Fullmetal Alchemist - Was danach geschah von abgemeldet (Was hätte passieren können...) ================================================================================ Kapitel 68: EIN UNERWARTETES OPFER AUS EINER SELTSAMEN RICHTUNG --------------------------------------------------------------- EIN UNERWARTETES OPFER AUS EINER SELTSAMEN RICHTUNG Es war ihnen endlich gelungen, den Aufenthaltsort des Blue Lightening Alchemist zu bestimmen. Weil er ein überaus gefährlicher Alchemist war, hatte Mustang darauf bestanden, dass nur er selbst, Kay und Armstrong gehen würden. Er hatte zwar nicht ausdrücklich gesagt, dass Linette sich nicht anschließen sollte, aber er hatte deutlich gemacht, dass er es lieber sehen würde, wenn sie im Hauptquartier bleiben würde. Da sich die Festnahme außerdem mit den letzten Hochzeitsvorbereitungen überschnitt und Grumman die Hochzeit seines Enkelsohns mit seiner Verlobten zur obersten Priorität gemacht hatte, war es nicht vertretbar, eine erfahrene Soldatin auf dem Gebiet der Hochzeitsvorbereitung in unnötige Lebensgefahr zu bringen. „Okay, wir haben es hier mit einem Geistesgestörten zu tun“, sagte Armstrong, nachdem er einen Blick in die Akte geworfen hatte. „Es wird sicherlich nicht leicht sein, ihn festzunehmen, aber ich bin mir sicher, dass wir es schon irgendwie schaffen.“ Kay rollte mit den Augen. „Wenn der Kerl harmlos wäre, hätten wir die normale Polizei hingeschickt und hätten die Show aus der Ferne genossen“, sagte sie. „Aber weil unser Täter nicht gerade der Hellste ist und weil er seinen Verstand schon länger nicht mehr hat, sind wir die einzigen, die ihn festnehmen können, ohne dabei getötet zu werden.“ Chaste und Restraint schritten nebeneinander durch die leeren Gänge eines leerstehenden Bürogebäudes. Sie trugen beide schlichte Kleider, die keinen Schluss über ihr wahres Alter oder die Tatsache, dass sie annähernd unsterblich waren, zuließen. Es war für sie immer besonders wichtig, dass sie ihre wahre Identität geheim hielten, wenn sie auf einer Mission waren. Sie wussten, dass sie keine weiteren Absprachen brauchten. Sie hatten alles geklärt. Chaste – ganz der Gentleman – hielt Restraint die Tür auf, als sie sich ihrem Zielort näherten. Sie wussten, dass einige ‚ihrer’ Menschen ebenfalls in der Nähe waren und dass sie dasselbe Ziel hatten. Deswegen zitterten Restraints Hände auch leicht. „Kein Grund, so nervös zu sein, Estrai“, sagte Chaste aufmunternd. „Es ist für uns doch auch nur ein kleiner Standartjob. Wir haben hier nichts zu verlieren.“ „Sag das nicht“, murmelte sie, während sie die große Halle erreichten. Blue Lightening saß zusammengesunken auf einem Stuhl und jeder, der Augen hatte, stellte sofort fest, dass der gute Mann seinen Verstand schon länger verloren hatte. Aber seine Hände steckten in seinen Handschuhen und er sah direkt in die Richtung, wo die drei anderen Staatsalchemisten soeben die leicht seltsam anmutende Szene betreten hatten. „Major Miller, hiermit sind Sie wegen dringendem Tatverdacht bezüglich einer Mordserie festgenommen!“, verkündete Mustang energisch. „Och, bitte…“, seufzte Restraint. „Wen will der denn damit beeindrucken?“ „Gute Frage“, murmelte Chaste kopfschüttelnd. „Er braucht einen Rhetoriklehrer.“ „Mindestens.“ „Was seid ihr denn für welche?“, fragte Blue Lightening und sah die drei fragend an. „Kenne ich euch vielleicht?“ „Das ist ja wohl unerhört!