Magdalenas Passion von Erzsebet (Eine Herbstromanze) ================================================================================ 4: Verzweiflung --------------- Wie schön sie war. Aber es zog mir beim Anblick ihres selig lächelnden Gesichtes so schmerzhaft das Herz zusammen. Bruno! Die Jungs! "Das darf niemand jemals erfahren", entfuhr mir, während Bea etwas flüsterte. Erst als ich die Bestürzung in ihrem erhitzten Gesicht sah, verstand ich, daß sie gerade 'Ich liebe Dich' gesagt hatte. Was hatte ich nur getan! "Bea, bitte, versteh' mich nicht falsch", flehte ich. Sie wußte doch, daß andere unser Verhältnis nicht verstehen würden, daß wir kein Verhältnis haben konnten, nicht haben durften. Bea kniff für einen Moment die Augen zusammen, schluckte und griff dann nach Hosen und T-Shirt, steckte die Beine in die Hosen, "Ich versteh dich nicht falsch", stand auf. Als sie so vor mir stand, fiel mir erst auf, daß entgegen den Moden, von denen ich gehört hatte, ihr dunkles Schamhaar ein ganz gewöhnliches Dreieck bildete, so wie es eben wuchs. "Ich hab das Spiel begonnen und du hast mitgemacht." Sie zog den Herrenslip mit einer ruckartigen Bewegung über ihren so entgegenkommenden Schoß, "danke dafür." Und während sie die Knöpfe ihrer Jeans schloß fuhr sie fort: "Du hast keine weiteren Verpflichtungen. Ab sofort...", doch sie machte eine Pause,um das T-Shirt über den Kopf zu ziehen. Ihre noch immer zusammengezogenen Brustwarzen zeichneten sich deutlich durch den dünnen Stoff ab. "... bist du wieder Frau Gärtner für mich." Was sollte ich dazu sagen? Ich stand auf, um ihr wenigstens in die Augen zu sehen. Aber ich konnte doch nicht um ihr Verständnis und ihr Entgegenkommen flehen, so gerne ich es auch getan hätte. Ich hatte gerade wissentlich meinen Mann mit ihr betrogen, das heilige Sakrament der Ehe geschändet. Es hatte mir Spaß gemacht, mich so erregt, wie schon lange nichts mehr, aber es war grundfalsch gewesen. Mit Bruno verband mich mein halbes Leben. Ich konnte ihm doch nicht aus einer Laune heraus den Laufpaß geben, oder wie stellte Bea sich das vor? Als ein leichtes Wehen des Windes plötzlich das nur halb angeklammerte T-Shirt von der Wäschespinne neben uns löste, griff ich reflexhaft danach, suchte eine Klammer aus dem Beutel und machte es wieder an der Leine fest. Und als ich wieder in Bea Richtung schaute, war sie verschwunden. Wie betäubt war ich, zog meinen Pyjama wieder an, hörte, wie draußen ein Motorrad gestartet wurde. War Sebastian doch noch hier gewesen? Aber nein, vermutlich war es Beatrix, die gerade irgendwohin fuhr, gekränkt, enttäuscht – meinetwegen. Schande über mich! Bruno! Er würde mir helfen, mich trösten, mir erlauben, mich an seiner wunderbar breiten Brust auszuweinen. Nein! Das konnte ich ihm doch nicht antun, ihm erzählen, daß meine eheliche Treue zu ihm ins Wanken geraten war, durch die kleine Beatrix von nebenan. Aber nach über fünfundzwanzig Jahren das erste Mal wieder zur Beichte gehen? Einem Mann, dem die Fleischeslust ganz fremd sein sollte erzählen, daß sie mich übermannt hatte in Form einer jungen Frau? Aber vielleicht würde mir die Muttergottes wieder helfen können. Sie hatte mir vor Jahren doch auch geholfen, als ich nicht aus noch ein wußte, hochschwanger mit unserem ersten Kind und mit einem arbeitslosen Mann. Froh, ein Ziel zu haben, lief ich hinauf in das Schlafzimmer, zog mich hastig an, kämmte mich und wühlte dabei in meiner Schmuckschublade, bis ich den Rosenkranz fand, den