Mika und Ruki, die drei Geschwister und die Reise in das Sonnenreich von kesu_no_tsubasa ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Jedes Mal, das ihre Eltern verreisten, fühlte sich Hanna verantwortlich. Sie war schließlich die älteste von den drei Geschwistern und, wie sie behauptete, die einzige richtig vernünftige im Haus wenn die Eltern nicht da waren. Jan war natürlich zu klein um überhaupt zu verstehen, was los war, er konnte doch noch kaum schreiben. Klaus dagegen, war schon alt genug um etwas vernünftiges zu unternehmen, aber er hatte einfach keine Lust. Keine Lust spazieren zu gehen, keine Lust mit Hanna und Jan essen zu kommen, keine Lust am Playstation mit irgend jemand als sich selber zu spielen. Nur ab und zu kam Klaus aus seinen Zimmer raus und dann war es, um irgend ein Durcheinander zu bauen. Na ja, dachte Hanna, so sind halt die Jungs. Da Hanna auch nicht viel kochen konnte, aßen sie und Jan beide Ramen zu Mittag. Ab und zu musste Hanna ihre kleinen Bruder helfen, denn er schaute gar nicht richtig auf was er machte, sondern starrte hin und wieder neugierig auf den komischen Kompass, der auf dem Küchenschrank lag, und patschte dabei unbewusst mir der Suppe um sich herum. Das Haus war eigentlich voller solchen Souvenirs aus den verschiedensten Ecken der Welt, denn die Eltern verreisten öfters, sie wurden zu internationalen wissenschaftlichen Versammlungen eingeladen und so. Hanna war zwar auch immer voller Neugier, was und woher wohl die vielen Flaggen, Figuren, Töpfe, Schlüssel, Puzzle, Masken und Tücher waren; sie war aber auch dafür verantwortlich, das nichts kaputt ging. Diesmal würden die Eltern sogar etwas länger weg bleiben, mehr als eine ganze Woche, und Hanna musste zusehen, dass alles noch mehr oder weniger in Ordnung blieb, dass Jan doch noch etwas von seiner Suppe aß und nicht alles über sich selbst schüttete. Der goldene Kompass war wenigstens hoch genug gestellt, damit Jan nicht ran kommen könnte. Dann kam aber plötzlich Klaus aus seinem Zimmer, mürrisch schaute er seine Geschwister nicht einmal an, aber kletterte flink am Küchenschrank, schnappte das merkwürdige Artefakt und rannte damit zurück in seine Stube. "He! Lass das!" Hanna stand aufgeregt auf um an der Tür ihres Bruders laut zu klopfen. "Scher dich weg!" antwortete es nur gedämpft von drinnen. "Mach gefälligst auf!" schrie sie wütend. "Lass mich in Frieden!" schrie Klaus zurück, wehrend Hanna auch ein Klicken und Klappern hören konnte. Sie drohte: "Wehe du machst das Teil noch kaputt. Papa wird dich so was von fertig machen!" "Ist mir auch Wurst..." murmelte er. Das Klappern wurde lauter und dann erklang eine arte schrille, metallische Glocke. "Klaus, mach auf!" rief sie nur noch lauter, aber diesmal kam keine Antwort. Es kam überhaupt kein Geräusch mehr. Das Klappern war auch weg. "He, Klaus, sag doch was! Lass mich nicht hier einfach so stehen... Klaus... He, bisst du noch da?" Nichts. Auch wenn er wütend wäre, hätte Klaus immer irgend etwas zurückgeschrien. Hanna entsetzte an ihrer eigenen Idee, sein Bruder könnte irgendwie weg sein. Wie und wohin denn? Sie stand doch vor der Tür im Obergeschoss, er konnte auch nicht aus dem Fenster springen. Aber es herrschte immer noch Stille, und nicht einmal Hanna wusste, wo ihre Eltern die Ersatzschlüssel ließen. Verzweifelt rannte sie in den Garten um zu versuchen, ob sie durch das Fenster etwas vom Zimmer sehen konnte. Unter der hellen Mittagssonne im Garten stand Jan und umarmte ein