“, schnappte Kay. „Ich bin Brigadegeneral Kay Victoria Hamilton, der Lightening Star Alchemist. Hast du das gehört? Star. Das meint, dass ich besser bin als du. Und ich spiele wirklich in einer ganz anderen Liga als du, du Möchtegernalchemist! Ich kriege ja schon Zustände, wenn ich deine Kreise sehe!“ „Sie ist gut…“ Chaste sah amüsiert aus – eine echte Premiere. „Und ich bin Generalleutnant Roy Mustang, der Flame Alchemist!“, sagte der schwarzhaarige Mann und ergänzte ein paar Flammen. „Wer der Blonde ist, weiß ich“, sagte der fremde Blitzalchemist. „Strong Arm.“ „Richtig“, sagte Armstrong und freute sich fast schon über seine Berühmtheit. Als ihm jedoch Blitze um die Ohren flogen, war es damit ganz schnell wieder vorbei und er hob seine Fäuste, um die Blitze damit abzuwehren. „Mustang, Armstrong – zurück!“, donnerte Kay. „Ich übernehme den Kerl! Seinetwegen bin ich wie eine Verbrecherin verhört worden! Ich will Rache!“ Der Generalleutnant machte einen Satz zurück, als die Hexen-Generalin ihre Hände hob und direkt auf Blue Lightening zeigte. Ein goldener Blitz fuhr durch den Raum und verfehlte den anderen Alchemisten nur um Millimeter, weil er offenbar intelligent war, um sich zu ducken. Kay schnaubte wütend. Sie war nicht daran gewöhnt, Widerstand zu haben. Normalerweise reichte es aus, wenn sie ihre Hand auch nur hob. „In Deckung, Kay!“, brüllte Armstrong, als Blitze auf sie niedergingen, und schleuderte sie quer durch den Raum. Unterdessen zog der Oberst einmal mehr sein Hemd aus. „Ich muss sagen, Sie sind ein würdiger Gegner, Blue Lightening, aber Golden Lightening ist deutlich besser. Tut mir leid, falls ich Ihnen damit eine Illusion nehmen muss.“ „Nicht ‚Golden’, Armstrong!“ Kay wand sich bei dem Gedanken regelrecht, als sie hinter der Kiste, in die er sie geschleudert hatte, hervorkam und die Hand hob, um anzufangen. „Sehe ich aus wie eine Frau, der ihr Aussehen irgendwie wichtig wäre?!“ „Auf Wiedersehen, Schlampe“, sagte der Mann keuchend und richtete seine Hand auf Kay. „Du dachtest vielleicht, ich wäre zweitklassig, aber das bin ich nicht! Oh nein! Ich bin besser als du, kleines Fräulein!“ Kays Hand flog ebenfalls nach oben, aber bevor sie die Gegenenergie entwickeln konnte, trat eine schmale Gestalt zwischen die beiden Alchemisten. „ESTRAI!“, schrie ein Mann und aus dem Schatten löste sich ein Blondschopf. „NEIN!“ Für Mustang ging es zu schnell. Er sah, wie die Fremde getroffen wurde und zusammenbrach. Er sah, wie pures Entsetzen auf Kays Gesicht trat, bevor sie sich zusammenriss und den Blue Lightening Alchemist mit einem kontrollierten Stromschlag schlafen schickte. Er sah, wie Armstrong zu Kay rannte, um sie zu decken. Und er sah, wie der blonde Mann die fremde Frau leicht schüttelte. „He, Estrai“, sagte er. „Aufwachen! Verdammt, du kannst mich hier nicht alleine lassen! Du hast mir versprochen, dass du es schaffen würdest! Und du hältst dich doch immer an deine Versprechen! Bitte … mach die Augen auf, Estrai!“ Eine Träne lief über sein Gesicht, als er sie schüttelte. „Estrai, ich befehle es dir! Du darfst jetzt nicht gehen! Wenn du jetzt gehst, wirst du nie wieder zurückkommen!“ Mustang straffte sich und ging hinüber. „Ist sie Ihre Freundin?“, fragte er behutsam. „Ich glaube kaum, dass sie die Augen öffnen wird. Dieser Angriff sollte tödlich sein und meine Kameradin hatte nicht mehr genug Zeit, um die Energie umzupolen.