Kaffee und Vanille von Jeschi ================================================================================ Kapitel 3: Sweeney Todd ----------------------- In der dritten Hälfte spielt der andere sich richtig heiß. Ehrlich gesagt verliere ich langsam an Kondition und der Kerl scheint jetzt erst wirklich Fahrt aufzunehmen. Das nervt mich. Und das, obwohl ich Valentin doch bei mir habe. Doch gegen Ende des dritten Viertels passieren drei Dinge, die das Ruder wieder herum reißen. Erst macht er einen Fehlpass, welcher es ausgerechnet mir ermöglicht, wieder in die gegnerische Hälfte zu spielen. Wir punkten. Danach ist er irritiert, macht noch einen weiteren Fehlpass, der uns noch einmal die Chance zum kontern gibt. Und letztlich bekommt er den Ball, wirft von der Drei-Punkt-Linie und der Ball geht komplett daneben. Ab dem Moment knickt er wieder ein und in den letzten drei Minuten bin ich es, der auf der Position glänzt, während er fast gar nichts mehr Herausragendes unternimmt. Dann endlich ist das dritte Viertel vorbei und ich jogge zu Valentin, der mir meine Wasserflasche entgegenstreckt. „Man, das läuft gut,“ freue ich mich und er grinst mich an. „Liegt an mir.“ „Nur an dir.“ Nachdem wir uns dann ein wenig Honig ums Maul geschmiert haben, lasse ich mich erschöpft neben ihn nieder. „Vier Hälften komplett durch,“ stöhne ich und lege den Kopf in den Nacken. „Wie soll man das aushalten?“ „Du hast nur noch ein Viertel vor dir, also jammere nicht.“ Ich verziehe den Mund und er kichert. Der hat leicht reden, denke ich, bin ihm aber nicht böse. Erst recht nicht, als er so nett ist, meine Schultern zu massieren. „Ich glaube, ich stell dich als Personaltrainer ein,“ grinse ich vor mich hin und er drückt extra fest zu, dass ich kurz glaube, sterben zu müssen, so weh tut es. Dann ist die Pause auch schon vorbei und ich muss leider meine Massage Massage sein lassen. Das vierte Viertel ist mein Viertel. Ich lege richtig los und ich glaube, so viele gute Pässe nacheinander habe ich noch nie geworfen. Zwei gehen daneben. Nur zwei. Ich finde, das ist gut. Der andere scheint schon aufgegeben zu haben. Erst gegen Mitte des Viertels legt er noch mal richtig los und wirft ein paar atemberaubende Körbe was meine Motivation von 100 auf 0 schrumpfen lässt. Ich hab keine Ahnung, wie der es geschafft hat, aus so blöden Positionen heraus so sicher zu treffen. Das wurmt mich. Nicht das ich nicht auch genug gute Körbe geworfen habe. Aber solche Brummer natürlich nicht. Es kotzt mich an, dass der Kerl jetzt eine Glückssträhne zu haben scheint. Bisher war ich mir sicher, der bessere zu sein, aber jetzt sieht das ganz anderes aus. Am Ende des Spiels gelingt mir mehr aus Glück, als aus Können, ein guter Treffer, ähnlich den Glanzleistungen des Anderen. Ich hoffe, dass reicht aus, dass die Jury versteht, dass ich das auch kann, wenn ich nur die Chance dafür habe. Danach ist das Viertel zu Ende und somit das ganze Spiel und jetzt heißt es Bangen. Mir ist schlecht vor Aufregung, schon jetzt. Damit habe ich nämlich gar nicht gerechnet. Ein wenig geknickt laufe ich zu Valentin, der mich interessiert mustert. „Das war doch gut, nicht?“ Na gut, er hat keine Ahnung von Basketball. Er weiß nicht, worauf genau es ankommt. Andererseits kann ich auch nicht behauptet, ich hätte schlecht gespielt… „Ja, aber der andere ist doch stärker, als gedacht.