Dark Circle von Darklover ================================================================================ Kapitel 2: 2. Kapitel --------------------- Diesmal war sie in einen dunkelbraunen Mantel gewickelt, der sie von Kopf bis Fuß einhüllte. Die Kapuze bis über die Augen hinunter gezogen, passierte sie die ersten Marktstände. Immer wieder schlugen ihr neue, manchmal undefinierbare Gerüche entgegen. Wesen aller Größen, Formen und Farben schoben sich über den kleinen Platz. Viele waren in schillernden Gewändern unterwegs, trugen ihren Schmuck trotz der zwielichtigen Umgebung zur Schau. An den spitzen Ohren, den hellgrünen Augen und den schmalen Mündern war ohnehin für jeden zu erkennen, dass mit diesen Leuten nicht zu spaßen war. Wer die Dunkelelben um ihr Gold bringen wollte, hatte es sofort mit deren Leibwachen zu tun.- Höllenfurien mit Reißzähnen und ätzendem Speichel, die alles zerfetzten, was ihnen zu nahe kam. Ob nun Dieb oder nur wehrloser, unschuldiger Zuschauer. Paige beachtete die anderen Anwesenden, von denen viele dem gleichen Handwerk nachgingen wie sie selbst, überhaupt nicht. Sie würde sich noch früh genug mit ihnen auseinander setzen müssen. Spätestens wenn sie das verkaufen wollte, was sie in einem Beutel dicht an ihrem Körper trug, damit es ihr nicht zu früh abhanden kam. Der Einbruch bei dem Eisschrank würde Ai und ihr zumindest ein ordentliches Abendessen einbringen. Und vielleicht sogar ein bisschen mehr als das. An einem kleinen Stand mit einem roten Zeltdach, stand ein runzeliger Kobold auf einer Holzkiste und warf kleine Farbbeutel in einen brodelnden Topf. Bunte Funken stoben jedes Mal in die Luft und erhellten die Umgebung für wenige Momente. Wofür er genau warb, wusste Paige nicht, dennoch blieb sie einen Augenblick lang stehen, um das Schauspiel zu verfolgen. Sie hatte Zeit. Auf dem Markt, der sich jedes Mal gebärdete wie ein sich überschlagender Ameisenhaufen, fühlte Paige sich sicher. Hier waren so viele Wesen, die ihr ohne mit der Wimper zu zucken, das Leben nehmen konnten, so dass es ihr unwahrscheinlich erschien, dass es tatsächlich passieren würde. Und selbst wenn man sie angriff, war dies hier der Ort, wo Paige ihrer rasenden Seite freien Lauf lassen konnte. Um sich zu verteidigen würde sie das ohne Zögern tun. Und niemand würde das auch nur mit einem schiefen Blick quittieren. Hier würde man die Ordnungshüter nicht einschalten. Die hatten sich aus gutem Grund seit der Entstehung des Marktes in der Gegend nicht mehr gezeigt. Fast genau im Mittelpunkt des großen Platzes, zwischen einem Karren, an dem eine junge, kurvige Schlangendämonin Pilze und getrocknete Kräuter für Heil- und andere Tränke feilbot und einem Stand mit Socken für alle Gelegenheiten, fand Paige, was sie suchte. Vielmehr wen sie gesucht hatte. Ein einfacher breiter Holztisch zeigte an, dass dieser Platz reserviert war. Geradewegs steuerte Paige darauf zu und blieb erst an die Kante des Gestells gelehnt stehen. Mit den Händen auf dem Tisch abgestützt, lehnte sie sich nach vorn und versuchte etwas im Schatten zu erkennen. „K'rk?“ Scharren und leises Klappern war zu hören. Paige versuchte noch einmal, auf sich aufmerksam zu machen. „Hey. Bist du da? K'rk!“ Das korrekte Raspeln des Anfangsbuchstabens gelang Paige auch nach all den Jahren noch nicht, aber ihre Stimme schien trotzdem dafür zu sorgen, dass sich etwas im Dunkeln bewegte. Zuerst war nur etwas zu sehen, das wie ein verschnürter Jutesack aussah. Bis er sich einmal im Kreis gedreht hatte und zwei Vertiefungen zum Vorschein kamen. In ihnen leuchteten rote Punkte auf, die Paige ein schmales Lächeln entlockten. „Ja, ja, ja, ich bin hier.“, erklang es unwirklich klar und jugendlich aus Richtung des Sacks. Etwas entspannter lehnte sich Paige nun zurück und wartete geduldig, während ein Surren erklang und der grobe Sack schließlich mit einem dumpfen Geräusch auf dem Tisch landete. „Ach, du bist's.“ Die roten Punkte leuchteten zu Paige hoch und schienen sie zu fixieren, obwohl man dem Stoff sonst keine Gesichtszüge ansehen konnte. Hätte Paige nicht gewusst, was sich in dem Sack verbarg und auch warum, nie hätte sie das Wesen vor ihr ernst genommen. „Ja, ich bin's. Und ich bringe dir was Schönes.“ In ihrer flachen Hand sah die Krawattennadel nach nichts aus, aber in dieser Umgebung mit dem Dreck und den seltsamen Gestalten strahlte das Gold noch mehr als normalerweise. „Oooooh.“ Die Stimme des Sacks war nun wirklich glockenhell und deutete durchaus die Natur des Wesens an, das sich vor der Welt versteckte. Es hüpfte näher und beugte sich über Paiges offene Hand, die sie sofort zurückzog. „Na, nur angucken, nicht anfassen. Ich will Fünfzig dafür.“ „Fe...“ Der Sack hüpfte wieder zurück und eines der leuchtenden Augen war offensichtlich geschlossen worden, denn nichts mehr war in dem Stoff zu erkennen. „Das war das Ding vielleicht mal wert, als es der Besitzer gekauft hat. Aber du kannst froh sein, dass ich dich mag und dir dreißig dafür gebe.“ Paiges Lippen pressten sich zu einem dünnen, blutlosen Strich zusammen. K'rk nannte sie, wie jeder, der mit Paige illegale Geschäfte machte bei diesem Kürzel. Zum ersten Mal hatte man sie wegen ihrer Aufmachung als Kellnerin so genannt. Paige hatte das gefallen und sie hatte sich nach einer Weile so vorgestellt, wenn Namen denn schon unbedingt notwendig wurden. „Na gut, K'rk. Dann werd ich's einfach bei dem fetten Menschen am Eingang versuchen. Dank' dir trotzdem.“ Sie war keine zwei Schritte gegangen, als ein helles Pfeifen erklang, das sie zurückrief. Das Schmunzeln ließ sich nur mit Gewalt unterdrücken, während Paige wieder zu dem Tisch ging und sich darüber beugte. „Hast du noch was anderes?