Back in Control von Shizuno (Sergej Nikolajew) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- An einem Ort der Welt, an dem warme Ausrüstung und Wachsamkeit mehr zählten als alles andere, verharrten sechs Männer im eisigen Griff der Temperaturen auf einem erhöhten Felsplateau. Unter ihnen erstreckte sich eine weitläufige, konturlose, weiße Ebene, aus der sich jedoch drohend ein dunkler, scharfkantiger Schemen abhob und nicht einmal der menschenfeindliche Schneesturm, der dort gerade wütete, konnte das Frachtschiff gänzlich verbergen. Schnee und Eis hatte das Gelände um sie herum unter harter Kontrolle und zu den beiden Teammitgliedern, die vor einer guten viertel Stunde aufgebrochen waren, fehlte jeglicher Kontakt. Sie waren vorrausgegangen, um einen sicheren Abstieg auszukundschaften und die erste Einschätzung der Lage zu erstellen. Doch selbst die beste Technik kapitulierte bei minus 42 Grad und dem Blizzard, der immer noch wütete, aber nun langsam abzunehmen schien. "Wie lange warten wir noch?", drang eine angespannt klingende Stimme aus dem Headset an sein Ohr, durch das Rauschen verzerrt erahnte er die Frage mehr, als dass er sie verstand, obwohl der Mann nur knappe 300 Meter neben ihm im lag. Der Angesprochene setzte das Fernglas ab und bewegte vorsichtig seinen steifgewordenen Finger. "Fünf Minuten, dann brechen wir ebenfalls auf", entgegnete er knapp, kroch jedoch schon langsam von seinem Beobachtungsposten zurück und richtete sich auf. Er sah sich um, denn die verbliebenen Männer fügten sich ebenfalls langsam an seine Seite und bereiteten sich auf das vor, was ihnen dort unten bevorstand. Schwere Ausrüstung raschelte, Magazine rasteten mit leisem Klicken in Waffen ein und hochkonzentrierte Entschlossenheit sprach aus jedem Augenpaar, in das er blickte. Sergej Nikolajew hatte fünf der fähigsten Soldaten um sich, die er je kennengelernt hatte; Männer die sich einer der härtesten Ausbildung ausgesetzt hatten, die es gab, die täglich gedrillt wurden, um solche Missionen wie diese hier als Spaziergang zu empfinden und die geübt darin waren, zu töten. Ein letztes Mal schob er den dicken Ärmel seiner Camouflagejacke von der Uhr und warf einen Blick auf die Ziffern - 01:45 am, eine gute Zeit für ihr Vorhaben. "Aufbruch", lautete nun sein kurzes Kommando, als er sich auch schon als Spitze des Trupps in Bewegung setzte. Der Abstieg war beschwerlicher als erwartet und als sie endlich wieder ebenen Boden unten der Füßen hatten, stand ihnen immer noch der gefährliche Marsch zum Schiff bevor. Was durch das Fernglas wie wenige Meter ausgesehen hatte, waren in Wirklichkeit noch gute sieben Kilometer, die sie auf fast offener Fläche zurücklegen mussten. Nur hin und wieder boten Eisberge und aufgetürmte Schneeverwehungen Deckung, aber das Territorium wartete mit genügend anderen Tücken auf. Tiefe Schluchten konnten sich unter dicken Schichten verbergen und ein falscher Schritt würde den Tod bedeuten. Sergej verfluchte innerlich, dass sie nicht einfach den Wasserweg hatten nehmen können, doch das wäre noch auffälliger gewesen, als sich von Land aus anzunähern. Doch Zeit und Weg dehnten sich wie Kaugummi und mit jedem Schritt wurde das Waten durch den teilweise kniehohen Schnee anstrengender, es war kräftezehrend, doch genau diese würden sie noch bis zum letzten Funken brauchen. Noch drei Stunden zuvor hatte er auf einem in der Karasee stationierten Flugzeugträger gesessen, vor einer gepackten Urlaubstasche und einem Flugticket auf die Philippinen in der Hand. Sein lang verdienter und hart erarbeiteter Angeltrip war mit einem streng blickenden General und einer dicken Akte in dessen Griff schneller vorbei gewesen, als er überhaupt hatte beginnen können. Teamzusammenstellung, Instruktionen, Ausrüstungscheck und dann endlich ab ins Flugzeug - nur eben in die falsche