Ohne Mitgift von Nifen (Eine Stolz&Vorurteil-FF) ================================================================================ Kapitel 1: 1. und einziges Kapitel ---------------------------------- Der Ball auf Netherfield Park war für die meisten Mitglieder jener Nachbarschaft in Hertfordshire, welche das Glück hatten, für eben jenen Ball eine Einladung zu erhalten, zweifelsohne der Höhepunkt des Jahres. Einzig vielleicht der Verlobungsball anlässlich der allseits erwarteten Verbindung von Charles Bingley, dem begehrten Hausherren von Netherfield, mit Jane Bennet wäre in der Lage, diesen Ball noch zu übertreffen. Charlotte Lucas, als Tochter des einzigen Ritters der Nachbarschaft, war selbstverständlich gemeinsam mit ihrer Familie zu diesem Ball eingeladen worden, aber mit siebenundzwanzig Jahren wollte sich bei ihr irgendwie nicht die gleiche Vorfreude einstellen, wie bei ihrer zehn Jahre jüngeren Schwester Maria. Dafür hatte sie in den vergangenen Jahren einfach zu viele Tanzveranstaltungen besucht, die allesamt mehr oder weniger gleich frustrierend für sie gewesen waren. Charlotte hatte schon immer einen gesunden Realitätssinn besessen und sich insofern nie zu Märchenträumereien, in denen der natürlich vermögende und gutaussehende Mann ihrer Träume ausgerechnet sie allen anderen jungen Damen vorzog und sie mit ihm als Ehemann bis ans Ende ihrer Tage ein aufregendes und glückliches Leben führte, hinreißen lassen. Dafür gab es traditionell in England einfach zu viele junge Damen, die neben Charlottes eigenen Tugenden auch noch über eine angemessene Mitgift verfügten. Aber obgleich ihr Vater ein ausreichendes Vermögen in seiner Zeit vor dem Ritterschlag erwirtschaftet hatte, um fortan das Leben eines Landedelmannes führen zu können, ließ allein schon der finanzielle Aufwand, den es bedeutete, den ältesten Sohn standesgemäß an einer respektablen Universität studieren zu lassen, es nicht zu, dass Rücklagen für eine Mitgift für die Töchter gebildet wurden. Sie konnten allenfalls mit einer jährlichen Unterstützung im Falle ihrer Heirat rechnen. Weshalb sich Charlotte, spätestens seit Jane Bennet in die Gesellschaft eingeführt worden war, keinerlei Hoffnung mehr gemacht hatte, in dieser Nachbarschaft einen Ehemann zu finden. Denn Jane Bennet startete ihr gesellschaftliches Leben mit ähnlich bescheidenen finanziellen Vorgaben, verfügte aber über eine Schönheit, die bei Charlotte, die eher als unscheinbar anzusehen war, Eifersucht hätte hervorrufen können, hätte sie zu einer eifersüchtigen Veranlagung geneigt. Vielleicht hätte London Charlotte noch eine Alternative bieten können, aber eine Saison in der Stadt war finanziell auch nicht realisierbar. Dementsprechend sah Charlotte in den Tanzveranstaltungen zunehmend lediglich eine Gelegenheit ein paar vergnügliche Stunden mit ihrer besten Freundin Lizzy zu verbringen. Vermutlich war es auch nur der Tatsache, dass sie Lizzy schon eine ganze Woche nicht mehr gesehen hatte, geschuldet, dass sich in ihr doch so etwas wie Vorfreude ausbreitete, als sie sich an diesem Nachmittag für den Netherfield-Ball zurechtmachte. Zu Charlottes großer Überraschung hatte der Ball mehr für sie bereit gehalten als nur die amüsante Unterhaltung Elizabeths. Obgleich schon spät in der Nacht, beinahe schon Morgen, wollte es Charlotte nach der Rückkehr von Netherfield einfach nicht gelingen, zur Ruhe zu kommen, zu viele Gedanken gingen ihr durch den Kopf. Denn an diesem Abend hatte sie unverhofft einen Blick auf eine Zukunft werfen können, die etwas anderes für sie bereithielt als das scheinbar unvermeidliche Schicksal einer alten Jungfer, die entweder als ungeliebte Verwandte geduldet wurde oder sich ihren Lebensunterhalt als Gouvernante oder Gesellschafterin in fremder Leute Haushalten verdiente. Gerade letztere Option war ihr in den vergangenen Wochen und