Aus dem Leben gegriffen von Terri (One-shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 2: Auf Wiedersehen -------------------------- Es war nicht das Verlangen, dass sie dazu brachte. Es war die Not und die Abhängigkeit. Die Hose aus glänzendem Leder ließ sich bedeutend einfacher anziehen, als das Oberteil. Es musste vorn mit schwarzen Bändern fest zugeschnürt werden, damit alles hielt und ihr Busen nach oben gedrückt wurde. Manchmal benutzte sich noch eine glitzernde Creme, mit der sie ihre Schultern und die Brust einrieb, aber an diesem Abend verzichtete sie. Er war kein Stammkunde. Als sie damit fertig war, alles zurecht zu rücken, setzte sie sich auf den Rand der Badewanne und griff nach ihren Stiefeln. Der Absatz war zu hoch, als dass sie damit draußen auf den asphaltierten Straßen laufen könnte, aber in der Wohnung sah es fast schon annehmbar aus. Außerdem konnte sie dafür mehr verlangen. Das Material war ungewohnt, nicht unbequem, aber anders. Es klebte auf der Haut und wenn sie auftrat knirschte es ein wenig. Ein paar mal trat sie von einem Fuß auf den anderen, dann widmete sie sich ihrem Gesicht. Wie immer hatte sie sich schon geschminkt, bevor ihr Gast eintrat, aber es blieb noch genug Zeit, um die falschen Wimpern zu befestigen. Sie musste ganz fest sein, damit sie auch währenddessen nicht abfielen. Ihr Ebenbild blickte ihr im Spiegel entgegen. Die Augenringe waren zwar mit Puder abgedeckt, doch sie hatte immer noch das Gefühl, dass sie deutlich zu sehen waren. Widerwillig tastete sie ihr Gesicht ab. Die Wangen waren eingefallen. Sie lächelte, sah sich an und hörte wieder auf. Neben ihren Mundwinkeln bildeten sich kleine Falten. Sie war zu jung um auf so etwas zu achten, dem war sie sich bewusst. Mit ihrer Hand fuhr sie sich über Mund und Lippen. Die Person, die sie da ansah, war nicht sie. Im Moment zumindest nicht. Ein paar Sekunden starrte sie das Mädchen, dass ihr gegenüberstand noch an. Dann schüttelte sie ihre Haare kopfüber, warf sie zurück und öffnete die Tür. Er erwartete sie. Um ihre Kunden zu beschäftigen, gab sie ihren verschiedene Magazine zu lesen. Der Mann blätterte zwar darin, sah aber sofort auf, als sie den Raum betrat. Sie gab ihm noch einige Anweisungen, was die Bezahlung betraf, was er durfte und was sie extra berechnete. Er nickte. An solchen simplen Dingen erkannte man, wer sich das erste Mal bedienen ließ und wer diese Dienste öfters annahm. Die Neulinge stellen immer Fragen. Sie entschuldigen sich und sagen, dass sie einem keine Schmerzen bereiten wollen. Sie war froh, dass er nicht zu denen gehörte. Er wusste, wie es ablief und fing an sein Hemd aufzuknöpfen. Irgendwann hörte sie man auf ihre Kunden nach Äußerlichkeiten einzuschätzen. Man könnte sagen, dass sie das Gefühl dafür verloren hat, ob jemand attraktiv ist oder unansehnlich ist. Es war die Reine Dienstleistung um die man sich kümmerte. Ihr fielen vielleicht kleine Details auf, aber die waren schnell wieder aus dem Gedächtnis verschwunden. So sah sie zum Beispiel, dass der Mann vor ihr die besten Jahre schon lange hinter sich gelassen hatte. Die Haare auf seiner Brust färbten sich grau und sein Bauch lehnte sich über seinen Hosenbund hinaus. Zwischen seinen Augenbrauen hatte er ein dunkles Muttermal. Das alles waren Äußerlichkeiten, die überhaupt nichts bedeuteten, denn bald waren sie und auch diese Nacht, aus ihrem Gedächtnis verschwunden. Sie sagte nichts. Sie zog die Vorhänge zu um das Zimmer zu verdunkeln. Es war reine Routine. Sie war aufgeregt als sie im Bus saß. Die Menschen um sie herum wirkten träge, müde, genervt. Aber sie selbst musste unaufhörlich auf ihrem Sitz hin und her rutschen. Es hatte lange gedauert bis sie sich ein Herz fassen konnte und anrief. Das Papier hatte zerknittert in ihrer Hand gelegen und die Notiz, die in kursiven Buchstaben am unteren