Herz aus Stein von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 26: Cedibär im Hier und Jetzt ------------------------------------- XXVI. Cedibär im Hier und Jetzt Cedric atmete tief ein. Sie war da die Angst, irgendwo, aber das andere war mehr. Zuallererst war da dieser Geruch. Über die Zeit so vertraut geworden, ein Teil des Alltages, so wie es eben Zuhause roch: Kuniberts Körpergeruch, warm, ein wenig nach billigem Duschgel mit Kaugummi-Geschmack duftend, ein herber Unterton wie die See oder eine im finstersten Wald blühende Blume, die es schon etwas hinter sich hatte. Dann war da dieses Geräusch. Atemzüge. Ohne zu schauen hätte er diesen Laut unter tausenden Kunibert zuordnen können. Und schließlich die Stimme. Sie flüsterte zu ihm: „Es ist gut Cedric … es ist gut …“ „Naja“, sagte er. „Es ist ja … es geht … schon irgendwie … Ich will hier sein! Und ich will … berühren … dich … du … Ach man, Scheiße, Kunibert! Ich weiß, dass ist wahrscheinlich total zum Kotzen für dich, aber, kannst du mich anfassen? Nur so …?“ Kunibert brummelte irgendetwas, dann kam er näher, ein langer Arm schlang sich im Schneckentempo um ihn und zog ihn langsam heran. Er ließ es geschehen und konzentrierte sich auf die Pluspunkte. „Hast du ein Kissen vorm Schritt?“, stutzte er. „Ja“, seufzte Kunibert. „Sicher ist sicher. Das kann man nun nicht immer wirklich kontrollieren – die Folgen schon, aber die Reaktion. Besser ist es so. Ich weiß, wirkt etwas albern, aber was soll’s.“ „Stimmt schon. Danke“, erwiderte Cedric, atmete auf und griff nach dem muskulösen Arm, zog ihn um sich. Nicht schlecht. Es war wie ein warmes, weiches Nest, nichts wirklich Erotisches, noch weit davor, aber echte Nähe. Das ging schon mal. Er fühlte, wie sein Körper sich etwas entspannte. „Cedric?“, murmelte Kunibert hinter ihm. „Was?“, erwiderte er. „Ach, ich weiß nicht. Du riechst wie das Feld, weißt du“, sagte er leise. „Das ist also des Rätsels Lösung! Ich muffe wie dein Fetisch!“, grummelte er. „Quatsch – das ist wissenschaftliches Interesse! Bei dir nicht. Bei dir ist das … weiß nicht. Ist doch egal. Nichts Analytisches auf jeden Fall. Und ich …“, erwiderte Kunibert. „Was?“ wollte er wissen. „Wäre es okay, wenn …? Also naja, das ist wohl zu viel, hab’s ja versprochen“, wiegelte Kunibert ab. „Raus mit der Sprache!“, forderte er und strich dabei vorsichtig über Kuniberts Oberarm. Diese hellblonden Härchen waren einfach … „Ich bin nicht der Einzige, der hier eine Rolle spielt, oder? Das ist es doch, nicht wahr?“ „Okay. Okay, ich … ich würde dich gerne … küssen …?“, quetschte Kunibert raus. „Irgendwann! Wollte es nur gesagt haben, entschuldige.“ Cedric fühlte sich kurz wie der letzte Kaputnik, dann ging er das Szenario durch. Nicht leicht. Aber er hatte ja auch schon darüber nachgedacht. Kuniberts Mund wäre etwas ganz anderes als so eine bedrogte Fresse, die sich hohnlachend auf ihn drückte, bevor es wieder Schläge hagelte, das war schon klar. „Schon gut“, sagte er, innerlich das Bild eines Feldmarschalls vor der Schlacht beschwörend. „Versuchen wir’s.“ Er ruckelte sich herum, fühlte sein Herz klopfen zwischen Ängstlichkeit und Aufregung und … „Was, jetzt gleich?