Fullmetal Alchemist - Was danach geschah von abgemeldet (Was hätte passieren können...) ================================================================================ Kapitel 6: (K)EIN GANZ NORMALER TAG IN EAST CITY ------------------------------------------------ (K)EIN GANZ NORMALER TAG IN EAST CITY Roy Mustang wusste, dass seiner Assistentin sich noch irgendwann dafür rächen würde, dass er durch geschicktes Taktieren dafür gesorgt hatte, dass sie bei ihm einziehen musste, aber als zwei Wochen vergangen waren und sie nichts unternommen hatte, vergaß er die Angelegenheit wieder. Es klappte erstaunlich gut, mit ihr unter einem Dach zu wohnen. Das Anwesen war riesig und sie wohnte im Südflügel. An den Wochenenden war er ohnehin nicht da und wenn er sie sah, dann noch morgens, wenn sie frühstückte. Aber Riza Hawkeye hatte nicht vergessen, dass sie es ihm noch heimzahlen wollte. Sie war jedoch geduldig genug, um zu warten, bis er sich sicher fühlte. Außerdem hatte sie alle Hände voll zu tun. Selbst wenn sie es gewollt hätte, hätte sich keine Möglichkeit ergeben, sich an ihm zu rächen, weil sie fast jeden Tag Überstunden machen musste, Aber dann kam der Tag. Es war Catalinas letzter Arbeitstag, bevor sie für zwei Wochen nach Central gehen würde, und die beiden Freundinnen hatten ausgemacht, nach der Arbeit noch ein bisschen auszugehen. Havoc und Breda würden ebenfalls mit von der Partie sein. Weil sie direkt nach der Arbeit losziehen würden, trug sie ausnahmsweise im Büro einen Rock. „Hat man die Uniformvorschriften geändert, Hawkeye?“, fragte Mustang, als sie aus dem Haus kam. Sie fuhren immer zusammen zur Arbeit, um die Umwelt zu schonen. Sie sah ihn gereizt an. „Wenn Sie die Vorschriften gelesen hätten, wüssten Sie, dass ‚jede weibliche Soldatin das Recht hat, im Dienst einen Rock zu tragen, solange sie nicht auf einem Schlachtfeld arbeitet’. Das entspricht Paragraph 74b der Uniformvorschriften“, sagte sie beherrscht. „Und falls wir heute ausrücken müssen, habe ich eine Hose dabei.“ „‚Weibliche Soldatin’?“, fragte er grinsend. „Heißt das, dass es auch männliche Soldatinnen gibt, Oberstleutnant?“ Sie verdrehte die Augen. „Ich habe die Vorschriften nicht aufgesetzt, Sir“, sagte sie dann ruhig und startete den Wagen. „Und bei manchen Offizieren fragt man sich wirklich, ob sie nicht mit einem Rock und einem ruhigen Schreibtischjob besser bedient wären.“ „Da haben Sie natürlich vollkommen Recht“, sagte er geistesabwesend. „Heute ist Catalinas letzter Tag, nicht wahr?“ Hawkeye nickte. „Deswegen gehen wir ja auch aus“, sagte sie. „Sie, Havoc, Breda und ich. Breda hat uns ein nettes Restaurant vorgeschlagen. Und weil ich keine Lust habe, mich noch groß umziehen zu müssen, komme ich ausnahmsweise im Rock.“ „Und wieso hat man mich nicht zu dieser Verabschiedungsfeier eingeladen?“, fragte er und hob langsam eine Augenbraue. „Ich bin enttäuscht.“ „Sie sind nicht eingeladen, weil Sie seit Tagen nur noch von der Verabredung, die Sie heute Abend offenbar haben, sprechen“, sagte seine Untergebene sachlich. „Und da wir unmöglich von Ihnen verlangen können, dass Sie Ihre Verabredung absagen, müssen wir wohl auf Ihre erlauchte Gesellschaft verzichten müssen. Wir bedauern das natürlich.“ „Hören Sie bitte auf, am frühen Morgen schon so sarkastisch zu sein, Hawkeye“, sagte er gähnend. „Ich bin zu müde dafür. Tut mir leid.“ „Es ist schon nach neun“, sagte sie ruhig. „Und ich sollte Sie vielleicht warnen. Beccas Rock ist ziemlich kurz. Sie hat ihn zuletzt getragen, als sie gerade mit der Akademie fertig war und sie ist danach noch gewachsen.“ „Solange er Havoc nicht von der Arbeit ablenkt, bin ich der letzte, der sich darüber beschwert“, sagte Mustang. „Es wird leise werden, wenn Catalina in Central ist.“ „Bevor ich es vergesse, Sir“, sagte die Blonde und verzog das Gesicht. „Leutnant Heller wollte sich bei Ihnen beschweren.“ Mustang verdrehte die Augen. „Er soll sich nicht so anstellen“, meinte er. „Okay, sie hat ihm die Nase gebrochen. Ja, sie hat ihn vor allen, die an dem Tag zu dieser Uhrzeit essen waren, bloßgestellt. Es stimmt, dass es für seinen Ruf nicht gerade förderlich war, dass sie ihn verdroschen hat, aber … sie hatte Recht. Er hat angefangen. Alles, was sie getan hat, war eine absolut normale Reaktion, wenn eine Frau ein so hitziges Temperament wie Catalina hat. Deswegen … wimmeln Sie ihn bitte ab, wenn er kommt.“ „Sie scheinen Ihre Meinung über den Vorfall geändert zu haben“, sagte Hawkeye sachlich, während sie auf dem Parkplatz vor dem Eastern Hauptquartier parkte. „Als Sie zuletzt darüber gesprochen haben, klang das noch ein bisschen anders.“ Er zuckte die Schultern, während er ausstieg. „Irgendwie war es nett, zwei Frauen im Büro zu haben“, sagte er. „Und ich kann Heller nicht leiden. In meinen Augen sollten wir ihn schnellstmöglich nach Briggs versetzen lassen. Dort ist die Wahrscheinlichkeit, dass er bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, vermutlich am höchsten.“ Hawkeye drehte sich zu ihm um und hob langsam eine Augenbraue. „Ich hoffe, dass das gerade ein schlechter Witz war, Sir“, sagte sie. „Trotz allem ist er einer Ihrer Soldaten. Sie dürfen so etwas nicht über ihn sagen und das wissen Sie auch.“ „Ich mache doch nur Witze, Hawkeye“, sagte er eilig. „Sie wissen doch, dass ich viel zu besitzergreifend bin, um Olivier irgendwen von meinen Leuten zu überlassen. Ich tue mich schon schwer, Catalina nach Central gehen zu lassen, aber ich sehe natürlich ein, dass es für ihre Karriere besser ist, direkt für den Generalfeldmarschall zu arbeiten. Und er kann vermutlich auch eine Frau wie sie an seiner Seite gebrauchen.“ Hawkeye lächelte still in sich herein, während sie durch die leeren Gänge gingen. Sie war immer glücklich, wenn Mustang außer Haus war, weil das hieß, dass sie keine Vorsicht walten lassen musste, wenn ihr Großvater anrief. Er rief häufig an, um sich über die Zustände in East City zu informieren. Sie kamen zum Büro, wo Falman gerade telefonierte. „Nein, ich kann nicht kommen, Vivian, ich muss arbeiten“, seufzte er, als sie hereinkamen. „Ich weiß, dass ich eigentlich an der Reihe wäre, aber wir haben hier eine Untersuchung. Ich kann wirklich nicht kommen. Es tut mir leid, wirklich, aber … du weißt doch selbst, wie das manchmal läuft. Es tut mir leid…“ Mustang sah Breda, der sich sein Lachen kaum verkneifen konnte, fragend an. „Seine Ex-Frau“, erklärte der Rothaarige amüsiert. „Offenbar ist er heute Abend an der Reihe, auf die Kinder aufzupassen, aber er muss ja Überstunden machen, weil wir alle schneller waren und deswegen schon um vier Uhr gehen.