“ „Macht nichts, du kommst trotzdem weiter.“ Und irgendwie ist das das schon naiv, was er da vom Stapel lässt. Aber das er so an mein Weiterkommen glaubt, das baut mich wirklich auf. Ich lächle ihn an und weiß keine Antwort mehr darauf. „Wie lange musst du jetzt warten, ehe das Ergebnis bekannt gegeben wird?“, will er dann wissen und ich sehe interessiert zum Trainer. Dieser gibt in genau dem Moment bekannt, dass sie sich nun beraten und in zwei Stunden das Ergebnis bekannt geben, wer es in die engere Wahl geschafft hat. Zwei Stunden Folter. Ich seufze und hoffe einfach, dass ich dabei bin. Dann muss ich mich nur noch gegen die Leute durchsetzen, die gestern gespielt haben und am Montag noch spielen werden. Und dann bin ich hoffentlich endlich in der Mannschaft. „Zwei Stunden sind perfekt,“ erklärt mir Valentin in dem Moment. „Dann hab ich genug Zeit, dich zur Feier des Tages auf einen Kaffee einzuladen.“ Er lächelt mich an, steht auf und winkt mich mit sich. Ich folge ihm hastig. „Ich glaube, durch deine Adern fließt pures Koffein.“ Er lacht und ich verschwinde in der Umkleide, um schnell zu duschen und mich umzuziehen. Als ich fertig bin, trete ich aus der Umkleide, vor der Valentin schon auf mich gewartet hat. Er lehnt gegen einer Wand und grinst mich an, als ich rauskomme. „Dein Gegner ist gerade vorbei gelaufen und hat gejammert, dass du seiner Meinung nach besser warst.“ Ich muss lachen. „Wirklich?“ „Ja, so in der Art. Klang nicht begeistert und so.“ Sehr gut, denke ich und mustere Valentin auf dem Weg zum Café skeptisch. Ich würde gerne wissen, was er wirklich gesagt hat und was Valentin interpretiert hat, um mich aufzuheitern. Aber ich frage nicht, weil irgendwie interessiert es mich dann doch nicht. „Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht, Josh,“ stöhnt Valentin in dem Moment, in dem wir durch die Türe des Cafés schreiten und er sich gleich den Platz am Fenster sichert. „Ich hab zwar kaum Ahnung, aber ich fand dich wirklich gut.“ „Ja, ich weiß ja,“ meine ich und hole uns zwei Kaffee. Als ich wieder komme, sieht er mich unzufrieden an. „Ich wollte dich einladen, man.“ „Mein Spiel – also zahle ich auch,“ erwidere ich darauf nur und blicke dann zur Theke. „Ob ich mir jetzt noch einen Muffin hole…?“, überlege ich und in dem Moment springt Valentin auf, wie von der Tarantel gestochen. Ich sehe ihn erstaunt an. „Wo du es ansprichst, krieg ich auch Lust. Ich hol mir einen. Soll ich dir einen mitbringen?“, sprudelt es aus ihm heraus und ehe ich Antworten kann, ist er schon verschwunden. Ich muss grinsen. Hat er es also doch geschafft, mir etwas auszugeben. Ich blättere durch einen Flyer, der auf dem Tisch liegt und blicke ab und an zu Valentin, warte ungeduldig auf meinen Muffin. In dem Moment, in dem er bezahlt, geschieht allerdings etwas Merkwürdiges. Der Typ, der neben ihm steht und Kaffee ordert blickt ich an und sagt etwas, worauf Valentin ihn angrinst und dann weiter mit ihm redet. Ich wusste gar nicht, dass Valentin andere Menschen außer mir kennt… Und dann noch so einen komischen Vogel. Sieht aus wie Sweeney Todd. Ob der in seiner Band spielt? Während ich noch skeptisch den Kerl mustere, kommt Valentin auch schon wieder. Ich sehe ihn höchst interessiert an. „Sag mal, kanntest du den?