Batman - Reset von --Ricardus-- ================================================================================ Kapitel 3: 3 ------------ Das selbe Jahr ... The Narrows/Gotham City 10. August 03:55 Uhr Scarecrow/Dr. Jonathan Crane Das dunkle Loch, in das er so bereitwillig geklettert ist, empfängt ihn mit staubiger Hand und dem unangenehmen Geruch abgestandener Pisse und anderen noch widerwärtigeren Körpersäften. Zwar ist dieser schmale, zerfallene Tunnel seit Jahren unbewohnt und von Herumtreibern unbehelligt, aber die Penetranz seiner einstigen Bewohner will einfach nicht weichen. Crane zieht den Kragen seines Trenchcoates über Mund und Nase. Es widert ihn an, zu riechen, was andere hier hinterlassen haben. Alle menschlichen Ausdünstungen sind ihm unglaublich verhasst, bis auf den kühlen und beinahe chlorartigen Geruch von Angstschweiß, der ihm – ohne jeden Zweifel – das liebste Parfüm und stärkste Aphrodisiakum unter allen Dingen auf der Welt ist. Beim Gedanken daran, drückt er seinen Koffer fester an seine Brust und kann auf dem Metall die Vibration seines eigenen Herzschlags spüren, der sich dabei ein wenig beschleunigt. Es ist schon eine ganze Weile her, als er sich das letzte Mal der stillen Freude über den Moment der selbst verherrlichenden Genugtuung hingegeben hat. Die zwei Menschen, denen seine besondere Genussgier gerade das Leben gekostet hat, sind durch ihren Drogenkonsum so gelähmt gewesen, dass sie nicht einmal im Stande gewesen sind, zu erkennen, dass sie sich in einer gefährlichen Situation befanden, obwohl Crane einen Hauch fast verflogener Angst bei dem Mann spüren konnte, deren Ursprung ihm aber gänzlich unbekannt blieb. Der kurze Schrecken, der sich der Frau bemächtigte, als er den Junky erschoss, war etwas, dass Dr. Jonathan Crane peripherer Angst zuordnet. Also einer Angst, die reflexartiger Natur ist und von den Betroffenen noch nicht einmal selbst wahrgenommen wird, weil sie viel zu kurz empfunden wird. Wonach er sich wirklich sehnt, ist es, einen abgrundtiefen und traumatisierenden Schrecken in den Kopf eines unbedarften Menschen zu pflanzen und ihn diesem solange unablässig, aber kontrolliert auszusetzen, bis dessen Verstand dieses Horrorszenario als einzige und absolute Wahrheit betrachtet und der Körper durch den panischen Geist zugrunde gerichtet wird. Nichts ist befriedigender, als zuzusehen, wie ein Wesen stirbt, allein durch die Kraft ihm injizierter Bilder von Dingen, die so eigentlich nicht existierten. Vielleicht hat er diese Nacht wieder eine solche Gelegenheit. Deswegen trägt er den Koffer bei sich. Bereits seid Wochen will er seinem neuen Teamkollegen demonstrieren, womit er zu so zweifelhafter Berühmtheit gelangte. Sein Lebenswerk, sein Ein und Alles. Doch er hat brav gewartet, wollte nichts überstürzten und das eigentliche Projekt dabei am Vorrankommen hindern. Doch während dieser Tage verbissenen Zurückhaltens, hat der Wunsch nach Bestätigung seiner genialen Arbeit unerbittlich an ihm genagt, besonders weil es sich dabei um die Bestätigung eines solchen Virtuosen handelt, den selbst Jonathan Crane in seiner narzisstischen Natur, zu bewundern bereit war. Vorsichtig setzt er einen Fuß vor den anderen. Mehr als nur einmal tritt er in Etwas, was von fragwürdiger Konsistenz ist. Er geht langsam, denn auch wenn er mittlerweile