Tempora Nova von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 8: Mein Herr, kurze Abwesenheit --------------------------------------- Kurz nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, lief ich los. Ich wollte mir ein Opfer suchen, dessen Seele ich so schnell wie möglich verschlingen konnte. Einen Vertrag benötigte ich dazu nicht, solche Strapazen nimmt ein Dämon schließlich nur auf sich, wenn er eine Seele als besonderen Leckerbissen wahrnahm, so wie es damals bei Ciel Phantomhive gewesen war. Die Dämonen hatten sich förmlich darum gerissen, seine Seele in ihre Finger zu bekommen, doch mir war es damals gelungen, sein Vertrauen mit betörenden Worten für mich zu gewinnen, und so auch seinen innigsten Wunsch zu erfüllen. Eigentlich stand mir seine Seele nach wie vor zu, doch da er nun ein Dämon war, konnte ich sie ihm nicht mehr nehmen. Ich begab mich also in das Londoner East End um nach einer gebrochenen Seele zu suchen, die ohnehin nicht mehr lange zu leben hatte. Das Problem dabei war nicht, eine solche zu finden – man musste sie nur finden, bevor einem die Shinigami dazwischen funkten und sie zu früh ins Jenseits zogen. Das, was einen dann erwartete, war zwar weitaus angenehmer, als von einem Dämon gefressen zu werden, doch ich wollte meinen Hunger endlich stillen. Ich wollte diese Sache so schnell wie möglich hinter mich bringen, schließlich hatte ich meinen jungen Herrn dafür alleine gelassen, und dieser Zustand sollte nach Möglichkeit nicht all zulange andauern, denn mit jedem Moment meiner Abwesenheit stiegen die Chancen des Engels, den jungen Herrn an sich zu reißen. Ciel war zwar stark genug, diesem Drang vorerst zu wiederstehen, doch hatte der Engel es erst einmal geschafft, wieder komplett in dessen Geist einzudringen, würde ich für nichts mehr garantieren können. Mit bedachten aber schnellen Schritten lief ich nun durch das East End, betrachtete die vor sich hin krepierenden Gestalten, die an den Wänden der Häuser lehnten, und ließ mich von ihren hilflos flehenden Blicken verfolgen. Es mag grausam klingen, aber allein der Genuss ihrer Hilflosigkeit und Verzweiflung, die fast greifbar in den Gassen schien, gab mir einiges meiner verloren geglaubten Kraft zurück. Auf eine gewisse Art und Weise verspürte ich durchaus ein wenig Mitleid, aber an erster Stelle stand meine Gier, diese Menschen zu fressen und ihre Seelen an mich zu nehmen. Jede einzelne von ihnen würde schmackhaft sein… Gerade hatte ich mich dazu entschlossen, ein Blutbad in diesem Elendsviertel anzurichten, als die Stimme einer jungen Frau mich noch einmal zögern ließ. Eine schmutzige, kleine und viel zu dünne Gestalt kam aus einer dunklen Gasse heraus auf mich zugeschlendert, den Blick starr zu Boden gerichtet. Kurz vor mir blieb sie stehen, sah dennoch nicht vom Boden auf. „Junger Edelmann…kann ich Ihnen meine Dienste anbieten?“, flüsterte sie mit leiser, fast heiserer Stimme. Falls sie versucht gewesen war, das ganze verführerisch klingen zu lassen, war ihr das gänzlich misslungen. „Sie müssen sich auch nicht sorgen…ich habe keine Krankheiten, die Ihnen schaden könnten…“ Zwar sagte sie dies, doch ich konnte deutlich spüren, dass ihre körperliche Verfassung mehr als zu wünschen übrig ließ. Doch gelogen hatte sie damit sicherlich nicht, denn mir würden diese Krankheiten sicherlich nicht schaden, bei anderen Menschen war diese Behauptung jedoch in Frage zu stellen. Sicherlich war sie keine besonders tiefgründige Persönlichkeit. Ein Schicksal, das viele indische Frauen zu der Zeit