn sie die Krallen bedachte, die sie schon einmal an ihm gesehen hatte, war das noch ein leichtes Los. Ob er doch die Wahrheit sagte? Die Sorge um Ai und das Hoffen auf ihre Unversehrtheit besiegte das Misstrauen gegenüber dem Fremden. Natürlich würde sie ihre Deckung hinter den flammenden Händen nicht aufgeben, aber jeder hatte seinen Preis. Ein Tausch versprach bessere Ergebnisse, als wenn sie sich doch noch auf einen Kampf auf Leben und Tod mit ihm einließ. Mit einem Nicken, das auf seine Hand deutete, sprach sie ihn an. „Wenn ich sie heil wiederbekomme, kann ich dir die Schmerzen nehmen.“ Zumindest das. Auch wenn sie nicht garantieren konnte, dass es heilen würde. Dafür war die Verletzung verdammt tief. Er war vermutlich ein Wandler. Vielleicht würde er nur eine kleine Narbe zurückbehalten. Mit Paiges Hilfe hätte er auf jeden Fall bessere Chancen. Ihre Worte drangen nur dumpf zu ihm durch, aber er verstand sie. Worauf es ihm in diesem Augenblick aber eher ankam, war die Tatsache, dass sie ihm nicht schon wieder eine ihrer feurigen Umarmungen schenkte. Solange sie die Distanz zu ihm wahrte, wäre die Situation noch zu retten. Zumindest von ihm aus gesehen, denn obwohl er sich vor Schmerzen fast übergeben musste, hörte das unwillkürliche Zittern seines Körpers auf und der Nebel um seine Gedanken lichtete sich langsam wieder. Er hatte die Verwandlung am Ende doch noch zurückhalten können. Ryons Kiefer waren zwar noch immer angespannt aufeinander gepresst, während er stockend atmete, doch er hob trotzdem den Blick, um der Diebin in die Augen zu sehen. Lange starrte er sie einfach nur an, während er in seinem Kopf alle Möglichkeiten überschlug. Er konnte dieser Frau nicht trauen, weshalb es ziemlich dumm wäre, ihr seine Hand hin zu strecken. Am Ende würde es ihm noch den ganzen Arm kosten. Außerdem, warum sollte sie ihm helfen wollen, wo sie es doch war, die seine Verletzungen verursacht hatte? Alleine der Stolz, den er trotz allem hatte, hätte ihn davon abgehalten. Aber was war schon Stolz? Hier ging es um sehr viel Wichtigeres. „Wenn du willst, kann ich dich zu ihr bringen.“, durchbrach er endlich das unangenehme Schweigen. „Aber wenn ‚wiederbekommen‘ für dich bedeutet, dass sie erneut mangelhafter Ernährung, Mördern und dieser Bruchbude ausgesetzt wird und das in ihrem Zustand, dann vergiss es.“ Natürlich, er kannte diese schwangere Frau nicht, aber deshalb würde er trotzdem nicht einfach wegsehen. Was er auch schließlich dadurch bekräftigte, dass er sich langsam wieder auf die Beine zwang. Leicht schwankte er zwar, aber soweit ging es ihm den Umständen entsprechend gut. Noch immer die Hand an seine Brust gepresst, sah er sein Gegenüber wieder ausdruckslos an, aber in seinen Augen stand deutlich geschrieben, dass er diesen Vorfall von Eben nicht so schnell vergessen würde. Er war nicht rachsüchtig, aber dafür umso vorsichtiger, was bestimmte Vorgehensweisen anbelangte. Denn so ungern er es auch zu gab. Diese Frau war ein weiteres Puzzleteil im großen Rätsel um das Amulett. Sie führte zu den Auftraggebern. Er konnte sie also ohnehin nicht einfach gehen lassen. Trotzdem gab er ihr den Anschein, als hätte sie eine Wahl, obwohl sie die natürlich aus Gewissensfragen ohnehin nicht hatte. Ihr schien sehr viel an der schwangeren Frau zu liegen. Wenn man davon sprach, dass jemand explodierte, dann war das bei Paige fast wörtlich zu nehmen. Ihre geballte Wut riss sie in einem Ruck in die Gerade und ließ Feuer aus jeder Pore ihrer Haut lodern. Die Flammen füllten die gesamte Duschkabine aus und Paiges Augen leuchteten wie schwarze Perlen aus dem Meer aus Hitze hervor. Der Schrei, der sich ihrer tobenden Brust entrang, schien sogar in dem winzigen Raum widerzuhallen. Ihr Gegner konnte sich gar nicht vorstellen, wie viel Konzentration es sie kostete, hier nicht die Hölle über ihn herein brechen zu lassen. Ein Vorhang aus Flammen wallte die Wände und die Decke entlang und schloss den Mann in dem Raum ein. Nur mit einer Waffe hätte er sie jetzt töten und sich selbst noch retten können. „Wie kannst du es wagen?!