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Parasomnia Kitten

Schlaf Schön Kleines Kätzchen
von

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Mona Lisas Lächeln

3. KAPITEL – Mona Lisas Lächeln
 

Die Sekretärin des Rektors beäugte Kitty äusserst misstrauisch, als sie die Tür langsam aufstiess und das Wartezimmer betrat. Sie war es gewohnt, dass Kitty hier auftauchte, aber dann war es stets wegen Angelegenheiten, die ihr mehr Arbeit bescherten, deswegen waren diese Auftritte der Brünette hier weniger beliebt.

»Hoffentlich nicht wieder wegen dem Debattierklub? Wir können nicht alles immer unterstützen.« War deswegen auch die wenig freundliche Begrüssung. Kitty gähnte. Sie war wieder einmal verdammt müde.

- Und ja, es war demonstrativ und die gute Frau sollte das auch merken.

»Nein.. ich muss zum Rektor.« Gab Kitty mehr patzig als verständlich zurück. Die Sekretärin rückte ihre Brille gerade und schüttelte dann entschieden den Kopf.

»Wenn es wieder wegen dem Debattierklub ist… er ist sehr beschäftigt. Füll einfach wieder eines der Formulare…« Kitty fuhr ihr ins Wort:

»Es ist nicht wegen dem beschissenen Debattierklub, ich wurde heute aus dem Unterricht geworfen..«

- Bist du jetzt zufrieden du alte Hexe?!

So hätte der Satz eigentlich noch weitergehen können, aber Kitty unterliess es. Einmal Ärger reichte für den heutigen Tag. Die Sekretärin sah sie auch jetzt schon geschockt an, denn solche Worte war sie sich von der zierlichen jungen Frau nicht gewohnt. Sie schnappte hörbar nach Luft und wollte sich gerade ereifern, als der Rektor im Büro plötzlich so laut sprach, dass man es im Wartezimmer nicht überhören konnte. Die Blicke beider wanderten zu der Tür.

»Eine derartige Unverschämtheit habe ich selten erlebt! Das dämliche Grinsen können sie sich gleich wieder abgewöhnen!« Kitty zog eine Augenbraue hoch und horchte weiter. Immerhin liess die ätzende Sekretärin sie so in Ruhe.

»Ihnen ist wohl nicht mehr zu helfen…! Sie wissen ganz genau, was das heisst!« Es folgte eine Pause. Wahrscheinlich redete nun der betreffende Schüler und das in einem normalen Tonfall, sodass nichts durch die Tür drang.

»Und jetzt gehen sie mir aus den Augen!!!« Die Tür öffnete sich. Heraus spazierte mit einem breiten Grinsen kein anderer als John Allerdyce. Hinter ihm knallte der Rektor wutendbrannt die Tür zu. Er zwinkerte Kitty zu, welche ihm irritiert hinterher sah. Sie war ihm aus dem Weg gegangen. So gut wie es ging. Und nachts sowieso. Dafür war sie inzwischen so unglaublich müde. Wenn sie nur schon an ein Bett dachte, fielen ihr fast schon die Augen zu. Ausserdem wollte sie das Büro des Rektors jetzt erst recht nicht mehr betreten, so wütend wie er war.

Sie hatte eine Vermutung, was der Grund für die Aufregung war. Heute morgen hatten in der gesamten Schule Plakate gehangen, auf denen der Rektor gemeinsam mit Miss Bradford – einer Lehrerin – in einer.. nun ja… eindeutigen Situation in einem Klassenzimmer zu sehen war. Ein wahrer Skandal. Später erfuhr Kitty, dass John nur wegen einiger Kommentare gegenüber Miss Bradford so hart bestraft wurde. Das Aufhängen der Plakate konnte ihm nicht nachgewiesen werden.

- Eigentlich war völlig klar, dass auch er derjenige gewesen war, der sie aufgehängt hatte… Wer sonst…?!

Aber ohne Beweise konnte der Rektor nicht wirklich viel machen.

Momentan wusste Kitty auch nur, dass sie nicht in das Büro wollte. Sie erhob sich erst, als die Sekretärin sie barsch darauf ansprach, ob sie hier Wurzeln schlagen wolle.

Langsam schob sie die Tür auf und grüsste so freundlich wie möglich. Der Rektor sah jetzt bereits genervt aus. Er wies sie an, sich zu setzen und meinte gleich zu Beginn:

»Wenn es wieder wegen dem Debattierklub ist, dann können Sie gleich wieder gehen! Ich habe gerade keine Geduld, mit ihnen über Gelder oder Räume zu diskutieren!« Sein Kopf war noch immer bedrohlich rot angelaufen. So ähnelte er einer Art Teufel…

Kitty erklärte ihm in wenigen Worten die Sachlage. Es hatte nichts mit dem Debattierklub zu tun und auch nicht mit der Bibliothek. Mit keiner ihrer sonstigen Aktivitäten an der Schule. Sie hatte im Unterricht geschlafen. Schon das fünfte Mal in dieser Woche. Das war nicht normal, sie war doch sonst eine der besten Schülerinnen. Das wusste jeder. Der Rektor sah sie überrascht an.

»Ein Rückfall?« Er klang besorgt. Kitty rollte mit den Augen. Das war jetzt aber nicht sein Ernst… Und sie war doch so müde…

- Wieso hatte eigentlich jeder das Gefühl, dass sie psychisch labil war…?!

Das war schliesslich vorbei. Schon lange. Kitty hätte ihn jetzt am liebsten angebrüllt, aber es war schliesslich ihr Rektor. Gutes Benehmen war also gefragt. Sie schüttelte lediglich den Kopf. Besser, wenn sie jetzt gar nichts sagte. So war das Risiko, etwas falsches zu sagen wesentlich kleiner.

»Sind Sie sicher..?! Ich meine, wenn, dann werde ich sofort für sie einen Termin bei unserer Schulpsychologin vereinbaren. Wir wollen nicht, dass Sie noch weitere Jahre hier an dieser High School verlieren. Sie gehörten längst ans College.« Während er geredet hatte, hatte Kittys Gesicht sich immer mehr verfinstert. Die Hände auf ihren Knien waren längst zu Fäusten geballt.

- Rektor hin oder her. Es reichte!

Er bot ihr wie einem Kleinkind ein Bonbon an.

- Es reichte wirklich!

»Das, hat nichts damit zu tun!« Meinte sie bissig und ereiferte sich dann: »Sie sollten sich lieber einmal fragen, ob mein Schlafen im Unterricht nicht etwas mit den dilettantischen Lehrmethoden ihrer Unterrichtskräfte zu tun hat! Vielleicht sind sie einfach nur todlangweilig, da kann ich doch nichts dafür, wenn ich dabei einschlafe!« Sie wusste, dass es Probleme geben würde. Wenn sie gesagt hätte, dass es wegen ihrer früheren Probleme war, dann hätte er den umsorgenden Rektor gespielt. Jetzt veränderte sich seine Gesichtsmimik jedoch auch von harmlos-nett zu rot und teuflisch, wie zuvor als er John aus dem Büro geworfen hatte..