“, will ich wissen und versuche, gleichgültig zu klingen, was mir aus unerfindlichen Gründen nicht gelingt. Mist. Aber es stört mich eben irgendwie, dass er mit diesem Etwas da geredet hat. Ich dachte, wir hätten so eine tolle Beziehung, wo wir uns nur gegenseitig nerven und den Rest der Welt ausblenden… Meine Güte, bin ich heute egoistisch, ihn so für mich zu beanspruchen. „Nö,“ macht er lang gezogen und reicht mir einen der beiden Muffins. Ich reiße ihn an mich, breche ein Stück ab und stecke es mir gierig in den Mund. Endlich was zu Essen. „Aber süß ist er, oder?“, fügt er hinzu und ich blicke zu dem Kerl. Süß ist anders! Eindeutig! Ähm… Süß…? „Leider hat er schon eine Freundin.“ Wieder Valentin und ich reiße die Augen auffällig weit auf, versuche mir aber ansonsten nichts anmerken zu lassen, was extrem in die Hose geht. Ich schlucke und das Stück bleibt in meinem Hals stecken, der plötzlich ganz trocken ist, woraufhin ich einen großen Schlucken Kaffee nehme und mir dabei die Zunge verbrenne. Obwohl mein ganzer Mund ein einziges brennendes Etwas ist, nehme ich noch einen Schluck, um nichts darauf sagen zu müssen. Valentin und schwul. Ich starre ihn an, dann lieber mein Essen. Okay, so eine Überraschung ist das jetzt nicht… und ich hab ja auch nichts gegen Schwule. Ich meine… Benni und Jona sind meine besten Freunde und auch schwul. Das stört mich nicht. Aber Valentin… Jetzt starre ich ihn doch wieder an, was ihm sicher auffallen muss. Wenn er den Rest meines unauffälligen Getues nicht eh schon bemerkt hat… „Also, die Freundin hat auch was für sich,“ wirft er in diesem Moment ein und rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Einen hübschen Arsch,“ fügt er kläglich hinzu und macht eine komische Bewegung mit den Händen, was wohl ihren Arsch darstellen soll. Hilflos mach ich die Bewegung nach und nicke mechanisch. Ich schätze, ich mache dabei so große Augen, dass sie mir sicher gleich aus dem Kopf fallen, denn plötzlich lacht er. Na toll… „Tut mir Leid, Josh.“ Sein Lachen erstirbt und guckt mich an, wie ein geprügelter Hund. Doppeltes na toll… „Ich versuche nur, ein wenig männlich daher zu reden, damit du keine Angst vor mir bekommst.“ Er sieht kurz zu Sweeney Todd. „Weil ich das von ihm gesagt habe.“ Er deutet unnötigerweise auf die schräge Gestalt. „Hab ich nicht,“ wehre ich ab und versuche, meinen Gemütszustand wieder zu beruhigen. Weil das nicht all zu überzeugend ist, erkläre ich ihm also, dass Benni auch schwul ist. Ein Detail, dass ich bisher verschwiegen habe, obwohl wir schon öfters über ihn gesprochen haben. Ich denke, die Antwort ist perfekt. Jetzt ist er im Bild und braucht keine Angst haben, dass mich das stören könnte… „Ich bin nicht schwul, ich bin bi,“ klärt er mich auf, als wäre das so ein großer Unterschied. Mag er eben beides, deswegen mag er trotzdem Typen. Aber mal ehrlich… Was findet er an der Vogelscheuche dort. Der Kerl ist eine einzige Zumutung. Ich verziehe den Mund. Ich weiß nicht, wie das auf ihn schon wieder wirken muss, aber er fügt hinzu: „Ich fall auch nicht über dich her.