Der Tag, an dem der Himmel leuchtete von Shaan ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Der Tag, an dem der Himmel leuchtete „Großvater? Großvater Renki?“ Die helle, kindliche Stimme zauberte ein sanftmütiges Lächeln ins Gesicht des Angesprochenen, das sich noch vertiefte, als er seine Enkeltochter auf sich zukommen sah und sie ihm auf den Schoß kletterte. „Was ist denn, Anki?“, fragte er mit seiner tiefen, etwas brummenden Stimme, die Anki so gut gefiel. „Erzählst du mir eine Geschichte?“, fragte das kleine Mädchen und sah ihren Großvater bittend an. Renki runzelte nachdenklich die Stirn und nickte schließlich. „Hast du schon einmal die Geschichte von Tuck gehört, der den Himmel leuchten ließ?“, fragte er dann und legte den Kopf leicht schief, um Anki eindringlicher ansehen zu können. Es kam früher oder später der Tag, an dem man den Jünglingen diese Geschichte der Entstehung von Generation zu Generation weiterreichte, um sie so im Gedächtnis zu behalten. „Nein, wer ist Tuck?“ Ankis Augen begannen zu leuchten, als die Erwartung an eine gute Geschichte in ihr aufstieg. Renki hob Anki hoch und setzte sie vor seine Füße auf den Boden. „Warte einen Moment“, meinte er und erhob sich schließlich selbst, um hinüber zu einem Regal voller alter Bücher zu gehen. Er ließ seinen Blick über die Buchrücken schweifen, bis er fand, was er gesucht hatte. Renki zog das älteste Buch, das er besaß, heraus und strich ehrfurchtsvoll darüber, fast als befürchtete er, der alte ledrige Band könnte zerfallen. Der Alte kehrte kurz darauf zu seinem Sessel zurück, machte es sich in ihm bequem und bettete das Buch in seinem Schoß. Anki, die es sich auf dem Boden gemütlich gemacht hatte, sah ihren Großvater mit großen Augen erwartungsvoll an. „Erinnerst du dich daran, als du mich gefragt hattest, warum wir ‘Die Tuck’ genannt werden?“, fragend sah er seinen Nachkömmling an, welche zur Antwort nur nickte. „Nun Tuck, dessen Geschichte ich dir jetzt erzählen werde, gehörte zu unserer Gemeinschaft. Das was er tat, hat uns alle verändert, so sehr, das sich unsere Vorfahren dazu entschlossen, ihn noch mehr zu ehren und begannen sich selbst ‘Die Tuck’ zu nennen.“, erklärte er. Wieder sah er das Leuchten in Ankis Augen das vom Feuer das im Kamin brannte noch verstärkt wurde und klappte dann das Buch auf. Das Leder des Buchrückens begann protestierend zu knarren, die Seiten knisterten trocken und kündeten davon, dass die Geschichte wirklich schon vor sehr langer Zeit niedergeschrieben worden war. Renki räusperte sich noch einmal und begann zu lesen: ‘Tuck war so groß wie ein Reiskorn, also nicht kleiner, aber auch nicht größer als alle anderen unserer Vorfahren zu dieser Zeit - und er war auch nicht sonderlich schlau. Das einzige, was ihn von den anderen unterschied, war seine Abenteuerlust. Er glaubte fest daran, dass die einfache und dennoch harte Arbeit nicht alles sein konnte. Wenn Tuck von seinen Träumen erzählte, in die große weite Welt hinaus zu gehen, lächelten sie über ihn und nannten ihn Träumer oder Wirrkopf. Niemand glaubte, dass Tuck dort draußen alleine überleben könnte, nicht unter all den Riesen die dort herumgingen. Doch der einfache Arbeiter Tuck hörte nicht auf davon zu sprechen, hielt an seinen Träumen fest. Manche lächelten nur noch darüber, ein Lächeln das verblasste, als er es wirklich tat und hinaus ging. Nicht nur, um Essen zu suchen und in den Bau zu holen, wie er es jeden Tag tat, er wollte mehr von dieser Welt dort draußen sehen. Angelockt von einem süßen Duft, entfernte er sich weiter als jemals zuvor vom Bau und war überrascht, was sich ihm dort bot. Hinter dem Stückchen Rasen in dem der Bau lag, erstreckte sich harter, fester Boden, in dem man nicht graben konnte und der zudem nicht einmal braun oder grün war, sondern nur grau.’ Renki unterbrach die Geschichte kurz und sah auf, um Anki zu betrachten, die ihn mit offenem Mund ungläubig ansah. „Stimmt es wirklich, was da steht, Großvater? Wie kann Tuck nur so klein gewesen sein?“, fragte sie ihn mit noch immer piepsiger Stimme. „Oh doch, Anki. Es stimmt. Aber du wirst verstehen, wenn ich die Geschichte zu Ende erzählt habe.“, versicherte der Alte und lächelte wieder. Erneut begann er zu sprechen, sah jetzt jedoch nicht mehr ins Buch, zu oft schon hatte er diese Geschichte erzählt, zu oft den Geruch der alten Seiten gerochen, um die Geschichte nicht längst schon auswendig zu können. ‘Tuck verstand nicht, das man in solch einer Gegend aus grauem Stein leben konnte, aber nur kurz dachte er wirklich daran zurück zu gehen, zu den anderen, ihnen zu gestehen, dass sie Recht hatten. Mutig setzte er einen Fuß vor den anderen, näherte sich immer weiter dieser ihm so unbekannten Welt, die ihn förmlich anzuziehen schien, wie das Licht eine Motte. Er lief lange, bestaunte all die seltsamen Dinge der Riesen, die hier auch herumgingen und ihn nicht beachteten, Tuck wohl noch nicht einmal bemerkten. Abenteuerlustig wie er nun einmal war, wagte er es sogar, den Bau der Riesen zu betreten. Auch dort empfing ihn alles grau in grau. Boden, Wände, Decken, ja selbst die Türen. Erneut fragte er sich, wie man in einer solchen Umgebung nur leben konnte und vor allem wo die Riesen hier ihr Essen herbekamen. „Was hat er denn gerochen?“, fragte Anki aufgeregt und unterbrach so die Erzählung, woraufhin Renki nachsichtig lächelte. „Stelle dir dein Lieblingsessen vor. Du magst doch Süßigkeiten oder? So etwas Süßes hat Tuck gerochen und sich vom Geruch leiten lassen, um zu finden, was so gut riecht“, erklärte der Großvater. „Das muss etwas sehr leckeres gewesen sein.“, erklärte dann die Kleine mit einem fröhlichen Lächeln im Gesicht. „Ja, das war es auch und es hat ihn unvorsichtig werden lassen. Aber lass mich nun weiterlesen.“, forderte er und begann erneut zu erzählen, als ihn seine Enkelin wieder aufmerksam ansah. ‘Der Geruch führte ihn in einen sehr seltsamen Raum. Er war noch seltsamer als alles, was er an diesem Ort zuvor gesehen hatte. Im Raum befanden sich Geräte die surrten und bunt blinkten. Eine ganze Weile bestaunte er die Lichter, bevor er die süßen Steine auf dem Boden entdeckte, die er, wie alle anderen unserer Vorfahren, so gern leckte. Begeistert folgte er dieser Spur, erklomm einen dicken Halm, der anders war als alle, die er vorher gesehen hatte und fand sich vor einem weiteren Berg wieder, der aber leicht rauchte. Vorsichtig näherte er sich diesem Berg, als er aber die Hitze fühlte, die von ihm ausging, machte er einen großen Bogen darum herum und folgte erneut der Spur seiner Lieblingsspeise. Diese endete an einem weißen glatten Felsen, in dessen Schutz kauerte er sich nieder und leckte erneut an den kleinen Steinen. In Gedanken sah er sich schon als Helden, wenn er die anderen hier her führte zu diesem wunderbaren Futter. In diesem Moment der Unachtsamkeit bemerkte er nicht, wie ein Riese sich genähert hatte und nun nach dem weißen Felsen griff. Tuck reagierte instinktiv, verspritzte sein Gift auf den Angreifer, um sich und das wunderbare Futter zu verteidigen. Was dann passierte, begriff er nicht, denn es schien alles mit einem mal zu geschehen. Der Riese stieß den dampfenden Berg um und ein schwarzer See begann die ganze Fläche zu überfluten, gleich darauf brach lauter Lärm aus. Tuck ergriff voller Angst die Flucht, der Weg der ihn hier her geführt hatte, erschien ihm nun unendlich lange und immer wieder musste er wild durch die Gegend rennenden Riesen ausweichen, die wohl genau wie er auf der Flucht waren. Jedenfalls hatte