»Na schön…« Die Ruhe vor dem Sturm. Er erhob sich langsam und kam um den Tisch, bis er hinter ihr stand. Sie stellte sich auf ein Donnerwetter ein, aber es war ihr eigentlich ganz Recht, so würde sie zumindest nicht einschlafen, während er mit ihr redete.

Die Sekretärin im Vorzimmer zuckte merklich zusammen. Ihr Blick richtete sich auf die geschlossene Tür. Die Stimme des Rektors drang erneut in einer äusserst ungewohnten Lautstärke nach draussen und das bei wohl der besten Schülerin der gesamten Schule…
 

Die Sache vom letzten Samstag Morgen hatte Bobby nicht los gelassen. Sie hätte es wissen müssen. Schliesslich glaubte sie doch, ihn am allerbesten von allen zu kennen. Er hatte John zur Rede gestellt… Sie vermutete zumindest, dass es deswegen war. Wegen den seltsamen Anspielungen des anderen. Kitty betrat mit einem Erste Hilfe Kasten und den Armen Bobbys Zimmer. Zufälligerweise war sie sowieso auf der Suche nach ihm gewesen, um ihm von ihrem Erlebnis mit dem Rektor zu erzählen. Jetzt hatte sie einen äusserst guten Grund gefunden, um sich vor ihrer kleinen Verabredung am nächsten Samstag zu drücken…

Aber stattdessen herrschte im Institut mal wieder das gleiche Szenario wie immer:

Bobby trifft auf John, Bobby fragt John über etwas, John provoziert, die beiden Prügeln sich.

Doppelt unangenehm war ihr das, weil es dabei um sie gegangen war.

Und noch unangenehmer, weil Alex Summers ebenfalls auf Bobbys Bett hockte.

- Denn Moment, das Szenario war noch nicht zu Ende!

Alex ging wie schon so oft dazwischen und verhinderte das schlimmste.

Kitty seufzte kaum hörbar, als sie den Kasten auf dem Bett abstellte und ihn öffnete. Sie wollte Bobby nicht ansehen. Konnte es kaum. Sie hatte erst davon gehört, als Alex sie gerufen hatte. Storm war damit beschäftigt, John zu verarzten, deswegen sollte Kitty den anderen der beiden Streithähne übernehmen. Bobby behauptete schon die ganze Zeit lautstark, dass Storm sich wie immer von dem John einlullen lassen würde.

- Das behauptete er immer.

»War das wirklich nötig…? Konntest du ihn nicht einfach ignorieren?« Meinte Kitty, als sie Desinfektionsmittel auf einen Wattebausch träufelte. Sie war nicht sicher, was genau die beiden dieses Mal als Streitgrund genommen hatte.

- War sowieso immer gesucht. Sie mussten sich einfach zoffen um glücklich zu sein. Irgendwie aber auch verständlich, John hatte immerhin versucht, Bobby umzubringen.

Alex hatte ihr vorhin zwar in kurzen Worten geschildert, dass er leider erst recht spät dazugekommen war, aber, dass ihr Name einige Male gefallen war… Aber wieso genau Bobby so ausgerastet war, dass wusste sie bis jetzt noch nicht.

»Oh, du verteidigst ihn also auch noch! Sehr schön, wirklich!« Zischte Bobby und wich ihrer Hand mit dem Wattebausch trotzig aus. Kitty seufzte erneut, sie war zu müde dafür. Er tat lästig und beleidigt, und sie wusste noch nicht einmal, was sie jetzt schon wieder falsch gemacht hatte, geschweige denn, was sie damit zu tun hatte.

Drei Tage nicht geschlafen. Ausser in der Schule, oder bei Lance. John aus dem Weg gegangen, auch nachts. Eigentlich eine gute Bilanz, von der Müdigkeit mal abgesehen.

- Moment mal!

Kitty ergriff Panik. Wenn John nun irgendetwas über ihr Schlafwandeln und die Folgen gesagt hatte.

- Katastrophe vorprogrammiert.

Sie spürte, wie sie nervös wurde und ihre Hand mit dem Wattebausch zitterte. Sie verfluchte sich dafür.

»Tut sie nicht, aber scheiss doch auf ihn! Er will dich provozieren, gut, dann ignorier ihn doch einfach!« Mischte Alex sich nun ebenfalls in das Gespräch ein. Sie war ihm dankbar dafür, aber falls John wirklich zu viel gesagt hatte, wollte sie nicht unbedingt, dass auch noch Alex davon erfuhr. Also wäre es ihr lieber gewesen, wenn er nicht hier gewesen wäre. Er hatte schliesslich keine Verletzungen davon getragen. Er hatte eben Übung darin die Streithähne zu trennen..

»Summers halt den Mund, du hast keine Ahnung, worum es eigentlich ging!« Gab Bobby zurück, noch immer darauf bedacht, Kitty auszuweichen.

- Kitty hatte doch auch keine Ahnung, worum es gegangen war.

Auch wenn Johns Schläge Bobbys Gesicht gezeichnet hatten. Er hatte keine Kräfte angewandt. So fair war er zumindest noch. Da kam der zukünftige Anwalt für Mutanten eben doch noch irgendwie zum Vorschein. So kannte sie ihn. Anders nicht.

»Ach, gehts nicht immer um das gleiche?!« Gab Alex nun in gleicher Lautstärke zurück.

Kitty wäre am liebsten eingeschlafen. Dahingehend war es äusserst gut, dass die beiden sich so laut unterhielten – oder besser stritten. Das hielt wenigstens wach. Ihr Blick wanderte zu Bobby. Sanft berührte sie seine Hand. Er zuckte zusammen. Die Temperatur seiner Haut senkte sich radikal ab. Sie liess jedoch nicht los. Er drehte ihr den Kopf zu. Sie verstand. Immerhin kannte sie ihn. Ausserdem dachte sie das gleiche.

»Alex.. das hier schaff ich auch alleine. Sie lieber mal nach Pyro und Storm.« Meinte sie bestimmt. Alex würde den versteckten Hinweis sicher verstehen. Havok sah zwischen ihnen beiden hin und her. Er schüttelte leicht den Kopf, ehe er sich erhob und ohne ein weiteres Wort aus dem Zimmer rauschte.

Kitty liess sich neben Bobby auf dem Bett nieder.

- Bett… Schlafen…

Sie durfte gar nicht daran denken. Ein Gähnen wurde so gut wie möglich unterdrückt. Sie fixierte Bobby. Er versuchte, sie nicht anzusehen.