“, erwiderte Kunibert erstaunt. „Warten macht es nicht besser, glaube mir. Ich habe keine Ahnung, ob es jetzt geht oder Morgen oder in dreißig Jahren. Aber solange ich es nicht probiere, werde ich es wohl kaum herausbekommen, wo die Grenze ist. Also …“, stürzte er sich ins Gefecht. Ein wenig schleierhaft war es ihm selbst schon, warum er dieser Meinung war, warum er das Risiko eingehen wollte. Vielleicht, weil das hier seine Wahl war? Er wirklich wählen konnte, wollen konnte oder auch nicht? Und vielleicht auch, weil er gewinnen wollte – und zwar nicht erst in dreißig Jahren. Er trat sich selbst in den Hintern, streckte seinerseits den Arm aus und schlang ihn um Kuniberts Nacken. Sein Atem wollte ihm nicht recht gehorchen. Kuniberts Hand glitt durch sein Haar. Er spannte sich an und wölbte sich vor wie der Protagonist einer kitschigen Ansichtskarte zum Thema „Liebe“. Nur ganz kurz. Lippe an Lippe. Die ab sechs Version. Okay, ging. Nochmal, weiter, ein kleines bisschen länger! Noch mal! Eine eher mechanische Übung. Aber immerhin. Es ging, es ging und es war … war … okay! Und wieder! Da war ein wenig Feuchtigkeit auf ihren Mündern, die die Sache einfacher machte, er wagte ein sanftes Gleiten. Und nochmal, länger, sein Kopf wanderte zur Seite, irgendwelche albernen Sternchen stiegen vor seinen geschlossenen Lidern auf. Nochmal! Wie ein Scheiß-Teenager, aber das verlernte man echt nicht, war wie Fahrrad fahren. Nochmal! Die Hände in Kuniberts Schopf … noch mal, den Mund leicht geöffnet, etwas sackte durch ihn. Noch mal! Noch mal! Sein Mund öffnete sich einen Spalt. Noch mal! Und wieder! Er fühlte sich ein wenig wie ein Specht. Noch mal! Irgendwie hatte sich etwas verselbständigt? Seine Zunge kroch nach alter Gewohnheit über Kuniberts Unterlippe, der tief atmend erst einmal gar nichts tat, bis er ihm schließlich entgegen kam. Nur ein Anstupsen, das war … oh man … gut? Oder? Noch mal! Ganz langsam! Hör auf den Atem, achte auf den Geruch! Das ist Kunibert, niemand sonst! Was für eine alberne Veranstaltung! Als würde er das erste Mal wen küssen. Tja, war ja auch irgendwie das erste Mal, seit … und seit er hier war … und seit er gewagt hatte, ein bisschen ein nettes Arschloch zu werden, nicht mehr bloß Cedric kaputt … Cedric neu … nicht neu … anders … nein auch nicht … wie es eben halt nur ging … vielleicht nicht unbedingt besser, aber er … er wollte das … es ging … gerade so … Keine feuchte Einladung zum Ficken, sondern eben küssen, ein wenig, nicht zu nah, aber nah genug und überwiegend angenehm. Tief unten, da war immer noch dieses „Nicht anfassen!“, er konnte es hören, aber er hörte auch andere Dinge. Kunibert würde ihm nichts tun, er würde sofort aufhören, wenn etwas schief hing., also konnte er ruhig noch ein kleines Bisschen … anstupsen … komisches Gefühl … Haut, ein Mund, eine Zunge, die sich ihm nicht auf die eigene Geilheit bedacht in den Rachen bohrte. Küssen light. Küssen für Anfänger - und für Leute mit einem Trauma anscheinend. Es reichte. Ganz tief unten spitzte auch blödes Arschloch-Cedric die Ohren, aber dieser dämliche Zombie war hier auch nicht am Steuer, konnte er auch nicht, Zombies konnten wahrscheinlich nicht gut fahren, sondern setzten gleich alles mit Volldampf gegen die Wand. Und er selbst war kein Zombie, er würde das hier nicht vergeigen! Kunibert löste sich vorsichtig von ihm, Cedric konnte seinen Atem auf seiner Lippe spüren. „Alles gut?“, wurde er leise gefragt. „Ja, es ist okay“, erwiderte er wahrheitsgemäß. „Es ist ein ein Anfang. Ich glaube mehr kann ich nicht, noch nicht, aber es ist gut! Die Vorteile überwiegen die Nachteile. Und es ist echt total abgedreht, dass das geht! Oder auch nicht. Du bist echt sowas von bescheuert, dass du dir das antust, und sowas von seltsam, dass du es kannst. Aber deswegen kann ich wohl auch. Wie auch immer, danke.