“ Es bedurfte noch einiger Verhandlungen, bis sie ihre Beute für einen einigermaßen annehmbaren Preis losgeworden war. Lange nicht der, den das Zeug wert war. Immerhin legte der Eisschrank wohl Wert auf das Allerbeste und mochte echte Diamanten. Das Geldbündel, das nun in ihrem BH steckte, hatte eine angenehme Größe und machte Paige das Herz leichter. In Gedanken dankte sie dem Kerl dafür, dass er Ai und ihr ein Essen mit Fleisch und Gemüse für mehrere Wochen ermöglichen würde. Vermutlich würde ihn das keinen Deut kümmern, aber er brauchte die Kohle nicht. Das war offensichtlich gewesen. *** Exakt einundzwanzig Minuten nachdem er seine Wohnung verlassen hatte, betrat Ryon wieder das herunter gekommene Treppenhaus. Er war frisch geduscht und zum Glück hatte er auch den Rauch von sich waschen können, obwohl dieser immer noch seinen Geruchssinn zu beeinflussen schien. Den Gestank würde er vermutlich noch eine ganze Weile nicht mehr aus seinem Gedächtnis bekommen. Was noch zu seinem Unmut hinzu kam, war die Tatsache, dass – so gut sein Schneider auch war – seine geforderten Sachen noch nicht fertig gewesen waren und er aus diesem Grund gerade in schwarzer Lederkluft herum lief, die eigentlich für irgendeinem Dämonen gewesen wäre, der wohl so viel herum metzelte, dass er sich für schwarzes Leder entschied, um leichter das Blut abzubekommen. Ryon war kein Fan von Leder, aber in diesem Fall war er dem Dämonen ganz dankbar dafür. Die Sachen würden ihm seine Jagd etwas erleichtern, da er so weniger unter diesen ganzen Spukgestalten auffiel, als er es sonst tat. Obwohl er sich für Aufträge ohnehin immer anders kleidete,als in seiner Freizeit. Aber das war jetzt alles nicht wichtig. Vor seiner Wohnungstür angekommen, blieb er einen Moment zögernd stehen, ehe er sie öffnete. Sich schon wieder dem Rauch auszusetzen, war eigentlich das Letzte, was er wollte, aber es musste sein. Immerhin war er nun sein eigener Auftraggeber und in genau diesem Moment begann er mit seiner Arbeit. Die Luft am Boden war reiner und leichter einzuatmen, als die, die er sonst bei seiner Körpergröße gezwungen war, in sich aufzunehmen. Aber das war nicht der Grund, weshalb er auf dem Flurboden hockte. Prüfend glitt sein Blick über die vielen Fußspuren in der dicken Staubschicht, die er aus eben diesen Gründen nie entfernt hatte. Man konnte nie wissen, wann Dreck einmal wirklich nützlich werden könnte. In diesem Fall gaben die Spuren Ryon einigen Aufschluss. Bis auf die seinigen, sah er noch ein einziges weiteres Paar Fußabdrücke. Also lediglich ein Täter. Kleine Füße, leichter Tritt. Entweder ein kleiner, leichtgewichtiger Kerl oder noch schlimmer - eine Frau. Das Geräusch der Tür, die hinter ihm ins Schloss einrastete, war so endgültig wie seine Entscheidung, diese Räume nie wieder zu betreten. Es war nicht das erste Mal, dass er so einfach den Wohnort wechselte, aber bisher war das immer seine eigene Entscheidung gewesen, nun war er aber regelrecht dazu gezwungen worden. Denn es konnte unmöglich nur ein kleiner Dieb gewesen sein, der bei ihm eingebrochen war, um die paar Wertgegenstände mitzunehmen, die er bei sich im Schrank gehabt hatte. Immerhin sah das Gebäude von außen wie die reinste Bruchbude aus. Wieso sollte sich also jemand so viel Mühe mit dem Knacken der Schlösser machen, wenn es ohnehin nicht sehr viel Beute versprach? Oder hatte gerade das Hindernis, das seine Schlafzimmertür dargestellt hatte, Misstrauen geweckt und doch nach einem reichen Gewinn ausgesehen? So oder so. Ryon würde dem schon auf die Spur kommen. Denn es gingen im Treppenhaus so wenige Leute aus und ein, dass man meistens Tagelang niemanden sah oder hörte. Weshalb er mit aller Gewalt den Gestank aus seinem Gedächtnis verdammte und seinen Geruchssinn einmal für etwas Nützliches einsetzte. Es roch nach Staub, Urin, Erbrochenem, schwach sogar nach Sex, Rattenkot, irgendetwas Vergammeltem und natürlich auch nach ihm, da er hier am Häufigsten unterwegs gewesen war. Aber da war auch der Geruch, den er ganz schwach in seiner Wohnung gewittert hatte, nur etwas stärker. Lautlos folgte er der Spur die Treppe hinunter und blieb dann bei der Eingangstür stehen. Links davon lag eine Stelle, an der es sogar noch deutlicher nach der Person roch, die da bei ihm eingebrochen war. Aber das half ihm auch nicht weiter, also verließ er das Haus und folgte der immer mehr verblassenden Witterung, die vermutlich schon bald verschwunden sein würde, da viele andere Gerüche sie überlagerten. Doch je länger er diesen Geruch roch, umso tiefer prägte sich die Witterung in seinem Gedächtnis ein, bis sogar der Rauch daraus verdrängt wurde. Bei einer kleinen Bank, wo er heute Morgen noch die alte Frau hatte sitzen und die Ratten füttern sehen, blieb er wieder stehen. Ohne sich darum zu kümmern, was die Leute von seinem seltsamen Benehmen halten würden, ging er wieder in die Hocke und schnupperte an dem Holz. Definitiv. Der Geruch gehörte zu der alten Schachtel. Verdammt und er war auch noch direkt an ihr vorbei gelaufen! Mit abgehakten Schritten folgte er der Spur weiter, dieses Mal war er richtig sauer. Eine alte Frau hatte ihn ausgeraubt! Das war selbst hier, wo sich hinter einem alten faltigen Weib immer noch etwas sehr Gefährliches verbergen konnte, absolut lächerlich. Was war er denn? Ein Amateur, der sich nicht zu helfen wusste, wenn es um seine Schlafstätte ging? Immer mehr beschleunigte die Wut seinen Gang, bis der Saum des schwarzen Ledermantels regelrecht hinter ihm her flatterte. Ryons Gesicht war noch immer wie blank gewischt, aber er strahlte eine Aura aus, die den sofortigen Tod versprach, für all jene, die sich ihm in den Weg stellen sollten. Schließlich verlor er die Spur an dem einzigen Ort, wo er einen Dieb mit frischer Beute zuerst gesucht hätte – auf dem Markt. Das würde eine lange Nacht werden, aber er hatte Zeit und Geduld. Irgendetwas oder irgendjemand würde ihm schon eine weitere Spur aufzeigen, die zu der Diebin führte. Es gab immer kleine Puzzlestücke. Man musste nur wissen, wo man suchen musste. *** Beschwingt und bester Laune strich Paige noch eine Weile auf dem Markt herum, sah sich Stoffe und Kräuter an, die sie zum Winter hin gebrauchen konnte und sprach mit ein paar wenigen Individuen, die sie als Bekannte bezeichnen würde. 'Fe' war in guten Zeiten immerhin regelmäßig hier. Das war für Paige nicht unbedingt gut, denn die Tatsache, dass man sie erkannte, bedeutete auch, dass man sie verraten konnte. An wen auch immer. Aber soweit sie wusste, war kein Kopfgeld auf sie ausgesetzt. Dafür war sie ein viel zu kleiner Fisch, der sich mit viel zu leichten Jobs abgab. Würde sie sich nur für sich selbst verantwortlich fühlen, wäre das sicher anders. Ihre Haut würde sie bei lohnenden Einbrüchen sehr wohl riskieren. Aber sie hatte nicht nur sich selbst zu ernähren. Genau aus diesem Grund schlenderte Paige zu einem Stand, der Holzspielzeug in phantastisch bunten Farben anbot. Ihre Finger glitten über eine kleine runde Holzmaus, mit einem Schwanz aus Leder und dazu passenden Ohren. Das Spielzeug leuchtete in dunklem Lila von dem die gelben Ohren und der Schwanz sich lustig absetzten. „Die würde Ai sicher gefallen. Und egal, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird...“ Mitten in ihrem Selbstgespräch hielt sie inne, als sie den Blick des Verkäufers bemerkte. Der Alte war normalerweise sehr redselig, wenn auch nur über Themen, die ihn selbst betrafen. Daher kam Paige gut mit ihm aus. Aber heute war er seltsam still und sein Blick hing irgendwo in der Ferne. Allerdings auf eine Art, die vermuten ließ, dass er nicht nur in Gedanken versunken war. Darauf bedacht, dass so wenig wie möglich von ihrem Gesicht unter der Kapuze zu sehen war, drehte sie sich langsam um. Die Holzmaus legte sie in den Weidenkorb zu den anderen Spielsachen zurück. Ihre Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen, während sie den Abschnitt des Marktes absuchte, den der Alte so interessiert musterte. Sie erstarrte. Der Kerl musste sich noch nicht einmal durch die Menge kämpfen. Jeder, der den in schwarzes Leder gekleideten Riesen sah, ging automatisch aus reinem Selbsterhaltungstrieb aus dem Weg. Paiges Herz machte einen entsetzten Sprung. Er konnte sie noch nicht gesehen haben. Dafür war sie zu weit entfernt und außerdem war er ihr noch nie begegnet. Vielleicht war es reiner Zufall, dass er hier war. Was tun? Sie konnte rennen. Aber dann würde sie seine Aufmerksamkeit bestimmt auf sich ziehen. Einfach stehen bleiben und so tun, als wenn nichts wäre? Ein eisiges Kribbeln, das bei seinem Anblick ihren Körper entlang in ihre Schuhe floss, machte ihr klar, dass sie das nicht durchhalten würde. Sie wusste nicht, was er war, aber Paige war sich sicher, dass er Angst würde riechen können. Also blieb ihr nur übrig, sich so langsam und unauffällig wie möglich zu verdrücken. Mit klopfendem Herzen und kleinen Schweißperlen auf der Stirn, machte sie sich durch die Menge auf den Weg zum Ausgang des großen Platzes. Ohne es zu wollen, wurde sie schneller, je näher sie ihrem vermeintlichen Entrinnen kam. Nur noch ein paar Meter, dann war sie raus aus diesem Hexenkessel, der für sie zur Falle werden könnte. Bloß noch ein paar Schritte... Es war wie die Suche nach einer Nadel im Heuhaufen, doch schließlich fand Ryon den Anhaltspunkt, den er gesucht hatte. Eine frische Witterung an einem der Marktstände für eher ganz gewöhnliche Dinge. Essen, Kleidung, Schmuckstücke… Die Spur schien zwar sprunghaft aber relativ zielstrebig weiter zu verlaufen. An manchen Ständen war die Diebin nur vorüber gegangen, bei anderen hatte sie sogar Sachen angesehen und angefasst, so dass er den Geruch noch stärker riechen konnte. Die Warenbesitzer, an denen er vorbei kam, zuckten buchstäblich vor ihm zurück, wenn er etwas von ihrem Stand in die Hand nahm und daran roch. Vermutlich hätten sie ihn noch nicht einmal aufgehalten, wenn er die Sachen einfach eingesteckt hätte, ohne zu bezahlen, aber er legte sie so schnell wieder zurück, wie er sie genommen hatte. Immerhin durfte er keine Zeit verlieren. Er war ihr schon ganz dicht auf den Fersen, er fühlte es und dennoch schien die Witterung einfach kein Ende zu nehmen. Inzwischen hatte er schon mehr als die Hälfte des Marktes durchquert und würde bald den Ausgang erreichen. Vermutlich war die Diebin schon längst weg, aber so flink sie auch sein mochte, ihre Spuren konnte sie nicht mehr verwischen. Dafür war er zu sehr darauf trainiert, sich alleine auf seine Nase zu verlassen. Vermischt mit der Intelligenz eines Menschen, der sich nicht leicht austricksen ließ, konnte man ihm kaum noch entkommen. Schließlich kam Ryon an einem Stand an, der Holzspielzeug feilbot. Zielsicher griff er nach dem Gegenstand, den auch die Diebin in der Hand gehabt hatte. Es war eine kleine hölzerne Spielzeugmaus mit ledernem Rattenschwanz. Das Holz war fein gearbeitet und so abgeschliffen, dass es sich weich unter seinen Fingern anfühlte. Perfekt für kleine Kinderhände, die sich so an keinem Holzsplitter verletzen konnten. Außerdem waren die Farben gut gewählt. Länger als nötig, hielt er die Maus in der Hand, während sich der Standbesitzer beinahe vor Angst in die Hosen machte, aber Ryon beachtete ihn gar nicht. Stattdessen strich er der Maus noch einmal über den Rücken, als müsse er sich das Gefühl einprägen, ehe er sie wieder zurücklegte und weiter zog. Langsamer und etwas abgelenkt, weshalb er auch nicht sofort begriff, dass die Witterung von den vielen Wesen, die sich hier tummelten, immer mehr verwischt wurde, da sie auf den Ausgang hin führte und somit nichts mehr angefasst worden war. Die Diebin drohte ihm zu entkommen, doch nur dem Anschein nach. Denn anstatt nun ebenfalls den großen Ausgang zu nehmen, in dem ständig jemand ein und ausging und das in großer Anzahl, verließ Ryon auf verzweigten Wegen den Markt, aber in die Richtung, in welche die Diebin gegangen sein musste. Fast in einem riesigen Zickzackmuster ging er voran, um immer im Verborgenen zu bleiben, aber wenn sich ein sicherer Moment ergab, konnte er durch das Überqueren der Straße immer wieder die Witterung erneut aufnehmen, um so die Richtung zu ergründen, bis er schließlich eine verhüllte Gestalt in fast dreihundert Metern Entfernung erblickte. Er hätte ohne mit der Wimper zu zucken sein ganzes Vermögen darauf verwettet, dass das die Diebin war. Allerdings bewegte sie sich ganz schön geschmeidig für eine alte Lady und sie sah auch weit nicht mehr so aus, wie die gekrümmte Gestalt auf der Bank. Der Gang war zwar leicht geduckt und wachsam, aber dennoch aufgerichtet. Hätte er sich nicht vollkommen auf seinen Geruchssinn verlassen, er hätte Zweifel daran gehabt, dass das die Person war, die er suchte. So aber drehte er den Spieß um. Statt das Opfer zu sein, wurde er nun zum Jäger. Unauffällig versteckte er sich immer wieder lautlos in den vielen sich bietenden Schatten und Winkeln, um der Frau zu folgen. Wo auch immer sie hin ging, sie war zwar vorsichtig, schien aber noch nicht begriffen zu haben, dass er ihr bereits dicht auf den Fersen war. Wenn er Glück hatte, würde sie ihn direkt in ihre eigene Wohnstätte führen. Oder zumindest an einen Ort, wo sie glaubte, sicher zu sein. So wie er es geglaubt hatte. Was auch immer diese Frau für Beweggründe gehabt haben mochte gerade bei ihm einzubrechen, noch bevor der Morgen graute, würde er es herausfinden. Da war er sich sicher. Paige fühlte ein Knistern in ihrem Nacken. Sie sah ihn nicht, aber das Ungute Gefühl konnte sie nicht trügen. Er hatte sie vermutlich schon im Blick. Entgegen jeglichen Fluchtreflexes verlangsamte sie ihre Schritte und überlegte. Auch wenn sie nicht das Gefühl gehabt hätte, sie könnte schon bald seinen Atem im Nacken spüren, wäre sie jetzt nie in Richtung