trugen, lastete auch auf ihren Schultern. Mit der Hoffnung hier ein besseres Leben führen zu können war sie nach London gekommen, und kurz nach ihrer Ankunft war all ihre Hoffnung zu Nichte gemacht worden. Diese Gestalt war einfach nur armselig, gezwungen ihren Körper in einem solch jungen Alter zu verkaufen. Trotzdem lächelte ich sie freundlich an. „Ihre Dienste, junge Frau? Nun, einen Dienst gibt es, den Sie mir gewiss erweisen könnten. Aber damit Sie es wissen, ich bin kein Edelmann, ich bin lediglich ein einfacher Butler. Wollen Sie mir nach wie vor dienen?“ Ich beugte mich zu ihr hinunter, bis ihr Gesicht nur noch wenige Zentimeter von meinem entfernt war, blickte sie starr an und wartete. „Ein…Butler…?“, fragte sie unsicher. „Ich nehme an, dass Sie Geld haben…Also…wenn Sie nicht abgeneigt sind…“ Ich spürte nur zu deutlich ihre Unsicherheit und ihre Angst, und ich bewunderte es, wie weit sie zu gehen vermochte, nur um ihre armselige Existenz zu wahren. „Nun gut.“, meinte ich in überzeugtem Tonfall zu ihr, dann entschied ich mich dazu, meinen Arm um ihre Schulter zu legen und sie zu führen, falls sie geplante hatte, es sich noch einmal anders zu überlegen. Bei meinen Nachforschungen im Fall Meena hatte ich damals in einer abgelegenen Seitenstraße ein leerstehendes Apartment gefunden, und genau da hatte ich vor, sie hinzubringen. Selbstverständlich hatte ich nicht vor, ihre Dienste wirklich anzunehmen, denn ihr Körper regte keinerlei Gelüste in mir – eher war ich abgeneigt, gegenüber ihrer verwahrlosten Erscheinungsform. Aber ihre Seele schien schmackhaft, all die Verzweiflung, all diese Sehnsüchte… Meine Augen glühten einen Moment rot auf, dann zwang ich mich wieder ruhig zu bleiben, auch wenn ich meinen hunger nur noch schwer zurückhalten konnte. Es war wohl besser nur diese Frau zu töten, als hier ein ganzes Blutbad anzurichten. Bei der verlassenen Wohnung angekommen öffnete ich ihr die Tür und ließ sie eintreten. Der Raum war dunkel und stickig, Staub hatte sich auf dem kläglichen Mobiliar niedergelassen und ein Duft nach Verwesung war hier deutlich wahrzunehmen. Einige Zentimeter hinter der jungen Frau blieb ich stehen und legte meine Arme um sie. Ihr Atem ging flach und panisch und ihr Herzschlag war wie ein Ticken in dem Raum zu hören. Langsam nahm ich meine dämonische Gestalt an, breitete meine schwarzen Flügel aus und legte sie sanft um unsere Körper. „Es tut mir wirklich sehr leid, aber Ihr werdet an diesem Ort sterben…“, flüsterte ich ihr mit tiefer, rauer Stimme zu. Ihr Atem ging noch schneller und sie wandte sich in meinem Griff, doch sie konnte meinen starken Armen nicht mehr entkommen. In Panik begann sie instinktiv zu schreien, obwohl sie genau wusste, dass es hier niemanden gab, der Ihren Hilfeschreien Folge leisten würde. Wir waren nun ganz alleine in dem Raum… „Bitte! Bitte lass mich leben!“, schrie sie mich an, ihre Stimme überschlug sich fast vor Angst. „Bitte!! Ich will noch nicht sterben! Mein Kind…!!“ Ich kannte es nicht von mir, aber ein wenig Mitleid kam in mir auf, nicht ihretwegen, sondern wegen ihrem Sohn. Auch Ciel hatte seine Eltern verloren, und sein Schicksal war schrecklich gewesen – so etwas sollte niemand erleben müssen. „Schon gut…“, beruhigte ich sie. „Ich werde dafür sorgen, dass Ihr Kind in gute Hände gerät. Und ich werde dafür sorgen, dass Sie keine Schmerzen haben…“ Ich ließ ihr in meinen Armen gerade genug Platz, dass sie sich umdrehen konnte und mir nun ins Gesicht sehen konnte. Im ersten Moment schien sie noch erschrockener, als zuvor. Mit panischem Blick musterte sie meine rotglühenden Augen, die spitzen Zähne, die wenige Zentimeter über meine Lippen ragten, und die kleinen, spitzen Hörner, die oben aus meinem Kopf ragten. „Ein…Dämon….