»Was sollte das?« Wiederholte Kitty in sanftem Tonfall. Seine Körpertemperatur wurde langsam wärmer. »Wieso lässt du dich wegen einem Kommentar vor einigen Tagen so provozieren…?« Sie verstand ihn nicht. Überhaupt nicht. Und das kam niemals vor, weil sie ihn eigentlich kannte.

»Weil… weil das nicht der Grund war… höchstens ein Auslöser.« Bobbys Hände ballten sich zu Fäusten. Abrupt drehte er ihr den Kopf zu. Die eisig blauen Augen musterten sie. Sie konnte den Blick nicht deuten. Auch etwas, das niemals vorkam… »Es war.. weil er so getan hat, als würde er dich besser kennen, als ich es tue.«

Kitty sass da wie versteinert. Nur ihre Gesichtszüge zuckten leicht hilflos. Sie wusste nicht, ob sie laut lachen sollte oder einfach nur geschockt sein sollte. John hatte also doch von ihrem Schlafwandeln erzählt…?! Bobby glaubte es aber allen Anschein nach nicht gänzlich, aber irritieren tat es. Sie war so müde. Kitty schloss die Augen, senkte ihren Kopf und legte die Hand auf ihre Stirn. Das war zu viel für sie. Sie war einfach nur müde.

»Und, weil er es gewagt hat, von früher zu sprechen. Von damals…« Kitty sah wieder zu ihm auf und runzelte die Stirn. Es schien also vielleicht doch nicht um das Schlafwandeln zu gehen…

Bobby schien plötzlich emotional ergriffen. Er sah gegen die Decke und strich sich dann kurz unauffällig übers Gesicht. Sie sah ihn an. »Er hat schon damals sein Spiel gespielt und ich hab ihm mehr geglaubt als dir… Du weisst, was ich meine.«

Sie wusste es. Sie kannte ihn, sie kannte sich und sie wusste, wovon er sprach. Und genauso wusste sie auch, dass sie direkt auf eine Katastrophe zu schlitterten, wenn sie jetzt weiterredeten…

- Gratulation, John. Er musste nicht einmal da sein, um alles zu zerstören und er musste auch nicht einmal das Schlafwandeln erwähnen. Es ging auch anders.

Kitty schloss die Augen erneut. Sie war müde, aber sie schloss sie diesmal nicht wegen der Müdigkeit, sondern weil sie spürte, dass sie gleich weinen würde, wenn sie ihn weiter ansah.

»Und ich hab mich wieder einmal wie schon so oft gefragt, was geschehen wäre, wenn er damals nicht gewesen wäre, wenn ich damals dir geglaubt hätte und nicht ihm...«

Er wusste nichts von ihrem Schlafwandeln. Definitiv nicht. Eigentlich ein Grund zum aufatmen, aber Kitty war sich nicht sicher, ob das, was er gerade ansprach nicht ein noch schlimmeres Thema war. Beide waren ihr äusserst unangenehm

»Ich habe ihn damals nicht geküsst.« Sie log.

»Ich weiss.« Damals hatte er ihr nicht geglaubt. »Ich weiss es jetzt. Und es tut mir Leid.«
 

Es hatte durchaus auch eine Zeit vor den Albträumen gegeben. Vor dem Krieg, vor dem Leid, vor dem Schmerz. Es war keinesfalls eine Zeit gewesen, ohne Probleme, aber doch sehr viel unbeschwerter und freier. Noch vor Kellys Aufstieg, vor der ‚Cure‘, vor Alcatraz.

Sie hatte ihn in der Bibliothek getroffen. Sie hatte geglaubt, dass er ganz bestimmt nicht zu denen gehörte, die Bücher lasen. Sie hatte am Regal gestanden und gerade nach einer Ausgabe von Pride & Prejudice gesucht. Zwar hatte sie das Buch schon so oft gelesen, dass sie es eigentlich längst auswendig können sollte, aber trotzdem liebte sie es, immer wieder von vorne zu beginnen.

Ihr Blick war auf ihn gefallen. Erst hatte sie ihn gar nicht genau erkannt. Die Brille auf seiner Nase war ungewohnt. Er trug doch keine Brille. Hatte sie geglaubt zu wissen. Er trug sonst niemals eine. Jetzt schon. Wahrscheinlich fühlte er sich unbeobachtet. Die Bibliothek war leer. Er wirkte konzentriert. Vor sich auf dem kleinen Tischchen lag ein aufgeschlagenes Notizbuch. Ab und an lehnte er sich vor und schrieb einige Zeilen. Manchmal strich er durch. Sie hatte gestockt und ihn eine Zeit lang beobachtet. Erstaunt und überrascht. Er war doch keiner von denen, die lasen.

Sie hatte sich wieder dem Regal zugewandt, als sie merkte, dass auch er sie ansah. Sie stockte in der Bewegung. Das Buch bereits in der Hand. Sie sah zu ihm. Er ebenfalls. Er nahm die Brille nicht ab, aber er klappte das Notizbuch entschieden zu, jedoch ohne den Blick von ihr zu wenden.

Er war keiner von denen, die lasen…

- Bestimmt nicht!

Er erhob sich entschieden. Sie stand noch immer unbewegt. Er ging. Er ging einen Weg bei dem er nicht an ihr vorbeikam. Sie betrachtete das Buch in ihrer Hand, blätterte darin. Drehte es in den Händen und schnupperte daran. Sie liebte den Geruch von Büchern.

Dann setzte auch sie sich in Bewegung.

Kurz vor dem Ausgang hatte sie es dann liegen gesehen. Das kleine schwarze Einband, welches schon äusserst gebraucht aussah. Sie hatte sich gebückt. Sie hatte sich umgesehen. Er war nicht mehr da. Sie musste es ihm zurückbringen. Sie durfte nicht hineinsehen… Das durfte man nicht.

Sie roch daran. Es roch leicht verkohlt. Es war einmal ein dünnes Notizbuch gewesen, aber er hatte viele Seiten einfach hineingelegt oder hineingeklebt. Sie drehte es in ihren Händen. Sie schlug es auf.

- Er würde sie umbringen!

Texte, kleine Skizzen dazu, Gedichte, unfertige Schriften, Kritzeleien, Handschrift – kaum zu entziffern, hie und da eine Seite herausgerissen, dort ein Brandloch.
 

Mona Lisa vergass das Lächeln

Mona Lisa verlernte das Lächeln

Oder bist du lediglich eine gute Diebin

Mona Lisa sollte von dir lernen

Dein Lächeln ist unvergesslich

Bloss schönes Diebesgut

Lässt sich nicht verstecken

Doch ist es kein Lächeln,

sondern ein Strahlen
 

Freispruch!
 

Dieses Gedicht hatte sie mehr oder weniger zufällig aufgeschlagen. Es war schon älter, das zeigte das Datum. Sie musste lächeln. Er hatte es durchgestrichen. Aber nur mit einem Strich. Es war noch gut lesbar und sie mochte es irgendwie. Sie fuhr über die Zeilen. Seine Handschrift war zierlich. Ungewohnt. Genauso ungewohnt wie die Brille.