ihres Zuhauses gelaufen. Sie hatte ihn auf dem Markt gesehen. Niemals würde Paige riskieren, dass er bei ihr eindrang und Ai gefährlich werden konnte. An der nächsten Kreuzung bog sie in eine der dunklen Nebenstraßen ab und sah sich um. Ihr Blick fiel nach kaum zehn Schritten auf das, was sie suchte. Bevor sie den Markt je betreten, geschweige denn dort etwas ver- oder gekauft hatte, hatte Paige die Umgebung unter die Lupe genommen. Natürlich nicht zuletzt, um sich wenn nötig schnell verstecken zu können. An Flucht war in dieser Lage kaum noch zu denken. Es hatte nur noch mit Glück zu tun, wenn sie ihm nicht schon in wenigen Augenblicken gegenüber stand. Aber leicht würde sie es dem Eisschrank auch nicht machen. Immerhin hatte sie den Vorteil, dass sie ihren Gegner - denn als solchen musste auch er sich ihr gegenüber sehen - ein wenig kannte. Es mochte für ihn meistens das Züngelchen an der Waage zum Erfolg sein, dass er sich vor Muskelkraft kaum noch bewegen konnte. Selbst dadurch war er nicht gerade langsam. Aber er war in bestimmten Situationen dadurch eingeschränkt. Vielleicht etwas, das Paige Überlegenheit brachte und ihr – zumindest für den Moment – das Leben retten konnte. Sie hatte den Spalt in der Mauer erreicht. Hier war zu Zeiten, als alles tatsächlich noch für die Kanalisation genutzt worden war, ein Rohr geplatzt. Das Wasser hatte sich seinen Weg ohne Rücksicht durch das Erdreich und schließlich in den Tunnel hinein gegraben. Aus dem Ziegelwerk war ein Stück heraus gesprengt worden, das nun Fledermäuse, Ratten und anderes Getier beheimatete. Der Spalt war unten so breit, dass er als Abstellplatz für Müllcontainer und Ähnliches verwendet wurde. Zur Decke hin, die immer über der World Underneath lagerte, die so zu sagen deren düsteren Himmel darstellte und sie von der Oberwelt trennte, wurde der Riss schmaler. Mit einem Sprung landete Paige auf dem Metalldeckel eines Müllcontainers, streckte die Arme nach oben und griff in die spröde Wand. Wären die Schuppen nicht gewesen, die sich rau durch ihre menschliche Haut stachen, wäre sie wahrscheinlich einfach abgerutscht. So konnte sie sich Stück für Stück in den pechschwarzen Spalt hineinziehen. Etwas Weiches streifte kurz ihr Gesicht, verschwand dann aber mit dem schabenden Geräusch von kleinen Füßen in der Düsternis. Paige würgte einen Aufschrei hinunter und kletterte weiter. Immer höher, bis sie beide Seiten des Erdreichs an ihrem Körper spüren konnte. Sie war fast eingeklemmt und konnte nicht weiter. Aber hier würde sie der Kerl auf keinen Fall erreichen. Sollte er sich nur annähernd so weit vorwagen, könnte sie ihm immer noch ein flammendes Inferno entgegen werfen. Auf keinen Fall würde sie kampflos aufgeben. Doch noch hatte sie die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er sie hier nicht finden würde. Es stank nach Rattenkot, Fledermäusen und Kadavern. Selbst wenn sie Pech hatte und er ein Wandler war, würden die üblen Gerüche, die ihr die Galle in den Hals steigen ließen, ihren eigenen Körpergeruch bestimmt überdecken. Er ließ sie nur noch in den wenigen Momenten aus den Augen, wenn ihm keine andere Wahl mehr blieb, da er sich verstecken musste, um nicht gesehen zu werden. Dennoch hörte er ihre leisen Schritte auf dem schmutzigen Stein. Inzwischen war Ryon ihr so nahe gekommen, dass er sie mit ein paar Sätzen locker hätte erreichen können, doch er wollte sie nicht schon jetzt aufhalten, wo sie ihn doch irgendwo hin führen könnte. Als er ihr jedoch in eine der Seitenstraßen folgte, war klar, dass sie seine Verfolgung bemerkt hatte. Sie würde sich also nur noch um Schadensbegrenzung bemühen, in dem sie versuchte, ihm zu entkommen. Was ihr aber nicht gelingen würde. Denn auch ihr musste das klar geworden sein. Wieso sonst sollte sie sich schließlich in einem Spalt verkriechen, wo es so penetrant stank, dass sie selbst mit mehren Flaschen Duschgel und viel heißem Wasser, den Geruch nur noch schwer los werden würde? Manchmal war das doch alles wirklich nur noch reine Drecksarbeit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn er sah noch, wie ihr Fuß in der dunklen Nische mit den Müllcontainern verschwand, als er lautlos näher kam. Sie schien irgendwie nach oben zu kriechen, so wie es sich für sein feines Gehör anhörte, doch dann war mit einem Mal alles still. Entweder hatte sie es trotz seines scharfen Gehörs geschafft, zu entkommen, oder es ging dort nicht weiter, wo sie hin geklettert war. Nach der Lage zu urteilen, tippte Ryon eher auf Letzteres. Sie saß in der Falle. Er konnte ihr zwar nicht nachkommen, da er im Gegensatz zu ihr keine zierliche Frau war, aber er hatte andere nützliche Eigenschaften und bis sie sich nicht freiwillig stellte, würde er auch sicherlich keine fairen Mittel verwenden, um ihr entgegen zu kommen. Dennoch hielt er für einen Moment überlegend inne. Eigentlich könnte er einfach gehen und sich eine neue Unterkunft suchen. Eine, in der die Diebin ihn nicht noch einmal finden würde und bestimmt hatte sie auch nicht vor, noch einmal bei ihm einzubrechen. Zumindest nicht, wenn sie es nicht ganz speziell auf ihn abgesehen hatte. Leider konnte er das nicht mit absoluter Bestimmtheit sagen, immerhin wäre sie nicht die erste Person, die ihn aus einem ganz bestimmten Grund ausrauben wollte. Weshalb Ryon schließlich an die Wand heran trat und mit den Händen den brüchigen Stein befühlte. Er würde absolut sicher gehen müssen und die Frau einfach fragen, um was es ihr wirklich ging. Je nach Antwort könnte er sie einfach gehen lassen. Oder auch nicht. Der Stein unter seinen Fingerspitzen war immer noch stabil, aber nicht unbedingt so dick, dass es ein Hindernis darstellen würde. Dennoch stellte er sich schon einmal auf Schmerzen ein. Ohne zu zögern fuhr Ryon seine Krallen aus, die lang, scharf und leicht gekrümmt waren und somit idealen Halt an der rauen Wand boten. Mit einem Satz sprang er ein gutes Stück seitlich des Spalts die Wand hoch und schlug seine Krallen in den Stein, um sich daran hochzuziehen. Seine Füße hatten zwar nichts, wo sie sich halten konnten, da es kaum Hervorhebungen gab, die groß genug dafür gewesen wären, doch seine Arme waren stark genug, um sein Gewicht tragen zu können, weshalb er innerhalb von Sekunden bei der Stelle ankam, an der sich ungefähr die Frau aufhalten musste. Er lauschte mit angehaltenem Atem und einem Ohr gegen die Wand gepresst und wurde nicht enttäuscht. Ein Herzschlag, der viel schneller als sein eigener war, war zu hören und