“ Ich erwidere irgendwas davon, dass ich davon auch nicht ausgegangen bin und er bricht grinsend ein Stück Muffin ab und steckt es sich in den Mund. Ich tue es ihm gleich und stelle fest, dass ich nie wieder essen kann, weil mein Inneres eine einzige Brandblase ist. Zwei Stunden später stehen wir pünktlich in der Halle und warten darauf, dass die Ergebnisse bekannt gegeben werden. Nur um mich zu quälen, wird der ‚Sieger’ aus meiner Position als letztes bekannt gegeben. Ich ertappe mich dabei, wie ich Nägel kaue, bis der Trainer endlich den Point-Guard erwähnt. Ich nehme meine Finger von meinem Mund und dann ist meine Erleichterung groß: Er nennt meinen Namen!!! Oh Gott, denke ich ein wenig hysterisch und seufze erleichtert auf. Ich bin in der engeren Auswahl. Valentin scheint das fast mehr zu freuen, als mich. Er hüpft auf und ab und fällt mir dann um den Hals. „Wie geil, Joshi!!!“ „Das lag nur daran, dass ich dir die Daumen gedrückt habe.“ „Ganz eindeutig,“ stimme ich zu, ihn noch immer im Arm und grinse über das ganze Gesicht. Erst jetzt wird mir langsam klar, dass ich weiter bin und ich könnte die ganze Welt umarmen, so sehr freue ich mich. Aber jetzt tut es erst mal Valentin. Ich nehme mir gerade vor, sofort Benni und Jona anzurufen, wenn ich zu Hause bin, als mein Konkurrent auf den Plan tritt und mich von oben bis unten mustert. „Na super,“ raunter dann seiner Freundin zu, die da neben ihm steht und ihn tröstend eine Hand auf den Arm gelegt hat. „Ne Schwuchtel hat mir den Platz weggeschnappt,“ meint er zu ihr und sieht mich - und vor allem Valentin - dann angewidert an. Ich könnte ihn töten. Auf der Stelle. Vor allem, als Valentin von mir weicht, als hätte ich ihm gerade gesagt, ich hätte Lebra, und mich entschuldigend ansieht. Wütend blicke ich zu dem Kerl und fauche: „Streng dich doch einfach mehr an. Dann klappt es vielleicht auch.“ Dann blicke ich wieder zu Valentin, der aussieht, als würde er sich gerne in Luft auflösen – trotz des Gesprächs, dass wir vorhin noch hatten… oder gerade deshalb. Weil die Situation so auf gar keinen Fall tragbar ist, füge ich grimmig hinzu: „Aber nur kein Neid… Oder bist du sauer, weil mein Freund hübscher ist, als deine Freundin?“ Daraufhin zieht besagte Freundin empört die Luft ein und der Kerl scheint sich auf mich stürzen zu wollen, lässt das aber sein, da die Lehrer und Trainer noch in der Halle sind. Mit einem letzten vernichtenden Blick stapfen sie davon. „Arschloch,“ höre ich sie beide schimpfen und fühle mich irgendwie äußerst befriedigt. Plötzlich spüre ich Valentins Blick auf mir und zwinkere ihm zu, was ihm ein kleines Lächeln entlockt. „Das war lieb von dir, aber das hätte es nicht gebraucht,“ meint er leise und sieht aus, wie eine überreife Tomate. „Ach, wieso denn. Wenn er so dumm daherredet…“ Ich zucke mit den Schultern. „Außerdem hab ich doch nur die Wahrheit gesagt. Du bist doch auch hübscher, wie diese hässliche Trulla.“ Ich könnte mich selbst ohrfeigen, als er noch röter wird und noch einmal, als ich merke, wie auch ich rot anlaufe. Super gemacht, Josh. Um von der Situation abzulenken, schnappe ich mir meine Sporttasche und laufe los. „Komm, lass uns gehen!“ „Glückwunsch,“ jubbelt Benni am anderen Ende der Leitung und ich kann mir vorstellen, dass er stolz über mich vor sich hin grinst. „Aber eigentlich war mir ja von vornherein klar, dass du das machst, Josh.