Richtung. Warum mussten auch ausgerechnet an seinem letzten Arbeitstag Terroristen einen Frachter entern? Am Heck angekommen, formierte sich seine Einheit hinter den vielen Containern und Kisten, die verstreut an Land abgestellt waren. Anscheinend durchkämmten die Entführer das Schiff, alles, was dabei im Weg stand, fand seinen freien Fall nach unten auf die Eisscholle, an der der Frachter angelegt hatte. Waffen, Drogen oder lebende Ware, um irgendetwas dieser Dinge ging es meistens. Bald würde sich herausstellen, was hierzu Anlass gegeben hatte. Sergej drehte ruckartig den Kopf, als er im Augenwinkel eine Bewegung hinter seinem Teamkollege bemerkte, er wirbelte mit der Waffe im Anschlag herum und streckte mit einem einzelnen Kopfschuss den Angreifer nieder, der sich unbemerkt an sie angeschlichen hatte. Wolkow, der Mann hinter ihm, hatten den Feind in der gleichen Sekunden ebenfalls bemerkt und setzte sich schon in Bewegung, die Leiche aus dem Blickfeld hinter einen der Container zu ziehen. Die Blutspur, die er dabei hinter sich herzog, hüllte der fallende Schnee in nur wenigen Minuten in eiskalte Vergessenheit. "Alles weiterhin ruhig", raunte eine Stimme durch das Headset, noch immer störte dabei der Sturm den Funkkontakt, aber zu ihrem Vorteil vertuschte er auch ihre Geräusche und er erschwerte den Menschen oben auf dem Schiff die Sicht auf das, was sich unter ihnen tat. Ihr Vorrücken blieb auch weiterhin unbemerkt, obwohl sie sich auf dem Weg an die Seite des Frachters noch drei weiteren Feinden entledigten. Dort angekommen rauschte es plötzlich über Funk erneut und eine kaum verständliche Stimme erklang abgehackt. "Hie...Tea-m drei... Ein- ...bitte kom..." Sergej blieb stehen, hockend suchte er nach Schutz hinter einer aus den Angeln gerissen Tür eines großen Containers. "Hier Team Eins, wie ist eure Position?", antwortete er gegen das Getöse des Windes und atmete still erleichtert auf, als sie ihm mitteilten, dass sie sich nur wenige hundert Meter von seinem jetzigen Standpunkt entfernt befanden. Nachdem die beiden verstreuten Soldaten wieder zu ihnen gefunden hatten, machten die vier Teams sich an den Aufstieg an der Bordwand. Als sie endlich auf Deck ankamen, schwärmten sie aus und nur noch die jeweiligen Zweierteams setzten ihren Weg gemeinsam fort. Wolkow, der Sergej in wenigen Metern Abstand folgte, sicherte ihnen den Rücken. Ihr Ziel war die Brücke und im fast regelmäßigen Abstand hörten sie, wie die anderen über Funk weitere "gesäuberte" Areale durchgaben. Sie gingen eine langgezogene, schmale Treppe nach oben und Sergej blieb an der Wand vor einer offenen Tür stehen und spähte vorsichtig herum. Leise Schritte waren aus dem kleinen Gang zu hören und er hob die Hand, um anzudeuten, dass sie hier verharren würden. Die Geräusche kamen langsam näher und Sergej rammte dem Mann, der durch den Türrahmen treten wollte, kurzerhand den Gewehrkolben unters Kinn, woraufhin dieser mit einem schmerzhaftverzerrten Stöhnen sofort in sich zusammenbrach. Ein Schuss ins Herz besiegelte daraufhin sein Ende. Sie stiegen einfach über ihn hinweg, denn vor ihnen erstreckte sich nun etwa zweihundert Meter lang der Gang, der zum Kontrollraum führte. Um böse Überraschungen zu vermeiden, überprüften sie jeden Raum und fanden hinter einer gesprengten Tür in einer großen Blutlache den unglücklichen Kerl, der das Notsignal gefunkt hatte. Die Zurückeroberung der Brücke ereignete sich anschließend fast ein wenig zu einfach, denn nur zwei weitere Wachen hielten sich im Raum auf, davon abgesehen, dass für den Kapitän und den Steuermaat jeden Hilfe zu spät kam. Blut verklebte die Schaltpulte und die beiden leblosen Körper lagen zusammengekrümmt in einer Ecke. "Hier stimmt doch etwas nicht", stellte Wolkow missmutig fest, während er einen Blick aus der breiten Fensterfront warf. "Die