“ „Ihr könnt heute alle früher gehen“, sagte Mustang, bevor er Falman das Telefon aus der Hand schnappte. „Mrs Falman?“, fragte er freundlich. „Es tut mir leid, falls ich Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet habe. Ihr Ex-Mann wird pünktlich da sein. Wir hören heute einfach alle früher auf. Machen Sie sich keine Sorgen.“ Auf der anderen Seite der Leitung schnappte jemand nach Luft. „Danke, Generalmajor Mustang“, sagte eine weiche Frauenstimme schließlich. „Ich muss Ihnen danken. Ich muss zu meiner Mutter fahren und wenn Vato nicht auf die Kinder aufgepasst hätte, hätte ich diesen Besuch wieder verschieben müssen. Vielen Dank.“ „Sie müssen mir nicht danken, Mrs Falman“, sagte er. „Da selbst meine Assistentin heute früher geht, sehe ich keinen Grund, weshalb ausgerechnet Ihr Ex-Mann als einziger Überstunden machen sollte. Viel Spaß bei Ihrem Besuch, Ma’am.“ Falman starrte ihn fassungslos an, als er ihm den Hörer wieder zurückgab, dann fasste er sich wieder und wandte sich wieder seiner Ex-Frau zu. „Du hast es selbst gehört, Vivian“, sagte er. „Ich kann doch kommen. Tut mir leid, wirklich.“ Catalina stolzierte ins Büro, während sie versuchte, den Saum ihres Rockes weiter nach unten zu ziehen, was ein ziemlich hoffnungsloses Unterfangen war. „Erinnere mich daran, dass ich einen neuen bestelle, Riza“, jammerte sie, während sie sich an ihren Schreibtisch setzte und sich vornahm, bis zum Ende des Tages nicht mehr aufzustehen. Sie war gut darin, dickköpfig zu sein. Und deswegen schaffte sie es auch, den armen Fuery bis zur Mittagspause alles erledigen zu lassen, was eigentlich sie machen müsste, sofern sie dafür hätte aufstehen müssen. Havoc, der den Schreibtisch neben ihrem hatte, war froh, dass sie nicht aufstand, weil er über die Vorlieben seines Vorgesetzten nur zu gut informiert war. Und er wollte nicht wieder gegen Mustang verlieren. Die Beziehung zu Catalina hielt jetzt schon sehr lange und er wollte nicht, dass sie wegen Mustang mit ihm Schluss machte. Als er aufsah, ertappte er seinen Vorgesetzten jedoch dabei, wie selbiger Hawkeyes Beine bewunderte, als der Oberstleutnant gerade quer durch den Raum ging, um einige Akten zu holen. „Sie sollten sich beeilen, Sir“, schnappte sie, während sie sich umdrehte. „Ich habe Ihnen genug Arbeit gegeben. Es ist nicht so viel wie üblich, aber wenn Sie es bis vier nicht erledigt haben, werden Sie der einzige von uns sein, der länger bleibt.“ „Sie sind grausam, Hawkeye“, jammerte er. „Wieso sollte ich der einzige sein, der länger bleibt? Hey, Sie könnten mir mit der Arbeit helfen…“ Sie seufzte schwer. „Ich hoffe wirklich, dass Sie irgendwann realisieren, dass es Gründe hat, weshalb Sie Generalmajor sind und nicht ich. Sie haben sich an die Spitze gearbeitet. Als Konsequenz müssen Sie jetzt eben mehr arbeiten. Von daher rate ich Ihnen, nicht zu jammern, sondern einfach einen Stift in die Hand zu nehmen und zu arbeiten. Sonst muss der Generalfeldmarschall mit Ihrer Beförderung zum Generalleutnant noch ein bisschen warten. Und wir wollen ihn doch nicht ungeduldig werden lassen, nicht wahr?“ Er sah sie grimmig an. „Heißt das, dass Sie die Arbeit machen würden, wenn Sie mit diesem Rang an diesem Schreibtisch sitzen würden?“, fragte er. „Gut, vielleicht haben Sie ja Recht, aber woher will der Generalfeldmarschall wissen, ob ich arbeite oder nicht? Am Ende bin ich doch immer noch rechtzeitig mit allem fertig…“ Catalina hob ihren Kopf und spielte ihre Trumpfkarte aus. „Woher er das weiß?“, fragte sie mit einem süffisanten Lächeln im Gesicht. „Nun, es könnte daran liegen, dass er mich darum gebeten hat, ihm regelmäßig Bericht über Ihr Arbeitsverhalten zu erstatten. Ich komme mir seitdem zwar wie eine Lehrerin vor, die ein Zeugnis schreiben muss, aber … was soll ich sagen? Ich hänge an meiner Karriere – jedenfalls manchmal.“ Mustang entwich ein Fluch, der mit Sicherheit nicht jugendfrei war, dann nahm er sich seinen Stift und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Wenn Grumman ihm einen Spion ins Büro gesetzt hatte, musste er die Fassade aufrechterhalten und … arbeiten, auch wenn er es schrecklich langweilig fand. Er konnte nur hoffen, dass er wieder in Ruhe trödeln konnte, sobald Catalina in Central war. Dass ausgerechnet sie jetzt dafür sorgte, dass er arbeitete, fand er ein wenig ironisch, aber er wusste, dass ihn bei dieser Frau besser nichts mehr überraschen sollte, weil sie für ihre Unberechenbarkeit bekannt war. Bald war es halb vier und Catalina, die sich den ganzen Tag nicht erhoben hatte, stand auf und ging sich etwas zu essen holen. Hawkeye folgte ihr. Sie hatte ebenfalls noch nichts gegessen und wenn sie Hunger hatte, konnte sie sich nicht konzentrieren. „Hervorragend“, sagte Mustang und schraubte seinen Füller zu, bevor er seine Jacke überwarf. „Tja, ich bin dann jetzt mal weg. Ich hoffe, ihr lasst euch nicht erschießen, wenn Hawkeye gleich wütend wird…“ „Sie gehen, Sir? Sie sind doch noch gar nicht fertig!“ Havoc war entsetzt. „Riza wird das mit Sicherheit nicht nett finden.“ Mustang lachte nur und schritt davon. „Dafür wird er bezahlen“, murmelte Breda. „Oh ja.“ Havoc nickte. „Und wenn wir Glück haben, werden wir Zeugen davon. Mann, ich will gar nicht wissen, was sie mit ihm anstellt.“ Der Generalmajor war vielleicht seit vier Minuten weg, als die beiden Frauen zurückkamen. Die Männer hielten die Luft an, während sie Hawkeyes Mienenspiel betrachteten. Zunächst kam die Erkenntnis, dass der Chef weg war. Dann ein feiner Hauch Wut. Darauf folgte etwas Gelassenheit. Den Abschluss bildete ein süffisantes Lächeln. „Nun gut“, sagte sie, während sie zum Schreibtisch hinüberging. „Dann hat er es nicht anders gewollt. Wir machen Schluss für heute, meine Lieben. Aber der Generalmajor wird sehen, was er davon hat, sich vor seiner Arbeit zu drücken.