“ „Ist mir ein Vergnügen“, lachte Kunibert leise, aber es lag kein Spott in seiner Stimme. Der Trottel freute sich wirklich. Aber er war nicht irgendein Trottel, sondern sein Trottel. Er bewegte sich ein wenig, bis er eine angenehme Schlafhaltung gefunden hatte, Kuniberts Steineklopper-Oberarm als Kopfkissen missbrauchend. Der aktuelle Horror-Pyjama war aus Fleece oder so, kuschlig weich. Er griff nach der Bettdecke und zog sie über sich. Draußen war es eine eiskalte Winternacht, hier drinnen war es warm und gemütlich – und sicher. Kunibert sah ihn von der Seite an. „Tut mich echt leid, dass ich so kaputt bin“, murmelte Cedric. „Vergiss es“, sagte Kunibert. „Du bist nicht kaputt. Und ich finde es eigentlich auch ganz schön, ein bisschen zu kuscheln.“ Cedric seufzte. „Das wäre dir zuzutrauen. Kuscheln, oh weh, aber da hilft wohl kein Leugnen. Oh man! Aber na gut. Kuscheln! Tut mir leid, wenn ich das noch ein paar Mal wiederholen sollte, aber dieses Wort gehörte noch nie zu meinem aktiven Wortschatz, das muss ich wohl auch üben. Kuschelnkuschelnkuscheln - besser? Naja, ich tue mein Bestes. Bin ich eben ein Scheiß-Schmusebärchen, wie gut, dass mir mein Fatalismus nicht abhanden gegangen ist. Konnte ja trainieren mit den Ratten. Immerhin habe ich keinen Knopf im Ohr, wie so ein verficktes Steiff-Plüschtier!“ „Was wäre das denn – ein Cedibär? Drücke seinen Bauch und er verspritzt total niedlich Gift?“, schlug Kunibert in aufrecht nachdenklichem Tonfall vor. „Cedibär! Ich muss gleich kotzen, Kunibääärt. Aber die gruselige Wahrheit ist leider, dass „Kuscheln“ für mich auch schon eine Großtat ist“, gab Cedric zu. „Ich weiß“, sagte Kunibert sanft und strich ihm einmal rasch über das Haar. „Und die gruselige Wahrheit ist auch: Ich mag Kuscheln.“ „Ja ja, schon kapiert, aber, na ja, ach, vergiss es. Kuscheln wir eben. Fällt mir auch kein Zacken mehr von aus der Krone. Die ist eh weg. Mir ist irgendwie so, als sei ich Olympiasieger im Marathon gewesen, und jetzt hat mir was die Beine wegrasiert. Manchmal denke ich, sie seien noch da, manchmal tut es nur weh und nichts macht mehr Sinn. Und jetzt gibt es ja solche Prothesen-Dinger, mit denen man dann wieder laufen lernen kann, sogar joggen, oder sie wachsen irgendwie wieder nach, aber wie vorher wird es nie, aber dennoch: Man kann ja auch bei Parolympics gewinnen“, sann er. „Eben. Und vielleicht ist das eine noch viel größere Leistung, wenn einem sowas passiert ist? Aber deine Beine sind noch dran, und das in dir drin, wer weiß …“, murmelte Kunibert und tippte ihm irgendwie komisch ins Gesicht. „Was machst du da?“, erkundigte sich Cedric irritiert. „Ich zähle deine Sommersprossen“, erklärte Kunibert und tippte weiter. „Wenn man das macht, werden sie mehr!“, wand sich Cedric ein wenig. „Das geht doch gar nicht“, wiegelte Kunibert ab. „Mehr Sommersprossen kann man doch gar nicht haben.“ „Auch wieder wahr“, musste Cedric ihm Recht geben. Er gähnte und streckte sich wohlig. Ja, hier war es gut. Ungewohnt gewohnt irgendwie. Kunibert tat es ihm nach und legte sich auch lang. „Gute Nacht, Cedibär“, sagte er leise. „Gute Nacht, du Depp“, erwiderte Cedric, während seine Muskeln sich entspannten. …………………………………………. Als Kunibert die Augen aufschlug, war er einen Augenblick lang etwas verwirrt. Da lag etwas auf seinem Arm. Und es roch nach Steinfeld im Herbst. Cedric. Das Licht, das aus dem Flur hinein drang, zeigte ihm, dass er nicht halluzinierte. Im Raum selbst war es