weiß, wo sich welcher Bretterstapel oder zerbrochener Ziegelstein in der Dunkelheit befindet, ist er auch davon überzeugt, dass die Idioten, die sie für die etwas unangenehmeren Arbeiten haben anheuern müssen, ihre Schritte nicht ganz so vorsichtig setzen und deswegen den Gang des Öfteren in seiner Struktur verändern, und er hat keine Lust über eine leere Bierflasche zu stolpern und mit dem Gesicht in einer toten Ratte zu landen. Eine Art Niedergeschlagenheit befällt ihn, als er bemerkt, dass der staubige Geruch, der ihm immer noch vehement in der Nase hängt und seine Geruchsnerven mit sanften Schlägen niederknüppelt, bis sie zu benommen sind, noch andere Nuancen in der Umgebung wahrzunehmen, nicht aus dem verrottenden Gang stammt, sondern von ihm selbst ausgeht. Er kriecht durch die Fasern seines Trenchcoatkragens, er durchdringt den weißen Kittel und das dünne Hemd darunter, er liegt auf der blassen Haut und in den Wellen seines braunen Haares. Jonathan Crane riecht mehr nach einem alten hölzernen Möbelstück, als nach einem lebendigen Menschen. Und er weiß auch woran das liegt. Es liegt an diesem verdammt winzigen Höllenloch, in dem er schon seit Monaten wohnt. Vier nackte Betonwände ohne Geschichte. Dunkel und unausstehlich eng. Eine Decke, die in Fetzen herunterhängt und auf der etliche Rohrbrüche dunkle Stockflecken hinterlassen haben. Ein zertretener Linoleumboden mit braun-beigem Rautenmuster, teilweise versteckt unter einem verblichenen Asia-Shop-Orientaltteppich. Und zwischen all dem hässlichen Wahnsinn, eine Möblierung, die jeden Innenausstatter sofort ins Grab befördert hätte. Die knapp 25 m² verteilen sich auf einen Wohnraum, einen minimalistischen Flur und ein winziges Bad, in dem man praktisch keine andere Wahl hat, als im Stehen zu Pinkeln. Den Wohnraum nimmt hauptsächlich ein schiefer und angerosteter Metalltisch ein, dessen Beine so unförmig sind, dass es ein Rätsel ist, wie er überhaupt steht. In die Tischplatte sind in regelmäßigen Abschnitten kleine Löcher gestanzt und an den Tischkanten ziehen sich schmale Rinnen zu allen vier Ecken. Der Anblick dieser Möbelmutation erinnert nicht nur Dr. Crane an einen Autopsietisch. Fragwürdig ist nur, warum er in dieser Wohnung bereits stand, als er dort einzog. Die andere Hälfte des Raumes teilen sich eine ehemals kornblumenblaue Küchenzeile und eine zerschlissene Matratze, an deren Seiten Sprungfedern durch den Bezug stechen und die verbliebene Füllung hervorquillt. Das einzige Fenster der Wohnung steht dauerhaft offen. Zum einen, weil Crane den muffigen Geruch nicht aushält und zum anderen, weil er gar nicht wissen will, was passiert, wenn er versucht das Fenster mit der dafür vorgesehenen Verrieglung zu schließen. Vermutlich würde sich das letzte noch im Rahmen verankerte Scharnier lösen und ihn jeglicher Möglichkeit berauben, das Fenster je wieder in irgendeiner Art und Weise zu nutzen. Nun gut, neben all den Unannehmlichkeiten, bleibt der positive Nebenaspekt, dass er keinen Cent Miete zahlen muss und ohne weiteres Inkognito bleibt, sofern er es wünscht. Im Moment ist er so etwas wie ein Hausbesetzer. Er schreibt seine Notizen und Ausarbeitungen bei Kerzenschein, kocht mit Hilfe von halbleeren Gasbehältern, die er unter der Spüle und im Keller des Hauses gefunden hat, und duscht stets nur in den