großes Tier mit dicken, goldenen Fell. Es hatte schwarze Pfoten und einen dünnen, windenden Schwanz der mit der Form eines runden Blattes endete. Dazu wuchsen aus den Schultern ein Paar winzige kleine Flügel. Es hatte spitze Ohren und auf seiner Stirn schien ein blauer Edelstein. Es schaute Hanna mit großen, blauen Augen an und wirkte dabei irgendwie viel zu menschlich, unheimlicher Weise selbstbewusst. "Jan!" rief die Schwester erschrocken "Jan, lass das Tier sofort los!" "Aber sie ist doch nett" lachte der Kleine. "Was? Du weist doch überhaupt nicht was das ist. Komm, wir müssen die Polizei rufen, damit sie Klaus suchen." "Die Polizei wird nichts hiervon verstehen" sprach plötzlich eine weibliche Stimme. Hanna schaute sich nervös um und merkte, dass der Edelstein auf der Stirn des Wesens aufglühte und irgendwie direkt in ihre Seele sprach. Komplett verwirrt konnte das Mädchen nur noch stottern. "W-was bist du denn überhaupt? Was, was ist hier- was ist hier bloß los?" "Hab keine Angst. Ich bin gekommen um euch zu helfen. Mein Name ist Mika und ich bin Dienerin der Sonnengöttin. Dein Bruder Klaus ist in ihr Reich transportiert worden, denn er wurde vom Luo Pan, dem Zauberkompass, auserwählt. Wir müssen ihn suchen gehen." Hanna hatte schon lange vergessen, an magische Wesen, Sonnengöttinen und Zauberkräfte zu glauben. Sie war schon bald im Abitur und dachte eher an die Biologie und Physik, nach denen nichts von diesem möglich wäre. Aber Mika stand einfach echt vor ihr, und Klaus war echt weg, und sie hatte keine andere Wahl als mit Jan und Mika auf eine echte magische Reise zu gehen, um ihren Bruder zu retten. Als sie in den Regionalzug stiegen hatte Mika den Edelstein auf ihrer Stirn und ihre Flügel zurückgezogen, und sah fast wie ein normaler Hund aus. Mit Hund mussten sie aber natürlich in der Mehrzweckabteilung fahren. Der Wagon war fast leer, nur eine alte Frau auf einer Seite und ein schlanker Mann mit einem Fahrrad auf der anderen, dann noch ein Paar Fahrräder die einfach angebunden waren, aber kein Mensch mehr. Jan saß rechts von Hanna und zu ihren Füßen blieb Mika liegen. "Wieso gehen wir denn auf die Zauberreise mit der Bahn?" fragte Hanna, "Du hattest doch sogar Flügel, kannst du damit nicht fliegen oder so was?" Mika winselte etwas beleidigt: "Doch, aber wir müssen erstmal die magische Pforte finden. Im Osten, nicht so weit von hier, ist jemand der uns helfen kann. Außerdem, wenn ich einfach so herumfliege, würden wir zu viel Aufmerksamkeit erregen. Die anderen können mich zwar nicht hören, wenn ich mit dir telepathisch rede, aber wenn manche Wesen mich bemerken, könnte es gefährlich werden." Hanna verstand immer noch nicht, wohin und wie sie gehen würden. Andere Welten fingen erst an, sich vor ihr zu entfalten. Aus dem Fenster sah sie immer noch Gebäude der Großstadt, immer größere, manche eigentlich mit unbekannten Symbolen, Buchstaben die sicher nicht auf Deutsch waren. "Wo sind wir jetzt überhaupt?" fragte sie, doch ehe irgend jemand antwortete, wurde es draußen plötzlich dunkel. "Ein Tunnel?" Das Licht im Wagen flackerte und irgendeine Art Strom schien die Wände zu durchrennen. Die alte Frau war plötzlich nicht mehr da, und der schlanke Mann auch nicht, nur die Fahrräder schwankten alleine hin und her. Und Jan? "Wo ist Jan?!" rief Hanna erschrocken. Mika stand vor ihr auf allen Vieren und knurrte, ihr Fell war gesträubt, ihre Flügel auch, ihr Schwanz peitschte wütend herum und auf ihrer Stirn leuchtete der