Er klappte das Notizbuch zu. Abrupt. Sie zuckte zusammen. Er hatte sich ebenfalls niedergekauert. Aber sein Blick war hart. Er zog ihr das Büchlein aus den Fingern. Sie fühlte sich schuldig, aber sie hielt es noch mit zwei Fingern. Er sah sie irritiert an.

»Wieso hast du es durchgestrichen…?« Zaghaft von ihr.

»Wieso liest du fremder Leute Notizbücher?!« Patzig von ihm.

»Ich mag es« Sie ignorierte, dass er unfreundlich war. Das war er immer. Und jetzt hatte er auch einen Grund dazu.

»Ich nicht!« Er zog jedoch nicht an dem Buch. Er sah sie an.

»Du mochtest es aber mal…« Stellte sie fest.

Er sah sie an und schwieg. Er schwieg ziemlich lange, sodass sie unsicher den Blick auf das Buch senkte. Sie hätte es nicht lesen dürfen. Sie fühlte sich schuldig. Umso erstaunlicher war, was er als nächstes von sich gab:

»Ich mochte auch dich mal.« Die Brille machte ihn intelligent. Sie hob den Kopf und sah fragend an. Das Gedicht handelte von ihr. Sie lächelte nicht. Seine Ehrlichkeit machte sie perplex. Und es war wahr. Das sah man in seinen Augen. Er meinte es ernst. Er log immer, aber das hier meinte er ernst. Er hatte die Maske aus Arroganz und Arschloch abgelegt und sah sie mit diesem ernsten, ehrlichen Blick an.

»Aber du magst Bobby…« Ergänzte er und zog sanft an dem Buch. Sie liess es nicht los. Stattdessen zog sie es zu sich. »Und er mag dich.« Er lächelte matt. Das Lächeln von jemandem, der wusste, dass er verloren hatte und das, ohne überhaupt jemals wirklich angetreten zu sein.

Sie liess ihn nicht aus den Augen und zog trotzdem weiter langsam an dem Notizbuch. Er liess es zu, was sie erstaunte. Er musterte sie mit seinen goldbraunen Augen. Es waren kleine Sprenkel in dunklerem Braun darin zu erkennen. Bisher war ihr das nie aufgefallen, denn bisher war sie ihm noch nie so nahe gewesen. Mittlerweile hatte sie das Notizbuch so weit zu sich gezogen, dass es auf ihrem Oberschenkel zu liegen kam, mitsamt seiner Hand. Sie sah ihn an.

Im nächsten Moment küsste sie ihn. Eine kurze Berührung ihrer beider Lippen. Sie hatte noch nicht wirklich viel Übung darin. Er war viel zu überrascht, ob geübt oder nicht. Sie wusste nicht wieso sie es tat. Es war lediglich ein innerer Drang, wenn auch verrückt.

Sie lächelte.

»Schuldig!« Meinte er grinsend.

Sie strahlte.
 

»Ich habe John damals wirklich geküsst, er hat nicht gelogen…« Die Wahrheit. Sie konnte nicht länger lügen. Die Erinnerung hatte Kitty wach gerüttelt. Sie hatte jahrelang gelogen. Weil John sie zur Lügnerin gemacht hatte.
 

John erzählte Bobby davon. Sie hasste ihn dafür. Bobby stellte sie zur Rede. Sie erzählte ihm das Gegenteil. Bobby glaubte seinem besten Freund. Kitty konnte sich nicht erklären, wieso sie so etwas dummes hatte tun können. Sie hatte sich mit der Erklärung abgefunden, dass es Mitleid gewesen war. Dass das Gedicht sie dazu gerührt hatte. Sie ging John und Bobby aus dem Weg. Wenig später lernte Bobby Rogue kennen und kam mit ihr zusammen. Eine Tatsache, die sie nur noch weiter voneinander entfernte.

Und jetzt, wo das eigentlich alles vergessen war, und Geschichte und verdränt… da kam John plötzlich und sprach das Thema erneut an. Und wieder hasste sie ihn dafür, denn wieder zerstörte er damit alles.
 

Der Eismutant sah sie versteinert an. Jetzt war Kitty diejenige, die versuchte, Blickkontakt zu vermeiden. Doch er sah sie weiterhin an. Und plötzlich hörte sie ihn lachen. Erst leise, dann laut und schallend. Es hatte etwas von einem Wahnsinnigen. Kitty sah zu ihm.

- Jetzt drehte er wohl völlig am Rad…

»Was ist daran so lustig…?« Kitty hatte Angst vor der Antwort, wenn sie ehrlich war. Sie hatte allgemein Angst davor, was er jetzt sagen würde.

»Der Mistkerl hat ein einziges Mal nicht gelogen…« Bobby lachte weiter. Ein verzweifeltes Lachen. »Und ich habe mir jahrelang Vorwürfe gemacht, weil ich ihm damals geglaubt habe und nicht dir.« Bobby fuhr sich durch seine Haare. Sie verstand immer noch nicht, wie er in einem solchen Moment lachen konnte.

»Aber weisst du, was wirklich witzig daran ist…?!« Seine Stimme klang plötzlich bedrohlich. Gar nicht mehr wie Bobbys Stimme. Mehr wie John. Sie merkte, wie sie leicht zurückwich. Er fixierte sie mit den eisig blauen Augen. Sie waren eiskalt. Sie waren sonst niemals so. Trotz des eisigen blau strahlten sie sonst immer wärme aus. »Eigentlich meinte ich nicht einmal das….« Kittys Augen weiteten sich. Sie war wie gelähmt. Sie hätte am liebsten die Zeit zurückgedreht, bis zu dem Zeitpunkt an dem sie ihm verraten hatte, dass sie ihn über Jahre angelogen hatte.

- Das hätte sie dann aber wohl ganz gerne schon öfters getan.

Über Bobbys Stirn lief frisches Blut. Ein besonders guter Treffer von John. Der Eismutant machte sich nicht die Mühe, es wegzuwischen. Kitty hätte es sich in diesem Moment niemals getraut, auch wenn es ihm wohl gleich ins Auge laufen würde.

»Es ging nicht darum, sondern…« Bobby lachte noch immer. Inzwischen war es ein bitteres Lachen. Er schüttelte leicht den Kopf. »Er wusste, dass wir nachdem er gegangen war und bevor Rogue geheilt zurückkam was am Laufen hatten.« Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, aber er hätte sie wohl sowieso nicht reden lassen. Bobby fuhr sogleich fort: »Und da habe ich mich gefragt: Du und ich wissen als einzige davon. Ich weiss zufällig, dass ich es ihm nicht gesagt habe….« Kitty begann entschieden den Kopf zu schütteln. Sie wusste, worauf Bobby gerade hinauswollte. Aber sie wusste auch, dass sie niemals mit John darüber geredet hatte. Sie hatte mit ihm über überhaupt nichts geredet!

