Überleben is' für Weicheier! von Ange_de_la_Mort ================================================================================ G'day! ------ Geschichten wie meine beginnen normalerweise mit den Worten: „Es war eine dunkle, kalte, regnerische Nacht.“ Meine tut es nicht. Allein das sollte schon einmal ein Indiz dafür sein, dass sie keine normale Geschichte ist. Meine Geschichte beginnt an einem staubigen Tag in der Wüste von Nevada. Von Regen und Kälte keine Spur, nicht einmal eine einzige kühle Brise erbarmte sich, um die elende Hitze zu vertreiben. Mit einem leisen Seufzen wischte ich den Schweiß von der Stirn und schob die Sonnenbrille einige Millimeter in die Höhe, um die Karte zu studieren. Nicht, dass es da viel zu sehen gäbe außer Sand, Staub und noch mehr Sand. Dennoch oder genau deswegen hatte ich befürchtet, die Orientierung zu verlieren oder sie bereits verloren zu haben, obwohl ich von meinem Arbeitgeber die genaue Lage der Basis zugeschickt bekommen hatte. Zusammen mit allen weiteren wichtigen und unwichtigen Informationen sowie einer Art von Uniform. Okay, okay, ich bin ganz ehrlich. Das Zeug wurde gar nicht mir zugeschickt. Oder eigentlich schon. Egal. Wie auch immer, es landete jedenfalls nicht sofort bei mir – sondern zuerst bei meinen Eltern, die es für nötig hielten, einfach mal meine Post zu durchstöbern. Mir ist selbst klar, wie peinlich es ist, in meinem Alter noch daheim zu wohnen, dazu brauche ich jetzt auch überhaupt keinen Kommentar. Bitte. Ihre Reaktionen waren schließlich auch so schon schlimm genug … Mein Vater ist ein sehr imposanter Mann. Was nicht nur an seinen Einsneunzig Körpergröße liegt. Natürlich verstärken die das Gesamtbild nur, aber er wäre auch überaus einschüchternd, wenn er kleiner wäre. Oder vielleicht bin ich auch nur sehr leicht einzuschüchtern … Meine Eltern waren also alles andere als begeistert von meinem Entschluss und mein Vater – selbst ein alter Kriegsveteran – ließ mich das lautstark wissen. Während ich also zusammengesunken und mit hochgezogenen Schultern auf dem Sofa saß und eine Schimpftirade nach der anderen über mich ergehen ließ – genau wie die enttäuschten und vorwurfsvollen Blicke meiner Mutter –, tobte und raste er. Und das nicht zu knapp. In den Krieg ziehen? Ich?! Ich war doch viel zu unfähig, zu verhätschelt – hier kam dann der missmutige Seitenblick auf Mum – und vor allem war ich viel zu feige. Warum zu feige? Nun ja, wäre ich ein richtiger Mann, so wie er, hätte ich mich schon direkt nach meinem Schulabschluss freiwillig gemeldet und nicht erst mit Mitte Zwanzig. Er behauptete, ich hätte das nur aus einer Laune heraus getan, um ihm eins auszuwischen, was – wie ich zugeben muss – teilweise der Wahrheit entspricht, denn sonst hätte ich mich gefälligst und selbstverständlich als Soldat gemeldet und nicht als feiger Scharfschütze, der in seinem ganzen Leben nicht eine einzige richtige und echte Schlacht miterleben würde. Als Soldat. An vorderster Front. Völlig egal, ob ich Erfahrungen hatte, völlig egal, ob ich das konnte, wollte oder mich dazu für in der Lage hielt. Hauptsache, ich rannte wie wild mit den Armen fuchtelnd und einem metaphorischen Schild mit der Aufschrift „Absoluter Noob“ um den Hals ins Schlachtgetümmel, um mich mehr oder weniger – und eher weniger – glorreich massakrieren zu lassen. Verständlich, dass ich davon nicht gerade angetan war, oder? Um es kurz zu machen: Der Kontakt zu meinen Eltern ist momentan ein wenig eingeschlafen. Zumindest nenne ich es so. Würde jemand mit viel Interesse und noch viel mehr Zeit meinen Vater fragen, wäre seine Antwort um einiges wortreicher, auch wenn sie sich darauf kürzen ließe, dass er eben