“ „Sie ist nicht meine Freundin, Flammenalchemist“, sagte der Mann. „Sie ist der Grund für meine gesamte Existenz in den letzten vierhundert Jahren. Wenn ich sie jetzt verloren habe, weil ich zu langsam war, dann werde ich einen Weg finden, zu sterben. Und zwar komplett.“ Er hob den schlaffen Körper in seine Arme. „Falls es ein Witz ist, Restraint, dann war er jetzt lange genug nicht witzig. Bitte…“ Kay befreite sich aus Armstrongs berüchtigter Todesumarmung und ging langsam quer durch den Raum. „Der Schlag hat mir gegolten“, sagte sie bitter. „Immer werden die Leute meinetwegen verletzt. Es tut mir leid, das war nicht, was ich gewollt habe.“ Chaste stand auf und seine grünen Augen glommen auf, als er die Hand hob. „Er wird dafür bezahlen!“, schrie er voller Zorn und als er die Hand hob, materialisierte sich dort ein Speer aus Stein. „Niemand rührt Estrai an, wenn ich dabei bin.“ Das Fenster zersprang in tausend Scherben, als eine schmale Gestalt hindurchbrach. Die Frau landete sicher auf ihren Fußballen und machte eine Bewegung, als ob sie etwas in die Richtung des Mannes werfen würde. Zur Überraschung der Staatsalchemisten baute sich eine Energiewand zwischen Blue Lightening und dem Mann auf. „Hör auf, Chaste“, befahl sie. „Es ist noch immer Leben in Estrai. Sie ist nicht der Typ für Selbstmord. Und du wirst ihr das Herz nur noch einmal brechen, wenn du jetzt eine Dummheit begehst.“ Sie streckte die Hand aus. „Gib mir deinen Speer, Chaste. Ich kümmere mich darum. Lass dich nicht von deinen Gefühlen leiten. Ich meine, was soll schon passieren? Er kann mir nicht entkommen.“ „Du bist uns gefolgt, Charity, bis hierher?“, fragte der Mann sarkastisch. „Ich dachte, du hättest die Seiten gewechselt. Dass du hier bist ist für mich eine große Überraschung.“ „Wenn du nicht sofort diesen verdammten Speer fallen lässt“, sagte sie leise, „schicke ich dich nach Hause. Bitte. Es bringt nichts. Ob Estrai bleibt oder geht … du kannst nichts daran ändern. Was immer sie auch dazu bewogen hat, es war ihre eigene Entscheidung.“ Er richtete den Speer nun auf sie. „Du sagst, du würdest mich ‚nach Hause’ schicken, wenn ich es tue, richtig?“, fragte er. „Würdest du mich auch unter anderen Umständen töten?“ „Chaste, zwing mich nicht dazu, dir wehzutun“, fauchte sie und ihre Augen glommen auf. „Du machst dich langsam wirklich lächerlich. Und ich … ich werde nicht zulassen, dass du den ‚Großen Plan’ verrätst.“ Hinter ihnen schlug die Frau namens Estrai die Augen auf und gähnte. „Das tat weh, verdammt noch mal!“, empörte sie sich, während sie einen ersten Versuch unternahm, wieder auf ihre Beine zu kommen, was scheiterte. „Cherry, wenn du schon einmal hier bist – was ich jetzt ausnahmsweise nicht hinterfragen werde – renkst du meine Schulter bitte ein? Das tut ein bisschen weh.“ Sie seufzte. „Irgendwelche Verluste?“ „Chaste hat seinen Verstand verloren, aber ansonsten ist alles im grünen Bereich“, sagte die Frau namens Charity und kniete neben ihr nieder, bevor sie beide Hände an die Schulter der dunkelhaarigen Frau legte. „Und deine Bluse ist kaputt. Milly wird schier ausrasten.“ „Sie wird es überleben“, sagte Estrai gähnend, während ihr Schultergelenk leise knackte, als es wieder zurücksprang. „Ah, meinen Arm nicht bewegen zu können, das ist jedes Mal die Hölle für mich“, sagte sie amüsiert, während sie aufstand und eine kleine Verbeugung vor den anderen Anwesenden andeutete. „Der Name ist Restraint, aber meine Kameraden nennen mich größtenteils Estrai, was kürzer ist. Die beiden anderen sind zwei meiner Kameraden. Er heißt Chaste und sie heißt Charity. Ich hoffe, sie haben nichts angestellt.