lediglich so geboren von Bleeding-Moon ================================================================================ Kapitel 1: lediglich so geboren ------------------------------- Es war regnerisch. Die dunklen Wolken zogen sich zu leichten Schwaden zusammen und meine Gänsehaut machte mich auf den schwachen Wind aufmerksam, der sich langsam ausbreitete. Mit einem seuftzen legte ich den Kopf in den Nacken und ein Donnern kündigte den ersten Tropfen an, der sogleich meine Nasenspitze zierte und sie herabglitt. Seit jeher begleitete mich der Regen und obwohl ich eher eine Frohnatur war, zierte er meine Wege wie die symbolische Gewitterwolke, die normalerweise über einem Pechvogel hing. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich meine Mutter mal um Rat gefragt hatte. Sie war gerade dabei meine Haare zu kämmen und als ich sie wie üblich im Spiegel ihres Schminktisches musterte, fiehlen mir die Wolken auf, die sich vor unserem kleinen Haus zusammen zogen. "Mama, warum verfolgen mich diese Dinger?" Verwundert hielt sie sofort inne, den Kamm noch immer in meinen Haarspitzen vergraben. Erst der eigene Blick durch das Fenster machte ihr meine Frage klarer. "Sie verfolgen dich? Wer sagt das?" Ihr abwehrender Ton lies mich meine Lippen zu einem schmollen verziehen, dass nur die Damenwelt schöner konnte. "Jeder sagt das. Die Stadtbewohner spannen ihre Schirme auf, sobald ich vorbeilaufe und keiner aus der Klasse will das ich zu einem Ausflug mit komme. Beim letzten Wandertag hast du mich sogar zuhause behalten, weil sich die Lehrerinnen geweigert hatten mich mitzunehmen." Wenngleich ich noch recht jung war, so entgingen mir trotz allem keine der Sticheleien. Ich war offiziell der Außenseiter und das für eine Sache für die ich nicht mal etwas konnte. Ihr seuftzen kündigte nicht nur eine Antwort an, sondern versicherte mir, dass ich Recht hatte. Leider spührte ich keinen Triumpf aufkeimen. "Weißt du mein Schatz. Du bist ein Kind Gottes und weil er dich so sehr liebt, versucht er in deiner Nähe zu bleiben." Etwas verwirrt drehte ich mich um. Anstatt nur ihre Spiegelung an zusehen fixierten ich ihr wahres Ich. Vorschend versuchte ich mir einen Reim zu machen, während ich nun eher unsicher aufssah und meine Erkenntniss preis gab. "Gott steckt in den Regenwolken?" Sie lächelte traurig und nickte. "Gott steckt überall und etwas seltsames in den Augen der anderen zu sein, bedeutet etwas besonderes in den Augen Gottes zu sein. Dein Weg wird nicht leicht, aber wenn du ihn mit erhobenem Haupt und offenem Herzen gehst, dann wird dir nie unheil wiederfahren." Sanft drehte sie meinen Kopf wieder dem Spiegel zu während der Kamm erneut durch das lange Haar glitt und ich mit gedankenverlorennem Blick auf die Spiegelung der Wolken sah, die nun fast nah genug waren, um uns zu beobachten. Mit einem Kopfschütteln vertrieb ich die Gedanken. Seit damals war viel geschehen. Ich hatte nicht nur meine Mutter verloren, sondern einige Jahre in Armut verbracht. Mittlerweile versuchte ich es mit einer, nun sagen wir künstlerischen Laufbahn. Ich arbeitete seit einigen Monaten als Model für einen selbsternannten Maler und Fotograf. Der Job brachte Geld und im Gegnsatz zu anderen Gebeutelten musste ich nicht ins horizontale Gewerbe abdriften. Ich durfte sogar einen Teil meiner Sachen anbehalten. Ein Kichern, denn der erste Moment unseres treffens war ein ziemliches Martyrium gewesen. Ich hatte mich auf seine Anzeige hin beworben und nach einem einfachen Telefonat sofort bei ihm geklingelt. Wie sich herausstellte war Yul ein Mann mittleren Alters in der tiefsten Midlife Crisis, die ich je gesehen hatte. Er war hochgewachsen, ging regelmäßig ins Fittnesstudio und aus einem Grund den ich bald darauf erfuhr, trug er damals einen äußerst sperrigen Kragen. Als ich also etwas verloren vor seiner Tür stand, starrte er mich eine ganze Weile einfach nur schweigend an. Ich sollte hierbei erwähnen, dass dies so ziemlich jeder tat, der mich das erste mal zu Gesicht bekam. Ein Freak hatte er sich wohl gedacht, doch mir war es egal. Es musste mir egal sein. Nach dem bereits erwähnten Tod meiner Mutter brauchte ich einfach Geld. Geld, welches er mir geben konnte, wenn ich seinen Anforderungen entsprach und das würde ich, soviel war sicher. Ausgeschrieben war das Ganze als eine Art Bilderszession. Er wollte malen brauchte dafür aber ein sehr androgynes Wesen und eben das war ich. Meine Schultern waren schmal, meine Taille für einen