Edelstein im starken Lila. Hanna durchrannte ein Schauer vor Entsetzen, sie konnte kaum glauben, das sie gerade ihre beiden Brüder verloren hatte. "Mika, was ist hier jetzt los?" fragte sie verzweifelt. "Ein Kekkai!" "Ein was?" "Ein Kampffeld in einer Parallelen Dimension. Jan und die anderen Menschen sind noch im Wagon. Wir nicht mehr." "Aber dann wo...?" Im Zwielicht des düsteren Wagens war aber doch noch jemand mit ihnen. Am anderen Ende formte sich ein riesiger, breiter Schatten, in dem ein Paar rote Augen aufleuchteten. "Nopo, du alter Dachs!" rief Mika ihm entgegen. "Was willst du denn diesmal?" Es war tatsächlich ein enormer Dachs, der auf seinen Hinterpfoten fast bis zum Dach des Wagens reichte. Er trug eine breite Hakama Hose und hielt in seiner rechten Vorderpfote ein langes Schwert, ein Daito. Er knurrte Mika mit einer tiefen Stimme an: "Du wirst mich nie los werden, so lang du Lebst! Doch das wird jetzt endlich nicht viel länger sein. Du wirst endlich für deine Verbrechen zahlen!" "Das war doch schon mehr als tausend Jahre her..." murmelte sie, "Wirst du denn nie müde? Ich hab dich schon längst satt." Schnell und wütend rannten beide Feinde aufeinander zu, Nopo schwang gewaltig sein Schwert, doch Mika hielt es mit ihren Gebiss auf und schob es zur Seite, um dann gegen Nopos Gesicht zu springen, aber der Dachs schlug ihr mit der Linken hart auf die Brust, so das sie zurück rollte und leise winselte. Nopo schritt mit einer Hinterpfote zurück und nahm das Schwert in beide Hände. "Halt!" schrie Hanna erschrocken. "Ein Menschenkind?" knurrte Nopo überrascht. "Wie ist es bloß im Kekkai gelandet?" "Sie kommt mit mir!" antwortete Mika. "Lass die Menschen in Frieden, Mika!" rief Nopo, und stürzte sich wieder mit einem frontalen Stoß des Schwertes gegen sie. Mika entwich der scharfen Spitze des Daitos und sprang in einer Kurve um den Dachs in den Ellbogen zu beißen, doch dabei kriegte sie einen hässlichen Kratzer an ihrer linken Seite. Verletzt sprangen beide wieder auseinander. "Menschenkind," warnte Nopo, "das Wesen dem du folgst versucht dich nur reinzulegen. Sie ist nichts als ein mörderischer Dämon." "Nein" sagte Hanna "Mika will mir nur helfen! Ich muss meine Brüder unbedingt wiederfinden! Mir ist es egal was sie vor tausend Jahren getan hat. Jetzt ist sie meine einzige Hoffnung." Mika stimmte zu: "Ich hab's dir doch schon ein und wiedermal gesagt! Ich diene seit langem der Sonnengöttin und versuche, den Menschen zu helfen!" Der Dachs schwieg ein Paar Sekunden und stand wieder wie ein riesiger, dunkler Schatten. "Na gut" sagte er endlich, "Ich werde dich, des Kindes wegen, diesmal gehen lassen. Wenn du sie rettest kann ich dir vielleicht glauben, dass du nicht mehr so schlimm bist. Aber wehe du zerstörst sie, wie du es so vielen angetan hast... Wir sehen uns auf jeden Fall wieder." Der Schatten des Dachses verschwand zurück in die Dunkelheit, die Lichter im Wagen stabilisierten sich und der Zug fuhr wieder durch den Tag, irgendwo im Wald. Der Mann stand wieder bei seinem Fahrrad und die alte Frau war auch da. Aber Jan war immer noch weg. Mikas Edelstein und Flügel waren auch wieder unsichtbar geworden, aber sie trug noch den Kratzer an ihrer Linken und leckte gereizt daran. Sie flüsterte Hanna zu: "Danke dir." "Aber nein" antwortete Hanna "du hast mich doch beschützt. Aber du hast auch gesagt, Jan sollte noch hier sein. Wo ist er jetzt?" Sie stiegen noch erschrocken an einem kleinen Bahnsteig im Wald aus. Jan wusste