Die Geduld der Spinne von Jadis ================================================================================ Kapitel 2: Runde EINS --------------------- Heute war der Tag aller Tage. Die Mission war gestartet. Und sie würde erst ihr Ende finden, wenn Tess ihr Ziel erreicht hatte. Koste es, was es wolle. Sie war nicht durch die Hölle gegangen und hatte all diese Fertigkeiten erlernt um so kurz vor dem Ziel zu scheitern. Es würden Köpfe rollen, dafür würde sie persönlich sorgen. Sie zwang sich ihren Blick vom Haupteingang des Fox River Staatsgefängnisses loszureißen und starrte stattdessen auf ihre Hände, welche das Lenkrad ihres Accords so verkrampft umklammerten, dass die Knochen weiß hervor traten. Aussteigen. Sie musste einfach nur aus ihrem verdammten Wagen steigen, doch sie konnte sich einfach nicht dazu überwinden. Plötzliche Zweifel nagten an ihrem Gewissen. War sie wirklich so eiskalt und konnte das ohne mit der Wimper zu zucken durchziehen? Oder würde sie den Schwanz einziehen und kneifen? Einfach die Insterstate 90 bis zum Pazifik zu fahren wäre einfach. Sie könnte alles hinter sich lassen und neu anfangen. „Ach, scheiß drauf“, fluchte sie ungehemmt, überprüfte ihr Make Up im Rückspiegel und schnappte sich ihre Handtasche, bevor sie aus dem Fahrzeug stieg und durch den Regen stöckelte. Verflucht. Seit sie hier in Chicago war, hatte es ständig nur geregnet. Tess bemühte sich, vor Aufregung nicht zu zittern, als sie von ihren neuen Kollegen ohne Probleme durchgelassen wurde, und das Staatsgefängnis durch den Haupteingang auf der Südseite des Komplexes betrat. Vermutlich war sie doch nicht ganz so abgebrüht, wie sie es hoffte zu sein. Sie konnte die Blicke der männlichen Werter spüren, die sich regelrecht in ihren Rücken bohrten. Auch, als sie vorbei an der kleinen Kapelle und dem Gebäude mit den Einzelzellen zum Pausenraum der Wärter ging, fühlte sie sich beobachtet. Also rückte sie die Tasche auf ihrer Schulter zurecht und lief arschwackelnd weiter. Sollten sie wenigstens richtig was zu glotzen haben. Tess öffnete die Zwischentüren und war schon bald am Pausenraum der Wärter angekommen, wo sie einen Spind mit ihren Namen vorfinden würde. Der Schichtwechsel stand kurz bevor, und so erwischte sie viele ihrer neuen Kollegen nur in Unterhose und Socken bekleidet, als sie den Raum betrat. Sofort wandte sie sich nach rechts, um ihr Zeichen hinter ihren Namen an einer Tafel zu setzen. Jeder Officer der seinen Dienst antrat musste sich ein- und austragen und sie bemerkte, dass jeder nur Kreuze zu machen schien, also tat Tess dies auch. Jedoch sah ihr Kreuz wie das umgedrehte Zeichen der Anti-Aids-Stiftung aus. Sie ließ ein selbstbewusstes „Guten Morgen“ erklingen, und die Tatsache, dass sie nur unverständliches Nuscheln erntete, bedeutete entweder, dass alle schrecklich verklemmt waren oder wirklich so wenig von ihr hielten, wie sie sich einbildete. Sie hatte ihr Schließfach schnell gefunden. Es war das Einzige, dessen Namensschild mit einem wasserfesten Stift durchgestrichen war. Ihr Vorgänger hieß Bale, oder so. Darunter war eine Haftnotiz angebracht. In krakeliger Schrift hatte jemand ihren Familiennamen darauf gekritzelt. Wie nett. Vermutlich konnte sie sich schon glücklich schätzen, wenn ihre Uniform ein Namensschild hatte. Und wenn dieses richtig geschrieben war. „Was ist Bale widerfahren?