»Ich auch nicht!« Gab sie zurück. Sein Tonfall gefiel ihr überhaupt nicht. Er war so fremd. »Wieso sollte ich ihm so etwas erzählen?!«

»Ach… weisst du, geküsst hast du ihn ja auch schon.«

- Wenn der gute Bobby wüsste, was sie sonst noch so alles mit John getrieben hatte…

Kitty musste fast schon ein Grinsen unterdrücken. Ironie der Situation.

- Aber seine Aussage war nicht fair…!

»Und da hat es dir auch nichts ausgemacht, mich über Jahre hinweg zu belügen! Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie enttäuscht ich von dir bin!« Er blinzelte. Das Blut war ihm ins Auge gelaufen. Kitty unterdrückte den Reflex, ihm den Wattebausch zu reichen oder gar selbst zu tupfen. »Wieso hast du ihn damals geküsst?!« Er packte sie. Sie mochte es nicht. An beiden Schultern. Sie versuchte sich aus seinem Griff zu winden.

»Ich weiss es nicht! Lass mich los, du tust mir weh!« Fauchte Kitty. Er hatte doch sonst niemals so gehandelt.

»Gute Ausrede, wirklich. Sehr originell und alles. Nur sagst du das immer! Was hast du für eine Ausrede dafür, dass wir nach Alcatraz zwar etwas hatten, aber nicht zusammen gekommen sind?! Wenn du jetzt mit Lance kommst dann…. Dann…. Wieso hast du ihn dann überhaupt erst betrogen?!« Er schüttelte sie. Kitty verzog das Gesicht. Ihr war nach weinen zu Mute. Es war keine Ausrede, was den Kuss mit John betraf, sie wusste es schlichtweg einfach nicht. Aber auf Bobbys andere Frage kannte sie die Antwort genau.

»Es war nicht wegen Lance...« Kittys Stimme klang erstickt, kläglich, brüchig. Sie wollte weinen. »Rogue kam zurück. Sie hatte sich für dich geheilt…« Meinte sie langsam. Sein Griff war eisern. Es tat weh. Sie phaste sich jedoch nicht einfach weg. Langsam begannen einzelne Tränen über ihr Gesicht zu rollen. »Versteh doch.. ich konnte nicht…! « Weil sie nicht so ein Mensch war. Sie hoffte es zumindest. Sie glaubte zumindest daran.

Bobby sah sie an. Er liess sie los. Sie sah ihm an, dass er gerne auch geweint hätte. Er raufte sich erneut die Haare. Das tat er immer, wenn er der Verzweiflung nahe war und nicht weiter wusste. Er überlegte. Sie strich sich die Tränen aus dem Gesicht.

»Die Ausrede ist weitaus besser… Aber was hältst du davon: Du konntest nicht mit mir zusammen kommen, weil du deine Entscheidung insgeheim schon vor langer Zeit getroffen hast! Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, du wolltest die ganze Zeit nur John, wieso hast du ihn sonst auf Alcatraz gerettet? Er hätte es verdient, zu verrecken!!!« Kitty erstarrte erneut. Sie sah ihn entgeistert an. Bobby lachte erneut. Diesmal war es dreckig. Er lachte doch sonst nicht so dreckig. Und er hätte niemals so etwas gesagt. Das war kein Anwalt für Mutanten, das war ein Rächer, der nach dem Motto Selbstjustiz handelte. Sie sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an.

»Aber nein… ich weiss die richtige Antwort: Du wusstest nie, was du willst. Du hängst doch nur an Lance, weil er dir damals das Leben gerettet hat. Und John… John kam wohl gerade richtig, weil du so einer Beziehung mit mir ausweichen konntest und mit Rogue war es das gleiche.« Das war hart, und es traf sie und er musste das wissen. Aber er hatte es trotzdem gesagt. Kitty schluckte. Sie wollte erneut weinen. Oder einfach schlafen und vergessen.

- Müde… Müde… Sie bekam Kopfschmerzen von alledem.

Sie musste hier raus. Kitty stand entschieden auf. Es reichte. Eigentlich war es verlockend, ihm jetzt unter die Nase zu binden, dass sie auch schon mit John geschlafen hatte. Irgendwie. Auch wenn sie sich daran selbst kaum erinnern konnte. Nur um die Reaktion zu sehen und zu geniessen. Aber sie sagte nichts darüber. Stattdessen:

»Du fragst mich, wieso ich ihn gerettet habe?! Dich habe ich doch auch gerettet, sonst hätte er dich umgebracht, wieso sollte er mir also wichtiger sein?!« Es war der Kuss von damals. Definitiv. Das hatte wohl immer an Bobby genagt, er hatte es nur niemals ihr gegenüber erwähnt. Dabei erzählten sie sich doch alles. »Und weisst du, Ich brauche keinen Grund, um ein Menschenleben zu retten. Du brauchtest früher auch keinen!« Brüllte Kitty, damit er endlich still war. Damit er endlich aufhörte, sich selbst kaputt zu machen. Damit er einfach damit aufhörte, wie John zu sein. Sie musste vor Aufregung nach Luft schnappen und meinte dann etwas ruhiger: »Es tut mir Leid, dass ich dich angelogen habe. Aber alles andere tut mir jetzt nicht mehr Leid. Und Samstag können du und deine Miss Perfect von Freundin gleich vergessen, ich muss die Schule putzen.« Sie hatte momentan wirklich andere Probleme – Schlafstörungen zum Beispiel – da musste er nicht auch noch ankommen. Konnte er nicht einfach einmal vergessen. »Aber ist sowieso besser so, bis du wieder normal bist. Hör dir doch einmal selbst zu.. Du bist.. du.. bist wie..!« Pyro. Kitty stockte. Wenn sie jetzt sagte wie Pyro würde das ganze mit der Eifersucht sicherlich von vorne losgehen. Und sie wollte eigentlich nur noch schlafen. Schlafen und vergessen. »Ach, weisst du was, du kannst mich mal!« Sie wollte sich umdrehen und aus dem Raum stürmen, doch er hielt sie am Arm zurück. Sein Griff war wieder viel zu stark. Sie verzog den Mund.

»Wir gehen Samstag trotzdem alle weg, verstanden…?! Lorna zu liebe, weil du dich schon so oft irgendwie rausgeredet hast. Das mit der Strafe war sicherlich auch Absicht. Seit ich dich kenne wurdest du noch nie bestraft. Im Ausreden erfinden bist du ja äusserst kreativ, wirklich! Wofür hast du die Strafe denn überhaupt gekriegt? Hat der Rektor rausgefunden, dass du doch nicht Mutter Theresa bist sondern eine miese Verräterin und Schlampe noch zugleich? Hat dir Spass gemacht, das alles, was?« Sie versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Sie mochte seinen Ton wirklich nicht. Und auch seine Ausdrücke nicht. Er hatte sie nie so genannt.