selber nicht, wo er war. Er purzelte verwundert durch das grüne Gras, über farbige Pilze und Kräuter, bis er auf einem riesigen Gummiblatt landete, darauf sachte abprallte und im sitzen auf dem Boden fiel. Vor sich sah er ein schwarzes, haariges Tier das auf seinen Hinterpfoten stand. Das Gummiblatt benutzte das Wesen als einen Sonnenschirm indem er es über seinen Kopf hielt, und um den Hals trug es auch einen blauen Schal. Als das Tier ihn mit großen, gelben Augen anschaute, schrie Jan erschrocken auf und krabbelte schnell hinter die Büsche mit roten Beeren. Dann versuchte er, durch die Äste zu schauen, um das schwarze Tier wieder vom Fernen zu sehen. Aber auf der Lichtung war nur noch Gras. Er hörte etwas neben sich schnüffeln, drehte sich um und sah wieder die zwei gelben Augen. Erschrocken stand Jan auf und hüpfte aus dem Busch. Das schwarze Tier hüpfte ihm nach und stand noch ein Mal vor ihm. Mit beiden Vorderpfoten an der Hüfte musterte es Jan misstrauisch, und schnüffelte ihn auch sanft an. Das Tier murmelte: "Bist du wirklich ein Menschenkind? Du riechst nach Zauberei." "Ich bin ein Junge!" antwortet er bewusst "Ich heiße Jan!" "Na schön, Jan. Und was machst du denn hier mitten im Wald?" "Ich suche meinen Bruder Klaus." Das Tier musterte Jan noch ein Mal und murmelte weiter vor sich hin, biss sie plötzlich Schreie aus der Entfernung hörten. "Jan!" rief Hanna aufgeregt, während sie mit Mika zu ihm rannte. "Schwester! Hier bin ich! Hier!" "Jan, bisst du okay? Was ist das da neben dir?" Das dunkle Wesen antwortete: "Ach komm, warum sind heute alle so mürrisch zu mir? Mika! Man sieht sich endlich wieder. Was treibst du denn mit diesen Menschenkindern?" Mika erkannte ihn: "Ruki. Das war wirklich lange her... Ich muss diese Kinder in das Sonnenreich begleiten. Ihr Bruder hat das Luo Pan beschwört." Rukis Augen glänzten auf: "Ach so..." sagte er nur. Mika fragte weiter: "Kommst du auch mit?" Ruki nickte resigniert: "Tja, schließlich war ich auch dabei, als sich all dieses ereignete. Gehen wir also." Ruki kam Mika entgegen und Hanna rannte endlich, um Jan zu umarmen. Sie hatte gefürchtet, sie würde ihre beiden Brüder verlieren. Was hätten bloß ihre Eltern gesagt? Nein, das war eigentlich nicht, worum sie sich kümmerte. "Ich hab dich lieb, Jan. Wir müssen unbedingt zusammenhalten. Das wird noch eine lange Reise werden." Sie liefen langsam durch den Wald, ihren beiden Reiseführern nach. "Woher kennt ihr euch denn?" fragte Hanna, "Von tausend Jahre her?" Ruki erwiderte überrascht, "Ja, genau." Sie fragte weiter: "Was habt ihr denn damals mit dem Kompass getan? Und mit dem Dachs? Wieso hasst er Mika noch so?" Ruki kratzte sich verwundert die Schnauze: "Ach, ihr habt den Nopo getroffen? Armer Kerl." Mika erklärte: "Ja, er ist mir diese ganze Zeit nachgefolgt und ich treffe ihn immer wieder..." Hanna unterbrach: "Aber wieso denn? Mika und Ruki, ich glaube an euch, um meinen Bruder wiederzufinden. Aber ich muss unbedingt wissen, was ihr wirklich seit." "Na gut" sagte Mika "aber es ist keine schöne Geschichte." Ruki begann zu erklären: "Wir sind Naturgeister und leben schon seit mehren Jahrtausenden, manchmal zwischen den Menschen, manchmal weit entfernt. Einst dachten wir, wir könnten alles alleine tun, dass niemand mehr auf der Welt wichtig war. Damals wurden wir von den Menschen Dämonen genannt und taten auch vielen Tieren und Geistern, wie den Nopo, weh. Zusammen mit der Sonnengöttin wollten wir eine neue Welt bauen, eine Welt nur