Gewölben unter der Glasfabrik, in die er sich nun langsam vorarbeitet. Der finstere Tunnel endet an einer Treppe, die weiter nach unten führt. Dr. Jonathan Crane tastet nach dem geschwungenen Geländer und durchtrennt dabei das frisch gewebte Netz einer handflächengroßen Kellerspinne, die er dank der Dunkelheit nicht im ausgehöhlten Ende des Geländerrohres bemerkt, und die sich – aufgeschreckt durch die Griffe seiner suchenden Hand – tiefer in ihren kleinen Metalltunnel zurückzieht, die unzähligen schwarzen Spinnenaugen skeptisch auf den im Dunkeln lauernden Feind gerichtet. Sich am Geländer orientierend, geht es für ihn zehn Meter in die Tiefe. Mit jedem Schritt wird es kühler und als er am Fuß der Treppe ankommt, hat er den ganzen Sommer hinter sich gelassen. Hier ist es feucht und außergewöhnlich frisch, selbst für die Tiefe, in der er sich befindet. Crane weiß, dass dies an den Belüftungsanlagen liegt, die sie hier installieren mussten, damit die Geräte nicht überhitzten. Die fehlende Elektronik und der gekappte Strom in der gesamten Fabrik hätten ihnen beinahe das Genick gebrochen. Über die Jahre, die diese Fabrik schon geschlossen ist, hat man das Gebäude gänzlich ausgeschlachtet und alles entfernt, was irgendwie noch Geld einbrachte. Der Strom war in den ganzen Narrows abgeschaltet wurden, nachdem man das Gebiet abgeriegelt hatte. Ihnen dienen jetzt moderne Generatoren zum Antrieb der ganzen Anlagen, auch wenn deren Leistung geradeso zu reichen scheint und einen Havariefall mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht abdecken würde. Vor ihm liegt nun eine gerade mal 1,60 m hohe Metalltür. Crane kann das frische Öl an ihren Scharnieren riechen und er bemerkt an der Direktheit, in der sein Atem in der Dunkelheit reflektiert wird, wie nahe sie ihm schon sein muss. Er streckt die Hand aus und berührt die kühle Oberfläche mit den Fingerspitzen eher als gedacht. Seine Hand wandert nach links unten und findet die Nummerntafel des Schlosses. Vorsichtig gibt er den 12-stelligen Sicherheitscode ein, betätigt die „Bestätigen“-Taste und vernimmt das leise Surren des Türöffners. Daraufhin schiebt er die Tür nach Innen auf. Mit unüberhörbaren Knacken und Schaben flüchten die Verschlussriegel im Inneren zur Seite. Ein Schwall klinisch reiner und nahezu perfekt klimatisierter Luft zieht an ihm vorbei durch den Türspalt und verebbt irgendwo auf dem Weg nach Draußen. Cranes Haar fliegt über beide Ohren zurück und legte sich für einen kurzen Augenblick wie ein dunkles, seidenes Tuch über seinen Schädel. Mit einiger Anstrengung schließt der dünne Mann die Tür, gegen den starken Luftzug kämpfend. Der ehemalige Universitätsprofessor ist kein kräftiger Kerl, was man seiner sehnigen, beinahe dürren Gestalt ansehen kann, aber er ist äußerst linkisch im Gebrauch seiner Gliedmaßen und weiß seine schmächtige und blasse Erscheinung zu seinem Vorteil zu nutzen. Allerdings kann man eine 20 cm dicke Eisentür weder mit einer versteckt geschlagenen Linken, noch mit einer Ladung Angstgas in die Knie zwingen. Mit einem dumpfen „Klonk“ vereinigen sich Tür und Rahmen wieder zu einem Ganzen und die Riegel und Zahnrädchen, die mit dem Codeschloss verbunden sind, bewegen sich wieder in ihre ursprüngliche Position zurück. Mit dem letzten Klicken des letzten Rädchens flammt grelles, weißes