nie einen Sohn hatte. Und falls er irgendwann durch Zufall doch einmal einen gehabt haben sollte, so wäre er enterbt. Vater war eben wirklich schon immer sehr … speziell. Ich … hab mich wohl ein wenig verzettelt, oder? Wo war ich gerade? Ach ja. Heißer Wüstentag und Probleme beim Kartenlesen. Ich hab die Basis, die sich irgendwo im Nirgendwo befindet, irgendwann doch noch gefunden und mir dafür mental selbst auf die Schulter geklopft. Die erste Hürde hätte ich damit nämlich schon einmal überstanden. Nachdem ich also den gemieteten Jeep in einer kleinen, überdachten Garage geparkt hatte, verschwand ich durch die angrenzende Tür ins Gebäude hinein, sah in dem Gewirr von Brettern und Beton einmal nach links und einmal nach rechts und lauschte auf die Stimmen meiner neuen Teamkameraden. Ich sollte nicht lange warten müssen. „Alarm! Eindringlinge!“, kreischte eine computergenerierte Stimme so laut und so plötzlich, dass ich nicht umhin kam, zusammenzuzucken und mir die Hände auf die Ohren zu pressen. Dann verstummte der Alarmton und an seine Stelle kamen die Geräusche von Stimmen und Schritten. Ich hörte, wie Befehle gebrüllt und Waffen abgefeuert wurden. Und ich verstand, in welchen Schlamassel ich geraten war: der Feind griff an! Die REDs waren in der Basis! Und ich stand mittendrin und verloren herum wie der letzte Depp. Der Entschluss zu helfen war schnell gefasst: Ich warf meinen Rucksack in die nächstbeste Ecke und zückte mein Messer. Warum nicht das Gewehr? Na ja, erstens gab es hier viel zu wenig Platz, um anständig zu zielen, zweitens konnte eine Kugel überall abprallen und mich ebenfalls erwischen – und drittens hatte ich noch keines, weil die gesamten Waffen erst in der Basis verteilt werden würden. So hatte man es mir zumindest gesagt. Mein Herz raste vor Aufregung und Furcht gleichermaßen. Würde ich mich gleich an meinem ersten Tag als nützlich erweisen? Oder würde ich in die Geschichte eingehen – als der dämliche Vollidiot, der sich gleich an seinem ersten Tag den Hintern hatte aufreißen lassen? Eine Tür hinter mir wurde geöffnet und ich fuhr auf dem Absatz herum, das Messer schon erhoben – nur, um es gleich wieder sinken zu lassen, als ich erkannte, dass nur ein Junge vor mir stand, der genauso verwirrt wenn auch weniger verloren wirkte als ich. „Ey, Mann!“, begann er und winkte mit dem bedrohlich aussehenden Aluminiumschläger in seiner Hand – klebte da Blut an dem Ding? „Was zur Hölle machst du hier so abgeschieden?“ „Ich hatte den Alarm gehört … “ „Ach ja, ganz üble Sache, Alter. Ein Spion von den REDs schleicht hier herum.“ Er lachte und grinste mich verschmitzt an. „Aber mach dir mal nicht ins Hemd. Ich hab's schon mit ganz anderen Kalibern aufgenommen, ich kann deinen Schützenhintern decken, wenn es … darauf ankommt … “ Er brach ab und musterte mich erst nachdenklich und dann misstrauisch. „Wart mal, Alter … Wir haben doch gerade gar keinen Schützen.“ Besäße ich auch nur ein bisschen Selbsterhaltungstrieb, so wäre ich jetzt schreiend davongerannt, so schnell mich meine Beine trugen. Hätte ich damals schon gewusst, dass Spione sich perfekt tarnen und die Gestalt anderer Leute annehmen können, hätte ich mich wohl in mein Auto gesetzt und wäre wieder von dannen gezogen. So jedoch stand ich nur da und öffnete den Mund und versuchte, meine Situation zu erklären. Es gibt wirklich viele schöne Dinge im Leben. Von einem hyperaktiven Irren mit dessen Baseballschläger bis zur Besinnungslosigkeit verdroschen zu werden, gehört nicht dazu. Ehrlich nicht. Oh, und außerdem … Boink? Nein, ganz im Ernst. Boink?! Von allen Dingen, die ich hören konnte, bevor ich das Bewusstsein verlor, musste das wohl die peinlichste