auch noch andere Anzeichen von Leben hinter diesem Stein. Obwohl sie ihre Atmung so flach wie möglich hielt und sich den weiten Kragen des Umhangs bis über die Nase hochzog, musste Paige immer wieder würgen. Der Gestank der abgelagerten Exkremente, die Luft, die sich keinen Millimeter bewegte, das alles ließ ihr den Schweiß ausbrechen und sie hatte das Gefühl, bald das Bewusstsein zu verlieren. Zuerst wäre aber ihre Beherrschung an der Reihe. Wenn sie etwas hasste, dann war es Angst zu haben. Und dieser Kerl verursachte ihr regelrechte Panik! Sie hatte gesehen, was er mit dem Dämon im Käfig angestellt hatte. Der andere Mann hatte seinen Tod noch nicht einmal kommen sehen. Als sie ein wenig ätzende Magensäure sogar schon im Hals spüren konnte, dachte sie daran, dass der Dämon es vielleicht besser gehabt hatte. Doch dann sah sie die Bilder wieder vor sich und ihr wurde klar, dass die Verletzung, die Eisschrank ihm zugefügt hatte, das Ableben des Gegners in die Länge gezogen hatte. Es war ein fairer Kampf gewesen, aber der Typ kannte keine Gnade. Und plötzlich fiel es Paige wie Schuppen von den Augen. Die ganze Zeit hatte sie immer wieder darüber nachgedacht, was dem Kerl fehlte. Was ihn zu nichts in seinem Leben wirklich passen ließ, auch wenn er die Masken seines Alltags noch so gut überstreifte. In diesem Kerl war kein Funke von dem, was man allgemein als Menschlichkeit bezeichnete. Paiges Herz schlug auf einmal so schnell und laut, dass es die Fledermäuse in ihrer Nähe dazu brachte, etwas in ihrem Schlaf gestört mit den Flügeln zu schlagen. Er würde sie definitiv umbringen. Und noch dazu würde er das Monster in seinem Inneren befriedigen und es langsam und qualvoll tun. Sie hörte lautes Scharren an der Außenseite der Mauer, was ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ. Es war nicht allein das Geräusch, das an Fingernägel auf einer Schiefertafel erinnerte, sondern die Tatsache, dass es lauter wurde. Er kam näher. Paige war wie gelähmt, als sich der winzige Strahl Licht, der durch den Spalt neben ihr fiel, auf einmal abgeschnitten wurde. Sie befand sich in völliger Dunkelheit. Was blieb ihr anderes übrig? Sie machte sich darauf gefasst, dass sie sich verletzen würde, aber das war immer noch besser, als ihm in die Hände zu fallen. Ryon ließ keine unnötige Sekunde verstreichen, ehe er eine Hand von der Wand löste, die Krallen einfuhr und zu einer Faust ballte. Am Ende entschied er sich dafür, nicht genau auf den Körper der Frau zu zielen, der sich direkt hinter der Mauer und dem Riss befinden musste, sondern ein Stück darüber. Was zwei Dinge bewirkte, als er seine Faust in die Wand rammte. Erstens lösten sich Unmengen von Gestein und der ganze Riss wurde mit einem Mal regelrecht zu einem breiten Schlund, so dass er fast den Halt zu verlieren drohte und zweitens brach er sich mehrere Fingerknöchel an dieser Hand, da der Stein an der Stelle noch solider und dicker gewesen war, als dort, wo sich die Frau befunden hatte. Trotzdem fasste er mit seiner Hand in die dunkle und sehr viel breiter gewordene Nische, um die weibliche Ratte aus dem Loch zu ziehen. Am Kragen ihres Umhangs baumelnd, hielt er sie mitten in der Luft. „Eine falsche Bewegung und ich lasse los.“, drohte er aalglatt, sich dabei bewusst, dass ein Sturz aus dieser Höhe sie nicht umbringen würde. Nicht, wenn sie kein Mensch war. Aber es wäre ihm auch egal. Der pochende Schmerz in seiner Hand gab ihm jedes Recht dazu, sie fallen zu lassen. Immerhin hatte sie sich selbst in diese Lage gebracht. Aber es wäre trotzdem schade. Ein paar Antworten wären sehr nützlich, für das nächste Mal wenn jemand bei ihm einbrechen wollte. Gerade als ihre Finger sich vom Stein lösten und sie anfing nach unten zu rutschen, explodierte die Felswand über ihr. Steinsplitter rieselten auf die Kapuze ihres Umhangs, während Paige instinktiv den Kopf einzog und sich nun doch wieder irgendwo festkrallte. Eine riesige Hand mit blutenden Knöcheln griff nach ihr, erwischte ihren Kragen und zog sie unaufhaltsam aus ihrem Versteck. Für einen Moment kniff sie die Augen zusammen und bereitete sich auf den Fall vor. Es würde verdammt lange dauern, bis sie unten aufschlug. Gemessen an der Zeit eines Atemzugs. Sie würde Zeit haben die Augen zu öffnen und den Boden auf sich zurasen zu sehen... Aber noch stürzte sie nicht. Seine Drohung traf auf momentan taube Ohren, bis Paige am ganzen Leib die Schuppen ihrer verborgenen Existenz hervor brechen fühlte. Schwarze Flächen, die ein natürliches Muster bildeten, wären zu sehen gewesen, hätte die Kleidung ihren Rücken nicht verborgen. Mit ihren schwarzen, nadelspitzen Nägeln krallte sie sich an dem Arm fest, der sie wie ein Stahlträger über dem Abgrund hielt. Noch hing ihr die Kapuze tief im Gesicht, aber dennoch konnte sie zum ersten Mal seine Augen richtig sehen. Ihre leicht geöffneten Lippen formten stumm ein paar Worte. Was bist du? Der Schock währte nur kurz und für einen Augenblick war Paige froh, dass sie aus der Felsspalte heraus war. Immerhin konnte sie hier ohne Probleme und Brechreiz atmen. Mit frei baumelnden Füßen und Schmerzen im Nacken, da beinahe ihr gesamtes Gewicht von dem Stoff ihres Umhangs dort gehalten wurde, versuchte sie zu denken. Gegen die Panik anzukämpfen, die sich logischerweise durch ihren Körper arbeitete. Mit ihrer gespaltenen, dunklen Zunge leckte sich Paige über die Lippen. Er würde sie ohnehin fallen lassen. Es gab überhaupt keinen Ausweg. Was sollte er sonst tun? Mit einer Hand hinunter klettern? Sicher nicht. Was hatte sie also für Möglichkeiten? Ein Sturz aus dieser Höhe würde sie sicher nicht umbringen. Aber es würde sie ohne Zweifel einiges kosten und dann wäre sie nicht mehr fähig, sich zu verteidigen. Ruhig und mit leicht zischendem Unterton sprach sie ihn das erste Mal direkt an. Es lag keinerlei Drohung in ihrer Stimme. Vielleicht konnte man den Ton eher als belustigt bezeichnen. „Das hättest du lieber gleich tun sollen.