Wind In The Wires von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Francois steht inmitten der Menschenmenge und beobachtet seine lebhafte Tochter mit Stolz in seinem Blick. Er hat nach etwa zwei Stunden hartnäckigem Gebettel und lautem Geschluchze- macht es ihn zu einem schlechten Vater, wenn er dem kleinen Würmchen nichts abschlagen kann? Er denkt nicht, dass es so ist; besser als sie mit eiserner Hand zu führen und sich dann zu wundern, wenn sie sich von ihm lossagt, wie es Arthur geschehen ist- nachgegeben und sie mitgenommen in seine geliebte Hauptstadt, um nun zu finden, dass es gar nicht so schlecht ist, wenn sie auch einmal etwas anderes sieht als die endlosen Strände ihres Landes. Marina ist ein wundervolles Mädchen, denkt er und schlendert in wehendem blauem Mantel hinter ihr her, die goldenen Knöpfe gleißend in der Sonne, sich von Zeit zu Zeit höflich grüßend an den Dreispitz tippend. Sie mag noch ein kleines Mädchen sein und ungestüm wie ein junger Hund, doch er muss nur in ihr kleines Gesicht sehen und weiß, dass sie wundervoll werden wird, eine wahre Perle- und er wird ihr dabei helfen. Francois denkt mit einem Lächeln, wie seltsam es doch ist, nach vielen Jahrzehnten wieder für ein Wesen sorgen zu müssen und für einen Moment huschen seine Gedanken zu einem kleinen blonden Engel mit tiefvioletten Augen, neben sich einen weißen Bären, der ihn böse anknurrt, ehe er einschläft, doch er vertreibt diese Erinnerungen rasch- zu schön, zu hell ist dieser Tag, als dass er ihn mit etwas anderem als l’amour füllen möchte. „Cherie, non!“, ruft er einmal, als er sieht, dass son cher fille einen meterhohen, aufwändig verzierten Springbrunnen zu erklimmen versucht und er läuft los, die Rockschöße hinter ihm her flatternd und der Dreispitz von seinem Kopf wehend, um eine Flut goldener Haare, französischer Haare, freizulassen, doch er kümmert sich nicht darum. All sein Fokus gilt einem kleinen Mädchen mit zu zwei Pferdeschwänzen eingefassten mahagonibraunen Haaren, das kurz davor ist, böse zu fallen. Vielleicht war dieser Ortswechsel doch keine gute Idee, denkt Francois etwas gestresst, als er sie von einem steinernen Pferd aus dem Schoß von Neptun fischt, dann stellt Frankreich seine (Adoptiv?)Tochter auf den Boden und verschränkt die Arme. „Cherie“, sagt er und es sollte eigentlich streng und wütend klingen, doch seine Worte kommen viel zu milde heraus, erweicht durch einen wundervollen Frühlingstag und verliebte französische Paare um ihn herum. „Du sollst nicht auf hohe Gebilde klettern, oui? Du könntest dir dabei ganz schrecklich wehtun und das wollen weder du noch ich, n’est-ce pas?“ „Entschuldigung, papá“, antwortet Seychelles artig (und Francois würde es niemals zugeben, doch er liebt es, was sie aus seiner Sprache macht, dieses niedliche Kauderwelsch, das ihrem süßen Mund entströmt) und sieht dabei tatsächlich ein wenig reumütig aus- zumindest lässt sie schuldbewusst ihren Kopf hängen und zupft an dem rosa Kleidchen mit den vielen Spitzenvolants herum, das extra für sie maßgeschneidert wurde und in das er sie gesteckt hat. (Sie sieht wie eine Prinzessin aus, denkt er, seine Prinzessin, und für einen Moment scheint sein Herz überzuquellen vor Liebe.) „Excusez-moi“, erklingt es da plötzlich hinter ihm und er dreht sich fragend um, um zu spüren, wie alles Blut aus seinem Gesicht weicht. Die Frau vor ihm ist lieblich anzusehen; langes, weiches, blondes Haar, scharfe, intelligente Augen und ein zartes Gesicht, doch alles was Francois statt Fremder und blassblauem Kleid sieht, ist eine gleißende Rüstung und ein gleißendes Lächeln von einer Frau so rein, dass sie ein Engel sein könnte. Es ist, als könnte er ihre Asche immer noch im Wind spüren. Erst ein leichtes Zupfen Marinas an seinem Mantel holt ihn zurück aus der Vergangenheit und er denkt mit einem bitteren Lächeln Francois, du wirst alt. Seit wann bevorzugst du die Vergangenheit gegenüber der Gegenwart?, doch er kann nicht anders. Vielleicht liegt es an der leichten Brise, die ihm fast tröstend durch die Haare streicht und Brandgeruch in seine Nase treibt. Er gibt Marina ein beruhigendes Kopftätscheln und wendet sich dann erneut der Frau vor ihm zu, spürt, wie ein Lächeln seine Lippen streift. „Wie kann ich Ihnen helfen, Mademoiselle?“ „Oh non, Monsieur, diesmal ist es an mir, Ihnen zu helfen“, sagt sie mit einem leisen, zurückhaltenden Lächeln und erneut flammt die Erinnerung an ein wildes, gleißendes Lächeln in Francois auf und er beißt die Zähne zusammen. Es tut weh. Immer noch. Er merkt auf, als die blutjunge Frau- so jung, so jung und wieder sieht er ein anderes Gesicht vor sich- ihm seinen Hut hinhält. „Sie haben ihn vorhin verloren, als Sie Ihrer Tochter hinterhergelaufen sind, Monsieur-“ „Bonnefois“, sagt er und hebt ihre schlanke, weiße Hand, um einen Kuss darauf zu hauchen. „Francois Bonnefois. Ich bin Ihnen überaus dankbar.