“ Sie raffte die Papiere zusammen und steckte sie in ihre Aktentasche. „Wenn er denkt, er könnte davonlaufen, sobald ich ihm kurz den Rücken zukehre, hat er sich aber geschnitten.“ Sie wandte sich mit einem maliziösen Lächeln zu Havoc um. „Du weißt nicht zufällig, wo er ist, oder?“ „Falls du denkst, was ich denke, Riza…“ Der Blonde grinste. „…dann bist du wirklich teuflisch. Aber vergiss nicht, dass er sehr unangenehm werden kann, wenn etwas nicht nach seinem Willen verläuft. Trotzdem … ich will seinen Blick sehen.“ Sie knöpfte ihre Uniformjacke auf. „Er wird sehen, was er davon hat, sich mit mir anzulegen“, sagte sie grimmig, während sie sich der Tür zuwandte. „Becca, Breda – wir gehen jetzt. Und es gnade ihm Gott, wenn ich ihn kriege!“ Unterdessen ahnte Roy Mustang nichts von dem Sturm, der aufzog. Er genoss sein Date in vollen Zügen, während er sich selbst dazu beglückwünschte, seiner Assistentin entwischt zu sein. Das hatte er noch nie versucht, aber einmal war eben immer das erste Mal. Und er hatte es sofort im ersten Anlauf geschafft. „Du siehst heute irgendwie sehr, sehr zufrieden aus“, meinte seine Verabredung, ein hübsches Ding namens Mia. „Und du warst früher als ich da.“ „Ich bin einfach früher gegangen“, sagte er. „Meine Babysitterin war kurz draußen und ich habe die Gelegenheit beim Schopfe ergriffen und bin getürmt. Sie ist manchmal wirklich eine Sklaventreiberin. Ich frage mich wirklich, wie sie das nur immer macht.“ Mia lachte. „Sie meint es bestimmt nur gut mit dir“, sagte sie dann. „Sie ist bestimmt eifersüchtig, weil sie selbst kein so ausgefülltes gesellschaftliches Leben hat.“ Das war eine Interpretation, die Mustang sehr zusagte. War das vielleicht wirklich so? War es möglich, dass Hawkeyes Sklaventreiberei nur ihrer Eifersucht geschuldet war? Er kam nicht mehr dazu, dieses Thema genauer zu erörtern, weil in diesem Moment die Tür zum Kaffee aufschwang und zusammen mit einem Schwall warmer Luft vier ihm nur zu gut bekannte Offiziere hereinkamen. Hawkeye ging mit entschlossenem Schritt voran, direkt dahinter kam Catalina, die mit Havoc Händchen hielt. Breda bildete das Schlusslicht und sah als einziger wenigstens ansatzweise schuldbewusst aus, als Hawkeye einen Tisch direkt in Mustangs Nähe ansteuerte und daran Platz nahm, während sie ihren Vorgesetzten geflissentlich ignorierte. Die anderen nahmen ebenfalls Platz und sie bestellten sich nur Kaffee. Schweißtropfen liefen über Mustangs Stirn, als Oberstleutnant Hawkeye in ihre Aktentasche griff und einen Stoß Papiere herausnahm. „Es ist ja schon dreist vom Generalmajor gewesen, seine Arbeit nicht zu machen, Riza“, sagte Havoc laut. „Und du machst es jetzt? Komm schon, das musst du dir nicht bieten lassen. Er ist alt genug. Er sollte das eigentlich selbst machen. Du bist nicht seine Ehefrau. Du musst nicht immer hinter ihm aufräumen.“ „Du hast Recht, Jean.“ Hawkeye schraubte ihren Füller wieder zu und raffte die Blätter zusammen. „Ich habe das immer gemacht. So, ich habe keine Lust mehr. Er soll es selbst machen – oder er kann sich eine neue Assistentin machen.“ „Was hast du vor?“, fragte Breda neugierig. „Hey, sitzt er nicht da vorne, Riza?“, fragte Catalina und wies auf Mustang. „Das ist aber ein wunderbarer Zufall. Du kannst ihm gleich die ganzen Papiere geben.“ Mustangs Atem stockte, als sie aufstand und mit festen Schritten auf ihn zukam. Sie trug ihre Uniformjacke nicht mehr und dadurch, dass sie das nicht mehr tat, sah sie nicht mehr wie eine Soldatin aus. „Guten Abend, Sir“, sagte sie freundlich. „Ich muss mich eben wohl nicht klar genug ausgedrückt haben. Ich hatte die Arbeit so dosiert, dass Sie rechtzeitig fertig geworden wären, wenn Sie die Güte besessen hätten, anzufangen und sich zu konzentrieren.“ Sie legte den Stapel vor ihm ab. „Wenn ich morgen ins Büro komme, wird das alles fertig sein. Sonst werde ich morgen erst nach Hause gehen, wenn Sie fertig sind. Und wie Sie wissen, bin ich durchaus in der Lage, so etwas durchzuziehen.“ „Wie oft haben Sie mit in den letzten Jahren damit gedroht, genau das hier zu tun?“, fragte er seufzend, während er auf den Stapel starrte. „Moment, das ist mehr als eben.“ „Ach, ist das so?“, fragte sie. „Möglicherweise habe ich versehentlich noch die Akten dazugelegt, die Sie heute hätten bearbeiten müssen, wenn wir nicht entschieden hätten, dass wir alle früher Schluss machen. Deswegen … ich rate Ihnen wirklich, das bis morgen zu erledigen, weil ich sonst das Angebot des Generalfeldmarschalls doch noch annehmen würde. Nach allem, was man so hört, erledigt er seine Pflichten nämlich immer fristgerecht.“ Sie salutierte. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend. Kommen Sie bitte nicht zu spät nach Hause und denken Sie bitte daran, dass Sie an der Reihe sind, einzukaufen. Und Sie hatten mir versprochen, mit Hayate zu spielen.“ Fassungslos sah er ihr nach, wie sie an ihren eigenen Tisch zurückkehrte. Er hatte gewusst, dass der Tag, an dem sie eine seiner Verabredungen ruinieren würde, kommen würde. Sie hatte in den letzten Jahren schließlich oft genug damit gedroht. Aber er hatte nicht gedacht, dass sie es eines Tages wirklich durchziehen würde. Er wusste, dass er sein Date knicken konnte. Sie war sich über die Wirkung ihrer Worte zu sehr im Klaren gewesen. Sie hatte jedes einzelne Wort sorgsam abgewogen. Verdammt, es war schon ätzend, eine so pflichtbewusste Assistentin zu haben. Er war brauchte sie. Das war das Problem. Er konnte es sich nicht erlauben, sie an Grumman zu verlieren. „Tja, das war gerade meine Assistentin“, sagte er erschöpft und sah Mia an, deren Blick alles andere als verständnisvoll war. „Und sie ist doch eine Sklaventreiberin.“ „Erstaunlich, für wie dumm du mich hältst“, sagte Mia düster. „Denkst du etwa, ich würde nicht kapieren, dass sie deine Freundin ist? Aber du hast mich falsch eingeschätzt. Ich bin nicht der Typ Frau, der mit einem Mann ausgeht, der schon eine Freundin hat.“ Er verschluckte sich an seinem Kaffee. Riza Hawkeye? Seine Freundin? Er lachte bitter. Das war zu lächerlich. „Sie ist nicht meine Freundin“, sagte er. „Sie ist nur meine Assistentin und nebenbei noch die Tochter eines Mannes, der mir in der Vergangenheit einen großen Dienst erwiesen hat. Und dasselbe gilt auch für sie selbst.