“ Ich bin vor fünf Minuten zu Hause angekommen und das erste, was ich gemacht habe, war Benni anzurufen. Ich bin noch immer regelrecht geflasht von dem Ergebnis und muss das einfach mit allen teilen. Also laufe ich nun unruhig hin und her und presse mir dabei das Handy ans Ohr. „Ja, ja,“ lache ich belustigt und dann überkommt es mich plötzlich und ich muss seufzen. „Was ist los?“, will Benni sofort wissen und ich frage mich, ob ich ihm das erzählen kann… „Weißt du…“, murre ich und höre auf, nervös auf und ab zu laufen, sondern lasse mich auf meinen tollen Sessel fallen. „Es ist wegen meinem Nachbarn. Ich hab das Gefühl, alles falsch zu machen.“ „Falsch?“, wiederhol Benni und weiß damit wohl nichts anzufangen. „Wie… falsch?“ Das weiß ich auch nicht so genau, aber das kann ich ja schlecht sagen. „Falsch eben. Ich benehme mich, wie der letzte Trottel. Nicht, dass er mir das übel nimmt oder so…“ „Vielleicht nimmt er es dir nicht übel, weil es ihn nicht stört?“ Ich hasse Bennis Logik, weil sie immer so logisch ist. Aber wirklich weiterhelfen tut sie mir nicht unbedingt. „Keine Ahnung,“ meine ich also ehrlich und habe keine Lust mehr, darüber zu diskutieren. Ich habe das Gefühl, dass hinter der ganzen Sache so viel steckt, dass Benni sie nicht ganz begreifen kann, so lange er nicht hier ist. Oder besser gleich, so lange er nicht in meinem Körper steckt. „Ich rufe jetzt Jona an. Der brennt auch schon darauf, zu erfahren, wie es lief.“ Und so verabschieden wir Beide uns und Benni legt als erstes auf. Sofort tippe ich Jonas Nummer ein und er nimmt auch gleich nach dem zweiten Klingeln ab. „Wie ist es gelaufen?“, will er wissen und ich muss ihm jedes kleine Detail des Spiels erklären. Als auch dieses Gespräch beendet ist, gehe ich in die Küche, um mir einen Tee zu kochen und blicke dann missmutig auf mein Getränk. Was würde ich jetzt für einen Kaffee geben, der meine Sinne wieder ein wenig belebt. Vielleicht sollte ich mir doch mal eine neue Kaffeemaschine kaufen. Oder wenigstens Instantkaffee. Oh man. Ich fürchte, Valentin hat mich angesteckt. Frustriert darüber, dass ich schon wieder über Valentin nachdenke, beschließe ich, ins Bett zu gehen. Also auf ins Bett! Drei Tage später stehe ich in der Aula der Musikhochschule Köln. Valentin hat mich eingeladen, heute bei den Bandproben vorbeizuschauen und so wandere ich in den Gängen umher und suche nach dem Bandraum. Es ist ziemlich cool hier und ich kann nachvollziehen, dass Valentin unbedingt hier hin wollte. Als ich den scheiß Raum nicht finde, versuche ich einen Schüler aufzutreiben und laufe ausgerechnet Sweeney in die Arme. Das kann doch nicht sein, dass der auf dieser Schule ist. Ich frage also ihn nach dem Bandraum und er nennt mir den Weg und fügt hinzu, dass der Sänger es wirklich drauf hat. „Das weiß ich selbst,“ knurre ich nur und lasse ihn stehen. Was für ein Idiot. Dann stehe ich endlich vor Raum 210 – ich glaube, es war der Raum, den mir der Gesichtsfasching genannt hat. So richtig zugehört habe ich ihm nämlich nicht, ich war zu sehr damit beschäftigt, ihn feindlich anzustarren. Aber tatsächlich erblicke ich sofort Valentins schwarzen Haarschopf, als ich die Türe öffne. „Hey,“ meine ich und finde meine gute Laune wieder. Der Emo dreht sich um, bemerkt mich und fängt sofort zu