“ Sein Arm war lang, doch die Überraschung war auf Paiges Seite, als sich ihre Finger glühend heiß in seine Muskeln krallten und sie sich an ihn heran zog. Sie hingen beide immer noch direkt neben der Felsspalte. Wenn sie es schaffte ihn dazu zu bringen, sie loszulassen... Sie könnte die Wand erreichen, sich in das Loch ziehen und ihn vielleicht hinunter stoßen. Was immer er war, der Aufprall würde ihn hoffentlich darin unfähig machen, sie zu verfolgen. Die Kapuze wurde nach hinten gerissen und legte ihr Gesicht frei, als sie sich mit voller Wucht auf ihn stürzte. Für einen Moment versuchte sie mit ihrem Körper so viel Fläche des seinen zu berühren wie möglich. Flammen züngelten auf ihrer Haut und sorgten dafür, dass ihr die Kleidung in verkohlten Fetzen vom Körper fiel. Sie würde völlig bloßgestellt aus dieser Begegnung herausgehen, aber besser nackt als tot. Ihr Angriff und das Wegfallen des Stoffs bewirkte zumindest, dass sich sein Haltegriff löste. Paige konnte sich frei über seinen Körper hinweg zur Wand hangeln, während sie ihm einige Verbrennungen zufügte. Doch er gab nicht einen Laut von sich. Wieder blitzte es durch ihren Kopf, als sie in seine toten Augen sah. Sie war ihm so nah, dass sie die goldenen Ringe um die riesige, matte Pupille erkennen konnte. Kurz zog sich ihr Feuer zurück, um dann weiter zu lodern. „Was bist du?“ Ryon reagierte keinen Moment lang auf ihre Worte. Er hätte es auch nicht getan, wenn seine Hand plötzlich nicht eisigkalt geworden wäre. So aber begriff er langsam seinen Irrtum. Die Finger der Frau waren nicht arktisch kalt, sondern so glühend heiß, dass es nur noch schwer war, den Unterschied zu spüren. Der Schmerz jedoch war relativ schnell zuzuordnen, vor allem als ihre Kleidung im wahrsten Sinne des Wortes in Flammen aufging und er sie beinahe aus Reflex los gelassen hätte. Man streckte grundsätzlich nicht die Hand ins Feuer. Nun war Ryon eher damit beschäftigt, ihren lodernden Körper von sich wegzuhalten, da die Hitze ihm deutlich spürbar über die Haut seines Gesichts streichelte. Sie hatte ihm dadurch seinen Halt an ihrem Kragen genommen und somit den Vorteil auf ihrer Seite, so dass er nicht die Möglichkeit bekam, erneut nach ihr zu greifen. Sie war so heiß, dass es absolut kein Kompliment war, denn sie versengte ihm die Haut, dort wo die Lederkluft seinen Körper nicht schützen konnte. Was vorwiegend nur im Gesicht und am Hals und vor allem seine Hand betraf. In diesem Augenblick war er dem Dämonen mehr als nur dankbar für die Klamotten. Seine eigenen, wären zusammen mit den ihren in Flammen aufgegangen und hätten im Gegensatz zu ihr, auch einen Großteil seiner Haut verbrannt. Wie absurd war es daher doch, dass ausgerechnet sie ihn fragte, was er denn sei, während sie in die Felsnische zurück zu fliehen versuchte. Ryon reagierte sofort. Zwar hatte er starke Schmerzen und das nicht nur, wegen der Verbrennungen, die sich inzwischen durch kleine Blasen äußerten, wo es ihn am Stärksten erwischt hatte, dennoch holte er noch einmal mit seiner verletzten Hand aus, umschlang mit seinem Arm die Taille der Frau, wobei er sich noch mehr verbrannte und riss sie von der Wand weg, so dass auch er den Halt verlor. Während sie fielen, drückte er sie so eng an seinen Körper, dass das Leder sich innerhalb eines Moments unangenehm stark aufheizte. Er ließ trotzdem nicht los, sondern schlug seine andere Hand wieder in die Wand, um mit seinen Krallen, ihre Geschwindigkeit abzubremsen. Kurz vor Erreichen des Bodens löste er seine blutige Hand und kam schließlich sanft federnd auf den Füßen auf. Sofort ließ er die Frau los und wich ein paar Schritte zurück. Das Leder auf seinem Körper war heiß, stank und qualmte leicht. Aber wenigstens war es nicht in Flammen aufgegangen. Die Krallen seiner rechten Hand waren fast gänzlich abgenutzt, aber das kümmerte ihn im Moment am Wenigsten. Sie würden schon bald nachgewachsen sein, also fuhr er sie wieder ein. Seine andere Hand hingegen, würde länger brauchen, um sich wieder zu erholen und auch ein Teil seines Gesichtes bis zum Hals hinab brannte wie die Hölle. Die Diebin hatte es ganz schön in sich und nun, da er nicht gerade Gefahr lief, als Braten zu enden, hatte er die Gelegenheit, sie sich genau anzusehen. Die Frau war definitiv nicht alt, was er nicht nur alleine an dem jungen Gesicht erkennen konnte, sondern auch an dem schlanken, straffen Körper. Sie war fast völlig nackt und im Gegensatz zu ihm, schien das Feuer ihr überhaupt nichts ausgemacht zu haben, bis auf ihrer Kleidung natürlich. Jetzt wusste er auch, wie sie die Tür zu seinem Schlafzimmer aufbekommen hatte und es erklärte zum Teil den großen Brandfleck an der Decke. „Ich will nur zwei Dinge wissen. Warum bist du bei mir eingebrochen und was hast du gesucht?“ Er stand völlig reglos da, während sein Blick unverwandt auf die Frau gerichtet war. Eigentlich hatte er im Augenblick mehr das Bedürfnis sich in Schnee zu wälzen, bis das Brennen nachließ, doch er tat nichts dagegen. Die Zeit, um seine Verletzungen zu versorgen würde kommen. Bis dahin, hieß es geduldig zu sein. Allerdings wollte er der Frau nicht raten, ihn noch einmal anzugreifen. Das nächste Mal würde er nicht zögern, genau das zu tun, womit man Flammen umbrachte. - Man nahm ihnen den Sauerstoff. Als er sie davon abhielt, in der Wand zu verschwinden und sie trotz der Flammen an seinen Körper presste, hatte bei Paige das Hirn aus- und die Instinkte eingesetzt. Obwohl sie mitbekam, dass sie beide für jähe Momente fielen und dann durch seine Aktion abgebremst wurden, wehrte sie sich mit Händen und Füßen dagegen, ihm nahe zu sein. Sobald zumindest der Kerl festen Boden unter den Füßen hatte und sein Griff sich lockerte, sprang Paige nach hinten, um so viel Abstand wie irgend möglich zu ihm zu bekommen. Was allerdings aufgrund der beengten Verhältnisse in dem Gässchen nicht gerade weit war. Immerhin stand sie nun mit dem Rücken zum Fluchtweg und Eisschrank war ihr nicht im Weg. Wie hatte er ihren Angriff bloß so gut überstehen können? Wenn sie sich seine Verbrennungen an Hals und Gesicht und vor allem an seiner Hand, mit der er sie gehalten hatte, so ansah, musste er Qualen erleiden. Und dennoch blieb er völlig ruhig. Endlich kam Paige zu der Erkenntnis, dass sie es mit einem Verrückten zu tun haben musste. Eine andere Lösung war gar nicht möglich. Wahrscheinlich überlegte er sich in seinem wahnsinnigen Gehirn, hinter den toten Augen gerade, wie er sie doch noch überwältigen und sie bei lebendigem Leibe fressen konnte. Sie wich einen vorsichtigen Schritt zurück, blieb aber wie angewurzelt stehen, als er sie ansprach. Seine Frage ließ zwei Gedanken in ihrem Hirn um die Vorherrschaft kämpfen. Als einer gewann, bewegte sich ihre Hand langsam und vorsichtig an ihren Brustkorb. Genauer gesagt dorthin, wo das Geldbündel bis vor ein paar Minuten noch in ihrem BH verborgen gewesen war. Am liebsten hätte Paige losgeheult, als ihre Finger nur nackte, schuppig glatte Haut ertasteten. Es war alles umsonst gewesen. Kurz trat ein