“ Ja, wie konnte er? Paige hatte Ai auf der Straße gefunden, als sie kaum mehr als ein Knochenskelett gewesen war. Sie hatte sie mit hierher genommen. In ihr Zuhause. Es war nicht viel, aber Paige hatte ihr Möglichstes versucht, die Schwangere wieder hochzupeppeln. An ihrem eigenen Bett hatte sie gesessen und Ai Suppe und leicht verdauliche Kost eingeflößt, bis sie irgendwann wieder einigermaßen gesund aussah. Dass sie selbst dabei oftmals zu kurz gekommen war und man nicht gerade von einer Fettschicht auf ihrem Körper sprechen konnte, war Paige von Anfang an egal gewesen. „Was glaubst du, warum ich dein Scheißamulett klauen wollte?!“, fuhr sie ihn an, während sie dafür sorgte, dass Wellen aus Feuer die Wände entlang liefen und ihn immer noch festhielten, selbst wenn er davon nicht berührt wurde. „Du kannst dir vielleicht die Zähne mit goldenen Zahnstochern auspulen, weil du Leute in Käfigkämpfen umbringst! Was wäre das Leben einfach, wenn wir alle solche Monster wären, wie du!!“ Damit ließ sie das Feuer ersterben. Die Flammen zogen sich bis um ihren Körper zurück, wo sie Paige umspielten wie dressierte Riesenschlangen. Mit jedem Pochen ihres aufgebrachten Herzens dehnten sie sich nach außen aus. „Du wirst mich zu ihr bringen. Und dann verschwindest du aus unserem Leben.“ Mehr sagte sie nicht, aber in ihrem ruhigen Tonfall lag nun eine nachdrücklichere Drohung als jemals zuvor. Womit er auch als Antwort gerechnet hatte, ein Inferno war sicherlich nicht dabei gewesen. Ihre Wut war so deutlich spürbar, wie die Hitze, die sich rasch im Raum ausbreitete und ihn erneut zum Schwitzen brachte, obwohl die Flammen ihn nicht berührten. Aber der Raum war klein und somit hatte er nicht sehr viel Abstand zu den Wänden. Außerdem wurde die Luft von einer Sekunde auf die andere unglaublich stickig, da die Flammen, das meiste davon verbrauchten. Es fühlte sich an, als würde man flüssiges Feuer atmen. Obwohl Ryon auf alle Fälle Respekt vor dieser Fähigkeit hatte, blieb er ungerührt stehen und hielt dem Blick der Diebin stand. Die Worte, die sie ihm wutentbrannt entgegen schleuderte, schürten auch in ihm die Wut, doch er widersprach ihr nicht. In einem Punkt hatte sie immerhin recht. Er wusste nichts über sie und ihre Vergangenheit und ebenso wenig wusste sie etwas über ihn und seine Vergangenheit. Weshalb er im Grunde genauso wenig ein Recht darauf hatte, sie zu verurteilen, wie sie es mit ihm tat. Aus diesem Grund und keinem anderen, schwieg er. Denn sie beide würden zusammen arbeiten müssen, solange die Sache dauerte und danach würden sie sich hoffentlich nie wieder sehen. Darin waren sie sich wohl einig, auch wenn die Diebin noch nicht genau zu wissen schien, worauf sie sich da eingelassen hatte. Glaubte sie denn wirklich, sie könnte sich mit einer schwangeren Frau in der World Underneath vor ihren Auftraggebern verstecken? Wenn es sich hierbei wirklich um jene handelte, die er befürchtete, dann würde selbst er alle Hände voll zu tun haben, um ihnen nicht in die Falle zu gehen. Als sie sich schließlich wieder halbwegs beruhigt zu haben schien, atmete er einmal tief durch, wobei ihre Drohung deutlich bei ihm angekommen war. Immerhin schenkte sein Arm ihm bei jedem Herzschlag immer noch herzliche Grüße von ihr. „Genau das hatte ich vor.“, antwortete er ihr ruhig. Er hatte sich inzwischen wieder zur Gänze unter Kontrolle, was nur gut sein konnte. Wenn sie beide austicken würden, hätte keiner von ihnen beiden etwas davon. Das würde nur auf ein endgültiges Ende hinaus laufen. Ryon drehte ihr nicht gerade mit Wohlbehagen den Rücken zu, dennoch verließ er den Raum. Bei der Tür angekommen, blieb er noch einmal stehen, ohne sich umzudrehen. „Du solltest dir etwas anziehen. Wir verlassen die World Underneath.