Option sein. Zumindest dachte ich das damals. Inzwischen weiß ich es ja leider besser. Things just gettin' started --------------------------- Das Bewusstsein zu verlieren, ist gar nicht so schlimm, wie man immer annimmt. Das Aufwachen hingegen … das ist grauenvoll. Mein Kopf hämmerte und dröhnte, als hätte ihn jemand mit einer Buschtrommel verwechselt, was – wenn ich ehrlich war – der Wahrheit nicht wirklich widersprach, und jede meiner Rippen begrüßte mich einzeln und unbegeistert und in vorwurfsvollem Tonfall. Ich ächzte leise, als ich die Augen aufschlug, und ächzte gleich wieder, da mich grelles Deckenlicht blendete. Vorsichtig betastete ich meinen Schädel, um festzustellen, ob er überhaupt noch auf meinem Hals saß. So sicher war ich mir im ersten Moment nicht. Glücklicherweise befand sich alles noch am richtigen Platz. Und außerdem hatte mir irgendeine freundliche Seele einen Verband um den Schädel gewickelt, wahrscheinlich damit mein Hirn nicht nach draußen tropfte. Selbige gute Seele hatte mich außerdem netterweise vom Boden aufgesammelt und offensichtlich zur Krankenstation gebracht. Zumindest hatte das auf mich den Anschein – wenn ich das Krankenbett und den Geruch nach Desinfektionsmittel als Hinweis sehen durfte. Langsam setzte ich mich auf und hielt mir die Stirn, schwang dann die Beine über den Rand des Bettes und traute mich aufzustehen. Zu meiner eigenen großen Freude und Verwunderung legte ich mich nicht gleich wieder auf die Nase, auch wenn ich im ersten Augenblick bedrohlich schwankte. Es war – so befand ich zumindest – an der Zeit, sich umzusehen. Immerhin war niemand im Raum. Mal wieder. War das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Solange ich nicht wieder verprügelt wurde, sollte es mir recht sein … Ich verließ die Krankenstation und wandte mich nach rechts, den nächstbesten Gang entlang und um die Ecke. Wo ich dummerweise gegen jemanden prallte. Hmm. Ich ließ an meinem ersten Tag wirklich kein Klischee aus. Jedenfalls richtete ich meinen Blick nach vorn, um zu sehen, wer mich da beinahe umgerannt hatte. Und als das nicht half, richtete ich meinen Blick nach oben. Und schluckte. Der Mann, der vor mir stand, war nicht viel größer als ich, aber doch um einiges stämmiger. Und die hochgekrämpelten Ärmel seines Hemden entblößten ein paar Muskeln, von denen ich mich eigentlich sehr gerne sehr schnell wieder entfernen wollte. Als er mir mit der behandschuhten Hand – der riesigen behandschuhten Hand, wie ich hinzufügen möchte – auf die Schulter klopfte, dachte ich, er wollte mir selbige brechen. Also ächzte ich wieder auf. „Sieh an, du weilst wieder unter den Lebenden.“ Er grinste breit und musterte mich eingehend, wobei ich überrascht blinzelte, weil seine Stimme um einiges weniger finster und düster klang, als ich angenommen hatte. „Und du bist also unser neuer Scharfschütze.“ „Äh“, machte ich und als ich merkte, wie wenig intelligent ich dabei klang, fügte ich schnell hinzu: „Ich bin – “ „Unser neuer Scharfschütze“, wiederholte er und grinste. Wahrscheinlich über meinen absolut dämlichen Gesichtsausdruck. „Ja, aber … “ Wieder ließ er mich nicht ausreden. „Mehr müssen wir nicht wissen. Mehr wollen wir nicht wissen. Weißt du“, sagte er freundlich und legte mir einen Arm um die Schulter, auf den ich misstrauisch schielte, „hier interessiert es keinen, wer du bist oder woher du kommst oder wer dir als Kind den Hintern abgewischt hat. Hier zählt nur, was du kannst.