Licht auf und erhellt den hellgrauen Waschbeton des Ganges in göttlichem Schein. Crane verzieht das Gesicht mit dem Zischlaut einer jungen Natter, dreht sich um, legt seine Stirn gegen die Metalltür und bildet mit seinen Händen einen schützenden Trichter um die schmerzende Augenpartie. Der Metallkoffer, den er immer noch umklammert, schrammt leise über die Wand, als er ihn mit anhebt. Wir haben jetzt also auch Licht in Gang 1. Erfreulich … Natürlich! Nicht nur, dass sie Notwendigkeit einer Beleuchtung, die selbst ein Blinder hätte wahrnehmen können, gleich nach einem Gang durch völlige Dunkelheit, äußerst fragwürdig war; Nein, man hatte es nicht einmal für nötig gehalten, ihn zu warnen. Seine Augen brennen und füllen sich mit Tränenflüssigkeit und er sieht nur noch tanzende Lichter im Schatten seiner Hände. Er kichert leise in sich hinein, als er beginnt den Schmerz zu genießen, indem er sich vorstellt, den verantwortlichen Idioten eine volle Ladung Gas zu verabreichen und ihn dann zu erwürgen, während seine angsterfüllten Augen langsam aus ihren Höhlen hervorquellen und sein Körper so starr vor Schreck ist, dass er sich nicht wehren kann. Crane tötet nur äußerst selten. Lieber sieht er zu, wie sich Menschen selbst hinrichten. Wie sie krepieren, an ihren Wahnvorstellungen. Doch wenn er wütend ist, verliert er die Beherrschung und gewinnt sie, wie jetzt, nur äußerst langsam wieder. Jede noch so kleine Lappalie kann im falschen Moment dazu führen, dass sich in seinem Inneren ein Schalter umlegt. Auch wenn Crane nach außen hin recht ruhig und kalt wirkt, befriedigt er seine Rachsucht mit besonders aggressiver Hinterlist und Sorgfalt. Und er ist wirklich leicht zu kränken … Er legt seine Hand auf die geschlossenen Augenlider, direkt über das absurde Grinsen, und dreht sich wieder um. Langsam, ganz langsam öffnet er die Augen wieder und das schizophrene Lächeln verebbt, seine Hand wandert hoch zur Stirn und streckt sich dann durch sein Haar, um es aus dem Gesicht zu streichen und es nicht ganz so wirr aussehen zu lassen. Kaum 10 Sekunden später, weiß er gar nicht mehr, dass er gerade äußerst wütend war und noch viel weniger weiß er von dem winzigen, banalen Auslöser. Wie ein Eiswind gleitet er durch den langen Flur, biegt um eine Ecke, dann um noch eine. Ein weiterer Flur. Überall fiepen Halogenlampen einen unausstehlich hohen Ton, den Jonathan Crane dank seines nicht besonders hohen Alters noch gut wahrnehmen kann. Irgendwo hinter den dicken Wänden zu seiner Rechten wird das Pochen der Generatoren immer lauter und lauter. An einer Stelle vibriert sogar der Boden und kleine Teile vom Putz explodieren aus der Wand. Crane verzieht das Gesicht und drückt den Koffer an seine Brust, als befürchte er, die Schwingungen könnten seinem Elixier schaden. Seine Reise endet vor einer weiteren Tür. Er kann sie bereits sehen, nachdem er um die letzte Ecke gebogen ist. Und wieder ist da dieser Sog. Er würde nicht aufhören können, weiter zu laufen, selbst wenn er es wollte. Aber, bei Gott! Das wollte er nicht! Sein Herz schlägt wie wild, als er die Hand auf die beinah subtil wirkende Klinke legt, die sich ihm wie eine hilfreiche Hand entgegen streckt. Jaaaaaa! Er kichert beinahe los wie ein Schulmädchen. Er drückt die Türklinke und stößt seine Schulter gegen das Metall, um die