dunkel, die Sonne ging spät auf zu dieser Jahreszeit. Cedric selbst hatte schon halb weggedämmert doch tatsächlich die Nachttischlampe ausgeschaltet. Tiefrotes Haar stand in alle Richtungen ab, Cedrics zartes Gesicht war im Schlaf entspannt, kein Jammern hatte seinen Schlaf belastet. Er atmete ruhig und tief. Es ging ihm gut. Vielleicht nicht für anderer Leute Verhältnisse, aber für seine wohl ja. Kunibert merkte, wie ein Lächeln in ihm aufstieg. Ihm ging es auch gut. Mehr als das, er war glücklich. Wirklich glücklich, nicht scheinbar glücklich, weil alles Offensichtliche zu stimmen schien. Hier stimmte das Offensichtliche gar nicht, zu unterschiedlich waren sie doch in Hinsicht auf Herkunft, Weltanschauung und Schicksal auf den ersten Blick, aber das bedeutete gar nichts, denn das dahinter, das, was bei Jakob gefehlt hatte oder irreparabel verloren gegangen war, das stimmte ganz und gar. Irgendwann in dieser Zeit, an diesem Ort hatte er sich in Cedric Kalteis verliebt. So dumm war er gewiss nicht, dass er das nicht begriff, jetzt da sein Denkorgan den Input etwas verdaut hatte. Und auch Cedric erschien es irgendwie ähnlich zu gehen, obwohl ihm das eventuell deutlich fremder und obskurer erscheinen mochte als ihm. Aber auch das war egal, Kunibert wusste es. Cedric wäre nie im Leben hier, neben ihm friedvoll schlafend in seinem Übergrößenbett, wenn dem nicht so wäre. Der Lichtschein ließ Cedrics Kinn leicht rötlich glänzen, da drohte sich ein zum Haupthaar passender Bartwuchs an. Der Gedanke an Cedric mit einem roten Rauschebart ließ ihn leise auflachen. Er streckte die Hand aus und strich über die genauso gefärbten Brauen. In seinen Augen war Cedric wirklich wunderschön, ganz egal, was für Verletzungen er äußerlich am Körper tragen mochte. Sie erzählten von ihm, seiner Geschichte, seinem Leid, seinem Kampf und seiner Tapferkeit. Cedric murmelte schläfrig, dann schlug er die Augen auf, schaute desorientiert und zuckte heftig zusammen. „Alles in Ordnung, Cedric“, summte Kunibert. Cedric blinzelte und atmete tief durch. Seine Hände umklammerten die Bettdecke, dass die Knöchel weißlich hervor stachen. Dann lächelte er etwas verkrampft und ließ sich wieder in die Kissen fallen. „Morgen!“, stieß er hervor. „Guten Morgen“, wünschte ihm Kunibert zurück. „Und guten Morgen Spongebob…s“, begrüßte Cedric seinen Schlafanzug. „Gemütlich ist er“, bestand Kunibert. „Mmm. Stimmt“, gab Cedric zu, der schließlich darauf genächtigt hatte. „Ein weiterer Grund, das Licht auszumachen.“ „Ist nicht mehr so schlimm mit dem Licht?“, fragte Kunibert vorsichtig. „Geht so. Wird besser. Etwas. Eventuell kann ich auf diese Kinderzimmer-Nachtlichter umsteigen, langsame Entwöhnung“, grollte Cedric ein wenig. „Die gibt’s auch in Spongebob-Form“, informierte ihn Kunibert. „Ich bin begeistert“, grummelte Cedric und setzte sich auf. Sein Haar am Hinterkopf stand tornadoverdächtig ab. Er schüttelte sich etwas, dann musterte er Kunibert mit Röntgenblick. Schließlich lächelte er. „Ich brauch nen Kaffee“, sagte er. „Erst die Brötchen, dann der Kaffee – und dann muss ich arbeiten, sonst beißt mich mein Boss noch“, erwiderte Kunibert. Cedric rappelte sich hoch, stellte sich neben das Bett und streckte sich. „Ich bin nicht dein Boss“, sagte er. „Okay, pro forma schon. Aber wenn ich ein Boss sein wollte, müsste ich nur heim zu Mama und Papa und brav üben, in welchem Billiglohnland es die wenigsten Auflagen gibt. Du bist der Wissenschaftler – also mach. Das ist nur das Hilfe-Ding.