“ „Oh“, machte ich leise und blinzelte einige Mal. Das hörte sich für mich ziemlich einsam an. Niemand wollte wissen, wer man war, woher man kam, welche Sorgen und Sehnsüchte und Ängste man hatte. Heute weiß ich, dass es besser war, dass es endlich um mich ging und nicht darum, im Schatten meines Vaters zu stehen und mit Erwartungen konfrontiert zu werden, die ich nicht erfüllen konnte. Auch damals war mir klar, dass ein Teil des Drucks, der mich erwartete und den ich mir selbst auferlegt hatte, damit verschwinden würde. Dennoch kam es mir damals einsam vor. Heute bin ich gerne einsam … „Und du bist?“, fragte ich und sah zu ihm hoch, sah das schmale Lächeln und die vor Intelligenz funkelnden Augen und fand ihn plötzlich gar nicht mehr so furchteinflößend. Wie schnell sich so ein erster Eindruck änderte, wie? Das sollte ich übrigens noch öfter lernen. „Ich bin der Ingenieur hier“, sagte er und deutete mit dem Daumen auf sich. „Kannst mich Engie nennen, Junge. Tut jeder hier.“ Er nickte mir zu und machte eine ausladende Geste mit der freien Hand. „Ich sorge dafür, dass hier alles funktioniert, halte den Kram in Schuss, damit keiner über kaputte Radios klagt. Oder über nicht funktionierende Selbstschussanlagen. Ha! Das wär ja auch eine Schande, was, Junge?“ „Äh … “ „Du fragst dich sicher, wo der Rest der Rasselbande steckt.“ „Also … “ „Weißt du, nachdem unser Scout aufgehört hatte, deinen Schädel als Baseball zu missbrauchen und dabei zu schreien: 'Hierher! Hierher! Ich hab den Drecksack!', und als wir aufgehört hatten, uns um dich zu scharen und uns zu wundern, warum du nicht zu 'nem Spion wurdest, war uns aufgefallen, dass der echte Bastard von den REDs sich mit unseren geheimen Unterlagen aus dem Staub gemacht hatte.“ „Oh.“ „Ja, 'oh' haben wir dann auch gesagt. Na ja, jedenfalls sind die anderen jetzt unterwegs, um unsere Sachen zurückzuholen.“ Ich nickte. Einerseits fühlte ich mich ein wenig schuldig, weil ich gleich an meinem ersten Tag unfreiwillige Beihilfe bei einem Diebstahl geleistet hatte. Andererseits, so dachte ich, waren die Idioten doch selbst schuld und es geschah ihnen ganz recht, für diese Dummheit bestraft zu werden. Man hätte mich doch auch einfach fragen können, ob ich zu den Guten gehörte oder nicht! „Wie sind die anderen so?“, fragte ich also einfach nur. „Ganz in Ordnung, wenn man sich mit ihnen näher befasst“, sagte er, während er mich durch die Gänge zog und ich mich umsah und verzweifelt versuchte, nicht die Orientierung zu verlieren. „Den Scout kennst du ja schon.“ Er lachte darüber, dass ich eine Grimasse zog und den Verband betastete. „Keine Sorge, er ist nicht immer so voreilig. Dann gibt es noch unseren Arzt. Der hat dich wieder zusammengeflickt. Oh, und er meinte, dein Schädel wäre härter als Beton und wir sollten dich mitnehmen, wenn wir das nächste Mal in die gegnerische Basis müssen. Wir könnten dich als Rammbock benutzen.“ „Ein echtes Herzchen“, murrte ich leise. „Nicht wahr?“ Er erzählte weiter. Von dem Bombenleger, den ich besser nicht aufregen oder auf sein Alkoholproblem ansprechen sollte, was wiederum nur darin resultieren würde, ihn aufzuregen. Von dem Spion, der immer grimmig erschien, aber eigentlich ein Herz aus Gold hatte. Von dem Typen mit dem Flammenwerfer, der eigentlich überhaupt nichts von sich preisgab. Von „Heavy“, der eigentlich gar nicht Heavy hieß. „Bei unserem Soldaten solltest du aufpassen.“ Wir erreichten die Küche und er scheuchte mich an den Tisch, während er uns beiden Kaffee kochte. „Etwas Gutes hat er. Er hasst jeden gleichermaßen, also diskriminiert er wenigstens keinen. Zumindest nicht absichtlich. Halt dich einfach von ihm fern, es sei denn, er redet mit dir. Dann bist du besser höflich. Oh, und vergiss nicht, ihn immer beim Namen zu nennen.“ „Name?“ Engie zwinkerte mir zu. „Er heißt 'Sir, ja, Sir!'