Tür aufzudrücken. Durch den größer werdenden Spalt schlägt ihm der Duft des Garten Edens entgegen, streicht über seinen Haaransatz, gleitet über seine hohen Wangenknochen. Einen kurzen Moment lang erlaubt er sich die Augen zu schließen, wie ein Gourmet, dem gerade die weltbeste Mousse au chocolat auf der Zunge zergeht. Dann atmet er aus und tritt in den riesigen Raum. Der Länge nach misst der Raum ungefähr 20 m, der Breite nach nur 8. An der Decke, die sich gut 6 m über ihm befindet und es schafft, ungefähr soviel Vertrauen in Einem zu wecken, wie ein Damoklesschwert, sind großflächige Neonstrahler angebracht. Jeder mit einem metallenen Gitter davor, um das Licht möglichst fokussiert abzugeben. In den Lichtkegeln stehen wunderbare Dinge: Tische mit chemischen Anordnungen, Blaupausen, Notizblöcken – über und über voll geschrieben mit Formeln und Formelkorrekturen. Werkzeug, mechanische Anleitungen und Relais, die entweder kaputt sind oder doch keine Verwendung fanden. Überall liegen Schräubchen, Muttern und Überreste mikrotechnologischer Bauelemente. Den Boden zieren Ölspritzer und einige Tropfen einer viel liebreizenderen, roten Flüssigkeit. Doktor Crane hat von der Funktionsweise nichtorganischer Mechanismen keine Ahnung. Genauso verhält es sich bei seinem Partner und Idol. Die technische Verwüstung haben sie den Ingenieuren zu verdanken, die sie sich für die Installation ihrer kleinen Kooperation mit einigen nicht minder größenwahnsinnigen, aber technisch sehr versierten Personen aus Japan und Jugoslawien, hatten besorgen müssen. Und sie haben unvergleichliche Arbeit geleistet. Das opus paratum steht im zweiten Drittel des Raumes, welches es beinahe ganz ausfüllt. Es ist ein riesiger Apparat, einer Fusion aus Hydranten, Wasserpistole und Teilchenbeschleuniger nicht unähnlich. Im Endeffekt ist es genau das: Ein drei Meter hoher, viereinhalb Meter breiter und gut sieben Meter langer Teilchenbeschleuniger, den man in ungefähr 120 Einzelstücke zerlegen muss, um ihn zu transportieren und irgendwo anders wieder aufzubauen. Das Monstrum wird von Stahlblenden umschlossen, aber wenn man einen Blick auf die Blaupausen wirft, bekommt man eine ungefähre Ahnung von der unglaublichen Menge an Technologie unter dem harten, nichts sagenden Panzer. Aber selbst den erfahrensten Köpfen würden sich beim Anblick der Skizzen und Notizen nicht alle Fenster und Türen zum Verständnis öffnen, denn so etwas gab es streng genommen noch gar nicht. Und menschenrechtlich hätte es so etwas auch nie geben dürfen. Es ist der Prototyp einer Waffe, der dort steht, die wie so viele Waffen, der Vernichtung von Menschen dient. Allerdings ist es keine Massenvernichtungswaffe, sondern ein sehr genau fokussierbarer, extrem starker Mikrowellen-Strahler, der die exakte Eliminierung einzelner Personen, auf die man zielt, zur Folge hat. Die Perfektionierung einer militärischen Idee von Mikrowellenphasern. Ein metallenes, klopfendes, vibrierendes Ungetüm, dessen einzigartige Fähigkeit – und auch gleichzeitig monumentaler Unterschied zu bisherigen Versuchen eine fokussierbare Waffe mit Mikrowellen zu entwickeln – es ist, das es Menschen und andere Lebewesen, also biologische Masse, gänzlich verschwinden lassen kann, ohne wie vorher erwähnte Waffentypen die Zielpersonen in glibbrigen, feuchten Blutpudding zu