meine Oma mir vermacht hatte, stopfte außerdem das schwarze Spitzenkopftuch in die andere Jackentasche, auch wenn es zu meinem Hosenanzug nicht passen würde. Mit dem Fahrrad fuhr ich zur Frauenkirche, spürte viel deutlicher als sonst, wie mein Geschlecht rhythmisch gegen den Sattel gedrück wurde, erinnerte mich Beas Zunge an meiner Klitoris. Nein, das durfte einfach nicht sein! Ich versuchte, diese Gedanken zu verdrängen, doch es gelang nicht, die Erinnerung an Beas sanfte Hände und zärtliche Lippen abzuschütteln. Hoffentlich half mir die Muttergottes dabei. Ich legte das Spitzenkopftuch um meine Haare, drückte die schwere Tür zum Kirchenschiff auf. Obwohl es doch so lange her war, griff ich doch wie in alter Gewohnheit in das Weihwasser und bekreuzigte mich. Die Kirche war leer an diesem Vormittag, und ich mußte an die alten Mütterchen in den fast bodenlangen, dunklen Kleidern, mit ihren blauen und grünen Bäuerinnenschürzen denken, die in meiner Kindheit immer vor dem Marienbild anzutreffen gewesen waren, die Knie auf dem Betstuhl, den Rosenkranz in den runzeligen Händen, die Gesichter im Schatten ihrer Kopftücher, hinuntergebeugt, fast unhörbar den Rosenkranz betend. Ich warf das Geld für zwei Kerzen in den Opferstock, auch wenn ich nicht hätte sagen können, ob eine als Fürbitte für Bruno und eine für mich, eine für Bea und eine für mich oder gar eine für Bruno und eine für Bea gedacht war. Kurz entschlossen entzündete ich noch eine dritte Kerze. Und wie die alten Mütterchen kniete ich mich vor dem lieblichen Marienbild auf den Betstuhl, nahm den Rosenkranz mit den in der Form von Rosenblüten geschnitzten Perlen in meine runzligen und durch die fortscheitende Pigmentstörung fleckig gebräunten Hände, automatisch suchten meine Finger das Kreuz, ich bekreuzigte mich und neigte den Kopf hinunter zu meinen Händen. Da war noch Beas Duft an meinen Fingern, stellte ich entsetzt fest. Nein, nicht daran denken. Einfach den Rosenkranz beten. Und die Worte flossen als murmelndes Bächlein über meine Lippen, wie meine Oma es mich gelehrt hatte, als hätte ich seit dem jeden Tag einen Rosenkranz gebetet. Als sich das vierte oder fünfte Mal sprach: "Gegrüßet seist du, Maria, voll der Gnade", und meine Zunge und meine Lippen ohne mein Zutun die richtigen Worte bildeten, fühlte ich mich plötzlich meiner Oma und jenen Mütterchen so nahe. Sie waren wahrscheinlich nicht älter gewesen, als ich es nun war, und vielleicht waren ihre Probleme gar nicht so anders gewesen, als meine nun. Sorgen um die Familie und die Ehe, um die Kinder, das Geld, das Haus, die Arbeit und die Gelüste ihres welk gewordenen Leibes. Es war tröstlich, sich nicht allein zu fühlen. Ich merkte meine Knie sehr deutlich, als ich endlich den Kranz bis zum Ende gebetet hatte. Ich sah hinauf in das junge und schöne Gesicht der Maria, die so gütig, so mütterlich auf mich herablächelte. Ich konnte sicher sein, daß sie mich verstand und mir helfen würde. Ich mußte einen Moment nachdenken, bis mir das Bittgebet wieder einfiel, das meine Oma bevorzugt hatte. "Gedenke, gütige Jungfrau Maria", flüsterte ich, "es ist noch nie gehört worden, daß jemand,... der zu dir seine Zuflucht genommen, deine Hilfe angerufen und um deine Fürsprache gefleht, von dir verlassen worden sei." Ein Tropfen fiel auf meine zum Gebet um den Rosenkranz gefalteten Hände. Ohne es zu merken hatte ich begonnen zu weinen. "Von solchem Vertrauen beseelt, nehme ich meine Zuflucht zu dir, Mutter Jesu Christi