komplette Besatzung ist tot, das Schiff sitzt hier fest und noch immer wissen wir nicht einmal, wer für das hier der verantwortliche Kopf ist." Sergej nickte bestätigend, dabei nahm er die Kontrollleuchten der Energieversorgung in Augenschein. Die kompletten Maschinen waren fast bis auf Null heruntergefahren, gerade noch so, dass der Strom in den Lagerabteilen und auf Deck funktionierte. Die Entführer suchten irgendetwas, das Schiff interessierte sie dabei nicht, so viel war nun klar. Zurück an Deck und mit den anderen Teams wieder zusammengefunden, begannen sie nun die letzten verstreuten Terrorristen auszuschalten, dabei fanden sie immer mehr aufgebrochene Container. Ihre Anwesenheit war mittlerweile schon längst kein Geheimnis mehr, doch der teilweise nur vereinzelte Wiederstand war schnell zerschlagen. Einer der Überwältigten hatte sogar eine Liste mit Frachtnummern mit sich geführt, die ihnen nun dabei half, die Suche einzugrenzen. Sie fanden zwei dieser drei Container scheinbar schon abholbereit am Heck des Schiffes aufgestellt. Beide waren geöffnet worden, ihr Inhalt bestand aus weiteren kleinen Holzkisten, in denen sie zwischen Kartons mit asiatischem Kinderspielzeug einiges an durchsichtigen Päckchen mit weißem Pulver sicherstellen konnten. Die Suche nach der letzten Frachtnummer auf der Liste gestaltete sich jedoch langwieriger als gedacht, aber Wolkow und Sergej fanden ihn schließlich doch noch, mit ebenfalls zerstörtem Schloss und nur noch von einem Metallriegel verschlossen. Als sie jedoch einen ersten Blick in sein Inneres warfen, schauten sie nicht wie erwartet auf weitere Holzkisten, sondern ihn mehrere angsterfüllte und vor Dreck starrende Gesichter. Grob geschätzte dreißig Menschen verharrten zitternd auf dem blanken Stahl des Containers. Wolkow neben ihm hatte noch immer die Waffe halb im Anschlag, als Sergej einen kurzen Funkspruch absetzte. "Team Zwei - aufschließen. Drei - Lagebericht absetzten und Rückzug vorbereiten. Vier - Position vorerst beibehalten." "Verstanden", erklang es mehrfach diesmal schon fast klar aus seinem Kopfhörer. Der Wind peitschte noch immer Schneeflocken über ihre Köpfe hinweg, aber das Unwetter hatte sich offensichtlich langsam ausgetobt. Nun erst begannen sie auf die Gefangenen einzureden, um ihnen begreiflich zu machen, dass sie sich in Sicherheit befanden. Die ersten zwölf traten hinaus auf das verschneite Deck, zitternd vor Kälte, nicht wenige von ihnen halb abgemagert und krank. Sergej stand noch immer an der Containertür und schweifte mit dem Blick über jeden, der an ihm vorbeiging. Die Menschen schlurften in einem langsamen Trott, sich gegenseitig stützend unter Deck in einen wärmeren Raum, wo sie erst einmal wenigstens Notdürftig versorgt werden konnten. Ein dunkelhäutiger Mann um die Vierzig, nicht viel älter als er selbst, erweckte dabei sofort seine Aufmerksamkeit. Zwischen den anderen fast unscheinbar, wirkte er dennoch deplatziert, nicht nur, weil er viel gesünder aussah, sondern auch, weil eine ganz andere Emotion aus seiner gebückten Körperhaltung sprach. In dem Moment, als Sergej dieser Gedanke durch den Kopf schoss und er ihn ansprechen wollte, kreuzten sich ihre Blicke - es lag keine Angst darin, nur eiserne Entschlossenheit. Sergej riss seine Waffe nach oben und schoss, in der gleichen Sekunden knallte jedoch auch ein Schuss aus der Pistole, die der Mann unter seinem zerfetzten, aber viel zu sauberen Pullover gezogen hatte und die Kugel brannte sich schmerzhaft heiß in Sergejs Oberschenkel. Der Schütze ging mit zwei Kugeln in der Brust tot zu Boden. "Bljat!", fluchte Sergej auf, bevor auch er schwer ächzend in die Knie ging. Warmes Blut rann sein Bein hinab und färbte dampfend den Boden unter ihm rot. Augenblicklich war einer seiner Kollegen neben ihm, um die Blutung der Verletzung zu stillen. Ein