grinsen an. Das ist auch krankhaft, denke ich lächelnd. „Huhu,“ winkt er mir zu und löst sich von seinen Kollegen, um zu mir zu laufen. „Ich dachte schon, du kommst nicht,“ meint er und wirft einen Blick über die Schulter. „Wir fangen auch gleich an. Sobald Sebastian – der hässliche Blonde – sich bereit fühlt. Er muss immer erst in sich gehen, weißt du,“ meint er genervt und räuspert sich, sieht mich vielsagend an. Ich muss lachen und setze mich brav auf einen der Stühle, die verstreut herum stehen. Es ist eigentlich ein ganz normaler Musiksaal. Vorn stehen verschiede Instrumente, hinten Stühle mit dämlichen Klapptischen daran. Ich klappe eben jenen weg, um es bequemer zu haben. Als Sebastian dann endlich zu sich gefunden hat, fangen sie an, ein neues Stück einzustudieren, wie mir Valentin gerade erklärt hat. ‚Falling behind’ heißt das Stück, von ‚Dead by April’, der Band, die ich ganz, ganz, ganz, ganz unbedingt kennen muss. Ich grinse vor mich hin, während sie mit den ersten Takten beginnen. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und weiß nicht, was ich erwarten soll. Sie sind eine Band, die wohl ziemlich gut sein muss, wenn sie beim Sommerfest spielen dürfen. Dennoch erwarte ich nicht all zu viel und bin demzufolge mehr als nur elektrisiert, als Valentin zu singen anfingt. Ich schlucke hart, während sich mein Blick auf ihn fixiert. Wie er sich bewegt, welche Mimik er benutzt… Diese Bühnenpräsenz, die er ausstrahlt, ist unglaublich. Es ist, als würde er den Song leben. Er sieht aus, als wäre er dafür geboren, auf einer Bühne zu stehen. Das Ganze ist einfach rockig und wahnsinnig… sexy. Nach diesem Gedanken muss ich den Kopf schütteln und zwinge mich, den Blick von seinem Gesicht zu lösen, dass konzentriert aber irgendwie auch entspannt wirkt, einfach so, als wäre in seinem Element. Ich blicke also auf seine Gitarre und achte nun mehr auf seine Stimme, die so perfekt zu dem Song passt, dass man Gänsehaut kriegt. In dem Moment komme ich mir ein wenig dumm vor, weil ich herumschwärme, wie eines dieser Fangirls. Was kommt als nächstes? Schreie ich, dass ich ein Kind von ihm will? Doch als er dann auch noch den Refrain anstimmt, sind diese Gedanken wie weggeblasen und ich wünsche mir einfach nur noch, dass er nie wieder zu singen aufhört. Aber das tut er. Und das leider schneller, als mir lieb ist. Die letzten Töne erklingen, dann ist es still. Valentin kratzt sich verlegen am Hinterkopf und kommt zu mir gerannt. „Okay… da waren jetzt ein paar Patzer drin, aber die kriegen wir schon noch raus,“ entschuldigt er sich sofort. „Das war unglaublich,“ platzt es nur aus mir heraus und ich sehe ihn völlig fasziniert an, noch nicht ganz Herr meiner Sinne. Daraufhin wird er rot. „Danke, aber im Ernst… Das können wir noch besser.“ Er lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen. Ein wenig ruht er in Gedanken, dann ruft er seinen Jungs zu, dass sie den Song noch mal spielen werden. „Ich meine es aber auch ernst, Valentin. Du hast wirklich Talent.