für uns, und verloren dabei die Rücksicht auf die anderen, auf die Welt die es schon gab. Durch unseren Eigensinn, aber, wurde die Sonnengöttin gefangen, und wir wurden durch die Welt vertrieben. Seitdem haben wir uns nie wieder gesehen. Wir wussten nur, dass wenn das Luo Pan auftaucht, wir sie wieder finden würden. Aber was jetzt genau passieren wird, weiß ich auf jeden Fall auch nicht." Mika erwiderte: "Wir müssen jetzt den Pfortenwächter suchen. Er wird uns sagen, wie wir zu Klaus und der Sonnengöttin gelangen können. Er lebt in einem alten Stahlwerk." Jan verstand nicht viel von alldem Gerede. "Stahlwerk?" fragte er nur. Hanna erklärte: "Ja, eine Fabrik." Jan zweifelte weiter: "Fabrik im Wald? Das gibt's doch gar nicht!" Mika erwiderte: "Doch. Wir sind schon da." Was sich vor ihnen auftürmte war einerseits immer noch eine große menge Bäume. Dazwischen stand ein braunes, verrostetes Eisengerüst voller Löcher, durch die so viele Kletterpflanzen krochen, dass die eigentliche Struktur noch kaum zu erkennen war. Ruki hatte inzwischen seinen Sonnenschirm nicht mehr dabei, er nahm beide Kinder an den Händen und sie liefen über das Gelände, voller verrosteten Kabel, Ketten, Balken, Ofen und riesigen Zahnrädern, aber auch Büsche, Neste, Felsen, Raben, ja sogar ein kleiner Bach der durch die Konkretgebäude rannte und als ein dünner Wasserfall über eine treppenartige Maschine hinweg hüpfte. Hanna war schon vorher in manchen dieser sogenannten Industriedenkmälern gewesen, aber hier war es irgendwie viel chaotischer. Natürlich war dieser Ort nicht vom Menschen zur Besichtigung renoviert worden, er war einfach vergessen und überwuchert, von der Natur total erobert, aber sogar die Maschinen sahen eigentlich nicht sehr zweckvoll aus, sondern nur komplett verwirrend. Sie wusste nicht mehr, wolang sie hergekommen waren. Auf dem Dach der Maschine, von der der Wasserfall herunterkam, saß ein kleiner, runder, blauer Fleck. "Entschuldigung" rief Mika, "wir suchen den Pfortenwächter." Von oben quietschte eine schrille Stimme zurück: "Habt ihr denn etwas Schnaps mit?" Ruki wühlte in seinem schwarzen Fell und holte ein kleines Fläschchen heraus. Der blaue Ball lachte komisch auf und hüpfte auf seinen weiß gestreiften Schwanz lustig die vielen Zahnräder und Schubladen runter, bis er vor den Kindern landete und sie ihn als einen seltsamen Waschbären mit einem weisen Stirnband erkannten. "Weist du wo Klaus ist?" fragte ihn Jan. Der Waschbär murmelte undeutlich während er die Flasche austrank: "Klaus? Wer ist das denn?" "Mein großer Bruder" sagte Jan. "Ich hab dich doch noch nie gesehen. Wie soll ich deinen Bruder kennen?" Mika versuchte zu erklären: "Er ist wegen dem Luo Pan ins Sonnenreich transportiert worden. Sie sind doch der Pfortenwächter, nicht wahr?" Der Waschbär lachte nur: "Pfortenwächter? Keine Ahnung. Ich bin Haranasagawa Chilsamaereus Marombombastus no Kitamurinomachi, aber ihr könnt mich auch Hachimaki nennen, wenn ihr würdig seit." Hanna dachte kurz nach: "Hachimaki... wegen deinen Anfangssilben?" Er lächelte zufrieden weiter: "Ja, genau. Sehr gut, ihr seht lustig aus. Wisst ihr, ich spiele gerne Verstecken." Ruki antwortete schnell für alle: "Wir wollen gerne mitspielen!" Mika setzte eilig dazu: "Ja, aber Moment, wirst du auch fair sein?" Hachimaki schaute sie etwas beleidigt an: "Aber klar! Sonst macht es doch keinen Spaß! So, jetzt könnt ihr bis zehn zählen und euch drei Mal auf eurer Achse drehen." Er lachte und hüpfte schnell