Rand geschrieben stand, musste sie mehrmals durchlesen, bis ihr klar wurde, dass es tatsächlich die Einladung zu einem Bewerbungsgespräch war. Als sie dann am Telefon den Termin ausmachte verhaspelte sie sich in jedem Satz und auch nachdem sie aufgelegt hatte, war die Unruhe nicht aus ihrem Körper verschwunden. Über vier Jahre lang, hatte sie sich erfolglos bei zahllosen Firmen beworben und plötzlich schien alles so schnell zu gehen. Sie konnte ihr Glück nicht glauben. Es waren nur ein paar Minuten Fußweg, den sie zurück legen musste, bevor sie vor dem massiven, weiß gestrichenem Gebäude stand. Es sah aus, wie auf den Bildern in der Broschüre. Sie zerrte nervös an ihrem Hemd herum, bis sie den Mut fand, hinein zu gehen. Die Frau mit den streng zurück gekämmten Haaren, die an dem Informationsschalter und verschiedene Anrufe tätigte, bat sie sich zu setzten. Sie sagte, man erwartete sie und sie solle doch solange warten, bis man ihren Namen ausruft. Das Stillsitzen fiel ihr dort genau so schwer, wie im Bus, doch sie bemühte sich, da sie einen professionellen Eindruck machen wollte. Es vergingen die längsten Minuten ihren Lebens, während sie auf die übertrieben große Uhr mit den wuchtigen Zeigern starrte. Es war noch recht früh an Morgen, trotzdem gingen einige Leute in Anzügen ein und aus. Sie sah sich jede genau an und musste lächeln, als sie sich vorstellte, diese Menschen vielleicht bald als Kollegen betrachten zu dürfen. Gerade als sie sich fragte, wie viele sich wohl für diese Stelle beworben haben, hörte sie ihren Namen durch einen Lautsprecher. Sie musste schlucken, plötzlich war die gesamte Nervosität zurück gekehrt und ihre Beine fühlten sich seltsam schlaff an. Unsicher tapste sie in Richtung des Raumes, der ihr vorher beschrieben worden war. Sie atmete kurz durch bevor sie die Tür öffnete. Der Raum war durch die deckenhohen Fenster hell beleuchtet. Am Rand standen einige Stuhl- und Tischreihen, die jedoch alle leer waren. Nur in der Mitte stand ein Tisch, dazu zwei Stühle. Der Mann in dem hinterem Stuhl, blieb sitzen, als sie herein trat. Sie grüßte unsicher und trat einige Schritte auf ihn zu. Er sagte ihren Namen und schien ihn bestätigt haben zu wollen. Ohne zu zögern bejahte sie. Er blätterte einige Papiere durch und ließ sie warten. Sie zupfte an ihren Ärmeln. Schließlich räusperte sich der Mann, zeigte auf den Stuhl vor seinem Tisch und bat sie, sich zu setzen. Ihre Augen überflogen unruhig den Schreibtisch. Es waren nicht viele Dinge darauf. Einige Ordner, eine Lampe, Post und ein Glas mit ungespitzten Bleistiften. Er fing an über ihr Bewerbungsschreiben zu sprechen, las aus ihrem Lebenslauf vor und sah sie das erste Mal direkt an, als er ihre Lebensdaten wiederholte. Sie nickte und blickte zurück. Erst sah er sie ein paar Sekunden an. Er schaute einen Moment lang weg. Dann starrte er sie an. Sie brauchte länger. Erst musste sie daran denken, wie aufgeregt sie immer gewesen war, wenn sie Bewerbungen geschrieben hatte. Sie fragte sich, ob sie ein Datum falsch geschrieben hatte. Ob sie die Jahreszahlen vertauscht hatte, oder ob sie anderswie verschrieben hatte. Verwirrt sah sie ihn an. Und dann sah sie ihn erstmals richtig an. Sie überflog seine Hände, die ihr Schreiben hielten. Überflog den Bauch, der sich unter dem dunklen Jackett ausbreitete. Die grauen Haare, die sich unter dem Hemd kräuselten. Und schließlich sah sie direkt in sein Gesicht, das sie anstarrte. Zwischen seinen Augenbrauen saß ein Muttermal. Sie hatte sie nicht vergessen. Dieses Mal hatte sie sich die Details gemerkt. Ihre Augen senkten sich. Ein paar Sekunden lang blieb sie nur still sitzen. Ruhig stand sie auf und er tat es ihr nach. Wortlos gaben sie sich die Hand. Sie schloss die Tür leise, als sie ging. Hosted by Animexx e.V. 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