- Hatte der Mistkerl sie gerade Schlampe genannt ?!

Er hatte doch keine Ahnung. Sie war sogar jetzt noch so müde, trotz der ganzen Aufregung. Sie hatte keinen Kopf dafür.

»Und glaub mir ich hole dich persönlich bei der Schule ab, auch wenn ich am liebsten gar nicht mehr mit dir reden würde! Ich bin so verdammt enttäuscht von dir!«

- Hatte sie heute schonmal gehört. Er wiederholte sich. Blabla… es begann wirklich, ihr egal zu sein. Und er sagte gerade, dass er sich nur mit ihr abgeben würde, um seiner Freundin den Gefallen zu machen. Idiot! Sie wollte nichts mehr davon hören.

Kitty wollte sich verteidigen. Sie wollte es richtig stellen. Sie wollte sagen, dass sie im Unterricht eingeschlafen war. Eigentlich hatte sie vorgehabt ihm davon zu erzählen, ihm vielleicht sogar alles zu erzählen… Aber das war jetzt einfach nur noch undenkbar.

Bobby liess ihr sowieso keine Zeit, etwas zu erwidern:

»Aber am meisten bin ich enttäuscht, weil du Pyro scheinbar alles erzählst!« Das verletzte wohl sein Ego, dass sie ihm vielleicht weniger erzählt haben könnte. Kitty war aber ganz sicher, dass sie John nichts erzählt hatte. Niemals. Wieso auch. Sie versuchte verzweifelt sich zu erinnern, aber ihr fiel keine Gelegenheit ein. Sie würde den Feuerteufel zur Rede stellen.. und wie. Denn er war eigentlich der Auslöser des Streits mit ihrem besten Freund!

»Bobby, ich scheiss drauf, was du denkst!« Fauchte die zierliche Braunhaarige schliesslich hilflos. Es wuchs ihr alles über den Kopf. Sie riss sich entschieden von ihm los. Es ging nur mit Hilfe ihrer Kräfte. Es hatten sich an ihrem Handgelenk bereits rote Stellen gebildet.

»Ah, schön, dass du jetzt endlich mal dein wahres Gesicht zeigst!« Bobby konnte sehr hart sein, wenn er wollte. Das hatte er früher schon gekonnt und das wusste sie. Nur war er es früher niemals gewesen. Zu niemandem und zu ihr schon gar nicht. »Und ich dachte immer, John spielt miese Spielchen. Aber du.. du bist definitiv noch besser darin, ihr würdet perfekt zusammenpassen!« Rief Bobby ihr hinterher. Und das traf sie wirklich. Sie beschleunigte ihre Schritte, weil sie wusste, dass sie gleich in Tränen ausbrechen würde.

Kitty war einige Gänge gerannt. Dann lehnte sie sich keuchend gegen eine Wand. Sie begann hemmungslos zu schluchzen. Bobby hatte doch keine Ahnung. Sie sank langsam der Wand entlang nieder zu Boden, wo sie zusammengekauert und weinend sitzen blieb. Die Beine gekreuzt, den Kopf in die Hände gestützt. Sie war so wütend auf Bobby, dass er sie mit John verglich. Sie war nicht stolz auf alles, was sie getan hatte, bestimmt nicht. Aber für alles gab es einen Grund.

Sie hatte damals nach Alcatraz etwas mit Bobby angefangen, weil sie sich von Lance im Stich gelassen gefühlt hatte.

- Dumme Ausrede, natürlich. Bobby hatte schon irgendwie Recht.

Aber Lance hatte sich verändert nach dieser einen Schlacht. Nachdem sein bester Freund Pietro gegangen war. Er war nicht mehr dieselbe Person gewesen. Sie sprachen seither nicht mehr dieselbe Sprache. Sie hatte sich selbst ertrinken sehen in all dem Leid und Bobby war der rettende Anker gewesen…

Sie war nicht mit ihm zusammen gekommen, weil Rogue zurückgekehrt war. Geheilt oder besser einfach der Kräfte beraubt. Sicherlich hatte sie es grösstenteils wegen Bobby getan. Kitty hatte nicht weitermachen können… Denn sie war nicht so.

Das einzige, was sie sich selbst jedoch nicht erklären konnte, war dieser eine Kuss von damals. Wieso sie in diesem Moment so gebannt von John gewesen war, dass sie den Drang verspürt hatte, ihn küssen zu wollen und dass sie einfach nachgegeben hatte. Seine Worte waren ernst gemeint gewesen. Das hatte sie ihm angesehen. Aber genauso ernst wie er gemeint hatte, dass er sie einmal gemocht hatte, hatte er auch gemeint, dass er sie zu dem Zeitpunkt nicht mehr mochte, weil sie Bobby mochte. Und doch hatte sie ihn geküsst. Obwohl sie selbst glaubte, dass sie Bobby mochte. Es hatte sich einfach irgendwie richtig angefühlt.

Kitty schloss die Augen. Sie glaubte, dass es nur war, um die Tränen etwas zu stoppen, aber sie war so müde…
 

»Er wollte wissen, wieso ich dich gerettet habe. Damals. Alcatraz. Du weisst schon. Er meinte, weil ich immer nur dich wollte.« Kitty hörte ihre Stimme und spürte, wie sich ihr Mund bewegte. Aber sie hatte nicht das Gefühl, diesen Satz gerade selbst gesagt zu haben. Sie blinzelte. Sie sass auf einem Bett. Jemand hatte von hinten die Arme um sie gelegt. Sie schnupperte.

»Weil ich deins auch gerettet habe. Damals. Du weisst schon. Und ich hoffe mal, dass da doch irgendetwas Wahres dran ist…« Sie stockte und horchte. Er imitierte sie, sicherlich um sie zu necken. Aber viel wichtiger war der Inhalt seiner Worte. »Wobei du dann auch die warst, die mich der Polizei übergeben hat… von daher nicht unbedingt ein schlüssiges Argument.. Irgendwie.« Er redete gerade mehr zu sich selbst, als zu ihr. Langsam begann auch Kittys Verstand wieder einwandfrei zu arbeiten. Das war Johns Stimme. Sie musste eingeschlafen sein, in dem Gang. Das musste sein Zimmer sein. Eigentlich hatte sie jetzt einen Schock und eigentlich hätte sie ihn am liebsten von sich weg gestossen. Aber er hatte gerade das angesprochen, was ihr Kopfzerbrechen bereitet. Ob er gelogen hatte oder nicht. Ob er ihr das Leben gerettet hatte und wenn ja, wann…?

- Definitiv einen Lüge!