anderer vergewisserte sich, dass der Angreifer wirklich für immer seinen letzten Schuss abgegeben hatte. Ab jetzt musste alles sehr schnell gehen. Die Flüchtlinge wurden versorgt und die verbleibenden Soldaten kümmerten sich um den Rückzug, denn in einer knappen halben Stunde würden die ersten Helikopter hier sein, um sie abzuholen. Sergej lag in einer der Kajüten und starrte mit diffusem Blick an die Decke. Er fühlte sich schwach, denn ein nicht all zu geringer Teil seines Blutes färbte das Deck neu ein. Sein Bein war zwar erst einmal verbunden, brannte jedoch wie Feuer und der Schmerz raubte ihm trotz Medikamenten fast den Verstand. Verletzt zu werden war etwas, mit dem man eben rechnen musste und in all den Jahren, die er jetzt schon als Soldat arbeitete, war dies nicht seine erste Schussverletzung, aber sicherlich seine bisher schwerste. Wattige Müdigkeit begann sich nun langsam in seinem Bewusstsein auszubreiten, er kämpfte dagegen an, aber sein Sichtfeld begann immer mehr zu flimmern und schlussendlich ergab er sich in den schmerzfreien Schlaf, der ihn in die Ohnmacht riss. -_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_- Das monotone Piepen der Maschine direkt neben seinen Kopf hallte in seinen Ohren wieder und weckte ihn aus seinem tiefen Schlaf. Er musste blinzeln, um sich auf seine Umgebung fokussieren zu können, so verschwommen war sein Blick noch immer. Weiße Wände, ein fast kahles, ebenso weißes Zimmer. Er schaute neben sich, um dem Ursprung des nervigen Geräusches auf die Spur zu kommen. Ein Herzschlagmessgerät stand an seinem Kopfende, gleich daneben ein leerer Tisch. Keine Blumen oder Fotos. Sergej hob die Hand und fuhr sich fahrig durch seine kurzen, dunkelblonden Haare und die ersten rauen Stoppeln an seinem markanten Kinn. Also schienen immerhin nicht mehr als ein oder zwei Tage vergangen zu sein. Sein Bein brachte sich auch sogleich mit dumpfen, pochenden Schmerzen in Erinnerung, er hob die Bettdecke an und sah, dass sein kompletter linker Oberschenkel nun sauber verbunden war. Aber als er das Bein anzuheben oder überhaupt erst einmal zu bewegen versuchte, erstarrte er. Er fühlte deutlich den Schmerz, der von der Verletzung ausging, aber er konnte nicht einmal den Fuß bewegen. Ächzend ließ er nach dem vierten Versuch die Bettdecke wieder fallen und kämpfte die leichte Verzweiflung nieder, die sich in ihm ausbreiten wollte. Irgendwann schlief er einfach wieder ein. Das nächste Mal war es nicht die Maschine, die ihn aus dem Schlaf holte, denn das Piepen war fort, diesmal waren es Stimmen, die um ihn herum und über ihn redeten. "Er scheint wieder aufzuwachen", hörte er eine tiefe Männerstimme links neben sich, die er als die seines Vorgesetzten identifizierte. Jemand trat von der anderen Seite dicht an ihn heran und öffnete seine Augen. Er wurde angeleuchtet, bis er die zufriedene Stimme eines Unbekannten vernahm. "Sehr gute Reaktion, Patient ist wieder bei Bewusstsein." Wie zur Bestätigung öffnete er nun selbstständig seine jedoch bleiern schweren Augenlider. "Leutnant, willkommen zurück", begrüßte ihn Oberst Romanow. "Sie sind im Militärkrankenhaus", fuhr er sogleich fort und warf im selben Moment einen seltsamen Blick zu dem fremden Mann, der sich als sein behandelnder Arzt vorstellte. Er ahnte dabei schon, was diese Geste zu bedeuten hatte, zögerte aber, die Frage zu stellen. "Herr Nikolajew, Sie sind zwar gerade erst aufgewacht, aber es gibt da eine Sache, die sollten wir schnellstmöglich besprechen", begann dafür der Arzt schonungslos auszusprechen, was er nicht wagte. "Gab es... Probleme? Bei der Operation?", brachte Sergej endlich heraus, was ihm auf der Zunge lag, dabei schweifte sein Blick von Romanow zum Arzt. Beide wechselten noch ein stummes Wort miteinander, bis der Mediziner schließlich fortfuhr. "Sie werden das Bein