“, sagte sie mit fast schon ungläubigem Ton. „Ja, ganz Recht. Ich werde Ihre Seele nehmen, um wieder zu Kräften zu kommen, den Rest lasse ich unversehrt. Man wird Sie sicherlich bald finden und sie angemessen bestatten.“ Eigentlich war es unfair, was ich da tat, aber so konnte ich die junge Frau vor ihrem Tod wenigstens in trügerischer Sicherheit wiegen. „Es wird nicht wehtun…“ Mit diesen Worten legte ich meine Lippen sanft auf ihre, und statt ihre Seele direkt auszusaugen, schob ich zunächst meine Zunge zwischen ihre Lippen. Gedanken überkamen mich, Gedanken, die ich von mir selbst nicht erwartet hatte. War es das? Würden sich die Lippen meines jungen Herrn auch so anfühlen? Oder waren sie weicher? Ciel… Nein…nein das war nicht mein junger Herr…warum küsste ich diese widerliche Person? Mit einem festen Schlag durchstieß ich ihre Brust, hörte ihren Aufschrei kurz in unserem Kuss verklingen und saugte ihr gierig die Seele aus dem Leib. Mehr war es nicht gewesen. Ich wischte mir den restlichen Speichel von den Lippen und ließ den leblosen Körper achtlos zu Boden sinken. Kurz betrachtete ich sie, dann wandte ich mich ab. Was konnte ich noch für sie tun, außer mein Versprechen einzuhalten? Ich nahm meine menschliche Gestalt wieder an und machte mich auf den Weg, ihr Kind zu suchen. Kurz vor ihrem Tod hatte sie noch einmal an das kleine Mädchen gedacht, und so würde es mir nicht schwer fallen, dieses Kind zu finden. Ich schloss die Tür des Apartments, in dem ich die Leiche der Frau zurückgelassen hatte und machte mich auf den Weg zurück in das Zentrum des Elendsviertels. Nach kurzem Suchen fand ich das Mädchen schließlich zusammengekauert in einer dunklen Ecke, die Kleidung schmutzig und zerrissen, das Gesicht beschmutzt. Ich seufzte. Warum gab es sowas wie das hier, wenn die Engel und Gott selbst damit rühmten, eine heile Welt zu erschaffen und keine Menschenseele jemals aus den Augen zu lassen? Nein, so war es nicht, und so wird es nie sein. Diese Welt ist verdorben und verkommen, und es gibt für die meisten nichts als ein kleiner Funke Hoffnung, der sie antreibt, weiterzuleben. Vorsichtig lief ich zu dem Mädchen hin, bedacht sie nicht zu erschrecken. Sie hob ihren Blick und sah mich mit funkelnden Augen an. „Wer sind Sie?“ „Ich bringe dich von hier fort. Es war der Wunsch deiner Mutter, dass du in Sicherheit bist…“ Ohne große Worte hob ich sie hoch und trug sie davon. Sie wehrte sich zunächst, doch dann ließ sie mich einfach gewähren. Schließlich war sie in meinen Armen eingeschlafen. Es dauerte einige Zeit, bis wir ankamen. Ich hatte sie zu einem Kloster gebracht. Die Leute dort waren freundlich und sie würden sich bestimmt gut um sie kümmern. Ich legte das kleine Mädchen vor das große Tor des Klosters und klopfte an. Als eine freundlich dreinblickende Ordensschwester das Tor öffnete, war ich bereits wieder verschwunden. Ich musste nun endlich zurück zu meinem Herrn! Ich hatte ihn wirklich lang genug allein gelassen, und ich wusste nicht, was mich erwartete, wenn ich zur Villa zurückkehrte. So schnell ich konnte rannte ich, bis ich das Anwesen der Phantomhives erreicht hatte, doch ich hatte mich umsonst gesorgt. An seinem Arbeitszimmer angekommen, erwartete mich der Klang einer schrecklich verstimmten Violine… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)