Batman - Reset von --Ricardus-- ================================================================================ Kapitel 1: 1 ------------ Zwei Jahre zuvor ... West Harlow/Gotham City, 5. August 01:32 Uhr Ein Mädchen Es regnet. In der Leak Road schlägt der Wind die Tropfen ohne Unterlass gegen die zerfressenen Backsteinwände der Wohnhäuser. Das Wasser rinnt in einem dicken Strom die Fassaden herunter und verlagert all den Dreck und Taubenmist ein Stockwerk tiefer. In der Dunkelheit sieht die Flüssigkeit eher aus wie schwarzer Teer, der zäh in den Rinnstein tropft, darin verschwindet und den breiten, tosenden Strom unter der Stadt nährt. Der Stadtteil ist heruntergekommen. Je weiter man sich von der „Gotham City Hall“ in westlicher Richtung entfernt, je ungemütlicher wird es. Um die Docks herum, ist es noch schlimmer. Wer hier wohnt, hat zu viel Geld, um in die wirklich miesen Gebiete, wie die Narrows, verschlagen zu werden und zu wenig Geld, um sich eine Wohnung in Uptown oder sogar Midtown zu leisten. Wer hier wohnt, steht irgendwo zwischen allem. Das Mädchen wohnt in der Nummer 229. Ihr Zimmer liegt genau auf der Höhe der Oberbahnschienen. Wenn es aus dem Fenster blickt, sieht es nur die stählernen Balken und die abgesplitterte Farbe auf den Schweißnarben. Es sieht wie die Schienen anfangen ganz leicht zu vibrieren, wenn sich ein Zug nähert. Wenn er dann endlich vorbeifährt, dringt die Vibration bis in seine Wohnung und lässt die Gläser in ihren Schränken aneinander klirren. Das Mädchen hat die Fächer mit Luftpolsterfolie ausgekleidet. Vasen und zerbrechliche Dekoration hat es in Holzrahmen eingefasst. Es investiert lieber in solche kleinen Dinge, als in eine bessere Wohnung. Es hat auch keine andere Wahl. Hätte es die, wäre es wohl kaum hier. Das Mädchen hat auch einen Namen. Aber er ist nicht wichtig, denn dieses Mädchen wird es nicht mehr lange geben. Ein weiteres Opfer der Stadt und des Größenwahnsinns, der in ihren Abwasserleitungen pulsiert wie in den Adern eines Irren. Das Mädchen heißt Amanda Abbott. Sie hat einen schmächtigen, beinahe androgynen Körperbau. Zu wenig Fett. Zu wenig Brust. Zu wenig Hüfte. Zu wenig von beinahe Allem. Aber sie ist intelligent, die kleine Amanda. Sie studiert. Was sie studiert, lohnt sich nicht einmal mehr zu sagen, denn sie wird nicht mehr lange sein. Die Stadt wartet auf sie und ihr Maul mit den tausend Reißzähnen ist geöffnet. Amanda liest viel. Sie lernt sich das Hirn ganz wund. Sie isst kaum. Sie trinkt nur. Wenn sie sich etwas zu essen macht, dann nur viel zu wenig und viel von dem falschen Zeug. Vor zwei Tagen haben ihre Hände angefangen zu zittern. Sie hat es ignoriert. Genauso wie den Hunger. Warum sie das tut? Sie will hier weg. Sie will gut sein, einen guten Job bekommen und endlich gutes Geld verdienen. Aber nur wenige Dinge in dieser Stadt sind … gut. In dieser Nacht lernt sie wieder einmal viel zu lang. Amanda lernt nur nachts, weil die Bahnen dann einen langsameren Rhythmus haben. Sie liegt auf der Couch und hat ein dickes Buch auf die Knie gestützt. Fünf weitere liegen auf einem Stapel am Boden. Unter ihren dunklen, braunen Augen liegen Furchen, so dick, dass man sie im Halbdunkel der kleinen Stehlampe mit falsch gesetzten Kajalstrichen verwechseln könnte. Sie greift nach einer Packung Eistee, die neben ihr auf der Couch liegt, eingebettet zwischen zerknautschten und ergrauten Stofftieren, die schon seid Ewigkeiten als Einzige mit ihr den Schlafplatz teilen. Amanda ist 25. Sie hatte Freunde, hatte Verehrer. Bevor ihr Studium begann und sie sich gnadenlos mit Arbeit überhäufte und sich um des fragwürdigen Erfolges wegen selbst zerstörte, hatte sie so etwas wie Freizeit gehabt. Jetzt würde sie bald ihren Abschluss machen. Jetzt war nichts anderes mehr wichtig. Und gerade jetzt verlassen sie ihre Kräfte. Sie kann nicht mehr länger schlafen als vier Stunden am Tag. Ihre Nerven sind überreizt und ihre Verdauung spielt verrückt. Sie hat seid Tagen nicht mehr in den Spiegel gesehen, ihr Zimmer ist voller Dunst - Weiß der Teufel, woher der kommt! – und das Sonnenlicht lässt sie dauerhaft ausgesperrt. Sie will die Stadt nicht sehen! Nicht solange sie nicht alles weiß, was in diesen gottverdammten Büchern steht! Aber die Stadt will sie sehen. Und sie findet immer eine Möglichkeit, auch die scheuesten Gestalten aus ihren Löchern zu locken. Amanda hebt die Packung an ihre Lippen und kippt sie. Immer weiter und weiter, bis sie wirklich sicher ist, dass sie leer ist. Sie seufzt. Mit