“ „Ja, ich weiß. Echt. Also, ich geh kurz duschen“, setzte er an und rollte sich auch aus den Laken. „Warte!“, forderte Cedric von der anderen Seite des Bettes. „Was?“, fragte Kunibert und sah ihn an. „Könntest du, äh, also … wegen der Gewöhnung und so“, druckste Cedric herum. „Cedric! Klartext!“, mahnte er ihn. „Okay, okay! Also: Ich stand immer auf große Kerle mit ordentlich Muskeln. Und diese Kriterien erfüllst du ja mehr als sehr, und … die … die … also, die waren natürlich auch so … und … als du damals dein Hemd ausgezogen hast, da habe ich total die Krise bekommen, klar … und dann … als die Dusche in die Luft geflogen ist, da war das ... nicht so, sondern … egal … auch komisch. Aber … oh Gott, jetzt höre ich mich schon an, wie so ein notgeiler Sack im Stripclub! Okay, also: Würdest du eventuell dein Hemd ausziehen, damit ich dich ansehen kann?“, Cedric grimassierte etwas, während er sich voran stammelte. „Okay“, sagte Kunibert. „Aber du musst mir mein Akademiker-Gehalt echt nicht in die Wäsche stecken. Entschuldige, blöder Witz. Klar. Schau nur. Ist völlig in Ordnung. Ich bin auch nicht prüde, ich komme schließlich aus dem Norden.“ Er griff nach vorne und begann zu knöpfen. Cedric verlagerte sein Gewicht von einem Bein aufs andere und folgte mit leicht offenem Mund und nervös hin und her blitzenden Augen seinen Bewegungen. Kunibert streifte sich sein Oberteil ab und sagte etwas hilflos: „Tada!“ Cedric starrte ihn an und biss sich in die Lippen. Er fühlte sich ein wenig wie eine als besonders toll angepriesene Fleischwurst. „Du bist echt“, sagte Cedric langsam, „ein totaler Klopper, oh Mann.“ „Ist wohl größtenteils genetisch“, murmelte Kunibert. „Meine Mutter ist ja auch so. Ich mache gerne Sport, aber andere viel mehr, ohne dass das so wird, dabei war ich eigentlich nie so wild da hinterher.“ „Ja, das Leben ist nicht gerecht“, nickte Cedric. „Du siehst echt aus wie so eine Naziskulptur von Breker! Okay, die Spongebob-Hose passt da nicht ganz ins Bild - und du bist nun wirklich kein Nazi! Aber das ist schon echt heftig.“ „Naja“, sagte Kunibert etwas betreten. „Kann ich auch nicht viel machen. So sehe ich eben aus. Solange du das nicht abstoßend findest?“ Cedric fing an zu lachen, allerdings nicht übertrieben heiter, dass er beinahe einen Schluckauf bekam. „Abstoßend? Nein! Viel zu sehr das Gegenteil, wahrscheinlich. Deswegen war das am Anfang auch so schockierend. Du bist echt die Steigerung von dem, hinter dem ich früher immer hergehechelt habe – um es dann fertig zu machen. Aber ich will dich nicht fertigmachen! Und von notgeilem Gehechel bin ich auch ziemlich weit entfernt. Aber zumindest kann ich sagen, dass ich dich wirklich … schön finde. Scheiße, was für eine Figur - und das ist echt! Und ich kann nicht loslassen! Was für ein absurder Murks!“ Kunibert raffte das Hemd wieder an sich und schloss es notdürftig – und ziemlich schief. „Ach was, Cedric. So ist es eben. Früher war früher, aber nicht jetzt. Und ich finde es schön, dass du mich attraktiv findest. Finde ich dich ja auch, ohne dass mir davon sofort sämtliche Sicherungen unkoordiniert durchbrennen. Und das ist nur fair – ich habe dich ja auch am Fenster gesehen. Das war zwar keine Absicht, aber ich habe trotzdem geglotzt. Habe mich hinterher scheiße gefühlt, aber dennoch! Wenn du gucken willst, musst, dann, okay, dann strippe ich eben. Ich bin zwar nicht gerade ein Profi, da erwarte bitte gar nichts, und ich will auch nicht behaupten, dass mich das völlig kaltließe, wenn du mich anschaust, aber ich kann trotzdem stillhalten, okay?