“ „Wie gesagt“, sagte Mia, während sie ihre Tasche nahm. „Ich bin nicht dumm.“ Mustang wusste nicht, was er am Schlimmsten fand. War es die Tatsache, dass sein Date gerade die Flucht ergriff oder war es das Gelächter am Tisch seiner Untergebenen? Worüber lachten sie überhaupt? Hatten sie die Szene etwa mitbekommen? Nein, nein, sie schienen darüber zu lachen, dass Breda sich schon wieder einen Hotdog bestellt hatte. Von Abwechslung hielt er nicht viel zu halten. Er stand auf und nahm sich die Papiere, bevor er das Lokal verließ. Nachdem Hawkeye einmal demonstriert hatte, wozu sie fähig war, wenn sie sich hintergangen fühlte, sollte er lieber tun, was sie sagte, sonst könnte sich die Szene wiederholen. Er würde es niemals zugeben, aber er hatte sich immer gefragt, was er tun musste, um sie soweit zu bekommen, dass sie in sein Privatleben eingriff. Jetzt wusste er es, aber er wusste auch, dass es das nicht wert gewesen war. Seine Beziehung mit Mia hatte immerhin eine Woche gehalten. Das Telefon auf Hawkeyes Schreibtisch klingelte. Mustang stand auf und ging hinüber, um abzuheben. „Guten Abend, meine Teure“, sagte eine Männerstimme. „Ich will dich nicht lange von der Arbeit abhalten, aber ich wollte dich daran erinnern, dass ich auf dich zähle. Du bist die einzige, die mir bei diesem Problem helfen kann. Also, tu mir bitte den Gefallen.“ „Hier ist Generalmajor Mustang“, sagte er seufzend. „Oberstleutnant Hawkeye ist schon gegangen. Soll ich ihr irgendetwas ausrichten?“ „Ja…“, sagte der Mann gedehnt. „Sagen Sie ihr bitte, dass ihr Großvater angerufen hat. Sie soll mich bitte zurückrufen, sobald sie kann. Es ist sehr wichtig. Ich brauche ihre Kompetenz. Sie muss mir helfen, sonst schaffe ich dieses Jahr nichts mehr…“ Mit etwas Schreck erkannte Mustang die Stimme. „Generalfeldmarschall Grumman?“, fragte er fassungslos. „Sie schmeicheln mir, junger Mann“, sagte der Anrufer. „Nein, ich bin nicht der Generalfeldmarschall. Und ich wollte meine Enkeltochter auch nur darum bitten, mich demnächst besuchen zu kommen. Ich habe sie lange nicht mehr gesehen und ich brauche ein bisschen mehr Leben in meinem Haus, verstehen Sie?“ „Ich verstehe“, sagte der Soldat langsam. „Also, was soll ich meiner Untergebenen ausrichten? Sie soll Sie zurückrufen, aber ansonsten?“ „Oh, sie soll in ihre rechte Schreibtischschublade sehen“, sagte Hawkeyes Großvater. „Ich habe ihr vor einiger Zeit durch einen befreundeten Offizier etwas zuschieben lassen und ich wäre wirklich sehr glücklich, wenn sie sich daran erinnern würde, dass sie noch immer jemanden hat, an dem sie sich festhalten kann. Aber wie ich meine Enkelin kenne, wird sie wieder einmal sagen, dass sie nicht zu ihrem Vergnügen beim Militär ist und deswegen hoffe ich, dass irgendwer ihr bald mitteilt, dass sie noch jung genug ist, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Das habe ich ihr zwar schon tausendmal gesagt, aber es gibt auf der ganzen Welt niemanden, der so sturköpfig ist!“ „Da haben Sie vermutlich Recht, Sir“, sagte Mustang. „Ich finde es seltsam, dass sie nie erwähnt hat, dass sie noch Familie hat. Ich meine, sie arbeitet seit dem Krieg unter meinem Kommando. Irgendwann hätte sie es vielleicht ja mal erwähnen können.“ „Meine kleine Riza ist dafür bekannt, dass sie niemanden an sich heranlässt“, sagte der ältere Herr, der dieselbe Stimme wie Grumman hatte. „Aber sie hat sicherlich auch gute Gründe dafür. Ich erinnere mich daran, dass Berthold vor allem zum Ende hin nicht mehr Herr seiner Sinne war. Ganz gleich, wie genial ein Alchemist ist, er hat kein Recht darauf, seine Familie damit zu beeinträchtigen. Stimmen Sie mir da zu?“ „Voll und ganz.“ Mustang nahm Platz. Das Gespräch mit Hawkeyes Großvater war wesentlich spannender als der Papierkram, der ihn an seinem Schreibtisch erwartete. „Ich frage mich nur, wo Sie während Hawkeyes Kindheit waren.“ „Können wir sie nicht beide Riza nennen?“, bat der Großvater. „Wenn ich den Namen ‚Hawkeye’ höre, denke ich immer zuerst an meinen Schwiegersohn – und diese Erinnerung möchte ich nach Möglichkeit meiden. Und außerdem wird sie für mich immer das kleine Mädchen mit den Zöpfen bleiben, das sie früher einmal war.“ „Es fällt mir schwer, sie nur Riza zu nennen“, gestand Mustang. „Früher, als ich noch der Lehrling ihres Vaters war, hieß es immer Miss Riza und Mr Mustang.“ „Die Zeiten haben sich geändert, junger Mann“, sagte der Großvater. „Und Sie sind also der Vorgesetzte meiner Enkeltochter? Ich hoffe, sie benimmt sich. Sie ist hin und wieder sehr streng, aber wenn man Generalmajor ist, sollte man damit umgehen können.“ „Waren Sie selbst beim Militär, Sir?“, bohrte Mustang. „Ja, ich war beim Militär“, sagte der Mann zögernd. „Es war eine sehr einschneidende Erfahrung für mich, aber wenn ich auf mein Leben zurückblicke, möchte ich sie um nichts in der Welt missen. Ich hätte es nur vorgezogen, wenn meine Riza nicht ins Militär eingetreten wäre. Ich war nicht in Ishbal, weil ich zu alt war, aber … ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Ort der richtige Ort für eine junge Frau war. Sie muss damals viele schreckliche Dinge gesehen und natürlich auch getan haben.“ „Ich war selbst auch in Ishbal und als ich sie damals dort getroffen habe, hätte ich mich am liebsten selbst in Brand gesteckt“, sagte der Alchemist düster. „Nach dem Tod ihres Vaters hatte ich ihr von meinem Traum von einer besseren Zukunft erzählt. Und ich hatte ihr gesagt, dass sie mich jederzeit um Hilfe bitten könnte.“ „Sie müssen sich keine Vorwürfe machen, Generalmajor“, sagte der Großvater ruhig. „In meiner Familie hat es eine gewisse Tradition, zum Militär zu gehen. Ich glaube, in ihrem Familienalbum gibt es kein einziges Foto von mir, wo ich nicht uniformiert bin. Selbst wenn Berthold dieses Album vermutlich als erstes verbrannt hat, sobald er den Dreh erst heraushatte, wird sie sich vermutlich noch vage an den Mann in Uniform erinnert haben. Und wie ich kürzlich zu meinem lieben Freund Grumman sagte, ist es ja immer noch meine einzige Enkeltochter. Er fand das ziemlich amüsant, müssen Sie wissen. Ich glaube, manchmal wäre es ihm lieber, wenn es seine Enkeltochter wäre.