“ Bei seinem Haus angekommen, würde es egal sein, wie sie sich gab, solange sie es nicht wagte, irgendetwas abzufackeln. Immerhin bestand das meiste Baumaterial aus Holz. Was sich bekanntlich nicht sehr gut mit Feuer vertrug. Eigentlich hätte er nicht gedacht, dass er einmal froh sein würde, in das Haus zurück zu kehren, um sich die Wunden zu lecken. Doch im Augenblick hatte die Vorstellung tatsächlich etwas sehr Verlockendes. Er wollte bloß nur noch weg hier, da sie jederzeit erneut angegriffen werden könnten und er sich nicht gerade dazu im Stande fühlte, sich erneut zu verteidigen. Am liebsten hätte sie ihn noch einmal angeblafft, als er ihr befahl, sich etwas überzuziehen. Das sollte seine letzte Sorge sein, denn wenn er wieder so einen Kommentar fallen ließ, dann hätte sie ihre Klamotten so schnell verloren, wie er für ein Blinzeln benötigte. Trotzdem war es gut, dass er den kleinen Raum verließ. Hier war nach Paiges Ausbruch so gut wie nichts mehr übrig, das man mitnehmen konnte. Bis auf etwas, das genau wegen solcher Fälle an einem speziellen Ort gelagert war. Ohne zu viel verdächtige Geräusche zu machen, hob Paige den Deckel des Spülkastens hoch und fischte einen versiegelten Plastikbeutel heraus, in dem ein weiterer Beutel lag. Sie zog das Stoffsäckchen heraus, was ein leises Klimpern verursachte. Wahrscheinlich würde sie es nicht brauchen, aber hier lassen wollte Paige das Päckchen ebenfalls nicht. Immerhin hatte es so viel Wert wie die Sachen des Mannes, die sie auf dem Markt losgeschlagen hatte. Auch wenn ihr dieses Zeug hier wahrscheinlich niemand auch nur zum Schleuderpreis abnehmen würde. Mit vorsichtigen Schritten verließ sie das Badezimmer und sah sich konzentriert in der zum Teil brennenden Wohnung um. Eisschrank stand an der Eingangstür und zeigte nur sein Profil, auch ihn schienen die Flammen nicht weiter zu kümmern. Vermutlich dachte er wirklich auf diese Entfernung würde sie das Zittern seiner verletzten Hand nicht sehen, das ihren Blick bloß wieder auf das Stoffpäckchen in ihrer eigenen Rechten zog. Es wäre die größte Dummheit gewesen ihm tatsächlich helfen zu wollen. Am Ende hätte sie sich nur selbst damit verletzt. Auch gut, jetzt würde sie garantiert nie wieder in die Verlegenheit kommen, ihm ihre Hilfe anzubieten. Schnell zog sie sich an und stopfte ein paar Sachen für Ai in ihren Rucksack. Wertsachen, die sie hätte mitnehmen müssen, besaß sie ohnehin nicht. Also konnte dieser Ort so wie er war zurückbleiben. Es wunderte Paige ohnehin, dass noch keiner der Nachbarn die Ordnungshüter eingeschaltet hatte. Aber es war auch noch Nacht. Meist bequemte sich die Security von World Underneath nur tagsüber aus ihren eigenen Löchern. Genau zu der Zeit, in der sowieso nichts Nennenswertes passierte. Aber darüber regte sich schon lange niemand mehr auf. Warum auch? Man konnte sowieso nichts ändern. Ohne Schuppen, aber dafür in grauen Hosen und cremefarbenen Oberteil kam sie bis auf zwei Meter an den Mann heran, der immer noch im Türrahmen stand. Ob er sie beim Zurückziehen der Schuppen in ihre Haut oder dem darauf folgenden Umziehen beobachtet hatte, war Paige egal. Nicht umsonst nannte sie ihn Eisschrank. Diesbezüglich hatte sie von ihm wahrscheinlich weniger zu befürchten als von einem altersschwachen Grottenolm. „Wohin?“, wollte sie nur kurz angebunden wissen, als sie das Stoffbeutelchen in ihrem Rucksack verstaute und ihn sich dann auf den Rücken schnallte. Als er schon die Treppe hinunter verschwand, nahm sie ihre Jacke vom Haken an der Wand und verabschiedete sich mit einem wehmütigen Schmunzeln von der Wohnung, die ihr gemütliches Zuhause gewesen war und nun vermutlich schon bald vollkommen ausbrennen würde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)