“ Das sollte sicher ein Scherz sein. Dummerweise fand ich ihn nicht zum Lachen. Es erinnerte mich schmerzhaft an meinen Vater. Ihn nannte man besser genauso – es sei denn, er fragte mich, ob ich etwas wert war, dann lautete die Antwort „Sir, nein, Sir!“ Klang das undankbar? Das klang undankbar, oder? Mist. Das wollte ich nicht. Zurück zum Thema. Es war ziemlich viel, das ich mir merken musste, wenn man bedachte, dass ich mir durch die Kopfschmerzen eigentlich nichts merken konnte. Also sah ich einfach zu, wie der Kaffee tropfenweise durch den Filter lief, während Engie nach zwei Tassen griff. „Ich denke, ich hab da was, das dich aufmuntern wird, Junge. Eine Art Glücksbringer.“ Er reichte mir eine der Tassen und grinste mich erwartungsvoll an. Ich lächelte. Ich zwang mich dazu. Ich wusste doch, dass er es nett meinte. Aber als ich die Aufschrift auf der Tasse sah, krampfte sich mir der Magen zusammen. Nicht nur, weil ich glaubte, ich würde sie nicht verdienen. '#1 Sniper', wie? Wenn man bedachte, dass sie wohl meinem Vorgänger gehört hatte, und man weiterhin bedachte, was mit ihm passiert sein musste, weil ich sonst ja nicht hier wäre … dann hatte sie ihm wohl nicht sonderlich viel Glück gebracht. 'Preciate it! ------------- Ich hatte nicht sonderlich viel Zeit, um mir Gedanken über Glücksbringer und Vorgänger zu machen, denn kaum hatte ich den ersten Schluck viel zu heißen und viel zu starken Kaffees getrunken, wurde die Tür zur Küche aufgestoßen. Herein kamen der Scout – ein Lied auf den Lippen und den linken Arm in einer Schlinge, in der anderen Hand hielt er einen blauen und ziemlich wichtig aussehenden Metallkoffer – und einige andere Leute, die ich noch nicht kannte. Ganz spontan tippte ich darauf, dass das der Rest meines Teams war. Ich Blitzmerker. Engie lächelte und nippte an seinem Kaffee. „Wie ich sehe, ist alles gut gelaufen.“ „Gut? Machst du Witze?“ Scout ließ sich auf den Stuhl neben mir fallen und schnappte sich meine Tasse, trank einen Schluck daraus. „Du hättest sehen sollen, wie ich diesen Versagern die Ärsche aufgerissen habe!“ „Aber nicht so ganz unbeschadet“, sagte ich und deutete auf die Schlinge. Er winkte ab und verschüttete dabei ein wenig Kaffee. „Das hat der gute Medic im Handumdrehen gerichtet. Dafür war da drinnen einfach viel zu wenig Zeit und Platz gewesen. Aber Medic kriegt alles wieder hin.“ Er grinste und musterte mich, neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Dich hat er ja auch wieder zusammengeflickt, Blondie.“ „Äh“, machte ich und nahm mir vor, mir das dringend abzugewöhnen. „Wie man sieht.“ Wie von selbst fuhr meine Hand zu dem Verband und strich darüber. Gleichzeitig fragte ich mich, ob das wohl eine eigene, seltsame Art einer Entschuldigung sein sollte. „Hat'n ziemlich cooles Geräusch gegeben, als deine Rippen gebrochen sind!“ Na gut, ich revidierte meinen letzten Gedanken. Das war definitiv keine Entschuldigung. Vielen Dank auch. „Da kann ich ja von Glück reden, dass mich der erste Schlag auf die Birne bereits ausgeknockt hat“, murmelte ich finster und klaute meine Tasse zurück, versteckte mich dahinter. „Eigentlich kannst du von Glück reden, dass dem eben nicht so war“, sagte ein schwarzhaariger Mann, der sich hinter uns aufbaute. Ich zuckte zusammen und sah zu ihm hoch, identifizierte ihn durch meine logische Schlussfolgerung als den Medic. Zugegeben, der Arztkittel mit den aufgestickten Notarztkreuzen und die Gummihandschuhe, von denen ich gar nicht wissen wollte, warum er sie ständig trug, waren auch sehr eindeutige Anzeichen für das, was er war. Er lächelte mich auf eine beunruhigende Art und Weise und mit einer Mischung aus Überheblichkeit und Genugtuung an, rückte seine Brille zurecht. Und dann sagte er einige Worte, die ich nicht verstand und die ich irgendwie für eine Beleidigung hielt. „Sonst könntest du im besten Falle mit inneren Blutungen und im schlimmsten Falle mit dauerhaftem Gehirnschaden rechnen.