behalten können, keine Sorge. Das Taubheitsgefühl, das Sie jetzt sicherlich noch haben, müsste innerhalb der nächsten Tage abklingen. Aber, -", er räusperte sich, bevor er erneut weiter sprach. "Die Kugel hat den Knochen gestreift und teilweise zersplittert, die Verletzungen der Sehnen und Muskeln wird Zeit in Anspruch nehmen, aber bei entsprechender Schonung, Pflege und rechtzeitigen Rehabilitationsmaßnahmen könnte es fast wieder gänzlich genesen", schloss er ungerührt ab. Sergej ließ sich die Worte genauestens durch den Kopf gehen. "...fast wieder gänzlich genesen?", wiederholte er dann monoton. "Ja. Wie ich schon sagte, wenn Sie sich entsprechend verhalten, werden Sie eines Tages mit dem Bein auch wieder laufen können." Während er das sagte, klang es, als würde er über eine Alltäglichkeit sprechen. Nicht über seine Gesundheit, sein Kapital - sein gesamtes Leben, um das es hier ging. Der Arzt entschuldigte sich nach weiteren wenigen Worten, weil er sich um noch mehr Patienten zu kümmern hatte. Als sie sich nur noch zu zweit im Raum befanden, ergriff Romanow als erstes wieder das Wort. "Wie ich Sie kenne, wollen sie sowieso keine Beileidsbekennung hören." Er versuchte, seinen Mund zu so etwas wie einem Lächeln zu verziehen. "Sie sind ein guter Soldat, der lange in unseren Diensten stand. Ich finde jederzeit einen Platz als taktischen Berater für Sie", bot er an, bevor auch er sich abwand, weil er keine Antwort erwartete und auch keine erhielt. Sergej starrte lange regungslos aus dem Fenster. Seine Gedanken dagegen rasten. Taktischer Berater? Es klang in seinen Ohren eher wie eine Verspottung, auch wenn er nur zu gut wusste, dass es nicht so gemeint war. Doch er brauchte den aktiven Dienst, die Mischung von kaltem Stahl in Händen, körperlicher Höchstdiszplin und Adrenalinrausch – denn nur dieser gab ihm das Gefühl, zu leben. Hinter einem Schreibtisch versauern und nur auf dem Papier Krieg zu führen, das was nicht seine Art. Er fasste sich einen Entschluss - bevor er einen Job wie diesen annahm, würde er alles auf der Welt mögliche probieren und jeden Schmerz in Kauf nehmen, um wieder völlig gesund zu werden. -_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_- Weit abgeschieden an einem Ort, wie vor einem Jahr an der Eisküste der Wilczek-Inseln, wo sich kaum eine Menschenseele hin verirrte, aber die Temperaturen weitaus freundlicher waren, saß Sergej Nikolajew in einem Campingstuhl am Flussbett, unterhalb seiner Holzhütte mitten in den Wäldern von Russland. Mit wachsamen Augen auf seine Angelschnur. Neben ihm in einem großen Eimer zappelte der erste große Fisch, der heute sein Abendessen sein würde. Er ließ sich schwerfällig in seinen Angelstuhl zurücksinken und schaute von seinem Fang auf die Gehhilfen, die nur wenige Zentimeter daneben auf dem Boden lagen. Mittlerweile verfluchte er die Dinger mehr als alles andere auf der Welt, denn er konnte ohne sie noch immer nicht mehr als fünf Schritte laufen. Er hatte alles versucht - Reha, Medikamente, weitere Operationen - nichts hatte wirklich angeschlagen, alles hatte ihm nur noch mehr Schmerzen eingebracht, die nüchtern kaum noch auszuhalten waren. Den Job, den ihm sein Vorgesetzter angeboten hatte, lehnte er weiterhin dankend ab, obwohl der Verdienst nicht einmal all zu schlecht wäre. Doch es hatte etwas mit Prinzipien zu tun und er war nun mal ein Mann der Tat. Das beruhigende Rauschen des Wasser vor ihm und der Bäume um ihn herum wurde plötzlich unterbrochen von einem Geräusch, das ihn aufhorchen ließ. Schwere Räder scharrten sich durch den Kies seiner Einfahrt und ein schwarzer Jeep hielt nur wenige Meter vor seinem Haus an. Sergej zog seine Pistole aus dem Halfter am Oberschenkel und entsicherte sie, er musste lachen und wusste noch nicht einmal genau, warum, doch wer auch immer ihm so offensichtlich einen