auf seinen Schwanz durch die Bäume und Säulen davon. "Lässt mich jetzt bloß nicht los, Kinder!" beteuerte Ruki. Mika fragte ihn: "Kennst du dich wirklich mit Waschbären aus?" Ruki erzählte: "Ich hab mal einen Fuchs kennengelernt, der war ähnlich. Ach, wir kriegen das schon hin." Die Kindern drehten sich mit Ruki drei mal im Kreis und zählten bis zehn. Dann sah das Gelände um sie herum wieder anders aus. Anstatt der Maschine mit dem Wasserfall stand ein riesiger, dicker Baum an dem Seilknoten und Papierblätter geflechtet waren. Zwischen den breiten Wurzeln des Baumes gingen drei große Eisenrohre, fasst wie Tunnels. Sie gingen in den mittigen hinein, und bei der Tür konnte Hanna noch ein Paar von den Zetteln sehen, die drüber hinweg hingen. Die meisten waren wohl auf Japanisch oder Koreanisch, aber ein Paar auch auf Englisch und Deutsch, die sie verstehen konnte. "Das sind ja lauter Rätsel!" folgerte sie. "Was denn für Rätsel?" fragte Ruki, während sie in das immer tiefere Rohr schritten, wo ihre Schritte widerhallten. Hanna erzählte: "Da war etwas von einem Wald aus Schwertern wie Röhre..." Mika wunderte sich: "Ein Schwert wie ein Rohr kann ich mir schwer vorstellen..." "Na ja," meinte Ruki, "in einem Rohr sind wir schon. Aber vielleicht meint es eher einen Strohhalm." Jan zappelte mit der Hand: "Ein Bambus-Schwert!" "Ach ja, stimmt" leuchtete Hanna ein, "Also von einem Bambuswald ist die Rede. So was kann es hier in Deutschland aber kaum geben, oder?" Sie kamen aus dem Schatten des Rohres heraus und fanden sich auf der hohen Brücke eines großen Maschienenraums, durch dessen zerfallene Wände allerlei Pflanzen kletterten. Auf einer Seite mischten sich Kakteen mit tropischen Blumen, auf der anderen blühten Kirschbäume wie rosa Schaum. Sie liefen über die Brücke die das Zimmer durchquerte und sahen das, in einer Ecke, wahrhaftig auch ein Paar Bambushälme wuchsen. Hanna zeigte sich nicht sehr überzeugt: "Na gut, es gibt hier doch allerlei aber... Aber ein Wald ist es nicht." Ruki antwortete: "Warte nur bis wir durchlaufen." Hanna sah sich noch ein Mal um und konnte nicht mehr das Rohr sehen, durch das sie gekommen waren. War die Perspektive komisch? Hatten die Pflanzen es schon überwachsen? Und dazu noch... "Wo ist jetzt Mika?" merkte sie plötzlich. Ruki zog die beiden Kinder nur an den Händen und hüpfte in das dichte Bambusgestrüpp, das sie schnell umzingelte. "Wir müssen zusammenhalten, sonst geht ihr auch verloren. Ihr seht schon, der Ort verwandelt sich ständig. Mika kann das schon aushalten, aber für Menschenkinder wäre das zu viel... So, Hanna, wie ging es weiter mit den Rätseln?" Sie versuchte sich wieder zu erinnern, während sie um sich herum immer lauteres Vogelgezwitscher hörten: "Also, es gab auch etwas über einen Räuber auf den Bäumen. Ja, und er denkt alles was glitzert ist Gold." Jan lachte schnell hervor: "Die Elster!" "Ja, genau" bestätigte Hanna, "Kann jemand eine Elster singen hören? Singen die überhaupt?" Ruki schnupperte kurz in der Luft und schlug dann entschlossen einen neuen Weg ein: "Hier lang!" Dann konnte Hanna doch eine Elster zwischen den Gipfeln der Bambushälme sehen, die aber durch den dichten Wald, der gegen ihre Schultern streifte, immer wieder verschwand. Endlich waren sie, ganz plötzlich, aus dem Dickicht raus und in einem langen, lehren Gang, der durch kleine Fenster nah am Dach beleuchtet war. Über ihre Köpfe flog die Elster hinweg und führte sie zum anderen Ende des Flurs. An den Wänden sah Hanna