“ Ich starrte ihn entsetzt – und peinlicherweise mit offenem Mund – an und drehte mich dann zu dem noch immer grinsenden Scout um. „Wenn du das nächste Mal das Bedürfnis hast, mich zusammenzuschlagen, dann bitte nicht auf den Kopf, ja?“ „Einverstanden, Blondie.“ Hmm. irgendwie hatte ich die leise Ahnung, welchen Spitznamen ich nie wieder loswerden würde. Wie auch immer, Medic jedenfalls zog den Scout verbal mit sich, wohl um ihn entweder zu verarzten oder um rabiate, menschenverachtende Experimente an ihm auszuführen. Zutrauen würde ich ihm beides. Ich seufzte leise und richtete meine Aufmerksamkeit auf die anderen Anwesenden im Raum. Im Gegenzug wurde ich geflissentlich ignoriert. Auch gut. Das störte mich nicht, denn immerhin wollte ich mir unbemerkt ein Bild von ihnen machen. Der Kerl mit dem Helm fiel mir als erstes auf – seiner Lautstärke wegen. Er war groß und klobig, irgendwie … rechteckig geformt. Und er war mitten in eine Unterhaltung vertieft, wobei er selbst sich nicht unterhielt. Er schrie, statt zu reden. Er lachte bellend. Er war alles in allem übermäßig laut und autoritär und durchgedreht und furchteinflößend. Er erinnerte mich an Vater. Unnötig zu sagen, dass ich ihn nicht mochte. Dann war da noch der Schwarze mit der Augenklappe – aufgrund der Tatsache, dass er an einer Whiskeyflasche nuckelte, war ich zu fast einhundert Prozent sicher, dass das der Demoman mit dem Alkoholproblem sein musste – und ein riesiger, schwerer Typ, der alleine vom Aussehen her Heavy sein musste. Ganz nebenbei stellte sich mir die unausweichliche Frage, ob Körpergröße ein Aufnahmekriterium darstellte. Falls ja – was machte ich dann hier? Hinter mir gab es einen Knall. Ich zuckte stark zusammen und wich automatisch zurück – was leider bedeutete, dass ich mit dem Stuhl nach hinten kippte, ein polterndes Geräusch verursachte und damit rechnen durfte, die Aufmerksamkeit eines jeden Augenpaares – soweit paarweise vorhanden – auf mir ruhen zu haben. Sehr zu meiner größten Freude, versteht sich. Ich rappelte mich also auf stellte auch den Stuhl wieder hin und – da sich leider kein Erdloch auftat, das mich verschlucken könnte – schaute notgedrungen zu dem Mistkerl, der mich da so erschreckt hatte. Er war eine von jenen Gestalten, denen ich nicht im Dunkeln begegnen wollte. Im Hellen übrigens auch nicht. Immerhin und beruhigenderweise war er nicht sonderlich viel größer als ich und trug einen dunkelblauen Nadelstreifenanzug inklusive Krawatte und Hemd. Dazu schwarze Lederhandschuhe. Wenn ich bedachte, wie sehr mir hier teilweise der Schweiß auf der Stirn stand, musste er ja erst recht schwitzen. Oder vielleicht hatte er sich bereits an die Hitze gewöhnt. Den Abschluss und das auffälligste Accessoire, das ich der Dramatik wegen zum Schluss erwähne, war eine ebenfalls dunkelblaue Sturmmaske. Man kann nachvollziehen, dass er mir durch und durch unheimlich war. Wie ich nach der ersten Schrecksekunde feststellte, hatte er den Knall dadurch verursacht, dass er den Metallkoffer auf den eisernen Tisch gehievt hatte. Hier war übrigens so gut wie alles aus Metall oder Stahl oder Gusseisen. „Musstest du mir so einen Schrecken einjagen?“, fragte ich ihn mürrisch und richtete meine Weste. „Offensichtlich. Gewöhn' dich dran.“ Also das war doch wohl … ! „Überraschungen gibt es hier immer. Wenn du damit nicht zurechtkommst, kannst du gleich wieder gehen. Angsthasen und Feiglinge haben hier keinen Platz.