“, fragte sie die anderen Anwesenden, die gerade Kaffeepause machten und sie dabei beobachteten, wie sie ihren Spind öffnete und dessen Inhalt begutachtete. „Er wurde im Dienst erstochen“, antwortete einer mit dem Namen Geary, doch der Blick den er seinen Kumpanen zuwarf, ließ Tess an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage zweifeln. Sie hakte nicht weiter nach, sondern nahm ihre neue Dienstuniform an sich und sah sich kurz um. Verdammt. Es gab hier keinen abgetrennten Bereich. Geary und die anderen Affen grinsten schon anzüglich , sie würden die Vorstellung sicherlich genießen. Drauf geschissen. Augen zu und durch. ~ Zehn Minuten vor Dienstbeginn stand sie ihrem neuen Vorgesetzten gegenüber. Bradley Bellick. Der skrupellose Mann war oberbefehlshabender Wärter, hatte ein Kreuz wie ein Schrank und musterte sie nun von oben bis unten. Sein Blick blieb an ihren weiblichen Rundungen hängen, bevor er den Kopf schüttelte, seine Mütze abnahm und sich mit dem Unterarm über die Stirn wischte. „Das wird Ärger geben, Carlisle“, versicherte er. „Mächtig Ärger.“ Tess legte kaum merklich die Stirn in Falten. Sie wusste nicht, was er meinte, also ging sie ihr Aussehen schnell in Gedanken durch. Die Standarduniform mit dem Officer-Stern, dem richtig geschriebenen Namensschild und dem Funkgerät, die schwarzen festen Arbeitsschuhe, Mütze, Schlagstock und Handschellen, Pfefferspray, ihr Schlüsselbund war auch gut versteckt, und die Haare hatte sie im Nacken zu einem praktischen Dutt zusammen verknotet. Was missfiel ihm also? „Ich verstehe nicht, Sir“, sagte sie deshalb und hinter sich hörte sie schon das unterdrückte Gelächter ihrer neuen Kollegen, die im Überwachungsraum arbeiteten, in dem sie sich gerade alle aufhielten. „Erstens, ist die richtige Anrede 'Captain'“, knurrte Bellick und Tess konnte nicht glauben, dass er ihr bereits jetzt eine Standpauke halten wollte. „Zweitens, solltest du auf deinen hübschen Hintern aufpassen, Liebes, und froh sein, wenn ich dich von den Häftlingen so weit weg wie möglich einsetze. Drittens, bin ich der absoluten Überzeugung, dass Frauen in Männergefängnissen rein gar nichts zu suchen haben, und das werde ich dich bei jeder Gelegenheit spüren lassen und Viertens, wartet Cole im Wachturm bei Zellenblock A bereits seit drei Sekunden auf seine Ablöse. Also schieb' ab, Carlisle.“ Tess hatte die Hände zu Fäusten geballt und biss die Zähne zusammen. Am liebsten hätte sie sich sofort auf ihn gestürzt und windelweich geprügelt. Auch in der Army hatte es solche Idioten wie Bellick gegeben, die von Emanzipation noch nie gehört zu haben schienen. Mit denen hatte sie sich angelegt, und es hatte die ein oder andere unehrenhafte Entlassung gegeben, doch mit Bellick wollte sie keinen Ärger. Noch nicht. Nicht gleich am ersten Tag. Also schluckte sie all ihren Frust über diese Situation herunter und sagte stattdessen: „Ja, Captain.“ Die anderen Wärter konnten ihr nicht in die Augen sehen, als sie den Raum verließ, sondern feixten nur blöde vor sich hin. Das versprach wirklich ein super Tag zu werden. Unter normalen Umständen hätte Tess nicht einmal gewusst, wo der Wachturm bei Zellenblock A zu finden war. Sie hatte keine Führung bekommen, wie es normalerweise üblich gewesen wäre. Sie war von Bellick einfach ins kalte Wasser geworfen wurden und sollte schwimmen lernen. Vor ihm musste sie sich in acht nehmen. Doch Tess hatte sich vorbereitet. Tage-, wenn nicht sogar wochenlang. Ein Kumpel beim FBI war ihr noch einen Gefallen schuldig und hatte ihr alles besorgt was sie brauchte. Er hatte sich sogar Zugriff auf das Computersystem von Fox River beschafft. Ihr Hacker-Kumpel lebe hoch! Mit diesem Wissen war der Wachturm