verwandeln. Dieses Gerät bringt das Kunststück fertig Materie in so hohe Schwingung zu versetzen, dass sie buchstäblich in Rauch aufgeht, indem sie anfängt durch ihre eigene Reibung zu verdunsten. Das alles passiert so unglaublich schnell, dass kaum eine Sekunde vergeht, zwischen dem Wechsel der Aggregatzustände. Soweit die Theorie. Im Moment haben sie die Erprobung über Pflanzen, Insekten und kleine Säuger bis zu Menschen ausgeweitet. Allerdings haben die menschlichen Probanden nicht so auf die Strahlenbehandlung reagiert, wie erhofft. Stattdessen hat sich das Ganze in eine ziemlich ekelhafte Angelegenheit verwandelt. Anfänglich probiertem sie den Organic Aggregat Changer (OAC) an männlichen Probanden aus. Junge Menschen, deren soziale Kontakte sehr spärlich gesät und deren familiäre Verhältnisse entfremdet genug waren, um ihr Verschwinden lange zu vertuschen oder wohlmöglich nie auffallen zu lassen. Doch es stellte sich leider heraus, dass der Körperbau von Männern, was Fett- und Muskelstruktur anging, sowie das Durchschnittsgewicht, die Durchschnittsgröße und die allgemeine, vorhandene Masse ein größeres Hindernis für die Ausbreitung der Mikrowellen innerhalb der verschiedenen Zellstrukturen darstellt, als zuvor bei den Ratten und Hunden. Selbst auf der höchsten Stufe (und höher darf man nicht gehen! Denn auch wenn sich der unsichtbare Strahl so exakt ausrichten lässt, dass man gut einen halben Meter neben der Versuchsperson stehen kann ohne getroffen zu werden, verliert man bei höheren Spannungen genau diese Richtwirkung. Die Wellen beginnen, ähnlich wie die glühenden Arme so genannter Sonnenstürme, aus dem Raster auszubrechen und in den Raum hinein zu ragen. Die Wellen biegen sich an Hindernissen oder werden unkontrollierbar reflektiert. Deshalb bauten die Ingenieure eine Reglersperre ein.) lies sich das Gewebe nicht gleichmäßig in Schwingung versetzen. So glich das Spektakel nicht einem gewünschten In-Rauch-Aufgehen, sondern einer äußerst widerwärtigen Verflüssigung der unterschiedlichen Zellgruppen. Jeder Teil des Körpers schien sich in unterschiedlicher Stärke und zu verschiedenen Zeitpunkten in eine blubbernde, zischende und nur teilweise verdampfende Pampe zu verwandeln, die neben dem zum Brechen animierenden Geruch nach mikrowellierter Schweinesülze, auch noch animalisch-menschliche Schreie von sich geben konnte, solange bis die Wellen die Blutgefässe zerrissen und sich der unnarkotisierte Mensch (nun schwerlich als solcher noch erkennbar) durch einen schmerzvollen Tod erlösen konnte. Nach diesen ein wenig ernüchternden Ergebnissen, suchten sie sich spezielle weibliche Probanden, die neben ihrem kleineren Gewicht und ihrer zierlicheren Statur, auch den Vorteil hatten, leichtere Beute für ihre Häscher abzugeben. Sie fingen ein paar Mädchen, in verschiedenen Teilen der Stadt, von denen sie glaubten, dass sie die Vorraussetzungen erfüllten. Alle waren sie schmächtig, leicht unterernährt, schwach, von ihrer sozialen Umwelt weites gehend abgekapselt. Aber auch wenn man nun glaubte die perfekte Versuchsanordnung gefunden zu haben, machte doch der erste Versuch mit einem jungen Mädchen alle neu geschöpften Hoffnungen zunichte, indem sie fast genauso unschön auf die Behandlung reagierte, wie ihre männlichen Vorgänger. Aber immerhin brachte sie die Einsicht, dass