“ „Ich bin kein -“ Zum Protestieren kam ich leider nicht, da mich in dem Moment der charakterliche Doppelgänger meines Vaters aus dem Weg stieß und ich krampfhaft mit den Armen rudern musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und zum dritten Mal an diesem Tag den Boden zu küssen. „Und?“, fragte er den Spy – und ich war mir sicher, dass das der Spy sein musste, sonst blieb ja niemand mehr übrig. Außer dem Pyro. Aber ich bezweifelte, dass jemand, dessen Job es war, Dinge in Brand zu stecken, das tat, während er einen schicken Nadelstreifenanzug trug – und ich konnte sehen, dass er noch mehr sagen oder fragen wollte, doch der Spy hob nur eine Hand; mit der anderen strich er über das Zahlenschloss des Koffers. „Alles in Ordnung“, sagte er dann. „RED konnte den Code nicht knacken.“ Das war offenbar gut, denn der Soldier nickte zufrieden. Was dann folgte, war weniger gut. Denn dann erblickte er mich. Und dabei war sein Gesichtsausdruck alles andere als glücklich. „Und du bist?“ Ich schluckte. „Sir, der neue Sniper, Sir!“, sagte ich mit fester Stimme und versuchte, eine gerade Haltung einzunehmen, was wirklich alles andere als leicht war, wenn einem die Knie schlotterten. Er musterte mich von Kopf bis Fuß und beugte sich zu mir herab, wobei sich seine Nasenflügel so sehr aufblähten, dass ich schwören könnte, er würde an mir schnuppern wie ein wilder Stier. Oder so. „Das kann nicht sein!“, entschied er schließlich. „Man würde uns kein Kind in die Truppe schicken!“ Eigentlich war ich kein Kind, sondern bereits dreiundzwanzig und außerdem war ich der Meinung, dass Scout um einiges jünger sein musste als ich, aber das war eines der vielen Dinge, die ich niemals sagen konnte, weil man mich einfach nicht zu Wort kommen ließ. „Hast du überhaupt schon einmal auf einen Menschen geschossen?“ „... nein.“ „Wie war das?“ „Sir, nein, Sir?“ Er sah mich an, als wäre er von mir ziemlich angewidert. Was er wahrscheinlich auch war. „Du!“ Er stupste mit dem Zeigefinger fest gegen meine Brust – au, ganz nebenbei! „Du wirst es lernen, du wirst dein Quartier niemals von innen sehen, du wirst diese Küche nie wieder betreten, du wirst wie ein guter Soldat im Dreck schlafen und dich von Maden ernähren, du kleine wertlose Made -“ War ich der einzige, der bemerkte, dass das keinen Sinn ergab? Wenn ich doch … und mich von … das wäre dann doch Kannibalismus, oder? „Du wirst jetzt sofort - “ „Morgen“, kam mir Engie zu Hilfe, der das Ganze bis dato schweigend beobachtet hatte. „Er kann morgen anfangen. Wir haben Waffenstillstand, da eilt es nicht so sehr.“ In diesem Moment wollte ich Engie am liebsten küssen, so dankbar war ich ihm. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einem Augenzwinkern beschrieb er mir den Weg zu meinem Zimmer, wo ich erst einmal in aller Ruhe meinen Kram auspacken sollte. „Und um Punkt Zwanzighundert Z bist du wieder hier“, brüllte mir Soldier hinterher, während ich bereits den Rückzug antrat, „sonst kannst du sehen, wo du Nahrung herbekommst!“ Nun, im schlimmsten Fall konnte ich ja immer noch nach Maden suchen … Aber erst einmal zurück zur Garage, denn dort lag noch immer mein Rucksack, den ich bei meinem glanzlosen Auftritt verloren hatte. Mit einem leisen Seufzen streifte ich durch die Gänge und versuchte, mich an den Schildern zu orientieren. Da konnte ich leise Schritte hören, das Klackern von Absätzen auf dem Fußboden. Und ich nahm den schwachen Duft von Zigarettenrauch und Asche wahr. Aber so unscheinbar, in so weiter Ferne, dass ich dachte, ich hätte es mir eingebildet. Leider stellte sich sehr schnell heraus, dass ich mich da geirrt hatte – denn in genau diesem Moment wurde ich angegriffen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)