einer unglaublich langsamen und steifen Bewegung wischt sie das Buch von ihren Knien und richtet sich auf. Ihre Füße berühren seid Stunden zum ersten Mal wieder das abgelatschte Linoleum ihres Zimmers und suchen nach den Hausschuhen. Ein leichtes Schwindelgefühl überkommt sie und sie zögert aufzustehen. Aber sie muss etwas trinken. Wenigstens das! Und sie muss Shark füttern. Shark ist ein Goldfisch von immenser Größe. Dementsprechend bewohnt er auch immen großes Goldfischglas, welches auf einer frei schwingenden Platte angebracht ist, damit Amandas einziges Haustier keinen qualvollen Vibrationstod sterben muss. Der Fisch sieht sie erwartungsvoll an. Was zum einen drauf hindeuten kann, dass ein Fisch im Gegensatz zu seiner Herrin sein tägliches Fressen benötigt, und zum anderen kann es auch wieder auf nichts hindeuten, denn Fische haben ohne Zweifel immer dieselbe erwartungsvolle Visage. Amanda überwindet sich und steht auf. Sie geht zu dem kleinen Regal unterhalb der baumelnden Goldfischplattform und greift in die Schublade. Zwischen ihren Fingern hält sie eine Dose Fischfutter. Sie schraubt den Deckel ab, ignoriert ihre zitternden Hände und kippt das Gefäß über die Wasseroberfläche, unter der Shark schon wie ein Verrückter hin und her schwimmt. Nichts passiert. Die Dose ist leer. Sie seufzt ein weiteres Mal und wirft die Dose in den Müll. Shark schaut erwartungsvoll. Das ist der Auslöser. Der Lockvogel. Die Stadt fletscht die Zähne. Niemand sieht wie sich langsam ein monströses Lächeln auf ihren Gesichtszügen bildet. Amanda nimmt ihren Regenmantel vom Haken, überprüft ob die 10 Dollar, die sie einmal in die rechte Seitentasche gesteckt hatte, noch da sind, dann zieht sie den Mantel an und bedeckt ihr kurzes, schwarzes Haar mit der Kapuze. Gegen 01:44 verlässt sie die Wohnung. Die Stadt tobt triumphierend, doch die Straßen bleiben ruhig. Niemand spürt die leichte Vibration im Boden, den Anflug eines Lachens. Das Mädchen tritt auf die Straße. Sofort sitzt ihm der Regen im Nacken. Es zieht die Kapuze enger um sein Haupt und senkt den Kopf. Es wird schnell gehen, der Laden ist nicht weit. 24 Stunden geöffnet. 24 Stunden die breite Auswahl zwischen Dosenraviolli und Corned Beef. Statt von A bis Z, ist es eher ein A bis F Laden. Aber seltsamerweise gehört Fischfutter noch zum Sortiment. Das Mädchen erreicht den Laden. Kauft Fischfutter, drei Packungen Eistee und ein Clubsandwich, welches es nie essen wird, und verlässt den Laden wieder. Der Regen fegt es fast von den Füßen, so leicht ist es innerhalb der letzten Wochen geworden. Das Mädchen bemerkt seine Schwäche zum ersten Mal seid Langem – vielleicht auch, weil die frische Luft das Denken aufklart – und nimmt sich vor, morgen etwas Ordentliches zu kochen. Vielleicht wird es sogar einen kleinen Spaziergang machen und sich ein wenig auf dem Wochenmarkt umsehen. Das Mädchen denkt all die vernünftigen Dinge, die es sich vornimmt und höchst wahrscheinlich doch nicht machen wird, als es gegen einen Fels prallt. Die Männer waren plötzlich und unter dem Deckmantel des Unwetters aufgetaucht. Sie hatten das Mädchen schon im Blick, seid dem es den Laden verlassen hatte. Sie waren groß, breit, dunkel und überall. Es waren fünf. Sie schlossen sich wie eine Wand um das Mädchen. Eine Hand schnellte nach vorne und presste sich gegen seinen Mund. Ein Arm umschlang seinen zierlichen Hals und drückte mit der Endgültigkeit eines Schraubstocks zu. Man hielt Arme und Beine eng an den Körper des Mädchens gepresst. Wie bei einer Wühlmaus, die langsam durch eine Schlange zerquetscht wurde, flackerten seine Sinne. Der Boden unter seinen Füßen rutschte weg, der Himmel über ihm fing an zu flimmern und wie ein kaputter Fernseher zu rauschen. In seinen Ohren begann es zu fiepen und das Pochen seines eigenen Blutes wurde darin leiser. Wieso? Wieso musste “Wieso?” immer die letzte Frage sein? Besteht das Leben nicht aus viel mehr als aus dem Tod? Wieso also fragt man im Angesicht seines Dahinscheidens nach dem Grund dafür? Die Männer ziehen das Mädchen von der Straße. Einer sammelt ihre Einkäufe ein. Sie wollen keine Spuren hinterlassen. Danach sind sie weg. Ein Mädchen ist verschwunden. Keiner sucht nach ihm. Es wird nicht das Letzte sein. Ein Mädchen ist verschwunden und wird nicht mehr in seine Wohnung zurück kehren, wo sein Goldfisch wartet und erwartungsvoll guckt. Ein Mädchen ist verschwunden und die Stadt lacht. Lacht aus tiefster Seele. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)