gequälter Ausdruck auf ihr Gesicht, bevor sie ihre Augen wieder auf den Mann richtete. Ihre Lippen öffneten sich einen Spalt, während winzige Flämmchen in unbestimmten Bahnen über ihren Körper wanderten. Als eines der letzten Stücke Stoff, die noch an ihr hafteten zu Boden segelten und die Augen des Mannes fast unmerklich zuckten, rannte Paige los. Sie hatte nur eine halbe Sekunde und vielleicht fünf Meter Vorsprung. Was sie an Energie aufwenden konnte, ohne ihre Fluchtgeschwindigkeit zu reduzieren, steckte sie in das Feuer, das nun hoch lodernd ihren Körper einhüllte. Sie musste weg! Während er auf eine Antwort wartete, betrachtete er sie weiter. Sie war definitiv kein Mensch, sondern ähnelte mit dieser seltsamen Haut teilweise einem Reptil oder etwas in der Art. Ihr Körper war eindeutig der einer Frau, aber ihre Haut an einigen Stellen nun einmal nicht, wobei das zu schwanken schien. Genauso wie die Flämmchen, die über ihren Körper glitten. Als dann schließlich auch noch ihre letzte Körperbedeckung fiel und er vor nackten Tatsachen stand, war ihm klar, dass er keine Antwort von ihr bekommen würde. Sie war lieber so dumm und probierte es noch einmal mit Flucht. Dass sie dabei wie ein Signalfeuer brannte, zog nur noch mehr Aufmerksamkeit auf sie, doch vermutlich war das einfach ein natürlicher Schutz von ihr. Dennoch zog Ryon vorsichtig seinen Ledermantel aus, wobei er kurz die Augen schloss, als er den Ärmel über seine verletzte Hand streifte. Würde er sich auch nur annähernd von seinen Gefühlen kontrollieren lassen, so wie es früher gewesen war, er hätte sich vor Schmerzen einen Moment lang gekrümmt, ehe er sie ihr auf seine Weise zurückgegeben hätte. Rache war schon immer etwas Schlimmes gewesen. Manchmal kam man nicht gegen dieses Gefühl an, aber im Augenblick verspürte er nicht den Drang danach. Weshalb er schließlich mit dem Mantel in den Händen los lief, um die brennende Frau einzuholen. Es war nicht nur seine Größe, die ihn schneller als sie machte, sondern auch das Wesen, das er in sich beherbergte. Weshalb er sie schon innerhalb von wenigen Augenblicken eingeholt hatte, obwohl sie wie der Teufel lief. Dieses Mal war er auf ihr Feuer und die Hitze vorbereitet, weshalb er ihr den großen Mantel überwarf und sie zu Boden drückte, so dass das Leder sie vollkommen umhüllte. Schnell streifte er mit seinen Händen über ihren Körper, um die Flammen zu ersticken. Es war zwar immer noch verdammt heiß, weshalb er sie so wenig wie möglich anfasste, aber ohne Sauerstoff gab es auch kein Feuer. Weshalb er schließlich etwas von dem Mantel zur Seite schob, um ihr ins Gesicht sehen zu können, während er sie immer noch unter sich fest hielt. „Entweder du antwortest mir auf meine Fragen, oder ich suche uns einen anderen Ort zum Reden. Vielleicht bei einem Bad für dich in den Abwasserkanälen? Ich denke, das dürfte dich wieder etwas abkühlen.“ Wäre sie tatsächlich irgendein stinkender, kleiner mieser Dieb, er hätte die Antworten längst bekommen, in dem er ein paar Prügel verteilte. Aber gegen Frauen erhob er grundsätzlich nicht die Hand, es sei denn, es ging um Leben und Tod und sie hätten es wirklich verdient. Außerdem hatte er vorhin etwas im Gesicht der Diebin gelesen, was definitiv nicht zu einem hinterlistigen Wesen gehörte. Diese Frau hatte einen Moment lang so ausgesehen, als wäre sie kurz vorm Verzweifeln. Dass er sie so schnell erwischen würde, hätte Paige wirklich nicht erwartet. Sie strauchelte und fiel, als er den Mantel über sie warf und sich gleich oben drauf. Wie eine Wildkatze in der Falle schlug sie um sich, riss mit ihren Fingernägeln an dem dicken Leder und trat nach seinem Körper, der sich irgendwo über ihr befinden musste. Dass seine großen Hände über dem Mantel ihren Körper entlang fuhren, ekelte sie mehr als der Dreck, in dem sie lag. Und zu allem Überfluss war es eine zugegeben schlaue Aktion von ihm gewesen. Paiges Gesicht wäre rot angelaufen, wenn ihre Schuppen nicht bereits diese Farbe gehabt hätten. Sie bekam in ihrer selbst erzeugten Hitze unter dem Leder kaum noch Luft und sah mit aufgerissenen Augen, wie die Flammen sich zuerst verfärbten, dann kleiner wurden und schließlich erstickten. Sie wand sich in ihrem kokonartigen Gefängnis auch noch, als er ihr den Stoff vom Kopf zog und auf sie hinunter blickte. Mit klopfendem Herzen wurde ihr klar, dass ihr Wut auf seinen Zügen im Moment wesentlich lieber gewesen wäre. Mit Aggression konnte sie umgehen, auch mit Grausamkeit, aber dieser eisige Blick und die emotionslose Stimme, brachten sie vor lauter Angst fast um den Verstand. Unwillkürlich schnellte ihre gespaltene Zunge zwischen ihren Lippen hervor und nahm seinen Körpergeruch als Geschmack auf. Selbst die Note von verbranntem Fleisch machte die Sache nicht besser. Noch immer konnte Paige nicht zuordnen, was sich in diesem Mann verbarg. Es war in diesem Moment auch völlig egal, denn seine menschliche Form reichte vollkommen aus, um sie fertig zu machen. Warum sollte sie nicht verraten, was sie in seiner Wohnung gemacht hatte? Sie hatte immerhin keine Chance mehr, das Schmuckstück noch an sich zu bringen. Vielleicht ließ er sie mit dem Leben davonkommen, wenn sie ihm die Wahrheit sagte. Es war verdammt unwahrscheinlich, aber ein dünner Strohhalm, an den sie sich klammern konnte, war besser als nichts. „Ich sollte das Amulett holen.“, gestand sie schließlich. Ihre Zunge, die hervorschnellte als wäre sie eine Schlange oder Echse, war … merkwürdig. Ryon hätte nicht sagen können, ob er sie faszinierend, oder abstoßend fand. Auf jeden Fall war es ein Anblick, den man sicherlich nicht alle Tage zu sehen bekam. Selbst in seiner Branche nicht. Als die Frau jedoch endlich sprach, war ihre seltsame Erscheinung mit einem Schlag vollkommen vergessen. Ryons Augen blitzten für einen flüchtigen Augenblick lang mit einem strahlenden Gold auf, ehe sie sich vollkommen verdunkelten und er eine so kalte Ausstrahlung bekam, dass das Gemisch zwischen dieser Frau und ihm fast als angenehm bezeichnet werden konnte. Zumindest von der Temperatur her. Er musste das Amulett nicht berühren, um es auf seiner Haut zu spüren. Wie immer war es angenehm kühl und schien nie seine überdurchschnittlich hohe Körperwärme anzunehmen. Aber warum sollte jemand es wollen bzw. wer konnte überhaupt wissen, dass er es besaß? Bei den Kämpfen war es vielleicht ab und zuzusehen, wenn er sich mit freiem Oberkörper prügelte, aber Ryon bezweifelte, dass in diesen Augenblicken ein Schmuckstück interessant genug sein konnte, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ansonsten trug er es immer unter seiner Kleidung. Seit Jahren. „Wem sollst du es bringen?