es für ihn den Anschein, denn er konnte sich nicht denken, vor was die Riesen wohl solche Angst wie er haben sollten. Tuck beruhigte sich erst wieder, als er zu Hause angekommen war. Langsam verflog die Angst und sein Herz schlug vor Aufregung schneller, als er an das Abenteuer dachte, das er gerade bestanden hatte. Begeistert begann er einer Gruppe, die ihm gerade entgegen gekommen war, davon zu berichten. Er ließ nichts aus, schilderte jede noch so kleine Empfindung, jede noch so unbedeutende Kleinigkeit und als er geendet hatte, fand er sich umringt von vielen seiner Art wieder. Es schien ihm fast so, als wären alle aus dem Bau gekommen, um seiner Geschichte zu lauschen. Noch immer aufgeregt wartete er auf eine Reaktion der anderen, diese starrten ihn noch immer ungläubig und stumm an. Für einen Moment glaubte er, die Zeit wäre stehen geblieben, doch bevor jemand auf seine Geschichte reagieren konnte, brach Lärm aus. Erstaunt richteten sie alle ihre Blicke hinauf, sahen die aufsteigenden Rauchwolken, die Lichter, die den inzwischen schwarzen Himmel erleuchteten und zu zerreißen schienen. Kurz darauf bebte der Boden. Tuck glaubte, dass er sich nie wieder beruhigen würde, doch das Zittern ließ nach und wurde von einem riesigen Lichtblitz abgelöst. Unruhiges Getuschel wurde hinter Tuck laut, die Ängstlichsten hatten sich längst zurück in den Bau geflüchtet und nun verkrochen sich auch die restlichen in Ritzen, als der Sturm losbrach. Der neue Held wagte sich als erstes aus dem Bau, nachdem der Sturm genau so rasch wie er aufgezogen war, sich wieder verzogen hatte. Staunend betrachtete er die hübschen dunklen Pilze die in den Himmel wuchsen und die erst nach einer ganzen Weile wieder verschwanden. Nach diesem Tag begann sich alles zu verändern, Tage später wurde es ruhiger, das Grollen des Himmels verklang, die Pilze verschwanden vollständig und die Sonne verdunkelte sich mehr und mehr. Dunkelheit und Kälte hielten Einzug und Tuck und die anderen verkrochen sich tiefer in ihren Bau, wo sie unter sich im Warmen weiter lebten und ihre Pilze züchteten.’ Nachdem er die Geschichte zu Ende erzählt hatte, lauschte Renki seiner eigenen Stimme nach. Sie berührte ihn noch immer, wie als Jüngling, als sie ihm von seinem eigenen Großvater erzählt worden war. Der Alte öffnete langsam die Augen, die bis dahin geschlossen gewesen waren, und musterte Anki. Er erkannte, dass sie genau wie er Fragen stellen würde. „Großvater? Tuck und die anderen waren aber doch noch immer klein.“, bemerkte die Kleine schließlich und zeigte Renki so, das sie aufmerksam zugehört haben musste. „Weißt du, Anki. Damals war unser Volk noch klein, aber draußen und letztlich auch unter der Erde veränderte sich nach und nach alles. Die Pilze wuchsen und auch die Nachfahren begannen größer und größer zu werden. Schließlich verließen sie den schützenden Bau und begannen an der Oberfläche zu siedeln.“, erklärte er ihr geduldig. „Und die Riesen? Was wurde aus ihnen?“, wollte sie nun wissen. „Die Riesen. Nun, nach diesem Tag haben wir keine Riesen mehr gesehen. Sie sind einfach verschwunden. Nur einige ihrer Bauwerke blieben übrig.“ Renki lachte, als er Ankis ungläubigen Blick sah. Genau wie er damals zweifelte sie an der Geschichte, doch auch Anki würde herausfinden, dass sie stimmte. Sie musste dafür nur größer werden, älter und reifer. „Es ist Zeit fürs Bett“, meinte er und erhob sich. Er streckte seine Arme nach Anki aus und hob sie auf. Behutsam trug er sie in ihr Zimmer, legte sie in ihr Bett und lächelte ihr zärtlich zu. „Schlaf gut, meine Kleine“, flüsterte er seiner fast schlafenden Enkelin zu, während er sie zudeckte und ihr noch zärtlich über die Fühler streichelte. Ende Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)