leicht zu finden. Nach fünf Wegminuten war sie im Überwachungsraum des Turmes angelangt. Dieser war nur dürftig ausgestattet. Auf den ersten Blick sah sie nur das Kontrollpanel für die Flutscheinwerfer und ein Funkgerät. An einem Tisch saß, nach dem Namensschild zu urteilen, Officer Speedman, und dieser interessierte sich mehr für die Tageszeitung, als für alles Andere. An den Fenstern stand ein weiterer Officer, der sich nach ihrem Eintreten zu ihr umdrehte und seine Waffe mit einem „Na endlich“ direkt in Tess' Hände warf. Ohne ein weiteres Wort ging Cole an ihr vorbei und machte sich an den Abstieg. „Bis Morgen, Bob“, sagte Speedman ohne von seiner Zeitung aufzublicken, erhielt jedoch keine Antwort. Tess ging ans offene Fenster und überprüfte die Waffe. Sie war gesichert, also lehnte sie das Gewehr mit dem Lauf zur Decke gerichtet, gegen die Wand und beobachtete den leeren Pausenhof. „Kannst du damit überhaupt umgehen?“, hörte sie Speedman fragen und sah zu ihm. Er blätterte langsam die raschelnde Zeitung eine Seite weiter und würdigte sie weiterhin keines Blickes. Sie maß ihn mit Blicken und schluckte eine bissige Antwort herunter. Das war es einfach nicht wert. Nur nicht ausrasten. Nicht in den ersten fünf Minuten ihres ersten beschissenen Tages. Tess blickte zum Wachturm bei Zellenblock B und jemand winkte ihr kurz zu. Sie erwiderte die Geste, obwohl sie nicht erkennen konnte, welcher diensthabende Wärter es war. Und anders herum war es wohl genau so. Die Stunden vergingen nur schleppend. Speedman verschwand hin und wieder um sich Kaffee oder Donuts zu holen, oder wusste der Geier was zu tun. Zum Nachmittag war er schwer in einen kleinen tragbaren Fernseher vertieft, der ein Baseballspiel übertrug, während Tess weiterhin am Fenster ausharrte. So hatte sie sich das alles nicht vorgestellt. In der ganzen Zeit, hatte sie noch nicht einen kleinkriminellen Häftling, Drogendealer, Mehrfachmörder oder Kinderschänder zu Gesicht bekommen. Nur Wärter die auf dem Weg zum Pausenraum waren, vom Pausenraum kamen, oder weitere Mitarbeiter, die ihren Dienst antraten oder beendeten und durch den Haupteingang spazierten. Tess war langweilig. Sie fühlte sich wie bei einer Observation, bei der tagelang nichts geschah. Sie hasste es, warten zu müssen. Speedman brüllte gerade den Fernseher an, als in die Wärter am Boden Bewegung kam. Sie verteilten sich in und um den abgezäunten Hof und Tess sah ungeduldig dabei zu, wie sich die Tür von Zellenblock A öffnete und die ersten in Blau gekleideten Häftlinge auf den Hof traten um die einstündige Pause an der frischen Luft zu verbringen. Da nicht alle 750 Insassen aufeinander losgelassen wurden, wunderte sich Tess, ob der den sie suchte dabei sein würde. Sie versicherte sich kurz, ob Speedman weiterhin abgelenkt war und griff schließlich zu ihrer Waffe, um durch das Präzisionszielfernrohr zu sehen. Der 100 Meter Abstand zu den Häftlingen wurde dadurch überbrückt und es hatte den Anschein, als würde sie direkt vor Ihnen auf dem Hof stehen. In aller Ruhe konnte sie sich jeden ansehen, der durch diese Tür trat. Und sie erkannte einige Gesichter wieder, die sie sich bei ihrer Vorbereitung eingeprägt hatte. Da war Theodore „T-Bag“ Bagwell. Ein sechsfacher Kindesmörder und Vergewaltiger. Er war der Anführer der Weißen und zettelte immer wieder Kämpfe mit den Schwarzen an. An seiner nach außen gestülpten Hosentasche hielt sich irgendein Irrer fest, als wäre dies sein Rettungsring und er der Ertrinkende. Tess suchte weiter und fand John Abruzzi. Der