“ In diesem Moment hörte Mustang hinter sich ein leises Keuchen. Er sah über seine Schulter und dort stand Hawkeye. Sie war leichenblass und ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie riss sich zusammen, sobald sie seinen Blick bemerkte, und kam eilig auf ihn zu. „Dürfte ich fragen, mit wem Sie da von meinem Telefon aus telefonieren?“, fragte sie und ihre Stimme war ungewöhnlich schrill. „Mit Ihrem Großvater, Sie müssen sich keine Sorgen machen, ich habe mich nicht über Sie beschwert, Oberstleutnant“, sagte er verwirrt, dann hielt er ihr den Hörer hin. „Sie können jetzt selbst mit ihm sprechen, Hawkeye, ich arbeite weiter.“ Sie schnappte ihm den Hörer aus der Hand und umfasste ihn so fest, dass er sich fragte, ob der Hörer nicht vielleicht durchbrechen würde. „Guten Abend, Großvater“, sagte sie seufzend und ihre Augen blitzten gefährlich. „Hatte ich dir nicht gesagt, dass du nicht auf der Dienstleitung anrufen sollst?“ Grumman am anderen Ende der Leitung lachte. „Ich habe nur ein wenig mit deinem Vorgesetzten über dich geplaudert, Riza“, sagte er freundlich. „Du musst dir keine Sorgen machen. Ich habe mich nicht als Generalfeldmarschall Grumman vorgestellt. Unser kleines Geheimnis ist noch immer sicher. Entspann dich, Mädchen. Denk daran: Du bist eine Scharfschützin. Du bist nicht dafür gemacht, Panik zu empfinden. Du bist bis in die Tiefe deines Herzens hinein vollkommen gelassen. Und jetzt siehst du bitte in die rechte Schublade deines Schreibtisch, Kleine.“ Schweigend gehorchte sie und stellte eine kleine Schatulle vor sich ab. „Sieh ruhig hinein, Riza, sie gehören dir“, sagte er sanft. Ihre Hand, von der all ihre Kollegen geschworen hätten, dass sie gar nicht zittern konnte, bebte leicht, als sie das Etui öffnete und die Ohrringe und die Kette herausnahm. „Ich hatte dir gesagt, dass ich sie nicht will“, sagte sie leise. „Du bist die einzige, die das Recht hat, sie zu tragen, Riza“, sagte er. „Zwing mich nicht dazu, nach East zu kommen und sie dir persönlich anzuziehen.“ Ihre freie Hand ballte sich unwillkürlich zur Faust. „Ich kann sie nicht tragen, Großvater“, sagte sie und ließ sich auf ihren Stuhl sinken, bevor ihr Blick wieder auf den Schmuck fiel. „Das musst du verstehen können. Ich kann … ich kann Mutters Kette nicht anziehen. Das wäre … Blasphemie.“ „Deine Mutter war zu Lebzeiten kein Engel, Riza“, sagte Grumman. „Dein Vater muss sie nach ihrem Tod idealisiert haben, aber ich weiß genug über sie, um zu wissen, dass du ihren Schmuck bedenkenlos tragen kannst. Wir machen alle Fehler, Liebes. Du weißt, dass du Fehler gemacht hast. Das unterscheidet dich von ihr. Sie war bis zum Schluss fest davon überzeugt, dass es richtig war. Wenn ich meinen Willen bekommen hätte, wärst du bei mir aufgewachsen. Es wären sichere, stabile Umstände gewesen. So hast du schon in deiner Kindheit viel zu viel Leid gesehen. Komm. Tu es für mich. Ich habe diesen Schmuck erst deiner Großmutter und nach ihrem Tod deiner Mutter geschenkt. Jetzt bist du an der Reihe, ihn zu tragen und deinen Weg zu gehen.“ „Ja, Großvater“, murmelte sie. „So lobe ich mir mein Mädchen“, sagte er zufrieden. „Aber vergiss bitte nicht, dass ich dafür gesorgt habe, dass du an deinem Geburtstag in Central sein wirst. Ich plane eine kleine Feier. Nichts Wildes, nur du, ich und deine Kollegen. Mach dir keine Sorgen, Riza.“ „Wie soll ich mir bitte keine Sorgen machen, wenn du so etwas ausheckst?!“, fuhr sie auf. „Wie soll ich deine Anwesenheit bitte erklären, Großvater? Becca würde es vielleicht für sich behalten können, aber alle anderen…?!“ „Vertraust du deinen Kameraden etwa nicht, Riza?“, fragte er. „Doch, Großvater“, sagte sie erschöpft. „Natürlich vertraue ich ihnen, aber … ich mag es nicht, wenn man so viel Wirbel um mich macht.“ „Deswegen wirst du damit leben müssen, dass der Generalfeldmarschall dich und deine Kameraden an diesem Tag zum Abendessen einlädt“, sagte Grumman und gluckste zufrieden. „Ich erwarte euch alle an diesem speziellen Tag in Central. Mach dir keine Sorgen, ich werde deinem Vorgesetzten irgendeine nette Geschichte auftischen. Moment mal, haben wir nicht ohnehin am selben Tag Geburtstag? Genau, da war was. Und weil ich die ersten vierundzwanzig Geburtstage deines Lebens verpasst habe, werde ich die größte und beste Geburtstagsfeier in der gesamten Geschichte unseres Landes für dich schmeißen! Mach dir keine Sorgen, Riza, ich bezahle für alles!“ „Alles andere hätte mich auch sehr gewundert, Großvater“, sagte sie seufzend. „So, jetzt kommt ein Themenwechsel, damit ich nicht alles verrate“, sagte Grumman und sein Tonfall wurde wieder professionell. „Wie kommt dein Vorgesetzter mit der Suche nach seiner First Lady voran? Hat sich da schon was Neues ergeben?“ Hawkeye schüttelte den Kopf und senkte ihre Stimme auf ein Minimum. „Ich fürchte, ich habe heute auch eine Kandidatin höchstpersönlich aus dem Verkehr gezogen“, gestand sie flüsternd. „Er hat seine Arbeit nicht erledigt und ich war so frei, ihm seinen Papierkram hinterher zu tragen. Ich glaube, dass seine Verabredung das nicht so lustig fand, wenn ich ihren wütenden Abgang als Indiz nehme…“ „Riza, Riza, du wirst später einmal eine höllisch gute Ehefrau abgeben, ich sehe das schon kommen“, sagte ihr Großvater lachend. „Aber wer nicht arbeitet, muss sehen, was er davon hat – oder in diesem Fall; was er nicht davon hat.“ Sie nickte langsam, bevor sie über ihre Schulter sah. „Wenigstens scheint er jetzt anständig zu arbeiten“, sagte sie zufrieden. „Und was Becca angeht, sie freut sich schon darauf, nach Central zu kommen.“ „Hmh?“ Grumman klang überrascht. „Ich dachte, sie wäre mit deinem blonden Kollegen zusammen. Mit Havoc. Und wie ich sie kenne, ist sie eigentlich der Typ, der seinen neuen Freund nicht sofort außer Augen lässt. Vielleicht sollte ich ihm auch eine Versetzung nach Central City ans Herz legen…“ „Ich glaube kaum, dass er kommen würde“, sagte sie. „Er ist hier im Osten geboren und soweit ich weiß, wollte er hier eigentlich nie weg. Dass er doch aus East City wegmusste, hat ihm aus verschiedenen Gründen fast das Herz gebrochen.