Monaten zunehmend als einziger Ausweg aus der deprimierenden Eintönigkeit ihres Lebens erschienen, aber noch hatte sie es nicht über sich gebracht, diese Gedanken mit ihren Eltern zu teilen. Jetzt jedoch... nicht umsonst hieß es, dass jeder Mensch seines eigenen Glückes Schmied war. Sie musste sich nur trauen das Eisen ihres Glücks aus der Esse zu nehmen und auf den Amboss zu legen. Dann könnte sie Mrs. Collins werden. Mr. Collins, seines Zeichens ein Mann der Kirche und derzeit zu Besuch bei den Bennets, hatte seine Cousinen auf den Ball nach Netherfield Park begleitet und offenkundig beschlossen, eine von ihnen, genauer gesagt Elizabeth Bennet, zu seiner Gattin zu erwählen. Charlotte kannte Lizzy gut genug, um zu wissen, dass ihre Freundin keinerlei Skrupel hatte, Mr. Collins’ Antrag, wenn er kam, abzulehnen. Dafür waren die Charaktere der beiden potenziellen Eheleute einfach zu verschieden. Aber ebenso wenig bestanden in Charlottes Augen Zweifel, dass Mr. Collins sich recht bald schon Lizzy erklären würde, unabhängig davon, wie sehr Elizabeth hoffte, ihr Cousin würde davon Abstand nehmen. Es hatte weniger als eine Stunde seiner Bekanntschaft auf dem Ball bedurft, um Charlotte erkennen zu lassen, dass Mr. Collins zu jenen Menschen gehörte, die leicht zu beeindrucken waren und an einer einmal gefassten Meinung beinahe unumstößlich festhielten. Wurde diese Meinung aber erst einmal aufs äußerste erschüttert – und die Ablehnung eines überaus ehrbaren Heiratsantrags war gewiss eine solche Erschütterung –, war es durchaus möglich, dass auch jemand Unscheinbares wie Charlotte Lucas Mr. Collins beeindrucken konnte. Zumal der fragliche Herr angesichts seiner Bereitschaft eine der Bennet-Töchter zu heiraten, kaum auf einer eleganten Mitgift bestehen würde. Wenn es ihr gelang, im richtigen Moment ihm ein wenig Trost zuzusprechen, Verständnis zu zeigen, sich selbst als aufrichtige, sensible Frau zu präsentieren, als vernünftige Wahl, die genau den Anforderungen entsprach, die ein Mann in seiner Stellung an die Gefährtin an seiner Seite stellte... Gewiss, Mr. Collins war von jenem traumhaften Exemplar eines Mannes, von dem Charlotte sich stets zu träumen verboten hatte, in etwa so weit entfernt wie England von Australien, aber immerhin nicht so weit entfernt wie der Mond. Er schien weder dem Alkohol übermäßig zugetan, noch zu Gewalt zu neigen, ließ nicht auf Schulden schließen, sondern verfügte im Gegenteil über ein gesichertes Einkommen. Was tat es da schon groß zur Sache, dass er vielleicht Plato nicht von Cicero zu unterscheiden wusste und Poesie für das kleinere Übel verglichen mit einem Roman hielt? Als Mrs. Collins wäre Charlotte nicht länger eine Last für ihre Eltern, und ohne Mr. Bennet einen frühen Tod zu wünschen, war die Aussicht, ihren Eltern als Nachbarin vielleicht eines Tages eine Stütze sein zu können, nicht ohne Verlockung. Was die Aussicht betraf, die Zwischenzeit in Kent verbringen zu müssen, so barg selbst dies den Reiz des Neuen. Und sollte sich Mr. Collins wirklich als unerträglicher Gesellschafter erweisen, nun, sie würde sich schon zu beschäftigen wissen. Auf jeden Fall aber würde sie morgen früh, so bald die Schicklichkeit einen Besuch zuließ, nach Longbourn gehen. Schließlich geboten es die Gepflogenheiten, dass die Misses Bennet und die Misses Lucas einen Ball nicht später als am Folgetag diskutierten. Für den Tag darauf würde ihr bestimmt ein anderer Vorwand einfallen, dass die Familien Zeit miteinander verbrachten. Vielleicht eine Dinner-Einladung. Denn je mehr der verbleibenden Zeit von Mr. Collins kurzem Besuch sie in dessen Gegenwart verbrachte, desto größer durfte man wohl die Chancen einschätzen, dass ihre Zukunft vielleicht doch nicht so trostlos war, wie sie Charlotte noch am Nachmittag erschienen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)