das Problem nicht allein durch die Veränderung der Versuchspersoneneigenschaften gelöst werden konnte, sondern einiges mehr an Überlegungen benötigte. Erst zwei Tage zuvor entwickelten Doktor Jonathan Crane und sein vorübergehender Lehrmeister eine schwach gelbliche Flüssigkeit, die menschliche Zellen um ein Vielfaches empfindlicher für die Mikrowellenstrahlung macht. Sie wird per Injektion in den Blutkreislauf verabreicht. Das scheint für den Bau einer Waffe ziemlich uneffizient zu sein, aber wie bereits erwähnt handelt es sich lediglich um einen Prototypen und besonders Crane weiß, wie einfach es ist, bestimmte Stoffe in die Körper von möglichst vielen Menschen zu befördern und das sogar ohne großes Aufsehen zu erregen. Nach einigen weiteren Tests an Ratten und anderem Getier, ist es heute nun endlich soweit. Sie starten einen weiteren Versuch an einem Mädchen. Das erste Mal mit voran gehender Injektion. Die Spritze und das kleine Fläschchen mit dem Serum liegen sauber aufgereiht neben Latexhandschuhen, Kanülen und anderem medizinischen Besteck auf einem sterilen OP-Beistelltisch an der Wand. Dieser wird später in die Mitte des Raumes gerollt werden, genau neben die aufrecht gestellte Behandlungsliege, die wie eine längliche, metallene Zielscheibe vier Meter entfernt vor dem Lauf des OAC steht. Und sie ist bereits belegt. Den Kopf wie ein lebloser Vogel zur Seite abgeknickt, die blassen Wangen auf der festgeschnallten Schulter ruhend, atmet sie kaum merklich ihre letzten Atemzüge als festes Wesen. Sie ist dünn, wie die anderen Mädchen und die Lederriemen, die auf der Höhe ihrer Schultern, der Handgelenke, der Hüfte und der Knöchel ihren Körper bandagieren, sind denkbar eng gezurrt. Doktor Jonathan Crane bewegt sich auf die Höhe des OAC und blickt im Raum umher. Sein Partner scheint noch nicht da zu sein. Er hört keine Stimmen und kann sich auch nicht erinnern irgendjemanden auf den Fluren begegnet zu sein. Die Wahrheit ist, er hat es eingeplant. Er wollte eher hier sein. Er wollte noch ein Weilchen allein sein. Allein mit dem wunderbaren Geruch, der – obwohl das Mädchen kaum noch bei Bewusstsein ist – noch immer von ihr ausgeht. So klar und unverfälscht wie die Düfte eines harzenden Pinienwaldes nimmt er ihren Angstgeruch auf. Er bemerkt wie seine Hand am Griff des Koffers zu zittern beginnt und packt das Gelenk mit der anderen Faust. Wenn diese abgestandene Furcht schon so wunderbar duftet, wie wahrhaft göttlich muss der Geruch eines frischen Schreckens auf ihrer Haut sein? Wie unvergesslich wird der Blick in ihren großen Augen sein, wenn sie ihre Wahnvorstellungen ein letztes Mal ins Bewusstsein zurück reißen? Er will es sich nicht vorstellen, er will es erleben! Deswegen und nur deswegen ist er jetzt hier. Allein. Crane stellt den Metallkoffer auf einen länglichen Tisch, der bedeckt ist mit Schrauben und Blaupausen. Die Schlösser schnacken auf und die Klappe gleitet seicht nach oben und offenbart die glänzenden Stücke seiner zersprungen Seele. Das ist Alles, was von ihm geblieben ist. Das ist Alles, was ihn noch ausmacht. Und er wird der Welt nicht vorenthalten, was er ist … als was er sich versteht: Die absolut reine und nackte Angst, die in Jedem steckt und der niemand etwas entgegen zu setzen hat. 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