“ Mustang sah von seinen Akten auf. Hawkeye klang so entspannt, so ruhig, dass er sich fragte, weshalb sie nicht häufiger mit ihrem Großvater telefonierte. Aber dann entschied er, dass es ihn nicht zu interessieren hatte. Er war schneller mit der Arbeit fertig als sonst und fragte sich, ob es wirklich nötig gewesen war, früher zu gehen. Wenn er ausnahmsweise brav gearbeitet hätte, wäre er vermutlich auch pünktlich gewesen, aber er hätte nicht den Zorn seiner Untergebenen auf sich gezogen. „Danke, Großvater“, sagte Hawkeye gerade, als er fertig wurde. „Ich freue mich schon. Du musst dich meinetwegen aber nicht in Unkosten stürzen, verstanden? Aber es tut mir leid, ich muss jetzt auflegen. Es sieht so aus, als wäre mein Vorgesetzter endlich fertig.“ Sie legte auf und gerade, als sie schweigend gehen wollten, klingelte sein Telefon. „Generalmajor Mustang“, sagte er gähnend. „ROY!“, brüllte Grumman so laut, dass der schwarzhaarige Alchemist das Telefon vorsichtshalber auf Armeslänge von sich entfernt hielt. „Ich habe gerade an dich gedacht und wie ich deine reizende Assistentin kenne, war mir klar, dass du noch im Büro sein musst. Aber du darfst das arme Mädchen nicht kaputtmachen. Es gibt nicht mehr viele Frauen im Militär – und erst recht nicht mehr viele, die so hübsch sind…“ „Guten Abend, Generalfeldmarschall“, seufzte der junge Mann. „Wissen Sie, ich habe eben mit einem Mann telefoniert, dessen Stimme sehr ähnlich klang. Aber er ist offenbar der Großvater von Oberstleutnant Hawkeye.“ „Ach, ich verstehe“, sagte Grumman hörbar belustigt. „Um direkt zur Sache zu kommen: Ich habe vor, am 14. Juni diesen Jahres eine kleine Feier zu geben, zu der du mit deinen Untergebenen eingeladen bist. Die Sache ist natürlich streng geheim, deswegen solltest du daran denken, nur diejenigen mitzubringen, die seit Jahren treu an deiner Seite stehen. Catalina wird an diesem Tag ohnehin schon in Central sein, was hältst du also davon, die Elrics einzuladen? Ich habe mich während des Empfangs mit Mrs Elric unterhalten. Sie ist ein kluges Köpfchen. Schade nur, dass sie nicht fürs Militär arbeiten will.“ „Sie hat ihre Eltern in Ishbal verloren, Sir“, sagte Mustang ruhig. „Die Rockbells waren ihre Eltern. Erinnern Sie sich noch an die beiden? Sie waren Ärzte, die sich um alle gekümmert haben. Auch um die Zivilbevölkerung von Ishbal. Vielleicht ist es für ein junges Mädchen ein wenig abschreckend, wenn es ihre Eltern im Krieg verliert.“ „Ich erinnere mich daran, dass du mir einmal erzählt hast, dieser Scar hätte diese Ärzte umgebracht, Roy, aber bist du dir sicher, dass das stimmt? Ich habe mich kürzlich durch ein paar Akten gewühlt und habe einen Befehl gefunden, den Brigadegeneral Grand an deinen Lieblingskollegen Kimblee geschickt hat“, sagte Grumman düster. „Und der Befehl, den der Crimson Alchemist bekommen hat, war, die Rockbells zu töten.“ Mustang wusste nicht, was er dazu sagen sollte. „Aber die beiden waren doch … sie kamen doch auch aus Amestris, verdammt noch mal!“, schrie er dann. „Was zum Teufel hat Grand sich nur dabei gedacht?!“ „SIR!“ Er hörte Hawkeyes Stimme, aber sie schien von sehr weit weg zu kommen. Im nächsten Moment spürte er ihre Hände auf seinen Schultern, dann nahm sie ihm das Telefon aus der Hand. „Generalmajor Mustang wird Sie später zurückrufen, Sir“, sagte sie ruhig und wartete keine Antwort mehr ab, bevor sie auflegte und ihren Vorgesetzten ansah. „Das war heute das zweite Mal, dass Sie sich die Regeln so gemacht haben, wie Sie es wollen, Oberstleutnant“, sagte Mustang atemlos und sah sie an. „Wieso?“ „Normalerweise würde ich so etwas nicht tun, das können Sie mir glauben, aber ich kann mir kaum vorstellen, dass Grumman es so begrüßen wird, wenn sein Nachfolger so heftig reagiert.“ Sie atmete tief durch. „Sie können mir nicht erzählen, dass Sie nicht gewusst haben, dass Kimblee diesen Befehl hatte. Ich meine, er war Ihr Kollege. Sie müssen doch davon gewusst haben! Und wieso überhaupt ein Staatsalchemist? Ich meine, es muss doch einen Grund gegeben haben, wieso einer von euch und nicht…“ Er verstand. Als er in ihre Augen sah, verstand er, was zu dieser heftigen Reaktion geführt hatte. Sie hatte sagen wollen: „Ich meine, es muss doch einen Grund geben haben, wieso einer von euch und nicht ein normaler Soldat – oder ein Scharfschütze.“ Das waren die drei Klassen in Ishbal gewesen. Dass keiner aus der Kommandozentrale sich die Hände schmutzig machte, war klar, aber eigentlich wäre so ein hässlicher Job die Sache eines Scharfschützen gewesen. Sie hatten meistens die Schmutzarbeit machen müssen, damals in Ishbal. Mustang sah sie an, dann seufzte er. „Ich habe keine Ahnung“, sagte er dann leise und senkte den Blick. „Ich bin nur froh, dass es nicht mein Befehl war. Oder deiner.“ Er wusste nicht, weshalb er sie jetzt plötzlich wieder duzte. Normalerweise tat er das nur, wenn sie schwer verletzt war. Normalerweise hielt er zumindest im Arbeitsalltag eine gewisse Distanz zu ihr. Aber auch wenn ihr Körper zurzeit nicht verletzt war, sah er in ihren Augen einen Ausdruck, den er seit Jahren nicht mehr dort gesehen hatte. Es war dieser gehetzte Ausdruck gewesen, den sie früher als Kind gehabt hatte. „Und Sie … Sie haben es wirklich nicht gewusst?“, fragte sie. Er nickte langsam. „Denkst du wirklich, ich hätte auf die Hochzeit von Fullmetal und Winry gehen können, wenn ich gewusst hätte, dass Scar Kimblee eigentlich nur zuvorgekommen ist?“, fragte er. „Er war vielleicht ein Psychopath, aber trotz allem war er noch immer mein Kamerad. Auch wenn ich mir im Rückblick wünschen würde, ich hätte ihm damals in Ishbal das Genick gebrochen“, fügte er düster hinzu. „Und ich habe mir manchmal gewünscht, ihn versehentlich erschossen zu haben“, sagte sie ebenso grimmig. „Aber leider hätte ich das vermutlich nur schwer als ‚Unfall’ verkaufen können, nachdem sich die Details unseres kleinen ‚Gesprächs’ so schnell herumgesprochen haben. Jeder hätte sofort gewusst, dass ich es mit Absicht getan hätte“, seufzte sie. „Das ist der Nachteil, wenn man berühmt ist.