“ „Wir sind-“, begann Kay geschäftstüchtig. „Kay Victoria ‚K.V.’ Hamilton, Major und Oberst unter Generalmajor Catalina, später Brigadegeneral unter Generalleutnant Olivier Mira Armstrong“, sagte Charity knapp. „Wir wissen das. Wir haben Sie und Ihre Kameraden die letzten Jahre über gut im Auge behalten. Es war nicht immer leicht, an die Informationen zu kommen, aber wir sind Profis.“ „Alex Louis Armstrong“, sagte Restraint langsam und lächelte milde. „Major unter Bradley, Oberst unter Grumman. Inzwischen Oberbefehlshaber des Ostens. Erfahrener Ermittler.“ „Und natürlich unser langjähriges Sorgenkind, Generalleutnant Roy Mustang“, sagte Chaste mit einem kleinen Lächeln. „Oberst unter Bradley, Generalmajor und Generalleutnant unter Generalfeldmarschall Grumman. Ehemann von Oberst Riza Hawkeye. Schwager von Captain Jean Havoc. Ehemaliger Lehrling von Berthold Hawkeye. Wir verfügen über viele Informationen über die meisten von euch. Immerhin haben wir darauf gesetzt, dass ihr gewinnen würdet. Estrai und ich haben damals eine Menge Geld gemacht, weil wir gegen die anderen gewettet haben.“ Er lächelte amüsiert. „Nicht, dass wir Envy, Lust und Pride vermissen würden. Sie waren immer nur Unruhestifter.“ „Ihr seid … Homunkuli?“, fragte Mustang schockiert. „Hätte ein Mensch das überleben können, was ich überlebt habe?“, fragte Restraint. „Ja, wir sind Homunkuli, aber wir haben kein Interesse an einer Wiederholung dessen, was die anderen versucht haben. Ich meine, dass das nichts werden konnte, was klar.“ „Für ein kluges Köpfchen wie dich vielleicht“, sagte Charity und klang fast amüsiert, als sie Chaste den Speer mit einem gezielten Fußtritt aus der Hand trat. „Restraint ist jünger als Chaste, sie ist erst Nummer Fünf, aber sie ist die Klügste von uns und es hat sich für Chaste und mich immer ausgezahlt, dass wir seit Jahren mit ihr unter einer Decke stecken.“ „Yo, Leute“, sagte eine feine Stimme und durch das ohnehin schon zerstörte Fenster sprang eine zierliche Brünette, die hüftlange Locken hatte. „Ich hab gespürt, dass Estrai kurz weg war und ich wollte sehen, ob ich hier irgendwie helfen kann. Ich meine, ich kann aufräumen, wenn ihr versteht, wie ich das meine.“ Sie klopfte Staub von ihren Kleidern ab, während sie ihre Haare rasch flocht. „Sorry, dass ich das Meeting über Linette Hamilton geschwänzt habe, aber ich hatte eine Vorlesung, die ich um keinen Preis der Welt verpassen wollte. Wie haben wir uns eigentlich entschieden? Für oder gegen die Intervention?“ „Diligence“, sagte Restraint seufzend. „Sag mal, hast du jemals von ‚Diskretion’ gehört?“ „Ja, weil du mir alle vier Tage sagst, dass ich keine habe“, sagte die andere fröhlich. „Und du weißt auch, dass ich das nicht brauche. Ich bin nicht der Typ, der Spuren hinterlässt.“ „Du warst zwar nicht eingeplant, aber du könntest dem Kerl mit den blauen Handschuhen eine kleine Gehirnwäsche verpassen“, sagte Chaste, während er sein Jackett auszog und es um Restraints Schultern legte. „Er hat gesehen, wie Estrai aufgewacht ist, nachdem er ihr eine tödliche Dosis verpasst hat. Er könnte reden…“ „Okay, ich mach’s!“, sagte Diligence eifrig und flitzte hinüber. „Wie viel muss weg?