Er fuhr nicht fort. Sie rollte ungeduldig mit den Augen und versuchte ihre sanfte Stimmlage von vorhin zu imitieren, auch wenn sie am liebsten gebrüllt oder geschrien hätte:

»Nein, der Grund ist ganz einfach, dass ich niemanden einfach so sterben lasse…!« Gab sie zurück und wartete. Vielleicht würde er von selbst noch einmal auf das Thema zurückkommen. Doch er schwieg. Stattdessen küsste er sie sanft aufs Haar. Wieder der Drang ihn weg zu stossen, aber gleichzeitig dieses warme Kribbeln.

»Ich weiss.« Antwortete John. Sie konnte ihn praktisch lächeln hören. Irgendwie hörte es sich gut an. Aber er würde nicht mehr weiterreden. Und das ärgerte sie. Sie gab sich nicht einmal mehr die Mühe, sich zu verstellen:

»Und nein, nicht, weil du mir mal das Leben gerettet hast. Denn das ist gelogen! Du bist so ein Lügner!« Sie sprang mit einem weiten Satz auf und drehte sich zu ihm um. Er fuhr sich durchs Haar. Irgendwie schien er sich gerade ertappt zu fühlen. Wenn er sich durchs Haar fuhr, wirkte es ganz anders, als bei Bobby. Nicht ärgerlich, sondern mehr verlegen. Es verlieh ihm sogar etwas Schüchternes.

»Wie du meinst, Kitten.« John zuckte gleichgültig mit den Schultern und gähnte. So hatte er vorhin noch nicht geklungen. Jetzt lag in seiner Stimme das pure Desinteresse, zuvor hatte er sich ernsthaft mit ihr unterhalten. Aber ihr war das momentan gänzlich egal.

- Und, achja, sie trug alle ihre Kleider, das war ja mal etwas ganz neues !

»Genau!« Kitty hasste es, wenn er so tat, als würde sie nicht mit ihm reden und als würde es ihn nichts angehen. »Aber egal, es interessiert mich nicht! Aber wenn ich schonmal hier bin: Was habe ich dir alles noch erzählt?!!« Sie hatte die Hände in die Seiten gestemmt und stand so vor ihm. Er sass noch immer auf dem Bett. Gerade hielt er es für wichtiger, sich eine Kippe anzustecken, als mit ihr zu reden. Bobby hatte auch ordentlich zugeschlagen. John hatte ein Pflaster über dem linken Auge, welches zudem noch geschwollen war. Ausserdem auch sonst blaue Flecken oder gar Blutergüsse. Sie hatten sich wirklich nichts geschenkt. Irgendwie tat es ihr Leid und irgendwie hätte sie das auch gerne gesagt. Obwohl sie ja eigentlich gerade wütend war.

John schwieg und sah sie einfach nur an. Er sah immerhin nicht durch sie hindurch, aber er reagierte auch kein bisschen auf ihre Frage. Stattdessen bliess er Rauch aus. Er musste wissen worum es ging. Er wusste es ganz genau. Wie oft hatten der Professor und später Storm ihm schon gesagt, dass man im Haus nicht rauchen durfte. Eigentlich hielt er sich daran. Eigentlich also seltsam, dass er sich nun trotzdem eine ansteckte.

- War er vielleicht nervös?

»Rede verdammt! Hat dir mein.. mein Schlafendes Ich sonst noch etweas erzählt?!« Sie wurde hysterisch. John legte den Kopf leicht schräg. Er musste schmunzeln. Kitty nicht. Er machte sich über sie lustig.

»Nein.« War seine einsilbige Antwort. Eine glatte Lüge. Sie wusste es und er konnte es vielleicht ahnen und er log ihr trotzdem ins Gesicht.

- John, der König der Lügner.

Aber war sie nicht genauso gut im lügen wie er… Kitty verdrängte den Gedanken und schnaubte ärgerlich. Es gab eine kurze Pause. Sie musste sich etwas überlegen. Taktik ändern. Schliesslich kam ihr ein Gedanke.

»Wieso hast du Magneto verraten…?« Das hatte sie sowieso schon immer wissen wollen und jetzt kam es gerade recht. Sie wollte ihn reizen.

John sah sie wieder nur an. Sein Blick hatte sich verändert. Unnahbar und eiskalt.

»Ich werde nicht über dieses Thema reden!« Meinte er schliesslich und erhob sich entschieden. Er ging einige Schritte und blickte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Der Rauch umspielte ihn. Kitty grinste zufrieden.

»Gut, wenn du nicht darüber reden willst…« Sie folgte ihm und legte spielerisch die Arme von hinten um ihn. Er zuckte zusammen, wohl nicht wegen der Berührung aber weil ihre Stimme so sanft war wie zu Beginn. Sie schmiegte sich enger an ihn. »Dann ist das auch in Ordnung…« Das brachte ihn wohl auch dazu, sich wieder zu ihr umzudrehen. Sie liess ihre Arme sinken. Immer noch das war das berechnende Grinsen auf ihren Lippen.

- Überraschung… und erwischt!

Sie fügte in wesentlich härterem Tonfall hinzu:

»Aber dann sag mir jetzt endlich, was ich sonst noch zu dir gesagt habe! Bobby hast du ja auch schon so einiges erzählt!« Er merkte natürlich sofort, dass sie nur gespielt hatte. Irgendwie war ihm die Enttäuschung anzusehen, auch wenn er es zu verhindern versuchte. Aber er fing sich wie immer schnell und ersetzte den Ausdruck durch Ernst und Kühle. Er hatte begriffen, was sie meinte und wohl auch, dass er sich damit verraten hatte und sie deswegen wusste, dass er log.

»Na schön, wenn du die Tour willst, dann kannst du sie haben!« Die drohende Stimme erinnerte ganz an ihren Streit mit Bobby. Sie war immer davon ausgegangen, dass Bobby das von John hatte.

- Aber konnte es nicht vielleicht umgekehrt der Fall sein…?

Kitty wich leicht zurück. John packte sie nicht wie Bobby und schüttelte sie auch nicht vor Wut. Das erstaunte sie. Er meinte einfach nur schneidend:

»Also gut, du wolltest es nicht anders: Du hast gesagt, dass du mich liebst.«

Kitty stockte. Sie blinzelte überrascht. Mit allem hatte sie gerechnet, aber damit sicherlich nicht. Ihr Mund wurde trocken, ihr Hals wie zugeschnürt. Gleichzeitig spürte sie jedoch auch, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann, als er diese Worte erwähnte.

Seine Worte waren in einem anderen Sinne hart als Bobbys Worte. Eigentlich gar nicht prinzipiell bösartige Worte, aber so wie er es gesagt hatte, gab er dem ganzen einen bitteren Beigeschmack. Ausserdem ging es um sie beide. Um sie. Es verschlug ihr schlichtweg die Sprache. Kitty stützte sich hilflos mit einer Hand an der Wand neben sich ab. Er beobachtete sie sichtlich zufrieden.