“ „Für uns beide war es gewissermaßen eine traurige Berühmtheit“, sagte er und stand auf, bevor er sich zu ihr umdrehte. „Kommst du mit nach Central? Der Generalfeldmarschall hat uns alle zu einer kleinen Feier eingeladen…“ Am selben Abend Mustang ging alleine durch das riesige Anwesen, das er seit einiger Zeit bewohnte, bis er zu einem Zimmer kam, das früher einmal das private Büro des jetzigen Generalfeldmarschalls gewesen war. Er öffnete die Tür und trat ein. Es war ein großer Raum mit direktem Blick auf den Garten. Der Garten war wunderschön, vor allem jetzt im Frühling. Die Bäume blühten und als eine sanfte Brise durch die Äste fuhr, wurden rosa und weiße Blütenblätter aufgewirbelt und für Mustang sah es so aus, als ob es ein Film wäre, denn unter den Bäumen spielte Hawkeye mit ihrem Hund. Mustang drehte sich grinsend weg und sah sich wieder im Raum um. Auf dem Schreibtisch stand ein letztes Foto, das Grumman offenbar vergessen hatte. Es zeigte den Generalfeldmarschall mit der Frau, die First Lady geworden wäre, wenn sie nicht gestorben wäre, bevor ihr Gatte sein Ziel erreicht hatte. Das Bild war schon sehr alt und auf dem Bild war Grumman kaum älter als Mustang selbst. Es gab nicht viele bekannte Bilder von Cordelia Grumman. Sie war zu Lebzeiten eine schlanke Frau gewesen. Ihre langen Haare waren blond gewesen und ihre großen Augen dunkelbraun. Eine schöne Frau, wie Mustang spontan entschied. Auf dem Bild trug sie eine elegante Halskette mit einem Anhänger in Form einer Flamme. Das Motiv des Feuers wurde auch in ihren Ohrringen aufgenommen, die mit Rubinen verziert waren. Grumman sah auf dem Bild sehr stolz aus. Er hatte einen Arm um seine Ehefrau geschlungen und sie an sich gezogen. Mustangs Augen verengten sich, als er das Foto in die Hand nahm und es näher an seine Augen führte. Wenn seine Augen ihm nicht gerade einen grausamen Streich spielten, besaß Cordelia Grumman eine extreme Ähnlichkeit zu Riza Hawkeye. Die beiden sahen einander so ähnlich, dass man sie für Zwillingsschwestern halten könnte. Komisch. Als er hörte, wie die Gartentür unten zuschlug, verließ er den Raum wieder und passte seine Untergebene direkt im Wohnzimmer ab, wo sie das alte Klavier, das Grumman ihm überlassen hatte, seufzend ansah. „Weißt du, Hayate“, sagte sie seufzend, „als ich noch jünger war, habe ich viel gespielt. Meine Mutter hat auch immer Klavier gespielt. Als sie dann starb, war es die erste Amtshandlung meines Vaters, ihr Klavier zu verbrennen.“ Hayate stieß sie leicht mit seiner Schnauze an und rieb seinen kleinen Kopf an ihrem Bein, bevor er leise bellte und auf die Tür wies, wo Mustang stand. „Wie geht es Ihnen heute Abend, Miss Riza?“, fragte er freundlich und stieß sich von der Tür ab. „Ich hoffe, ich habe Sie nicht erschreckt, aber dafür haben Sie ja Hayate.“ „Sie haben mich nicht erschreckt, Mr Mustang“, erwiderte sie und richtete sich zu ihrer vollen Körpergröße auf. „Ich lasse mich seit Pride nicht mehr erschrecken.“ „Wie schön, dass Sie mich mit diesem Horrorkind gleichsetzen“, sagte er seufzend, dann hielt er inne und seine Augen wurden groß. „Schönes Kettchen“, sagte er dann betont nonchalant, während er seine Atmung kontrollierte. Es war genau die Kette, die Cordelia Grumman auf dem Bild oben im Arbeitszimmer trug. „Danke“, sagte Hawkeye und legte unwillkürlich eine Hand darauf. „Ein Erbstück. Auch auf die Gefahr hin, dass ich wie Armstrong klinge: Sie ist seit Generationen in meiner Familie. Und nach meiner Mutter und meiner Großmutter trage ich sie jetzt.“ Er machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Vielleicht weiß sie es selbst nicht, dachte er. Aber wenn ich meine Rechenkünste nehme, um zwei und zwei zusammenzurechnen, würde ich sagen, dass … dass sie Grumman Enkelin ist! Und sie muss das eigentlich wissen. Dann war es eben doch die ganze Zeit über der Generalfeldmarschall. Oh mein Gott. Meine Untergebene ist die Enkeltochter des mächtigsten Mannes dieses Landes! „Geht es Ihnen gut, Sir?“, fragte sie besorgt und hielt direkt auf ihn zu, während ihr Hund wie verrückt um sie herumsprang. „Sie sind kreidebleich!“ Er schüttelte den Kopf, um das seltsame Gefühl in seinem Inneren zu vertreiben. „Warum haben Sie es mir nicht gesagt?“, fragte er leise, um direkt zum Gegenangriff überzugehen. Wenn er irrte, würde es nur ein paar Lacher auf beiden Seiten geben. Wenn er aber richtig lag, würde es erst jetzt richtig interessant werden. Ihr Kiefer spannte sich an. „Sie haben es also erraten“, sagte sie düster. „Oder er hat es Ihnen gesagt. Ich … ich habe es niemandem gesagt. Nicht einmal Becca weiß davon, auch wenn sie mehr gewusst hat als jeder andere. Wissen Sie, es ist kein besonders tolles Gefühl, wenn man frühmorgens vom persönlichen Adjutanten des Generalfeldmarschalls aus dem Büro geholt wird und wie eine Verbrecherin durch das gesamte Hauptquartier geführt wird. Es ist auch nicht gerade schön, wenn alle Fragen überhört werden. Das ist ein bisschen unheimlich. Ich habe für den Moment gedacht, ich bekäme meine Quittung für Ishbal. Und dann sitze ich im Büro des Generalfeldmarschalls und frage mich, weshalb ich meine Waffen behalten darf, als plötzlich Grumman hereinkommt und mir einen Wodka anbietet. Ich sage ihm, dass ich nichts trinke und er setzt sich neben mich und sagt: ‚Vielleicht solltest du es dir ausnahmsweise anders überlegen, Riza.’ Ich frage mich selbstverständlich, weshalb er mich plötzlich duzt und als ich ihn ansehe, um ihn das zu fragen, verkündet er mir, dass er mein Großvater mütterlicherseits ist und dass es ihm leidtut, dass er all die Jahre über nichts für mich tun konnte. Und um mir gar nicht erst die Chance zu geben, in Ruhe darüber nachzudenken, bombardiert er mich direkt mit Fragen über mein Privatleben.“ Hawkeye schüttelte langsam den Kopf. „Sie wissen, wie ungern ich über mich selbst spreche, dementsprechend schwer war es für mich, seiner Bitte Folge zu leisten.“ „Sie haben also doch geweint“, sagte Mustang. „Verdammt, wieso haben Sie es mir nicht gesagt? Ich meine, ich weiß nicht, was ich getan hätte, aber ich … ich hätte bestimmt etwas für Sie tun können…“ Sie hob langsam eine Augenbraue. „Was hätten Sie denn tun wollen? Sie können ihn nicht dazu zwingen, damit aufzuhören, mein Großvater zu sein, nicht wahr? Damit muss ich für den Rest meines Lebens zurechtkommen. Und es ist mir lieber, dass er mein Großvater ist, als wenn Gardner oder ein anderer von diesen Schleimern es wäre“, sagte sie verbittert. „Wissen Sie, dass Olivier eine Anklage am Hals hatte, weil sie Gardner im Sitzungssaal des Generalfeldmarschalls erschossen hat?