“, fragte er nach, während er sich etwas näher zu ihr beugte, um ihr fordernd in die Augen zu sehen. Sein Griff wurde fester und nachdrücklicher. Das Amulett war bei ihm ein Thema, das man besser verschwieg, als es anzusprechen und das würde der Diebin auch sicherlich nicht entgangen sein. „Ich rate dir, mir alles darüber zu sagen, was du weißt. Ansonsten wird’s hier gleich ganz schön ungemütlich.“ Beziehungsweise er würde ganz schön ungemütlich werden. Ob sie ihm nun mit Stichflammen die Haut vom Leibe brannte, oder ihn immer wieder schlug und auf ihn ein prügelte, das wäre ihm egal. Für diese Antwort würde er sich sogar umbringen lassen. Diese Frau hatte ja keine Ahnung, was das Amulett für ihn bedeutete und dass er dafür töten würde, um es zu beschützen. Sie konnte froh sein, dass sie nicht versucht hatte, es ihm abzunehmen. Das mit dem Einbruch war nicht weiter schlimm, im Vergleich dazu, wenn sie es ihm vom Leib gestohlen hätte. Wobei das ohnehin nicht wirklich möglich war. Es gab immerhin nur zwei Möglichkeiten, es ihm abzunehmen. Entweder nahm er es selbst ab oder man enthauptete ihn. Alles andere wäre sinnlos. Die Kette an der das Amulett hing, war mit Magie verstärkt. Ein Geschenk von… Ryons Blick traf den der seltsamen Frau, woraufhin er sie mit einem nachdrücklichen Ruck los ließ, damit sie aufstehen konnte. Sofort als sich seine Augen blitzartig veränderten, um dann nur noch matter und kälter zu werden, war Paige klar, dass sie einen Fehler begangen hatte. Sie hatte sich in nur noch größere Schwierigkeiten hinein manövriert, indem sie ihm geantwortet hatte. Auch wenn sie sich sicher gewesen war, dass sie sowieso nur dem Tod ins Auge blicken konnte. So wie der Kerl allerdings jetzt wirkte, würde sie sich wahrscheinlich auf schlimmere Dinge, als den Tod gefasst machen müssen. Bei seiner Frage spürte Paige seine Hände fester auf ihren Schultern und das unnachgiebige Leder wurde so straff gezogen, dass es ihr in den Hals schnitt. Kieselsteine, Scherben und undefinierbarer Dreck knirschten unter ihrer Haut, als sie sich in eine Position wand, in der sie zumindest einigermaßen weiter atmen konnte. Außerdem versuchte sie dem Blick dieser seltsamen Augen zu entgehen. Einen Moment wunderte sie sich beträchtlich, dass er ihr bis jetzt noch nicht wirklich wehgetan hatte. Die nächste Drohung traf sie zwar noch, aber wesentlich weniger, als es wohl beabsichtigt gewesen war. Zu allem Überfluss ließ er sie auch noch los und behielt sie nur im Auge, während sich Paige flink aufrappelte. Den dunklen Mantel behielt sie kurz einfach in der Hand. Ihr machte ihre Nacktheit in diesem Zustand ihres Körpers absolut nichts aus. Die Schuppen fühlten sich mit ihrer Konsistenz fast so an, als würde sie nicht nur Kleidung, sondern eine Art Rüstung tragen. Auch wenn sie sich unter ihrer menschlichen Haut bewegte und immer nur Teile davon überzogen. Den Kopf leicht gesenkt, starrte sie unter ihren lange Wimpern zu ihm hinüber. Was war das nun? Eine Pattsituation? Nicht wirklich, denn sie war immer noch eindeutig im Nachteil. Sie konnte nicht fliehen. Also blieben nur zwei Optionen offen: angreifen oder reden. „Ich nehme an, dass sich die Frage, ob du mich gehen lassen wirst, gar nicht stellt.“ Ihre Finger hielten den Mantel nur noch sehr lose. Sie würde ihn nicht brauchen. „Immerhin fackelst du mit keinem Gegner lange...“ Ob ihn diese Aussage verwirrte, konnte Paige nicht feststellen. Inzwischen versuchte sie allein an seinen Augen eine Reaktion zu erkennen. Der Rest seines Körpers schien von ihnen völlig getrennt zu sein. „Glaub mir, wenn ich damit meinen Tod beschleunigen und weniger schmerzhaft machen könnte ... ich würde dir zu gern antworten.“ Sie konnte gar nicht mehr feststellen, ob ihr Herz raste oder aufgehört hatte zu schlagen. Es schien in diesem Augenblick überhaupt keinen Unterschied mehr zu machen. Bei den Worten, die aus einer fernen Erinnerung in ihr Bewusstsein drangen, musste sie beinahe lachen. Ihre Natur würde sie noch einmal auf grausame Weise das Leben kosten... „Ich kenne meinen Auftraggeber nicht.“ Unentschlossen, auf was sie sich nun vorbereiten sollte, suchte Paige mit den bloßen Füßen festeren Tritt und spannte die Muskeln an. Wieder wanderten winzige, blaue Flammen in Mustern über ihren Körper. Leicht würde sie es ihm nicht machen. Sie wusste nichts. Das glaubte er ihr. Nicht etwa, weil sie es sagte, sondern weil sie nicht nach Lügen roch. Viel eher war sie zu allem bereit, selbst wenn der Geruch der Angst immer noch deutlich an ihr hing. Aber offenbar schien sie wohl fest damit zu rechnen, dass er sie einfach umbringen würde. Würde sie noch einmal versuchen, ihm das Amulett abzunehmen, täte er es, ohne mit der Wimper zu zucken. So aber wurde sie mehr und mehr gänzlich uninteressant. Zumindest was Informationen anging. Der Rest, nun ja. Ryon hatte nicht so viele nackte Frauen in seinem Leben gesehen, wie man bei seinem Aussehen annehmen würde. Weshalb es trotz der Situation ein seltsames Gefühl war, dieser nackten Frau gegenüber zu stehen. Immerhin blieb ihm kein Detail ihrer Beschaffenheit verborgen. Ebenso wenig was sie war. Mit diesen Schuppen und Flammen musste sie eine Dämonin sein. Eigentlich hätte er sich nun langsam entspannen können. Für ihn stellte die Frau keine Gefahr dar, solange sie nicht mit seiner bloßen Haut in Berührung kam. Trotzdem war sein ganzer Körper immer noch absolut verspannt und zu allem bereit. Die wenigen Informationen, die er in dieser Nacht erhalten hatte, beunruhigten ihn. Ob er nun wollte oder nicht, er konnte die Tatsache, dass erneut jemand hinter dem Amulett her war, nicht ignorieren. Vielleicht wurde es an der Zeit, in alten Erinnerungen zu wühlen. Mochten sie noch so unangenehm sein. Er war der Beschützer dieses Amuletts. Vielleicht sollte er endlich herausfinden, weshalb es all die Jahre über für so viele bedeutend zu sein schien. Bedeutend auf eine andere Art als für ihn. Lange blickte er die Frau nur schweigend an, während er nachdachte, bis er schließlich so etwas wie ein leises Seufzen von sich gab, das seine Entscheidung besiegelte. „Wenn du noch einmal versuchen solltest, mir das Amulett abzunehmen, wirst du den Versuch nicht überleben.“ Ryon ging an der Frau vorbei und ließ sie einfach stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)