“ Cedric lachte plötzlich leise auf, aber dieses Mal deutlich harmonischer. „Ein zwei Meter Stripper in einem Kindercomic-Nachtgewand! Da sage mal einer, hier würde man nichts erleben.“ „Wo ich bin, ist Action“, grinste Kunibert. „Apropos – ab geht die Post, sonst sind noch die Mohnbrötchen alle!“ „Das würde ich in der Tat wahrscheinlich nicht verkraften“, gab Cedric zu und flitzte hoch nach oben in sein Bad. …………………………………………… Der da drüben sah nett aus. Hatte blaue Augen … wie Kunibert. Nein, besser nicht. Und der da? Blond … wie Kunibert. Verdammt. Der? War ein Mann … wie Kunibert. Besser heim? Nein, kein Kunibert. Verdammte Hölle auf Erden! Jakob hatte ja gedacht, es mit einigermaßen Haltung verkraften zu können. Die Zeit heilt alle Wunden, sagte man doch – und diese hatte er Idiot sich zum größten Teil selbst gerissen. Wie hatte er nur so verblendet sein können, das Gute in seinem Leben so mit Füßen zu treten? Verdammter Alltag, verdammtes Hirn, verdammte Torschlusspanik - und wofür? Was hatte er gehabt? Einen klugen, liebenswürdigen, bildschönen Lebensgefährten. Und jetzt? Ein Hocker in einer Bar voller Nieten, wie er selbst eine war. Aber das allein war es nicht gewesen. Sie hatten sich ja zusammen gerauft – und dann war Kunibert los zu seinem dämlichen Steinfeld, auf dem dieser abscheuliche Kalteis hockte. Der hatte wahrscheinlich gedacht, im Paradies zu sein, in dem einem die gegrillten Täubchen ganz von alleine in den Rachen flatterten. Der hatte Kunibert irgendwie den Rest gegeben, kein Zweifel. Kunibert war kein launischer Mensch, er musste das wirklich für richtig gehalten haben. Welche Lügen mochte Kalteis ihm präsentiert haben? Kunibert mochte Zweifel gehabt haben, aber dieser Typ hatte garantiert gewusst, wie man sie in eine für ihn vorteilhafte Richtung lenkte. Kalteis! Diese eiskalte Arroganz in dem aparten Gesicht, dieses Bewusstsein, das Zentrum des Universums zu sein, dieser eklige, machtgeile Mistkerl, der hatte ihm seinen Kunibert ausgespannt – und wollte ihn garantiert nicht mal. Nicht ein Cedric Kalteis, der wollte nur das nächste Spielzeug, und Kunibert mochte ihn gereizt haben, weil er gewiss nicht so war wie seine üblichen willigen, grenzdebilen Discohühner, die nur ans Ficken hatten denken können. Oh Gott, und irgendwie war das seine Schuld! Ob Kunibert zurück kommen würde, wenn Kalteis mit ihm fertig war – oder er endlich blickte, was da vor sich ging? Kalteis war raffiniert … Das hier, das war doch sowas von zum Kotzen. Der entgeisterte Gesichtsausdruck seiner Eltern, seiner Freunde, als er ihnen hatte beichten müssen, dass er und Kunibert sich getrennt hatten - und mehr als das, dass Kunibert Land gewonnen hatte, fort gezogen war, nicht nach Eckernförde, sondern in die Bretagne zu seinen Steinen und … Kalteis. Okay, Kunibert hatte sich auch mit ihnen in Kontakt gesetzt und ihnen rücksichtvoll davon berichtet, dass sie sich wohl auseinander gelebt hätten, keine bösen Gefühle und so. Und er war auch nicht böse auf Kunibert. Wenn er auf jemanden böse war, dann auf sich selbst – und Kalteis! Vier lange Jahre, kaum jemand hatte ihm je so nahe gestanden wie Kunibert, und er vermisste ihn, und es wurde kein Stück besser, alles erinnerte an ihn und … Jakob atmete tief durch. So konnte es doch echt nicht weitergehen! ……………………………………… „Mann, miss doch den Stein da!