»Oh John… Wann hörst du endlich auf zu lügen..?« Kitty zwang sich, einmal kurz aufzulachen. Mehr verzweifelt als selbstsicher. Aber er sollte aufhören, so zufrieden zu grinsen. Bobby konnte sie leicht wütend machen. Ihn kannte sie. John hingegen schien durch nichts wirklich aus der Ruhe zu bringen.

- Wobei man ihm zu Gute heissen musste, dass er damals, den Kuss betreffend auch nicht gelogen hatte… Aber egal!

»Dann, wenn du aufhörst, immer wieder zurückzukommen!« Gab John triumphierend zurück. Es war gleichzeitig entwaffnend. Denn darauf konnte sie nichts erwidern. Sie sahen sich an. Kitty schüttelte nur langsam den Kopf. Mehr zu sich selbst als zu ihm. Er rauchte nur.

Es war, als hätten sich ihre Albträume damals, als sie aufgehört hatten, selbstständig gemacht und sich auf ihr Leben übertragen. Denn so kam es ihr gerade vor. Sie hatte nie darüber nachgedacht und jetzt war ihr auch klar, wieso nicht…

»Und wenn wir schon dabei sind, dann können wir doch auch gleich darüber reden, wieso du von dem Angriff auf dem Institut an über ein Jahr nicht zur Schule gegangen bist..!« Setzte John nach. Das brachte Kittys mutige Fassade endgültig zum zerbersten und zurück blieb sie ganz alleine. Schutzlos.

- Wieso wusste er davon…?

Sie sah ihn wie versteinert an.

Kitty hatte gerade eine erschreckende Feststellung gemacht.

Sie drehte sich wie in Trance wortlos um und verliess das Zimmer durch die nächstbeste Wand.
 

Kitty hatte darüber nachgedacht, wann ihre Albträume aufgehört hatten und die erschreckende Feststellung war, dass das ungefähr in dieselbe Zeitspanne fiel, wie Johns Rückkehr ans Institut.
 


 


 


 


 

»Ich habe ihn gefunden…!«

Aus dem 24. Stock einem New Yorker Apartment war zu beobachten, wie gerade ein Mann mit hellem blonden Haar das Gebäude verliess. Es kam eines dieser für Sommer typischen Gewitter auf, weshalb er notbedürftig seine Jacke über den Kopf zog und so schnell wie möglich zur nächsten U-Bahnstation rannte.

Lorna Dane liess den weissen Vorhang zurückfallen. Das Telefon hielt sich noch immer an ihr Ohr. Sie spielte mit dem Glas Wein in ihrer Hand. Auf dem kleinen Tischchen vor dem Sofa stand ein weiteres leeres Weinglas, daneben die Weinflasche.

»Alex war gerade bei mir und hat mir etwas wirklich Interessantes erzählt…« Sie lächelte zufrieden und lehnte sich dabei gegen die Küchentheke. »Du wirst nicht glauben wo er sich versteckt hat…« Lorna lachte amüsiert auf. Wie lange hatte sie jegliche Gefängnisse abgesucht – wobei sie sich jeglicher Kniffe hatte bedienen müssen. Dann war sie auf psychiatrische Anstalten und anderes ausgewichen. Aber auch das hatte sie nicht weiter gebracht. Er war gut im untertauchen.

Eine kleine Pause, während die Person am anderen Ende sprach.

»Er hat wohl keine sonderlich hohe Strafe bekommen. Ich kann mir auch denken, wieso.. Wo er dem Staat doch so nützlich war.« Lorna stellte das Weinglas auf der Theke ab. »Er ist zurück nach Hause. Und sie haben ihn wieder aufgenommen. Das war zu erwarten. Darauf hätte ich auch schon früher kommen können.« Lorna zog an ihrem blonden Haar. Nur eine Perücke. Sie hasste es, aber es musste sein. Ihre richtigen Haare waren straff hochgesteckt, damit keines jemals unter der Perrücke hervorkam. Mit wenigen Handgriffen entfernte sie sämtliche Klammern. Sie schüttelte ihre eigentliche Haarpracht. Grünes Haar. Sie liebte ihre Haarfarbe. Aber für die Allgemeinheit war es nicht ‘normal’ genug.

»Und das wird die ganze Sache kinderleicht machen.« Sie grinste siegessicher. Alex hatte vor knapp einer Stunde vor ihrer Tür gestanden. Aufgeregt und irgendwie auch wütend. Sie hatte ihn natürlich eingelassen. Er hatte ihr erzählt, dass ihr Freund sich geprügelt hatte. Er hatte auch die Umstände erwähnt.

- Es war wirklich praktisch, wenn jemand in einem verliebt war…

Aber vor allem hatte er John Allerdyce erwähnt.

Bobby hatte nie davon geredet. Natürlich nicht, er hasste John. Sie hatte niemals nachgefragt, weil sie gar nicht an die Möglichkeit gedacht hatte, dass John sich vielleicht im Institut aufhalten könnte.

- Alex erwies sich doch noch nützlich. Und Bobby auch. Es war also doch nicht alles umsonst.

»Aber je einfacher es für mich wird, desto schlimmer wird es für Pyro.« Die metallenen Messer zitterten gefährlich in den Schubladen. Es waren unheimliche Geräusche zu hören.

- Bobbys menschliche Freundin war scheinbar doch nicht so menschlich…

»Die miese kleine Ratte wird es noch bereuen, unseren Vater verraten zu haben, das schwöre ich dir, Pietro«



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kokoro-
2011-11-10T20:42:22+00:00 10.11.2011 21:42
BUFF! Oh man... was für ein Kapitel °_°
Also das mit Lorna hab ich mir schon gedacht... Wenn Kitty von Anfang an ein komisches Gefühl hatte was das anging, dann kann man dem Kitten auch vertrauen. Bin ich ja mal sehr gespannt was da noch folgt mit ihr und Pietro! Die sollten mir bloß Johnny in Ruhe lassen.

Des Weiteres... ich mein, ich hab Bobbby noch nie gemocht... aber was bitte soll dieses extrem assoziale Verhalten gegenüber Kitty? Für wen hält sich der Affe? Tz... Klar, hats n Grund, aber ich an ihrere Stelle hätte ihm spätestens bei "Schlampe" eine geknallt. Aber wie!

Und John tut mir echt leid... In der Hinsicht mag ich Kitty schon wieder nicht xD Also wenn sei schlafwandelt, merkt man ja wie toll er ist und sie macht voll einen auf Unnahbar... und er dann immer so traurig.. BUHU! Uncool von Kitty! ò_ó
Aber hoffentlich merkt sie es bald ♥

Ich hoffe du findest doch bald mal Zeit mal wieder zu schreiben ♥ Ich bin sehr gespannt wie die Geschichte weiter geht!
:-*


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