viele Schilder, aber sie waren vielleicht auf Russisch oder Griechisch und dazu noch falschrum. Am Ende des Ganges setzte sich die Elster auf ein rostiges Gerüst das schwankend von ein Paar Kabeln hing. Die drei Helden stellten sich auf die eiserne Plattform und die Elster pickte auf einen Schlitz in der Maschine, worauf sie stand. "Brauchen wir jetzt den Schlüssel dafür?" fragte sich Hanna. "Eine Münze!" antwortete Jan. "Eine Münze? Ob das wohl Euro annimmt?" wunderte sich die Schwester. "Ich glaube ich hab hier genau was wir brauchen" sagte Ruki. Er lies Jan ihn beim Ellbogen festhalten und wühlte mit der Hand in seinem schwarzen Fell, um endlich eine Kupfermünze mit einem Loch in der Mitte rauszuholen. Sobald er diese in den Schlitz steckte, begann die Maschine zu brummen, die Kabel sich zu drehen und die Plattform unter ihren Füßen zu sinken. Sie begaben sich in einen dunklen Schafft und die Elster flog auf und davon, während sie immer tiefer fuhren. In der Dunkelheit konnte Jan nur noch kaum Rukis gelbe Augen sehen und hielt ihn an der plüschigen Hand stark fest. Das Gerüst rüttelte sich bis es endlich vor einer Ganz anderen Tür anhielt, eine Tür aus schwerem Holz mit ein Paar eisernen Türklinken in Form von Tierköpfen. Die drei Freunde Schoben sie zusammen auf und befanden sich vor einem Gelände voller Trümmer aus Stein und Konkret, welche unter einem grauen Himmel vom Regen nass wurden. Ruki wühlte noch einmal in seinem schwarzen Fell herum und holte ein kleines Blatt heraus und schüttelte es kurz, womit es schnell zu einem Gummiblatt wurde, groß genug um ihn und die Kinder vom regen zu bewahren. Neben ihnen stand wieder Mika. Das Wasser schien ihr nicht zu stören. Der Edelstein auf ihrer Stirn schien kurz in einem grünen Licht und sie rannte zu einer bestimmten Stelle zwischen den Trümmern und fing an, dort mit der Vorderpfoten zu graben, aber fast sofort drauf sprang der runde, blaue Waschbär heraus, purzelte durch die Luft, öffnete einen großen Regenschirm und landete auf seinen Schwanz. "Das war doch noch schneller als ich dachte!" lachte Hachimaki, "Na ja, ich hab halt versprochen, dass ich nicht schummeln wollte. Aber die Tür müsst ihr immer noch selber finden." Als sie sich umdrehten sahen sie, dass wo sie reingekommen waren kein Gebäude stand, sondern ein leeres Tor aus rot bemalten Holz, ein Toorii, wie bei den japanischen Tempeln. "Da ist es! Gehen wir! Komm, kleiner" rief Mika zu Jan, der schnell auf sie rannte und auf dem goldenen Fell ihres Rückens Platz nahm. Sie sprangen durch die Pforte und verschwanden. Jetzt hielt Hanna Rukis Hand stark fest und sie sprangen hinterher, jedoch landeten sie nie. Sie schwebten in einem langen, farbigen Lichtstrahl, und sahen links von ihnen Mika ihre Flügel groß ausbreiten. Endlich berührten ihre Füße einen weichen, weisen Sand, der sich entlang eines langen Strandes streckte. Vor ihnen stand der unendliche, blaue Ozean, und in ihm fünf unregelmäßige, dunkle Felsen. Es war scheinbar früher Morgen, der Himmel war schon blau, aber die Sonne war noch nicht aufgegangen. Zwischen den Felsen waren weise Seile mit fein gestrickten knoten gespannt. Auf zwei von ihnen standen kleine hölzerne Häuschen und auf dem größten, in der Mitte, war Klaus. Obwohl er aufrecht stand waren seine Augen geschlossen, sein Gesicht wie ohnmächtig. Zwischen den Händen hielt er immer noch den magischen Kompass, den Luo Pan. Hanna und Jan zogen ihre Schuhe aus und stiegen mit Mika und Ruki ins