“ „Alles, was sich als problematisch entpuppen könnte“, sagte Charity seufzend. Diligence erinnerte Mustang an ein besonders eifriges Eichhörnchen – oder an Fuery, wenn er zu viel Zucker in seinen Kaffee gerührt hatte. Diligence legte ihre Fingerspitzen auf Major Millers Schläfen und ihre eigentlich grauen Augen glommen tiefblau auf. Sie summte leise vor sich hin, während sie hin und wieder einen Blick mit Charity, Chaste oder Restraint tauschte. „Jen, wie um alles in der Welt konntest du uns hier finden?“, fragte Charity und ihre Stimme war gefährlich ruhig. „Selbst wenn du Estrais zwischenzeitlichen Tod gespürt hast…“ „Süße, ich habe einfach nach den Menschen gesucht. Dass ihr auch hier sein würdet, war klar“, sagte Dilligence glucksend. „Hinterfragt am besten einfach nie, woher sie immer alles mögliche weiß“, riet Restraint und ihre Augen schimmerten leicht. „Sie spaziert durch alle Träume, Erinnerungen und Gedanken wie andere durch Straßen. Je schwächer ein Charakter ist, desto leichter fällt es ihr, ins Unterbewusstsein einzudringen und es zu verändern.“ „Ihr teilt verdächtig viele Informationen mit uns“, sagte Mustang. „Heißt das, dass ihr nicht plant, uns am Leben zu lassen?“ Chaste lachte erfreut auf und fuhr mit der rechten Hand durch seine Locken. Auf dem Handrücken befand sich eine Tätowierung, ein Stern, der von einer Krone verziert wurde und unter dem ein Schwert lag. „Wir wollen fair spielen“, sagte er erklärend. „Jen und Cherry haben seit fünfzig Jahren an keinem Kampf mehr teilgenommen und was Estrai und mich angeht, wir sind nicht die Typen für gewalttätige Auseinandersetzungen. Und außerdem: Wir sind hier, um euch zu helfen.“ „Ich bin fertig!“, sang Diligence und klang hochzufrieden. „Er wird alle Morden auf der Stelle gestehen, sobald man ihn nur danach fragt.“ „‚Gehirnwäsche’ ist ein sehr harmloser Ausdruck für das, was sie tut“, sagte Kay trocken. „Jen meint es meistens nur gut“, sagte Restraint nüchtern. „Ihr könnt uns bei Gelegenheit gerne mal besuchen kommen. Wir beißen nicht.“ „Er gehört Ihnen, Oberst Armstrong“, sagte Diligence und übergab Major Miller in die kompetenten Hände des Strong Arm Alchemist. „Lasst uns gehen. Ich habe Hunger.“ Später am selben Tag sah Kay bei Mustang vorbei, weil sie wichtige Papiere unterschrieben haben musste. Hawkeye war noch immer mit den anderen unterwegs und es war Kay sichtlich unangenehm, als sie vor Mustangs Tür darauf warten musste, dass er sein Gespräch beendete. „Hallo, Tante K.V.“, sagte eine ruhige Stimme und Elicia nahm neben ihr Platz. „Du bist jetzt im Norden, hab ich von Mama gehört.“ Kay entspannte sich sichtlich. „Stimmt“, sagte sie, während ihre niemals ruhigen Hände rasch ein paar Transmutationskreise auf ihren immer präsenten Notizblock kritzelten. „Ich bin in Briggs stationiert, aber ich hoffe, dass ich bald entweder in den Süden oder nach Central komme. Briggs ist für meinen Geschmack viel zu kalt und ich würde es vorziehen, wieder in der Nähe meiner Schwestern arbeiten zu können.“ Sie lächelte und sah Elicia an. „Was macht die Schule? Kommst du gut zurecht?“ Elicia nickte eifrig. „Ja, Tante K.V.“, sagte sie stolz. „Ich habe gestern die beste Arbeit meiner Klasse geschrieben. Mama war sehr zufrieden mit mir.“ Die rothaarige Generalin lächelte leicht, während sie weiterzeichnete. „Dein Vater wäre mit Sicherheit auch sehr stolz auf dich“, sagte sie ruhig. „Er war auch immer der beste aus unserer Klasse. Darf ich fragen, in welchem Fach du die beste warst, Elicia?