Ex-Mafiaboss saß wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ein und war Leiter der Prison Undustrie hier in Fox River. Ein paar Meter weiter stand, der als Knastapotheke bekannte Benjamin Miles „C-Note“ Franklin. Seine Straftat: Hehlerei. Bei den Tischen saß Charles Westmoreland, ein langjähriger Insasse, der niemandem etwas zuleide tat, immer freundlich und bodenständig war und auch sonst nicht auffiel. Die anderen Insassen schienen ihn zu respektieren und ließen ihn in Ruhe. Es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass Westmoreland der berühmt berüchtigte Flugzeugentführer D.B. Cooper war, doch er stritt dies entschieden ab. Westmoreland genoss das Privileg, dass er eine Katze halten konnte und kümmerte sich liebevoll um sie. Doch Tess interessierten all diese Insassen nicht. In einem, von den anderen Häftlingen abgetrennten, Bereich hockte Lincoln Burrows an der Hauswand. Er war angeklagt, den Mord an Terrence Steadman, dem Bruder der Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten, begangen zu haben. In wenigen Wochen würde er auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet werden. Doch Tess wurde das Gefühl nicht los, dass er bei ihrem Plan noch eine entscheidende Rolle spielen würde. Abruzzis Leute hatten sich in der Zwischenzeit bei den Tischen niedergelassen und die anderen Häftlinge von da vertrieben. Bagwells Bande besetzte die Tribünen, die Schwarzen waren an den Hanteln zu Gange und der Rest war überall und nirgends. Und dann, direkt hinter Fernando Sucre, und als einer der Letzten die den Hof betraten, sah sie ihn. Unverkennbar. Sein Gesicht hatte sich nahezu in ihr Gehirn eingebrannt. Die kurz rasierten Haare, der stechende Blick, der aufrechte Gang. Er machte den Anschein auf alles gefasst zu sein, doch wusste er auch, dass der Lauf ihrer Waffe direkt auf sein hübsches Gesicht zeigte, und sie nur den Abzug drücken musste, und alles wäre vorbei? Er fühlte sich so sicher. Doch so einfach wollte und konnte sie es sich nicht machen, denn dann wäre auch ihr Leben vorbei. Sie brauchte einen Grund. Und den würde sie früher oder später schon noch bekommen. Irgendwann würde er mit Sicherheit etwas Dämliches anstellen. Und dann hieß es, hasta la vista, baby. Sie beobachtete wie er mit Abruzzi sprach und dieses Gespräch so plötzlich in einer Schlägerei endete, dass es unmöglich vorherzusehen gewesen war. Wachen rannten umher um die Streitenden zu trennen und Tess entsicherte ihre Waffe. Innerhalb von einer Sekunde hatte sie ihr Ziel gefunden und schoss ohne zu zögern. Die Kugel schlug augenblicklich in das zertrampelte Gras des Hofes ein. Erde flog durch die Luft und Speedman stand, durch den Schuss zu Tode erschrocken, plötzlich neben ihr, während die Häftlinge sich freiwillig auf den Boden warfen beziehungsweise von den Wärtern dazu gezwungen wurden. Dort, wo es noch ein bisschen unruhig war, schoss Tess einfach noch einmal ins Gras und auch die Letzten hatten verstanden, dass der Hofgang nun leider beendet war. Speedman pfiff anerkennend und Tess nahm an, dass er zu bemerken schien, dass sie nicht nur eine Frau war, sondern eine schöne Frau, die nicht zögerte zu handeln. Sie suchte erneut durch das Zielfernrohr nach einem bekannten Gesicht und fand den am Boden Liegenden schnell wieder. Das zu sehen, war eine Genugtuung und wahrscheinlich alles was sie heute bekommen würde. Doch eins war schon jetzt sicher. Michael Scofield war ein toter Mann. ~ Ende der 1. 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