niedrige Wasser. Mika breitete ihre Flügel auf und flog Klaus entgegen, doch ein plötzlicher, starker Wind schubste sie weg und lies sie wild durch die Luft wirbeln. Ruki wühlte schnell in seinem schwarzen Fell herum, holte ein langes Seil raus und warf ein Ende Mika entgegen, die sich davon mit ihren Zähnen festhielt, um dann wieder am Strand zu landen. Hanna sah die beiden verwundert an, doch dann merkte, Jan war inzwischen schon vorgegangen und versuchte auch, mitten im starken Wind am größten Felsen hochzuklettern. "Halt, Jan!" rief sie erschrocken, "Du schaffst das nicht alleine!" Der Kleine antwortete entschlossen: "Ich gehe Klaus retten!" Die Schwester war immer noch entsetzt: "Nein, Jan. Wir müssen zusammenhalten, sonst schaffen wir es nicht!" Sie wadschte schnell durch das Wasser, das ihr immer höher stand. Sie konnte kaum begreifen wie Jan dort durchgekommen war, aber sie machte sich schnell darauf, ihm nachzuklettern. Dann geschah es: der kleine Bruder griff nicht richtig zu und der Wind schubste ihn davon. Hanna konnte sein Bein mit der linken Hand fangen, doch dabei verlor sie selber das Gleichgewicht und stürzte fasst auch ab, wäre ihre rechte Hand nicht von einer schwarzen, haarigen Pfote gefangen worden. Als sie aufsah fand sie Ruki wieder, der sich an einem Seil festhielt. Jan nahm neue Kräfte, kletterte über Hannas Kopf und Rukis Rücken hinweg und kam am Seil unglaublich schnell bis zum Gipfel. Als beide Brüder jedoch zusammen waren, schossen aus den zwei hölzernen Häusern eine Unmenge von roten Bändern, die sich um beide wickelten, sie sogar aufhoben und mitten in der Luft über dem Wasser festhielten. "Jan! Klaus!" schrie Hanna erschrocken, "Was ist jetzt los?" Mika und Ruki konnten auch keine Erklärung finden, doch dann fühlte Hanna einen Schatten an sich vorbeihuschen und plötzlich landete neben Mika im niedrigen Wasser der riesige Dachs Nopo im hocken. Er hatte sein Schwert ausgestreckt, als hätte er gerade etwas durchschnitten. Dann nahm er seine Waffe und steckte sie langsam in eine dunkle Hülle wieder ein. Und genau als er damit fertig war, zerplatzten alle roten Bänder und die Brüder schwebten langsam ins Wasser runter. Am Horizont ging die Sonne auf und, wie ein lichter Schatten, stieg auch aus Klaus eine geheimnisvolle Figur, die in ihren Händen den Luo Pan mitnahm. Eine bleiche, durchsichtige Frau in einem weisen Kimono mit roten Mustern. "Sie ist wieder frei!" lächelte Mika, "Klaus ist auch wieder frei. Und wir. Jetzt könne wir endlich weiterleben. Danke, Nopo. Danke, das du mir endlich verzeihen konntest und uns alle gerettet hast." Nopo sah ihr nicht ins Gesicht sondern wandte allen nur den Rücken zu. "Was heißt hier verzeihen? Ich bin nur wegen den Kindern hier. Du hast sie zwar nicht zerstört, aber du hast sie auch nicht selber gerettet, wie du versprochen hattest. Deshalb kann ich dich nur einmal wieder schonen. Aber das ist längst noch nicht zuende." Die Sonnengöttin schickte die drei Kinder schnell zurück nachhause, und Klaus war seinen Brüdern sehr dankbar. Er konnte eigentlich besser kochen als Hanna und bereitete auch Eierreis für alle drei vor. Ihre Eltern kamen bald zurück und glaubten natürlich nichts von der wunderbaren Geschichte, die sie nur sehr lustig fanden. Doch die drei Geschwister wussten, das Mika und Ruki weiter um die Welt reisen würden, um anderen Menschen und Lebewesen zu helfen, da sie jetzt wieder zusammen und frei waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)