und Jungfrau der Jungfrauen.... Zu dir komme ich, vor dir knie ich als armer sündiger Mensch. Mutter des ewigen Wortes, verschmähe nicht meine Worte, sondern höre mich gnädig an und erhöre mich.... Amen." Sie wußte, warum ich hier war, ich mußte ihr nichts erzählen von Bea oder Bruno, von der Lust die ich in der Vergangenheit mit dem einen geteilt hatte und der Lust, die ich mit der anderen heute morgen teilte. Nichts mußte ich sagen von der Liebe, die mich mit Bruno verband, der Liebe zu unseren gemeinsamen Söhnen, und auch nichts von der Zuneigung zu Bea, die mir alten Frau noch einmal neu die Welt der Lust eröffnet hatte, die ihr Herz in meine Hände gelegt hatte, als sie mir offenbarte, daß sie mich liebt. Wie konnte ich auf mein eigenes Herz hören, daß mich zu Bruno zog und zugleich zu Beatrix, das in meiner Brust zu zerreißen drohte an dem Zwiespalt zwischen Liebe zu meinem Mann und dem Begehren, Beas jungen Körper wieder zu spüren, für ihr Geschenk der Liebe etwas Gleichwertiges zu geben? Es war keine momentane Sinnesverwirrung, Bea hatte ein schlafendes Untier in mir geweckt. Aber war dieses Untier wirklich so fürchterlich? Es war doch immer schon ein Teil von mir gewesen, ein Teil der an die Kette gelegt gewesen war, seit der Gedanke an geschlechtliche Vereinigung in mir erwachte. An die Kette gelegt von dem was 'man' tat oder eben nicht tat. Von mir selbst an die Kette gelegt, weil ich eine brave Tochter und Enkeltochter war. Und doch hatte ich in Brunos Armen nie etwas vermissen müssen. Wieso aber hatte ausgerechnet Bea das Untier dann so schnell entfesseln können, daß plötzlich nichts mehr galt von dem, was vorher wichtig für mich gewesen war? Aber nein, das stimmte nicht. Bruno war wichtig, so wichtig, daß ich ihm nicht wehtun wollte. Aber er mußte es erfahren. Er mußte von dem Untier erfahren, denn es war ein Teil von mir und gehörte nun zu unserem gemeinsamen Leben. Ich verharrte noch für einen Moment in der Stille des Seitenschiffes, obwohl Schritte dicht neben mir erklangen, und ich dankte der Muttergottes für ihren guten, wenn auch nicht leicht umzusetzenden Rat. Mit steifen Gliedern erhob ich mich aus dem Betstuhl und ging mit gesenktem Kopf vorbei an den Männern und Frauen, die anscheinend die Kirche besichtigten. Das Spitzenkopftuch nahm ich erst von den Haaren, als ich mein Fahrrad aufgeschlossen hatte. Ich kehrte nach Hause zurück und stellte fest, daß ich drei Stunden fort gewesen sein mußte. Bald würde Bruno von der Arbeit nach Hause kommen und auf mich wartete eigentlich die Vorbereitung der Lesungen auf der Buchmesse. Aber ich brachte doch erst den Rosenkranz nach oben, legte auch das Kopftuch weg, dann ging ich in die Küche um mir einen Kaffee zu kochen. Als ich die Dose mit dem Kaffeepulver öffnete und mir der Duft in die Nase stieg, merkte ich plötzlich, daß ich enormen Hunger hatte und mir fiel ein, daß ich heute noch nicht einmal ein Frühstück gehabt hatte. Ein Brot mit Käse, ein paar Tomaten, ein Joghurt sollte es werden, aber nur eine Tasse Kaffee hatte ich getrunken, als es an der Tür klingelte. Vor der Tür stand meine Nachbarin, Frau Brandner, Beas Mutter, in Tränen aufgelöst. "Tut mir leid, wenn ich störe", schniefte sie, "aber Bea...", und sie schluckte so schwer, wie Bea ein paar Stunden zuvor, als ich ihr Liebesbekenntnis abgelehnt hatte. "Ich kann nicht fahren, nicht so. Bringen Sie mich bitte zu ihr ins Krankenhaus?" * * * Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)