“ „Physik“, sagte das Mädchen stolz. „Ich habe mit den alten Büchern gelernt, die ich bei Papas alten Sachen gefunden habe. Erst habe ich nichts verstanden, aber dann war es klar. Mama hat gesagt, dass du Papas Projektpartnerin warst, als ihr noch beide Schüler wart…“ Kay nickte, während sie nachdenklich lächelte. „Er war in allen Fächern gut“, sagte sie, „aber in Physik war er eine einsame Katastrophe. Ich hatte immer Mühe, ihn zum arbeiten zu bringen. Also habe ich ihn immer dazu gezwungen, mit mir zu lernen.“ „Du hast Physik studiert, hat Mama gesagt“, sagte Elicia. „Du, Tante K.V.? Darf ich dich anrufen, wenn ich irgendwann mal ein Problem mit Physik haben sollte?“ Die Rothaarige lächelte. „Du kannst mich immer anrufen, wenn du ein Problem hast“, sagte sie sanft. „Ich meine, es dürfte schwer für mich werden, die Jungs zu verprügeln, die dich ärgern, wenn ich im Norden sitze, aber ich bin niemand, mit dem man sich anlegen sollte.“ Elicias Augen leuchteten auf, als sie sah, was ihre Gesprächspartnerin die ganze Zeit über gezeichnet hatte. „Ist das Alchemie?“, fragte sie ehrfürchtig. Kay nickte. „Ja, das sind sehr simple Kreise, die eigentlich jeder Alchemist beherrscht. Sie sind nützlich, wenn man eine Vase oder ähnliches kaputtmacht und keine neue kaufen will“, erklärte sie. „Jeder mit dem richtigen Verständnis kann das lernen.“ „Ich bestimmt nicht“, sagte Elicia und sah traurig aus. „Ich bin nichts Besonderes wie du oder Onkel Roy. Ich bin nur ein ganz normales Mädchen.“ „Tsss…“ Kays Mund verformte sich zu einem feinen Lächeln. „Jeder Mensch ist etwas ganz besonderes, Elicia. Das musste ich auf die harte Tour lernen. Ich war etwa in deinem Alter, als ich deinen Vater auf der Schule getroffen habe. Er war ein aufgeweckter Kerl und das musst du von ihm geerbt haben.“ Sie lächelte. „Hättest du Interesse an Alchemie, würde ich es dir beibringen, aber ich denke nicht, dass du dich dafür interessierst.“ Elicia sah sie mit großen Augen an. Tante K.V. war immer anders gewesen als die anderen Erwachsenen. Sie hatte das kleine Mädchen immer wie einen „richtigen“ Menschen behandelt und nicht wie ein Kind. Früher hatte Elicia Angst vor der großen Frau mit der klaren Stimme gehabt, aber nicht mehr. „Tante Linette hat gesagt, du hättest schon vor Jahren gesagt, dass du nie einen Lehrling nehmen würdest“, sagte sie. Kay zuckte die Schultern. „Ich werde nicht jünger und ich bekäme die Krise, wenn meine Alchemie nach meinem Tod einem Idioten in die Hände fallen würde“, sagte sie, während sie Elicias Kopf kurz tätschelte. „Denk drüber nach und sprich mit deiner Mutter darüber. Sie wird vielleicht nicht wollen, dass du Alchemie lernst, aber wenn sie es erlaubt, bringe ich dir alles bei, was du wissen willst. Und im Gegensatz zu vielen anderen Menschen halte ich meine Versprechen immer ein. Wenn du lernen willst, komm zu mir. Ich entstamme einer Linie großer Lehrmeister und es wäre eine Schande, wenn ich das Ende einer Ära wäre.“ Elicia wusste, dass Tante K.V. es ernst meinte. Ihr Vater hatte ihr immer gesagt, dass seine alte Freundin einer der seltsamsten und dennoch freundlichsten Menschen auf Erden war. Und sie war sich sicher, dass ihre Mutter nichts dagegen sagen würde, wenn sie Alchemie lernen würde. Sie sah die Generalin an und schaute hinter das Gesicht, das alle sahen. Sie sah die Frau dahinter. Die verletzte, noch immer wütende Frau. Und Elicia nahm sich vor, ihre Tante hinter ihrer Fassade hervorzuholen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)