“, orderte Cedric und wies resolut in Richtung der Zone, in der die Bienenstöcke standen. „Vielleicht“, ärgerte ihn Kunibert. „Was soll das heißen: vielleicht? Die Ecke ist noch nicht fertig, ist doch nur logisch!“, behauptete Cedric. „Ach weißt du“, grinste Kunibert. „Wie wäre es mit ein wenig Mitarbeitermotivation?“ „Ein Tritt in den Arsch?“, vermutete Cedric. „Ein Kuss auf den Mund wäre mir deutlich lieber“, empfahl Kunibert. „Na gut … was man nicht alles tut …“, grummelte Cedric, aber er grinste. Kunibert trat auf ihn zu, bückte sich und drückte kurz seine frostigen Lippen auf Cedrics. „Schon besser“, meinte er. „Ein bisschen zumindest.“ Cedric verdrehte die Augen, griff nach oben und zerrte ihn an sich, um die Übung zu wiederholen. „Mmm“, murmelte Kunibert genüsslich. „Jetzt fühle ich mich motiviert!“ „Ich aber nicht. Habe den totalen Motivationsknick. Gib den Kuss wieder her!“ forderte er. „Okay, du Geizhals! Hier ist er“, lachte Kunibert und küsste ihn noch einmal. Cedric fiel ein. „Also, da kriege ich ja noch Depressionen!“, beschwerte er sich. „Das kannst du doch besser!“ Kunibert zog die Brauen hoch und versuchte erneut sein Glück. Cedrics Mund warm so warm in dieser Kälte. Er legte seine Hände auf seine ungeschützten Ohren und wärmte sie ein wenig, während er ihn weiter küsste. Cedric öffnete leicht den Mund, und er wagte sich vorsichtig vor. Wie gestern Abend stupste Cedrics Zunge sanft gegen seine, keine ungebremste Leidenschaft, aber ein Tasten voran. Er schloss die Augen und stupste zurück, genoss dieses Gefühl, so leicht und benommen kichernd. Er spürte, wie sein Trieb interessiert nachfragte, aber es war gar nicht so schwer, ihn zu verscheuchen, er musste nur an Cedrics geschundenen Rücken denken. Und dieser Cedric, den man so schrecklich misshandelt hatte, lag jetzt lebendig in seinen Armen und konnte ihn küssen, ohne sich zu fürchten, sondern weil er das wollte, ihn wollte. Das war doch so viel! Cedric löste sich, die Arme um seinen Nacken, lächelte ihn an, die Giftaugen vergnügt blitzend, und sagte: „Viel besser!“ „Finde ich auch. Das hier ist echt mein Traumjob“, lächelte er zurück. „Nicht leer? Nicht banal?“, fragte Cedric. „Nein. Gar nicht. So sollte es sein. Und so ist es. Alles da. Die Steine, die Brötchen, Tee mit Schuss – und du. Was will man mehr?“, fragte er. Cedric zog leicht die Mundwinkel herunter. „Nein, Cedric! Böser Cedric!“, warnte er. Cedric seufzte. „Ist nur etwas schwer. Bin das so gewohnt, dass es immer darum geht, so oder so. Und du bist auch kein Übermensch, der das einfach mal so eben knicken kann im Austausch gegen ein Küsschen, so ist das eben. Aber ich versuch’s. Nicht ständig daran zu denken, okay?“ „Ja, das wäre schön. Mach dir nicht so einen Kopf darüber. Wir sind hier, wir leben und der Tag ist noch jung, und ich bin froh! Es könnte gerade gar nicht besser sein. Ich sitze hier nicht chronisch auf der Lauer. Lass uns … lass uns einfach genießen, was wir haben. Das ist schon so viel mehr als das, was die allermeisten Leute haben. Aber vergleichen macht unglücklich. Und das sind wir doch nicht. Wir können küssen, du kannst küssen - hättest du das gedacht? Und jede Minute ist doch gut! Einfach nur gut fühlen, das ist es, Cedric, das ist es, was wir machen“, sagte Kunibert und schlang die Arme um ihn. „Ja, wohl wahr. Nur jetzt, nicht Morgen oder Übermorgen, hier, jetzt, wir … Oh Gott, ich bin schon wieder so demotiviert!“, erwiderte Cedric und sah zu ihm hinauf. „Wird sofort erledigt“, lachte Kunibert. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)