“ „Ich hatte die Gerüchte darüber gehört, aber ich habe es für Schwachsinn gehalten. Ich meine, wenn sie es wirklich getan hätte…“ Mustang verlor den Faden, als er Hawkeyes ernstes Gesicht sah. „Sie hat…“ Die Blonde nickte. „Sie hat es wirklich getan“, sagte sie seufzend, „aber als man sie deswegen vor Gericht gestellt hat, hat sie die Dreistigkeit besessen zu behaupten, dass sie die Nerven verloren hätte, weil man sie mit der Waffe bedroht hat.“ Ihr Vorgesetzter schnaubte. „Und damit ist sie tatsächlich durchgekommen?“, fragte er fassungslos. „Ich meine, nach allem, was passiert ist, sollte man eigentlich wissen, dass sie nie im Leben derartig die Nerven verlieren würde…“ „Oh, nach allem, was mein Großvater mir darüber erzählt hat, hat Miss Generalmajor eine ganz bestimmte Karte sehr geschickt ausgespielt“, sagte Hawkeye und übte sich in einem unschuldigen Augenaufschlag. „Sie war ja so ängstlich, so verwirrt.“ Mustang schüttelte den Kopf. „Typisch Olivier eben“, sagte er grimmig. Seine Untergebene nickte langsam. „Vielleicht sollten wir uns den Trick schon mal anschauen, bevor man uns auch noch wegen dem, was am Versprochenen Tag passiert ist, anklagen kann“, sagte sie, „aber ich glaube nicht, dass da noch was kommt. Ich schätze, bis zum Beginn der Prozesse wegen Ishbal…“ „Haben Sie die Nachricht nicht gelesen?“, fragte Mustang und war mehr als glücklich, endlich wieder gute Nachrichten für sie zu haben. „Die Bevölkerung von Ishbal hat die innere Größe besessen, den Teufelskreis zu durchbrechen. Es wird für keinen Offizier aus Amestris einen Prozess geben. Wir sind gewissermaßen freigesprochen.“ Erstaunt sah er, wie ihre Beine nachgaben und wie sie auf den Boden sank. Er war nicht sicher, ob sie sich freute. Er wusste nur, dass er ihr aufhelfen musste. Er wusste auch nicht, was er tun sollte, wenn er sie erst auf die Füße gezogen hatte. Wenn Riza Hawkeye zu Boden ging, dann nur, weil sie nicht mehr konnte. Aber was war los? „He, Hawkeye“, sagte er und schüttelte sie leicht, während er sie auf ihre Füße zog, bevor er ihren dünnen Körper gegen seine Brust drückte und sie festhielt. „Was ist los? Du musst keine Angst haben. Das Thema ist … es ist vorbei. Wir können in die Zukunft sehen. Du musst … wir müssen keine Angst mehr haben.“ Langsam öffneten sich ihre Augen wieder. „Wie können sie mir verzeihen?“, fragte sie und ihre Stimme brach fast. „Ich habe mindestens zweitausend von ihren Leuten auf dem Gewissen. Wie … wie können sie mir da vergeben?!“ Sie krallte sich mit einer Hand in seinem Hemd fest. „Wie soll das gehen?!“ „Du hast keine zweitausend Ishbalier auf dem Gewissen und das weißt du auch“, sagte er ruhig und legte einen Arm um sie. „Du hast maximal achthundert getötet.“ Sie schüttelte den Kopf. „Du weißt, dass es wesentlich mehr waren“, sagte sie mit einem eisigen Tonfall in ihrer sonst so warmen Stimme. „Weitaus mehr. Ich meine, wie viele hast du alleine mit der Waffe getötet, die ich dir überreicht habe?“ Er erstarrte. „Du zählst diejenigen, die ich getötet habe, zu deinen Opfern?“, fragte er und tätschelte ihre Schultern. „Denk nicht mehr daran. Es ist vorbei, Hawkeye. Es ist alles vorbei. Wir haben es hinter uns gebracht. Wir haben unsere Taten bereut.“ Sie sah ihn erschöpft an. „Und macht unsere Reue die Menschen wieder lebendig?“, fragte sie und er war über den Selbsthass entsetzt. Er war in ihrer brechenden Stimme und in ihren traurigen Augen. Zuletzt hatte sie an dem schicksalhaften Tag so trostlos und niedergeschlagen ausgesehen, an dem er die Tätowierung auf ihrem Rücken verbrannt hatte. Sie hatte niemals ihn, sondern immer nur sich selbst gehasst. Sie hatte sich selbst die Schuld an allem gegeben. Er hatte versucht, es ihr auszureden, aber sie hatte es sich nicht ausreden lassen. „Wir wollten das Beste, Hawkeye“, sagte er und seufzte schwer. „Wir haben nur die falschen Mittel gewählt. Und trotzdem … wir haben bekommen, was wir wollten.“ „Vielleicht, vielleicht auch nicht“, sagte sie nebulös. „Und auch wenn unsere Mittel zum Teil das Gegenteil zu dem, was wir wollten, bewirkt haben, war es doch immer das einzige, was wir tun konnten. Wir haben für das, was uns wichtig war, gekämpft. Wir haben etwas getan. Wir haben wirklich gelebt. Wir können uns nur eines vorwerfen: Wir haben die Mittel des Hasses benutzt.“ „Erinnerst du nicht noch an das, was Kimblee damals in Ishbal gesagt hat?“, fragte Hawkeye mit einem halbherzigen Lächeln. „Und damals in Ishbal hätte ich immer gesagt, dass ich nie stolz darauf war, jemanden erschossen zu haben. Heute würde ich die Frage, ob ich jemals stolz auf meine Fähigkeiten war, mit einem entschlossenen Ja beantworten. Ich war stolz – als ich auf Envy geschossen habe. Das war das erste Mal, wo ich mit mir selbst im Reinen war, als ich geschossen habe.“ Mustang lächelte ebenfalls nur schwach. „Danke, Hawkeye“, sagte er. „Danke dafür, dass du immer da warst, wenn ich jemanden gebraucht habe, der mich auffängt.“ „Gehört alles zum Job“, sagte sie gelassen. „Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mich so schnell nicht wieder in die Lage bringen würden, meine Waffe auf Sie richten zu müssen. Das war keine Entscheidung, die mir leicht gefallen ist, aber es musste sein.“ Er nickte langsam. „Ich sehe schon, dass Sie müde sind, Miss Riza“, sagte er ruhig. Er wusste, dass der Moment der Vertraulichkeiten vorbei war. Riza war verschwunden. Jetzt war wieder Oberstleutnant Hawkeye an ihre Stelle getreten. Manchmal kam es ihm fast schon so vor, als würden zwei Frauen in diesem schmalen Körper stecken. Einmal die junge Frau, die in Ishbal seelisch verwundet worden war und sich danach zum Selbstschutz von der Welt abgeschottet hatte, und zum anderen die Frau mit dem großen Herzen, die er vor vielen Jahren einmal gekannt hatte. Aber sie gab es nur noch sehr selten. Meistens war Oberstleutnant Hawkeye am Steuer und wenn sie dran war, wurde nur gearbeitet. Aber wann immer Miss Riza die Kontrolle übernahm, sah man eine sehr weiche, freundliche Seite. Sie war noch immer so lieb und nett wie damals. „Ach, die Feier, zu der mein Großvater uns einlädt…“ Sie trat einen Schritt zurück. „Es ist unser beider Geburtstag.“ „Ich werde beizeiten Geschenke kaufen“, sagte Mustang und trat ebenfalls einen Schritt zurück. „Gar kein Problem.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)