“ Er wird wieder rot, weil ich ihm so viel Honig ums Maul schmiere und ich werde auch rot, weil ich schon wieder das Gefühl habe, ihn anzuflirten. „Tja, was du im Basketball bist, bin ich in der Musik,“ lacht er und dann steht er auf und geht davon, um weiter zu proben. Ich blicke ihm nach, noch ein wenig verwirrt von mir selbst. Und als sie weiterspielen, wird es noch schlimmer. Ich nehme ihn zum ersten Mal so richtig wahr. Jedes keline Detail an ihm, jede einzelne Wimper. Wieder schüttle ich den Kopf, weil ich mir so unglaublich dumm vorkomme. Was ist denn nur los mit mir? Eine geraume Zeit – und viele Songs – später, sind Valentin und die Anderen fertig und er tritt zu mir. „Sohooo,“ meint er gedehnt und streckt sich, ehe er mich anlächelt. „Sag mir dein vernichtendes Urteil.“ Das er immer noch glaubt, es nicht voll und ganz drauf zu haben. Ich schüttle ungläubig den Kopf. „Du bist viel zu kritisch mit dir selbst,“ kläre ich ihn auf und sehe ihn belustigt an. Wobei das eigentlich gut ist, denn nur so wird man besser. Dennoch… Es ist ungewohnt, dass er Größer ist, als ich. Ich sehe also zu ihm auf, weil er eben steht und ich noch sitze und in einem Anfall von Merkwürdigkeiten habe ich plötzlich das Gefühl, aufstehen zu müssen, um die Situation unter Kontrolle zu behalten. „Du weißt doch, dass ich es einfach großartig fand. Weil es auch großartig war.“ Nun lächelt er schon fast peinlich berührt. „Nun übertreib doch nicht so…“ Er wird ein wenig rot um die Nasenspitze und blickt zur Tür. „Lass uns gehen, ich geb dir einen Kaffee aus.“ Letztlich hat das Café, in das wir gehen wollten, schon geschlossen und so finde ich mich in Valentins heimischen Chaos wieder. Ich räume einen Berg von Klamotten von seiner schwarzen Couch, während er Kaffee kocht. Kurz darauf steht er auch schon, mit zwei Tassen im Gepäck, vor mir und ich nehme ihm eine von diesen ab. „Bock auf ne DVD?“, will er wissen und lässt sich neben mir aufs Sofa sinken. Ehe ich antworten kann, hat er schon ein paar Knöpfe auf seiner Fernbedienung gedrückt und der letzte Film, den er gesehen hat, beginnt von neuem. Ich blicke auf den TV. „War klar, dass du auf so Zeug stehst,“ meine ich und nehme einen Schluck Kaffee. Ich glaube, Gott muss mich wirklich hassen, dass er mir die Gestalt noch mal unter die Nase reibt. „Ich finde, jeder sollte mal ‚Sweeney Todd’ gesehen habe,“ rechtfertigt er sich, greift aber nach der Fernbedienung. „Wir können auch was anderes gucken,“ meint er hastig und ist im Begriff, auf ‚Stopp’ zu drücken. Ich schnappe nach seiner Hand, um ihn aufzuhalten. „Lass mal… ist schon okay.“ Dann fällt mein Blick auf meine Hand, die noch immer auf seiner Hand liegt und ich lasse ihn abrupt los. „So lange wir nicht einschlafen,“ meine ich und zucke betont gleichgültig mit den Schultern, „Ist es mir eigentlich egal, was wir gucken.“ Er nickt, lehnt sich auf seinem Platz zurück und ich tue es ihm gleich, bin aber ein wenig unruhig. Ich flippe noch total aus, wenn ich schon wegen so einer Nichtigkeit, wie dem Berühren unserer Hände, nervös werde. Wo soll das denn enden? Krieg ich demnächst einen Herzinfarkt, nur weil er mich ansieht? Ich versuche, die Gedanken zu verscheuchen, die mich da quälen, und konzentriere mich auf die DVD. Und so sehen wir den Film, trinken unseren Kaffee und schaffen es, nicht einzuschlafen. Nach dem Abspannt schnappe ich mir meine wenigen Sachen und gehe in meine Wohnung, um zu schlafen. Morgen ist immerhin Schule und ich möchte fit sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)