unangekündigten Besuch abstattete, kam sicherlich nicht nur zum Kaffeetrinken. Jetzt würde sich zeigen, ob er trotz seiner Verletzung noch im Stande war, etwas auszurichten. Er blieb schweigend auf seinem Stuhl sitzen, verbarg die Waffe aber unter seiner Jacke. Es knackte und raschelte erneut, als sich ihm eine Person langsam von hinten näherte, zwei weitere hörte er oben am Auto geschwätzig miteinander reden. Sergej warf einen schrägen Blick nach hinten und sah einen leger in Jeans und Hemd gekleideten Mann auf sich zukommen, drahtig-muskulöse Figur, aber mit freundlichen Zügen und einem angedeutetem Lächeln im Gesicht. "Leutnant Sergej Nikolajew?", fragte er auf Russisch, doch sein amerikanischer Akzent war nicht ganz zu überhören. "Wer will das wissen?", fragte er vielleicht etwas zu barsch, aber er hatte keine Lust auf Plaudereien. Der Unbekannte trat noch näher heran, stellte sich sogar auf gleiche Höhe neben ihn, warf einen anerkennenden Blick auf seinen Fang und schaute dann über den Fluss, bevor er antwortete. "Mein Name ist Deacon Carver. Ich bin hier, um Ihnen ein Angebot machen." -_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_-_- Die Flammenzungen schlugen lichterloh in den Himmel, wüteten um sich und verschlangen das trockene Holz, das einmal das Dach seines Hauses gewesen war. Das Feuer war sicherlich meilenweit zu sehen und es würde nicht mehr lange dauern, bis jemand die Polizei oder das Militär informierte. "Kommen Sie", bat Deacon Carver und zeigte Richtung Auto. "Oder hält sie doch noch etwas an diesem Leben?" Sergej Nikolajew drehte sich kopfschüttelnd zu ihm um. "Nein, bestimmt nicht. Aber die ganze Geschichte klingt mehr als fantastisch, dass ich nicht weiß, auf was ich mich da genau eingelassen habe." Das anfangs abweisend begonnene Gespräch hatten sich zu einem langwierigen, doch interessant klingenden Angebot ausgedehnt - das Versprechen, wieder völlig gesund und vor allem niemals wieder krank zu werden, klang verlockend. Darüber hinaus versprach er ihm auch, dass er noch andere, durchaus praktische Fähigkeiten dazu gewinnen würde. Mit jedem Wort, jeder Erklärung hörte es sich unwirklicher an und am Ende hatte Sergej das Gefühl, dass der andere ihn auf den Arm nahm. Doch seine Menschenkenntnis zeigte ihm nur zu deutlich, dass sein Gegenüber weder verrückt, noch drogensüchtig oder fanatisch war. Nachdem Carver ihn verwirrt und so verunsichert wie noch nie in seinem Leben am Flussufer zurückgelassen hatte, war nur eine gute Stunde Bedenkzeit nötig gewesen, bis Segrej nach oben zurückgegangen war und begonnen hatte, zu packen. Das verschlagene Schmunzeln. das sich über Carvers Mundwinkel zog, holte ihn aus seinen Gedanken zurück. "Glauben Sie mir, dass höre ich öfters. Sehen Sie es als zweite Chance und lassen Sie sich überraschen, zu verlieren haben Sie ja nicht mehr viel." Er trat neben ihn und schulterte die beiden voll gepackten Taschen, die zu seinen Füßen standen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht humpelte Sergej ihm zum Wagen hinterher und ließ sich auf der Rückbank nieder. "Und nun? Wo geht es jetzt hin?", fragte er, als er es sich annähernd bequem gemacht hatte. Deacon, der auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, drehte sich zu ihm um. "Das erfahren Sie noch früh genug. Es wird ein langer Weg, versuchen Sie, zu schlafen." Das Auto setze sich nun langsam in Bewegung und Sergej warf einen allerletzten Blick auf sein ehemaliges Zuhause. "Schon irgendwie seltsam, sich selbst sterben zu sehen", sagte er leise und wie zu Bestätigung sackte der brennende Dachstuhl in sich zusammen, die verhassten Krücken unter sich begrabend. Er hatte sie zurückgelassen, denn er glaube Deacon seine Worte, dass er sie nicht mehr brauchen würde - nie mehr. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)