“ Unter anderen Umständen, an einem anderen Tag, in anderer Begleitung hätte er sie vielleicht mit seinem Charme betört und in sein Bett gelockt. So jedoch setzt er sich lediglich den Dreispitz auf, macht einen Diener vor dem schönen Frauenzimmer und streckt dem einzigen weiblichen Wesen, dem er seine Liebe uneingeschränkt und vollkommen platonisch entgegenbringen kann und darf, die Hand hin. „Komm, ma cherie. Ich muss noch Blumen kaufen.“ Sesel nimmt seine Hand- im Vergleich winzige Finger, die die seinen umklammern- und fragt: „Wieso, papá? Hat jemand Geburtstag?“ Er unterdrückt ein Gelächter, das, wie er befürchtet, seine geliebte Prinzessin in seinem hysterischen Wahnsinn ein wenig erschreckt hätte. „Nicht ganz, cherie. Nicht ganz.“ (Er sieht sie brennen und schließt die Augen, bis nur noch das Knistern der Flammen, ihr Gesang und sein Atem in sein Bewusstsein dringen.) Sie kaufen Lilien, einen ganzen Strauß voll, so viele, dass sie kaum in Francois’ Arme passen und Marina bekommt eine einzelne lachsfarbene Rose, die sie mit einem glücklichen Quietschen an ihre Brust presst. Es ist ein wirklich herrlicher Tag, denkt Francois mit einem Lächeln und sieht für einen langen Moment in den Himmel, als er die Seine entlang spaziert, die Arme voller Blumen, das Herz groß und weit. (Und tatsächlich, ist Letzteres nicht irgendwie auch ihr Verdienst?) Und er singt zu Marina, lässt leichte, fröhliche Melodien und Silben in der Sprache seines Volkes- seines Volkes, das so stolz ist und auch ihn dadurch stolz macht, in mehr als einem Weg- über seine Lippen gleiten und denkt, dass es keinen schöneren Laut gibt als das Lachen eines Kindes. („Fürchte dich nicht“, sagt sie fest und in ihren Augen stehen Tränen, doch keine einzige davon verlässt ihren Platz und er denkt, nur für eine Sekunde, wie gern er sie zu einer Frau gemacht hätte, doch nun wird sie immer eine Heilige sein und so ist es würdig und recht.) Die Seine ist ein langer, stolzer Fluss und windet sich weit durch Frankreich, doch Francois schreitet mit fester Entschlossenheit und hohem Herzen aus, das Kind neben sich gelegentlich zu sich rufend, wenn es sich zu weit entfernt. Sie wandern lange, weit hinaus aus der Stadt, die Francois liebt wie keine zweite, und sie bleiben erst stehen, als Marina müde wird und nur noch vor sich hinstolpert. Sie stehen an einem wundervollen, verlassenen Plätzchen Erde und Francois’ Augen sehen nichts als unendliche Weite, die Seine eingefasst von in vollster Blüte stehenden Bäumen und er denkt: Ja. Hier ist es perfekt. Seychelles schläft auf Francois’ Mantel im weichen Gras und ein Schmetterling fliegt nur knapp an ihrem Gesicht vorbei in die langsam ansetzende Dämmerung, als Francois sich zum Ufer begibt, so nahe ans Wasser, dass seine Schnallenschuhe beinahe die Oberfläche berühren, und die Blumen fallen lässt, eine nach der anderen. Er tut es liebevoll und zärtlich, als würde er eine ängstliche Bettgefährtin beruhigen, und küsst jede einzelne Blüte, ehe er sie fallen lässt, sieht zu, wie sie langsam dem Ärmelkanal mündet und hofft, dass Arthur sie sehen kann, jede einzelne. Und sich erinnert. Und bereut. Francois lächelt, lässt die letzte Blume los und sieht in den strahlend blauen Himmel und denkt für einen Moment, in ein gleißendes Lächeln zu sehen. „Dormez bien, Jeanne“, sagt er sanft und weiß: Morgen wird er wieder lachen und lieben und genießen und leben, leben bis es nichts mehr gibt, wofür es sich zu leben lohnt, bis die ganze Welt um ihn herum zu Asche zerfällt- doch heute, nur heute an diesem 30. Mai, wird er wie jedes Jahr innehalten und sich erinnern an eine Liebe, die rein und strahlend war wie die Sonne, kurz wie das Leuchten eines Kometen und doch Jahrhunderte überdauernd. Und für einen Moment hat er das Gefühl, eine kraftvolle, schlanke Frauenhand auf seiner Schulter ruhen zu haben. ******************** Notes: 1) Lilien sind die Symbolblume Frankreichs. Obviously. 2) Jeanne D'Arcs Asche wurde in die Seine gestreut, damit die Franzosen keinen Reliquienkult mit ihren Überresten betreiben konnten. 3)Der 30. Mai war der Tag,an dem besagte Reste in die Seine gestreut wurden. 4) son cher fille: seine liebe Tochter (frz.) dormez bien: schlaf gut (frz.) 5) Sesel: Seychellen auf Seychellenkreol 6) "Was sie aus seiner Sprache macht": Seychellenkreol ist zwar französisch-basierend, jedoch weitaus einfacher und hat wie alle kreolischen Sprachen keinen Genus und Numerus, neben ein paar anderen Merkmalen.^^ (Auf Wikipedia gibts dazu nen recht interessanten Artikel, einfach "Seychellenkreol" eingeben) Der Rest erklärt sich glaube ich von selbst.^^ Reviews sind gerne gesehen,ansonsten bedanke ich mich fürs Lesen.^^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)