Mann sehr betont, meine Gesichtszüge weich. Ich hatte mir schon immer das Haar langwachsen lassen und konnte zwar nich mit einer Oberweite auffahren, aber wie zu Erwarten brauchte ich das gar nicht, denn Yul wollte mich vorerst zeichnen. Bis auf die Unterwäsche musste ich mich ausziehen, aber er würdigte meinen Körper keines Blickes, was mich damals eher verwirrte als beruhigte. Mein Haar nach oben gesteckt wartete ich auf seine Anweisungen. Die ersten male kam ich mir äußerst dämlich vor. Ich hockte einfach in einer Position vor ihm und wand ihm dabei immer den Rücken zu. Für Gespräche hatte er keine Zeit und die Musik die er mir zur Unterhaltung bot, lies mich eher noch ungeduldiger werden. Somit lauerte ich darauf, dass er seine Bilder anfertigte, die ich nie zu sehen bekam. Vor einer Weile schlief ich dann sogar ein und erst als er mich mit einem Pinsel an der Wange anstubste, wurde ich langsam wieder aufnahmefähig. Es war das erste mal das ich sein Lächeln sah. Es war so warm, dass ich fühlte wie die Röte in meinen Wangen aufstieg. Peinlich berührt wollte ich aus der Tür stürmen doch er hielt mich noch einen Moment zurück. "Das nächste mal probieren wir etwas Neues." war sein Versprechen. Mein Nicken und ich verschwand. Ich war schon immer nervös gewesen mein Körper kitzelte, sobald ich auf etwas wartete und irgendwie schien er das erkannt zu haben. In seiner neuen Idee, sollte ich endlich die Chance dazu bekommen mich zu bewegen. Ich konnte tanzen oder laufen was immer mir gefiehl, hauptsache es war fließend. In all diesen Freiheiten vergaß ich sogar, ihm den Rücken zu zuwenden und genau da erhaschte ich einen Blick auf den Hals des Mannes, der sich sonst hinter dem Kragen verbarg. Narben, Brandnarben, die sich so tief ins Fleisch gegraben hatten, dass selbst der Anblick schmerzte. Es war ein einziger kurzer Moment, er bemerkte es und sein mit Angst erfüllter Blick ließ mich erstarren. Es herrschte eine erdrückende Stille, ich wand mich wieder ab, zwang mich schier dazu und führte meinen Tanz fort. Heute ein üblicher Tag. Wie die Wochen zuvor, will ich ihm meinen nächsten Tanz zeigen und mit meinen Bewegungen berauchschen, auf das seine Bilder so schön werden wie nie zuvor. Woher der plötzliche Elan kommt, weiß ich selbst nicht, aber mein Herz schlägt kräftiger denn je. Yul öffnet mir die Tür, wie immer verhüllt. Ein sanftes Lächeln, ein letzter Blick zu meinen ewigen Begleitern nach draußen. Im Innern läuft bereits das Lied, dass meine heutige Aufgabe umfassen wird. Normalerweise gibt er mir ruhige klänge doch dieses mal wirkt es poppig. Macht es mich etwa nervös? Er nickt mir zu und ohne Worte trete ich vorbei. Mein Hemd aufknöpfend präge ich mir den Rhythmus ein. Der leichte Stoff geht zu Boden, gefolgt von der schweren Jeans. Mein Maler öffnet seinen Kragen, ich lasse meine Schuhe stehen und mit einem Griff auf die Komode ergatter ich eine Haarklammer, die meine langen Fransen an ihrem Platz festhalten würde. Mein Herz zusammenreißend bin ich bereit für den Tanz und die Musik startet erneut. Ich beginne ruhig. Verwende wenige Schritte, um mein momentanes Feld abzugrenzen. Der Rhythmus erklimmt meine Gelenke und nach wenigen Momenten spühre ich eine Kraft, die mir die Bewegungen entlockt, als hätte ich Jahre lang nichts anderes getan. Klare Wagnisse, jeder Schritt wird härter, stärker, Schlag um Schlag dringen meine Gefühle nach Außen. Mein Herz pulsiert im Takt, kämpft sich an meine Haut und versucht aus meinem Körper zu springen. Mir wird warm, mein Innerstes glüht und als ich mit meinem Rücken gegen Yuls Brust schlage, explodiert die Hitze in mir. Meinen Körper aus seiner Umarmung windend versuche ich die glühenden Wangen zu verbergen. Ich höre das Lied nur noch durch einen rauschenden Vorhang. Mein eigenes Blut vernebelt Gehörsinn und Optik. Schnell versuche ich Abstand zu gewinnen, aber meine Unsicherheit spielt ihm in die Hände. Ich weiche zurück, er stellt mir nach. Eine Hasche von wenigen Metern. Mein williger Körper lockt ihn, er greift ohne zu zögern zu und unsere Blicke berühren sich in stiller Übereinkunft. Seine Narbe prankt an seinem Hals. Meine Wolken entladen sich mit einem donnernden Blitz. Regen prasselt gegen die Fenster. So sind wir nun einmal geboren. Die Stimme der Sängerin verstummt, doch die Musik scheint nicht zu enden, bis ich merke, dass es nicht vom Radio kommt. Es ist ein Herzschlag. Mein Herzschlag Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)